Ich möchte heute Informationen und Gedanken mit Euch teilen zu einer Studie, die ich besonders interessant finde - über die Wirkung von Straßenblockaden, Gemälde-Bewerfungen und anderen nicht-legalen Klima-Protesten.
Es geht um eine Randomisierte Kontrollstudie (RCT, Randomised Control Trial) mit 3000 Teilnehmenden, die 2022 in Großbritannien durchgeführt wurde. Sie wurde vom GSCC (Global Strategic Communications Council) finanziert, von @SteveAkehurst beauftragt und durchgeführt von Opinium.
Soweit ich sehe, hat die Studie drei Vorteile:
1) Sie beschränkt sich nicht darauf, die Sympathien der Menschen für Aktionen/ Aktivisten abzufragen.
Es geht den Aktivisten bekanntlich nicht darum, hier hohe Beliebtheitswerte zu erreichen, sondern: gesteigerte Berichterstattung.
2) Sie unterstellt nicht, dass Menschen Kausalitäten im eigenen Gehirn erkennen, fällt nicht der introspektiven Illusion zum Opfer: „Denken Sie infolge A (Straßenblockaden, Kunstattacken) anders über B (Klimawandel, Klimapolitik der Regierung)?“
Sie misst unbewusste Effekte.
3) Sie zeigt klare Ursächlichkeiten (veränderte Einstellungen nach Zeigen eines Films im Vergleich zur Kontrollgruppe, die keinen Film gesehen hat).
Befragt man die Bevölkerung mehrmals in der Zeit X, weiß man nicht, WAS die Veränderungen bewirkt hat (LG oder Lützerath oder …).
Fünf Gruppen sahen je einen Film mit einer Aktion plus Für- und Widerstimmen aus den Medien. Damit ähnelte die Studie der Wirklichkeit.
Die Gruppen wurden nach dem Film befragt, das Ergebnis mit der Kontrollgruppe verglichen (treatment vs. controll statt pre vs. post-Befragung).
Hier der Inhalt der Filme:
1. JSO’s Van Gogh soup throwing protest plus this anti-message
2. JSO’s paint spraying of government buildings and News Corp, plus this anti-message
3. Insulate Britain’s (IB) road blocking protest
4. Extinction Rebellion (XR) and JSO’s anti-oil terminal road blockages plus anti message
5. XR’s 2019 direct action protests in London (first minute and a bit)
Und hier das Ergebnis:
Die Aktionen selber wurden in allen Gruppen mehrheitlich negativ bewertet. Das überrascht nicht; viele Umfragen haben das gezeigt.
Überraschend ist dies:
Der indirekte Effekt der verschiedenen nicht-legalen Aktionen unterscheidet sich nicht unerheblich.
Das Besprühen von Regierungsgebäuden durch JustStopOil schnitt ziemlich gut ab und noch besser die großen Aktionen von Extinction Rebellion von 2019.
Einen negativen Effekt hatten dagegen das Blockieren des Öl-Terminals, die reinen Straßenblockaden und die Van Gogh-Kunstaktion.
Besonders schlecht schnitten Straßenblockaden und Kunstattacken bei zwei demografischen Gruppen ab: bei über 40-Jährigen und Non-Graduates.
Diese bilden eine deutliche Bevölkerungsmehrheit und eine noch deutlichere Mehrheit bei denen, die Wählen gehen (population vs turnout).
Jetzt zu möglichen Erklärungen:
Die Blockade des Öl-Terminals könnte aus zwei Gründen schlecht funktioniert haben: Es wurde eine Straßenblockade verwendet (und Straßenblockaden sind jetzt visuell negativ konnotiert). In Zeiten hoher Energiepreise sind Energie-Aktionen unpopulär.
Das Besprühen der Regierungsgebäude hat möglicherweise verhältnismäßig gut funktioniert, weil viele Menschen die Regierung ohnehin kritisch sehen.
Hier wäre die Lehre:
Pick unpopular targets!
Beziehungsweise: Don‘t pick popular targets! Wie zum Beispiel die Kunst, das Grundgesetz, die normale (autofahrende) Bevölkerung.
Das besonders positive Abschneiden der Anfangsproteste von XR ist auch interessant. Nicht zuletzt weil XR solche Aktionen in Großbritannien als gescheitert ansieht und eingestellt hat (wobei XR trotzdem rechthaben könnte, weil der Anfangserfolg vielleicht nicht replizierbar ist).
Unterschiede zu normalen, reinen Straßenblockaden: kaum Konfrontation mit wütender Bevölkerung wegen großräumiger Polizei-Absperrungen, große Menschenmassen (”Das sind Viele”) inklusive vieler Älterer und Arbeiter, die interviewt werden; bunte Karnevalsstimmung; Neuheit (damals).
•Don’t do anything that can provoke confrontation with ordinary people
•Don’t do anything that seriously inconveniences ordinary people, or seems to. As an ancillary, we can probably say with confidence: avoid road blockages.
•If picking a target, make sure its one that is tangible and already unpopular (ideally government) rather than too clever by half (probably what went wrong with the Van Gogh action).
•The support or involvement of working class voices (and accents) is probably important, as are experts generally (even more so if built on real-life experience).
Grundlegend gibt es zwei politische Ziele:
Mobilisierung der Überzeugten (firing up the base-oder turnout-strategy, z.B. Trump)
und:
Überzeugen der Noch-Unüberzeugten (persuation-strategy, z.B. Obamas „national coalition of change“, die auch konservative Arbeiter ansprach).
Straßenblockaden und Kunstattacken hadern mit beiden Zielen.
Ein Großteil der linken, grünen, alternativen Basis wird nicht mobilisiert, sondern irritiert.
Ältere Menschen/ Konservative/ ArbeiterInnen, die noch überzeugt werden müssten, werden eher in den Backlash getrieben.
Ich möchte auch an die Längsschnittstudie des Social Change Lab erinnern, die die JustStopOil-Aktionen 2022 begleitete und zeigte, dass die Einstellungen der Bevölkerung sich am Ende der Kampagne NICHT positiv verschoben hatten (und die Basis nur geringfügig mobilisiert wurde).
Natürlich lassen diese Studien keine absolut sicheren Schlüsse zu. Aber es sieht bisher so aus, dass die Aktionen die Menschen weder unbewusst ”aufwecken” oder ”aufrütteln” noch die erhöhte Berichterstattung indirekt etwas verschiebt (Agenda-setting-effekt, s. Social Change Lab).
Warum die - ausgebremste - Transformation der neue Fokus von Klimabewegung und Klimapolitik sein sollte.
Und wie die jetzige Informations- und Wissenssituation verhindert, dass dies geschieht.
Eigentlich ist es ja klar:
Es reicht nicht, gegen Förderung und Verbrennung fossiler Brennstoffe zu protestieren, das Problem (CO2-Emissionen) zu adressieren.
Erst wenn die technische Transformation abgeschlossen ist, sind wir klimaneutral. Die Transformation ist der Schlüssel.
Manche politische Bewegungen scheitern; andere haben Erfolg:
Das Ergebnis hängt immer wesentlich von zwei Dingen ab.
Von der Problem-Anerkennung und der Lösungs-Anerkennung (der Zustimmung zu einer spezifischen Transformation, der Ablehnung ihrer politischen Verhinderung).
In „Das Ende der Liebe” hatte ich über die Unendlichkeit der Liebes- und Sexmöglichkeiten geschrieben; heute sind Millionen auf Kontakt-Plattformen unterwegs und eine Wahl-Berlinerin aus den USA sagt mir, all ihre Bekannten hätten nicht mehr relationships, sondern situationships.
Interessant finde ich, dass mit der Wahrheit Ähnliches passiert ist wie mit der Intimität: Die monogame, exklusive Beziehung zu den Wahrheitsproduzenten Medien und Wissenschaft ist aufgelöst zugunsten unendlicher Wahrheitsmöglichkeiten (Twitter, Youtube, Tausende von Podcasts).
Im Bereich der Intimität und im Bereich der Wahrheit (nüchterner: der Erkenntnis) sind wir eingetreten ins „Zeitalter der Vergleichung” (Nietzsche). Das ist ein Freiheits- und Perspektiven-Gewinn, ja. Aber es ist zugleich eine gefährliche Abwertung: des Du und der Institutionen.
@FogelVlug Ich versuche es mit einem anderen Beispiel. Warum sind rechtsextreme Denkweisen, rassistische Gewalt im Osten weiter verbreitet? Hier würde man auch Kultur auf den drei von mir genannten Ebenen in die Erklärung einbeziehen (und nicht nur ökononomische Daten wie Arbeitslosigkeit).
@FogelVlug Erstens: Herkunftskultur/ Landeskultur. Welche Normen, Diskurse, Erziehungen, Praktiken in der DDR begünstigen rechte Einstellungen?
Zweitens: regionale oder lokale Milieus/ Kulturen. Die Region Sachsen. Oder: die Stadt Hoyerswerda. Oder: das Stadtviertel Rostock-Lichtenhagen.
@FogelVlug Drittens: die Normen und Praktiken spezifischer (vor allem jugendlicher und männlich dominierter) Jugendkulturen und rechtsextremer Gruppen.
Ich weiß noch, wie es in Kreuzberg anfing - nach den 1. Mai Demos. Das war vor knapp 20 Jahren. Nach der Abschluss-Kundgebung gab es Krawall, aber zum großen Teil gar nicht durch Autonome (zu denen ich ja selbst lang gehörte), sondern durch nicht-linke, migrantische junge Männer.
Es wurde klar, dass neben der linken Gewaltkultur (die auch großteils Spaß am Angriff auf die Polizei war, manche Bekannte nahmen sogar Speed, um den Gewaltrausch zu verstärken), dass neben dieser deutschen Gewaltkultur eine ganz eigene, unpolitische, migrantische entstanden war.
Die ziel- und sinnlose Randale, die mich - neben vielem anderen - den Autonomen entfremdete, trat hier ohne ideologischen Deckmantel auf, war nichts als Spaß am Angriff, und ich merkte, dass vielen links eingestellten Kreuzbergern für dieses Phänomen die Sprache fehlte. Auch mir.
Ein Teil der Empörung scheint mir daraus zu entstehen, dass unter „Kultur” etwas verstanden wird, was scheinbar alle Menschen einer Ethnie vereint. Damit gerät Kultur in die Nähe von Rasse. Soziologisch wird Kultur aber ganz anders definiert. Als ein Set aus Normen und Praktiken.
Es gibt kulturelle Kontexte auf vielen Ebenen: internationale (der „Westen“), nationale, regionale, auf der Ebene einer Religion, einer Strömung innerhalb einer Religion, einer Klasse, eines Milieus, eines Stadtviertels, einer Familie, einer jugendlichen Subkultur, einer Gang.
Das Verhalten jedes Einzelnen wird von mehreren kulturellen Kontexten geprägt. In dem Fall geht es nicht nur um die große („Herkunfts“)Kultur, sondern um ein spezifisches Milieu, spezifische Stadtviertel, spezifische jugendliche Subkulturen. Dort kann eine „Kultur der Randale“ …
Würden wir von unserer eigenen Geschichte so sprechen? Der Nationalsozialismus, der Angriffskrieg, der Holocaust waren ein Problem ”junger (ungebildeter) Männer”? Die Verbrechen hatten „nichts mit Kultur, nichts mit Werten” zu tun? Waren ein akulturelles, „weltweites Phänomen”?
Eigentlich wissen wir Linken es: Kultur spielt eine große Rolle. Früher hätten wir gesagt: der Kontext, die Umstände, die Gesellschaft.
Alle unsere Theorien sagen es.
Es gibt keinen Geschlechtsautomatismus (nicht alle jungen Männer sind gewalttätig).
Es gibt keinen Klassenautomatismus (nicht alle „ungebildeten“ Angehörigen der Arbeiterschicht sind gewalttätig).