Walser
Die Walser (rätoromanisch Gualsers) sind eine alemannische Volksgruppe im Alpenraum. Ab dem späten Hochmittelalter besiedelten sie, ausgehend vom Oberwallis, hauptsächlich Alpengebiete im schweizerischen Bündnerland, im oberitalienischen Piemont und Aostatal, in Liechtenstein, im österreichischen Vorarlberg und angrenzenden Tirol sowie vereinzelt auch im Berner Oberland, in Savoyen, in Bayern und anderswo. Auf einer Länge von rund 300 km im Alpenbogen verteilen sich heute noch rund 150 Walsersiedlungen.[1]
Die Nachfahren der Walser sprechen vielerorts Walserdeutsch, einen höchstalemannischen Dialekt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im 9. Jahrhundert erreichten die Alemannen auf ihrer Wanderung vom Berner Oberland her das Goms im Wallis und besiedelten nach und nach das obere Rhonetal. Im 13. und 14. Jahrhundert verliessen einzelne Gruppen dieser Alemannen das Rhonetal und dessen Seitentäler und zogen in weitere hochgelegene Talstufen der Alpen, in Graubünden etwa das Safiental, mit der höchstgelegenen Safiersiedlung Ober Camana auf 1791 m ü. M.
Die historischen Hintergründe der Walserwanderung sind bis heute nicht völlig geklärt. Eine Ursache für die mittelalterlichen Walserwanderungen könnten der wachsende Bevölkerungsdruck und die Suche nach neuen landwirtschaftlichen Anbauflächen gewesen sein. Die Walserwanderungen stehen hier in einem ähnlichen Kontext wie die deutsche Ostsiedlung. Die Walser entwickelten Techniken, die auch das Bewirtschaften von hochgelegenen Bergregionen ermöglichten. In höchster Bergstufe wurden Feldställe im Sommer mit Heuvorräten gefüllt und mit dem Vieh von Futterplatz zu Futterplatz gezogen, mit bis zu 14 Umzügen pro Jahr. In Einzelsennereien hatte jede Familie ihre eigene Käserei mit einer «Stupa» für die Leute und einer «Hütta» für das Vieh. Hauptprodukt war der Ziger. Die Herrscher der betreffenden Gebiete förderten diese Besiedlung durch Steuerbefreiung und Vergabe besonderer Kolonistenrechte. Somit bot die Neuerschliessung von Land den Walsern die Möglichkeit zur Befreiung aus der feudalen Leibeigenschaft. Die Walser wurden wegen ihrer eigenen Rechtsverfassungen auch «Freie Walser» genannt. Insbesondere aus dem Walserdorf Gressoney stammende Walser wurden seit dem 16. Jahrhundert in der Deutschschweiz und in Süddeutschland als Hausierer, Wanderhändler und später niedergelassene Kaufleute bekannt.[2]
Eine Darstellung der Umbruchzeiten der Bergbauernregionen und der Walser wurde Anfang der 1980er-Jahre in der 9-teiligen TV-Produktion Die fünfte Jahreszeit mit Dietmar Schönherr verfilmt. Der Vorarlberger Schriftsteller Adalbert Welte hat die Walserwanderung verschiedentlich literarisch verarbeitet.
Die Wanderungen der Walser
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Wanderungen der Walser wurden durch das zu dieser Zeit herrschende milde Klima begünstigt. Ihre Wanderungen führten unter anderem nach Norden ins Berner Oberland und nach Westen ins französische Chablais. Vor allem aber zog es die Walser nach Süden in hochgelegene piemontesische Alpentäler sowie in mehreren Schüben Richtung Osten. Sie besiedelten abgelegene Gegenden des Bündner Oberlands, das Rheinwald sowie das obere Landwassertal und von dort aus weitere entlegene Gegenden des Kantons Graubünden, z. B. das Safiental. Des Weiteren besiedelten sie das Weisstannental im St. Galler Oberland, die höchstgelegenen Regionen Liechtensteins, hochgelegene Täler im Vorarlberg und vereinzelte Gegenden im Tirol.
Nachfolgend eine Liste der im Zuge der Walserwanderungen besiedelten Gebiete:
- zwar zum Wallis gehörend, aber erst im Zuge der Walserwanderungen besiedelt wurden die jenseits der Wasserscheide gelegenen Gemeinden Simplon und Gondo
- im Berner Oberland:
- Lauterbrunnen, Mürren, Planalp, aber auch vereinzelte Vorposten im Berner Mittelland sowie im Solothurner Jura
- in den savoyischen Alpen:
- Vallorcine sowie Les Allamands bei Samoëns und Les Allamands bei Morzine
- die italienischen Alpentäler südlich und östlich des Monte-Rosa-Massivs:
- in der Region Aostatal: Gressoney: Gressoney-La Trinité (walserdeutsch Greschunei Oberteil), Gressoney-Saint-Jean (wdt. Greschunei Underteil und Mettelteil), Issime (wdt. Eischeme), Niel ob Gaby, Cunéaz in der Val d’Ayas sowie Gettaz-des-Allemands über Champdepraz
- in der Provinz Vercelli: Alagna Valsesia (wdt. Im Land), Rima (wdt. Arimmu; heute zu Rima San Giuseppe), Rimella (wdt. Remmalju), Riva Valdobbia (wdt. Rifu)
- in der Provinz Verbania-Cusio-Ossola: Formazza (wdt. Pomatt), Macugnaga (wdt. Z Maggana), Salecchio, Agaro und Ausone (wdt. Saley, Ager, Opsu; heute zu Premia), Ornavasso (wdt. Urnafasch), Migiandone, Campello Monti (wdt. Ggampel; heute zu Valstrona)
- im Kanton Tessin die Gemeinde Bosco/Gurin (wdt. Gurin)
- weite Gebiete des Kantons Graubünden:
- Rheinwald mit Sufers, Splügen, Nufenen und Hinterrhein, überdies Avers
- Obersaxen, Vals, St. Martin
- Safiental (Safien und Tenna), Valendas, Versam, Tschappina
- Mutten
- das obere Landwassertal mit Davos und Jenisberg (Gemeinde Bergün Filisur)
- das obere Schanfigg (Arosa, Langwies) und Praden; der Walserdialekt in den Gemeinden des mittleren und unteren Schanfiggs inklusive Tschiertschen hingegen beruht auf späterer Germanisierung der romanischen Bevölkerung
- die höher gelegenen Gebiete des Prättigaus (Valzeina, Furna, St. Antönien, Klosters); der Walserdialekt in den andern Gemeinden des Prättigaus hingegen beruht auf späterer Germanisierung der romanischen Bevölkerung
- wahrscheinlich vom Prättigau aus:
- Palfries in der Gemeinde Wartau im Kanton St. Gallen
- Triesenberg und Planken in Liechtenstein
- Calfeisental, Weisstannental und Taminatal im Kanton St. Gallen
- Vorarlberg: Großes Walsertal, Kleines Walsertal, Tannberg (Hochtannberggebiet) mit Schröcken, Lech und Warth, Brand, Bürserberg, Dünserberg, Schnifiserberg, Thüringerberg, Nenzingerberg, Ebnit, Laternsertal, Damüls und Silbertal
- Tirol: Galtür im Paznaun, Steeg im Lechtal
- Bayern: Gerstruben im Allgäu.
Sprache
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kultur und Sprache der Walser ist zum Teil noch heute lebendig geblieben; der höchstalemannische Dialekt hebt sich von den hochalemannischen Dialekten der Bündner und den mittelalemannischen Dialekten der Vorarlberger Umgebung stark ab. Typisches, das Walserdeutsche definierende Merkmal ist der sch-Laut in Wörtern wie schi «sie» (Singular und Plural), böösch «böse», ünsch/iisch «uns», Müüsch/Miisch «Mäuse», Hüüscher/Hiischer «Häuser». Weitere Züge des Walserdeutschen sind allgemeinere west- oder südwestalemannische Dialektmerkmale, die sich aber in Graubünden und Vorarlberg deutlich von den Merkmalen der dortigen südostalemannischen Dialekte abheben, so dass dort auch diesen ein definierender Charakter zukommt. Dazu gehören etwa die Präsensformen er geit/gäit, schteit/schtäit «er geht, steht» (so auch im Berndeutschen, in den benachbarten nicht-walserischen Dialekten jedoch er gaat/goot, schtaat/schtoot) oder der zweisilbige Plural der starken Maskulina wie Taga, Tage «Tage» (in den benachbarten Dialekten jedoch apokopiert und auch oft umgelautet Taag oder Tääg). Dasselbe gilt für zu /ch/ verschobenes anlautendes /k/ wie in Chind «Kind», das zwar ein weit verbreitetes Merkmal der hochalemannischen Dialekte ist, aber in den benachbarten Dialekten des Churer Rheintals, Liechtensteins und Vorarlbergs nicht vorkommt.
Die Bewohner der Walserdörfer im Kanton Graubünden heben sich sprachlich besonders dort hervor, wo in der Umgebung Rätoromanisch gesprochen wird. So wird etwa in der Gemeinde Obersaxen Deutsch gesprochen, während im gesamten restlichen Gebiet des Vorderrheins grossmehrheitlich die rätoromanischen Dialekte verbreitet sind.
Internationales Walsertreffen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit 1962 führt die Internationale Vereinigung für Walsertum (IVfW) alle drei Jahre ein internationales Walsertreffen durch. Hauptzweck der Zusammenkünfte ist die regelmässige Pflege des gemeinsamen Kulturerbes an verschiedenen Siedlungen mit walserischem Hintergrund. Die Treffen fanden an den folgenden Orten statt:[3]
- 1962 Saas Fee
- 1965 Triesenberg
- 1968 Gressoney
- 1971 Klosters
- 1974 Brand
- 1977 Brig-Glis
- 1980 Triesenberg
- 1983 Alagna
- 1986 Mittelberg
- 1989 Davos
- 1992 Saas Fee
- 1995 Lech
- 1998 Gressoney
- 2001 Brig
- 2004 Galtür
- 2007 Alagna
- 2010 Triesenberg
- 2013 Großes Walsertal
- 2016 Arosa
- 2019 Lötschental
- 2022 Ornavasso
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Walliserdeutsch
- Geschichte des Kantons Wallis
- Walserhaus
- Walsermuseum Triesenberg
- Walser in Liechtenstein
- Walserweg Graubünden
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Emil Balmer: Die Walser im Piemont. Vom Leben und von der Sprache der deutschen Aussiedler hinterm Monte Rosa. Francke Verlag, Bern 1949.
- Karl Bohnenberger: Die Mundart der deutschen Walliser im Heimattal und in den Aussenorten. Huber, Frauenfeld 1913 (Beiträge zur Schweizerdeutschen Grammatik 6; Digitalisat).
- Martin Bundi: Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens im Mittelalter. Calven, Chur 1982, ISBN 978-3-905261-08-0.
- Hans Kreis: Die Walser. Ein Stück Besiedlungsgeschichte der Zentralalpen. Francke Verlag, Bern 1958 (2., durchgesehene sowie um ein Nachwort und einen Literaturnachtrag von Paul Zinsli erweiterte Auflage ebd. 1966).
- Elisabetta Fazzini Giovannucci: Die alemannischen Dialekte im westlichen Norditalien. Ein Forschungsbericht (= ZDL Beiheft. Band 28). Steiner, Wiesbaden 1978.
- Ulrich Nachbaur: „Ob die Sage alt und ächt“ – Historische Anmerkungen zum Walserbewusstsein. In: Wir Walser. 51. Jahrgang, Nr. 2/2013. Wir Walser, Brig-Glis 2013 (Volltext als PDF auf den Webseiten des Vorarlberger Landesarchivs).
- Ulrich Nachbaur: Walser-Bewusstsein durch die Zeiten. In: Wir Walser. 52. Jahrgang, Nr. 2/2014. Wir Walser, Brig-Glis 2014 (Volltext als PDF auf den Webseiten des Vorarlberger Landesarchivs).
- Enrico Rizzi: Geschichte der Walser. Bündner Monatsblatt, Chur 1994. Italienisches Original: Storia dei Walser. Fondazione Arch. Enrico Monti, Anzola d’Ossola 1993.
- Enrico Rizzi: 750 Jahre Walser in Graubünden. Walservereinigung Graubünden, Davos Dorf 2024, ISBN 978-3-909210-16-9.
- Manfred Szadrowsky: Walserdeutsch. Sprecher, Eggerling & Co., Chur 1925.
- Vereinigung für Walsertum (Hrsg.): Die Walser. Ein Arbeitsheft für Schulen. 4. Auflage. Verlag Wir Walser, Brig 2004 (OCLC 759418511).[4]
- Max Waibel: Walser. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Paul Zinsli: Walser Volkstum in der Schweiz, in Vorarlberg, Liechtenstein und Piemont. Erbe, Dasein, Wesen. Huber, Frauenfeld 1968 (7., ergänzte Auflage. Verlag Bündner Monatsblatt, Chur 2002, ISBN 3-905241-17-X).
Von mehr wissenschaftsgeschichtlichem Interesse sind die folgenden beiden Werke, welche die Grundlage der modernen Walserforschung legten:
- Josef von Bergmann: Untersuchungen über die freyen Walliser oder Walser in Graubünden und Vorarlberg. Mit einigen diese Gebiete betreffenden historischen Erläuterungen. Carl Gerold, Wien 1844 (Digitalisat ).
- Albert Schott: Die deutschen Colonien in Piemont. Ihr Land, ihre Mundart und Herkunft. Ein Beitrag zur Geschichte der Alpen. Cotta’scher Verlag, Stuttgart/Tübingen 1842 (Digitalisat ).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Internationale Vereinigung für Walsertum (IVfW)
- Walservereinigung Graubünden
- Internationales Walser Web-Portal
- Vorarlberger Walservereinigung
- Piccolo Atlante Linguistico Walser Meridionali
- Virtuelles Walsermuseum
- Die Walser. Eroberer der Höhenlagen
- wir-walser.ch
- walser-alps.eu
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Die Walserzüge Von Schweizerischem Nationalmuseum auf Watson (Nachrichtenportal) vom 27. November 2022
- ↑ Beate Kittl: Die Wiederentdeckung der Walser. In: Marco Valà (Hrsg.): GEO. 09 2020 Auflage. Schauplatz Schweiz. Hamburg/Radeburg September 2020, S. 1–8.
- ↑ Internationales Walsertreffen. Abgerufen am 28. April 2022.
- ↑ Die Walser. Walser Vereinigung, Brig 2015.