Studia Teologiczno-Historyczne
Śląska Opolskiego 43 (2023), nr 2
DOI: 10.25167/sth.5278
Martin M. Lintner
Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen/Bressanone, Italien
https://orcid.org/0000-0001-9950-4804
[email protected]
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (1)1
1. Abgrenzung zum Theozentrismus - 2. Beschreibung der Ansätze
Beim Anthropozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus handelt es sich
um unterschiedliche weltanschauliche und naturethische Modelle. Es sind philosophische Positionen, die das Selbstverständnis des Menschen in seiner Beziehung zu den nichtmenschlichen Lebewesen und zur Natur zum Ausdruck bringen
und die eine ethische Relevanz haben, besonders im Kontext der Bio-, Tier- und
Umweltethik. Dabei geht es um die Frage, wer und was zum moralischen Kosmos dazugehört. In den genannten Positionen wird dies unterschiedlich eng oder
breit gefasst.
In den Bezeichnungen stecken etymologisch die griechischen Begriffe ánthrōpos (Mensch), bíos (Leben) und oikos (Haus) sowie kéntron (Mittelpunkt,
Kreismitte). Kéntron meint nicht nur die geometrische Mitte oder den perspektiven
Standpunkt der Sicht auf die Realität, sondern beinhaltet auch den Maßstab für die
ethische Bewertung normativer Forderungen. Eine erste Annäherung, um die verschiedenen Ansätze zu charakterisieren, besteht also in der Frage, ob der Mensch,
alle Lebewesen oder die Welt als Ganzes in den Mittelpunkt gestellt werden, von
dem her die unterschiedlichen Realitäten in den Blick genommen und moralisch in
Bezug auf ihre normative Stellung gewichtet werden.
1
Der Beitrag ist der erste Teil eines Lexikoneintrags des Autors für Nuovo dizionario di Bioetica.
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1. Abgrenzung zum Theozentrismus
Der Theozentrismus ist eine religiöse Weltanschauung, die Gott (gr. Theós) bzw.
eine transzendente Wirklichkeit als Zentrum alles Seienden ansieht und die Lebens- und Denkweise der Menschen bestimmt. Im Unterschied dazu geht es bei
den oben genannten Modellen nicht um die ontologische Letztbegründung der irdischen Wirklichkeiten in Bezug auf eine göttliche Wirklichkeit oder um die hermeneutische Frage nach der Erkenntnismöglichkeit der transzendenten, göttlichen
Wirklichkeit, sondern um eine Deutung der irdischen Wirklichkeiten im Allgemeinen und um die Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt bzw. um
die Beziehung des Menschen zur Natur und zu den nichtmenschlichen Lebewesen
im Besonderen. Weiter gefasst geht es darum, ob Naturschutz wesentlich über die
Werthaftigkeit einzelner Individuen oder ganzer Systeme begründet wird und welche Individuen oder Systeme dazugehören.
Dennoch spielt der Gottesbezug eine Rolle, wenn die irdischen Wirklichkeiten
religiös gedeutet werden. In den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam geschieht dies durch die Deutung der Welt als Schöpfung und dadurch, dass dem Menschen eine besondere Beziehung zu Gott zuerkannt wird. Diese wiederum kann als Begründung dafür dienen, dass der Mensch für sich in Bezug
zu den nichtmenschlichen Lebewesen und zur unbelebten Natur eine Sonderstellung in Anspruch nimmt und dass er den eigenen Interessen und Bedürfnissen einen
normativen Vorrang gegenüber den Interessen von nichtmenschlichen Lebewesen
zuerkennt. Im theozentrischen Ansatz können der Mensch und die Welt nicht ohne
Bezugnahme auf Gott verstanden werden, der als der Ursprung, Ziel und Vollendung allen Seins angesehen wird, auf das hin die gesamte Schöpfung inklusive
des Menschen ausgerichtet ist. Die christliche Theologie war bis zum ausgehenden
Mittelalter weitgehend von der Annahme geprägt, dass in die Welt als Schöpfung
Gottes eine dem göttlichen Logos entsprechende Seinsordnung hineingelegt ist, die
der Mensch kraft seiner Vernunft erkennen kann und die er respektieren soll. Der
Mensch verstand sich als Teil dieser gottgewollten Ordnung und als Mitglied der
Schöpfungsgemeinschaft, allerdings an der obersten Stelle. Die gesamte Schöpfung sei auf die Schaffung des Menschen hingeordnet und diene ihm nicht nur
als Lebensgrundlage, sondern auch – metaphorisch gesprochen – als „Buch“, um
Gott zu erkennen. Daher sah sich der Mensch von Gott befugt, die nichtmenschliche Schöpfung für die eigenen Interessen und Bedürfnisse zu nutzen, jedoch im
Bewusstsein, dass die Welt nicht ihm, sondern Gott gehört. Vergleichbar mit dem
mittelalterlichen Lehnswesen war die Welt dem Menschen von Gott anvertraut,
damit er sie nutze, aber zugleich auch bewahre. Der letzte Zweck der Schöpfung
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lag nicht darin, dem Menschen dienlich zu sein, sondern Gott zu verherrlichen. Der
Mensch durfte die Schöpfung nur auf eine Weise nutzen, dass dieser Hauptzweck
nicht verdunkelt wurde. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Urbarmachung von
Ländereien durch Mönche.
Ab der Renaissance fand in mehrfacher Hinsicht ein tiefgreifender Paradigmenwechsel statt. Ausgelöst durch radikale Infragestellungen des mittelalterlichen
Weltbildes durch neue Entdeckungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, aber
auch durch theologische und philosophische Entwicklungen, unter anderem bedingt durch Verunsicherungen aufgrund der Reformation und der Konfessionskriege im 16. und 17. Jahrhundert, wurde das theozentrische zusehendes durch ein anthropozentrisches Weltbild abgelöst. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass das
menschliche Selbstverständnis, welches immer auch historisch und biographisch
bedingt und begrenzt ist, in die Theologie einfließt und dass es keinen anderen
Standpunkt gibt, über die göttliche Wirklichkeit zu reflektieren, als jenen der denkenden Vernunft. Als Adressat der göttlichen Offenbarung muss der Mensch die
Deutung seines Daseins in der Welt im Licht der geoffenbarten und vernünftig
reflektierten Wahrheiten selbst verantworten. Auf der hermeneutischen Ebene setzte sich die Einsicht durch, dass Gott nicht gedacht werden kann unter Absehung
der erkenntnistheoretischen anthropozentrischen Perspektive. Pointiert formuliert kann die Wende so gekennzeichnet werden: Konnte sich der mittelalterliche
Mensch nicht ohne Gott denken, kann Gott seit der Neuzeit nicht mehr ohne den
Menschen gedacht werden, d.h., dass Gott nur mehr nach Art des Menschen bzw.
auf menschliche Weise gedacht werden kann. Die anthropozentrische Wende hatte
auch tiefgreifende Auswirkungen auf das Verhältnis des Menschen zur Natur: Er
sah sich nicht mehr in erster Linie eingebettet in eine umfassende Seinsordnung
und einem Schöpfer gegenüber verantwortlich, sondern vielmehr von Gott befugt,
sich der Natur zu bedienen und über sie zu herrschen. Die naturwissenschaftlichen
Erkenntnisse und die Entwicklung der Technik ermöglichten es ihm, sich der Natur
zu bemächtigen. Religiös wurde dies mit Verweis auf den Herrschaftsauftrag in
Gen 1,28 dadurch legitimiert, dass der Mensch sein Ebenbild-Gottes-Sein gerade
dadurch verwirklicht, dass er mithilfe von Wissenschaft und Technik über die Natur
herrscht und sie sich gefügig macht2.
Die mit der anthropozentrischen Wende und dem Prozess der Säkularisierung
einhergehende Entsakralisierung der Welt wirkte sich auch dahingehend aus, als
dass die Natur als eine von Gott getrennte, profane Wirklichkeit wahrgenom2
Jürgen Moltmann. 1986. Dio nella creazione. Dottrina teologica nella creazione. Brescia: Queriniana, 35–48.
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men wurde. Die vom Historiker Lynn White Jr. (1907–1987) vertretene These,
dass das jüdisch-christliche Menschenbild die ideengeschichtliche Ursache der
modernen Umweltkrise ist, ist deshalb differenziert zu beurteilen, insofern erst
eine bestimmte Lesart von Gen 1,28 unter den Vorzeichen eines neuzeitlichen
Gottesverständnisses als Rechtfertigung für den ausbeuterischen Umgang mit der
Natur und den nichtmenschlichen Lebewesen diente und die Wende von der von
einem theozentrischen zu einem anthropozentrischen Welt- und Menschenbild
auch einen sittlichen Wandel im Umgang mit der Natur bewirkte3. Die Auseinandersetzung mit der These von White macht jedenfalls deutlich, dass es der
kritischen Aufmerksamkeit bedarf, wenn die Stellung des Menschen in der Welt
religiös legitimiert wird. Im Sinne der autonomen Moral bedarf nämlich jeglicher
normative Anspruch auch in einem religiösen und theologischen Kontext der kritischen Reflexion über die eigenen vorwissenschaftlichen und weltanschaulichen
Vorannahmen und der Begründung durch Argumente, die vernünftig einsichtig
gemacht werden können4.
2. Beschreibung der Ansätze
Anthropozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus reihen sich in eine
Bandbreite von unterschiedlichen naturethischen Positionen ein. Die ethische
Grundfrage ist dabei jene, wer bzw. was in welchem Maß moralisch berücksichtigungswürdig und in diesem Sinne als moralisches Objekt (engl.: moral patient) anzusehen ist. Gibt es unmittelbare bzw. direkte moralische Pflichten nur gegenüber
Lebewesen, die selbst moralfähig und in diesem Sinne sittliche Subjekte (engl.:
moral agent) sind oder weitet sich die moralische Verantwortung von sittlichen
Subjekten auch auf nichtmenschliche Lebewesen und auf die unbelebte Natur aus?
Wie kann die Ausweitung der moralischen Verantwortung der sittlichen Subjekte
auf die anderen Lebewesen und die Natur begründet werden und gibt es eine abgestufte Verantwortung gegenüber unterschiedlichen Lebensformen sowie gegenüber
der unbelebten Natur?
3
Udo Krolzik. 1979. Umweltkrise, Folge des Christentums. Stuttgart: Kreuz Verlag; Hans
J. Münk. 1987. „Umweltkrise – Folge und Erbe des Christentums?“. Jahrbuch für Sozialwissenschaft
(28) : 133–206; Heike Baranzke. 1995. „Lynn White und das dominium terrae (Gen 1,28b). Ein Beitrag zu einer doppelten Wirkungsgeschichte”. Biblische Notizen (76) : 32–61.
4
Maurizio Chiodi. 2014. Teologia morale fondamentale (Nuovo corso di teologia morale 1).
Brescia: Queriniana, 524–528.
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2.1 Anthropozentrische Ansätze
Bei den anthropozentrischen ist grundsätzlich zwischen moralischen und epistemischen Ansätzen zu differenzieren. Der moralische Anthropozentrismus vertritt
die Position, dass dem Menschen dank seines intrinsischen Wertes eine Sonderstellung gegenüber den nichtmenschlichen Lebewesen und der Natur zukommt, die
es legitimiert, die nichtmenschlichen Lebewesen und die Natur für die menschlichen Interessen und Bedürfnisse zu nutzen. Dabei kann zwischen einer radikalen
und einer gemäßigten Form unterschieden werden, die im Folgenden unter (a) und
(b) vorgestellt werden. Im Anschluss darin wird unter (c) der epistemische Anthropozentrimus vorgestellt, der betont, dass der Mensch nur aus seiner eigenen Perspektive auf die außermenschliche Natur blicken kann.
a) Der radikale Anthropozentrismus gesteht nur dem Menschen einen moralischen Wert zu, nicht jedoch den nichtmenschlichen Lebewesen und der unbelebten
Natur. Letztere dürfen vom Menschen als Ressource für die eigene Bedürfnisbefriedigung genutzt werden. Die nichtmenschlichen Lebewesen und die unbelebte
Natur haben einen Wert ausschließlich in Bezug auf den Nutzen für den Menschen, sei dieser ökonomischer bzw. materieller oder emotionaler, ästhetischer
bzw. immaterieller Art. Der Mensch ist das Ziel (gr. télos) der außermenschlichen
Natur (teleologischer Anthropozentrismus)5. Er hat gegenüber der außermenschlichen Natur keine unmittelbare Verantwortung, sondern nur eine mittelbare,
insofern ihr Schutz letztlich auch dem Interesse des menschlichen Überlebens
und der Sicherung von Lebensqualität dient. Als ein Vertreter dieser Form gilt
Immanuel Kant (1724–1804). Er formuliert im kategorischen Imperativ, dass
nur rationale Wesen aufgrund ihrer Fähigkeit zur sittlichen Selbstbestimmung
nie bloß als Mittel, sondern immer zugleich als Zweck an sich behandelt werden
müssen. Die außermenschlichen Lebewesen und Dinge können demgegenüber
bloß als Mittel zum Zweck verwendet werden, da ihnen kein Selbstzweck, sondern nur ein relativer Wert zukommt. Kant lehnt beispielsweise Tierquälerei mit
dem Argument ab, dass diese dem Menschen schaden und ihn verrohen würde6.
Er reiht sich damit ein in die seit der griechischen Antike bezeugte Tradition, die
in der Vernunftfähigkeit den ethisch relevanten Unterschied zwischen Menschen
5
Robert S. Brumbaugh. 1978. Of Man, Animals, and Morals: A Brief History. In On the Fifth
Day. Animal Rights & Human Ethics. Hg. Richard K. Morris, Michael W. Fox, 6–25. Washington:
Acropolis Books.
6
Federica Basaglia. 2016. “La ricezione dell’argomento kantiano per i doveri indiretti relativi
agli animali nel dibattito contemporaneo”. I Castelli di Yale IV (2) : 15–41.
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und Tieren sieht. Letztere sind vernunftlos (gr. alogoi). Weil mit ihnen keine gegenseitigen moralischen Vereinbarungen getroffen werden können, sind sie nicht
Teil der moralischen Gemeinschaft und der Mensch hat ihnen gegenüber keine
unmittelbaren moralischen Pflichten.
b) Der gemäßigte Anthropozentrismus setzt ebenso bei der Vernunftfähigkeit
des Menschen an. Er betont jedoch, dass die Rationalität den Menschen nicht
nur dazu befähigt, autonome Wesen zu sein, die sich nur mit anderen autonomen Wesen in Beziehungen gegenseitiger moralischer Verantwortung verbinden,
sondern auch dazu, den Eigenwert nichtmenschlicher Wesen zu erkennen und
das Wohl nichtmenschlicher Wesen anzuerkennen. Diese rationale Einsicht begründet daher moralische Pflichten gegenüber nichtmenschlichen Lebewesen
und der Natur, sodass diese Teil der moralischen Gemeinschaft sind, auch wenn
sie selbst keine moralischen Akteure sind7. Auch wenn nur der Mensch Adressat
moralischer Normen ist, ist er nicht alleiniger Inhalt moralischer Forderungen.
Diese Position anerkennt einen abgestuften Eigenwert der nichtmenschlichen Lebewesen. Sie berücksichtigt deren artspezifischen Fähigkeiten und Bedürfnisse
und die Komplexität der jeweiligen Seinsstufen von den niedrigen bis zu den höherentwickelten Lebewesen8. Da der Mensch in diesem Ansatz in Beziehung zu
den nichtmenschlichen Lebewesen und zur unbelebten Natur gesehen wird, kann
er auch als anthropo-relationaler9 oder ökologisch aufgeklärter Anthropozentrismus10 bezeichnet werden.
c) Der epistemische Anthropozentrismus ist eine erkenntnistheoretische Position (gr. epistēme = Wissen, Erkenntnis) und bezeichnet die standpunktbezogene
Sichtweise der Welt in der menschlichen Perspektive. Der Mensch hat keine andere Möglichkeit auf die Welt zu blicken und über sie zu reden als aus der eigenen
Perspektive bzw. indem er sie durch eigene Begriffe beschreibt. Der dem griechischen Philosophen Protagoras (5. Jh. v. Chr.) zugeschriebene Satz „Der Mensch
ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nicht-seienden, dass sie
7
Christine M. Korsgaard. 2018. Fellow Creatures: Our Obligations to the Other Animals. Oxford: University Press.
8
Martin M. Lintner. 1997. Der Mensch und das liebe Vieh. Ethische Fragen im Umgang mit
Tieren. Innsbruck: Tyrolia.
9
Hans J. Münk. 1995. Umweltverantwortung und christliche Theologie. Forschungsbericht zu
neuen deutschsprachigen Beiträgen im Blick auf eine umweltethische Grundkonzeption. In Brennpunkt Sozialethik. Theorien, Aufgaben, Methoden. Hg. Marianne Heimbach-Steins u.a., 398. Freiburg
– Basel – Wien: Herder.
10
Wilhelm Korff. 1998. Einführung in das Projekt Bioethik. In Lexikon der Bioethik 1, 12.
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nicht sind“, kann in diesem Sinne interpretiert werden. Ebenso wird jede ethische
Theorie von Menschen entworfen und begründet. Werte sind nur deshalb Werte,
weil sie als solche vom Menschen als erkennendem Subjekt erkannt und als sittlich
relevant rezipiert werden (axiologischer [gr. axia = Wert] Anthropozentrisums).
Der Wertobjektivismus geht von der Existenz von objektiven Werten aus, die auch
unabhängig vom erkennenden Subjekt existieren, während der Wertsubjektivismus
die These vertritt, dass sich der Wert von etwas aus den Bewertungskriterien des
erkennenden Subjekts ergibt. In der axiologischen Perspektive kommt die Natur
erst im Auftreten des Menschen zu sich selbst, insofern ihr Wert, ihre Schönheit
und ihr Reichtum im erkennenden Bewusstsein des Menschen und im bewussten
Erlebtwerden durch den Menschen zu seiner eigentlichen Wirklichkeit gelangt11.
Daraus folgt nicht, dass der nichtmenschlichen Natur kein unbedingter Wert zukommen würde, da dieser ausschließlich von der Bewertung des sittlichen Subjekts
abhängen würde, sondern dass dem Menschen als erkennendem Subjekt die sittliche Verantwortung obliegt, den Wert der nichtmenschlichen Lebewesen und der
Natur zu erkennen und zu respektieren12.
2.2 Der Vorwurf des Speziesismus gegenüber den anthropozentrischen
Positionen
Die nichtanthropozentrischen naturethischen Ansätze werden oft unter dem
Sammelbegriff des Pyhsiozentrismus (gr. physis = Natur) zusammengefasst. Ihnen
ist gemein, dass sie dem Menschen keine moralische Sonderstellung in Bezug auf
die nichtmenschlichen Lebewesen und auf die unbelebte Natur zuerkennen. Die
Position, dass dem Menschen allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies eine moralische Sonderstellung gegenüber den Tieren zukommt, wird
im Kontext der Tierrechtsbewegungen seit den 1970er Jahren als Speziesismus bezeichnet und abgelehnt13. Der Begriff wurde als Kampfbegriff von den Vertretern
der Theorie des Antispeziesismus eingeführt, um die moralische Schlechterstellung der nichtmenschlichen Tiere allein aufgrund der Tatsache, dass sie nicht der
menschlichen Spezies angehören, als ungerechtfertigte Diskriminierung anzupran11
Eberhard Schockenhoff. 20132. Ethik des Lebens. Grundlagen und neue Herausforderungen.
Freiburg – Basel – Wien: Herder, 81–84.
12
Angelika Krebs. 1997. Naturethik im Überblick. In Naturethik: Grundtexte der gegenwärtigen
tier- und ökoethischen Diskussion. Hg. Angelika Krebs, 337–379. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
13
Peter Singer. 1975. Animal Liberation: A New Ethics for Our Treatment of Animals. New York:
Harper Collins (trad. it.: Id. 2009. Liberazione animale. Il manifesto di un movimento diffuso in tutto
il mondo. Milano: Il Saggiatore); Richard D. Ryder. 2010. “Speciesism”. Critical Society (2) : 1–2.
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gern. Die Höherbewertung des Menschen aufgrund seiner Spezieszugehörgkeit sei
vergleichbar mit den Diskriminierungsformen von Sexismus oder Rassismus, bei
denen Individuen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Geschlecht oder Ethnie moralisch unterschiedlich bewertet werden. Das Argument, dass die Ablehnung der moralischen Gewichtung von Unterschieden innerhalb der menschlichen Spezies (wie
Geschlecht oder Ethnie) aufgrund der gleichen Würde jedes Menschen ethisch anders zu beurteilen ist als jene von Unterschieden zwischen verschiedenen Spezies,
wird von den Antispeziesisten abgelehnt.
2.3 Tierethische Positionen zwischen Anthropozentrismus und
Biozentrismus
In Bezug auf die Frage, auf welche tierlichen Spezies die moralische Verantwortung des Menschen ausgedehnt werden soll, unterscheiden sich die verschiedenen
Positionen jedoch.
a) Peter Singer macht die aktuell wahrgenommene kognitive Fähigkeit, eigene Interessen zu verfolgen, zum entscheidenden Kriterium. Er vertritt die utilitaristische Position, wonach die ethische Qualität einer Handlung von ihren Folgen
her zu beurteilen ist, die er am spezifischen Maßstab der Wunscherfüllung und
Interessensbefolgung misst (Präferenzutilitarismus)14. Die kognitive Fähigkeit der
Wunscherfüllung und Interessensbefolgung wird bei ihm zum Kriterium dafür, ob
ein Lebewesen als Person mit Würde zu behandeln ist. Singer vertritt einen Personenbegriff in der Tradition von John Locke (1632–1704). Ob ein Individuum eine
Person ist, lässt sich am Vorhandensein bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten
wie Identitätsbewusstsein und Selbstbewusstsein feststellen. Singer wendet dieses
Kriterium konsequent auf die Menschen an und spricht in Folge jenen Menschen,
die diese Fähigkeit nicht wahrnehmen können, das Personsein ab. Er trennt Personund Menschsein: Nicht jeder Mensch ist Person und nicht jede Person ist Mensch,
da es auch Individuen von tierlichen Spezies gibt, die diese kognitiven Fähigkeiten
– zumindest bis zu einem gewissen Grad – entfalten können. Es gibt nach Singer
also menschliche und tierliche Personen. Um die menschliche Verantwortung auf
Tiere auszuweiten, stellt Singer in Frage, dass die Spezieszugehörigkeit moralisch
relevant ist. Die Ausweitung der menschlichen Verantwortung auf Individuen von
tierlichen Spezies, die bestimmte kognitive Fähigkeiten bis zu einem gewissen
Maß verwirklichen, erfolgt in dieser Theorie zum Preis, dass vielen Menschen,
14
Singer. 1975. Animal Liberation: A New Ethics for Our Treatment of Animals.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (1)
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die diese Fähigkeiten noch nicht oder – zum Beispiel aufgrund von degenerativen
Erkrankungen – nicht mehr wahrnehmen können, der Personstatus und in Folge der
moralische Würdestatus abgesprochen wird15.
b) Für den Pathzentrismus (gr. pathein = Schmerzen empfinden) bzw. Sentientismus (lat. sentire = fühlen) ist hingegen die Schmerzempfindlichkeit der moralisch
relevante Unterschied. Der englische Utilitarist Jeremy Bentham (1748–1832) formulierte diese Position im berühmten Satz, der als Initialzündung für die moderne
Tierrechtsdebatte gilt: „Die Frage ist nicht: Können sie denken?, oder: Können sie
reden?, sondern: Können sie leiden?“16. Das Streben von Lebewesen mit der Fähigkeit, Schmerz subjektiv als negativ zu erfahren, Schmerz und Unlust zu vermeiden
und nach Wohlbefinden und Lust zu suchen, wird im teleologischen Sinn als moralisch zu berücksichtigende Zwecktätigkeit angesehen.
c) Tom Regan weitet den Kreis noch weiter aus und schließt alle Lebewesen,
die Subjekt des Lebens sind, in die moralische Gemeinschaft ein17. Er geht davon aus, dass nicht nur schmerzempfindliche Lebewesen ein komplexes mentales
Leben und eine Form von Bewusstsein haben. Alle Tiere, die Wahrnehmungen,
Gefühle und Empfindungen haben, durch die sie ihrer Umwelt gewahr sind und
eine rudimentäre Form des Bewusstseins um ihr Sein in der Welt haben, sind als
Lebewesen mit Selbstzweck zu behandeln. Was mit ihnen, mit ihrem Körper, ihrer
Freiheit und ihrem Leben geschieht, hat für sie eine unmittelbare Relevanz, weil es
ihre Lebensinteressen betrifft. Auch wenn bei vielen tierlichen Spezies eine hohe
Evidenz besteht, dass ihre Individuen im Sinne von Regan Subjekt des Lebens sind,
besteht bei vielen tierlichen Spezies Unklarheit, ob es auf sie zutrifft und ob ihnen
ein Selbstzweck zukommt.
d) Martha Nussbaum hat aufbauend auf die Arbeiten des indischen Ökonomen
Amartya Sen den Fähigkeitenansatz entfaltet18. Die zentrale Frage ist dabei die Verwirklichung von Lebensqualität, die durch Entfaltung von Freiheit und nicht bloß
15
Eberhard Schockenhoff. 1997. Etica della vita. Un compendio teologico. Brescia: Queriniana,
40–43.
16
Jeremy Bentham. 1789. Introduction to the Principles of Morals and Legislation. London, 235
(trad. it.: Id. 1998. Introduzione ai principi della morale e della legislazione. Torino: UTET).
17
Tom Regan. 1983. The case for animal rights. Berkeley: University of California Press (trad.
it: Id. 1990. I diritti animali. Milano: Garzanti).
18
Martha C. Nussbaum. 2006. Frontiers of Justice: Disability, Nationality, Species Membership.
Cambridge: Harvard University Press (trad. it.: Id. 2007. Le nuove frontiere della giustizia. Disabilità,
nazionalità, appartenenza di specie. Bologna: Il Mulino).
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durch die Möglichkeit, Zugang zu Gütern zu haben, garantiert wird. Lebewesen
haben Fähigkeiten und streben danach, sie zu aktualisieren, um auf diese Weise
ein für sie gutes und gedeihliches Leben zu erreichen. Die philosophische Grundlage ist die aristotelische Ethik, wonach der Mensch nach Glückseligkeit strebt und
deshalb Grundhaltungen ausbildet und Handlungen setzt, die zur Erreichung dieses Zieles dienen. Das bedeutet, dass dem natürlichen Streben nach Glückseligkeit
durch Aktualisierung von spezifischen menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten eine ethische Relevanz zugeschrieben wird. Diesen teleologischen Ansatz weitet Nussbaum auf die Tiere aus. Sie geht davon aus, dass auch Tiere nach einem für
sie gedeihlichen Leben streben, indem sie ihre Lebensfunktionen und Fähigkeiten
aktualisieren und ihre vitalen Bedürfnisse befriedigen. Dies nicht zu verhindern,
sondern zu ermöglichen und zu fördern, ist ein ethischer Anspruch und eine Erfordernis der Gerechtigkeit gegenüber den Tieren.
e) Vertragstheoretische Ansätze weiten die Position von John Rawls (1921–
2002) auf die Tiere aus. In seiner Theorie zur Gerechtigkeit geht Rawls von einem
hypothetischen Szenario aus, in dem moralische oder politische Entscheidungen
hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ getroffen werden müssen, das heißt, man
weiß nicht, in welchem Status von Geschlecht, Rasse, Alter, Intelligenz, Vermögen, Fähigkeiten, Bildung und Religion man Teil der Vertragsgemeinschaft sein
wird. Den Anspruch auf Gerechtigkeit kann eine Vereinbarung dann haben, wenn
potentiell alle davon Betroffenen zustimmen können. Grundvoraussetzung für die
Teilnahme als Mitglied an diesem hypothetischen Szenario ist nach Rawls, dass
dieses Mitglied in der Lage sein muss, einen Vertrag zu verstehen und frei anzunehmen. Dementsprechend schließt Rawls Tiere ausdrücklich von diesem Ansatz
aus und räumt ein, dass dieses Konzept der Gerechtigkeit die Tiere nicht angemessen berücksichtigt. Nur diejenigen, die über rationale Fähigkeiten verfügen, würden von einer solchen Theorie profitieren. Eine Lösung für dieses Problem bieten
Vertragstheoretiker wie Mark Rowlands (1997) mit der These, dass Gerechtigkeit
auch die Übernahme von Verantwortung für die Folgen einer moralischen Handlung oder Haltung für andere Lebewesen erfordert. Obwohl Tiere nicht aktiv am
Vertragsabschluss teilnehmen könnten, müssten sie auf jeden Fall berücksichtigt
werden, da sie von den Folgen betroffen wären. Deshalb seien sie in das hypothetische Ausgangsszenario einzubeziehen. Ein christlicher Tierethiker, der diese
Position vertritt, ist Michael Rosenberger19. Ein zentraler Grund für ihn, Tiere in
19
Kösel.
Michael Rosenberger. 2015. Der Traum vom Frieden zwischen Mensch und Tier. München:
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (1)
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eine Theorie der Gerechtigkeit einzubeziehen, ist die Anerkennung der Würde von
Tieren. Würde bedeutet für ihn der intrinsische Wert eines jeden Lebewesens, der
es gebietet, jedes Lebewesen um seiner selbst willen zu respektieren.
Alle tierethischen Positionen weisen das Defizit auf, dass sie keine Antworten
auf den verantwortungsvollen Umgang mit den Pflanzen geben. Die biozentrischen
Positionen hingegen schließen auch die Pflanzenethik ein.
2.4. Biozentrische Ansätze
Die biozentrischen Ansätze stellen alle Lebewesen in den Fokus der moralischen
Verantwortung. Moralisch relevant sind nicht besondere Fähigkeiten oder die Zugehörigkeit zu einer Spezies, sondern die Tatsache, dass sich ein Lebewesen von der
unbelebten Natur unterscheidet und Leben in sich hat. Die Tatsache, dass ein Lebewesen lebt, ist ein hinreichender Grund, ihm gegenüber moralische Rücksichtnahme
zu fordern. Die biozentrischen Ansätze umfassen deshalb nicht nur Menschen und
Tiere, sondern auch die Pflanzen, Pilze, Algen, Bakterien usw.
a) Der bekannteste Vertreter des Biozentrismus ist Albert Schweitzer (1875–
1965). Von ihm stammt der Satz „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben,
das leben will“. Nach Schweitzer ist diese Einsicht eine fundamentale Tatsache des
Bewusstseins des Menschen. Im Unterschied zur neuzeitlichen Subjektphilosophie
im Sinne der Vorstellung eines wesentlich autonomen Erkenntnissubjekts betont
Schweitzer die Naturzusammenhänge, in die der Mensch wesentlich eingebunden
ist und ohne die er sich weder selbst verstehen noch leben kann20. Unter dem Eindruck der Gräuel des Zweiten Weltkrieges ist es Schweitzer ein Anliegen, eine neue
Ethik zu entfalten und das christliche Gebot der Liebe auszuweiten auf alle Lebewesen. Das Wesen der Liebe ist für ihn die Ehrfurcht vor dem Leben. Die Ehrfurcht
vor dem Leben ist für Schweitzer eine unbedingte ethische Forderung, vergleichbar
mit dem kategorischen Imperativ Kants. Um menschliche Willkür zu verhindern,
sprach sich Schweitzer dagegen aus, die unterschiedlichen Lebensstufen zu gewichten. Auf der praktischen Ebene führte dies jedoch zu unüberwindlichen Aporien: So wird von Schweitzer überliefert, dass er achtsam durch den Wald ging, um
keine Ameise zu zertreten, dass er zugleich aber nicht zögerte, Raubtiere abzuwehren und zu töten, die seine Hühner angegriffen haben. Der sittliche Anspruch
der Ehrfurcht vor dem Leben kann deshalb auf der Ebene der ethischen Prinzipien
und Grundhaltungen, nicht jedoch der sittlichen Normen angesiedelt werden. Als
20
Albert Schweitzer. 1957. Rispetto per la vita. Milano: Edizioni di Comunità.
80
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normative Richtschnur bezeichnet die Ehrfurcht vor dem Leben ein Ethos der gegenseitigen Achtung und der größtmöglichen Minimierung von Gewalt.
b) Paul W. Taylor (1923–2015) ist ein weiterer prominenter Vertreter des Biozentrismus21. Seine Grundlage ist ein teleologisches Naturverständnis. Alle Lebewesen streben bewusst oder unbewusst nach Selbsterhaltung und Reproduktion.
Die Achtung und Ermöglichung der Erfüllung dieser natürlichen Lebensziele ist
eine sittliche Forderung, die sich für den Menschen daraus ergibt, dass er dank
seiner Vernunft fähig ist, dieses zielgerichtete Streben als sinnvoll für diese Lebewesen selbst zu erkennen. Taylor22 unterscheidet vier unterschiedliche Formen
von Werten: (1) instrumenteller Wert: etwas ist für jemanden nützlich (zum Beispiel ein Werkzeug); (2) intrinsischer Wert (Intrinsic Value): etwas hat unabhängig
von seinem materiellen oder instrumentellen Wert eine emotionale oder ästhetische Bedeutung für jemanden (zum Beispiel ein Fotoalbum oder die Ausübung
eines Hobbys); (3) inhärenter Wert (Inherent Value): etwas hat einen Wert, der
unabhängig von der Beziehung zum Menschen ist, aber erst vom Menschen als
Wert erkannt wird (zum Beispiel eine schöne Naturlandschaft oder ein Kunstwerk); (4) Eigenwert (Inherent Worth): etwas hat einen Wert für sich selbst und ist
deshalb um seiner selbst willen moralisch berücksichtigungswürdig. Nach Taylor
kommt allen Lebewesen Eigenwert zu, insofern – im Unterschied zu einer Naturlandschaft oder zu einem Kunstwerk – ihr Dasein für sie selbst sinnvoll ist, da
mit dem Dasein unmittelbar die Potenz der zielgerichteten Eigenverwirklichung
gegeben ist. Sie sind durch ihr Dasein Mitglied der Gemeinschaft der Lebewesen, deren gemeinsamer Lebensraum die Erde ist, sodass sich daraus unmittelbare
Pflichten des Menschen ihnen gegenüber ergeben. Es ist Zufall, als welches Lebewesen bzw. auf welcher Lebensstufe und in welcher Spezies ein Lebewesen auf
die Welt kommt, sodass davon nicht der Grad seiner Schutzwürdigkeit abhängig
gemacht werden darf. Auch dem Menschen kommt kein angeborenes Recht zu,
sich über andere Lebewesen zu erhöhen. Taylor ist deshalb ein Vertreter des egalitären Biozentrismus, der allen Lebewesen den gleichen Eigenwert zugesteht. Er
lehnt Abstufungen des Eigenwertes in Bezug auf unterschiedliche Lebensstufen
und Spezies ab, sondern erkennt lediglich an, dass Lebewesen in Bezug auf das
eigene Überleben (zum Beispiel Ernährung oder Selbstverteidigung) unterschiedlich behandelt werden dürfen.
21
Paul W. Taylor. 1981. “The Ethics of Respect for Nature”. Environmental Ethics (3) : 197–218;
Paul W. Taylor. 1986. Respect for nature. A theory of environmental ethics. Princeton – New Jersey:
Princeton University Press.
22
Taylor. 1981. “The Ethics of Respect for Nature”.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (1)
81
c) Eine Abstufung des Eigenwertes von Lebewesen entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Lebensstufen (scala naturae), Spezies, Fähigkeiten etc. vertritt der hierarchische Biozentrismus. Er repräsentiert einen gemäßigten
Biozentrismus, den beispielsweise Friedo Ricken (1934–2021) vertritt. Nach ihm
sind alle Lebewesen Subjekt von Zwecken und haben ein praktisches Selbstverhältnis23. Der Eigenwert, der sich daraus ergibt, kommt allen Lebewesen nicht in
einem univoken, sondern in einem analogen Sinn zu, da bei der Abwägung von
Interessen die Ranghöhe des unterschiedlichen Selbstverhältnisses der Organismen
(im Sinne der scala naturae) zu berücksichtigen ist. Damit will Ricken die Aporien
auflösen, die sich aus dem egalitären Biozentrismus ergeben und die vernünftig begründete Gewichtungen von Interessen und Bedürfnissen der Menschen der einen
und der nichtmenschlichen Lebewesen auf der anderen Seite kaum zulassen. Allerdings erfolgt die Abwägung im gemäßigten biozentrischen Ansatz nach Kriterien
der menschlichen Vernunft. Deshalb gibt es zwischen dem weiter oben dargestellten gemäßigten Anthropozentrismus und dem gemäßigten Biozentrismus fließende Übergänge. Beiden Positionen ist gemein, dass sie erstens die Ausweitung der
menschlichen Verantwortung auf alle Lebewesen durch die Vernunft- und Moralfähigkeit begründen – und in diesem Sinne dem Menschen eine Sonderstellung
zuerkennen – und dass zweitens die immanente Teleologie der nichtmenschlichen
Lebewesen als moralisch relevant gewertet wird, sodass alle Lebewesen um ihrer
selbst wegen moralisch berücksichtigenswert sind24.
Die biozentrischen Ansätze beziehen nicht nur Tiere, sondern auch die Pflanzen
ein. Allerdings besteht im Unterschied zu der großen Bandbreite von tierethischen
Ansätzen noch das Defizit einer Pflanzenethik, nicht nur, aber besonders im Kontext der Anwendung der Gentechnologie auf die Pflanzen25.
2.5. Ökozentrische Ansätze
Im Unterschied zu den biozentrischen Ansätzen, die sich insgesamt dadurch
auszeichnen, dass sie von einem moralischen Status von Individuen ausgehen,
schreiben ökozentrische Ansätze auch den Spezies, den Ökosystemen, der un23
Friedo Ricken. 1987. „Anthropozentrismus oder Biozentrismus? Begründungsprobleme der
ökologischen Ethik“. Theologie und Philosophie (62) : 1–21.
24
Schockenhoff. 1997. Etica della vita. Un compendio teologico, 410.
Hans J. Münk. 2013. Welchen moralischen Status für Pflanzen? In Wo steht die Umweltethik?
Argumentationsmuster im Wandel. Hg. Markus Vogt u.a., 165–186. Marburg: Metropolis; Sabine Odparlik. 2014. Die Würde der Pflanze. Ein sinnvolles ethisches Prinzip im Kontext der Grünen Gentechnik? Baden Baden: Alber; Marcello Di Paola, Gianfranco Pellegrino. 2019. Etica e politica delle
piante. Bologna: Derive Approdi.
25
82
Martin M. Lintner
belebten Natur, der Biosphäre etc. einen moralischen Status zu. Sie werden deshalb auch als physiozentrische (gr. physis = Natur) oder holistische (gr. holos =
ganz) Ansätze bezeichnet. Neben den individuellen Lebewesen wird auch den
ökologischen Entitäten und überindividuellen Gesamtheiten wie Spezies, Biozönosen (Gemeinschaften von Organismen unterschiedlicher Spezies), Biotopen
(gemeinsame Lebensräume für Organismen unterschiedlicher Spezies, die voneinander abhängen) ein Eigenwert zugeschrieben, den der Mensch achten und
respektieren muss.
a) Ein erster ökozentrischer Ansatz betont, dass Individuen nicht überleben können, wenn sie nicht in intakte Lebensräume und Ökosysteme eingebunden sind,
die eine Einheit bilden und die durch die komplexe Vernetzung von funktionalen
Zusammenhängen von organischen und anorganischen Wechselwirkungen geprägt
sind. Diese Form anerkennt nicht nur den ökologischen Gesamtheiten, sondern
auch den Individuen einen Eigenwert zu (ökozentrischer Pluralismus). Der ökologische Imperativ, den Hans Jonas (1903–1993) formuliert hat, kann von dessen
Intention her diesem Ansatz zugeordnet werden, da er bewusst einen anti-anthropozentrischen Ansatz entwirft26. Sein Ausgangspunkt ist die Kritik am Anthropozentrismus, den er als Ursache der Umweltkrise sieht. Er verlangt die Ausweitung der
Verantwortung des Menschen auf alle Lebewesen, von denen er annimmt, dass ihre
Existenz einen moralischen Anspruch an den Menschen richtet. Dieser Anspruch
liegt in der Zweckmäßigkeit der Lebewesen, die ein unbedingtes, von instrumentellen Zwecken unabhängiges Gut darstellen. Allerdings entfaltet er keinen systematischen Ansatz, um den moralischen Anspruch von unterschiedlichsten Lebewesen
zu differenzieren, sondern spricht lediglich von der Verantwortung des Menschen,
die Zukunft der zweckmäßigen Lebewesen nicht zu gefährden. Dazu zählt er wesentlich den Erhalt der naturalen Lebensbedingungen und formuliert einen ökologischen Imperativ: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind
mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf der Erde“, und: „Gefährde
nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit“27. Da es
Jonas um die Zukunft der Menschheit geht, wird sein Ansatz von manchen Autoren
dem gemäßigten Anthropozentrismus zugerechnet. Die Formulierung des ökologischen Imperativs zeigt jedenfalls, dass die von Jonas bewusst als anti-anthropozentrisch verstandene ökozentrische Perspektive auf einem epistemischen Wertanth26
Hans Jonas. 1979. Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (trad. it.: Id. 2002. Il principio responsabilità. Un’etica per la
civiltà tecnologica. Bologna: Biblioteca Einaudi).
27
Jonas. 1979. Das Prinzip Verantwortung, 36.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (1)
83
ropozentrismus beruht. Entscheidend sind bei ihm die Einbeziehung der künftigen
Lebensbedingungen und damit die Berücksichtigung der kurz- wie langfristigen
Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die natürlichen Lebensbedingungen
des Menschen und aller Lebewesen.
b) Monistische ökozentrische Ansätze hingegen erkennen nur den überindividuellen Gesamtheiten einen ethisch relevanten Wert zu, und zwar unabhängig von ihrer Funktion für das Überleben von Organismen. Individuen werden als „Einzelteile“ von ökologischen Gesamtheiten angesehen und es wird ihnen nur insofern ein
moralischer Wert zuerkannt, als dass sie zur Existenz und zum Wohlergehen dieser
Gesamtheiten beitragen. Falls Individuen ihren diesbezüglichen Nutzwert verlieren, können sie auch verschwinden. Eine radikale Form vertritt Ulrich Horstmann
als Reaktion auf die Umweltkrise und den dramatischen Verlust von Biodiversität,
die beide von den Menschen verursacht sind. Der Mensch habe sich selbst durch
sein umweltzerstörerisches Verhalten, durch welches er nicht nur seine eigenen,
sondern auch die Lebensgrundlagen aller anderen Spezies zerstört, das Existenzrecht abgesprochen. Um die Natur zu schützen, müsse die menschliche Spezies
verschwinden. Horstmann spricht von einer anthropofugalen Perspektive, die der
Mensch einnehmen müsse28.
c) Eine frühe ökozentrische Position stellt die Landethik von Aldo Leopold
dar, die von John Braid Callicott neu aufgegriffen und vertieft worden ist29. Leopold forderte bereits um die Mitte des 20. Jahrhunderts, den wissenschaftlichen
Fortschritt mit den ethischen Anforderungen gegenüber der Umwelt zu harmonisieren. Der Mensch müsse Mediator zwischen den Interessen der Ökonomie und
der Wissenschaften auf der einen und der Natur auf der anderen Seite sein. Er erweiterte das Konzept des Gemeinwohls. Dieses kann nur garantiert werden, wenn
Böden, Wasser, Pflanzen und Tiere – also das ganze Land – einbezogen werden.
Das Land bildet eine integrale biotische Gemeinschaft und ist Lebensgrundlage
für die Lebewesen. Deshalb kommt ihm als dem grundlegenderen Gut im Konfliktfall gegenüber den einzelnen Lebewesen eine höhere Schutzwürdigkeit zu.
Dieser Ansatz dient heute vor allem in den Bereichen des Wildtiermanagements
28
Ulrich Horstmann. 1983. Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
29
Aldo Leopold. 1949. A Sand County Almanac and Sketches Here and There. London: Oxford
University Press; John Baird Callicott. 1984. “Non-Anthropocentric Value Theory and Environmental
Ethics”. American Philosophy Quarterly (21) : 299–309; S. Bartolommei. 1991. “L’“etica della terra”
di Aldo Leopold”. Global Bioethics 3 (10) : 61–70.
84
Martin M. Lintner
und des Schutzes von Wildnisgebieten als Grundlage. So wird argumentiert, dass
beispielsweise Wildtierpopulationen reguliert werden dürfen, wenn es um den
Schutz von Habitaten geht, oder dass eine Tierart zum Schutz einer anderen reguliert werden darf.
d) Zu den ökozentrischen Ansätzen zählt auch die Deep Ecology30. Sie wurde
in den 1970er Jahren von Arne Dekke Eide Næss (1912–2009) entwickelt31. Wie
die Bezeichnung zum Ausdruck bringt, wollte er sich von umweltethischen Maßnahmen abgrenzen, die seines Erachtens nicht die tieferen Wurzeln der Umweltkrise benennen und in Angriff nehmen. Er sieht deren Ursache in der Entfremdung des Menschen von der Natur sowie darin, dass der Mensch die komplexen
Zusammenhänge zwischen ökologischen, sozialen, politischen und spirituellen
Entwicklungen verkennt. Nach Næss ist es erforderlich, dass sich der Mensch
wieder als Teil der Natur versteht, eingebettet in die naturalen Zusammenhänge,
und dass er die Natur nicht nur als Ressource für die Befriedigung menschlicher
Interessen und Bedürfnisse sieht, sondern dass er das Bewusstsein um die tiefe
Verbundenheit aller Lebewesen mit der gesamten Natur, das in archaischen Gesellschaften und in spirituellen Traditionen bewahrt wird, neu entdeckt. Die Deep
Ecology hat deshalb eine geistig-spirituelle Dimension. Die Erde ist nicht ein
Ort begrenzter Ressourcen, sondern ein lebendiger Lebensraum, der großzügig
eine Fülle von Lebensmöglichkeiten anbietet. Im übertragenen Sinne wird der
Begriff des Lebendigen von den Lebewesen auf Ökosysteme und auf die ganze
Erde ausgeweitet.
e) Die Vorstellung von der gesamten Erde als eine lebendige Größe findet
sich auch in der Gaia-Hypothese, die ebenfalls in den 1970er Jahren von James
Lovelock (1919–2022) und Lynn Sagan (1938–2011) entwickelt wurde32. Die
Erde und die Biosphäre werden als eine dynamische Einheit gesehen, die Leben
und die Entwicklung komplexer Organismen ermöglicht und die selbst wie eine
lebendige Größe behandelt werden kann. Mit der Bezeichnung Gaia in Anlehnung an den Namen der Großen Mutter in der griechischen Mythologie werden
die Erde und ihre Biosphäre als guter Lebensraum angesehen. Vergleichbar mit
30
Arne Dekke Eide Næss u.a. 2005. Deep ecology of wisdom. Explorations in unities of nature
and cultures, selected papers. Dordrecht: Springer.
31
Arne Dekke Eide Næss. 1973. “The Shallow and the Deep, Long-Range Ecology Movement.
A Summary”. Inquiry (16) : 95–100.
32
James Lovelock, Lynn Sagan. 1974. “Atmospheric homeostasis by and for the biosphere: the
Gaia hypothesis”. Tellus 26 (1–2) : 2–10.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (1)
85
einem individuellen Organismus kann unser Planet als eine Art fragiler lebender
Organismus angesehen werden und soll als solcher behandelt werden.
f) Auch wenn die Gaia-Hypothese selbst das Bild der Erde als einem lebendigen
Organismus als Metapher versteht, steht sie in der Nähe zu animistischen Weltbildern, die in archaischen und ethnischen Religionen von Ureinwohnern Nord-,
Mittel- und Südamerikas vertreten werden. Demnach ist die Erde nicht nur Lebensraum, sondern selbst eine beseelte Größe, die schmerzempfindlich ist und leidet,
wenn ihr durch die Umweltzerstörung Wunden zugefügt werden. Ein Beispiel hierfür ist die in den Andenregionen weit verbreitete Verehrung der Pachamama. Die
Erde, symbolisiert durch die Fruchtbarkeitsgöttin Pachamama, die als knieende
schwangere Frau dargestellt wird, wird als Mutter betrachtet, die Leben schenken
(durch die Fruchtbarkeit der Erde) und zerstören kann (durch Naturkatastrophen),
sondern die auch selbst verwundbar ist und verletzt werden kann. Die Natur wird in
diesem Sinne als ein Subjekt verstanden, das das Recht hat, geschützt zu werden. In
Bolivien und in Ecuador wurde der Rechtsanspruch der Natur, von den Menschen
bewahrt und achtsam behandelt zu werden, in die Verfassung aufgenommen. In
Kolumbien wurde dem Fluss Atrato und dem kolumbianischen Amazonasgebiet
gerichtlich der Status einer Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Diese Auffassungen
haben auch außerhalb der Andenregionen und unabhängig von animistischen Weltbildern die juristische Debatte angeregt, ob bzw. inwieweit die Natur auch in einer
säkularen Rechtsordnung als Rechtssubjekt angesehen werden kann33.
g) Zu den ökozentrischen Positionen zählen auch die seit den 1980er Jahren
entfalteten ökofeministischen Ansätze34. Der Begriff „Ökofeminismus“ wurde von
der französischen Frauenrechtlichen Françoise d’Eaubonne (1920–2005) geprägt35.
Es handelt sich dabei um eine Bandbreite von heterogenen Positionen, denen gemeinsam ist, dass sie die ökologischen und feministischen Fragen miteinander
verbinden. Als gemeinsame Wurzel der Zerstörung der Umwelt und der sozialen
Unterdrückung von Frauen und marginalisierten Gruppen wird das System des
patriarchalen Kapitalismus ausgemacht. Patriarchat und Kapitalismus werden als
33
Jan Darpö. 2021. Can Nature get it Right? A Study on Rights of Nature in the European Context. Study requested by the JURI committee. Brussels; Marie-Christine Fuchs, Levon Theisen. 2021.
“La naturaleza como sujeto de derecho”. Análisis y argumentos (443) : 1–10.
34
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Id. 1995. Gaia e Dio. Una teologia ecofemminista per la guarigione della Terra. Brescia: Queriniana).
35
Françoise d’Eaubonne. 1974. Le Féminisme Ou La Mort. Paris: Horay.
86
Martin M. Lintner
die zwei Seiten der einen Medaille eines ausbeuterischen Herrschaftssystems verstanden. Ökofeministische Positionen weisen darauf hin, dass die globalen Auswirkungen der Umweltzerstörung ungleich verteilt sind und besonders die Länder
des Südens und hier wiederum besonders die Frauen betreffen. Obwohl in den agrarischen Gesellschaften im globalen Süden mehrheitlich die Frauen für die Nahrungsproduktion für ihre Familien verantwortlich sind, sind sie in den politischen
und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien kaum vertreten und haben nur einen
begrenzten Zugang zu den landwirtschaftlichen Flächen. Die ökofeministischen
Positionen verlangen einen umfassenden Systemwechsel. Das Denken und Handeln des Menschen soll nicht durch asymmetrische Herrschaftsverhältnisse, Wettstreit und Polarisierung (wie Mensch vs. Natur, Mann vs. Frau, globaler Norden vs.
globaler Süden etc.), sondern durch Kommunikation, Zusammenarbeit, Solidarität,
Verantwortung füreinander, Fürsorge und spirituelle Verbundenheit aller Menschen
untereinander und der Menschen mit der Natur geprägt sein.
Neben moderaten gibt es auch radikale Formen des Ökofeminismus. Eine Strömung betont den essentialistischen Unterschied von Mann und Frau und vertritt die
Position, dass Frauen aufgrund der potenziellen Gebärfähigkeit des Frauenkörpers
der Natur und den naturalen Kreisläufen näher stehen als die Männer und deshalb
die Entfremdung zwischen Mensch und Natur bzw. die Natur-Kultur-Dichotomie
leichter überwinden können. Andere ökofeministische Strömungen praktizieren
erdbezogene Formen der Spiritualität (Earth Based Spiritualities). Sie lehnen die
monotheistischen Religionen als transzendenzbezogene, patriarchal geprägte Religionen mit einem hohen Gewaltpotential ab, stattdessen wird die Erde als weibliche immanente Gottheit verehrt36.
*
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Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (1)
*
Zusammenfassung: Beim Anthropozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus
handelt es sich um unterschiedliche weltanschauliche und naturethische Modelle. Es sind
philosophische Positionen, die das Selbstverständnis des Menschen in seiner Beziehung zu
den nichtmenschlichen Lebewesen und zur Natur zum Ausdruck bringen und die eine ethische Relevanz haben, besonders im Kontext der Bio-, Tier- und Umweltethik. Dabei geht es
um die Frage, wer und was zum moralischen Kosmos dazugehört. In den genannten Positionen wird dies unterschiedlich eng oder breit gefasst. Im Folgenden werden im Detail die
unterschiedlichen umweltethischen Modelle und Denkpositionen vorgestellt.
Schlüsselworte: Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus.
Streszczenie: Antropocentryzm, biocentryzm, ekocentryzm (1). W przypadku antropocentryzmu, biocentryzmu i ekocentryzmu chodzi o różne modele światopoglądowe
i etyczne. Są to stanowiska filozoficzne, które wyrażają rozumienie przez człowieka jego
relacji do pozaludzkich stworzeń i natury, i mają znaczenie w zakresie etyki, szczególnie
w kontekście etyki zwierząt, etyki środowiska naturalnego i bioetyki. Chodzi przy tym
o pytanie o to, kto i co należy do obszaru moralności. Odpowiedź na to pytanie jest we
wspomnianych stanowiskach formułowana albo wąsko, albo szeroko. Niniejszy artykuł
w szczegółach prezentuje różne modele i stanowiska w zakresie etyki środowiska naturalnego.
Słowa kluczowe: antropocentryzm, biocentryzm, ekocentryzm.
Abstract: Anthropocentrism, Biocentrism, Ecocentrism (1). The matter of anthropocentrism, biocentrism and ecocentrism are different worldview and ethics models. There
are philosophical positions, which express the self-understanding of man in relation to the
non-human beings and nature, and which are relevant for the ethics, especially for the ethics
of animals, ethics of environment and bioethics. It is about the question of who and what
belong to the space of morality. The answer to this question in the mentioned positions
is formulated either narrowly or widely. The presented article presents in details different
models and positions in the field of ethics of environment.
Keywords: Anthropocentrism, Biocentrism, Ecocentrism.
89
Studia Teologiczno-Historyczne
Śląska Opolskiego 44 (2024), nr 1
DOI: 10.25167/sth.5280
Martin M. Lintner
Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen/Bressanone
https://orcid.org/0000-0001-9950-4804
[email protected]
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
1. Anthropozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus in lehramtlichen Dokumenten – 2. Systematische Zusammenfassung
Im Folgenden wird der zweite Teil eines Lexikoneintrags des Autors für Nuovo
dizionario di Bioetica abgedruckt. Im ersten Teil (siehe vorherige Ausgabe dieser
Zeitschrift) wurden im Detail die unterschiedlichen umweltethischen Modelle und
Denkpositionen vorgestellt. Der zweite Teil analysiert die lehramtlichen Texte von
Gaudium et spes bis zu den Dokumenten von Papst Franziskus und unterzieht die
verschiedenen Positionen einer kritischen Würdigung.
1. Anthropozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus in lehramtlichen
Dokumenten
Das christliche Welt- und Menschenbild wird herkömmlich mit dem anthropozentrischen Ansatz identifiziert, wie im Folgenden anhand von Gaudium et spes
(1965), Centesimus annus (1991), dem Katechismus der Katholischen Kirche
(1997) und dem Kompendium der Soziallehre der Kirche (2006) aufgezeigt werden
soll. Erst in Laudato si’ (2015) findet sich eine differenzierte Sichtweise und eine
explizite Kritik an bestimmten Formen des Anthropozentrismus.
12
Martin M. Lintner
1.1. Zweites Vatikanisches Konzil: Gaudium et spes (1965)
Das Zweite Vatikanische Konzil hält in der pastoralen Konstitution GS fest: „Es
ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und der Nichtgläubigen, dass alles auf
Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hinzuordnen ist“1. Das
Konzil will sich dennoch von zwei gegensätzlichen Extrempositionen abgrenzen:
einerseits davon, dass sich der Mensch zum höchsten Maßstab macht, andererseits
davon, dass er sich bis zur Hoffnungslosigkeit abwertet2. Begründet wird diese
Sichtweise mit Verweis auf die Heilige Schrift: Diese
lehrt nämlich, dass der Mensch ‚nach dem Bild Gottes‘ geschaffen ist, fähig, seinen
Schöpfer zu erkennen und zu lieben, von ihm zum Herrn über alle irdischen Geschöpfe gesetzt (vgl. Gen 1,26; Weish 2,23), um sie in Verherrlichung Gottes zu beherrschen und zu nutzen (vgl. Sir 17,3-10)3.
In weiterer Folge wird die anthropozentrische Position wiederholt: „Der Mensch
ist auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur“4, und:
Gott schuf die ganze Schöpfung um des Menschen willen5. Daher bringt das Konzil
die wachsende Überzeugung zum Ausdruck, „dass die Menschheit (…) ihre Herrschaft über die Schöpfung immer weiter verstärken kann und muss“6. Verbunden
damit soll die Menschheit „eine politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung
schaffen, die immer besser im Dienst des Menschen steht und die dem Einzelnen
wie den Gruppen dazu hilft, die ihnen eigene Würde zu behaupten und zu entfalten“7. Obwohl es zur damaligen Zeit bereits erste Anzeichen der Umweltkrise gab
und beispielsweise Leopold eine ökozentrische Wende eingemahnt hatte, spielte
diese Thematik beim Konzil noch keine Rolle.
Eine Relativierung erfährt die anthropozentrische Sicht dadurch, dass die Herrschaft
des Menschen über alle irdischen Geschöpfe der Verherrlichung Gottes dienen soll8
1
Zweites Vatikanisches Konzil. 1965. Pastorale Konstitution Gaudium et spes über die Kirche in
der Welt von heute. Vatikan: LEV (weiter: GS), Nr. 12.
2
Vgl. Ebd.
3
Ebd.
4
GS 24.
5
Vgl. GS 39.
6
GS 9.
7
Ebd.
8
Vgl. GS 12.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
13
und dass die anthropozentrische letztlich durch eine christozentrische Sicht abgelöst
wird9. Christus ist „der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte“10, der „neue Mensch“11, „der Punkt, auf den hin alle Bestrebungen der
Geschichte und der Kultur konvergieren, der Mittelpunkt der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte“12. Dennoch ist auffällig, dass das
Konzil weder eine kritische Exegese des Herrschaftsauftrags in Gen 1,26-28 vornimmt
noch den in Gen 2,15 überlieferten Auftrag, dass der Mensch die Erde wie einen Garten
bebauen und hüten solle, anführt. Es findet sich sogar die ambivalente Aussage, dass
der Mensch berufen sei, durch seine Arbeit und den technologischen Fortschritt „die
Schöpfung zu vollenden“13.
1.2. Johannes Paul II.
Das Pontifikat von Johannes Paul II. dauerte von 1978 bis 2005. In diesen Jahrzehnten ist die ökologische Krise in aller Dramatik deutlich geworden. Wiederholt
hat sich der Papst mit der Problematik auseinandergesetzt und die unbesonnene
Zerstörung der natürlichen Umwelt angeprangert. Die Umweltkrise ist für ihn Folge einer dreifachen Entfremdung: von sich selbst, von der Natur und von Gott.
Wenn der Mensch seinen Bezug zu Gott verliert, nach dessen Willen er Hüter, nicht
Ausbeuter und Zerstörer der Umwelt sein soll, beginnt er, die Natur skrupellos
den eigenen Zwecken unterzuordnen14. Der Papst beklagte also den Verlust der
theozentrischen Perspektive als Ursache dafür, dass der Mensch einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur verlernt hat15, und spricht von einem „anthropologischen Irrtum“:
Der Mensch, der seine Fähigkeit entdeckt, mit seiner Arbeit die Welt umzugestalten
und in einem gewissen Sinne neu zu „schaffen“, vergisst, dass sich das immer nur
auf der Grundlage der ersten Ur-Schenkung der Dinge von Seiten Gottes ereignet.
9
Andreas Lienkamp. 2016. Schöpfung und Ökologie in Gaudium et spes. Eine Relecture aus
christlich-umweltethischer Perspektive. In Vaticanum 21. Die bleibenden Aufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils im 21. Jahrhundert. Ed. Christoph Böttigheimer, René Dausner, 586–613. Freiburg
i. Br.: Herder.
10
GS 10.
11
GS 22.
12
GS 45.
13
GS 57.
14
Johannes Paul II. 1979. Enzyklika Redemptoris hominis. Vatican: LEV, Nr. 15.
15
Johannes Paul II. 1987. Enzyklika Sollicitudo rei socialis. Vatican: LEV, Nr. 34.
14
Martin M. Lintner
Der Mensch meint, willkürlich über die Erde verfügen zu können, indem er sie
ohne Vorbehalte seinem Willen unterwirft, als hätte sie nicht eine eigene Gestalt
und eine ihr vorher von Gott verliehene Bestimmung, die der Mensch entfalten
kann, aber nicht verraten darf. Statt seine Aufgabe als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verwirklichen, setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes und ruft
dadurch schließlich die Auflehnung der Natur hervor, die von ihm mehr tyrannisiert
als verwaltet wird16.
Nur wenn der Mensch wieder ein ausgeglichenes Verhältnis zu sich, zur Natur und
zu Gott findet, wird er die Umweltkrise überwinden. Unter dem Stichwort der „Humanökologie“ forderte der Papst die Wahrung der moralischen Bedingungen, denn
neben der sinnlosen Umweltzerstörung erachtete er die Zerstörung der menschlichen
Umwelt (besonders der Ehe und Familie) als noch schwerwiegender17. Ausdrücklich
lehnt Johannes Paul II. den Biozentrismus und den Ökozentrismus ab, da diese dazu
führen würden, jede ontologische und wertmäßige Unterscheidung zwischen dem
Menschen und den anderen Lebewesen abzuschaffen18.
1.3. Der Katechismus der Katholischen Kirche (1997)
Im Kontext der Auslegung des Glaubensbekenntnisses heißt es im Absatz über
den Menschen, dass er „in der Schöpfung eine einzigartige Stellung einnimmt“19,
die unter anderem dadurch begründet wird, dass er nach dem Bild Gottes geschaffen ist sowie die geistige und materielle Welt in seiner Natur vereint20 und dass er
von allen irdischen Geschöpfen das einzige ist, dass fähig ist, Gott zu erkennen und
zu lieben21. Wiederholt wird die Aussage aus GS 24, dass der Mensch ,,auf Erden
das einzige Geschöpf (ist), das Gott um seiner selbst willen gewollt hat“22, und dass
„Gott alles für den Menschen erschaffen hat“23.
16
Johannes Paul II. 1991. Enzyklika Centesimus annus. Vatican: LEV, Nr. 37.
17
Ebd. 38
18
Johannes Paul II. 1997. Discorso ai partecipanti ad un convegno su ambiente e salute (24.
März). Vatican: LEV, Nr. 5.
19
1997. Katechismus der Katholischen Kirche. Vatican: LEV (weiter: KKK), Nr. 355.
20
Vgl. ebd.
21
KKK 356.
22
Ebd.
23
KKK 358.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
15
Im Rahmen der Ausführungen zum Dekalog wird im Kapitel über das siebte
Gebot („Du sollst nicht stehlen“) die Achtung der Unversehrtheit der Natur als ein
Erfordernis der Achtung des Gemeinwohls und der Güter verlangt.
Tiere, Pflanzen und leblose Wesen sind von Natur aus zum gemeinsamen Wohl der
Menschheit von gestern, heute und morgen bestimmt (…). Die Bodenschätze, die
Pflanzen und die Tiere der Welt dürfen nicht ohne Rücksicht auf sittliche Forderungen genutzt werden. Die Herrschaft über die belebte und die unbelebte Natur, die der
Schöpfer dem Menschen übertragen hat, ist nicht absolut; sie wird gemessen an der
Sorge um die Lebensqualität des Nächsten, wozu auch die künftigen Generationen
zählen; sie verlangt Ehrfurcht vor der Unversehrtheit der Schöpfung24.
Gegenüber den Tieren wird eine Grundhaltung des Wohlwollens gefordert,
da sie Ausdruck der fürsorgenden Vorsehung Gottes sind und da sie „schon allein durch ihr Dasein Gott preisen und verherrlichen“25. Wiederum mit Verweis auf
die biblischen Schöpfungserzählungen wird legitimiert, dass der Mensch Tiere zur
Produktion von tierlichen Produkten wie Nahrung oder Kleidung nutze, aber auch
für medizinische und wissenschaftliche Zwecke. Es wird zwar darauf hingewiesen,
dass es hierfür „vernünftige Grenzen gibt“, diese werden aber nicht spezifiziert26.
Ähnlich dem Argument Kants wird es abgelehnt, Tiere nutzlos leiden zu lassen
und zu töten, weil dies „der Würde des Menschen widerspricht“27. Auch wenn insgesamt die Umweltproblematik bereits eine Rolle spielt, wird die Forderung, die
Unversehrtheit der Schöpfung zu achten, dem Wohl des Menschen sowie der Sorge
um die Lebensqualität auch der künftigen Generationen zugeordnet.
1.4. Das Kompendium der Soziallehre der Kirche (2006)
Diese Grundtendenz wird im Kompendium der Soziallehre der Kirche fortgeschrieben. Hier wird der Mensch sogar ausdrücklich als „Krone der Schöpfung“
bezeichnet28. Gott habe den Menschen „auf den Gipfel seiner Schöpfung“ gestellt29.
24
KKK 2415.
25
KKK 2416.
26
KKK 2417.
27
KKK 2418.
Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden. 2005. Kompendium der Soziallehre der Kirche.
Vatikan: LEV, Nr. 36.
28
29
Ebd. 451.
16
Martin M. Lintner
Dem Umweltschutz wird ausführlich ein gesamtes Kapitel (nn. 451–487) gewidmet, wobei auch hier die bereits genannte Sicht weitergeschrieben wird, dass es in
erster Linie nicht um darum geht, direkte Pflichten des Menschen gegenüber der
Natur und den nichtmenschlichen Lebewesen einzufordern, sondern um die „gemeinsame und allumfassende Pflicht, ein gemeinschaftliches Gut zu achten“30. Tiere und Pflanzen werden wie bereits im Katechismus der Katholischen Kirche undifferenziert zusammen mit den unbelebten Naturelementen angeführt31. Ausdrücklich
abgelehnt wird „eine von Ökozentrismus und Biozentrismus inspirierte Sicht der
Umwelt“32. Folgende Argumente lassen sich herausarbeiten: (1) Die Natur sei zwar
nicht bloßes Objekt von Manipulation und Ausbeutung, sie dürfe aber auch nicht
verabsolutiert werden, indem sie über den Menschen gestellt wird33; (2) manche
ökologische Bewegungen würden die Natur oder die Erde vergöttlichen34; (3) der
Biozentrismus würde die „Aufhebung der seinsmäßigen und wertbezüglichen Unterschiede zwischen dem Menschen und anderen Lebewesen“ proklamieren und
„die höhere Verantwortung des Menschen zugunsten einer gleichmacherischen Betrachtungsweise der «Würde» aller Lebewesen aufheben“35; (4) der Ökozentrismus
würde „die Biosphäre zu einer wertundifferenzierten biotischen Einheit“36 machen;
(5) Öko- und Biozentrismus würden letztlich Ausdruck des Verlusts einer theozentrischen Sicht und des Transzendenzbezugs des Menschen sein37.
1.5. Benedikt XVI.
Auch Benedikt XVI. nahm wiederholt Stellung zur ökologischen Krise, die
er als Folge des Verlusts der moralischen Grundlagen ansah. Daher müsse der
Mensch
immer die Wechselbeziehung zwischen der natürlichen Ökologie, d.h. der Achtung
vor der Natur, und der Humanökologie im Auge behalten. Die Erfahrung zeigt, dass
30
Ebd. 466.
31
Ebd.
32
Ebd. 463.
33
Ebd.
34
Ebd.
35
Ebd.
36
Ebd.
37
Ebd. 464.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
17
jeder respektlose Umgang mit der Umwelt zu einer Beeinträchtigung des menschlichen Zusammenlebens führt und umgekehrt38.
Der Papst würdigte die ökologischen Bewegungen, denn „jungen Menschen
war bewusst geworden, dass irgendetwas in unserem Umgang mit der Natur nicht
stimmt. Dass Materie nicht nur Material für unser Machen ist, sondern dass die
Erde selbst ihre Würde in sich trägt und wir ihrer Weisung folgen müssen. (…) Wir
müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten“39. Benedikt
XVI. wiederholte die Bedenken gegenüber einer Sicht der Umwelt, die vom Ökound Biozentrismus geprägt ist,
weil eine solche Sicht den Seins- und Wertunterschied zwischen der menschlichen
Person und den übrigen Lebewesen eliminiert. Damit wird de facto die höhere Identität und Rolle des Menschen verneint und einer egalitären Sicht der «Würde» aller Lebewesen Vorschub geleistet. Das öffnet einem neuen Pantheismus mit neuheidnischen
Akzenten, die das Heil des Menschen allein von einer rein naturalistisch verstandenen
Natur herleiten, die Türen40.
1.6. Franziskus: Laudato si’ (2015) und Laudate Deum (2023)
Anlass von Laudato si’, die als erste „Umweltenzyklika“ bezeichnet wird, war
die Klimakonferenz in Paris im November 2015. Die Sorge von Papst Franziskus
bezieht sich auf die Menschen, die unter den Auswirkungen der Umweltzerstörung und der globalen Klimaerwärmung leiden. In diesem Sinne reiht sich die
Enzyklika ein in die Sozialenzykliken der Kirche. Differenzierter als seine Vorgänger nimmt Franziskus jedoch eine Kritik des anthropozentrischen Weltbildes
vor. Er kritisiert einen „despotischen“ und „fehlgeleiteten“ Anthropozentrismus,
der sich nicht um die anderen Geschöpfe kümmert und deren Eigenwert nicht anerkennt41. Den Eigenwert eines jeden Geschöpfs, von dem er wiederholt spricht42,
begründet er darin, dass jedes Geschöpf eine eigene Güte und Vollkommenheit
besitzt und auf seine Art einen Strahl der unendlichen Weisheit und Güte Gottes
38
Benedikt XVI. 2007. Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages. Vatican: LEV, Nr. 8.
Benedikt XVI. 2011. Ansprache beim Besuch des Deutschen Bundestages (22. September).
Vatican: LEV.
39
40
Benedikt XVI. 2010. Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages. Vatican: LEV, Nr. 13.
41
Vgl. Franziskus. 2015. Enzyklika Laudato Si’. Vatican: LEV (weiter: LS), Nr. 68–69.
42
LS 16, 33, 69, 118, 208.
18
Martin M. Lintner
widerspiegelt, sodass es nie nur auf einen Nutzen für den Menschen reduziert
werden darf. Auch wenn zum Beispiel viele Arten von Tieren und Pflanzen für
den Menschen eine nutzbare Ressource darstellen, sind sie immer mehr als bloß
das43. Franziskus spricht von einem „Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein“44.
Auch betont er, dass die außermenschliche Natur nicht nur für den Menschen geschaffen worden ist („Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir“45)
und dass das Ziel der Schöpfung die Vollendung in Gott ist, weshalb er die Metapher einer „Pilgerschaft“ verwendet, in der die Menschen mit allen Lebewesen
durch die Liebe, die Gott für jedes seiner Geschöpfe hegt, verbunden sind und die
ihn mit der Mutter Erde vereint46. Ausdrücklich weist er die exegetische Lesart
zurück, „dass aus der Tatsache, als Abbild Gottes erschaffen zu sein, und dem
Auftrag, die Erde zu beherrschen, eine absolute Herrschaft über die anderen Geschöpfe gefolgert wird“47.
Die Moderne sieht er hingegen von einer „großen anthropozentrischen Maßlosigkeit“48 geprägt, die dazu führte, dass sich der Mensch als von der Natur getrennt
und über sie erhaben versteht. Schließlich fordert Franziskus eine ganzheitliche
Ökologie, die die menschliche und soziale Dimension einschließt49.
Die Kritik des Papstes an bestimmten Formen des Anthropozentrismus und die
Forderung einer ganzheitlichen Ökologie, die die komplexen Beziehungen zwischen den lebenden Organismen und der Umwelt, in der sie sich entwickeln, berücksichtigt50, können dazu verleiten, den Ansatz des Papstes in die ökozentrische
Nähe zu rücken. In der Tat spricht Franziskus von der Erde als „Schwester“ und
„Mutter“51 und sieht die gesamte Natur als eine innig verbundene Gemeinschaft. Er
spricht von der Erde in personifizierter Form: Sie schreit auf wegen der Verletzungen, die ihr der Mensch zufügt, sie wird unterdrückt und befindet sich unter den am
meisten Verwahrlosten und Misshandelten52. Fast durchgehend bezieht Franziskus
den Begriff des Eigenwertes auf alle Geschöpfe im umfassenden Sinn, also sowohl
43
LS 33.
44
LS 69.
45
LS 83.
46
LS 92.
47
LS 67.
48
LS 116.
49
LS 137–162.
50
LS 138.
51
LS 2, 92.
52
LS 2.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
19
auf die nichtmenschlichen Lebewesen als auch auf die unbelebte Natur. Michael
Rosenberger rückt deshalb den Ansatz von Franziskus in die Nähe eines holistisch
fundierten Biozentrismus53.
Demgegenüber grenzt sich Franziskus selbst jedoch vom Biozentrismus ausdrücklich ab54. Wiederholt betont er die besondere und einzigartige Würde des
Menschen, die er theologisch durch die Gottebenbildlichkeit55 und philosophisch
durch die Vernunftbegabung begründet56. Wenn der Mensch bloß für ein Wesen
unter anderen gehalten würde, drohe in den Gewissen der Menschen das Verantwortungsbewusstsein abzunehmen, da man
vom Menschen nicht einen respektvollen Einsatz gegenüber der Welt verlangen kann,
wenn man nicht zugleich seine besonderen Fähigkeiten der Erkenntnis, des Willens,
der Freiheit und der Verantwortlichkeit anerkennt und zur Geltung bringt57.
Von der Würde des Menschen differenziert Laudato si’ den Eigenwert der Geschöpfe. Dessen normativer Gehalt besteht im Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein, sodass die nichtmenschlichen Lebewesen und die unbelebte Natur nie eine
bloße Ressource für den Menschen sind und dass ihr Wert nicht von ihrer Funktion
für den Menschen abhängt. Auf der konkreten Anwendungsebene bleibt die normative Verbindlichkeit dieses Anspruchs jedoch weitgehend unbestimmt, was sich
beispielsweise darin zeigt, dass die Enzyklika in Bezug auf den Umgang mit den
Tieren auffallend zurückhaltend und vage bleibt bzw. im Wesentlichen lediglich die
Aussagen des Katechismus der Katholischen Kirche wiederholt58.
In Laudate Deum (2023) verwendet Franziskus den Begriff der „situierten Anthropozentrik“. Er betont erneut, dass die „jüdisch-christliche Weltanschauung auf dem
besonderen und zentralen Wert des Menschen inmitten des wunderbaren Konzerts
aller Lebewesen besteht, [dass] wir heute aber gezwungen sind zu erkennen, dass
man nur von einem ‚situierten Anthropozentrismus‘ sprechen kann. Das heißt, wir
müssen anerkennen, dass das menschliche Leben ohne andere Lebewesen nicht verstanden und nicht aufrechterhalten werden kann“ (Nr. 67). Er verweist an dieser Stel53
Michael Rosenberger. 2021. Eingebunden in den Beutel des Lebens. Christliche Schöpfungsethik. Münster: Aschendorff.
54
LS 118.
55
LS 65.
56
LS 69, 118.
57
LS 118.
Martin M. Lintner. 2022. “L’importanza della Laudato si’ per l’etica animale cristiana: un
cambiamento di paradigma?”. Credere oggi 42 (2): 11–27.
58
20
Martin M. Lintner
le (vgl. Nr. 66, Anm. 41) auf die US-amerikanische feministische Philosophin Donna
J. Haraway. Haraway entwickelte das Konzept von „Kontaktzonen“ als Begegnungsräume von Akteurinnen und Akteuren verschiedener Spezies, die ein gemeinsames
Werden und Wachsen ermöglichen. Da wir als Menschen unausweichlich eingebunden sind in Begegnungen mit anderen Lebewesen und in Verflechtungen mit der Umwelt, bedarf es dieser „Kontaktzonen“, in denen das Zusammentreffen von Individuen unterschiedlicher Spezies so gestaltet wird, dass das Konfliktpotential solcher
Begegnungen nicht zu antagonistischen Spannungen und mortalen Verstrickungen
führt, sondern zu Aushandlungsprozessen, die eine gemeinsamen Bewältigung von
Reibungs- und Konfliktpunkten ermöglichen und zugleich Räume für ein gemeinsames Wachsen – auch für den Menschen – öffnen. Voraussetzung für die Entfaltung
dieser Biosozialität zwischen Mensch und Tier ist die Überwindung von asymmetrischen Beziehungssystemen und Machtstrukturen nicht nur zwischen menschlichen,
sondern auch zwischen menschlichen und tierlichen Individuen. Haraway weitet in
diesem Sinne das fundamentale Verständnis des Menschen als relationales Wesen,
das sich nur gemeinsam mit anderen Menschen entfalten kann, auf die nichtmenschlichen Lebewesen, besonders die Tiere, aus. Eine ihrer zentralen Thesen lautet daher:
Wie wir als menschliche Individuen nur im „Mit-Werden“ mit anderen Individuen
überleben können, können wir auch als menschliche Spezies nur im „Mit-Werden“
mit anderen Spezies überleben59.
2. Systematische Zusammenfassung
Die in der christlichen Tradition vorherrschende anthropozentrische Position hat
theologische und philosophische Wurzeln. Sie hat sich historisch auf der Basis des
biblischen Schöpfungsglaubens und eines teleologischen Naturverständnisses entwickelt. Sie war bis zu Beginn der Neuzeit beständig einem theozentrischen Korrektiv
unterworfen. Der Verlust der theozentrischen Einordnung des Menschen in die Natur
sowie der Hinordnung der gesamten Schöpfung auf Gott auf der einen und der naturphilosophischen Einbettung auf der anderen Seite hat einem radikalen Anthropozentrismus Vorschub geleistet, der die Moderne kennzeichnet60.
In den aktuellen philosophischen und theologischen Diskursen, sowohl im säkularen als auch im kirchlichen Kontext, besteht ein common sense, dass der radi59
Donna J. Haraway. 2018. Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän,
Frankfurt a.M.: Campus Verlag.
60
Eberhard Schockenhoff. 2008. Anthropozentrische und ökozentrische Ethik. In Handbuch der
Katholischen Soziallehre. Hg. Anton Rauscher, 400–402. Berlin: Duncker & Humblot.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
21
kale Anthropozentrismus, der allein die menschlichen Interessen und Bedürfnisse
als moralisch relevant ansieht und folglich legitimiert, die nichtmenschlichen Lebewesen und die Natur ausschließlich auf ihren materiellen oder immateriellen Wert
für den Menschen zu reduzieren, unzulänglich und aus ethischer Sicht nicht verantwortbar ist. In dieser Hinsicht sind die religiösen Redewendungen vom Menschen
als Gipfelpunkt oder Krone der Schöpfung zu problematisieren, da sie einerseits
einen radikalen Anthropozentrismus fördern und andererseits als religiöse Position selbst Gefahr laufen, die theozentrische Ausrichtung von Mensch und Welt zu
verdunkeln.
Wie die säkularethische Position des gemäßigten Anthropozentrismus vertritt,
kann der Mensch seiner moralischen Verantwortung nur dann angemessen nachkommen, wenn er sie nicht bloß auf die anderen Menschen, sondern auf alle Lebewesen, die von den menschlichen Handlungen und Lebensstilen betroffen sind, sowie auf die naturalen Lebensbedingungen und Ökosysteme ausweitet, die filigrane
und komplexe Lebensräume bilden und ohne die kein Lebewesen leben kann. Diese Verantwortung ergibt sich aus der Perspektive einer teleologischen Ethik, dass
der Mensch für die unmittelbaren wie für die abschätzbaren mittelbaren Folgen
seines Handelns verantwortlich ist, sowie der deontologischen Ethik, dass sich aus
der Einsicht in die Sinnhaftigkeit von naturalen Wirklichkeiten sittliche Pflichten
gegenüber diesen Wirklichkeiten ergeben.
Weitgehend unbestritten ist in den naturethischen Debatten der Umstand, dass der
Mensch die eigene Perspektive nicht verlassen kann (epistemischer Anthropozentrismus) und dass er nur deshalb eine moralische Verantwortung trägt, weil er vernunftund moralfähig ist. Kontrovers diskutiert wird in den unterschiedlichen Ansätzen
jedoch die Frage, ob ihm dank dieser Fähigkeiten in Bezug auf die nichtmenschlichen Lebewesen und die unbelebte Natur eine Sonderstellung zukommt (moralischer
Anthropozentrismus) oder ob es sich bei den Unterschieden zwischen den Menschen
und den nichtmenschlichen Lebewesen letztlich um lediglich graduelle, nicht jedoch
um einen qualitativen Unterschied handelt. Es geht also um die Frage, ob die moralische Schutzwürdigkeit, die im Konzept der Würde zum Ausdruck kommt, nur dem
Menschen oder aber allen Lebewesen auf gleiche Weise zukommt, wie es egalitäre
physiozentrische Positionen fordern. Letztere stehen damit allerdings vor der Aporie,
dass sie, um die Gleichbehandlung aller Lebewesen und die Achtung von Eigenrechten der Natur fordern zu können, genau das anerkennen müssen, was sie zugleich kritisieren, nämlich die Sonderstellung des Menschen kraft seiner Vernunft- und Moralfähigkeit61. Zudem kommt dem Menschen auch in den egalitären pyhsiozentrischen
61
Otfried Höffe. 1993. Moral als Preis der Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 211.
22
Martin M. Lintner
Positionen eine advokatorische Funktion zu, da Tiere, Pflanzen, Flüsse, Ökosysteme
usw. die ihnen zuerkannten Rechte nicht selbst einklagen können. Diese advokatorische Aufgabe muss sich zweier Aspekte bewusst sein: Einerseits ist sie in der Anwendung von Vernunftkriterien bei Abwägungsprozessen anthropozentrisch geprägt,
andererseits läuft sie Gefahr eines Anthropomorphismus, wenn ausgehend von den
menschlichen Sichtweisen auf die hypothetischen Interessen von nichtmenschlichen
Lebewesen geschlossen wird.
Die unterschiedlichen tierethischen Positionen hingegen haben gezeigt, dass
die Ausweitung der moralischen Gemeinschaft auf bestimmte tierliche Spezies
auch von den Fähigkeiten abhängig gemacht werden kann wie beispielsweise der
Fähigkeit, Schmerzen und Emotionen zu empfinden, oder Subjekt des Lebens zu
sein – wobei bei Letzterem schwer zu bestimmen ist, welche Lebewesen dazugehören.
Egalitäre Positionen sowohl in Bezug auf die Tiere als auch in Bezug auf alle
Lebewesen, inklusive der Pflanzen, eignen sich zudem nicht, konkrete Interessenskonflikte zwischen Menschen und anderen Lebewesen auf eine Art und Weise zu
lösen, die nicht willkürlich erscheint – in der Regel zugunsten des Menschen und
zulasten der nichtmenschlichen Lebewesen. Sie tragen auch dem Umstand nicht
Rechnung, dass das Überleben eines Lebewesens immer nur auf Kosten des Lebens
eines anderen Lebewesens möglich ist. Biozentrische Positionen, die den einzelnen
Individuen moralische Schutzwürdigkeit zusprechen, erweisen sich zudem als nur
bedingt geeignet für die Belange des Umweltschutzes im umfassenden Sinn. Der
Schutz von Biotopen, Ökosystemen, Lebensräumen usw., aber auch von bedrohten
Arten, kann es mitunter erfordern, dass bestimmte Arten reguliert und deren Individuen aus der freien Wildbahn entnommen oder getötet werden.
Um die aufgezeigten Aporien zu lösen, ist die Position des gemäßigten Anthropozentrismus die geeignetste und die am wenigsten willkürliche, da sie es erlaubt,
für den Fall von Interessens- oder Zielgüterkonflikten klare Entscheidungskriterien
zu begründen. Dies bedeutet jedoch, dass zwischen der Würde des Menschen und
dem Eigenwert der nichtmenschlichen Lebewesen sowie der unbelebten Natur unterschieden wird. Bei diesem Begründungsmodell wird die Würde im Sinne der
Selbstzwecklichkeit in der Fähigkeit zur sittlichen Selbstbestimmung begründet,
die wir in dieser Form nur bei Mitgliedern der menschlichen Spezies beobachten
können, sodass die Spezieszugehörigkeit ethisch relevant ist. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, den anderen Lebewesen jegliche Schutzwürdigkeit abzusprechen. Es ist gerade dem Menschen eigen, den tieferen Sinn der Existenz auch
der nichtmenschlichen Natur zu begreifen (axiologischer Anthropozentrismus) und
daher den Sinn bzw. den Zweck der nichtmenschlichen Geschöpfe nicht nur aus
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
23
deren materiellen oder immateriellen Wert für den Menschen abzuleiten, sondern
um ihrer selbst willen zu achten. Die Frage, was „um ihrer selbst willen“ bedeutet,
kann philosophisch aus ihrer natürlichen Zweckgerichtetheit nach einem für sie
gedeihlichen Leben beantwortet werden. Das lässt eine differenzierte Sichtweise
auf unterschiedliche Stufen des Lebens und auf die unterschiedlichen Arten zu62.
Der gemäßigte Anthropozentrismus garantiert zudem, dass die Ausweitung der moralischen Verantwortung auf die Tiere, Pflanzen usw. begründet werden kann, ohne
zugleich hinter den Standard des Ethos der Menschenrechte zurückzufallen, wie es
bei Peter Singer geschieht oder – zumindest potentiell – bei egalitären biozentrischen Ansätzen.
Die theologische Deutung der Natur als Schöpfung ermöglicht eine religiöse
Begründung des Eigenwertes eines jeden Geschöpfs, insofern jedes Geschöpf,
ob belebt oder nicht, auf die ihm eigene Weise auf Gott, den Schöpfer verweist.
Darin liegt eine Motivationsquelle für einen neuen und verantwortungsvollen
Umgang mit allen Lebewesen, den menschlichen wie den nichtmenschlichen,
sowie mit der Natur, die der gemeinsame Lebensraum aller Lebewesen ist. Es
verwundert deshalb nicht, dass ökozentrische Ansätze oft einen spirituellen Charakter haben, allerdings – sofern sie einen Transzendenzbezug ausschließen –
auch Gefahr laufen, die Natur zu resakralisieren und in vormoderne Weltbilder
zurückzufallen.
Unter Wahrung des Analogiecharakters kann es durchaus sinnvoll sein, den
Würdebegriff vom Menschen auf die Tiere, Pflanzen und die Natur auszuweiten
oder aber von der Erde in personifizierter Form zu sprechen. Dem Würdebegriff
und der personifizierten Redeweise wohnt ein appellativer Charakter inne, der geeignet ist, den Menschen an seine sittliche Verantwortung für die nichtmenschlichen Lebewesen und die unbelebte Natur zu erinnern und anwendungsorientierte
Konvergenzen zwischen dem gemäßigten Anthropozentrismus und gemäßigten
bio- und ökozentrischen Ansätzen zu unterstreichen.
*
Bibliographie
1997. Katechismus der Katholischen Kirche. Vatican: LEV.
Benedikt XVI. 2007. Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages. Vatican: LEV.
62
133.
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24
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Münster: Aschendorff.
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Zweites Vatikanisches Konzil. 1965. Pastorale Konstitution Gaudium et spes über die Kirche in der
Welt von heute. Vatikan: LEV.
*
Zusammenfassung: Vorliegender Beitrag ist zweiter Teil der Reflexionen, die die unterschiedlichen umweltethischen Modelle und Denkpositionen vorstellen. Darin wurden die
lehramtlichen Texte von Gaudium et spes bis zu den Dokumenten von Papst Franziskus
analysiert und die verschiedenen Positionen einer kritischen Würdigung unterzogen.
Schlüsselworte: Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus, umweltethische Modelle, das Lehramt zur Ökologiefrage.
Anthropozentrismus, Biozentrismus, Ökozentrismus (2)
Streszczenie: Antropocentryzm, biocentryzm, ekocentryzm (2). Niniejszy tekst stanowi drugą część refleksji, które prezentują różne modele i stanowiska w obszarze etyki
środowiska naturalnego. Autor dokonał analizy dokumentów nauczania Kościoła od Konstytucji duszpasterskiej o Kościele w świecie współczesnym Gaudium et spes Soboru Watykańskiego II do dokumentów papieża Franciszka i krytycznie przedstawił zawarte w nich
różne stanowiska w zakresie etyki ekologicznej.
Słowa kluczowe: antropocentryzm, biocentryzm, ekocentryzm, modele ochrony środowiska naturalnego, stanowisko Urzędu Nauczycielskiego Kościoła na temat ekologii.
Abstract: Anthropocentrism, Biocentrism, Ecocentrism (2). This text is the second
part of the reflections, which present various models and positions in environmental ethics.
The author analyzed the teaching documents of the Church, from the Pastoral Constitution
on the Church in the Modern World, Gaudium et Spes, of the Second Vatican Council to the
documents of Pope Francis, and critically presented the various positions in the field of ecological ethics contained therein.
Keywords: anthropocentrism, biocentrism, ecocentrism, models of environmental protection, position of the Church’s Magisterium on ecology.
25