ZEUGEN UND ERZEUGEN
Chthonische Räume im Florenz der Medici
Atelier, Höhle / Welt, Unterwelt
15.–17. Jahrhundert
alchemie, Feuer, Metamorphose, Natur, Schöpfungs- und Zeugungstheorien
Schöpfungsmythen und -theorien waren ein zentraler Bezugspunkt der sich neu formierenden
Wissenschaften und Künste der Frühen Neuzeit. Das wachsende Interesse an der erneuerungsund Verwandlungskraft der Natur und an der Nachahmung natürlicher Prozesse durch die
neuen technologien und Künste (↗ Unterwelt) zeigte sich auch in den zahlreichen, oft aufwendig illustrierten Ausgaben von ovids Metamorphosen, die sowohl von kosmologischen Wandlungen als auch individuellen Gestaltveränderungen handeln. Im 36. Buch der Naturalis historia
(Naturkunde) über die Steine pries Plinius der Ältere das Feuer als die Grundlage nahezu aller
Künste.1 entsprechend kam den mit Feuer verbundenen Göttern ein besonderer Stellenwert zu:
Während der Götterschmied Hephaistos/Vulkan die hervorbringenden und belebenden Kräfte
des Feuers verkörperte, verstand man den Titanen Prometheus, der das Feuer den Göttern entwendet hatte, als Wohltäter der Menschen, der ihnen die Künste und technologien ermöglichte. Darüber hinaus hielten sich beide in Höhlen auf (↗ Höhle / Welt): Vulkans Schmiede
wurde in der Regel im oder unter dem Ätna vermutet. Prometheus verbüßte die ihm als Folge
des Feuerraubs auferlegte Strafe an einem entlegenen Felsen im kaukasus. Die Nähe zwischen
Prometheus und vulkan zeigte sich auch darin, dass ihnen in der athenischen Akademie ein
gemeinsamer Altar gewidmet war.2 Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der frühneuzeitlichen
inszenierung und Repräsentation unterirdischer und verborgener Räume, die man als privilegierte orte schöpferischer Prozesse verstand (↗ atelier). Wie gezeigt werden soll, wirkten diese
wechselweise als Werkstätten, Zeugungsstätten und Geburtsstätten dienenden Räume gleichermaßen auf die politische und künstlerische Fantasie.
Verfertigen und Verlebendigen: Prometheus und Vulkan
In der Florentiner Kunst und Kunstliteratur seit dem 15. Jahrhundert geriet zunehmend die in
Giovanni Boccaccios Genealogia deorum gentilium (Genealogie heidnischer Götter) überlieferte
Geschichte in den Blick, nach der Prometheus Menschen aus lehm formte und diese mit dem
gestohlenen Himmelsfeuer belebte. in der Folge wurde der Feuerbringer und Menschenschöpfer
zur Identifikationsfigur eines Künstlers, der lebendige oder lebensähnliche Werke schuf.3 im
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1 Robinet Testard oder Schule (zugeschrieben), Natura schmiedet Tiere und Vögel, ende 15. Jh.
Pergament, 34,2 × 23 cm, Miniatur in einem Manuskript des Rosenromans im Besitz von Luise von
Savoyen, Herzogin von angoulême, Bodleian Library, Oxford, MS. Douce 195.
zentralen Deckengemälde des Studiolo von Francesco i. de’ Medici im Palazzo vecchio ist Prometheus zudem als »erster erfinder der edelsteine und der Ringe« wiedergegeben, wie ihn
vincenzo Borghini, der gelehrte entwerfer des ungewöhnlichen Programms, nennt.4 Der an eine
Felswand gekettete Prometheus empfängt von der vielbrüstigen Natur einen rohen, mit Bergkristallen versetzten erdklumpen, den er in mühevoller anstrengung weiter verarbeitet. Der mit
Boccaccio befreundete Francesco Petrarca zählt Prometheus zu jenen Philosophen und Dichtern, die »auf der Suche nach der Wahrheit lange, gefährliche und mühevolle Wanderungen in
einsamen Gegenden auf sich nahmen«. er habe die einöde des kaukasischen Gebirges gesucht,
weil diese sein ingenium in besonderer Weise anregte.5 Der Geier oder Adler, der sich auf Jupiters
Befehl an Prometheus’ Leber nährte, verweise auf dessen unermüdlichen Drang, verborgene
Dinge zu erforschen, der zweifellos an seinen kräften zehrte.
In durchaus vergleichbarer Weise stand die Schmiede Vulkans in der Mitte des 16. Jahrhunderts paradigmatisch für mit höchster Kunstfertigkeit geschaffene Objekte. Vincenzo Cartari
versteht in seinem weit verbreiteten Handbuch Le imagini con la spositione de i dei de gli antichi
(Die Bilder mit der Erklärung der Götter der Alten) von 1556 das Schmiedefeuer des Vulkan als
die »natürliche und hervorbringende Wärme« (»calore naturale & generativo«), die Grundlage
allen lebens und jeglicher kunst.6 von besonders kunstvollen Dingen sage man, dass sie in der
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Schmiede des vulkan hergestellt worden seien.7 vulkans Schmiedefeuer wies man folglich dieselben generativen kräfte zu wie dem von Prometheus gestohlenen Himmelsfeuer. karel van
Mander hebt in seiner 1604 veröffentlichten Wtlegghingh op den Metamorphosis Pub. Ovidii
Nasonis (Auslegung der Metamorphosen des Ovid) hervor, dass die »Hitze« von vulkans Feuer
»Urheberin und erfinderin aller Künste und Handwerke« sei; diejenigen, die »eine feurige Kraft
in sich haben«, besäßen »in Bezug auf künstlerische erfindung und Übung einen lebhaften,
schnellen Geist und einen guten verstand«.8 im Roman de la Rose von Jean de Meune fungiert
die Schmiede ebenfalls als Wirkungsstätte der Natur, welche die vom »neidischen Tod« vernichteten »einzelwesen durch neue erzeugung« fortwährend erneuert.9 illustrationen zeigen die
unablässig neue Wesen hervorbringende Natur, wie sie an einem Amboss Menschen, Tiere und
oft auch nur einzelne Gliedmaßen hämmert und schmiedet (abb. 1).
Zeugen und Gebären: Demogorgon
Nun schenkte man im Florenz der Medici auch einer relativ jungen Schöpferfigur neue aufmerksamkeit. erneut war es der Florentiner Boccaccio, der in der Genealogia den der Antike unbekannten Demogorgon als »vater aller heidnischen Götter« (»deorum omnium gentilium pater«)
ins leben rief.10 Das strukturierende element des in zahlreichen Handschriften und Drucken
überlieferten Werkes ist die vielgliedrige Geschlechterlinie, wie denn auch dreizehn von insgesamt fünfzehn Büchern jeweils Stammbäume vorangestellt sind.11 im dritten und letzten vorwort der Genealogia erwähnt Boccaccio, wie sich ihm Demogorgon in den Gedärmen der erde
offenbart habe, eingehüllt in Dunkelheit und umgeben von Nebel und Rauch. Um Demogorgons
einsamkeit in seiner tief unter der erde gelegenen Behausung zu mildern, habe man ihm, so
Boccaccio, zwei Gefährtinnen, ewigkeit und Chaos, zur Seite gestellt.12 Im Unterschied zu Prometheus und vulkan zeichnet sich Demogorgon nicht durch Schaffenskraft als vielmehr eine
unbändige Zeugungskraft aus, die den Kosmos mit allen Göttern und somit auch Boccaccios
eigenes Werk entstehen ließ.
Das von van Mander selbst entworfene Titelblatt der Wtlegghingh und der dazu gehörende kommentar orientieren sich eng an Boccaccios Genealogia (abb. 2). Demogorgon soll als
»blasser, runzliger, grauhaariger, bärtiger alter Mann« dargestellt werden, der überwachsen »mit
grünem Moos« und eingehüllt von »feuchten Nebelwolken« sei; er liege träge im vorderen teil
einer zweiteiligen Höhle.13 Das Titelblatt zeigt ihn im unteren Teil der Titelkartusche als bärtigen
Greis mit Zepter, der Rauch aus seinem Mund ausstößt: das sich zu einem »verworrenen und
ungeordneten Haufen« zusammenballende Chaos, aus dem die von Demogorgon regierten elemente hervorgingen.14 In der oberen architektonisch geordneten Sektion sind die Personifikationen der ewigkeit mit dem ouroboros, der sich selbst verzehrenden Schlange, und der hervorbringenden Natur mit dem Füllhorn zu sehen. Van Mander kontrastiert Demogorgons dunkle,
enge und feuchte Höhle mit apollos lichten Gefilden, die der Maler auf dem steilen Weg zum
erfolg zu erklimmen hat.
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2 Jacob Matham nach Karel van Mander, titelblatt für Karel van Manders Wtlegghingh op den
Metamorphosis Pub. Ovidii Nasonis, Haarlem 1604, Kupferstich, 17,5 × 12,6 cm, Koninklijke Bibliotheek,
Den Haag.
van Manders Figuren der ewigkeit und der Natur beziehen sich nun auf einen anderen,
ebenfalls höhlenartigen Raum, den sowohl Boccaccio als auch Cartari erwähnen: die vom römischen Hofdichter Claudian erstmals beschriebene »Höhle der ewigkeit« (immensi spelunca
evi), die sich »weit in der Ferne, an unbekanntem Ort« befinde und dem menschlichen Denken
»unerreichbar« sei.15 ein »ehrwürdiger Greis« (»senex verendus«), der den Lauf der Gestirne und
das Schicksal der Menschen bestimme, hause in dieser von einer Schlange umfangenen und der
Natur bewachten Höhle. ein Holzschnitt der 1571 in Venedig erschienenen ausgabe von Carta-
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ris Handbuch zeigt diese »Höhle oder Grotte« (»antro, o spelonca«) als rustikalen Bau mit aus
aufeinandergeschichteten Steinblöcken gebildeten Wänden.16
Der Raum der Nacht
In der wohl frühesten und eindrücklichsten Inszenierung Demogorgons ist dessen feuchte und
dunkle Behausung mit der von Claudian beschriebenen »Höhle der ewigkeit« identifiziert. In der
Nacht vom 21. Februar 1566, dem Berlingaccio oder letzten Donnerstag vor Beginn der Fastenzeit, wurde in Florenz eine Mascherata della genealogia degl’iddei de’ gentili (Maskerade der
Genealogie der heidnischen Götter) aufgeführt. Sie markierte den abschluss der seit Mitte Dezember des vorjahres andauernden, von Cosimo i. veranstalteten Feierlichkeiten zu ehren der
Hochzeit seines Sohnes Francesco i. de’ Medici mit Johanna von Österreich.17 Die Wirkung der
sich durch das nächtliche Florenz bewegenden theatralischen tableaux muss überwältigend
gewesen sein. Die ephemeren Dekorationen verwandelten den Raum der Stadt in eine nächtliche Heterotopie, die Boccaccios Genealogia auf die dynastischen Machtfantasien der Medici hin
neu interpretierte.
agostino Lapini, ein Priester, vermerkt unter dem Datum, dass der Großherzog in jener
Nacht, erhellt vom licht von tausend Fackeln, einundzwanzig »sehr schöne«, von unterschiedlichen vierfüßigen und geflügelten tieren gezogene Festwagen durch die Straßen der Stadt habe
fahren lassen.18 Die Kosten des Umzugs, für den rund fünfhundert Kostüme hergestellt wurden,
beliefen sich auf die enorme Summe von 30 000 Scudi. Kaum einen Monat nach dem ereignis
veröffentlichte Baccio Baldini – der Leibarzt von Cosimo I., von dem wohl auch das Konzept für
den Festumzug stammte – bei Giunti in Florenz einen »Discorso« mit einer ausführlichen Interpretation sämtlicher Festwagen.19 auch Giorgio Vasari fügte der zweiten auflage seiner ebenfalls bei Giunti erschienenen Viten 1568 eine ausführliche Beschreibung sämtlicher Umzüge der
Festlichkeiten hinzu, die allerdings nicht von ihm, sondern von Giovanni Battista Cini stammt,
dessen Namen vasari jedoch nicht nennt.20
Nun haben sich von der Maskerade der Göttergenealogie zwei Bände mit Zeichnungen
der Kostüme und Festdekorationen erhalten, die mit einiger Wahrscheinlichkeit alessandro allori zugeschrieben werden können; allori hat diese wohl für Cosimo I. als erinnerung an das
denkwürdige ereignis angefertigt.21 eine dieser Zeichnungen stellt den von zwei geflügelten
Drachen gezogenen Wagen des Demogorgon dar, der die Maskerade anführt (abb. 3).22 Die erstaunliche Ikonografie verdeutlicht das Bemühen der Künstler und Literaten im Umkreis des Medici-Hofes, der vom Florentiner Boccaccio erfundenen Figur zu neuem Ansehen und einem
neuen mythologischen Narrativ zu verhelfen. ein von Wolken umhüllter, zum teil bewachsener
Berg öffnet sich nach vorne zu einer Höhle, um die sich eine mächtige Schlange legt.
Die in der Felsenöffnung dicht aneinanderdrängenden Gestalten können mit Hilfe von
Baldinis Discorso identifiziert werden.23 Bei der thronenden Figur handelt es sich um eternità; sie
stützt sich mit ihrer Linken auf einen Stab, während sie mit ihrer Rechten die Figur eines Genius
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3 Alessandro Allori (zugeschrieben), Der Wagen des Demogorgon, 1566, Schwarze Kreide und
Wasserfarbe auf weißem Papier, 43 × 55 cm, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi, Florenz,
Inv.-Nr. 2672 F.
in die Höhe hält. Der aufrecht stehende bärtige Mann mit dem Zirkel kann als Claudians »ehrwürdiger Greis« gedeutet werden. Gleich hinter eternità ist Chaos zu sehen, während es sich bei
der kauernden Figur mit dem kopfschmuck aus Blättern um Terra handelt, dem achten kind des
Demogorgon und der Mutter von Notte und Herebus (Finsternis). Während Herebus kaum erkennbar in der kleineren Nebenhöhle rechts lagert, sind die köpfe von Notte und ihrer zweier
Kinder – dem Schlaf und dem tod – links am Rand der Höhle zu sehen. Die rechts unter Herebus
sichtbare jugendliche Figur mit der geflügelten Kugel kann als ethere (Äther) identifiziert werden, der (wie Schlaf und Tod) der inzestuösen verbindung von Notte und Herebus entsprang.
Bemerkenswerterweise erscheint Demogorgon nicht im Gedränge der Höhle, sondern oben
über dem Felsen. Dem höchsten aller Götter vergleichbar lenkt er die Geschicke des mediceischen kosmos und der mediceischen Welt.
Die Medici, vor allem aber die Großherzöge Francesco I. und Ferdinando I., bezogen sich
häufig auf Schöpfungs- und Zeugungsmythen, um ihre ordnende und regierende Handelsmacht zu artikulieren.24 1586, kurz vor seinem tod, gab Francesco I. den auftrag, Werkstätten am
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4 Jacopo Zucchi, Demogorgon, Chaos, Natura und Ewigkeit, um 1574, Deckenfresko,
Palazzo di Firenze, Sala degli elementi, Rom.
Hof einzurichten; sein Bruder und Nachfolger Ferdinando I. führte die Pläne weiter aus.25 Mit dem
neuen Interesse an den Werkstätten und Laboratorien der Künstler gerieten auch jene, in der
Regel unterirdischen Behausungen neu in den Blick, in denen die frühen Welten-, Werk- und
Menschenschöpfer ihre arbeiten verrichteten. Die in den Jahren 1574/75 von Jacopo Zucchi
freskierte Sala degli elementi des Palazzo Firenze in Rom, der damals dem jungen kardinal Ferdinando i. de’ Medici als Wohnsitz diente, zeigt als Deckenfresko den Moment, als Demogorgon
Litigium, seinen ersten Sohn, aus dem Bauch von Chaos befreit; Natur und ewigkeit lagern zu
Seiten des eingangs zur Höhle.26 Die Szene passt vorzüglich zu einem Zyklus der elemente, da
nach Boccaccio litigiums entschwinden es Demogorgon erst ermöglichte, die ungestalte Materie in die einzelnen elemente zu trennen (abb. 4).
(Un)Kontrollierte Imagination?
Nun hatte Francesco I. für die Festlichkeiten selbst eine Maskerade entworfen, nämlich den
Trionfo de’ Sogni. Dieser fand nicht zufälligerweise am Fest von Mariä lichtmess statt, das tra-
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ditionell mit einer lichterprozession begangen wurde.27 Blickpunkt dieses Trionfo war der letzte,
von sechs zotteligen, mohnbekränzten Bären gezogene Festwagen, der die Form eines großen
elefantenkopfs hatte und eine »capricciosa spelonca« enthielt, die dem »großen Vater Schlaf«
als Haus diente.28 Der Festwagen des Urenkels von Demogorgon folgte auf die durch die Gefolgsleute der fünf stärksten menschlichen Begierden gebildeten Gruppen: der Liebe, der Schönheit, des Ruhms, des Reichtums, der kriegslust und des Wahnsinns. Der entspannt in seiner
Höhle liegende Schlafgott war umgeben von seinen zahllosen Söhnen in »extravaganten und
bizarren Gestalten« (»in stravaganti e diverse e bizarre forme figurati«). auch dieser Festwagen
war von Boccaccios Genealogia angeregt worden, die sich wiederum an Ovids berühmter Beschreibung des »wolkenverhüllten Hauses« des Schlafgottes im elften Buch der Metamorphosen
orientiert.29 Ovid lokalisiert dieses Haus im äußersten Westen gelegenen cimmerischen Land,
das in ewiger Dunkelheit liegt. Wie ovid berichtet auch Boccaccio von Somnus’ tausend Söhnen, die durch ihre Verwandlungskunst den Schlafenden Scheinwelten vorgaukeln. Im Unterschied zur Höhle des Demogorgon als Ort der Hervorbringung der stofflichen Welt, dient die
Höhle des Schlafgottes Somnus der Schöpfung fiktiver, flüchtiger und sich verändernder Gebilde. Das frühneuzeitliche Interesse an diesen mythischen Orten stofflicher und feinstofflicher
Transformation verwies auch auf ein neues räumliches, materielles und alchemistisches verständnis von Prozessen der imagination und Transformation.
Christine Göttler
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Anmerkungen
1 Göttler 2014. Vgl. Plinius, Naturalis historia, 36, S. 200–203.
2 DNP-Gruppe Kiel 2001.
3 Boccaccio 2011, S. 528–545 (Buch IV, Kapitel 44). allg. zu Visualisierungen des Mythos: Lüdemann
2010; Steiner 1991; Glaser 1998.
4 Zit. nach Conticelli 2004, S. 321: »[…] il primo inventore delle pietre preziose et degl’anelli, come
testimonia Plinio, et che per ciò dette occasione alla favola dell’essere stato legato nel monte
Caucaso mentre che vi si affatica grandemente intorno con infinita industria per cavarne i diamanti et
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altre gioie«. Die Stelle bei Plinius (37, 2) lautet: »Fabulae primordium a rupe Caucasi tradunt, Promethei vinculorum interpretatione fatali, primumque saxi eius fragmentum inclusum ferro ac digito
circumdatum: hoc fuisse annulum et hoc gemmam« (»Die Sagen verlegen den anfang an einen Felsen des kaukasus, mit einer verhängnisvollen Deutung der Fesseln des Prometheus, wonach damals
zuerst ein Stück von jenem Felsen in eisen gefaßt und um den Finger gelegt worden sei: das eisen sei
der Ring gewesen und der Felsen der edelstein«), Plinius 2013, S. 1–2.
Petrarca 2005, S. 200 (Buch II, Kap. 12).
Cartari 1556, S. 31: »Volcano [significa] quell calore naturale che in esso da vita alle cose.«
Cartari 1556, S. 78.
van Mander, Wtlegghingh, 1604, Fol. 15v (»Van Vulcanus«): »[…] dewijle sy doch alle Consten en hantwercken oorsaeckster en vindtster is: en dat om dieswille dat de ghene / die in sich hebben een vyerighe
cracht / suyver van bloedt / en ranck van lichaem zijn / hebben ghemeenlijck tot alle Const-vindinge en
oeffeningen eenen levenden snellen geest / en bequame goede herssenen.« Van Manders Wtlegghingh
ist das fünfte Buch des insgesamt sechs Bücher umfassenden Schilder-Boeck (Maler-Buches).
Modersohn 1997, S. 126–158, hier S. 127.
Boccaccio 2011, S. 30–39 (Buch I, Vorwort 2 und Vorwort 3). Zu Demogorgon vgl. Solomon 2012;
Gall 2012b; Barsacchi 2014; Mino 2014; Fauth 1987; Matton 1995.
Solomon 2011, S. viii–xiii; Schwertsik 2014, S. 39–42; Gall 2012a.
Boccaccio 2011, S. 38–39: »Huic preterea ne tedio solitudinis angeretur […] socios dedit eternitatem
atque Chaos, et inde filiorum agmen egregium.«
Van Mander, Wtbeeldinge, 1604, Fol. 124v: »Den eersten Vader van allen / noemt den Hetrusschen
Poeet Boccatius, en ander / Demogorgon. Desen was gheschildert als een bleeck / berimpelt /
graeuw-hayrigh / en baerdigh oudt Man / met groen mosch becleedt / en beschaduwt met vochtighe
mist-wolcken / ligghende luylijck in’t voorste deel van een dobbel Spelonc oft kuyl.« Bei der Wtbeeldinge handelt es sich um das sechste und letzte Buch des Schilder-Boeck, das in ergänzung zur
Wtlegghingh verfasst wurde. Göttler 2018; Becker 1984.
Boccaccio 2011, S. 44–45: »Chaos, ut Ovidius in principio maioris sui voluminis asserit, fuit quedam
omnium rerum creandarum inmixta et confusa materia.« Zum Chaos: Böhme / Böhme 1996,
S. 41–44 und passim.
Boccaccio 2011, S. 40–43. Zit. nach Kemp 1969, S. 135–136.
Cartari 1571, S. 29–36, 39 (Illustration).
Lepri 2017, Bd. 1, S. 240–270; Degl’Innocenti / Martini / Riccò 2013; Nagler 1964, S. 24–34.
Corazzini 1900, S. 151.
Baldini 1565. Vgl. auch Pierguidi 2007.
Vasari 1987, S. 332–367.
Baroni 2013, S. 33–34. Die zwei Bände befinden sich heute im im Gabinetto Disegni e Stampe der
Uffizien.
Petrioli 1966, S. 21–22, Kat. 1.
Baldini 1565, S. 8–10. Im Folgenden verwende ich die von Baldini zitierten Namen.
Martini 2013.
Kieffer 2014, S. 106–106.
aurigemma 2012, S. 31–34; Morel 1990.
Lepri 2017, Bd. 1, S. 226–240; Hamburgh 1996, S. 685–690; Nagler 1964, S. 21–24.
Vasari 1987, S. 328.
Boccaccio 2011, S. 150–163 (Book I, Chapter 31).
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