GEORG GEISMANN
Professor für Politische Theorie und Wissenschaftslehre
an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München
liest Texte
zur
DEUTSCHEN KATASTROPHE
Die hochschulöffentliche Lesung findet im Rahmen des Seminars zur Politischen
Philosophie der Gegenwart statt.
Ort: Gebäude 33, Hörsaal 3331
Zeit: Dienstag, 29. März 1994, 18.00 Uhr c.t.
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0) Einleitende Bemerkung
Politische Berechtigung und Notwendigkeit der folgenden Lesung müssen sich
letztlich aus ihr selbst ergeben. Gestatten Sie mir bitte dennoch ein kurzes Wort vorab:
Sie können sich gewiß leicht vorstellen, daß manch einer innerhalb und auch
außerhalb dieser Universität von mir erwartet hat (obwohl auch hier wieder in völliger
Unkenntnis dessen, was ich zu lesen beabsichtige), daß - nachdem nun an unserer
Universität angeblich endlich wieder Ruhe, wenn schon nicht echter Frieden eingekehrt sei - auch ich Wohlverhalten zeigen möge, anstatt - wie es ja doch wohl den
Anschein habe - neuerliche Unruhe zu stiften (als ob ich mich für einen derart albernen Zweck der mit der Vorbereitung einer solchen Lesung verbundenen Mühe unterzöge). Auch hat es von interessierter Seite erwartungsgemäß den Versuch gegeben,
meine Fakultät zu einer Intervention zu bewegen; und die Leitung der Universität hat
sogar die Ankündigung dieser Lesung im monatlichen Veranstaltungskalender sowie
der Druckerei die Herstellung der Plakate untersagt.
Nun hatte ja bereits die vorausgegangene Affäre1 in erschreckender Weise offenbart, in welch desaströsem Zustand sich die politische Kultur in Deutschland befindet. Und also habe ich als Staatsbürger und besonders als Professor für Politische
Philosophie zur Zeit, mehr noch als früher schon, die Pflicht, politisch-moralische
Aufklärung zu betreiben. Wir alle wissen, welchen Anteil die apolitischen Biedermänner, die bloß an ihre Ruhe und an ihr Ein- und Auskommen dachten, an der sog.
Machtergreifung Hitlers hatten; und immer schon hat die pure, also von allen moralischen Grundsätzen absehende Orientierung am eigenen Interesse das Knie für die
Beuge vor dem Tyrannenthron weich gemacht. Wer sich jener Grundsätze erst beim
Besuch einer alten Dame vom Schlage der Claire Zachanassian erinnert, wird - wie
er sich auch entscheidet - einen hohen Preis zahlen müssen. Wem dieser Preis zu
hoch ist, sei es aus moralischen Gründen, sei es aus der Sorge, daß sein Mut dann
nicht reichen wird, und wem es deshalb darum geht, Brandstiftern den Weg möglichst schon am Anfang zu verbauen, der muß auch bereit sein, notfalls als Unruhestifter zu gelten. Wo es für die Republik, und das heißt: für die Freiheit und das
Recht, auch nur den Anschein von Gefahr gibt, muß die Parole lauten: Unruhe ist die
erste Bürgerpflicht.
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Siehe dazu in dieser Web Site „Die Affäre Wolffsohn oder die Nachwehen der deutschen Vergangenheit“
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1) Julius Ebbinghaus
Der Nationalsozialismus und die Moral (Rundfunkvortrag vom Mai/Juni 1945)
Der Philosoph Ebbinghaus (1885-1981) war der erste, von den amerikanischen
Befreiern im Sommer 1945 eingesetzte Rektor der Universität Marburg nach dem
Ende des 2. Weltkriegs. Wie kein zweiter der großen philosophischen Denker dieses
Jahrhunderts hat sich Ebbinghaus in immer neuen Ansätzen um die Einsicht in die
Rechte und Pflichten des Menschen und des Bürgers in Bezug auf tyrannische Herrschaft bemüht und so dem deutschen Volk den moralisch einzig möglichen Weg gewiesen, die unabwendbare Erblast der nationalsozialistischen Vergangenheit mit
Würde und im Bewußtsein der damit verbundenen Verantwortung zu tragen.
„Was den Beobachter derjenigen unserer Landsleute, die jetzt endlich anfangen, aus dem finsteren Traume des Nationalsozialismus aufzuwachen, immer wieder
in Erstaunen setzt, das ist der Ruf, mit dem sie ihre frühere Haltung zu rechtfertigen
meinen: Ja, wenn wir das gewußt hätten! Wenn wir gewußt hätten, was in den Konzentrationslagern vor sich ging, so hätten wir längst schon unser Steuer umgelegt.
Sie haben offenbar vergessen, wie oft sie denen Beifall zugerufen haben, die nicht
müde wurden zu versichern, daß es dem deutschen Volk nicht gut sei, dasjenige zu
wissen, dessen öffentliche Bekanntmachung Deutschland oder sagen wir deutlicher
der Reputation des Nationalsozialismus in der Welt schaden könnte. Auch bin ich
keineswegs überzeugt davon, daß sie, wenn sie wirklich die Greuel der Konzentrationslager haargenau gekannt hätten, dadurch in dem Glauben an ihren Helden irre
geworden wären. In ihrer Behendigkeit, Ausreden zu erfinden, wenn sie fürchteten, in
ihren Träumen gestört zu werden, hätten sie uns versichert, daß Adolf Hitler, der ja
nach ihrer Meinung selbst solche Dinge nicht wußte, die im übrigen alle Welt wußte,
auch davon gar nichts wisse und es, wenn er es wüßte, aufs schärfste mißbilligen
würde. Oder aber sie hätten uns, wenn sie wirklich den Nationalsozialismus begriffen
hatten, folgenden Sermon gehalten. Wißt ihr nicht, hätten sie uns gesagt, daß alle
überlieferten Begriffe von Recht und Moral nur das Ergebnis jüdischer, priesterlicher
und intellektueller Zersetzung sind? Das oberste Gesetz, nach dem wir uns zu richten haben, ist die revolutionäre Kraft des deutschen Volkes. Diese revolutionäre Kraft
ist verkörpert in der Machtvollkommenheit der nationalsozialistischen Partei. Was
dieser förderlich ist, ist gut, was ihr abträglich ist, ist böse. Die Leiden in den Konzentrationslagern treffen nur solche, die sich unserer Revolution entgegengestellt haben.
Je schrecklicher diese Leiden sind, um so sicherer wird aller Widerstand verschwinden. So ist das, worüber ihr euch mit euerer spießbürgerlichen Moral entsetzt, notwendig für uns, es ist notwendig für Deutschland, und also ist es gut.
Ich weiß in der Tat nicht, ob sie uns diesen Sermon zu halten gewagt hätten.
Aber sie hätten ihn nach echt nationalsozialistischen Grundsätzen halten müssen,
und deswegen sagen wir ihnen nun als Antwort auf ihre vorgeschützte Unwissenheit:
Die Greuel des nationalsozialistischen Regimes sind nicht, wie ihr in eurer spießbür-
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gerlichen Auffassung vom Nationalsozialismus der Welt habt einreden wollen, bedauerliche Auswüchse eines im Grunde gesunden Systems, sondern sie sind die
folgerichtigen Ergebnisse der auf die sogenannte nationalsozialistische Weltanschauung gegründeten Moral. Ihr mochtet von ihnen wissen oder nicht wissen, so hattet ihr
sie schon bejaht, als ihr die nationalsozialistische Weltanschauung bejahtet, und
wenn ihr selbst das nicht wußtet, so wissen wir doch, wie unzählige Male ihr in solchen Fällen, wo nicht gleich Blut floß und Schreckensschreie ertönten, über die Verletzung der einfachsten Regeln von Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit der kühlen
Bemerkung hinweggegangen seid, daß diese Dinge eben für die Macht und Herrlichkeit des deutschen Volkes unter der Führung Adolf Hitlers notwendig seien.
Wie diese Moral einer fessellosen Gewaltherrschaft in Deutschland nicht nur
gelehrt, sondern wirklich zur Richtschnur der gesamten inneren und äußeren Politik
werden konnte, das ist eine lange und peinvolle Geschichte. Der Mensch unterliegt
überhaupt nur allzu stark der Versuchung, an der unbedingten Gültigkeit der Gesetze
von Recht und Sittlichkeit zu zweifeln. Der Grund liegt darin, daß er meint, sich auch
in Angelegenheiten seiner Pflichten an die Erfahrung halten zu müssen. In der Tat,
wenn man alles das, was unter Menschen geschieht, betrachtet, so kann man nur
allzu leicht zu dem Glauben kommen, daß die Regeln der Sittlichkeit nur Ausgeburten einer müßigen Phantasie seien. Hat man jemals einen Menschen gesehen, von
dem man sicher sagen konnte, in ihm ist reine Liebe zu Gerechtigkeit und Menschlichkeit wirksam? Es will mir manchmal scheinen, als ob besonders im Deutschland
des 19. Jahrhunderts das Achselzucken in allen Ständen über solche angeblichen
Verstiegenheiten einen ungewöhnlichen Umfang angenommen hatte. Im 17. und 18.
Jahrhundert finden wir alle Völker europäischer Gesittung einig in einer edlen Begeisterung für die Taten sittlichen Opfermutes und sittlicher Widerstandskraft, gerade
weil sie den Umkreis der täglichen Erfahrungen überschreiten. Das scheint im 19.
Jahrhundert, dem Jahrhundert des deutschen Nationalismus und Sozialismus, keinen Widerhall mehr zu finden. Reichtümer kann ich mit Sittlichkeit nicht sammeln sagt der Kaufmann; Kriege kann ich ohne Plünderungen nicht führen - sagt der Offizier; Karriere kann ich mit der allgemeinen Menschenliebe nicht machen - sagt der
Beamte; Revolutionen kann ich mit Recht und Gerechtigkeit nicht unterdrücken - sagt
der Staatsmann; Tyrannen kann ich mit der Achtung vor den Gesetzen nicht beseitigen - sagt das Volk; ja selbst die Theologen, wenigstens einige von ihnen, neigen nur
allzusehr dazu zu sagen, das Himmelreich kann man auch ohne Moral gewinnen.
Wozu in aller Welt ist denn also diese vielgepriesene Sittlichkeit gut? Ach, junger
Freund, sagt der erfahrene Geschäftemacher zu dem aus allen Wolken fallenden
jugendlichen Enthusiasten - Moral ist das, wovon alle Welt spricht, aber woran sich
niemand hält. Und es ist auch gut, davon zu sprechen, denn wenn du nicht wenigstens den Schein der Ehrbarkeit bei den anderen erregen kannst, so wirst du sie alle
gegen dich aufbringen und die Gelegenheit verlieren, sie ungestört zu berauben und
zu betrügen. Moral, muß du verstehen, ist der Schleier, den man über sich werfen
muß, wenn man im Lebenskampfe auf seine Kosten kommen will. Und gerade der,
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der diesen Schleier nur zur Verschleierung braucht, wird desto sicherer der Einfältigen, die sich in ihn verwickeln, Herr werden. Läßt er ihn aber im Bewußtsein seiner
Kraft gänzlich fallen, so ist er der kühne, der freie, der gottgleiche Mensch.
Man sieht aus solchen Reden, wie leicht der spießbürgerliche Unglaube an das,
was den Menschen über das Elend seiner Geschäfte hinaushebt und ihn in eine höhere Ordnung der Dinge versetzt, umgedichtet werden kann in ein mißtönendes Heldenlied schrankenloser Entfesselung aller im Menschen schlummernden Höllenkräfte. Zwei Zutaten muß man noch hinzunehmen, um die eigentlich nationalsozialistische Tönung dieses Liedes zu erhalten: Die erste besteht in der aller Erfahrung
Hohn sprechenden Behauptung, die Natur lehre uns, daß schrankenlose Machtsteigerung das Wesen allen Lebens sei, und die Geschichte lehre uns, daß der eigentliche Sitz dieser grenzenlosen Machtsteigerungskraft unter Menschen in der germanischen Rasse liege. Die zweite Zutat, eng verbunden mit der ersten, besteht darin,
daß der einzelne in seiner Beteiligung an der Entfaltung dieser Kraft den Weisungen
des nationalsozialistischen Staates total unterworfen sei; denn in diesem verkörpere
sich die antimoralische Stoßkraft jener Rasse. Nun ist freilich der Gehorsam gegen
die Staatsgesetze ein unerläßliches Erfordernis für jeden Staat; aber daß deswegen
die Staatsgewalt eine schlechthin schrankenlose sei und man ihr gehorchen müsse
auch in solchen Befehlen, die die Gesetze der sittlichen Weltordnung auf den Kopf
stellen, das hat noch niemals ein Staatsrechtslehrer in voller Unbedenklichkeit behauptet. Und auch der Deutsche, wenn schon Charakter und Geschichte ihn nur allzusehr zur Ertragung eines despotischen Regimentes gestimmt haben, hatte sich
bisher doch niemals dessen zu versehen gehabt, daß seine Regierung Raub, Mord,
Brandstiftung und Lüge von ihm als schuldige Pflichten forderte. Es bedurfte also
eines Umweges, um ihn auch dazu bereit zu machen.
Bei allen Nationen der Erde gilt die freiwillige Aufopferung eigener, auch berechtigter Interessen zugunsten der Allgemeinheit, besonders wenn diese in Not ist,
als eine verdienstliche und nachahmenswerte Handlung. Bei dieser auch in Deutschland und vielleicht besonders in Deutschland verbreiteten schönen Regung suchte
der Nationalsozialismus das Volk zu fassen, um es unversehens auf den Weg des
Bösen zu führen. "Gemeinnutz" erklärte er, ohne sich freilich auf nähere Erläuterungen einzulassen, "geht vor Eigennutz". Wer sollte dem nicht beistimmen? Jawohl nur muß man dabei im Auge behalten, daß, solange bloß vom Nutzen die Rede ist,
dadurch überhaupt nichts Grundsätzliches über den Staat und die menschliche Gemeinschaft ausgesagt ist. Der Staat ist nicht in erster Linie eine Nutzungsgemeinschaft, sondern eine Rechtsgemeinschaft - und das Recht seinerseits ist das, wodurch allein Gemeinschaft unter Menschen möglich ist; denn ohne Recht steht jeder
unter der Bedrohung durch die willkürliche Gewalt jedes andern. Will man also etwas
Grundsätzliches über das Verhältnis des einzelnen zur Gemeinschaft sagen, so muß
man zunächst sagen, daß jeder Nutzen, es mag der des einzelnen oder der irgend
einer Gemeinschaft sein, unter der Bedingung des Rechts steht, und also lautet die
wahre Formel: "Recht geht vor Eigennutz und vor Gemeinnutz". Kein Nutzen, den
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eine Gemeinschaft im Widerspruch mit den Gesetzen des Rechtes von ihren Gliedern fordert, kann ihr etwas nützen, denn er hebt sie geradezu auf. Statt dessen benutzte der Nationalsozialismus seinen Spruch "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" dazu, die nur allzu willigen Deutschen dazu zu überreden, sie hätten im Verhältnis zur
Gemeinschaft überhaupt keine Rechte, und die Gemeinschaft könne mit dem einzelnen geradezu machen, was sie wolle: Gemeinnutz geht vor Recht, da war die wahre
Bedeutung jener Gemeinschaftspredigt, durch die dem Volke weisgemacht wurde,
daß jede Forderung, die der einzelne im Namen des Rechtes an die Gemeinschaft
stellte, nichts sei als die Verfechtung eines mit der Gemeinschaft im Widerspruch
stehenden eigensüchtigen Interesses, - wie sie angeblich von einem überwundenen
Liberalismus gutgeheißen worden sei.
Es will vielleicht manchem scheinen, daß sich die Verkehrung in den einfachsten Begriffen des Rechtes und der Gemeinschaft nicht weiter treiben ließ. Sie wurde
dennoch weiter getrieben. Denn wie, wenn der einzelne eingeschüchtert von der
drohenden Posaune dieser Gemeinschaft schon bereit gewesen wäre, Unrecht zu
leiden, aber nun auch aufgefordert wurde, Unrecht zu tun? Wenn die Stimme seines
Gewissens sich nicht übertönen ließ, das ihn warnte mitzuwirken bei Raub, Lüge und
der Verhöhnung wehrloser Gegner? Hier erst entfaltet die Moral des Gemeinnutzes
den ganzen Schauder ihrer Paradoxien. Wie, sagte sie, ihr wollt ein gutes Gewissen
haben? Aber das heißt ja doch, den Eigennutz auf die Spitze treiben! Damit ihr auf
einem sanften Ruhekissen schlafen könnt, wollt ihr euch dem, was der Gemeinschaft
nützlich ist, entgegenstellen? Fort mit euch selbstsüchtigen Pfaffenknechten, unser
Gewissen ist Adolf Hitler - und der hat gesagt: "Gewissen ist eine jüdische Erfindung,
es ist eine Verstümmelung, wie die Beschneidung."
Hier sehen wir in das Herz dieser Moral. Sie gipfelt in der Vernichtung des Menschen als eines verantwortlichen Wesens. Gerade das erste, was sie von ihren
Anhängern verlangt: bedingungslose Unterwerfung unter den Willen eines Menschen
in allen Forderungen - gerade das ist es, wodurch der Mensch sein Vorrecht, Mensch
zu sein, wegwirft. Niemand kann sich der Pflicht, die ihm selbst die Verantwortung für
seine Taten auferlegt, entziehen. Eben aber, weil der Mensch Pflichten hat, deswegen haben auch andere Pflichten gegen ihn. Niemand, auch die Gemeinschaft nicht,
kann ihn behandeln, als sei sie ihm zu gar nichts verpflichtet. Ja sogar sich selber
kann er nicht einfach nach seinem eigenen Belieben behandeln wie irgendeine Sache des täglichen Gebrauchs. Es zeigt vielleicht nichts so eindringlich die grenzenlose Verachtung der Menschheit durch den Nationalsozialismus als dies, daß er es
als Beweis höchsten Heldentums seiner Soldaten pries, wenn sie sich selbst wie ein
an einem Geschoß angenageltes Instrument mit der zerstörenden Explosion in die
Luft sprengen ließen. In Wirklichkeit sind es Taten barbarischer Wildheit, in denen
der Mensch seine Würde einem über die Grenzen der Menschheit hinaus gesteigerten Feindeshaß zum Opfer bringt. Aber freilich, daß die Menschheit nur ein gegenstandsloses Produkt der Theorie sei, das konnten wir täglich aus dem Munde der
Rassemythologen hören. Sie ist im Gegenteil die oberste aller praktischen Ideen und
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beweist ihre Realität durch die Pflichten, die sie uns auferlegt. Daß aber diese Pflichten keine Träume sind, dafür sind auch die Anhänger des Nationalsozialismus Zeugen. Warum hätten sie uns sonst so eifrig immer wieder versichert, daß das, was alle
Menschen mit Abscheu erfüllte, nur Auswüchse seien, die schon verschwinden würden. Daß nichts davon verschwunden ist, wissen wir nun. Möchten sie auch lernen,
daß diese sogenannten Auswüchse im System gegründet waren und dieses daher
mitnichten im Grunde gut war. Möchten sie aber auch lernen, daß, wer die Achtung
vor den Gesetzen der Moral untergräbt, ein Zerstörer der Menschheit ist. Und diese
Zerstörung fängt schon an bei dem weltmännischen Achselzucken über die Rede
von unbedingten Pflichten. Wer nichts weiter weiß, als alle Welt und besonders die
Jugend beständig darauf hinzuweisen, wie es in der Welt zugeht, wer sie lehrt, bei
allem sich erst zu fragen, was gewinne ich dabei? - bringe ich mich auch nicht in Unannehmlichkeiten und Gefahr? - der bereitet solchen Ereignissen den Weg, die nun
zum Ruin Deutschlands geführt haben. Wer aufbauen will, möge nicht vergessen,
sich selber aufzubauen im Blick auf eine Idee, aus deren anspornender Kraft er entnehmen kann, daß der Mensch, wenn er überhaupt irgendwo zu Hause ist, ganz wo
anders zu Hause ist als in der Welt, in der man mit List und Gewalt seine Macht
vergrößern kann.“
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2) Adolf Hitler
Mein Kampf, Bd. 1 (1925)
Hitler (1889-1945 [Selbstmord]), deutsch-österreichischer Tyrann, einer der
schlimmsten Massenmörder in der Geschichte der Menschheit.
"An wen hat sich die Propaganda zu wenden? An die wissenschaftliche Intelligenz oder an die weniger gebildete Masse? Sie hat sich ewig nur an die Masse zu
richten! Konzentration auf wenige Punkte, immerwährende Wiederholung derselben,
selbstsichere und selbstbewußte Fassung des Textes in den Formen einer apodiktischen Behauptung, größte Beharrlichkeit in der Verbreitung und Geduld im Erwarten
der Wirkung.
Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen
nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu
richten gedenkt...Handelt es sich aber, wie bei der Propaganda für die Durchhaltung
eines Krieges, darum, ein ganzes Volk in ihren Wirkungsbereich zu ziehen, so kann
die Vorsicht bei der Vermeidung zu hoher geistiger Voraussetzungen gar nicht groß
genug sein...
Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß!
Die Aufgabe der Propaganda ist nicht ein Abwägen der verschiedenen Rechte,
sondern das ausschließliche Betonen des einen eben durch sie vertretenen. Sie hat
nicht objektiv auch die Wahrheit, soweit sie den anderen günstig ist, zu erforschen,
um sie dann der Masse in doktrinärer Aufrichtigkeit vorzusetzen, sondern ununterbrochen der eigenen zu dienen.
Man [geht] dabei von dem sehr richtigen Grundsatze aus, daß in der Größe der
Lüge immer ein gewisser Faktor des Geglaubtwerdens liegt, da die breite Masse eines Volkes im tiefsten Grunde ihres Herzens leichter verdorben als bewußt und absichtlich schlecht sein wird, mithin bei der primitiven Einfalt ihres Gemütes einer großen Lüge leichter zum Opfer fällt als einer kleinen, da sie selber ja wohl manchmal
im kleinen lügt, jedoch vor zu großen Lügen sich doch zu sehr schämen würde...Die
breite Masse eines Volkes...ist nicht in der Lage,...zu unterscheiden, wo das fremde
Unrecht endet und das eigene beginnt...Das Volk ist in seiner überwiegenden Mehrheit so feminin veranlagt und eingestellt, daß weniger nüchterne Überlegung als
vielmehr gefühlsmäßige Empfindung sein Denken und Handeln bestimmt.
Wer die breite Masse gewinnen will, muß den Schlüssel kennen, der das Tor zu
ihrem Herzen öffnet. Er heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und
Kraft...
Man glaube nicht, daß die Französische Revolution je durch philosophische
Theorien zustande gekommen wäre, hätte sie nicht eine durch Demagogen größten
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Stils geführte Armee von Hetzern gefunden, die die Leidenschaften des an sich gequälten Volkes aufpeitschten, bis endlich jener furchtbare Vulkanausbruch erfolgte,
der ganz Europa in Schrecken erstarren ließ."
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3) Martin Heidegger
Aufruf an die deutschen Studenten vom 3. November 1933
Der Philosoph Heidegger (1889-1976) war nach Beginn der Unterdrückung der
erste, im April 1933 vom - um die jüdischen Kollegen "gereinigten" - Großen Senat
gewählte Rektor der Universität Freiburg.
„Deutsche Studenten
Die nationalsozialistische Revolution bringt die völlige Umwälzung unseres
deutschen Daseins.
An Euch ist es, in diesem Geschehen die immer Drängenden und Bereiten, die
immer Zähen und Wachsenden zu bleiben.
Euer Wissenwollen sucht das Wesentliche, Einfache und Große zu erfahren.
Euch verlangt, dem Nächstbedrängenden und Weitestverpflichtenden ausgesetzt zu werden.
Seid hart und echt in Euerem Fordern.
Bleibt klar und sicher in der Ablehnung.
Verkehrt das errungene Wissen nicht zum eitlen Selbstbesitz. Verwahrt es als
den notwendigen Urbesitz des führerischen Menschen in den völkischen Berufen des
Staates. Ihr könnt nicht mehr die nur "Hörenden" sein. Ihr seid verpflichtet zum Mitwissen und Mithandeln an der Schaffung der künftigen hohen Schule des deutschen
Geistes. Jeder muß jede Begabung und Bevorzugung erst bewähren und ins Recht
setzen. Das geschieht durch die Macht des kämpferischen Einsatzes im Ringen des
ganzen Volkes um sich selbst.
Täglich und stündlich festige sich die Treue des Gefolgschaftswillens.
Unaufhörlich wachse Euch der Mut zum Opfer für die Rettung des Wesens und
für die Erhöhung der innersten Kraft unseres Volkes in seinem Staat.
Nicht Lehrsätze und "Ideen" seien die Regeln Eures Seins.
Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit
und ihr Gesetz. Lernet immer tiefer zu wissen: Von nun an fordert jedwedes Ding
Entscheidung und alles Tun Verantwortung.
Heil Hitler!“
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4) Carl Schmitt
Der Führer schützt das Recht (1934)
Der Staatsrechtslehrer Schmitt (1888-1985) war lange Zeit der "Kronjurist" im
nationalsozialistischen Staat. Viele seiner Schüler und Enkelschüler bekleideten und
bekleiden wichtige Positionen in der Bundesrepublik Deutschland. Er selbst ist inzwischen in Fragen des Staatsrechts der in der konservativen Presse am häufigsten
erwähnte Autor. Der Kreis seiner "Sympathisanten" nimmt beständig zu.
Am 30. Juni 1934 hatte Hitler mit Hilfe von Sondertruppen der SS nicht nur seinen alten "Kampfgefährten" Ernst Röhm, den Stabschef der SA, und mit ihm die gesamte Führung der SA, sondern zahllose andere "mißliebige" Personen (Offiziere,
Politiker, Schriftsteller etc.) ermorden lassen, wobei er selber in Oberbayern die Aktion leitete. Carl Schmitt lieferte wenig später die staatsrechtliche "Rechtfertigung" dieses Verbrechens.
"Der Führer...macht Ernst mit den Warnungen der deutschen Geschichte. Das
gibt ihm das Recht und die Kraft, einen neuen Staat und eine neue Ordnung zu begründen.
Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar
Recht schafft: ‚In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des Deutschen Volkes oberster Gerichtsherr.’ Der wahre
Führer ist immer auch Richter... (In einem Führerstaat kontrollieren sich nicht, wie in
einem liberalen Rechtsstaat, Gesetzgebung, Regierung und Justiz gegenseitig mißtrauisch.)...Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will, macht den Richter entweder zum Gegenführer
oder zum Werkzeug eines Gegenführers und sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus
den Angeln zu heben. Das ist eine oft erprobte Methode nicht nur der Staats-, sondern auch der Rechtszerstörung. Für die Rechtsblindheit des liberalen Gesetzesdenkens war es kennzeichnend, daß man aus dem Strafrecht den großen Freibrief,
die ‚Magna Charta des Verbrechers’ (Fr. v. Liszt) zu machen suchte. Das Verfassungsrecht mußte dann in gleicher Weise zur Magna Charta der Hoch- und Landesverräter werden...Mit dieser Art von Jurisprudenz ist das Wort des Führers, daß er
als ‚des Volkes oberster Gerichtsherr’ gehandelt habe, allerdings nicht zu begreifen.
Sie kann die richterliche Tat des Führers nur in eine nachträglich zu legalisierende
und indemnitätsbedürftige Maßnahme des Belagerungszustandes umdeuten. Ein
fundamentaler Satz unseres gegenwärtigen Verfassungsrechts, der Grundsatz des
Vorranges der politischen Führung, wird dadurch in eine juristisch belanglose Floskel
und der Dank, den der Reichstag im Namen des deutschen Volkes dem Führer ausgesprochen hat, in eine Indemnität oder gar einen Freispruch verdreht.
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In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht
der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz...Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt...Alles Recht
stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. Jedes staatliche Gesetz, jedes gerichtliche Urteil enthält nur so viel Recht, als ihm aus dieser Quelle zufließt. Das übrige ist
kein Recht, sondern ein "positives Zwangsnormengeflecht", dessen ein geschickter
Verbrecher spottet."
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5) Ernst Forsthoff
Der totale Staat (1933)
Der Staatsrechtslehrer Forsthoff (1902-1974) war neben Carl Schmitt und vielen anderen Kollegen (z.B. Ernst Friesenhahn, Walter Hamel, Friedrich August v. d.
Heydte, Herbert Krüger, Günther Küchenhoff, Karl Larenz, Hans-Carl Nipperdey, Ulrich Scheuner, Hans Welzel, Franz Wieacker, Erik Wolf) einer der juridischen Wegbereiter und Rechtfertiger der Hitlerschen Tyrannis. Außer Schmitt gelangten sie
nach 1945 alle wieder auf renommierte Lehrstühle und hatten entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der (Staats-)Rechtslehre im "neuen" (West-)Deutschland,
wobei oft dieselben Lehren, nur terminologisch "entnazifiziert", verbreitet wurden wie
während der Nazi-Zeit. Von 1943 bis 1967 war Forsthoff Ordinarius für Öffentliches
Recht in Heidelberg mit bedeutendem Einfluß auf das Staatsrechtsdenken in der
Bundesrepublik Deutschland.
"Die Menschheit gliedert sich in eine große Zahl artverschiedener Völker. Zwischen den Völkern gibt es Freundschaften und Feindschaften. Die Artverschiedenheit bedeutet darum noch nicht Feindschaft. Sie wird erst zur Feindschaft, wenn Artverschiedene von ihrem Anderssein her den territorialen Lebensraum oder das Volkstum, den geistigen Lebensraum eines Volkes antasten. Darum wurde der Jude, ohne Rücksicht auf guten oder schlechten Glauben und wohlmeinende oder böswillige
Gesinnung zum Feind und mußte als solcher unschädlich gemacht werden. Erst
wenn der Jude jeden Versuch einer Beteiligung an dem geistigen und politischen
Dasein des deutschen Volkes aufgeben und sich ganz auf sein Judentum zurückziehen würde (wobei die Frage ist, ob er das wirklich in Zukunft will oder vermag),
erst dann würde der Jude zum bloß Artfremden werden und aufhören, der Feind zu
sein."
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6) Carl Schmitt
Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist (1936)
Schmitt war inzwischen Staatsrat, Professor in Berlin, Herausgeber der Deutschen Juristen-Zeitung und "Reichsgruppenwalter der Reichsgruppe Hochschullehrer
des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes". Mit seinem Schlußwort auf der
Tagung dieses "Rechtswahrerbundes" im Oktober 1936 erwies sich Schmitt als ein
"Adolf Eichmann" der Gelehrtenrepublik.
"Das Wichtigste...,was sich in diesen Tagen für uns herausgestellt hat, ist...die
klare und endgültige Erkenntnis, daß jüdische Meinungen in ihrem gedanklichen Inhalt nicht mit Meinungen deutscher oder sonstiger nichtjüdischer Autoren auf eine
Ebene gestellt werden können. Mit größter Klarheit ist uns allen bewußt geworden,
daß es eine nur scheinbare Schwierigkeit bedeutet, wenn es auch Juden gibt, die
staatsbetonte und patriotische Ansichten geäußert haben...Immer wieder ist...die Erkenntnis durchgedrungen, daß der Jude für die deutsche Art des Geistes unproduktiv
und steril ist. Er hat uns nichts zu sagen, mag er auch so scharfsinnig kombinieren
oder sich noch so eifrig assimilieren. Er kann wohl seine enorme Händler- und Vermittlergabe spielen lassen, in der Sache schafft er nichts. Es ist ein Zeichen mangelnder Schulung in der Rassenkunde und infolgedessen auch im nationalsozialistischen Denken, das nicht zu sehen...Auch die viel gerühmte kritische
Begabung des Juden ergibt sich nur aus seinem Mißverhältnis zu allem, was wesentlich und arteigen ist...Auch ist es nicht richtig, den Juden als besonders logisch,
besonders begrifflich, konstruktiv oder rationalistisch zu bezeichnen. Seine ‚unbekümmerte logische Schärfe’ ist nicht so sehr das, was wir mit Logik meinen, sondern
eine gegen uns gerichtete Waffe...
Die Beziehung des jüdischen Denkens zum deutschen Geist ist folgender Art:
Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und eine
händlerische Beziehung. Durch seine händlerische Begabung hat er oft einen scharfen Sinn für das Echte; mit großer Findigkeit und schneller Witterung weiß er das
Echte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und echter Händler...Die Juden merken schnell, wo deutsche Substanz ist, die sie anzieht. Diese Eigenschaft brauchen
wir ihnen nicht als Verdienst anzurechnen, um für uns Hemmungen einzuschalten...
Ich wiederhole immer wieder die dringende Bitte, jeden Satz in Adolf Hitlers
‚Mein Kampf’ über die Judenfrage...zu lesen. Was...von Fachleuten in vielen wissenschaftlich hervorragenden Referaten vorgetragen worden ist, wird dort einfach, jedem Volksgenossen verständlich und völlig erschöpfend gesagt...
Das Judentum ist, wie der Führer in seinem Buch ‚Mein Kampf’ sagt, nicht nur
allem feind, was dem Juden feind ist, sondern der Todfeind jeder echten Produktivität
bei jedem anderen Volk. Seine Weltmacht duldet keine völkische Produktivität, sonst
wäre seine eigene Art von Existenz widerlegt...Uns beschäftigt der Jude nicht seiner
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selbst wegen. Was wir suchen und worum wir kämpfen, ist unsere unverfälschte eigene Art, die unversehrte Reinheit unseres deutschen Volkes. ‚Indem ich mich des
Juden erwehre’, sagt unser Führer Adolf Hitler, ‚kämpfe ich für das Werk des Herrn’."
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7) "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen
Ehre" vom 15. September 1935 - Teil der sog. Nürnberger Gesetze, welche die erste entscheidende rechtliche Diskriminierung der deutschen Juden zum Zweck hatten.
"Durchdrungen von der Erkenntnis, daß die Reinheit des deutschen Blutes die
Voraussetzung für den Fortbestand des Deutschen Volkes ist, und beseelt von dem
unbeugsamen Willen, die Deutsche Nation für alle Zukunft zu sichern, hat der
Reichstag das folgende Gesetz beschlossen...:
...Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder
artverwandten Blutes sind verboten....[Zuwiderhandlung wird mit Zuchthaus bestraft.]
...Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen
oder artverwandten Blutes ist verboten. [Der Mann, der diesem Verbot zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis oder mit Zuchthaus bestraft.]
...Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt nicht beschäftigen...[Wer dieser Bestimmung
zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit
einer dieser Strafen bestraft.]"
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8) Hans Globke
Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung (1936)
Der Jurist Globke (1898-1973) war, zusammen mit W. Stuckart, Verfasser der
Kommentare zu den "Nürnberger Gesetzen". Im Laufe des Krieges arbeitete er an
der Formulierung von Bestimmungen mit, die die juristische Grundlage der Judenverfolgung sowie die Richtschnur der Germanisierung unterworfener Völker in den besetzten Ostgebieten bildeten. Nach dem 2. Weltkrieg war Globke unter Konrad Adenauer von 1953 bis 1963 Staatssekretär des Bundeskanzleramts.
„Volk ist nicht eine nur zufällig unter einer Herrschaft zusammengefaßte Summe von menschlichen Lebewesen ohne Rücksicht auf Abstammung, Sprache, Geschichte und Kultur. Die bloße Summierung einzelner entspricht liberalem und auch
marxistischem Denken. Ihm kommt es auf innere Eigenart und Wesen nicht an. Die
Summe dieser Einzelwesen ist daher auch nicht Volk, sondern form- und gestaltlose
Masse. Volk ist dagegen ein Wesen, das sein eigenes Leben führt und eigenen Gesetzen folgt, das nur ihm selbst eigentümliche Kräfte besitzt und seine eigene Art aus
sich selbst ständig entwickelt. Zum Volk gehört eine geschichtlich gewordene Blutsgemeinschaft...
...Der höchste Zweck des völkischen Staates liegt in der Erhaltung und Förderung des aus körperlich und geistig gleichartigen Lebewesen zusammengesetzten
Volkes. Da der Blutwert eines Volkes durch die dem Volke seine Eigenart verleihende Rasse bestimmt wird, ist die Reinerhaltung und Erhöhung des Blutwertes nur
durch Rassenpflege möglich...
...Die nationalsozialistische Staatsführung hat den unerschütterlichen Glauben,
im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln, wenn sie den Versuch macht, die
ewigen ehernen Gesetze des Lebens und der Natur, die das Einzelschicksal wie das
der Gesamtheit beherrschen und bestimmen, in der staatlich-völkischen Ordnung
des Dritten Reiches wieder zum Ausdruck zu bringen... Die Rechts- und Staatsordnung des Dritten Reiches soll mit den Lebensgesetzen, den für Körper, Geist und
Seele des deutschen Menschen ewig geltenden Naturgesetzen wieder in Einklang
gebracht werden. Es geht also bei der völkischen und staatlichen Neuordnung unserer Tage um nicht mehr und nicht weniger als um die Wiederanerkennung und Wiederherstellung der im tiefsten Sinne gottgewollten organischen Lebensordnung im
deutschen Volks- und Staatsleben...
... Auf Grund strengster wissenschaftlicher Einsicht wissen wir heute, daß der
Mensch bis in die tiefsten unbewußtesten Regungen seines Gemütes, aber auch bis
in die kleinste Gehirnfaser hinein in der Wirklichkeit und der Unentrinnbarkeit seiner
Volks- und Rassenzugehörigkeit steht...
...Das rassische Denken des Nationalsozialismus bedeutet... eine Abkehr von
dem liberalistischen Grundsatz von der Gleichheit aller Menschen. Volk und Staat
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können nur gedeihen, wenn die besten Kräfte führen und wenn sie stark genug sind,
um führen zu können und sich in der Führung zu halten. Führertum aber setzt bestimmte Eigenschaften voraus, die nun einmal nicht bei allen Menschen in gleicher
Weise vorhanden sind. Aus dem Rassegedanken folgt so zwangsläufig der Führergedanke. Der völkische Staat muß also notwendig ein Führerstaat sein. ...
Der völkische Staat hat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens
zu setzen. Er hat für ihre Reinerhaltung zu sorgen. Er hat das Kind zum kostbarsten
Gut eines Volkes zu erklären. Er muß dafür Sorge tragen, daß nur wer gesund ist,
Kinder zeugt; daß es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eignen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen, doch eine höchste Ehre: darauf zu verzichten. Umgekehrt aber muß es als verwerflich gelten, gesunde Kinder der Nation
vorzuenthalten. Der Staat muß dabei als Wahrer einer tausendjährigen Zukunft auftreten, der gegenüber der Wunsch und die Eigenschaft des einzelnen als nichts erscheinen und sich zu beugen haben... Er hat, was irgendwie ersichtlich krank und
erblich belastet und damit weiter belastend ist, zeugungsunfähig zu erklären und dies
auch praktisch durchzusetzen. Er hat umgekehrt dafür zu sorgen, daß die Fruchtbarkeit des gesunden Weibes nicht beschränkt wird durch die finanzielle Luderwirtschaft
eines Staatsregiments, das den Kindersegen zu einem Fluch über die Eltern gestaltet. Er hat mit jener faulen, ja verbrecherischen Gleichgültigkeit, mit der man heute
die sozialen Voraussetzungen einer kinderreichen Familie behandelt, aufzuräumen
und muß sich an Stelle dessen als oberster Schirmherr dieses köstlichen Segens
eines Volkes fühlen... .
"Die Blutsvermischung [Durchrassung] und das dadurch bedingte Senken des
Rassenniveaus ist die alleinige Ursache des Absterbens aller Kulturen; denn die
Menschen gehen nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am Verlust jener
Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute zu eigen ist". "Die Sünde wider Blut und
Rasse ist die Erbsünde dieser Welt und das Ende einer sich ihr ergebenden
Menschheit" ("Mein Kampf", 324, 272)...
...Die stark romanisch beeinflußte individualistisch-liberale Staatsauffassung,
die im freien unabhängigen Individuum und in der Summe der Individuen, der Gesellschaft, das Primäre und daher allein Schutzwürdige sah, weil man durch das "freie
Spiel der Kräfte" das größtmögliche Glück des einzelnen und der Summe der einzelnen, der Allgemeinheit, zu erreichen glaubte, begriff den Staat als einen neben oder
über dem Individuum stehenden Apparat, als einen verselbständigten Mechanismus,
der juristisch als eine über dem Volke schwebende juristische Staatsperson erfaßt
wurde. Dieser Begriff des Staates entsprach dem herrschenden mechanischen Weltbild. Die juristische, vom Volke gelöste Staatspersönlichkeit hatte unter scharfer Kontrolle der Gesellschaft der freien Entfaltung der Einzelpersönlichkeit zu dienen und
darauf zu achten, daß niemand in seiner Freiheit beschränkt wurde. Staat und Volk,
Staatsgewalt und Untertan standen sich hier streng geschieden gegenüber. Das einzelne Individuum war der Gegenpart der abstrakten Staatspersönlichkeit. Beide traten, wenn auch nicht gleichgeordnet, miteinander in Rechtsbeziehungen... In diesen
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positiv-rechtlichen Rechtsbeziehungen erschöpfte sich im liberalen Rechtsstaat das
Wesen der Staatsangehörigkeit. Mit peinlicher Sorgfalt für das Individuum und seine
Rechte versuchte man den Inhalt der Staatsangehörigkeit genauestens zu erörtern
und festzulegen. Selbstverständlich bezog sich die Betrachtung im wesentlichen auf
die Rechte des Staatsangehörigen, auf den Grad seines Einflusses auf den Staat
und seiner Unabhängigkeit von diesem Staat. Der individualistischen Denkweise entsprach es, den Inhalt der Staatsangehörigkeit, abgesehen von einigen wenigen Untertanenpflichten wie der Wehrpflicht, in einem Strauß von Rechten zu sehen, den
sogenannten Staatsbürgerrechten, die sich im wesentlichen gegen den Staat richteten. In jeder Verfassung spielten daher die sogenannten Grundrechte eine hervorragende Rolle, so im besonderen Maße auch in der Weimarer Verfassung. Vor allem
aber wurde der Grundsatz der Gleichheit aller auf das peinlichste gewahrt. Stets waren die Rechte und Pflichten für jeden Staatsangehörigen die gleichen. Auf seine
Blutszugehörigkeit insbesondere kam es nicht an. Eine völkische Grundlage für die
Staatsbürgerschaft gab es nicht. Die Frage nach der völkischen Zugehörigkeit des
einzelnen Staatsangehörigen wurde nicht gestellt. ...
Nach nationalsozialistischer Anschauung sind dagegen nicht einzelne Menschen, sondern Rassen, Völker und Nationen die tatsächlichen Gegebenheiten der
gottgewollten Ordnung dieser Welt. Der einzelne ist in seinem Volkstum schicksalhaft
verwurzelt. Die Gemeinschaft des Volkes ist der erste Wert im Leben der Gesamtheit
wie des einzelnen. Der Einzelmensch ist nur denkbar als Glied von Gemeinschaften,
denen er artgleich ist, und von denen er sein körperliches Wesen und seine geistige
Veranlagung ererbte (Familie, Volkstum). Für den Nationalsozialismus gibt es keine
abgekapselte gemeinschaftsfreie Individualsphäre mehr, die peinlich vor jedem Eindringen des Staates zu bewahren wäre. Die Bewährung der sittlichen Persönlichkeit
ist nur in der Gemeinschaft möglich. ...
Den Lehren von der Gleichheit aller Menschen und von der grundsätzlich unbeschränkten Freiheit des einzelnen gegenüber dem Staate setzt der Nationalsozialismus hier die harten, aber notwendigen Erkenntnisse von der naturgesetzlichen Ungleichheit und Verschiedenartigkeit der Menschen entgegen... Liberalem Rechtsdenken war es fremd, die Ausübung der politischen Rechte und Pflichten an die völkische Zugehörigkeit des einzelnen zu knüpfen. Aus der nationalsozialistischen
Staatsauffassung folgt, daß der nationalsozialistische Staat dagegen als völkischer
Staat die Ausübung der Staatsbürgerrechte von der Volkszugehörigkeit abhängig
machen muß. Was deutsch ist und was dem deutschen Volk und Reich nützt oder
schadet, kann nur der Blutsverwandte empfinden, wissen und daher auch bestimmen..."
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9) Theodor Maunz
Neue Grundlagen des Verwaltungsrechts (1934) - Die Staatsaufsicht (1938)
und anderes
Der Staatsrechtslehrer Maunz (1901-1993) war ebenfalls einer der
"staatstragenden" Juristen der NS-Zeit und u. a. in der "Reichsgruppe
Hochschullehrer" Referent für "Judentum in der Rechtswissenschaft". Nach 1945 war
er bis zu seiner Emeritierung Professor in München, von 1957 bis 1964 bayerischer
Kultusminister und, zunächst zusammen mit Günter Dürig, Verfasser des wichtigsten
Kommentars zum Grundgesetz; als Ko-Autoren kamen später hinzu: sein
Promotions- und Habilitationsschüler Roman Herzog, gegenwärtig Präsident des
Bundesverfassungsgerichts und Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, sowie
der ehemalige Bundesminister der Verteidigung Rupert Scholz. Vor wenigen
Monaten wurde bekannt, daß Maunz jahrelang dem Herausgeber der Deutschen
National- und Soldatenzeitung, Gerhard Frey, mit Rat, Tat und eigenen Beiträgen zur
Seite gestanden hat.
"Es kommt jetzt weniger darauf an, unangreifbare Ergebnisse zu liefern, als im
Ringen um die Neugestaltung Waffen zu liefern..."
"Die politischen Führer-Entscheidungen vertragen keinerlei Kontrolle durch einen justizförmigen Apparat." "Der Führer ist vor allem berufen, das Recht zu erkennen, kundzutun und zu vollstrecken."
"Das deutsche Recht hat einen auf rassischer Grundlage aufgebauten Gleichheitsgrundsatz, während sich die Gleichheit anderer Völker und Staaten vielfach
ungegliedert auf den Menschen überhaupt bezieht. Im deutschen Recht gilt die
Gleichheit aller artgleichen Volksgenossen - der Ausschluß Artfremder von der unterschiedslosen Benützung von Einrichtungen in der Hand des Staates oder der Gemeinden, etwa gemeindlicher Badeunternehmungen, ist ihm also keine Verletzung,
sondern eine Erfüllung seines Gleichheitsgrundsatzes."
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10) Befehle, Anordnungen, Verordnungen und Runderlasse unmittelbar vor,
während und nach der sog. "Reichskristallnacht" vom 9./10. November 1938.
Am 9. November 1938 war in Paris der deutsche Gesandtschaftsrat Ernst von
Rath an den Folgen einer Schußverletzung gestorben, die ihm zwei Tage vorher der
deutsche Jude polnischer Abstammung Herschel Grynszpan zugefügt hatte. Daraufhin kam es zu einer angeblich spontanen Reaktion des deutschen Volkes, tatsächlich
aber zu einem hauptsächlich von Goebbels initiierten und gesteuerten Pogrom in
ganz Deutschland, in welchem vor allem durch SA-Trupps mehr als 250 Synagogen,
7500 jüdische Geschäfte sowie zahlreiche jüdische Wohnungen zerstört und etwa
20-30000 Juden verhaftet und 36 ermordet wurden.
9.11.38
Gestapo
FS
Geheim!
An alle Staatspolizeiämter:
Solche Aktionen werden in ganz Deutschland stattfinden. Sie sollen nicht behindert werden. Wichtiges Archivmaterial in Synagogen ist sofort sicherzustellen
(insbesondere das hochwichtige Material in der Synagoge von Köln). Die Festnahme
von 20-30 000 Juden im Reich ist vorzubereiten; vor allem sind reiche Juden auszuwählen. Wenn im Laufe der Aktion im Besitz von Juden Waffen gefunden werden,
sind strengste Maßregeln zu ergreifen.
9.11.38 Gruppenführer, an den Stabsführer der Gruppe Befehl
Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören, und eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür sorgt, daß keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. Die Presse ist heranzuziehen. Synagogen sind sofort
in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Von der Feuerwehr sind
nur Wohnhäuser von Ariern zu schützen, aber auch jüdische anliegende Wohnhäuser, allerdings müssen Juden raus, da Arier dort kürzlich einziehen werden.
Die Polizei darf nicht eingreifen. Sämtliche Juden sind zu entwaffnen, bei Widerstand sofort über den Haufen schießen. An den zerstörten jüdischen Geschäften,
Synagogen usw. sind Schilder anzubringen: "Rache für Mord an vom Rath", "Tod
dem internationalen Judentum", "Keine Verständigung mit den Völkern, die judenhörig sind".
10.11.38
RFSSuCdDP (Himmler)
FS
Maßnahmen gegen Juden in der heutigen Nacht:
Sofortige Vorbereitungen und Besprechungen in Anwesenheit der Kommandeure der Ordnungspolizei. Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die kei-
22
ne Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung besteht); keine Zerstörung
oder Plünderung jüdischer Wohnungen oder Geschäfte und Sicherung nichtjüdischer
Geschäfte; keine Belästigung von Juden fremder Staatsangehörigkeit. Sofortige polizeiliche Beschlagnahme von Archivmaterial der jüdischen Kultusgemeinden. In allen
Bezirken sind so viele Juden - insbesondere wohlhabende - festzunehmen, als in den
vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können. Nach der Festnahme ist
unverzüglich mit dem zuständigen KZ wegen deren schnellster Unterbringung Verbindung aufzunehmen. Alle Staatspolizeistellen sind angewiesen, sich nicht mit Gegenmaßnahmen einzumischen.
10.11.38
Gestapo Berlin
FS
An alle Staatspolizei(leit)stellen:
Unter Bezug auf den Befehl des CdSiPo von heute Nacht teile ich mit, daß die
KL Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen in der Lage sind, je 10 000 Häftlinge
aufzunehmen.
10.11.38
Chef der Ordnungspolizei
FS
Die Ordnungspolizei begleitet solche Demonstrationen und Aktionen nur mit
schwachen Kräften in Zivil, um eventuell Plünderung zu verhindern. Uniformierte
Ordnungspolizei wird nur im äußersten Notfalle eingesetzt.
10.11.38
RFSSuCdDP (Himmler)
FS
An alle Hauptbüros und Ämter der Staatspolizei; an alle Abteilungen und
Unterabteilungen des SD:
Plündern verboten. Plünderer sind zu verhaften. Die verhafteten Juden sind in
Staatspolizeigefängnissen unterzubringen. Verhaftungsbefehle sind nicht notwendig.
Der Reichsjustizminister hat die Staatsanwaltschaft angewiesen, keine Untersuchungen über die Judenaktionen einzuleiten.
10.11.38
VO
VO zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben:
§ 1: "Alle Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des
internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9.
und 10. November 1938 an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden sind, sind von dem jüdischen Inhaber oder jüdischen Gewerbetreibenden sofort
zu beseitigen."
23
§ 2 (1): "Die Kosten der Wiederherstellung trägt der Inhaber der betroffenen jüdischen Gewerbebetriebe und Wohnungen. (2): Versicherungsansprüche von Juden
deutscher Staatsangehörigkeit werden zugunsten des Reichs beschlagnahmt."
12.11.38
VO
VO über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit:
"Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und
Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt, erfordert entschiedene
Abwehr und harte Sühne.
Ich bestimme daher ...
§ 1. Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 1 000 000 000 RM an das Deutsche Reich auferlegt.
24
11) Martin Heidegger
Freiburger Vorlesung vom Sommersemester 1942 über Hölderlins Hymne "Der
Ister".
Am 11. Dezember 1941 hatte Deutschland den USA den Krieg erklärt. Im
Sommer 1942 standen die deutschen Truppen vor Moskau und an der Wolga.
"Wir wissen heute, daß die angelsächsische Welt des Amerikanismus entschlossen ist, Europa, und d.h. die Heimat, und d.h. den Anfang des Abendländischen, zu vernichten. Anfängliches ist unzerstörbar. Der Eintritt Amerikas in diesen
planetarischen Krieg ist nicht der Eintritt in die Geschichte, sondern ist bereits schon
der letzte amerikanische Akt der amerikanischen Geschichtslosigkeit und Selbstverwüstung. Denn dieser Akt ist die Absage an das Anfängliche und die Entscheidung
für das Anfanglose. Der verborgene Geist des Anfänglichen im Abendland wird für
diesen Prozeß der Selbstverwüstung des Anfanglosen nicht einmal den Blick der
Verachtung übrig haben, sondern aus der Gelassenheit der Ruhe des Anfänglichen
auf seine Sternstunde warten..."
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12) Adolf Hitler
Rede im Berliner Sportpalast am 30. September 1942
"Die Juden haben einst auch in Deutschland über meine Prophezeiung gelacht.
Ich weiß nicht, ob sie auch heute noch lachen, oder ob ihnen nicht das Lachen bereits vergangen ist. Ich kann aber auch jetzt nur versichern: Es wird ihnen das Lachen überall vergehen."
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13) Siegfried Einstein
Der ewige Jude (1942)
Siegfried Einstein wurde 1919 in Württemberg geboren, wo er in der Schule die
ersten Erfahrungen mit Antisemitismus machte. Er emigrierte 1934 in die Schweiz,
war dort von 1940 bis 1945 in Arbeitslagern, während viele seiner Angehörigen in
Auschwitz ermordet wurden, und kehrte 1953 nach Deutschland zurück. Er lebte als
erfolgreicher Dichter, Lyriker, Essayist zunächst in der Pfalz, zog aber nach neuerlichen antisemitischen Ausfällen gegen ihn 1959 in die Großstadt Mannheim, wo er
1983 starb.
"Nicht ruhend, nicht rastend,
getrieben und hastend;
der ewigen Sehnsucht
verzehrende Flammen
im todwunden Busen:
so wälzet und wälzet
das uralte Heimweh
wie Ströme von Lava
sich Tage und Nächte
und endlose Jahre
im Geiste dahin ....
-----Ein Wandrer ist müde,
so müde und schläfrig
vom rastlosen Wandern ...
Er möchte das Heimweh,
die Fremde vergessen;
vergessen die Menschen,
die Zeit und das Leben,
das Bitten und Warten -:
vergessen die Not!
----Ein Wandrer war müde
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der endlosen Fremde ...
Er war nur ein Jude,
ein armseliger Jude:
er wollte nach Hause und ging in den Tod ..."
28
14) Heinrich Himmler
Reden in Posen am 4. Oktober 1943 auf der SS-Gruppenführer-Tagung und am
6. Oktober 1943 vor den Reichs- und Gauleitern
Himmler (1900-1945 [Selbstmord]) zunächst 1933 Polizeipräsident von München, später Kommandeur der politischen Polizei in Bayern, dann der gesamten Geheimen Staatspolizei (Gestapo); schließlich "Chef der deutschen Polizei" und
"Reichsführer SS". Neben Hitler und Heydrich, dem ihm unterstellten Chef des
Reichssicherheitshauptamtes (Gestapo, Kripo und SD), war Himmler der Hauptverantwortliche für die von deutscher Seite in der Zeit zwischen 1933 und 1945 verübten
millionenfachen Verbrechen.
"...Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres Kapitel
erwähnen. Unter uns soll es einmal ganz offen ausgesprochen sein, und trotzdem
werden wir in der Öffentlichkeit nie darüber reden. Genau so wenig, wie wir am 30.
Juni 1934 gezögert haben, die befohlene Pflicht zu tun und Kameraden, die sich
verfehlt hatten, an die Wand zu stellen und zu erschießen, genau so wenig haben wir
darüber jemals gesprochen und werden je darüber sprechen. Es war eine,
Gottseidank in uns wohnende Selbstverständlichkeit des Taktes, daß wir uns
untereinander nie darüber unterhalten haben, nie darüber sprachen. Es hat jeden geschaudert und doch war sich jeder klar darüber, daß er es das nächste Mal wieder
tun würde, wenn es befohlen wird und wenn es notwendig ist.
Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es
gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. –‚Das jüdische Volk wird ausgerottet’, sagt ein jeder Parteigenosse, ‚ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir’. Und dann kommen sie alle an, die braven
80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die
anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden,
hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten
wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder
wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart
gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte..."
"Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den Frauen und Kindern? - Ich
habe mich entschlossen, auch hier eine ganz klare Lösung zu finden. Ich hielt mich
nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten - sprich also, umzubringen oder
umbringen zu lassen - und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und
Enkel groß werden zu lassen. Es mußte der schwere Entschluß gefaßt werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen. Für die Organisation, die den Auftrag
durchführen mußte, war es der schwerste, den wir bisher hatten. Er ist durchgeführt
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worden, ohne daß - wie ich glaube sagen zu können - unsere Männer und unsere
Führer einen Schaden an Geist und Seele erlitten hätten. Diese Gefahr lag sehr nahe. Der Weg zwischen den beiden hier bestehenden Möglichkeiten, entweder zu roh
zu werden, herzlos zu werden und menschliches Leben nicht mehr zu achten oder
weich zu werden und durchzudrehen bis zu Nervenzusammenbrüchen - der Weg
zwischen dieser Scylla und Charybdis ist entsetzlich schmal."
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15) Peter Zvi Malkin
Ich jagte Eichmann (1990)
Der Geheimagent, Autor und Maler Malkin (1929-2005) nahm 1960 im Auftrag
des israelischen Geheimdienstes in Argentinien den ehemaligen SSObersturmbannführer Adolf Eichmann (1906-1962) gefangen. Eichmann war zwischen 1941 und 1945 hauptverantwortlich für die systematische Ergreifung von Millionen Juden und deren Transport in die Vernichtungslager; er wurde in Israel zum
Tode verurteilt und gehängt.
„Mehr als einmal war es, als ob er völlig vergessen hätte, mit wem er sprach.
Stolz schilderte er, wie er der Wehrmacht manchmal zusetzen mußte, damit sein
Auftrag ordentlich erledigt wurde - sie forderten seine Züge für Truppenbewegungen
an -, und wie er gelegentlich sogar Möglichkeiten gefunden hatte, die Wünsche seiner Vorgesetzten zu umgehen. Andere mochten halbherzig sein, er jedenfalls sorgte
dafür, daß die Güterwagen voll waren und planmäßig in die Lager fuhren, egal, was
dem entgegenstand. "Gegen Ende", erzählte er mir in einer Nacht, "wollte sogar
Himmler, daß ich Schluß mache. Er glaubte, wir könnten unsere Haut retten. Aber ich
habe weitergemacht. Wenn ein Mann einen Auftrag hat, macht er nicht eher Schluß,
als bis er ihn erledigt hat."
Und er saß strahlend da, wußte, daß Mitglieder meiner Familie ermordet worden waren und erwartete, daß ich ausrief: "Bei Gott, Sie sind wirklich zu bewundern!"
Ich schwöre, wenn ich mich umgebracht hätte und als Geist zurückgekommen wäre,
hätte er sogar dann noch Lob von mir erwartet. Er bedauerte nur, daß er nicht die
Zeit gehabt hatte. seinen Auftrag ganz zu Ende zu bringen...
Wenn ich darüber nachdachte, war ich mir ziemlich sicher, daß Eichmann tatsächlich meinte, was er sagte: Er hatte die Juden nie gehaßt, jedenfalls nicht so wie
seine Nazikollegen. Eigentlich haßte er uns erst nach seiner Gefangennahme, weil
wir sein Recht in Frage stellten, das zu tun, was er getan hatte. Das stellte die Welt
auf den Kopf. Wie konnten wir es wagen, seine Autorität in Frage zu stellen? Er hatte
seine Befehle gehabt, alles war legal gewesen. Wie konnten wir uns anmaßen, über
ihn zu urteilen?
Schließlich war es nicht Eichmann, den diese Gespräche veränderten, ich war
es. Nie wieder würde ich so optimistisch über die Menschheit denken wie bisher. Ich
mußte mich der Tatsache stellen, daß völlig normal wirkende Menschen, Produkte
normaler Elternhäuser, emotional so tot sein können, daß sie unzugänglich sind für
menschliche Gefühle. Es war für mich eine erschütternde, eine tieftraurige Erkenntnis.
"Ich liebe Kinder", bekannte er in einem unserer ersten nächtlichen Gespräche
und lächelte dabei fast träumerisch.
31
"Sie lieben Kinder?" explodierte ich wider Willen. "Sie meinen wohl, manche
Kinder."
"Nein, ich liebe alle Kinder."
"Ach ja?" Ich mußte in seiner Gegenwart wieder einmal um Selbstbeherrschung
kämpfen.
"Hören Sie", sagte er ruhig und wagte es, das Thema von sich aus zu erweitern, "vielleicht kommt es Ihnen so vor, als ob ich die Juden hasse. Das tue ich aber
nicht. Ich war nie ein Antisemit. Streicher und die Kerle vom Stürmer haben mich
immer angewidert."...
Er fuhr fort: "Ich war den Juden immer zugetan. Ich hatte jüdische Freunde. Als
ich durch Haifa fuhr, legte ich Wert darauf, jüdische Taxifahrer zu finden. Ich habe
die Juden immer lieber gemocht als die Araber." ...
"Ich habe damals dort gelebt", bemerkte ich, "als polnischer Flüchtling. Sonst
wäre ich jetzt nicht hier."
Er fing den Ton der Zwischenbemerkung auf. "Sie müssen das verstehen", sagte er, "damals war das nicht so wie heute. Ich war Soldat. Ich mußte Befehle befolgen, genau wie Sie." Er machte eine Pause. "Wissen Sie, ich habe sogar bei einem
Rabbi in Berlin Hebräisch gelernt. Leider habe ich das meiste vergessen."
"Warum? Die meisten europäischen Juden sprachen Jidisch."
"Ja. Aber wissen Sie, die Sprache hat etwas mit der Mentalität zu tun. Man begreift die Probleme des jüdischen Volks nicht, wenn man die ursprüngliche Sprache
nicht versteht." Er machte eine Pause und lächelte schwach. Ihm war etwas eingefallen. "Ich erinnere mich an ein Gebet, das mich der Rabbi gelehrt hat." Und er legte
den Kopf zurück und intonierte:
"Schma Israel, adonai elohenu, adonai echad."
Das heiligste Gebet unseres Volkes, das Glaubensbekenntnis, das jeder fromme Jude auf dem Sterbebett spricht: "Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr."
Ich spürte, wie ich vor Wut zitterte. "Eichmann, wissen Sie, was diese Worte
bedeuten?"
"Ja", erwiderte er liebenswürdig und übersetzte die Worte korrekt ins Deutsche.
"Vielleicht sind Ihnen auch noch andere Worte vertraut", sagte ich. "Aba. Ima.
Kommen die Ihnen bekannt vor?"
"Aba, Ima", überlegte er und gab sich große Mühe, sich zu erinnern. "Ich weiß
es wirklich nicht mehr. Was heißt das?"
"Vati, Mutti. Das schreien jüdische Kinder, wenn man sie aus den Armen ihrer
Eltern reißt." Ich machte eine Pause, war kaum mehr fähig, mich zu beherrschen.
32
"Der Sohn meiner Schwester, mein liebster Spielkamerad, er war im selben Alter wie
Ihr Sohn. Genauso blond und blauäugig wie Ihr Sohn. Und Sie haben ihn umgebracht."
Meine Sätze verwirrten ihn, und er wartete einen Augenblick lang, ob ich deutlicher werden würde. "Ja", meinte er schließlich, "aber er war doch ein Jude, oder
nicht?"
"Ich bin es leid geworden, als anonymer Wanderer zwischen den Welten zu leben", so sein Resümee. "Die Stimme meines Herzens, der kein menschliches Wesen
entgehen kann, sagt mir, daß ich Frieden suchen soll. Ich möchte sogar mit meinen
ehemaligen Gegnern Frieden schließen... Trotz gewissenhafter Selbstprüfung muß
ich zu meiner Verteidigung sagen, daß ich weder ein Mörder noch ein Massenmörder
war... Ich habe mit reinem Gewissen und treuem Herzen die Pflicht getan, die mir
auferlegt wurde. Ich war immer ein guter Deutscher. Ich bin auch heute ein guter
Deutscher, und ich werde immer ein guter Deutscher sein!"“
33
16) Peter Weiss
Die Ermittlung (1965)
Peter Weiss (1916-1982); Emigration 1934 über England, Tschechoslowakei
und Schweiz nach Schweden (1939). Schwedischer Staatsbürger seit 1945. Schriftsteller, Filmregisseur, Graphiker; erfolgreich besonders als Bühnenautor. Das Material zu dem Bühnenstück "Die Ermittlung" hat Peter Weiss dem Auschwitz-Prozeß
entnommen, der von Dezember 1963 bis August 1965 in Frankfurt am Main stattfand.
„Also von kleinen Übeln abgesehen
wie sie solch ein Leben von vielen
auf engem Raum
nun einmal mit sich bringt
und abgesehen von den Vergasungen
die natürlich furchtbar waren
hatte durchaus jeder die Chance
zu überleben
Ich persönlich
habe mich immer anständig benommen
Was sollte ich denn machen
Befehle mußten ausgeführt werden
Und dafür habe ich jetzt
dieses Verfahren auf dem Hals
Herr Staatsanwalt
ich habe ruhig gelebt
wie alle andern auch
und da holt man mich plötzlich raus
und schreit nach Hofmann
Das ist der Hofmann
sagt man
Ich weiß überhaupt nicht
was man von mir will
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Ich habe keine Häftlinge ausgesondert
Ich habe nichts entschieden
Da war ich gar nicht zuständig
Wozu waren Sie denn zuständig
Ich hatte nur zur Bewachung
bei Aussonderungen zugegen zu sein
Da habe ich aufgepaßt wie ein Luchs
daß von den Ausgesonderten
niemand mehr herüberwechselte
zur arbeitsfähigen Gruppe
Hatten Sie auch Dienst auf der Rampe
Ja
Da hatte ich den Gruppenverkehr
zu regeln
Wie machten Sie das
Alles raustreten
Gepäck auf die Rampe
Antreten zu fünft
Vorwärts marsch
Aber ich habe nur getan
was ich tun mußte
Und was mußten Sie tun
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Zusehn daß der Betrieb klappte
Kinder wurden grundsätzlich
gleich überstellt
auch Mütter die sich von den Kindern
nicht trennen wollten
Alles ging reibungslos
Die Transporte kamen an
wie warme Brötchen
da brauchte gar keine Gewalt angewendet zu werden
Die nahmen alles gelassen hin
Die wehrten sich nicht
weil sie einsahen
daß jeder Widerstand
sinnlos gewesen wäre
Ich hörte den Kommandanten sagen
Jetzt bin ich doch beruhigt
Jetzt haben wir das Gas
und alle diese Blutbäder
bleiben uns erspart
Und auch die Opfer können
bis zum letzten Moment
geschont werden
Herr Vorsitzender
ich möchte das einmal erklären
Jedes dritte Wort schon in unserer Schulzeit
handelte doch von denen
die an allem schuld waren
und die ausgemerzt werden mußten
Es wurde uns eingehämmert
daß dies nur zum besten
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des eigenen Volkes sei
In den Führerschulen lernten wir vor allem
alles stillschweigend entgegenzunehmen
Wenn einer noch etwas fragte
dann wurde gesagt
Was getan wird geschieht nach dem Gesetz
Da hilft es nichts
daß heute die Gesetze anders sind
Man sagte uns
Ihr habt zu lernen
ihr habt die Schulung nötiger als Brot
Herr Vorsitzender
Uns wurde das Denken abgenommen
Das taten ja andere für uns
Wir alle
das möchte ich nochmals betonen
haben nichts als unsere Schuldigkeit getan
selbst wenn es uns oft schwer fiel
und wenn wir daran verzweifeln wollten
Heute
da unsere Nation sich wieder
zu einer führenden Stellung
emporgearbeitet hat
sollten wir uns mit anderen Dingen befassen
als mit Vorwürfen
die längst als verjährt
angesehen werden müßten.“
37
17) Paul Celan
Todesfuge (1945)
Paul Celan (1920-1970 [Selbstmord]), Emigration, seit 1948 in Paris lebend;
mehrfach ausgezeichneter Lyriker.
„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes
Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus und spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes
Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften
da liegt man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
38
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith“
39
18) Nelly Sachs
In den Wohnungen des Todes (1944/45)
Nelly Sachs (1891-1970), 1940 Emigration nach Schweden; Lyrikerin und Bühnenautorin, vielfach preisgekrönt; 1965 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels;
1966 Nobelpreis.
„O DIE SCHORNSTEINE
Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes,
Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch
Durch die Luft Als Essenkehrer ihn ein Stern empfing
Der schwarz wurde
Oder war es ein Sonnenstrahl?
O die Schornsteine!
Freiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub Wer erdachte euch und baute Stein auf Stein
Den Weg für Flüchtlinge aus Rauch?
O die Wohnungen des Todes,
Einladend hergerichtet
Für den Wirt des Hauses, der sonst Gast war O ihr Finger,
Die Eingangsschwelle legend
Wie ein Messer zwischen Leben und Tod O ihr Schornsteine,
O ihr Finger,
Und Israels Leib im Rauch durch die Luft!
WER ABER leerte den Sand aus euren Schuhen,
Als ihr zum Sterben aufstehen mußtet?
Den Sand, den Israel heimholte,
Seinen Wandersand?
Brennenden Sinaisand,
Mit den Kehlen von Nachtigallen vermischt,
Mit den Flügeln des Schmetterlings vermischt,
Mit dem Sehnsuchtsstaub der Schlangen vermischt,
Mit allem was abfiel von der Weisheit Salomos vermischt,
Mit dem Bitteren aus des Wermuts Geheimnis vermischt O ihr Finger,
Die ihr den Sand aus Totenschuhen leertet,
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Morgen schon werdet ihr Staub sein
In den Schuhen Kommender!“
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19) Georg Geismann
Vom Mißbrauch der Historie für private und öffentliche Zwecke (1994)
Erkenntnisse aus dem sogenannten "Historiker-Streit"
Vor zehn Jahren konnte man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Folgendes
lesen:
"Als Historiker finde ich die ... Entrüstung über den Nationalsozialisten Heidegger ... heuchlerisch. 1932 war für jedermann sichtbar, daß die liberalen Parteien (inklusive SPD) nicht imstande waren, die Aufgaben des Tages zu meistern; sie hatten
auch nichts Entscheidendes getan, um Deutschland aus dem halbkolonialen Zustand
zu befreien, in dem es sich damals befand. Man hatte nur noch die Wahl zwischen
einer deutschen Diktatur und einer von Moskau abhängigen. Wäre ich 1933 ein junger Deutscher gewesen, so hätte ich mich selbstverständlich für die Nationalsozialisten entschieden. ...
In Deutschland ... kann immer noch einer, der verschweigt, ein Nazi gewesen
zu sein, einen Mitbürger verfolgen, der es offen zugibt (oder nicht mehr verdecken
konnte). Dieses jämmerliche Stück wird täglich aufgeführt unter der Devise, daß die
böse deutsche Vergangenheit eben ‚einzigartig’ und ‚unvergleichlich’ sei. ... Dieses
Argument gilt so lange, wie verhindert wird, daß die - durchaus vorhandenen - deutschen Untaten erstens von einer vorurteilslosen Forschung auf ihr historisches Maß
zurückgeführt werden und zweitens mit den - durchaus vorhandenen, aber mit dem
Mantel des Schweigens bedeckten - Untaten der anderen verglichen werden dürfen.
Der Streit um die Fehler von gestern trübt den Blick für die Gefahren von heute.
Eine dieser Gefahren ist, wie gehabt, das Einreißen aller Dämme durch utopistische
Liberale. Die Frage ist allerdings nur, ob man im nächsten Ernstfall überhaupt noch
die Wahl zwischen zwei Deichmeistern haben wird."
Der Autor dieser Äußerungen wurde 1920 als Schweizer Staatsbürger geboren.
Im Februar 1942 ging er, "unter dem Eindruck des ersten russischen Winters für die
Wehrmacht", schwarz über die Grenze ins Deutsche Reich, um sich dort als Kriegsfreiwilliger zu melden. Nach dem Krieg wurde er dafür in der Schweiz zu Festungshaft verurteilt. Später erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft, wurde ein erfolgreicher Publizist am rechten Rand des politischen Spektrums und war bis vor ein paar
Jahren Geschäftsführer der Siemens-Stiftung in München. Sein Name ist Armin Mohler.
Nehmen wir nur das Schlimmste von dem, was uns Mohler zumutet. Die Wahl
zwischen Hitler und Stalin - für Mohler die einzige Alternative der Deutschen 1933 war durchaus keine Wahl zwischen zwei "Deichmeistern", die das Einreißen von
Dämmen verhüten sollten, sondern zwischen zwei Teufeln in Menschengestalt, die
selber alle Dämme einrissen. Und wenn die deutsche Diktatur, die Mohler nach eige-
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nem Bekunden damals gewählt hätte, einige Aufgaben des Tages wirklich "gemeistert" hat (Mohler denkt wahrscheinlich an Arbeitsbeschaffung, Autobahnen, Olympische Spiele), so doch schon während ihrer ersten Jahre nur auf Kosten all dessen,
was Deutschland als sogenannter "Kulturstaat" bis dahin mühsam errungen hatte.
Das Ende war kein "halbkolonialer Zustand", sondern erst Barbarei, dann Hölle auf
Erden. Auch kann man es doch nur Wahnsinn nennen, wenn jemand sich freiwillig
unter das Beil des Henkers begibt, weil angeblich ein Mörder naht. Im übrigen wäre
Deutschland damals sehr wohl zu retten gewesen, die verfassungstreuen Parteien
wären nicht zwischen der unheiligen, rein zerstörerischen Allianz von Nationalsozialisten und Kommunisten zerrieben worden, wenn nicht die Carl Schmitt, Ernst Jünger,
Oswald Spengler und all die vielen anderen Gegner des liberalen demokratischen
Verfassungsstaates vom Schlage Armin Mohlers jahrelang das "System" durch Wort
und Tat bekämpft hätten.
Meiner öffentlichen Kritik an Mohlers Äußerungen attestierte damals ein deutscher Staatssekretär a. D. "röhrenden Antifaschismus", der nicht die Ansprüche erfülle, die die notwendige Diskussion über Fragen deutschen Schicksals stelle. Dieser
Staatssekretär hatte nicht einmal begriffen, daß es um etwas ganz anderes ging als
um Fragen deutschen Schicksals, nämlich um die Frage der Verantwortung für ein
Schicksal, welches von deutscher Seite Anderen bereitet worden war.
Mohlers Behauptung über den Nationalsozialismus als dem zu wählenden
kleineren Übel und die Forderung, die nazi-deutschen Verbrechen (deutsche
Historiker sprechen hier gerne gepflegt von "Untaten" und "Verstrickungen") auf ihr
"historisches Maß" zurückzuführen und mit denen "der anderen" zu vergleichen,
erfreuen sich inzwischen in Deutschland zunehmender Anerkennung und Unterstützung.
Da wäre zum Beispiel der kürzlich emeritierte Berliner Historiker Ernst Nolte zu
nennen, ein Hauptwortführer unter den neokonservativen Deutsch-Nationalen. Das
Verhalten Heideggers nach 1933 sei, so meint auch er, insofern gerechtfertigt gewesen, als dieser damals zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus, zwischen
Stalin und Hitler zu entscheiden gehabt habe; und eben darin gebe auch und gerade
"die Geschichte" Heidegger nachträglich Recht. Nolte spricht von einer nichtakzeptablen "Dämonisierung des Dritten Reiches", die für ihn schon dann vorliegt,
wenn diesem "die Menschlichkeit abgesprochen wird, die einfach darin besteht, daß
alles Menschliche endlich ist und damit weder ganz gut noch ganz schlecht..." Der
Holocaust, die "sogenannte [!] Judenvernichtung", wird zu einer "aus Angst geborenen Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution"; eine
"verzerrte Kopie und nicht ein erster Akt oder das Original"; Auschwitz bloß eine kausale Folge des "ursprünglicheren" Archipel GULag. Jene Einstellung führe gründlich
in die Irre, "die nur auf den einen Mord und den einen Massenmord hinblicke und den
anderen nicht zur Kenntnis nehmen wolle, obwohl ein kausaler Nexus wahrscheinlich
sei". Im übrigen lenke die ‚der Endlösung’ gewidmete Aufmerksamkeit... von entscheidenden Fragen der Gegenwart - etwa denjenigen des Seinscharakters von ‚ungeborenem Leben’ ab. In Bezug auf die Einstellung zur deutschen Vergangenheit ist
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für Nolte "der Frage...schlechterdings nicht mehr auszuweichen, ob nicht dem Nationalsozialismus zumindest insoweit ein gewisses historisches Recht [!] zuzuschreiben sei, als er sich dem umfassenden Anspruch der Sowjetunion mit großer, wenn
auch vermutlich weit überschiessender Energie widersetzt habe." "Es lasse sich...
leicht zeigen, daß der nationalsozialistische Antibolschewismus eine verstehbare und
in gewissen Grenzen sogar berechtigte, aber eben überschießende und in diesem
ihrem Überschießen inadäquate Reaktion war." "...wenn historische Größe im Abweichen vom Weg der Vernunft, der immer ein Weg des Maßes und damit des Mittelmaßes und oft genug der Mittelmäßigkeit sei, oder im ideologischen Überschießen
über einen rationalen Kern bestehe, dann habe es in Deutschland die der bolschewistischen entgegengesetzte ‚Größe’ nur als radikalfaschistische oder nationalsozialistische geben können."
Also berechtigter Verteidigungsangriff gegen die Sowjetunion - ob vorher auch
schon gegen Polen, Frankreich und England und später gegen die USA, - das erfährt
man nicht genau; und dabei lediglich ein Überschießen in einer durchaus verstehbaren Reaktion, der durch ihr Abweichen vom Weg der Vernunft sogar historische Größe zukomme. Inadäquat war diese Reaktion wohl nur deswegen, weil jenes Überschießen gewissermaßen mehr als bloßes Schießen war und deshalb unglücklicherweise Abermillionen Menschen das Leben kostete. Die dem Nationalsozialismus im
Verhältnis zum Bolschewismus gleichsam mildernde Umstände zubilligende Einschätzung durch Mohler und Nolte spiegelt sich übrigens genauestens im deutschen
Umgang mit dem Hitler-Erbe nach 1945 und dem Stalin-Erbe nach 1990. Wer kann
sich einen Kommentator der gesetzlichen Grundlagen des Mauerbaus als Staatssekretär von Bundeskanzler Kohl vorstellen?
Die selbsternannten Bewältiger der deutschen Vergangenheit und Gegenwart
stellen gerne den "nur" zwölf Jahren Nazi-Vergangenheit die mehr als tausend Jahre
deutscher Geschichte gegenüber und warnen entsprechend vor einer allzu großen
Fixierung auf eben jene knappen zwölf Jahre, weil wir sonst möglicherweise noch
tausend Jahre benötigten, um jene zwölf Jahre Nazismus zu überwinden. Als ob da
jemals irgend etwas zu "überwinden" sei! Als ob je das moralische Brandmal eines
Individuums oder auch eines ganzen Volkes verschwinden könne - und dies womöglich durch bloßen Ablauf von Zeit! Holocaust - Verfallszeit 50 Jahre! Wir kennen sie,
die Aufrechner, die auch an moralische Sachverhalte nicht mit dem qualitativen Maßstab der Sittlichkeit herangehen, sondern mit dem quantitativen des Bilanzbuchhalters; die Aufrechner, denen, wenn von den Abermillionen Toten geredet wird, die auf
das Schuldkonto Deutschlands (nicht unbedingt auch der einzelnen Deutschen!) gehen, nichts anderes einfällt, als ihre Moralrechenmaschine in Gang zu setzen und
uns die Kontostände "der anderen" auszurechnen. Als ob nicht für das deutsche Volk
die einzige Möglichkeit und das einzige Recht für einen aufrechten Gang darin liege,
die Wahrheit über seine grauenvolle jüngste Vergangenheit zu erkennen und als
ewiges Mahnmal zu bewahren und als "Schicksalsgemeinschaft" die mit der ohnehin
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nicht abzuwendenden Erblast unvermeidlich verbundene spezifische Verantwortung
für die politische Zukunft Deutschlands und der Welt bewußt zu übernehmen!
Seit Jahren schon sind diese nicht so sehr am Recht als am starken Staat interessierten "neue Konservativen", wie sie sich selbst gerne nennen, auf der Suche
nach der verlorenen Zeit. Wir werden sie nicht los, - heißen sie nun Hans Filbinger,
Edmund Stoiber oder Manfred Brunner. Sie bleiben rührig und halten sich bereit für
das nächste Gefecht, dieses Mal für ein nationalbewußtes Deutschland, das eigentlich - wie man spätestens seit Mohler und Nolte weiß - schon von Hitlers Truppen an
der Wolga verteidigt wurde. Sie sind in Wirklichkeit keine Konservativen, sondern
Reaktionäre, verspätete Wechselbälge der Romantik auf der Suche nach der heilen
Welt einer angeblich deutschen Identität, schein-patriotische Ohrenbläser mit einer
dumpfen Mischung aus erhabenen Gemeinplätzen, demagogisch gut verpackten
Ideologien und moralisch aufgeputzten Parolen. Man darf sicher sein: bei einem Rekurs auf die deutsche Geschichte würden sie Namen wie Thomasius, Lessing und
Kant, Wieland und Schiller, Heine und Nietzsche, Tucholsky und Karl Kraus höchstens dazu mißbrauchen, ihren kindischen, eines erwachsenen Vernunftwesens unwürdigen Stolz auf Deutschland und dessen - auch noch beliebig zusammengeklitterte - Vergangenheit zu rechtfertigen.
Der Ruf der Aufrechner zur Besinnung auf die ganze deutsche Geschichte ist
im übrigen nur scheinbar der Ruf nach vertieftem und differenzierendem
Geschichtsbewußtsein und wirklicher Rückbesinnung auf überlieferungswürdige
Werte. In Wahrheit ist es der ungeheuerliche Versuch, eine an tausend Jahren
gemessene Vergangenheit von zwölf Jährchen zur Bagatelle und schlimmstenfalls
zur "tragischen Verstrickung" zu machen. Aus der alle Verantwortung ignorierenden
Behauptung Alfred Dreggers, das deutsche Volk sei einer braunen Diktatur
"unterworfen" gewesen, wird dann eine ganz banale Tatsachenfeststellung. Und
nicht etwa die zwölf Jahre nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, sondern der 8.
Mai 1945, also das verdiente und von jedem anständigen Deutschen herbeigesehnte
Ende eines Höllenreiches, wird zur größten Katastrophe in der deutschen
Geschichte.
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20) Georg Geismann
Vergangenheits-ver-bewältigung (1985)
Erfahrungen an einem Intellektuellen-Stammtisch in der CSU-nahen HannsSeidel-Stiftung in Wildbad-Kreuth.
Wenn man von München durch das schöne Voralpenland nach Österreich fährt,
so kommt man an einem gewaltigen Gebäudekomplex vorbei, in dem regelmäßig
Fachtagungen zu Politik und Zeitgeschehen stattfinden, auf denen einem jeweils
ausgewählten Publikum politische Weiterbildung angeboten wird.
Vor ein paar Jahren (aber es könnte ebenso gut vor ein paar Wochen gewesen
sein) ging es dort kurz vor dem Weihnachtsfest vor einem halben Hundert Personen
aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und vor allem Erziehungswesen - also vor
Bürgern, die selber an wichtiger öffentlicher Stelle tätig sind - um die Grundlagen unseres Staates, um Herrschaft, Macht, Gewalt und deren Rechtfertigung, und insbesondere um die fundamentale Bedeutung staatlicher Gewalt für die Aufrechterhaltung
des inneren Friedens.
In der ruhig-gastlichen Friedlichkeit des Tagungsambiente wurde zwar lebhaft
diskutiert, doch schlugen die Wellen nicht hoch. Man erörterte Facetten der gehörten
Vorträge, Sichtweisen und Aspekte, Gewichtungen und Einschätzungen. Aber im
Grundsätzlichen war man sich einig: daß nämlich auch und gerade im freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat das staatliche Gewaltmonopol respektiert bleiben muß,
will man nicht eben diesen Staat insgesamt gefährden. Eine besonders heiterfreundliche, fast möchte man sagen, vorweihnachtliche Note bekam der Gesprächskreis durch einen evangelischen Professur für Kirchengeschichte an der Universität Kiel, der mit seinem gütigen, in tausend Lachfalten geknitterten, unentwegt
milde-liebenswürdig lächelnden Sonnengesicht wie ein vom Himmel noch einmal zurückgekehrter Seelsorger aussah. Je mehr während der Tagung die für unsere Demokratie entscheidende Bedeutung der politischen Kultur der Bürgerschaft hervorgehoben wurde, umso mehr erfreute man sich an der an diesem Orte der Begegnung
durch die Anwesenden - wie es schien - wirklich repräsentierten politischen Kultur.
Und an eben diesem Orte ereignet sich plötzlich das Unvorstellbare, das Ungeheuerliche, das den Atem Verschlagende: Während auf der Beletage des Tagungsgebäudes ein veritabler Staatssekretär der bayerischen Landesregierung sich anschickt, nach einer Hymne auf unsere historisch einzigartige Rechts- und Staatsordnung in apokalyptischen Bildern die Gefahren zu schildern, welche dieser Ordnung
von rechten und natürlich viel mehr noch von linken Radikalen drohen, proben im
Souterrain einige Biedermänner das Zündeln.
Sie sind zu viert: ein Professor für Katholische Theologie aus Paderborn, ein
Professor für Philosophie aus Wuppertal, ein Leitender Oberstaatsanwalt aus Landshut und - als wortgewaltiger Hauptsprecher - das eben erwähnte evangelische Son-
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nenkind. Zunächst sitzen sie da in fröhlicher Runde und tauschen Erfahrungen aus
dem II. Weltkrieg aus. Wohl ist dies auf einer solchen Tagung und bei solchen Köpfen einigermaßen verwunderlich, aber der etwas jüngere, unbeteiligte Zuhörer mag
einsehen, daß bei Männern, die mit 25 Jahren aus Hitlers mörderischem Krieg gerade noch mit heiler Haut davongekommen waren, das Erlebte immer wieder einmal
zum Ausdruck drängt. Schon weniger begreiflich ist, daß hier nicht etwa das unfaßbare Grauen, nicht das unsägliche Leid, nicht die furchtbaren Schrecken zur Sprache
kommen, die Hitler mit seinem Krieg über die Menschen brachte, sondern eher so
etwas wie die Abenteuer von Landsknechten.
Aber, ach, all dies ist bloß das Vorspiel zu dem, was dann über den noch immer
unbeteiligten Zuhörer hereinbricht.
Das "Sonnenlicht" ist aus dem Gesicht des evangelischen Theologieprofessors
verschwunden und hat einer blanken Wut Platz gemacht, als dieser fromme Mann
plötzlich mit zornbebender Stimme hervorstößt: "Willy Brandt ist ein Feind meines
Vaterlandes, und wenn ich die Macht dazu hätte, würde ich ihn auf der Stelle aufhängen." Den Zuhörer packt stummes Entsetzen. Als er seine Sprache wiedergefunden hat, bittet er - ungläubig, als habe er geträumt - um eine Wiederholung des Gehörten: "Ja, ich sagte es, und ich meine, was ich sage: Willy Brandt ist ein Feind
meines Vaterlandes, und wenn ich die Macht dazu hätte, würde ich ihn aufhängen."
Die anfangs so fröhliche Runde stimmt ihm - sich ereifernd - zu: "Jawohl, wer als
Deutscher in norwegischer oder anderer, fremder Uniform gegen Deutschland kämpft
und gar bei Kriegsende damit in Deutschland einmarschiert, ist ein Verräter und gehört aufgehängt."
Der jetzt nicht mehr unbeteiligte Zuhörer wendet zaghaft ein, die besagte Uniform sei doch die Uniform von Befreiern gewesen, von Befreiern des deutschen Vaterlandes von der Herrschaft des Tyrannen - und eigentlich habe damals jeder Deutsche die patriotische Pflicht gehabt, bei ihm sich bietender Gelegenheit ebenfalls gegen die Tyrannei zu kämpfen und damit seinerseits zu helfen, so schnell wie möglich
den Krieg zu beenden, mit dem Hitler Europa überzogen hatte.
Jetzt aber bricht es aus den ehrenwerten Herren heraus: Der größte Kriegsverbrecher sei Churchill gewesen, indem er sich überhaupt eingemischt habe, anstatt
Hitler im Osten freie Hand zu lassen. Auch habe Hitler dort lediglich einen Präventivkrieg geführt, um zunächst den Polen, die Berlin erobern wollten, und später den
Russen zuvorzukommen. Schließlich aber seien die deutschen Truppen gar nicht in
Polen einmarschiert, sondern in deutsches Gebiet; und mit der "Flurbereinigung" im
Saarland, Österreich, Sudetenland und am Ende Polen habe Hitler nichts als eine
historische Pflicht erfüllt, die auch jede andere deutsche Regierung gehabt hätte.
Während der Zuhörer bei so zynischer Geschichtsklitterung von einer Fassungslosigkeit in die andere gerät, ist die Runde wieder bei Willy Brandt und empört
sich darüber, daß, nachdem Deutschland nach 1945 - erniedrigt und getreten - in
tiefer Zerknirschung unendlich gebüßt und gelitten habe, ausgerechnet dieser Lan-
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desverräter zum Bundeskanzler avancierte und, akkompagniert von einem ebenso
vaterlandsfeindlichen Bundespräsidenten Heinemann, die deutsche Ehre und den
deutschen Namen, der sich gerade erst wieder in der Welt Geltung zu verschaffen
begonnen hatte, beschmutzen konnte, nicht zuletzt durch seinen unseligen und eines
wahrhaften Deutschen unwürdigen Kniefall in Warschau; - unterstützt allerdings
durch Massenmedien, die nicht aufhören wollen, uns die immer gleichen Geschichten aufzutischen, obwohl die anderen mit Dresden, Hiroshima und Katyn genauso
viel Dreck am Stecken hätten wie wir, ohne indessen unser Maß an Vergangenheitsbewältigung und Trauerarbeit geleistet zu haben.
Voller Verzweiflung faßt sich der Zuhörer an den Kopf. "Wer über gewissen Dingen den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren." Moralische und
rechtliche Kategorien sind offensichtlich nicht das geistige Rüstzeug, mit welchem
diese Vierer-Runde den II. Weltkrieg zu begreifen versucht. Sie hält es mehr mit
Überlegungen zu Strategie und Taktik. So ist für sie ein entscheidender Fehler Hitlers
gewesen, die englischen Truppen bei Dünkirchen nicht gefangengenommen zu haben; und nicht etwa die Tatsache, einer der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte geworden zu sein.
Da wundert es den fassungslosen Zuhörer nicht mehr, wenn er aus dem Munde
des protestantischen Theologen, der so liebreich zu lächeln wußte, zum Warschauer
Aufstand von 1944 die Bemerkung vernimmt: "Die Russen, nicht eilig mit der Beendigung des Krieges, standen am Ostufer der Weichsel Gewehr bei Fuß und warteten
geduldig ab, bis wir die Polen fertiggemacht hatten."
Diese Sprache entstammt dem Wörterbuch des Unmenschen. Aber es ist nicht
bloß die Sprache, die beim Zuhörer stumme Erschütterung zurückläßt. Es ist der
dumm-fanatisch-nationalistische, zutiefst amoralische und auch apolitische Geist,
oder besser: Ungeist, der einen ganzen Abend lang von Personen geäußert wird, die
gewiß als sogenannte staatstragende und staatserhaltende Säulen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung eingeschätzt und geachtet werden, auf die also
auch der berühmt-berüchtigte "Radikalen-Erlaß" nicht anwendbar ist. Und doch ist es
eben dieser Ungeist, der unser aller Freiheit und dem Frieden im Innern wie zwischen den Völkern unendlich gefährlicher ist als selbst gewaltsame Demonstrationen
von ein paar tausend "Chaoten" von links oder von rechts. Es ist nicht nötig, daß jene
ehrenwerten Herren versichern, sie stünden fest auf dem Boden der freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Ich glaube es aufs Wort, weil ich weiß, wie fest sie
auf jedem beliebigen Boden stehen. Auch die Globke, Oberländer, Seebohm,
Forsthoff, Maunz und Konsorten haben nach 1945 ebenso fest auf Westdeutschlands Verfassungsboden wie vorher auf braunem Boden gestanden. Ja, ich bin mir
sicher: selbst Eichmann hätte als "guter Deutscher", als der er sich doch fühlte, wenn
er nur die Gelegenheit bekommen hätte, fest auf dem Boden der freiheitlichdemokratischen Grundordnung gestanden; sogar - und das ist das Gefährlichste
daran - ohne Mimikry.
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Schon Hitler kam nicht an die Macht mit Hilfe linker oder rechter "Radikalinskis",
sondern mit Hilfe braver deutscher Biedermänner. Ein guter Trommler - und die
Brandstifter sind in Scharen zur Stelle. Das ist die wirkliche Gefahr: der Wolf im
Schafspelz; der Wolf, für den kein Vermummungsverbot besteht. Herunter mit der
Maske!
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21) Bertolt Brecht
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (Epilog) (1941)
"Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Daß keiner uns zu früh da triumphiert Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!"