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Experimente in der Soziologie?

In der Soziologie wird vermehrt für eine Verwendung von Labor-und Feldexperimenten plädiert. Bis heute stößt die experimentelle Methode aber auf ein gewisses Unbehagen und gehört auch weiterhin nicht zu den Standard-verfahren der empirischen Sozialforschung. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, verzerrende soziale Faktoren experimenteller Laborsettings zu benennen und kon-struktiv-kritisch zu besprechen. Dazu wird auf Befunde aus eigenen Verteilungsex-perimenten (n=213) in Kombination mit anschließenden problemzentrierten Interviews mit Teilnehmenden (n=39) zurückgegriffen. Ursprünglich wurden die Interviews in das experimentelle Setting integriert, um Aufschluss über die zugrundelie-genden Entscheidungsstrukturen der beteiligten Experimentteilnehmer*innen zu gewinnen. Unter anderem wurden Teilnehmer*innen nach ihren persönlichen Erfahrungen mit Experimenten und ihren Teilnahmemotiven befragt. Die Ergeb-nisse der qualitativen Befragung weisen auf ein in der Literatur bisher vernachlässig-tes Problem hin: So zeigen unsere Interviews neben dem in der Literatur antizipier-ten strategisch-nutzenmaximierenden Typen noch weitere Teilnehmertypologien, die wir als ,Interessierte Forscher' und ,Kritische Experten' bezeichnet haben. Wäh-rend für den nutzenmaximierenden Typus ,Homo Oeconomicus' die zentrale Teil-nahmemotivation die monetären Anreize darstellt, spielen für die ,Interessierten Forscher' erste Erfahrungen mit Experimenten aus Fachinteresse eine zentrale Rolle. Die ,Kritischen Experten' schließlich nutzen die Experimentteilnahme um ihr eige-nes Handeln in spezifischen Situationen kritisch zu hinterfragen und eigene Hand-lungsentscheidungen zu reflektieren. Da Experimente in der Regel mit Studieren-den von Universitäten durchgeführt werden, stellen diese Befunde eine weitrei-chende Herausforderung für die experimentelle Sozialforschung dar und sollten als solche auch in zukünftige konzeptionelle Überlegungen aufgenommen werden.

Alexander Lenger* und Stephan Wolf** Experimente in der Soziologie? Über die systematische Verzerrung von Experimentergebnissen aufgrund strategisch agierender studentischer Teilnehmertypen Zusammenfassung: In der Soziologie wird vermehrt für eine Verwendung von Labor- und Feldexperimenten plädiert. Bis heute stößt die experimentelle Methode aber auf ein gewisses Unbehagen und gehört auch weiterhin nicht zu den Standardverfahren der empirischen Sozialforschung. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, verzerrende soziale Faktoren experimenteller Laborsettings zu benennen und konstruktiv-kritisch zu besprechen. Dazu wird auf Befunde aus eigenen Verteilungsexperimenten (n=213) in Kombination mit anschließenden problemzentrierten Interviews mit Teilnehmenden (n=39) zurückgegrifen. Ursprünglich wurden die Interviews in das experimentelle Setting integriert, um Aufschluss über die zugrundeliegenden Entscheidungsstrukturen der beteiligten Experimentteilnehmer*innen zu gewinnen. Unter anderem wurden Teilnehmer*innen nach ihren persönlichen Erfahrungen mit Experimenten und ihren Teilnahmemotiven befragt. Die Ergebnisse der qualitativen Befragung weisen auf ein in der Literatur bisher vernachlässigtes Problem hin: So zeigen unsere Interviews neben dem in der Literatur antizipierten strategisch-nutzenmaximierenden Typen noch weitere Teilnehmertypologien, die wir als ,Interessierte Forscher‘ und ,Kritische Experten‘ bezeichnet haben. Während für den nutzenmaximierenden Typus ,Homo Oeconomicus‘ die zentrale Teilnahmemotivation die monetären Anreize darstellt, spielen für die ,Interessierten Forscher‘ erste Erfahrungen mit Experimenten aus Fachinteresse eine zentrale Rolle. Die ,Kritischen Experten‘ schließlich nutzen die Experimentteilnahme um ihr eigenes Handeln in speziischen Situationen kritisch zu hinterfragen und eigene Handlungsentscheidungen zu relektieren. Da Experimente in der Regel mit Studierenden von Universitäten durchgeführt werden, stellen diese Befunde eine weitreichende Herausforderung für die experimentelle Sozialforschung dar und sollten als solche auch in zukünftige konzeptionelle Überlegungen aufgenommen werden. Stichwörter: Empirische Sozialforschung; Experimente; Interviews; Selbstselektion; Interne und externe Validität * Dr. Alexander Lenger, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Universität Siegen, Zentrum für ökonomische Bildung, Kohlbettstr. 15, 57068 Siegen, E-Mail: [email protected] ** Dr. Stephan Wolf, Institut für Umweltsozialforschung, Universität Freiburg, Tennenbacher Str. 4, 79106 Freiburg im Breisgau, E-Mail: [email protected] SozW, 69 (1) 2018, 92 – 122 DOI: 10.5771/0038-6073-2018-1-92