Wir wurden geboren, und wir werden sterben. Mit der Geburt hat unser Leben begonnen, mit dem Tod ... more Wir wurden geboren, und wir werden sterben. Mit der Geburt hat unser Leben begonnen, mit dem Tod wird es zu Ende gehen. Geburt und Tod umgrenzen unser Sein auf der Welt. Doch sind sie mehr als Anfang und Ende eines zeitlichen Verlaufs. Sie sind ein Teil unseres Lebens, ein Teil dessen, was wir sind. Zu unserem Leben gehört, dass wir von einem Anfang herkommen und auf ein Ende zugehen, dass wir in das Leben hineingekommen sind und dass wir es schließlich verlassen. Geburt und Tod sind nicht nur äußerste Eckpunkte, gleichsam Grenzwerte, sondern wesentliche Bestandteile, die unser Dasein in dem, was es für uns ist und uns bedeutet, mit ausmachen. Sie bilden den Spannungsbogen unseres Lebens, das sich zwischen ihnen entfaltet. Wir verstehen uns von beiden her, unser Leben steht im Zeichen des Geborenseins und des Sterbenmüssens-auch wenn beide in unserem Alltag zumeist kein Thema sind. Unser Leben ist nicht einfach ein vitales Geschehen oder praktisches Tätigsein, sondern in einem wesentlichen Sinne ein selbstbezüglicher, reflexiver Vollzug: Wir vollziehen unser Leben so, dass wir uns immer auch über uns und über unser Leben verständigen. Wir fragen danach, wer wir sind und was wir sein wollen, woher wir kommen und wohin wir gehen, was der Sinn unseres Lebens ist. Wir blicken auf unser Leben zurück und voraus in die Zukunft, und wir führen unser Leben im Horizont des Bildes, das wir uns von uns und von unserem Leben machen. Solche Selbstverständigung geschieht einerseits in der Besinnung auf das, was uns wesentlich ist und unser Selbst ausmacht, auf die Selbstdefinitionen, unter die wir uns stellen, die Ziele, die wir verfolgen, und die Werte, die wir vertreten. Und sie geschieht andererseits im Blick auf den faktischen Lebenslauf, der uns geprägt hat, auf unsere Herkunft und unsere Geschichte, aus der uns die bestimmte Identität, die uns von
Sinn und Nicht Sinn. Das Verstehen des Menschen Anmerkungen zu dem gleichnamigen Buch von Emil An... more Sinn und Nicht Sinn. Das Verstehen des Menschen Anmerkungen zu dem gleichnamigen Buch von Emil Angehrn Wenn sich einer der Meister phänomenologischer Hermeneutik daran macht, unter Rückgriff auf manche seiner viel beachteten Fachbeiträge eine umfassende Monographie für seine Hausdisziplin vorzulegen, so darf man getrost ein Feuerwerk philosophisch systematischer Reflexion und wortgewandter Spekulation auf höchstem Niveau erwarten. Wer darauf setzt, wird mit der Lektüre des hier vorgestellten Bandes nicht enttäuscht. Negative Ökonomie ist kein Außenseiter in wirtschaftswissenschaftlichen Fachdiskursen. Systeme negativer Theologie haben inzwischen erheblichen Rechtfertigungsdruck für ihre affirmativen Konkurrenten aufgebaut. Negative Philosophie hat sich demgegenüber schon lange als Mainstream hermeneutischer Spekulation etabliert. Ob Hegel, Heidegger, Husserl, Schelling, Scheler und Ricoer, ob Merleau-Ponty, Bernhard Waldenfels, Gehlen, Derrida, Dilthey oder Lévinas, die hermeneutischen Gerüste all dieser Denkergrößen stehen nach Angehrn Pate für eine solche Akzentuierung und werden in diesem Buch entsprechend ebenso sauber wie kompakt vorgestellt, um damit eine Gesamtschau auf die Grundlagen eines phänomenologischen Verstehens im Sinne der "Idee einer negativen Hermeneutik des Selbst" (S. 5) vorzulegen. Gerade in der Frage nach der Konstituierung von Sinn darf dabei eine kritische Auseinandersetzung mit Niklas Luhmanns Systemtheorie ebenso wenig fehlen wie in der Standortbestimmung der Sprache und des Logos Anlehnungen an Hans-Georg Gadamer und die Diskursethik von Jürgen Habermas. Naturgemäß erfordert die Lektüre eines solchen Handbuches hohe Konzentration. Dann kann der Einstieg in eines der auch heute noch wohl faszinierendsten philosophischen Gedankengebäude gelingen. Sechzehn aufeinander aufbauende Kapitel sind drei Teilen zugeordnet. Dabei nimmt unter dem Titel "Der Raum des Verstehens" die Vorstellung der Methoden (Kapitel 2-8) einen besonders breiten Platz ein. Hier werden die Semantik von Sinn und Sinnbildung wie der Verstehensakt, seine Weisen und die Bedeutung der Sprache dafür diskutiert. Im zweiten Teil finden sich in einer methodologischen Dialektik die ‚Grenzen des Verstehens' (Kapitel 9-13) ausgelotet. Das jeweils Andere des Sinns und des Verstehens werden nach ihrer Bedeutung für eine negativistische Hermeneutik befragt. Der abschließende dritte Teil stellt "Das Verstehen des Menschen" in den Mittelpunkt und ist programmatisch als ein nunmehr fundiertes Plädoyer für einen entsprechenden hermeneutischen Horizont konzipiert, der zugleich in der Frage nach dem, was der Mensch sei, eine negativistische Verfassung des Verstehens öffnet für eine auch affirmative Seite. Das grundsätzliche Bekenntnis aber steht am Anfang. Negativistisches Verstehen "verweist auf eine existenzielle Auseinandersetzung mit dem Negativen und wirft die Frage auf, wieweit die Widerständigkeit des Negativen nicht nur eine letzte Herausforderung, sondern einen innersten Kern des Verstehens und Verstehenwollens ausmacht" (S. 5). Wenn damit aus dem Nicht-Sinn auf Sinn geschlossen werden soll, so wird bei allem Bekenntnis zur Metaphysik (Heidegger 1976, S. 321) zugleich eine metaphysische Wesensbestimmung von einem Sein des Menschen kategorisch durch eine Wesenserkenntnis im negativen Vollzug des Fragens ersetzt. Ausgehend von den Thesen der Nichtkonstruierbarkeit von Sinn (im Gegensatz zu Niklas Luh
Kann die .gegenwärtige Umbruchszeit als Epochenwechsel bezeichnet werden? Über die Folgen der ein... more Kann die .gegenwärtige Umbruchszeit als Epochenwechsel bezeichnet werden? Über die Folgen der einschneidenden Ereignisse der letzten Jahre in allen Bereichen unserer Wirklichkeit-besonders dramatisch der Einbruch an der Wall Street von 2008-wird heftig diskutiert, die Forderung nach einer kriti.schen Reflexion und die Frage nach einer adäquaten Haltung werden laut. Aus diesem Anlass hat das Istituto Svizzero di Roma 2012 unter der Leitung von Christoph Riedweg eine Vortragsreihe veranstaltet, in der hochkarätige Persönlichkeiten aus Politik und Kultur über die Bedingungen einer Zeit nach der Postmoderne nachdenken. Die Beiträge erfolgen zu unmittelbar aktuellen Themen aus den Bereichen Kunst, Architektur, Philosophie, Geschichte, Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft; Schweizer und italienische bzw. deutsche Beitragende beleuchten unterschiedliche Perspektiven und zeigen die Voraussetzungen und Gewichtungen ihrer komplementären Ansätze auf. Die Leitidee der Vortragsreihe steht in Zusammenhang mit der italienischen (Medien-)Debatte, die sich seit 2on rund um das Manifesto de! nuovo realismo des Turiner Philosophieprofessors Maurizio Ferraris entzündet hat. Ferraris fordert darin eine radikale Abkehr vom Konstruktivismus der Postmoderne zugunsten einer Rückkehr zur Realität. Wirklichkeit und Wahrheit sollen wieder zu erfahr-und erkennbaren Bezugsgrössen werden. Aber: Ist nach den Erkenntnissen der Postmoderne eine Rückkehr zur 'Realität' möglich?
Wir wurden geboren, und wir werden sterben. Mit der Geburt hat unser Leben begonnen, mit dem Tod ... more Wir wurden geboren, und wir werden sterben. Mit der Geburt hat unser Leben begonnen, mit dem Tod wird es zu Ende gehen. Geburt und Tod umgrenzen unser Sein auf der Welt. Doch sind sie mehr als Anfang und Ende eines zeitlichen Verlaufs. Sie sind ein Teil unseres Lebens, ein Teil dessen, was wir sind. Zu unserem Leben gehört, dass wir von einem Anfang herkommen und auf ein Ende zugehen, dass wir in das Leben hineingekommen sind und dass wir es schließlich verlassen. Geburt und Tod sind nicht nur äußerste Eckpunkte, gleichsam Grenzwerte, sondern wesentliche Bestandteile, die unser Dasein in dem, was es für uns ist und uns bedeutet, mit ausmachen. Sie bilden den Spannungsbogen unseres Lebens, das sich zwischen ihnen entfaltet. Wir verstehen uns von beiden her, unser Leben steht im Zeichen des Geborenseins und des Sterbenmüssens-auch wenn beide in unserem Alltag zumeist kein Thema sind. Unser Leben ist nicht einfach ein vitales Geschehen oder praktisches Tätigsein, sondern in einem wesentlichen Sinne ein selbstbezüglicher, reflexiver Vollzug: Wir vollziehen unser Leben so, dass wir uns immer auch über uns und über unser Leben verständigen. Wir fragen danach, wer wir sind und was wir sein wollen, woher wir kommen und wohin wir gehen, was der Sinn unseres Lebens ist. Wir blicken auf unser Leben zurück und voraus in die Zukunft, und wir führen unser Leben im Horizont des Bildes, das wir uns von uns und von unserem Leben machen. Solche Selbstverständigung geschieht einerseits in der Besinnung auf das, was uns wesentlich ist und unser Selbst ausmacht, auf die Selbstdefinitionen, unter die wir uns stellen, die Ziele, die wir verfolgen, und die Werte, die wir vertreten. Und sie geschieht andererseits im Blick auf den faktischen Lebenslauf, der uns geprägt hat, auf unsere Herkunft und unsere Geschichte, aus der uns die bestimmte Identität, die uns von
Sinn und Nicht Sinn. Das Verstehen des Menschen Anmerkungen zu dem gleichnamigen Buch von Emil An... more Sinn und Nicht Sinn. Das Verstehen des Menschen Anmerkungen zu dem gleichnamigen Buch von Emil Angehrn Wenn sich einer der Meister phänomenologischer Hermeneutik daran macht, unter Rückgriff auf manche seiner viel beachteten Fachbeiträge eine umfassende Monographie für seine Hausdisziplin vorzulegen, so darf man getrost ein Feuerwerk philosophisch systematischer Reflexion und wortgewandter Spekulation auf höchstem Niveau erwarten. Wer darauf setzt, wird mit der Lektüre des hier vorgestellten Bandes nicht enttäuscht. Negative Ökonomie ist kein Außenseiter in wirtschaftswissenschaftlichen Fachdiskursen. Systeme negativer Theologie haben inzwischen erheblichen Rechtfertigungsdruck für ihre affirmativen Konkurrenten aufgebaut. Negative Philosophie hat sich demgegenüber schon lange als Mainstream hermeneutischer Spekulation etabliert. Ob Hegel, Heidegger, Husserl, Schelling, Scheler und Ricoer, ob Merleau-Ponty, Bernhard Waldenfels, Gehlen, Derrida, Dilthey oder Lévinas, die hermeneutischen Gerüste all dieser Denkergrößen stehen nach Angehrn Pate für eine solche Akzentuierung und werden in diesem Buch entsprechend ebenso sauber wie kompakt vorgestellt, um damit eine Gesamtschau auf die Grundlagen eines phänomenologischen Verstehens im Sinne der "Idee einer negativen Hermeneutik des Selbst" (S. 5) vorzulegen. Gerade in der Frage nach der Konstituierung von Sinn darf dabei eine kritische Auseinandersetzung mit Niklas Luhmanns Systemtheorie ebenso wenig fehlen wie in der Standortbestimmung der Sprache und des Logos Anlehnungen an Hans-Georg Gadamer und die Diskursethik von Jürgen Habermas. Naturgemäß erfordert die Lektüre eines solchen Handbuches hohe Konzentration. Dann kann der Einstieg in eines der auch heute noch wohl faszinierendsten philosophischen Gedankengebäude gelingen. Sechzehn aufeinander aufbauende Kapitel sind drei Teilen zugeordnet. Dabei nimmt unter dem Titel "Der Raum des Verstehens" die Vorstellung der Methoden (Kapitel 2-8) einen besonders breiten Platz ein. Hier werden die Semantik von Sinn und Sinnbildung wie der Verstehensakt, seine Weisen und die Bedeutung der Sprache dafür diskutiert. Im zweiten Teil finden sich in einer methodologischen Dialektik die ‚Grenzen des Verstehens' (Kapitel 9-13) ausgelotet. Das jeweils Andere des Sinns und des Verstehens werden nach ihrer Bedeutung für eine negativistische Hermeneutik befragt. Der abschließende dritte Teil stellt "Das Verstehen des Menschen" in den Mittelpunkt und ist programmatisch als ein nunmehr fundiertes Plädoyer für einen entsprechenden hermeneutischen Horizont konzipiert, der zugleich in der Frage nach dem, was der Mensch sei, eine negativistische Verfassung des Verstehens öffnet für eine auch affirmative Seite. Das grundsätzliche Bekenntnis aber steht am Anfang. Negativistisches Verstehen "verweist auf eine existenzielle Auseinandersetzung mit dem Negativen und wirft die Frage auf, wieweit die Widerständigkeit des Negativen nicht nur eine letzte Herausforderung, sondern einen innersten Kern des Verstehens und Verstehenwollens ausmacht" (S. 5). Wenn damit aus dem Nicht-Sinn auf Sinn geschlossen werden soll, so wird bei allem Bekenntnis zur Metaphysik (Heidegger 1976, S. 321) zugleich eine metaphysische Wesensbestimmung von einem Sein des Menschen kategorisch durch eine Wesenserkenntnis im negativen Vollzug des Fragens ersetzt. Ausgehend von den Thesen der Nichtkonstruierbarkeit von Sinn (im Gegensatz zu Niklas Luh
Kann die .gegenwärtige Umbruchszeit als Epochenwechsel bezeichnet werden? Über die Folgen der ein... more Kann die .gegenwärtige Umbruchszeit als Epochenwechsel bezeichnet werden? Über die Folgen der einschneidenden Ereignisse der letzten Jahre in allen Bereichen unserer Wirklichkeit-besonders dramatisch der Einbruch an der Wall Street von 2008-wird heftig diskutiert, die Forderung nach einer kriti.schen Reflexion und die Frage nach einer adäquaten Haltung werden laut. Aus diesem Anlass hat das Istituto Svizzero di Roma 2012 unter der Leitung von Christoph Riedweg eine Vortragsreihe veranstaltet, in der hochkarätige Persönlichkeiten aus Politik und Kultur über die Bedingungen einer Zeit nach der Postmoderne nachdenken. Die Beiträge erfolgen zu unmittelbar aktuellen Themen aus den Bereichen Kunst, Architektur, Philosophie, Geschichte, Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft; Schweizer und italienische bzw. deutsche Beitragende beleuchten unterschiedliche Perspektiven und zeigen die Voraussetzungen und Gewichtungen ihrer komplementären Ansätze auf. Die Leitidee der Vortragsreihe steht in Zusammenhang mit der italienischen (Medien-)Debatte, die sich seit 2on rund um das Manifesto de! nuovo realismo des Turiner Philosophieprofessors Maurizio Ferraris entzündet hat. Ferraris fordert darin eine radikale Abkehr vom Konstruktivismus der Postmoderne zugunsten einer Rückkehr zur Realität. Wirklichkeit und Wahrheit sollen wieder zu erfahr-und erkennbaren Bezugsgrössen werden. Aber: Ist nach den Erkenntnissen der Postmoderne eine Rückkehr zur 'Realität' möglich?
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