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Die Begegnung zwischen Hinduismus und Christentum in Indien

2007, Weltkirche und Weltreligionen: Die Brisanz des Zweiten Vatikanischen Konzils 40 Jahre nach Nostra aetate

Anand Amaladass SJ, "Die Begegnung zwischen Hinduismus und Christentum in Indien", in "Weltkirche und Weltreligionen: Die Brisanz des Zweiten Vatikanischen Konzils 40 Jahre nach Nostra aetate", eds. Josef Sinkovits & Ulrich Winkler; Salzburger Theologische Studien interkulturell 3 (Innsbruck-Wien: Tyrolia-Verlag, 2007): 231-245

-- Salzburger Theologische Studien interkulturell 3 Josef Sinkovits I Ulrich Winkler (Hg.) herausgegeben von "Theologie interkulturell und Studium der Religionen" Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Salzburg in Verbindung mit den Professoren der Theologischen Fakultät Anton A. Bucher Franz Nikolasch Friedrich Reiterer Heinrich Schmidinger Werner Wolbert • • • Weltkirche und Weltreligionen Die Brisanz des Zweiten Vatikanischen Konzils 40 Jahre nach Nostra aetate Salzburger Theologische Studien Band 28 / 2007 Tyrolia-Verlag · Innsbruck-Wien DIE BEGEGNUNG ZWISCHEN HINDUISMUS UND CHRISTENTUM IN INDIEN Anstöße und Erfahrungen Anand Amaladass SJ, Chennai I Indien Die Zielrichtung dieses Vortrags leitet sich ab von dem Dokument, dessen 40-Jahre-Jubiläum wir nun feiern.1 Hinter der Offenheit zum Dialog, welche in Nostra aetate zum Ausdruck gebracht wurde, steht folgende Argumenta­ tion: Auf der Grundlage der Lehre, dass allein Gott das letzte Ziel aller V ölker wie auch ihr Ursprung ist, und der Feststellung, dass "[s]eine Vorse­ hung, die Bezeugung seiner Güte und seine Heilsratschlüsse [ ...] sich auf alle Menschen" erstrecken, fordert die Erklärung die Christen auf, "mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen [...]jene geistlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, an[zu]erkennen, [zu] wahren und [zu] fördern."2 Für Indien bedeutend ist ein anderes, späteres Dokument, Fides et ratio ( 1988), wo ihm, wohl erstmalig, ein besonderer Platz gegeben wird. "Den Christen von heute, vor allem jenen in Indien, fällt die Aufgabe zu, aus die­ sem reichen Erbe die Elemente zu entnehmen, die mit ihrem Glauben ver­ einbar sind, so dass es zu einer Bereicherung des christlichen Denkens kommt" (Nr. 72). Es ist hier nicht der Ort, über die Bedeutung des Dialogs zu reden, um jemanden von ihm zu überzeugen. Dazu ist genügend geschrieben worden, und dennoch bestehen die Ambiguitäten und Unsicherheiten in Bezug auf den Dialog weiter. Aber was dabei nicht bemerkt wird, ist die Tatsache, dass Befürworter und Gegner des Dialogs nicht über denselben Gegenstand zu reden scheinen. Das rührt von der Natur des Dialogs selbst her. Alles, was über den Dialog gesagt wird, lässt sich nicht in rational verifizierbarer Form erwerben, damit man es durch zertifizierbare professionelle Fettigkeiten aus­ üben könnte; es entsteht vielleicht aus tiefer Irritation, da es sich um ein Überarbeitete Version eines Vortrags, der auf der Nostra der Pontificia Universita Gregoriana in Rom (25.-28. aetate- Konferenz an 2005) gehal­ September ten wurde. Aus dem Englischen übersetzt von Christian Hackbarth-Johnson. 2 Nostra aetate I u. 2. Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien Anand Amaladass Abenteuer der Ideen handelt. In jedem Fall steht im Fokus des Dialogs das Verlangen, die religiöse Dimension der Menschen in a11 ihrer Verschiedenheit zu verstehen. Aber es steht vor dem Hintergrund des Weltgeschehens mit aller verfügbaren hochentwickelten Technologie und mit all dem dadurch erreichbaren Wohlstand, wo anscheinend selbst die etablierten Religionen ihren Frieden mit dem machen, was ihren Prinzipien widerspricht. Teil I. Lernerfahrungen durch inter-religiöse Begegnungen3 Ist der interreligiöse Dialog eine christliche Initiative? Die christliche Gemeinschaft beansprucht für sich, dass der interreligiöse Dialog eine christliche Initiative sei. In der Tat, im Vergleich zu der Menge an theologischer Reflexion zu dem Thema, wie wir sie über die christliche Welt verteilt finden, gibt es in den anderen Religion der Welt wenig geschrie­ benes Material. Es war meine christliche Tradition, die mich dafür ausgebil­ det und dazu angeleitet hat, in den Dialog mit anderen Religionen zu treten, insbesondere mit dem Hinduismus. Selbst einige meiner hinduistischen Kol­ legen haben sich öffentlich dahingehend geäußert, dass es sich beim Dialog um die Sorge religiöser Minderheiten ums Überleben handelt; die Mehrheits­ religionen würden keinen Bedarf dafür sehen. Es ist eine Tatsache, dass praktisch jede Diözese der (katholischen) christlichen Gemeinschaft in In­ dien ein Dialogzentrum hat, und dass eine ganze Reihe von Christen4 über den einen oder anderen Aspekt des Hinduismus gearbeitet haben, was in umgekehrter Weise von den hinduistischen Partnern nicht gesagt werden kann. Wenn der Dialog zugegebenermaßen ein spezifisch christliches Abenteuer ist, muss dennoch eingeräumt werden, dass das Christentum nicht die ganze Ehre für sich beanspruchen kann. Weitsichtige Menschen haben den Wandel in der säkularen Welt und die Bedeutung der religiösen Vielfalt gesehen und ließen sich darauf ein, gegen allen Widerstand, bis die religiösen Institutionen eines Tages selbst so weit waren, diesen anzuerkennen. Mit anderen Worten, als Nostra aetate vor 40 Jahren formuliert wurde, wurde nicht zum ersten Mal ein Dialog initiiert, um in den Herzen der Menschen einen Wandel zu bewirken, sondern es wurde anerkannt, dass es diesen bereits gab. Es gab Menschen innerhalb der eigenen Tradition den Anstoß, in ihr nach all den vergessenen und marginalisierten Denkern der Vergangenheit zu forschen und ihre Ideen wieder in den Mittelpunkt zu stellen. So wurde das Gewicht der alten Tradition des Dialogs eingebracht, um den Prozess des Dialogs zu fördern, was in der Geschichte jeder religiösen Tradition etwas Normales ist. Dies führte dann auch zu der Entdeckung dialogischer Potentiale in den anderen Religionen. Es erschienen mehrere Publikationen über die hinduis­ tischen dialogischen Traditionen.5 Einige Beispiele seien hier zitiert. Die Geschichte der Dialogtraditionen in Indien geht zurück auf die Edikte Asho­ kas, welche die Achtung gegenüber anderen Religionen verkündet haben. Das Studium der Bhagavadgita führte zu der Entdeckung der inklusivisti­ schen Tendenz des Hinduismus, wo der Gott Krishna den absoluten Anspruch erhebt, der höchste Herr zu sein, Anfang, Mitte und Ende von allem. Er sei die einzige Quelle des Heils, und die anderen, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind, würden allein durch ihn gerettet, da er das aller Existenz zugrundeliegende Prinzip ist. Wenn man in die Geschichte der hinduistischen Theologie schaut, ist es von Bedeutung herauszufinden, wie die Begriffe der Gnade und der Offenbarung im einzelnen behandelt wurden, und wie man Wege fand, andere Glaubensformen in den hinduistischen Rahmen einzu­ gliedern.6 Es gab Dialoginitiativen unter Hindus. Zum Beispiel machte Ramalinga Vallalar (1823-1874) in Südindien den Versuch, Menschen zusammenzu­ bringen, um sich in einer universalen Religion zusammenzuschließen. Er baute einen Tempel, in dem nur Licht als das Hauptsymbol des Göttlichen vorhanden war. Dorthin waren alle eingeladen, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Heute gibt es Dialogzentren, die von Hindus organisiert werden, und sie laden Christen ein, sich zu beteiligen. Dieser Prozess hat ein zwei­ faches Ziel, zum einen, die Anhänger der jeweils eigenen Tradition zu schu­ len, und zweitens, ein Forum zu schaffen, um über das Dasein der anderen etwas zu erfahren. Die Offenheit, dabei die Stimmen anderer Traditionen zu hören, ist ein positives Signal. Trotz verschiedener negativer Faktoren - gewalttätige Zusammenstöße zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen in einigen Teilen Indiens, hinter denen menschliche Faktoren stehen- wächst in beiden Gemeinschaf­ ten, bei Hindus wie bei Christen, das Bewusstsein der Präsenz des jeweils anderen. Anders gesagt, man definiert sich gegenseitig, was im Zusammen5 6 Vgl. John B. Chethimattam, Dialogue in Indian Tradition, Bangalore verschiedenen Offenbarungstheorien, letztgenannte Werk 3 Inspiriert hat mich James W. Heisig, 4 Vgl. Indian Christian Thinkers, hg. v. Anand Amaldass, Chennai gions, in: 232 Six Sutras on the Nanzan Bulletin 25 (2001) 7-17. Dialogue among Reli­ 1969. Vgl. Jayanta Bhatta aus Kashmir (8. Jh. n. Chr.) und seine Arbeiten über die Nyayamanjari, Agamadambara usw. Das (Agamadambara "Begegnung der Religionen") ist ein - Drama in vier Akten, in denen die multireligiöse Situation in Indien angespro­ chen und eine vorläufige Lösung der Konflikte zwischen den religiösen Sekten 2005. gegeben wird. 233 Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien Anand Amaladass leben ein normaler Vorgang ist. Dabei gibt man den anderen Raum und versucht nicht, sie zu eliminieren. Dieser Vorgang entwickelt sich langsam aus der Situation des Dialogs im Lebensalltag heraus.7 Der Prozess der Interaktion mit dem Hinduismus in Indien erhielt Auf­ schwung nach dem II. Vatikanum. Wir sollten aber nicht die großen Leis­ tungen früher christlicher 9enker wie Roberto de Nobili8 (1577 -1656), Brahmabandhab Upadhyay9 (1861-1907) und Pierre Johanns10 (1882-1955) vergessen, die den Weg für eine indische christliche Theologie bereiteten. In der Zeit nach dem Konzil lassen sich in der indischen katholischen Literatur drei Hauptrichtungen feststellen: eine spirituell-kontemplative, die philoso­ phisch- theologische und die sozio-politische. Katholische T heologen wie Monchanin (1895-1957), Abhishiktananda (Henri Le Saux, 1910-1973), oder Bede Griffiths (1906-1993) sind Pioniere in der ersten Richtung. Ihre Schluss­ folgerungen sind: (1) Christus ist bereits in Indien. Unsere Rolle ist es, den heiligen Samen, der durch den Geist in die Herzen und Traditionen Indiens gesät wurde, zum Keimen zu bringen. (2) Indien hat vom Schöpfer die beson­ dere Gabe der Innerlichkeit empfangen, eine Ausrichtung des Geistes nach innen, die einzigartig ist. Die zweite Richtung in der gegenwärtigen indischen Theologie wird repräsentiert durch die Schriften von Gelehrten wie Raimon Panikkar (*1918), John B. Chethimattam (*1922), Klaus Klostermeier und anderen. Die dritte Richtung ist die populärste der drei, die sozio-politische, zu der Sebastian Kappen (1924-1993) gehört. Alle diese eben zitierten Namen gehören zur katholischen Tradition. Man sollte aber die Beiträge der protestantischen Kirchen in Indien nicht überse­ hen. Andreas Nehring stellt in einer neueren Publikation, Grientalismus und Mission (2003)11, die lutherische Mission in Tamil Nadu (Südindien) dar. Unter vielen anderen sticht Bartholomäus Ziegenbalg, der 1706 in Indien eintraf, als führende Gestalt hervor. Kar! Graul (1814-1864) interpretiert 7 In seinem Buch: The Argumentative Indian. Writings on Indian History, Culture and Identity, Allen Lane 2005, zeigt Amattya Sen auf, dass indische Kultur nicht nur den Beitrag der M�hrheitskultur, der Hindus, bedeutet, sondern aus den Beiträgen der Parsen, Muslime, Christen, Hindus und anderer besteht. 8 Preaching Wisdom to the Wise. Three Treatises by Roberto de Nobili SJ, Mis­ sionary and Scholar in the 17th Century in India. Translated and introduced by einen alten tamilischen Text, den Tirukkural, nach der lutherischen Lehre der drei Hierarchien - Kirche, Staat und Familie -, die zu den drei Kapiteln des tamilischen Textes korrespondieren (aram, porul und inbam). Shivaiten wie V ishnuiten beanspruchen diesen Text für sich. George Uglow Pope meint, dass dieser Text christliche Gedanken widerspiegelt. Graul dagegen betrach­ tet ihn als jainistischen Text und findet in ihm ein reformatorisches Muster, das brahmanische Kastengesetze mit ethischen Normen ersetzt. Er hat diesen Text ins Deutsche übersetzt.1 2 Hilko Wiardo Schomerus und Amos Lehman haben verschiedene shivaitische Texte ins Deutsche übersetzt und so diese Tradition bei europäischen Gelehrten bekannt gemacht. Die brillanten Köpfe unter den christlichen Missionaren, die nach Indien kamen, hatten Probleme mit ihren europäischen Herren. B. Ziegenbalg (16831719) zum Beispiel, ein talentierter lutherischer Missionar, verfasste einen Text, Die Genealogie der malabarischen Götter, und sandte ihn an die Däni­ sche Missionsgesellschaft in Europa. Die Zentrale in Europa reagiette ver­ ärgert und schrieb zurück: "Wir sandten Dich nach Indien, um das Heidentum auszumerzen und nicht, um den heidnischen Unsinn hier in Europa zu propa­ gieren." Das Ergebnis war, dass das Manuskript nie veröffentlicht wurde. Erst jetzt, in Vorbereitung des 300. Jahrestages seiner Ankunft in Indien, wurde es veröffentlicht.13 Etwas Ähnliches geschah einem italienischen Jesuiten, Ro­ berto de Nobili (1577 -1656), mit dem Vatikan.14 Dies gehörte zur Ära vor Nostra aetate. Der Prozess des Dialogs mit dem Hinduismus in Indien begann zuerst hauptsächlich in der Form der Inkulturation mit ihm zu interagieren. Es sind verschiedene Faktoren, die zu diesem Phänomen der Inkulturation beitragen. Einige Hindus erheben den Vorwurf, dass die Christen in Indien mit ihrer Art des Gottesdienstes und ihrer Loyalität Außenseiter bzw. Ausländer sind. Die indischen Christen selbst empfanden die Notwendigkeit, den Ausdruck ihres Glaubens und die Formen des Gottesdienstes zu indigenisieren bzw. zu inkulturieren. Wenn auch dieser Prozess in der katholischen Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil Auftrieb bekam, können die Katholiken nicht alles Lob in dieser Hinsicht für sich beanspruchen. Die nestorianische christliche Tradition zum Beispiel hatte in ihrer Darstellung der christlichen Botschaft buddhistische Vorbilder verwendet. Die hervorstechendsten sind: das nesto- Anand Amaladass SJ and Francis X. Clooney SJ, St. Louis 2000. 9 Julius Lipner/George Gispert-Sauch (ed. and transl.), The Writings of Brahma­ 12 10 To Christ Through Vedanta, Pierre Johanns (146 Aufsätze, die in der the East in Kalkutta in den Jahren 1922-1934 erschienen sind), II (I820-1908) ins Englische (I886) (I 767-1837) hatte ihn bereits im Jahr 1800 ins Deutsche übersetzt, Grauls Übersetzung geschah 1856. zusammenge­ 13 Bartholomäus Ziegenbalg, Genealogie der malabarischen Götter, hg. v. Daniel Jeyaraj, Halle 2003. Andreas Nehring, Grientalismus und Mission. Die Repräsentation der tamili­ schen Gesellschaft und Religion durch die Leipziger Missionare 1840-1940, 234 übersetzt. August Friedrich Caemmerer Light of stellt von Theo De Greeff. Wiesbaden 2003. Der italienische Jesuit Costanzo Giuseppe Beschi (1680-1747?) hat den Text ins Lateinische und George U glow Pope handhab Upadhyay (2 Vol.), Bangalore 2002. 14 Vgl. Ines G. Zupanov, Disputed Mission. Jesuit Experiments and Brahminical Knowledge in Seventeenth-Century India, New Delhi 1999. 235 Anand Amaladass rianische Kreuz steht auf einem Lotusblatt, Jesus als der gute Hirte wird als Bodhisattva dargestellt und Mani zeichnete Thomas als Buddha. Hans-Jea­ chirn Klimkeit meint dagegen, dass diese manichäische Berührung mit dem Hinduismus zum kulturellen Milieu Zentralasiens gehört und sich nicht wirk­ lich auf indischem Boden etabliert hätte.15 Viel wurde geschrieben über das Jebalayam (Gebetsraum) des Kristu-Kula Ashram bei Tirupattur (Tamil Nadu), der zwischen 1928 und 1932 von Savarirayan Jesudasan und Ernest Forrester-Paton (1891-1970) gebaut wurde, eine kleine Kapelle, die von einem vimana überdacht war, deren Eingang aus einem mandapam (Säulen­ halle) bestand und die umgeben war von einem kleinen Garten und einer Mauer, durch die ein Eingangstor in der Form eines gopuram (Tempeltor) führte- alles im Stil eines hinduistischen Tempels. Dies sind einige wenige Beispiele, um zu zeigen, dass der Prozess der Inkulturation bereits in der Luft lag. Konkret übernahmen und entlehnten Christen hinduistische religiöse Symbole, um christliche Vorstellungen zu interpretieren, und in ihren litur­ gischen Gottesdienst integrierten sie Bhajangesänge, Blumenopfer, Räucher­ stäbchen (agarpatti), das Schwenken von Lichtern (arati), Öllampen statt Kerzen usw. Mit viel Enthusiasmus wurden liturgische Hymnen in klassi­ schem Karnataka- oder Hindusthani-Stil komponiert, man trug einen safran­ farbenen Schal statt der traditionellen Messgewänder usw. Von den westli­ chen Missionaren wurde dies als zu nationalistisch kritisiert, und manche brachten die Befürchtung zum Ausdruck, dass dieser Prozess mit der Zeit die christliche Identität zerstören würde, indem die einfachen Leute verwirrt würden und keinen Unterschied mehr sehen könnten zwischen den hinduis­ tischen Formen des Gottesdienstes und der christlichen Liturgie. Die Be­ fürchtung wurde vorgebracht mit Hinweis auf das Beispiel der buddhisti­ schen Tradition in Indien, insofern der Buddha als einer der Avatare des V ishnuismus integriert wurde: Das einfache Volk, das die .Höhen der meta­ physischen Spekulation des Mahayana-Buddhismus nicht nachvollziehen konnte, kehrte zurück zu den, wenn auch modifizierten, früheren hinduis­ tisch-tantrischen Praktiken. Die hinduistische Kultur sei so flexibel, dass sie alle guten Dinge in sich absorbieren könne, und so wäre der Buddhismus praktisch aus dem Land eliminiert worden.16 Der Österreichische Indologe Gerhard Oberhammer schrieb sogar, dass es nicht undenkbar sei, dass Jesus Christus schlussendlich ein Avatar der Vishnu Tradition und das Neue Tes­ tament problemlos ein Teil der Vaishnava Schriften werden könnten. Nur die Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien Christen würden ihre Identität verlieren. Doch sind diese Befürchtungen grundlos. Auf der anderen Seite wird der Prozess der lnkulturation von einigen Tei­ len der Christen selbst abgelehnt, indem sie sagen, dass die Inkulturation, so weit sie bisher umgesetzt wurde, einseitig sei, insofern sie die sanskritisch/ brahmanische Hochkultur übernommen habe,17 während die Stammes-, dalit, buddhistischen oder islamischen Traditionen ignoriert würden. Im Nachhinein gesehen, könnte man sagen, dass sie ein Stück weit recht haben, wenngleich es gerechtfertigt werden kann, dass man sich in dieser Anfangsphase erst einmal an der vorrangigen lebendigen Tradition Indiens (dem Hinduismus der Sanskrittradition) orientiert hatte. Doch hat der Widerstand gegen diese Form der Inkulturation auch neue Elemente in die indische Kirche eingebracht, indem man Jesus als dalit (Unterdrückten) oder adivasi (die "ursprünglichen Bewohner des Landes", die Stammesbevölkerung) interpretierte. Es kam so­ gar eine theologische Interpretation auf, nach der man eine Trommel, wie sie in einer bestimmten Gemeinschaft in Indien gespielt wird, als Symbol für Jesus gebrauchte und damit ein uraltes Stammessymbol adaptierte.18 Wechselseitige Einflüsse Der wechselseitige Einfluss zwischen Hindus und Christen hat eine lange Geschichte. Beim Prozess der lnkulturation auf Seiten der Christen in Indien ist der Einfluss der religiösen Tradition des Hinduismus ziemlich deutlich, insbesondere auf dem Feld des liturgischen Gottesdienstes. Es ist aber nicht gerechtfertigt zu sagen, die christliche Liturgie hätte keine eigene Identität. Der Einfluss wird nicht nur in den Äußerlichkeiten spürbar. Christen haben auch Texte komponiert, die die hinduistische Tradition nachahmen. Das Phä­ nomen der Göttin ist ein besonderes Merkmal des Hinduismus, wo der Be­ griff Gott stets auch die Göttin mitmeint Es gibt eine ganze Reihe Texte, in denen die Göttin verehrt wird. Ein Katholik in Südindien (Tamil Nadu) zum Beispiel hat eine Hymne auf die Mutter Maria von Mylapore komponiert (1888), indem er die 100 Verse der Hymne Abhirami Antati imitierte.19 Es 17 Vgl. Andreas Nehring, Religion, Kultur, Macht. Auswirkungen des kolonialen Blicks auf die Kulturbegegnung am Beispiel Indiens, in: ZMR 87 (2003) 200217. 18 Vgl. Selvanathan Clarke, Dalits and Christianity. Subaltem Religion and Libe­ ration Theology in India, Oxford 1999; M. R. Arul Raj, Jesus the Dalit. Libe­ ration Theology by Victims of Untouchability. Indian Version of Apartheid, 15 Vgl. Hans-Joachim Klirnkeit, Hindu Deities in Manichaean Art, in: ZAS 14/2 (1980) 182. 16 Stephen Fuchs, lnculturation: An Anthropological and Theological Perspective, in: Dia1ogue in Action, hg. v. Lars Thunberg et al., New Delhi 1988, 134-151. 236 Hyderabad 1996. 19 Vgl. Francis Clooney, Divine Mother, Blessed Mother. Hindu Goddesses and _ the Virgin Mary, Oxford 2005. Vgl. auch die deutsche Ubersetzung des Abhi­ rami Antati durch Anand Amaladass, Die weibliche Dimension der Gottheit. Eine indische Perspektive, Anif/Salzburg 2004. 237 - ' Anand Amaladass gibt auch den Gebetstext "Die Tausend Namen Jesu" (Jesusahasranama)20 in Nachahmung des Textes zu Ehren Vishnus- Vishnusahasranama. Dies sind individuelle Initiativen, die als "Dialoge in Aktion" in ihren jeweiligen Kontexten anzusehen sind. Es gibt auch genügend Bespiele, um den christlichen Einfluss auf hindu­ istische Denker aufzuzeigen. Verschiedene Maler und Bildhauer zum Beispiel haben zu christlichen Themen gemalt oder Skulpturen gemacht. Einige Na­ men sollen hier genannt werden: Jamini Roy (1887-1972), Krisben Khanna (*1925), Arup Das (*1927), K.C.S. Paniker (1911-1977), Nanda1a1 Bose (1882-1966), Krishna K. Hebbar (1911-1996), P.V. Janakiram (*1939), S. Dhanapal (*1919) und andere. Verschiedene Hindus haben voller Ehrfurcht über Jesus geschrieben und haben Gedichte über Jesus und die christliche Botschaft komponiert.21 Die christliche Wahrheit wurde im Hinduismus nicht nur diskutiert, sondern auch geglaubt und praktiziert. Ram Mohan Roy (17731833) war von der Einzigartigkeit Jesu berührt. Keshab Chandra Sen (18381884) wurde ein Verehrer Jesu. Mozoomdar (1840-1905) blieb durch seine tiefe Christuserfahrung sein Leben lang Christus treu. Gandhis (1869-1948) satyagraha, der sich auf den gewaltlosen Friedensfürst des Neuen Testaments beruft, ist eine christliche Version des Karma Yoga. Zweitens ist die Akzep­ tanz Christi unter Hindus positiv in einem sozialethischen Sinn. Die modernen Reformideen des Neohinduismus sind ohne das in ihnen wirksame christliche Motiv undenkbar. Christliche Elemente haben einen direkten Einfluss auf die Reformer und modernen Denker gehabt bzw. sie ermöglichten ihnen, die trei­ benden Kräfte in ihren Schriften in einem neuen Licht zu sehen. Dialog - weder Konversion noch Konvergenz Die Kritiker des intellektuellen Dialogs, die sich von den etablierten Reli­ gionen distanzieren, beklagen, dass der Dialog ein verborgener Versuch sei, die bestehenden religiösen Traditionen an ihren Berührungspunkten mitein­ ander zu verschmelzen. Die Kritiker des vorherrschenden christlichen En­ gagements für den Dialog beklagen, es sei ein versteckter Versuch, andere Religionen zur christlichen Lehre zu bekehren oder zumindest zur christli­ chen Art, die Lehre zu verstehen. Wie die Menschen den interreligiösen Dialog in Indien und anderswo verstehen, hat seine eigene Geschichte. Sein Ziel wurde vielfältig formuliert, und einige Hindus hegten den Verdacht, es wäre ein indirekter Weg, um 20 21 Komponiert von K.U. Chacko, 1987. Menschen zu bekehren, und selbst einige Christen hatten ein derartiges Ver­ ständnis. Dies hängt mit der kolonialen Vergangenheit der Geschichte Indiens zusammen, die nicht so leicht aus der Erinnerung der Menschen gelöscht werden kann. Der intellektuelle Dialog ist mehr als ein Forum für intellektuelle Aus­ einandersetzung oder Informationsaustausch unter Fachexperten. Es geht dabei um Religion, nicht bloß in der Art der Philosophie, Soziologie oder der Religionsgeschichte, sondern der Dialog ist in einem eminenten Sinne ein religiöser Akt selbst - eine Glaubensausübung eigener Art. Zu sagen, dass die Form eines dialogischen Forums frei sein müsse von zusätzlichen Zielen, widerspricht diesen Zielen keineswegs. Es will nur bekräftigen, dass es der gedanklichen Klarheit dient, sich einen Freiraum zu schaffen jenseits der drängenden Probleme der Gegenwart. Denn der intellektuelle Dialog ist nicht ein dauerhafter Zustand religiöser Identität oder religiöser Reflexion. Er beabsichtigt nicht, die Fülle des religiösen Glaubens oder religiöser Pra­ xis zu sein. Wie ein Spiel, das seine Qualität als Spiel verliert, sobald es anderen Zwecken außerhalb des SpieJens selbst dienstbar gemacht wird, erblüht der Dialog in seiner "Absichtslosigkeit" ohne verborgene Agenda. Dies impliziert nicht notwendigerweise einen Wechsel der Zugehörigkeit oder irgendeinen anderen Versuch, die vorherige institutionelle Zuordnung eines Menschen zu ändern. Die Erfahrung des Dialogs kann eine Konversion von einer etablierten Religion zu einer anderen oder weg von einer etablier­ ten Religion auslösen. Aber es geht dem Dialog selbst nicht um derartige Konsequenzen. Sie treten außerhalb der Atmosphäre des dialogischen Fo­ rums auf, in der weiteren Welt der religiösen Praxis und Tradition. Tatsächlich haben Menschen, die einander aggressiv angegriffen haben, ihre Position aufgrund eines engeren Kontaktes ("Dialog") mit der jeweils anderen religiösen Tradition verändert. Zum Beispiel hatte John Muir (18101882), ein Angestellter der Ostindiengesellschaft in Kalkutta, Streitschriften in Sanskrit geschrieben und Hindus kritisiert, worauf drei bengalische Brah­ manen, Somanatha, Haracandra und Nilakantha Goreh auf seine Anschuldi­ gungen antworteten und das Christentum kritisierten. Der Krieg der Streit­ schriften dauerte eine ganze Weile an, aber nach einiger Zeit gaben beide Parteien ihre antagonistischen Haltungen auf. John Muir wurde ein begeis­ terter Anwalt originaler Sanskrittexte im Hinduismus (in fünf Bänden) und die drei bengalischen Gelehrten wurden Christen.22 Tatsächlich ist das Thema Konversion ein heikles Thema im indischen Kontext, eine Quelle ständiger Anklagen gegen die Christen von hinduisti­ scher Seite. Einige Hindus nehmen die christlichen Versuche, Schulen oder Vgl. Anand Amaladass SJ, Le visione hindu di Christo, in: Hinduismo e cristia­ nesimo in dialogo. Centro di Studi Religiosi Comparati Edoardo Agnelli, Tori­ no 2004, 123-148. 238 Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien 22 Vgl. Richard Fox Young, Resistant Hinduism. Sanskrit Sources on Anti-Chris­ tian Apologetics in Early Nineteenth Century India, Wien 198 1 . 239 - ' Anand Amaladass Krankenhäuser zu betreiben, den Armen zu helfen usw., als indirekten Weg wahr, sie dem Christentum näher zu bringen. In einigen Staaten in Indien war Konversion gesetzlich verboten. Das kommt daher, weil im Großen und Ganzen Konversion in Indien als Machtkampf betrachtet wird. Es ist eine Frage der Wahrnehmung. Die Diskussion über die Frage dauert weiterhin an, hat aber eine andere Ric;htung eingeschlagen. Einige argumentieren, dass Konversion eine persönliche Angelegenheit ist und ein Grundrecht jedes Menschen, was allgemein nicht in Frage gestellt wird. Was sehr stark abge­ lehnt wird, sind nur die gezielten Bekehrungsversuche. Diese Frage muss auch im allgemeineren Kontext hinduistischer Denker gesehen werden, welche die exklusiven Ansprüche christlicher Theologie in Frage stellen. Sarvepalli Radhakrishnan (1888-1978) beklagte es, dass Christen nicht bereit sind, andere als gleichwertige Partner im Dialog zu akzeptieren: " Ihr Christen scheint für uns Hindus ganz gewöhnliche Men­ schen zu sein, die ganz außergewöhnliche Behauptungen machen."23 Auch Mahatma K. Gandhi (1869-1948) machte die Bemerkung, dass es eine Be­ leidigung gegenüber anderen Religionen sei, wenn man behaupte, dass die Menschheit nur durch Jesus Christus gerettet würde. Einerseits haben sich christliche Denker dieser Frage nicht ausreichend im Zusammenhang der Ansprüche der Weltreligionen gestellt. Andererseits darf man nicht verges­ sen, dass der Hinduismus im Hinblick auf das Heil selbst solche absoluten Ansprüche stellt. Auf einem höheren Niveau wird die Frage innerhalb einer pluralistischen Plattform gestellt. Raimon Panikkar argumentiert, dass die Behauptung, ent­ weder nur eine Religion sei wahr oder alle Religionen seien wahr, unhaltbar und nicht überzeugend sei. Denn sie gehe davon aus, dass die Gemeinschaft meiner Religion einen Zugang zur universalen Wahrheit habe, der ihr das Recht gibt, jeden auszuschließen, der in seinem Denken und Verhalten von dem Licht, das uns gegeben wurde, abweicht. Wenn wir auch davon ausge­ hen, dass der allwissende Gott zu uns gesprochen hat, könnten wir doch nicht den menschlichen Faktor unseres begrenzten Verstehens ausschließen, eben­ so die göttliche Freiheit; zu anderen zu sprechen, auch wenn man Gott so versteht, als habe er versprochen, etwas derartiges nicht zu tun. Gott mag ein 23 Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien einziges Mal gesprochen haben, aber er ist auf verschiedene Weisen und zu verschiedenen Zeiten gehört worden. Die exklusive Haltung verletzt die all­ gemeine menschliche Erfahrung der Verschiedenheit der Rassen, V ölker, Kulturen und Denkweisen, und neigt dazu, alles auf kontrollierbare Para­ meter zu reduzieren. Sie ist eine zu enge Position.24 Pluralismus ist heute zu einem Begriff geworden, der stark missverstan­ den wird. Daher ist eine kurze Klarstellung dringend nötig. Eine pluralisti­ sche Denkweise ist eine Haltung, die Folgendes meint: Ich bin mir bewusst, dass ich aus meinem Fenster auf die Welt blicke, und ich weiß, dass andere durch ihre Fenster auf die Welt blicken. Ich höre auch auf die Beschreibung dessen, was sie durch ihre Fenster sehen (Raimon Panikkar). Dieser Denk­ prozess kann nicht in erster Linie dem Einfluss der dialogischen Initiative, die von der katholischen Kirche ausgeht, zugeschrieben werden, sondern hier sind andere Faktoren am Werk, die zu diesem pluralistischen Denkpro­ zess beigetragen haben, sprich, die säkularen Kräfte, die in der Gestalt der interkulturellen Philosophie, im Prozess der Globalisierung usw. wirksam sind. In diesem Zusammenhang ist es gut, selbstkritisch das traditionelle Ver­ ständnis des berühmten Diktums Tertullians, dass die Seele in ihrer Natur christlich sei (anima naturaliter christiana) zu untersuchen. Diese Aussage ist traditionell so interpretiert worden, dass "die Seele von Natur aus christ­ lich" ist, woraus folgt, dass, wenn man den christlichen Glauben nicht an­ nimmt, man gegen das, was in unserer eigenen Natur ist, rebelliert. Das Lateinische wie der ursprüngliche Kontext des Satzes fordern eine radikal andere Lesart, eine, die dem interreligiösen Dialog näher steht. Bei der Suche nach einem Berührungspunkt zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, die keine gemeinsame Schrift und Lehre haben, appelliert er an das testimonium animae: In den tiefsten Winkeln des menschlichen Herzens lassen sich alle wesentlichen Ideen und Symbole des Christentums in einem natürlichen Zustand finden. Mit anderen Worten, das Christentum ist für die Seele na­ türlich. Es ist nicht einfach eine Reihe von Glaubenssätzen, die von kollek­ tiven historischen Gewalten von außen aufgezwungen werden oder den Wünschen unserer menschlichen Natur zum Trotz anzunehmen sind, sondern unsere Natur kommt gleichsam darin zum Ausdruck.25 "You Christians [ ...] seem to us Hindus to be rather ordinary people, making very extraordinary claims." Sarvepalli Gopal, Radhakrishnan. A Biography, New Delhi 1989, 195. Das Zitat, das ein Gespräch Radhakrishnans mit einem 24 losophy and Religion 5), Notre Dame/Indiana 1984, 97-115, hier 1 02ff. wortete, dass sie diese Behauptungen nicht für sich, sondern für Christus ma­ chen, entgegnete Radhakrishnan: »Wenn es eurem Christus nicht gelungen ist, 240 Vgl. Raimon Panikkar, Religious Pluralism: The Metaphysical Challenge, in: Leroy S. Rouner (Hg.), Religious Pluralism (Boston University Studies in Phi­ christlichen Missionar wiedergibt, geht wie folgt weiter: "Als der Freund ant­ 25 In seiner Apologia, die verfasst wurde, um die Kritik der Häretiker und Heiden Euch zu besseren Männern und Frauen zu machen, welcher Grund besteht abzuwehren, gebraucht Tertullian den Satz nur beiläufig im ersten Sinn (Apo!. anzunehmen, dass er bei uns mehr bewirken würde, wenn wir Christen wür­ 17,6; PL 1 ,37). Er wird weiter ausgeführt in den?«" zweite, positivere Bedeutung zur Anwendung kommt. De testimonio animae, wo die 241 Anand Amaladass Die Folge aus dieser Position ist, dass das Christentum auch für die See­ len derer, die andere Religionen bekennen, etwas Natürliches ist.26 Die an­ dere Seite der Medaille ist die, dass das Christentum nicht die einzige Reli­ gion ist, die diese Behauptung machen kann. So bezeugt der Dialog auch, dass der hinduistische oder buddhistische Weg nicht nur für Hindus oder Buddhisten, sondern ebenso für Christen natürlich ist. Je länger Buddhisten und Christen miteinander reden, umso stärker entsteht in beiden eine grund­ legende, wenngleich oft unerwartete Vertrautheit. Wenn dies nicht so wäre wäre der Dialog schon längst in sich zusammengebrochen oder zumindes � in einen bloß intellektuellen Austausch umgewandelt worden. Zu sagen, dass Buddhismus, Hinduismus und Christentum der Seele na­ türlich sind, bedeutet auch, dass sie einander natürlich sind. Wie Raimon Panikkar gerne sagt, verhalten sich die Religionen wie Sprachen. Einerseits klingen die Sprachen anderer für die, die sie nicht sprechen, wie Unsinn, und die Besonderheiten der eigenen Sprache sind einem nicht bewusst, bis man andere lernt. Andererseits gibt es trotz all ihrer Unterschiede in keiner Spra­ che einen allgemeinen Gedanken, der nicht auch in einer anderen verstanden werden könnteY Nur durch die Erfahrung kann man wissen, was es heißt zu sagen, dass eine neue Sprache den Geist im Allgemeinen und das Verständ­ nis der eigenen Sprache im Besonderen bereichert. Ä hnlich können die Lehren oder Schriften des Buddhismus, wenn man sie durch eine christliche Linse betrachtet oder umgekehrt, nur als Verzerrungen erscheinen, wenn man sich nicht ihrer grundlegenden gegenseitigen Natür­ lichkeit und einem Geist, der versucht, sie beide im Dialog in sich zu tragen, verpflichtet fühlt. Diese Bewusstheit- man kann es als eine Bekehrung zu einer anderen Religion bezeichnen, eine metanoia ohne den Verlust des Glau­ bens- erhöht wiederum die Empfindsamkeit gegenüber den Reichtümern der Vergangenheit der eigenen Tradition. Dabei tauchen Entsprechungen und Ähn­ lichkeiten an Ecken der Tradition auf, wo man es kaum erwarten würde. Es gibt Formen interreligiöser Interaktion, die in den Begriffen von Ge­ winner und Verlierer gemessen werden. Der Krieg ist ein solches Beispiel. Das dialogische Forum i.st keine solche Arena. Niemand zählt die Punkte, weil es keine Punkte zu zählen gibt. Es ist vielmehr ein Abenteuer der Ideen: durch die einzigartigen und besonderen Eigenschaften, die die eigenen reli­ giösen Wege von anderen unterscheiden, hindurch auf das darunter liegende universale Menschsein zu schauen und zurückzukehren von dieser Univer­ salität, um einen neuen Blick zu bekommen auf die unerforschten Potentia­ le der eigenen Besonderheit. 26 27 Vgl. James W. Reisig, Six Sutras (s. Anm. 3), 16-17. Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien Dialog- ein Unternehmen einiger weniger engagierter Menschen und nicht der gesamten Glaubensgemeinschaft Die Erfahrung zeigt, dass die Arbeit des Dialogs am besten gedeiht, wenn sie frei ist von den Erfordernissen offizieller Institutionen. Das bedeutet nicht, dass man seinen Glauben an der Tür abgibt, aber man lässt die Last institutioneller Zwänge zurück. Es ist wahr, dass institutionelle Religion nie­ mals fern ist, wenn man von Religion spricht, insofern der religiöse Diskurs eingebettet ist in Geschichte, sei es in Gestalt ihrer sichtbaren politischen und ökonomischen Strukturen, sei es in Gestalt des Bewusstseins des ein­ zelnen Gläubigen. Aber ebenso, wie die private religiöse Erfahrung nicht zum Gegenstand rationaler Diskussion werden kann, wenn sie nicht vom erfahrenden Subjekt abstrahiert wird, genauso muss die Sorge, religiöse Strukturen zu bewahren, ausgeblendet werden, um über sie überhaupt dis­ kutieren zu können. Denn es dient dem Dialog mehr, wenn die Teilnehmer vom Zwang zur Fülle der Tradition entbunden sind. Wenn eine Lehrtradition einer anderen begegnet, muss man nicht zwangsläufig die Gesamtheit der Tradition ins Bild bringen. Was die Integrität kompromittieren würde in einer Erörterung der Theologie oder der vergleichenden Ideengeschichte, wo immer das gesamte Bild potentiell relevant ist, stellt für den interreligiösen Dialog nicht dieselbe Gefahr dar. Der Versuch, aus dem Gefühl, der Tradition treu sein zu müssen, die Diskussion mit Details zu überfrachten, kann einen Dialog ersticken. Solange die Bemühung um gedankliche Klarheit in Bezug auf die religiöse Dimension des Menschen im Vordergrund steht, sollte die Erläuterung der Tradition sekundär bleiben. Denjenigen, die sich in sozialen Anliegen mit Andersgläubigen zusam­ mentun, ist diese Art der Askese wohlvertraut. Das könnte auch auf den in­ tellektuellen Dialog zutreffen. Der Schwerpunkt im Dialog liegt darin, die grundlegende Religiosität des Menschen in allen Quellen, selbst bei den Fundamentalisten, zu entdecken, welche allein die Wunde der Intoleranz heilen kann, und nicht darin, die Loyalitäten gegenüber der eigenen Doktrin um jeden Preis geltend zu machen. Aus eben diesem Grund wäre es ein Fehler, Engagement im Dialog nur als Aufgabe ausgebildeter Spezialisten anzusehen. Dialog bringt mehr, wenn er ein Ergebnis der Etfahrung statt der Expertise ist. Der Versuch, spezifische "Grundregeln" für einen intelligenten Diskurs zwischen Gläubigen unter­ schiedlicher Glaubensweisen festzulegen, erzeugt unvermeidlich eine Pries­ terschaft von Experten, um die Ergebnisse solcher Begegnungen zu kontrol­ lieren und ihren Erfolg oder Misserfolg zu beurteilen. Vgl. Raimon Panikkar, La nueva inocencia. Editorial Verba Divino, Navarra 1993, 388. 242 243 Anand Amaladass Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien Teil II. Schlussfolgerung aus subjektiver Perspektive Dieses Symposium ist für mich eine Einladung, eine Gelegenheit, dem Sinn meiner persönlichen Lebensgeschichte nachzuspüren. Indem ich der hindu­ istischen Philosophie und Religion ausgesetzt war, hat sich in mü ein inneres Wissen vertieft, dass jede/r-sich im Universum finden könnte, wenn man an Karma oder göttliche Vorsehung glaubt. Natürlich gibt es auch unbekannte Territorien, dunkle Bereiche der Wirklichkeit. Geboren in eine bestimmte Kultur in Zeit und Raum erkenne ich mich als Christ. Es ist nicht bloß ein Etikett, das ich ohne weiteres auswechseln könn­ te. Ich gehöre zu einer menschlichen geschichtlichen Tradition, die christlich ist, die angeeignet werden muss, die interpretiert werden muss und mit der man sich kritisch auseinandersetzen muss. Ich akzeptiere sehr wohl, dass die sichtbare christliche Kirche eine konkrete Form der kosmischen Gemein­ schaft des gesamten Universums ist, außerhalb derer es kein Heil gibt. Ich akzeptiere, wovon ich glaube, dass es mein karma ist: geboren und aufge­ wachsen zu sein in einem hinduistischen Umfeld. Beide bilden einen Teil meines Lebens, genau so wie meine Eltern. Meine Zugehörigkeit kommt aus dieser Einwurzelung. Es ist nicht meine Wahl und Entscheidung, sondern einfach eine existentielle Wirklichkeit, die ich akzeptiere. Die Weisheit der Tradition ist von außen auf mich gekommen. Diese meine Zugehörigkeit ist eine existentielle Tatsache. Beinahe 30 Jahre Beschäftigung mit dem Hinduismus haben bewirkt, dass ich eine Ebene der Bewusstheit erreicht habe, in der ich das Leben mit Nüch­ ternheit betrachten kann. Mein Glaube hat sich vertieft, es ist so etwas wie "kosmisches Vertrauen" entstanden. Eine Beheimatung in zwei Traditionen ist entstanden, wo der andere keine Bedrohung ist, wo er nicht als Gegner gesehen wird. Der Hinduismus ist wie die Natur, wie einer meiner älteren Jesuitenkol­ legen zu sagen pflegte; er ist unerschöpflich und unzerstörbar. Es stellt sich nicht die Frage, woher er kommt. Er ist da von Anfang an, anadi, wie die indische Tradition sagen•würde. Er hat mein Denken all diese Jahre genährt. Inmitten von Leiden und Ungerechtigkeiten hat er mich durch die Weisheit der alten Meister gelehrt, dass das Leben nicht darin besteht, mehr oder weniger bequem auf der Erde zu leben; dass ich ohne karma dazu verdammt wäre, keinerlei Antwort zu haben; dass ein "allliebender Vater" niemanden überzeugen kann; dass ohne die Erkenntnis, dass diese Welt maya ist, keine Beurteilung der Situation möglich wäre usw.28 28 V gl. Raimon Panikkar, A Self-Critical Dialogue, in: The Intercultural Challen­ ge of Raimon Panikkar, hg. 244 Mein Gebetsleben und mein liturgischer Sinn sind unter dem Einfluss der hinduistischen religiösen Traditionen mit all ihren Texten über Meditationen und Gebete gewachsen. Zuweilen mutet der Hinduismus wie Wildwuchs draußen in der Natur an. Ich erkenne, dass ich nicht in der Lage sein würde, meinen christlichen Glauben sinnvoll zu leben, wenn ich nicht tief in der indischen Kultur und ihren religiösen Traditionen verwurzelt wäre. Dadurch kam ich zum ernsthaften Studium der hinduistischen Philosophie und der religiösen Traditionen. Die Sanskritsprache zu erlernen, stand am Anfang. Eine Herausforderung war für mich die Gottesvorstellung im Hinduismus. Die hinduistischen Metaphern, die die Gottesvorstellung erklären- Gott als Tänzer (Nataraja- "Prinz unter den Tänzern"), um die fünf göttlichen Funk­ tionen zum Ausdruck zu bringen, zu schaffen, zu erhalten, zu zerstören, zu verbergen und zu retten,- Gott als integrales Symbol der männlich-weibli­ chen Polaritäten und die mythischen Formen des Hinduismus wie Nilakanta ("der Blauhalsige"), der Gott, der das Gift verschluckt hat, um die Welt zu retten, lassen sich als Modell für die Christologie benutzen und die Namen Gottes aus der indischen Tradition (die sahasranama Tradition der "Tausend Namen Gottes") interpretieren. Philosophisch und theologisch wurde ich mehr und mehr davon über­ zeugt, dass das In-Dialog-sein mit Menschen anderer Überzeugungen eine sinnerfüllte Weise zu leben ist. Es tut der eigenen Position keinen Abbruch und ist keine Art der Unterordnung unter die anderen. Das Leben ist plura­ listisch und man muss lernen, in einer pluralistischen Situation zu leben, ohne die eigene Position zu verabsolutieren oder immer danach zu trachten, die Dinge zu vereinheitlichen auf Kosten anderer Traditionen. Die Lebens­ situation ist nicht immer eine logisch geordnete Struktur. Sie bringt zuweilen Missverständnis, Gefahr, Unsicherheit, manchmal sogar Chaos mit sich, in­ sofern menschliche Faktoren mitspielen - diese sind kontingent, begrenzt, zerbrechlich, verletzlich, nicht in der Lage, das andere Ufer meines geord­ neten Traums zu sehen. Hier erscheint die Dimension des Glaubens, wo die Vernunft anderen Werten und Visionen Platz macht. v. Joseph Prabhu, Maryknoll/NY 1996, 278. 245