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Salzburger Theologische Studien interkulturell 3
Josef Sinkovits I Ulrich Winkler
(Hg.)
herausgegeben von "Theologie interkulturell und Studium der Religionen"
Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Salzburg
in Verbindung mit den Professoren der Theologischen Fakultät
Anton A. Bucher Franz Nikolasch Friedrich Reiterer
Heinrich Schmidinger Werner Wolbert
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Weltkirche und Weltreligionen
Die Brisanz des Zweiten Vatikanischen Konzils
40 Jahre nach Nostra aetate
Salzburger Theologische Studien Band 28
/
2007
Tyrolia-Verlag
·
Innsbruck-Wien
DIE BEGEGNUNG ZWISCHEN HINDUISMUS UND
CHRISTENTUM IN INDIEN
Anstöße und Erfahrungen
Anand Amaladass SJ, Chennai I Indien
Die Zielrichtung dieses Vortrags leitet sich ab von dem Dokument, dessen
40-Jahre-Jubiläum wir nun feiern.1 Hinter der Offenheit zum Dialog, welche
in Nostra aetate zum Ausdruck gebracht wurde, steht folgende Argumenta
tion: Auf der Grundlage der Lehre, dass allein Gott das letzte Ziel aller
V ölker wie auch ihr Ursprung ist, und der Feststellung, dass "[s]eine Vorse
hung, die Bezeugung seiner Güte und seine Heilsratschlüsse [ ...] sich auf alle
Menschen" erstrecken, fordert die Erklärung die Christen auf, "mit Klugheit
und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer
Religionen [...]jene geistlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte,
die sich bei ihnen finden, an[zu]erkennen, [zu] wahren und [zu] fördern."2
Für Indien bedeutend ist ein anderes, späteres Dokument, Fides et ratio
( 1988), wo ihm, wohl erstmalig, ein besonderer Platz gegeben wird. "Den
Christen von heute, vor allem jenen in Indien, fällt die Aufgabe zu, aus die
sem reichen Erbe die Elemente zu entnehmen, die mit ihrem Glauben ver
einbar sind, so dass es zu einer Bereicherung des christlichen Denkens
kommt" (Nr. 72).
Es ist hier nicht der Ort, über die Bedeutung des Dialogs zu reden, um
jemanden von ihm zu überzeugen. Dazu ist genügend geschrieben worden,
und dennoch bestehen die Ambiguitäten und Unsicherheiten in Bezug auf
den Dialog weiter. Aber was dabei nicht bemerkt wird, ist die Tatsache, dass
Befürworter und Gegner des Dialogs nicht über denselben Gegenstand zu
reden scheinen. Das rührt von der Natur des Dialogs selbst her. Alles, was
über den Dialog gesagt wird, lässt sich nicht in rational verifizierbarer Form
erwerben, damit man es durch zertifizierbare professionelle Fettigkeiten aus
üben könnte; es entsteht vielleicht aus tiefer Irritation, da es sich um ein
Überarbeitete Version eines Vortrags, der auf der Nostra
der Pontificia Universita Gregoriana in Rom
(25.-28.
aetate- Konferenz an
2005) gehal
September
ten wurde. Aus dem Englischen übersetzt von Christian Hackbarth-Johnson.
2
Nostra aetate I
u.
2.
Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien
Anand Amaladass
Abenteuer der Ideen handelt. In jedem Fall steht im Fokus des Dialogs das
Verlangen, die religiöse Dimension der Menschen in a11 ihrer Verschiedenheit
zu verstehen. Aber es steht vor dem Hintergrund des Weltgeschehens mit
aller verfügbaren hochentwickelten Technologie und mit all dem dadurch
erreichbaren Wohlstand, wo anscheinend selbst die etablierten Religionen
ihren Frieden mit dem machen, was ihren Prinzipien widerspricht.
Teil I. Lernerfahrungen durch inter-religiöse Begegnungen3
Ist der interreligiöse Dialog eine christliche Initiative?
Die christliche Gemeinschaft beansprucht für sich, dass der interreligiöse
Dialog eine christliche Initiative sei. In der Tat, im Vergleich zu der Menge
an theologischer Reflexion zu dem Thema, wie wir sie über die christliche
Welt verteilt finden, gibt es in den anderen Religion der Welt wenig geschrie
benes Material. Es war meine christliche Tradition, die mich dafür ausgebil
det und dazu angeleitet hat, in den Dialog mit anderen Religionen zu treten,
insbesondere mit dem Hinduismus. Selbst einige meiner hinduistischen Kol
legen haben sich öffentlich dahingehend geäußert, dass es sich beim Dialog
um die Sorge religiöser Minderheiten ums Überleben handelt; die Mehrheits
religionen würden keinen Bedarf dafür sehen. Es ist eine Tatsache, dass
praktisch jede Diözese der (katholischen) christlichen Gemeinschaft in In
dien ein Dialogzentrum hat, und dass eine ganze Reihe von Christen4 über
den einen oder anderen Aspekt des Hinduismus gearbeitet haben, was in
umgekehrter Weise von den hinduistischen Partnern nicht gesagt werden
kann.
Wenn der Dialog zugegebenermaßen ein spezifisch christliches Abenteuer
ist, muss dennoch eingeräumt werden, dass das Christentum nicht die ganze
Ehre für sich beanspruchen kann. Weitsichtige Menschen haben den Wandel
in der säkularen Welt und die Bedeutung der religiösen Vielfalt gesehen und
ließen sich darauf ein, gegen allen Widerstand, bis die religiösen Institutionen
eines Tages selbst so weit waren, diesen anzuerkennen. Mit anderen Worten,
als Nostra aetate vor 40 Jahren formuliert wurde, wurde nicht zum ersten
Mal ein Dialog initiiert, um in den Herzen der Menschen einen Wandel zu
bewirken, sondern es wurde anerkannt, dass es diesen bereits gab. Es gab
Menschen innerhalb der eigenen Tradition den Anstoß, in ihr nach all den
vergessenen und marginalisierten Denkern der Vergangenheit zu forschen
und ihre Ideen wieder in den Mittelpunkt zu stellen. So wurde das Gewicht
der alten Tradition des Dialogs eingebracht, um den Prozess des Dialogs zu
fördern, was in der Geschichte jeder religiösen Tradition etwas Normales
ist.
Dies führte dann auch zu der Entdeckung dialogischer Potentiale in den
anderen Religionen. Es erschienen mehrere Publikationen über die hinduis
tischen dialogischen Traditionen.5 Einige Beispiele seien hier zitiert. Die
Geschichte der Dialogtraditionen in Indien geht zurück auf die Edikte Asho
kas, welche die Achtung gegenüber anderen Religionen verkündet haben.
Das Studium der Bhagavadgita führte zu der Entdeckung der inklusivisti
schen Tendenz des Hinduismus, wo der Gott Krishna den absoluten Anspruch
erhebt, der höchste Herr zu sein, Anfang, Mitte und Ende von allem. Er sei
die einzige Quelle des Heils, und die anderen, auch wenn sie sich dessen
nicht bewusst sind, würden allein durch ihn gerettet, da er das aller Existenz
zugrundeliegende Prinzip ist. Wenn man in die Geschichte der hinduistischen
Theologie schaut, ist es von Bedeutung herauszufinden, wie die Begriffe der
Gnade und der Offenbarung im einzelnen behandelt wurden, und wie man
Wege fand, andere Glaubensformen in den hinduistischen Rahmen einzu
gliedern.6
Es gab Dialoginitiativen unter Hindus. Zum Beispiel machte Ramalinga
Vallalar (1823-1874) in Südindien den Versuch, Menschen zusammenzu
bringen, um sich in einer universalen Religion zusammenzuschließen. Er
baute einen Tempel, in dem nur Licht als das Hauptsymbol des Göttlichen
vorhanden war. Dorthin waren alle eingeladen, um gemeinsam Gottesdienst
zu feiern. Heute gibt es Dialogzentren, die von Hindus organisiert werden,
und sie laden Christen ein, sich zu beteiligen. Dieser Prozess hat ein zwei
faches Ziel, zum einen, die Anhänger der jeweils eigenen Tradition zu schu
len, und zweitens, ein Forum zu schaffen, um über das Dasein der anderen
etwas zu erfahren. Die Offenheit, dabei die Stimmen anderer Traditionen zu
hören, ist ein positives Signal.
Trotz verschiedener negativer Faktoren - gewalttätige Zusammenstöße
zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen in einigen Teilen Indiens,
hinter denen menschliche Faktoren stehen- wächst in beiden Gemeinschaf
ten, bei Hindus wie bei Christen, das Bewusstsein der Präsenz des jeweils
anderen. Anders gesagt, man definiert sich gegenseitig, was im Zusammen5
6
Vgl. John B. Chethimattam, Dialogue in Indian Tradition, Bangalore
verschiedenen Offenbarungstheorien,
letztgenannte Werk
3
Inspiriert hat mich James W. Heisig,
4
Vgl. Indian Christian Thinkers, hg. v. Anand Amaldass, Chennai
gions, in:
232
Six Sutras on the
Nanzan Bulletin 25 (2001) 7-17.
Dialogue among Reli
1969.
Vgl. Jayanta Bhatta aus Kashmir (8. Jh. n. Chr.) und seine Arbeiten über die
Nyayamanjari, Agamadambara usw. Das
(Agamadambara "Begegnung der Religionen") ist ein
-
Drama in vier Akten, in denen die multireligiöse Situation in Indien angespro
chen und eine vorläufige Lösung der Konflikte zwischen den religiösen Sekten
2005.
gegeben wird.
233
Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien
Anand Amaladass
leben ein normaler Vorgang ist. Dabei gibt man den anderen Raum und
versucht nicht, sie zu eliminieren. Dieser Vorgang entwickelt sich langsam
aus der Situation des Dialogs im Lebensalltag heraus.7
Der Prozess der Interaktion mit dem Hinduismus in Indien erhielt Auf
schwung nach dem II. Vatikanum. Wir sollten aber nicht die großen Leis
tungen früher christlicher 9enker wie Roberto de Nobili8 (1577 -1656),
Brahmabandhab Upadhyay9 (1861-1907) und Pierre Johanns10 (1882-1955)
vergessen, die den Weg für eine indische christliche Theologie bereiteten. In
der Zeit nach dem Konzil lassen sich in der indischen katholischen Literatur
drei Hauptrichtungen feststellen: eine spirituell-kontemplative, die philoso
phisch- theologische und die sozio-politische. Katholische T heologen wie
Monchanin (1895-1957), Abhishiktananda (Henri Le Saux, 1910-1973), oder
Bede Griffiths (1906-1993) sind Pioniere in der ersten Richtung. Ihre Schluss
folgerungen sind: (1) Christus ist bereits in Indien. Unsere Rolle ist es, den
heiligen Samen, der durch den Geist in die Herzen und Traditionen Indiens
gesät wurde, zum Keimen zu bringen. (2) Indien hat vom Schöpfer die beson
dere Gabe der Innerlichkeit empfangen, eine Ausrichtung des Geistes nach
innen, die einzigartig ist. Die zweite Richtung in der gegenwärtigen indischen
Theologie wird repräsentiert durch die Schriften von Gelehrten wie Raimon
Panikkar (*1918), John B. Chethimattam (*1922), Klaus Klostermeier und
anderen. Die dritte Richtung ist die populärste der drei, die sozio-politische,
zu der Sebastian Kappen (1924-1993) gehört.
Alle diese eben zitierten Namen gehören zur katholischen Tradition. Man
sollte aber die Beiträge der protestantischen Kirchen in Indien nicht überse
hen. Andreas Nehring stellt in einer neueren Publikation, Grientalismus und
Mission (2003)11, die lutherische Mission in Tamil Nadu (Südindien) dar.
Unter vielen anderen sticht Bartholomäus Ziegenbalg, der 1706 in Indien
eintraf, als führende Gestalt hervor. Kar! Graul (1814-1864) interpretiert
7
In seinem Buch: The Argumentative Indian. Writings on Indian History, Culture
and Identity, Allen Lane 2005, zeigt Amattya Sen auf, dass indische Kultur nicht
nur den Beitrag der M�hrheitskultur, der Hindus, bedeutet, sondern aus den
Beiträgen der Parsen, Muslime, Christen, Hindus und anderer besteht.
8
Preaching Wisdom to the Wise. Three Treatises by Roberto de Nobili SJ, Mis
sionary and Scholar in the 17th Century in India. Translated and introduced by
einen alten tamilischen Text, den Tirukkural, nach der lutherischen Lehre der
drei Hierarchien - Kirche, Staat und Familie -, die zu den drei Kapiteln des
tamilischen Textes korrespondieren (aram, porul und inbam). Shivaiten wie
V ishnuiten beanspruchen diesen Text für sich. George Uglow Pope meint,
dass dieser Text christliche Gedanken widerspiegelt. Graul dagegen betrach
tet ihn als jainistischen Text und findet in ihm ein reformatorisches Muster,
das brahmanische Kastengesetze mit ethischen Normen ersetzt. Er hat diesen
Text ins Deutsche übersetzt.1 2 Hilko Wiardo Schomerus und Amos Lehman
haben verschiedene shivaitische Texte ins Deutsche übersetzt und so diese
Tradition bei europäischen Gelehrten bekannt gemacht.
Die brillanten Köpfe unter den christlichen Missionaren, die nach Indien
kamen, hatten Probleme mit ihren europäischen Herren. B. Ziegenbalg (16831719) zum Beispiel, ein talentierter lutherischer Missionar, verfasste einen
Text, Die Genealogie der malabarischen Götter, und sandte ihn an die Däni
sche Missionsgesellschaft in Europa. Die Zentrale in Europa reagiette ver
ärgert und schrieb zurück: "Wir sandten Dich nach Indien, um das Heidentum
auszumerzen und nicht, um den heidnischen Unsinn hier in Europa zu propa
gieren." Das Ergebnis war, dass das Manuskript nie veröffentlicht wurde. Erst
jetzt, in Vorbereitung des 300. Jahrestages seiner Ankunft in Indien, wurde es
veröffentlicht.13 Etwas Ähnliches geschah einem italienischen Jesuiten, Ro
berto de Nobili (1577 -1656), mit dem Vatikan.14 Dies gehörte zur Ära vor
Nostra aetate.
Der Prozess des Dialogs mit dem Hinduismus in Indien begann zuerst
hauptsächlich in der Form der Inkulturation mit ihm zu interagieren. Es sind
verschiedene Faktoren, die zu diesem Phänomen der Inkulturation beitragen.
Einige Hindus erheben den Vorwurf, dass die Christen in Indien mit ihrer
Art des Gottesdienstes und ihrer Loyalität Außenseiter bzw. Ausländer sind.
Die indischen Christen selbst empfanden die Notwendigkeit, den Ausdruck
ihres Glaubens und die Formen des Gottesdienstes zu indigenisieren bzw. zu
inkulturieren. Wenn auch dieser Prozess in der katholischen Kirche nach dem
II. Vatikanischen Konzil Auftrieb bekam, können die Katholiken nicht alles
Lob in dieser Hinsicht für sich beanspruchen. Die nestorianische christliche
Tradition zum Beispiel hatte in ihrer Darstellung der christlichen Botschaft
buddhistische Vorbilder verwendet. Die hervorstechendsten sind: das nesto-
Anand Amaladass SJ and Francis X. Clooney SJ, St. Louis 2000.
9
Julius Lipner/George Gispert-Sauch (ed. and transl.), The Writings of Brahma
12
10
To Christ Through Vedanta, Pierre Johanns (146 Aufsätze, die in der
the East in Kalkutta in den Jahren 1922-1934 erschienen sind),
II
(I820-1908) ins Englische (I886)
(I 767-1837) hatte ihn bereits im Jahr
1800 ins Deutsche übersetzt, Grauls Übersetzung geschah 1856.
zusammenge
13
Bartholomäus Ziegenbalg, Genealogie der malabarischen Götter, hg. v. Daniel
Jeyaraj, Halle 2003.
Andreas Nehring, Grientalismus und Mission. Die Repräsentation der tamili
schen Gesellschaft und Religion durch die Leipziger Missionare 1840-1940,
234
übersetzt. August Friedrich Caemmerer
Light of
stellt von Theo De Greeff.
Wiesbaden 2003.
Der italienische Jesuit Costanzo Giuseppe Beschi (1680-1747?) hat den Text
ins Lateinische und George U glow Pope
handhab Upadhyay (2 Vol.), Bangalore 2002.
14
Vgl. Ines G. Zupanov, Disputed Mission. Jesuit Experiments and Brahminical
Knowledge in Seventeenth-Century India, New Delhi 1999.
235
Anand Amaladass
rianische Kreuz steht auf einem Lotusblatt, Jesus als der gute Hirte wird als
Bodhisattva dargestellt und Mani zeichnete Thomas als Buddha. Hans-Jea
chirn Klimkeit meint dagegen, dass diese manichäische Berührung mit dem
Hinduismus zum kulturellen Milieu Zentralasiens gehört und sich nicht wirk
lich auf indischem Boden etabliert hätte.15 Viel wurde geschrieben über das
Jebalayam (Gebetsraum) des Kristu-Kula Ashram bei Tirupattur (Tamil
Nadu), der zwischen 1928 und 1932 von Savarirayan Jesudasan und Ernest
Forrester-Paton (1891-1970) gebaut wurde, eine kleine Kapelle, die von
einem vimana überdacht war, deren Eingang aus einem mandapam (Säulen
halle) bestand und die umgeben war von einem kleinen Garten und einer
Mauer, durch die ein Eingangstor in der Form eines gopuram (Tempeltor)
führte- alles im Stil eines hinduistischen Tempels. Dies sind einige wenige
Beispiele, um zu zeigen, dass der Prozess der Inkulturation bereits in der
Luft lag.
Konkret übernahmen und entlehnten Christen hinduistische religiöse
Symbole, um christliche Vorstellungen zu interpretieren, und in ihren litur
gischen Gottesdienst integrierten sie Bhajangesänge, Blumenopfer, Räucher
stäbchen (agarpatti), das Schwenken von Lichtern (arati), Öllampen statt
Kerzen usw. Mit viel Enthusiasmus wurden liturgische Hymnen in klassi
schem Karnataka- oder Hindusthani-Stil komponiert, man trug einen safran
farbenen Schal statt der traditionellen Messgewänder usw. Von den westli
chen Missionaren wurde dies als zu nationalistisch kritisiert, und manche
brachten die Befürchtung zum Ausdruck, dass dieser Prozess mit der Zeit
die christliche Identität zerstören würde, indem die einfachen Leute verwirrt
würden und keinen Unterschied mehr sehen könnten zwischen den hinduis
tischen Formen des Gottesdienstes und der christlichen Liturgie. Die Be
fürchtung wurde vorgebracht mit Hinweis auf das Beispiel der buddhisti
schen Tradition in Indien, insofern der Buddha als einer der Avatare des
V ishnuismus integriert wurde: Das einfache Volk, das die .Höhen der meta
physischen Spekulation des Mahayana-Buddhismus nicht nachvollziehen
konnte, kehrte zurück zu den, wenn auch modifizierten, früheren hinduis
tisch-tantrischen Praktiken. Die hinduistische Kultur sei so flexibel, dass sie
alle guten Dinge in sich absorbieren könne, und so wäre der Buddhismus
praktisch aus dem Land eliminiert worden.16 Der Österreichische Indologe
Gerhard Oberhammer schrieb sogar, dass es nicht undenkbar sei, dass Jesus
Christus schlussendlich ein Avatar der Vishnu Tradition und das Neue Tes
tament problemlos ein Teil der Vaishnava Schriften werden könnten. Nur die
Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien
Christen würden ihre Identität verlieren. Doch sind diese Befürchtungen
grundlos.
Auf der anderen Seite wird der Prozess der lnkulturation von einigen Tei
len der Christen selbst abgelehnt, indem sie sagen, dass die Inkulturation, so
weit sie bisher umgesetzt wurde, einseitig sei, insofern sie die sanskritisch/
brahmanische Hochkultur übernommen habe,17 während die Stammes-, dalit,
buddhistischen oder islamischen Traditionen ignoriert würden. Im Nachhinein
gesehen, könnte man sagen, dass sie ein Stück weit recht haben, wenngleich
es gerechtfertigt werden kann, dass man sich in dieser Anfangsphase erst
einmal an der vorrangigen lebendigen Tradition Indiens (dem Hinduismus der
Sanskrittradition) orientiert hatte. Doch hat der Widerstand gegen diese Form
der Inkulturation auch neue Elemente in die indische Kirche eingebracht,
indem man Jesus als dalit (Unterdrückten) oder adivasi (die "ursprünglichen
Bewohner des Landes", die Stammesbevölkerung) interpretierte. Es kam so
gar eine theologische Interpretation auf, nach der man eine Trommel, wie sie
in einer bestimmten Gemeinschaft in Indien gespielt wird, als Symbol für
Jesus gebrauchte und damit ein uraltes Stammessymbol adaptierte.18
Wechselseitige Einflüsse
Der wechselseitige Einfluss zwischen Hindus und Christen hat eine lange
Geschichte. Beim Prozess der lnkulturation auf Seiten der Christen in Indien
ist der Einfluss der religiösen Tradition des Hinduismus ziemlich deutlich,
insbesondere auf dem Feld des liturgischen Gottesdienstes. Es ist aber nicht
gerechtfertigt zu sagen, die christliche Liturgie hätte keine eigene Identität.
Der Einfluss wird nicht nur in den Äußerlichkeiten spürbar. Christen haben
auch Texte komponiert, die die hinduistische Tradition nachahmen. Das Phä
nomen der Göttin ist ein besonderes Merkmal des Hinduismus, wo der Be
griff Gott stets auch die Göttin mitmeint Es gibt eine ganze Reihe Texte, in
denen die Göttin verehrt wird. Ein Katholik in Südindien (Tamil Nadu) zum
Beispiel hat eine Hymne auf die Mutter Maria von Mylapore komponiert
(1888), indem er die 100 Verse der Hymne Abhirami Antati imitierte.19 Es
17
Vgl. Andreas Nehring, Religion, Kultur, Macht. Auswirkungen des kolonialen
Blicks auf die Kulturbegegnung am Beispiel Indiens, in: ZMR 87 (2003) 200217.
18
Vgl. Selvanathan Clarke, Dalits and Christianity. Subaltem Religion and Libe
ration Theology in India, Oxford 1999; M. R. Arul Raj, Jesus the Dalit. Libe
ration Theology by Victims of Untouchability. Indian Version of Apartheid,
15
Vgl. Hans-Joachim Klirnkeit, Hindu Deities in Manichaean Art, in: ZAS 14/2
(1980) 182.
16
Stephen Fuchs, lnculturation: An Anthropological and Theological Perspective,
in: Dia1ogue in Action, hg. v. Lars Thunberg et al., New Delhi 1988, 134-151.
236
Hyderabad 1996.
19
Vgl. Francis Clooney, Divine Mother, Blessed Mother. Hindu Goddesses and
_
the Virgin Mary, Oxford 2005. Vgl. auch die deutsche Ubersetzung des Abhi
rami Antati durch Anand Amaladass, Die weibliche
Dimension der Gottheit.
Eine indische Perspektive, Anif/Salzburg 2004.
237
- '
Anand Amaladass
gibt auch den Gebetstext "Die Tausend Namen Jesu" (Jesusahasranama)20
in Nachahmung des Textes zu Ehren Vishnus- Vishnusahasranama. Dies
sind individuelle Initiativen, die als "Dialoge in Aktion" in ihren jeweiligen
Kontexten anzusehen sind.
Es gibt auch genügend Bespiele, um den christlichen Einfluss auf hindu
istische Denker aufzuzeigen. Verschiedene Maler und Bildhauer zum Beispiel
haben zu christlichen Themen gemalt oder Skulpturen gemacht. Einige Na
men sollen hier genannt werden: Jamini Roy (1887-1972), Krisben Khanna
(*1925), Arup Das (*1927), K.C.S. Paniker (1911-1977), Nanda1a1 Bose
(1882-1966), Krishna K. Hebbar (1911-1996), P.V. Janakiram (*1939), S.
Dhanapal (*1919) und andere. Verschiedene Hindus haben voller Ehrfurcht
über Jesus geschrieben und haben Gedichte über Jesus und die christliche
Botschaft komponiert.21 Die christliche Wahrheit wurde im Hinduismus nicht
nur diskutiert, sondern auch geglaubt und praktiziert. Ram Mohan Roy (17731833) war von der Einzigartigkeit Jesu berührt. Keshab Chandra Sen (18381884) wurde ein Verehrer Jesu. Mozoomdar (1840-1905) blieb durch seine
tiefe Christuserfahrung sein Leben lang Christus treu. Gandhis (1869-1948)
satyagraha, der sich auf den gewaltlosen Friedensfürst des Neuen Testaments
beruft, ist eine christliche Version des Karma Yoga. Zweitens ist die Akzep
tanz Christi unter Hindus positiv in einem sozialethischen Sinn. Die modernen
Reformideen des Neohinduismus sind ohne das in ihnen wirksame christliche
Motiv undenkbar. Christliche Elemente haben einen direkten Einfluss auf die
Reformer und modernen Denker gehabt bzw. sie ermöglichten ihnen, die trei
benden Kräfte in ihren Schriften in einem neuen Licht zu sehen.
Dialog - weder Konversion noch Konvergenz
Die Kritiker des intellektuellen Dialogs, die sich von den etablierten Reli
gionen distanzieren, beklagen, dass der Dialog ein verborgener Versuch sei,
die bestehenden religiösen Traditionen an ihren Berührungspunkten mitein
ander zu verschmelzen. Die Kritiker des vorherrschenden christlichen En
gagements für den Dialog beklagen, es sei ein versteckter Versuch, andere
Religionen zur christlichen Lehre zu bekehren oder zumindest zur christli
chen Art, die Lehre zu verstehen.
Wie die Menschen den interreligiösen Dialog in Indien und anderswo
verstehen, hat seine eigene Geschichte. Sein Ziel wurde vielfältig formuliert,
und einige Hindus hegten den Verdacht, es wäre ein indirekter Weg, um
20
21
Komponiert von K.U. Chacko, 1987.
Menschen zu bekehren, und selbst einige Christen hatten ein derartiges Ver
ständnis. Dies hängt mit der kolonialen Vergangenheit der Geschichte Indiens
zusammen, die nicht so leicht aus der Erinnerung der Menschen gelöscht
werden kann.
Der intellektuelle Dialog ist mehr als ein Forum für intellektuelle Aus
einandersetzung oder Informationsaustausch unter Fachexperten. Es geht
dabei um Religion, nicht bloß in der Art der Philosophie, Soziologie oder
der Religionsgeschichte, sondern der Dialog ist in einem eminenten Sinne
ein religiöser Akt selbst - eine Glaubensausübung eigener Art. Zu sagen,
dass die Form eines dialogischen Forums frei sein müsse von zusätzlichen
Zielen, widerspricht diesen Zielen keineswegs. Es will nur bekräftigen, dass
es der gedanklichen Klarheit dient, sich einen Freiraum zu schaffen jenseits
der drängenden Probleme der Gegenwart. Denn der intellektuelle Dialog ist
nicht ein dauerhafter Zustand religiöser Identität oder religiöser Reflexion.
Er beabsichtigt nicht, die Fülle des religiösen Glaubens oder religiöser Pra
xis zu sein. Wie ein Spiel, das seine Qualität als Spiel verliert, sobald es
anderen Zwecken außerhalb des SpieJens selbst dienstbar gemacht wird,
erblüht der Dialog in seiner "Absichtslosigkeit" ohne verborgene Agenda.
Dies impliziert nicht notwendigerweise einen Wechsel der Zugehörigkeit
oder irgendeinen anderen Versuch, die vorherige institutionelle Zuordnung
eines Menschen zu ändern. Die Erfahrung des Dialogs kann eine Konversion
von einer etablierten Religion zu einer anderen oder weg von einer etablier
ten Religion auslösen. Aber es geht dem Dialog selbst nicht um derartige
Konsequenzen. Sie treten außerhalb der Atmosphäre des dialogischen Fo
rums auf, in der weiteren Welt der religiösen Praxis und Tradition.
Tatsächlich haben Menschen, die einander aggressiv angegriffen haben,
ihre Position aufgrund eines engeren Kontaktes ("Dialog") mit der jeweils
anderen religiösen Tradition verändert. Zum Beispiel hatte John Muir (18101882), ein Angestellter der Ostindiengesellschaft in Kalkutta, Streitschriften
in Sanskrit geschrieben und Hindus kritisiert, worauf drei bengalische Brah
manen, Somanatha, Haracandra und Nilakantha Goreh auf seine Anschuldi
gungen antworteten und das Christentum kritisierten. Der Krieg der Streit
schriften dauerte eine ganze Weile an, aber nach einiger Zeit gaben beide
Parteien ihre antagonistischen Haltungen auf. John Muir wurde ein begeis
terter Anwalt originaler Sanskrittexte im Hinduismus (in fünf Bänden) und
die drei bengalischen Gelehrten wurden Christen.22
Tatsächlich ist das Thema Konversion ein heikles Thema im indischen
Kontext, eine Quelle ständiger Anklagen gegen die Christen von hinduisti
scher Seite. Einige Hindus nehmen die christlichen Versuche, Schulen oder
Vgl. Anand Amaladass SJ, Le visione hindu di Christo, in: Hinduismo e cristia
nesimo in dialogo. Centro di Studi Religiosi Comparati Edoardo Agnelli, Tori
no 2004, 123-148.
238
Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien
22
Vgl. Richard Fox Young, Resistant Hinduism. Sanskrit Sources on Anti-Chris
tian Apologetics in Early Nineteenth Century India, Wien 198 1 .
239
-
'
Anand Amaladass
Krankenhäuser zu betreiben, den Armen zu helfen usw., als indirekten Weg
wahr, sie dem Christentum näher zu bringen. In einigen Staaten in Indien
war Konversion gesetzlich verboten. Das kommt daher, weil im Großen und
Ganzen Konversion in Indien als Machtkampf betrachtet wird. Es ist eine
Frage der Wahrnehmung. Die Diskussion über die Frage dauert weiterhin
an, hat aber eine andere Ric;htung eingeschlagen. Einige argumentieren, dass
Konversion eine persönliche Angelegenheit ist und ein Grundrecht jedes
Menschen, was allgemein nicht in Frage gestellt wird. Was sehr stark abge
lehnt wird, sind nur die gezielten Bekehrungsversuche.
Diese Frage muss auch im allgemeineren Kontext hinduistischer Denker
gesehen werden, welche die exklusiven Ansprüche christlicher Theologie in
Frage stellen. Sarvepalli Radhakrishnan (1888-1978) beklagte es, dass
Christen nicht bereit sind, andere als gleichwertige Partner im Dialog zu
akzeptieren: " Ihr Christen scheint für uns Hindus ganz gewöhnliche Men
schen zu sein, die ganz außergewöhnliche Behauptungen machen."23 Auch
Mahatma K. Gandhi (1869-1948) machte die Bemerkung, dass es eine Be
leidigung gegenüber anderen Religionen sei, wenn man behaupte, dass die
Menschheit nur durch Jesus Christus gerettet würde. Einerseits haben sich
christliche Denker dieser Frage nicht ausreichend im Zusammenhang der
Ansprüche der Weltreligionen gestellt. Andererseits darf man nicht verges
sen, dass der Hinduismus im Hinblick auf das Heil selbst solche absoluten
Ansprüche stellt.
Auf einem höheren Niveau wird die Frage innerhalb einer pluralistischen
Plattform gestellt. Raimon Panikkar argumentiert, dass die Behauptung, ent
weder nur eine Religion sei wahr oder alle Religionen seien wahr, unhaltbar
und nicht überzeugend sei. Denn sie gehe davon aus, dass die Gemeinschaft
meiner Religion einen Zugang zur universalen Wahrheit habe, der ihr das
Recht gibt, jeden auszuschließen, der in seinem Denken und Verhalten von
dem Licht, das uns gegeben wurde, abweicht. Wenn wir auch davon ausge
hen, dass der allwissende Gott zu uns gesprochen hat, könnten wir doch nicht
den menschlichen Faktor unseres begrenzten Verstehens ausschließen, eben
so die göttliche Freiheit; zu anderen zu sprechen, auch wenn man Gott so
versteht, als habe er versprochen, etwas derartiges nicht zu tun. Gott mag ein
23
Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien
einziges Mal gesprochen haben, aber er ist auf verschiedene Weisen und zu
verschiedenen Zeiten gehört worden. Die exklusive Haltung verletzt die all
gemeine menschliche Erfahrung der Verschiedenheit der Rassen, V ölker,
Kulturen und Denkweisen, und neigt dazu, alles auf kontrollierbare Para
meter zu reduzieren. Sie ist eine zu enge Position.24
Pluralismus ist heute zu einem Begriff geworden, der stark missverstan
den wird. Daher ist eine kurze Klarstellung dringend nötig. Eine pluralisti
sche Denkweise ist eine Haltung, die Folgendes meint: Ich bin mir bewusst,
dass ich aus meinem Fenster auf die Welt blicke, und ich weiß, dass andere
durch ihre Fenster auf die Welt blicken. Ich höre auch auf die Beschreibung
dessen, was sie durch ihre Fenster sehen (Raimon Panikkar). Dieser Denk
prozess kann nicht in erster Linie dem Einfluss der dialogischen Initiative,
die von der katholischen Kirche ausgeht, zugeschrieben werden, sondern
hier sind andere Faktoren am Werk, die zu diesem pluralistischen Denkpro
zess beigetragen haben, sprich, die säkularen Kräfte, die in der Gestalt der
interkulturellen Philosophie, im Prozess der Globalisierung usw. wirksam
sind.
In diesem Zusammenhang ist es gut, selbstkritisch das traditionelle Ver
ständnis des berühmten Diktums Tertullians, dass die Seele in ihrer Natur
christlich sei (anima naturaliter christiana) zu untersuchen. Diese Aussage
ist traditionell so interpretiert worden, dass "die Seele von Natur aus christ
lich" ist, woraus folgt, dass, wenn man den christlichen Glauben nicht an
nimmt, man gegen das, was in unserer eigenen Natur ist, rebelliert. Das
Lateinische wie der ursprüngliche Kontext des Satzes fordern eine radikal
andere Lesart, eine, die dem interreligiösen Dialog näher steht. Bei der Suche
nach einem Berührungspunkt zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, die
keine gemeinsame Schrift und Lehre haben, appelliert er an das testimonium
animae: In den tiefsten Winkeln des menschlichen Herzens lassen sich alle
wesentlichen Ideen und Symbole des Christentums in einem natürlichen
Zustand finden. Mit anderen Worten, das Christentum ist für die Seele na
türlich. Es ist nicht einfach eine Reihe von Glaubenssätzen, die von kollek
tiven historischen Gewalten von außen aufgezwungen werden oder den
Wünschen unserer menschlichen Natur zum Trotz anzunehmen sind, sondern
unsere Natur kommt gleichsam darin zum Ausdruck.25
"You Christians [ ...] seem to us Hindus to be rather ordinary people, making
very extraordinary claims." Sarvepalli Gopal, Radhakrishnan. A Biography,
New Delhi 1989, 195. Das Zitat, das ein Gespräch Radhakrishnans mit einem
24
losophy and Religion 5), Notre Dame/Indiana 1984, 97-115, hier 1 02ff.
wortete, dass sie diese Behauptungen nicht für sich, sondern für Christus ma
chen, entgegnete Radhakrishnan: »Wenn es eurem Christus nicht gelungen ist,
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Vgl. Raimon Panikkar, Religious Pluralism: The Metaphysical Challenge, in:
Leroy S. Rouner (Hg.), Religious Pluralism (Boston University Studies in Phi
christlichen Missionar wiedergibt, geht wie folgt weiter: "Als der Freund ant
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In seiner Apologia, die verfasst wurde, um die Kritik der Häretiker und Heiden
Euch zu besseren Männern und Frauen zu machen, welcher Grund besteht
abzuwehren, gebraucht Tertullian den Satz nur beiläufig im ersten Sinn (Apo!.
anzunehmen, dass er bei uns mehr bewirken würde, wenn wir Christen wür
17,6; PL 1 ,37). Er wird weiter ausgeführt in
den?«"
zweite, positivere Bedeutung zur Anwendung kommt.
De testimonio animae,
wo die
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Anand Amaladass
Die Folge aus dieser Position ist, dass das Christentum auch für die See
len derer, die andere Religionen bekennen, etwas Natürliches ist.26 Die an
dere Seite der Medaille ist die, dass das Christentum nicht die einzige Reli
gion ist, die diese Behauptung machen kann. So bezeugt der Dialog auch,
dass der hinduistische oder buddhistische Weg nicht nur für Hindus oder
Buddhisten, sondern ebenso für Christen natürlich ist. Je länger Buddhisten
und Christen miteinander reden, umso stärker entsteht in beiden eine grund
legende, wenngleich oft unerwartete Vertrautheit. Wenn dies nicht so wäre
wäre der Dialog schon längst in sich zusammengebrochen oder zumindes �
in einen bloß intellektuellen Austausch umgewandelt worden.
Zu sagen, dass Buddhismus, Hinduismus und Christentum der Seele na
türlich sind, bedeutet auch, dass sie einander natürlich sind. Wie Raimon
Panikkar gerne sagt, verhalten sich die Religionen wie Sprachen. Einerseits
klingen die Sprachen anderer für die, die sie nicht sprechen, wie Unsinn, und
die Besonderheiten der eigenen Sprache sind einem nicht bewusst, bis man
andere lernt. Andererseits gibt es trotz all ihrer Unterschiede in keiner Spra
che einen allgemeinen Gedanken, der nicht auch in einer anderen verstanden
werden könnteY Nur durch die Erfahrung kann man wissen, was es heißt zu
sagen, dass eine neue Sprache den Geist im Allgemeinen und das Verständ
nis der eigenen Sprache im Besonderen bereichert.
Ä hnlich können die Lehren oder Schriften des Buddhismus, wenn man sie
durch eine christliche Linse betrachtet oder umgekehrt, nur als Verzerrungen
erscheinen, wenn man sich nicht ihrer grundlegenden gegenseitigen Natür
lichkeit und einem Geist, der versucht, sie beide im Dialog in sich zu tragen,
verpflichtet fühlt. Diese Bewusstheit- man kann es als eine Bekehrung zu
einer anderen Religion bezeichnen, eine metanoia ohne den Verlust des Glau
bens- erhöht wiederum die Empfindsamkeit gegenüber den Reichtümern der
Vergangenheit der eigenen Tradition. Dabei tauchen Entsprechungen und Ähn
lichkeiten an Ecken der Tradition auf, wo man es kaum erwarten würde.
Es gibt Formen interreligiöser Interaktion, die in den Begriffen von Ge
winner und Verlierer gemessen werden. Der Krieg ist ein solches Beispiel.
Das dialogische Forum i.st keine solche Arena. Niemand zählt die Punkte,
weil es keine Punkte zu zählen gibt. Es ist vielmehr ein Abenteuer der Ideen:
durch die einzigartigen und besonderen Eigenschaften, die die eigenen reli
giösen Wege von anderen unterscheiden, hindurch auf das darunter liegende
universale Menschsein zu schauen und zurückzukehren von dieser Univer
salität, um einen neuen Blick zu bekommen auf die unerforschten Potentia
le der eigenen Besonderheit.
26
27
Vgl. James W. Reisig, Six Sutras (s. Anm. 3), 16-17.
Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien
Dialog- ein Unternehmen einiger weniger engagierter Menschen
und nicht der gesamten Glaubensgemeinschaft
Die Erfahrung zeigt, dass die Arbeit des Dialogs am besten gedeiht, wenn
sie frei ist von den Erfordernissen offizieller Institutionen. Das bedeutet
nicht, dass man seinen Glauben an der Tür abgibt, aber man lässt die Last
institutioneller Zwänge zurück. Es ist wahr, dass institutionelle Religion nie
mals fern ist, wenn man von Religion spricht, insofern der religiöse Diskurs
eingebettet ist in Geschichte, sei es in Gestalt ihrer sichtbaren politischen
und ökonomischen Strukturen, sei es in Gestalt des Bewusstseins des ein
zelnen Gläubigen. Aber ebenso, wie die private religiöse Erfahrung nicht
zum Gegenstand rationaler Diskussion werden kann, wenn sie nicht vom
erfahrenden Subjekt abstrahiert wird, genauso muss die Sorge, religiöse
Strukturen zu bewahren, ausgeblendet werden, um über sie überhaupt dis
kutieren zu können.
Denn es dient dem Dialog mehr, wenn die Teilnehmer vom Zwang zur
Fülle der Tradition entbunden sind. Wenn eine Lehrtradition einer anderen
begegnet, muss man nicht zwangsläufig die Gesamtheit der Tradition ins Bild
bringen. Was die Integrität kompromittieren würde in einer Erörterung der
Theologie oder der vergleichenden Ideengeschichte, wo immer das gesamte
Bild potentiell relevant ist, stellt für den interreligiösen Dialog nicht dieselbe
Gefahr dar. Der Versuch, aus dem Gefühl, der Tradition treu sein zu müssen,
die Diskussion mit Details zu überfrachten, kann einen Dialog ersticken.
Solange die Bemühung um gedankliche Klarheit in Bezug auf die religiöse
Dimension des Menschen im Vordergrund steht, sollte die Erläuterung der
Tradition sekundär bleiben.
Denjenigen, die sich in sozialen Anliegen mit Andersgläubigen zusam
mentun, ist diese Art der Askese wohlvertraut. Das könnte auch auf den in
tellektuellen Dialog zutreffen. Der Schwerpunkt im Dialog liegt darin, die
grundlegende Religiosität des Menschen in allen Quellen, selbst bei den
Fundamentalisten, zu entdecken, welche allein die Wunde der Intoleranz
heilen kann, und nicht darin, die Loyalitäten gegenüber der eigenen Doktrin
um jeden Preis geltend zu machen.
Aus eben diesem Grund wäre es ein Fehler, Engagement im Dialog nur
als Aufgabe ausgebildeter Spezialisten anzusehen. Dialog bringt mehr, wenn
er ein Ergebnis der Etfahrung statt der Expertise ist. Der Versuch, spezifische
"Grundregeln" für einen intelligenten Diskurs zwischen Gläubigen unter
schiedlicher Glaubensweisen festzulegen, erzeugt unvermeidlich eine Pries
terschaft von Experten, um die Ergebnisse solcher Begegnungen zu kontrol
lieren und ihren Erfolg oder Misserfolg zu beurteilen.
Vgl. Raimon Panikkar, La nueva inocencia. Editorial Verba Divino, Navarra
1993, 388.
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243
Anand Amaladass
Die Begegnung zwischen Hindiusmus und Christentum in Indien
Teil II. Schlussfolgerung aus subjektiver Perspektive
Dieses Symposium ist für mich eine Einladung, eine Gelegenheit, dem Sinn
meiner persönlichen Lebensgeschichte nachzuspüren. Indem ich der hindu
istischen Philosophie und Religion ausgesetzt war, hat sich in mü ein inneres
Wissen vertieft, dass jede/r-sich im Universum finden könnte, wenn man an
Karma oder göttliche Vorsehung glaubt. Natürlich gibt es auch unbekannte
Territorien, dunkle Bereiche der Wirklichkeit.
Geboren in eine bestimmte Kultur in Zeit und Raum erkenne ich mich als
Christ. Es ist nicht bloß ein Etikett, das ich ohne weiteres auswechseln könn
te. Ich gehöre zu einer menschlichen geschichtlichen Tradition, die christlich
ist, die angeeignet werden muss, die interpretiert werden muss und mit der
man sich kritisch auseinandersetzen muss. Ich akzeptiere sehr wohl, dass die
sichtbare christliche Kirche eine konkrete Form der kosmischen Gemein
schaft des gesamten Universums ist, außerhalb derer es kein Heil gibt. Ich
akzeptiere, wovon ich glaube, dass es mein karma ist: geboren und aufge
wachsen zu sein in einem hinduistischen Umfeld. Beide bilden einen Teil
meines Lebens, genau so wie meine Eltern. Meine Zugehörigkeit kommt aus
dieser Einwurzelung. Es ist nicht meine Wahl und Entscheidung, sondern
einfach eine existentielle Wirklichkeit, die ich akzeptiere. Die Weisheit der
Tradition ist von außen auf mich gekommen. Diese meine Zugehörigkeit ist
eine existentielle Tatsache.
Beinahe 30 Jahre Beschäftigung mit dem Hinduismus haben bewirkt, dass
ich eine Ebene der Bewusstheit erreicht habe, in der ich das Leben mit Nüch
ternheit betrachten kann. Mein Glaube hat sich vertieft, es ist so etwas wie
"kosmisches Vertrauen" entstanden. Eine Beheimatung in zwei Traditionen
ist entstanden, wo der andere keine Bedrohung ist, wo er nicht als Gegner
gesehen wird.
Der Hinduismus ist wie die Natur, wie einer meiner älteren Jesuitenkol
legen zu sagen pflegte; er ist unerschöpflich und unzerstörbar. Es stellt sich
nicht die Frage, woher er kommt. Er ist da von Anfang an, anadi, wie die
indische Tradition sagen•würde. Er hat mein Denken all diese Jahre genährt.
Inmitten von Leiden und Ungerechtigkeiten hat er mich durch die Weisheit
der alten Meister gelehrt, dass das Leben nicht darin besteht, mehr oder
weniger bequem auf der Erde zu leben; dass ich ohne karma dazu verdammt
wäre, keinerlei Antwort zu haben; dass ein "allliebender Vater" niemanden
überzeugen kann; dass ohne die Erkenntnis, dass diese Welt maya ist, keine
Beurteilung der Situation möglich wäre usw.28
28
V gl. Raimon Panikkar, A Self-Critical Dialogue, in: The Intercultural Challen
ge of Raimon Panikkar, hg.
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Mein Gebetsleben und mein liturgischer Sinn sind unter dem Einfluss der
hinduistischen religiösen Traditionen mit all ihren Texten über Meditationen
und Gebete gewachsen. Zuweilen mutet der Hinduismus wie Wildwuchs
draußen in der Natur an. Ich erkenne, dass ich nicht in der Lage sein würde,
meinen christlichen Glauben sinnvoll zu leben, wenn ich nicht tief in der
indischen Kultur und ihren religiösen Traditionen verwurzelt wäre. Dadurch
kam ich zum ernsthaften Studium der hinduistischen Philosophie und der
religiösen Traditionen. Die Sanskritsprache zu erlernen, stand am Anfang.
Eine Herausforderung war für mich die Gottesvorstellung im Hinduismus.
Die hinduistischen Metaphern, die die Gottesvorstellung erklären- Gott als
Tänzer (Nataraja- "Prinz unter den Tänzern"), um die fünf göttlichen Funk
tionen zum Ausdruck zu bringen, zu schaffen, zu erhalten, zu zerstören, zu
verbergen und zu retten,- Gott als integrales Symbol der männlich-weibli
chen Polaritäten und die mythischen Formen des Hinduismus wie Nilakanta
("der Blauhalsige"), der Gott, der das Gift verschluckt hat, um die Welt zu
retten, lassen sich als Modell für die Christologie benutzen und die Namen
Gottes aus der indischen Tradition (die sahasranama Tradition der "Tausend
Namen Gottes") interpretieren.
Philosophisch und theologisch wurde ich mehr und mehr davon über
zeugt, dass das In-Dialog-sein mit Menschen anderer Überzeugungen eine
sinnerfüllte Weise zu leben ist. Es tut der eigenen Position keinen Abbruch
und ist keine Art der Unterordnung unter die anderen. Das Leben ist plura
listisch und man muss lernen, in einer pluralistischen Situation zu leben,
ohne die eigene Position zu verabsolutieren oder immer danach zu trachten,
die Dinge zu vereinheitlichen auf Kosten anderer Traditionen. Die Lebens
situation ist nicht immer eine logisch geordnete Struktur. Sie bringt zuweilen
Missverständnis, Gefahr, Unsicherheit, manchmal sogar Chaos mit sich, in
sofern menschliche Faktoren mitspielen - diese sind kontingent, begrenzt,
zerbrechlich, verletzlich, nicht in der Lage, das andere Ufer meines geord
neten Traums zu sehen. Hier erscheint die Dimension des Glaubens, wo die
Vernunft anderen Werten und Visionen Platz macht.
v.
Joseph Prabhu, Maryknoll/NY
1996, 278.
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