„István Széchenyi“ – Versionsunterschied

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[[Datei:István Széchenyi.jpg|mini|[[Friedrich von Amerling]]: Porträt von Graf István Széchenyi (1836)]]
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'''István Széchenyi''' ([{{IPA|ˈiʃtvaːn ˈseːtʃɛɲi}}]; * [[21. September]] [[1791]] in [[Wien]]; † [[8. April]] [[1860]] in [[Döbling]]) war ein ungarischer Graf, Staatsreformer und Unternehmer. Beeinflusst durch [[Jeremy Bentham]] und [[Adam Smith]] widmete er sich ab 1825 ganz dem wirtschaftlichen Fortschritt in Ungarn, um den Rückstand gegenüber dem Westen aufzuholen, und der Verbesserung der Stellung der ungarischen Nation innerhalb der [[Habsburgermonarchie]]. Dieses Engagement brachte ihm seitens seines Konkurrenten und zeitweiligen Widersachers [[Lajos Kossuth]] den Ehrentitel „Größter Ungar“ ein,<ref>[http://www.ungarn-guide.com/erfinder_07.php ''Ein ungarischer Aristokrat - Széchenyi István ''. Ungarn-Guide.com]</ref> der bis heute verwendet wird.<ref>Denis Silagi: ''Der größte Ungar: Graf Stephan Széchenyi.'' Herold Verlag, Wien/ München 1967<br />* ''Nagycenk. „Der Wohnort des ‚Grössten Ungarn‘ (Lajos Kossuth hat ihn so genannt) liegt nur 12 km weit von Sopron entfernt'' [...] ''Vor der Kirche steht die Bronzestatue von István Széchenyi, die von dem Bildhauer Alajos Stróbl stammt. Einige Meter von hier entfernt steht auf dem Friedhof der Gemeinde das Széchenyi-Mausoleum, wo ‚der größte Ungar‘ und viele Mitglieder der Széchenyi-Familie ihre ewige Ruhe gefunden haben.“'' ({{Webarchiv|text=Hungariantourism.com |url=http://www.hungariantourism.com/de/siedlungen/nagycenk.html |wayback=20090125133316}}, abgerufen 14. August 2010)<br />* „''Zum 150. Jahrestag des Todes von István Széchenyi können unsere Besucher mit Hilfe unserer Kammerausstellung in die wichtigsten Stationen des Lebens‚ des ‚größten Ungarn‘ einen Einblick gewinnen.“'' ( {{Webarchiv|text=Tourismusamt Budapest: Budapestinfo.hu |url=http://www.budapestinfo.hu/de/veranstaltungskalender/erinnerung_an_szechenyi___kammerausstellung |wayback=20100428054849}}, abgerufen 14. August 2010)</ref>
Graf '''István Széchenyi''' ([{{IPA|ˈiʃtvaːn ˈseːtʃɛɲi}}]; * [[21. September]] [[1791]] in [[Wien]]; † [[8. April]] [[1860]] in [[Döbling]]) war ein ungarischer Staatsreformer und Unternehmer. Beeinflusst durch [[Jeremy Bentham]] und [[Adam Smith]] widmete er sich ab 1825 ganz dem wirtschaftlichen Fortschritt in Ungarn, um den Rückstand gegenüber dem Westen aufzuholen, und der Verbesserung der Stellung der ungarischen Nation innerhalb der [[Habsburgermonarchie]]. Dieses Engagement brachte ihm seitens seines Konkurrenten und zeitweiligen Widersachers [[Lajos Kossuth]] den Ehrentitel „Größter Ungar“ ein,<ref>[http://www.ungarn-guide.com/erfinder_07.php ''Ein ungarischer Aristokrat - Széchenyi István ''. Ungarn-Guide.com]</ref> der bis heute verwendet wird.<ref>Denis Silagi: ''Der größte Ungar: Graf Stephan Széchenyi.'' Herold Verlag, Wien/ München 1967<br />* ''Nagycenk. „Der Wohnort des ‚Grössten Ungarn‘ (Lajos Kossuth hat ihn so genannt) liegt nur 12 km weit von Sopron entfernt'' [...] ''Vor der Kirche steht die Bronzestatue von István Széchenyi, die von dem Bildhauer Alajos Stróbl stammt. Einige Meter von hier entfernt steht auf dem Friedhof der Gemeinde das Széchenyi-Mausoleum, wo ‚der größte Ungar‘ und viele Mitglieder der Széchenyi-Familie ihre ewige Ruhe gefunden haben.“'' ({{Webarchiv|text=Hungariantourism.com |url=http://www.hungariantourism.com/de/siedlungen/nagycenk.html |wayback=20090125133316}}, abgerufen am 14. August 2010)<br />* „''Zum 150. Jahrestag des Todes von István Széchenyi können unsere Besucher mit Hilfe unserer Kammerausstellung in die wichtigsten Stationen des Lebens‚ des ‚größten Ungarn‘ einen Einblick gewinnen.“'' ( {{Webarchiv|text=Tourismusamt Budapest: Budapestinfo.hu |url=http://www.budapestinfo.hu/de/veranstaltungskalender/erinnerung_an_szechenyi___kammerausstellung |wayback=20100428054849}}, abgerufen am 14. August 2010)</ref>


== Leben ==
== Leben ==
[[Datei:Alconiere, Tivadar - Allegoric Riding Portrait (1831 or 37).jpg|mini|[[Theodor Alconiere]]: Széchenyi am [[Eisernes Tor|Eisernen Tor]] (1831)]]
[[Datei:Alconiere, Tivadar - Allegoric Riding Portrait (1831 or 37).jpg|mini|[[Theodor Alconiere]]: Széchenyi am [[Eisernes Tor|Eisernen Tor]] (1831)]]
[[Datei:Seilern Crescence.jpg|mini|hochkant|Széchenyis Frau [[Crescence Seilern]]]]
[[Datei:Seilern Crescence.jpg|mini|hochkant|Széchenyis Frau [[Crescence Seilern]]]]
Széchenyi wurde in eine reiche ungarische [[Széchenyi (Adelsgeschlecht)|Aristokratenfamilie]] in Wien geboren. Sein [[Aufklärung|aufklärerisch]] gesinnter Vater [[Ferenc Széchényi]] schenkte 1802 seine eigenen Sammlungen der ungarischen Nation und gründete damit das [[Ungarisches Nationalmuseum|Ungarische Nationalmuseum]] und die [[Széchényi-Nationalbibliothek|Nationalbibliothek]]. Seine Mutter Julianna Festetics war die Schwester von [[György Festetics (Landwirt)|György Festetics]], der sich für die Förderung der ungarischen Literatur einsetzte und 1797 in [[Keszthely]] am [[Balaton|Plattensee]] die erste Agrarhochschule Ungarns, das [[Georgikon]] gründete.
Széchenyi wurde als Spross der ungarischen Magnatenfamilie [[Széchenyi (Adelsgeschlecht)|Széchenyi]] in Wien geboren. Sein [[Aufklärung|aufklärerisch]] gesinnter Vater [[Ferenc Széchényi]] schenkte 1802 seine eigenen Sammlungen der ungarischen Nation und gründete damit das [[Ungarisches Nationalmuseum|Ungarische Nationalmuseum]] und die [[Széchényi-Nationalbibliothek|Nationalbibliothek]]. Seine Mutter Julianna Festetics war die Schwester von [[György Festetics (Landwirt)|György Festetics]], der sich für die Förderung der ungarischen Literatur einsetzte und 1797 in [[Keszthely]] (''Kesthell'') am [[Balaton]] die erste Agrarhochschule Ungarns, das [[Georgikon]], gründete.


Als Kind war István Széchenyi eher ein Spätentwickler, er konnte mit 12 Jahren noch kaum lesen, beherrschte aber später sechs Sprachen, wobei er aber Deutsch und Französisch wesentlich besser als Ungarisch beherrschte.<ref>{{Webarchiv | url=http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?tabID=3946&alias=wzo&lexikon=Menschen&letter=M&cob=5380 | archive-is=20130114234134 | text="Ein Happy End mit Tränen"}} [[Paul Lendvai]] über Geschichte, Mentalität und Zukunft Ungarns in der [[Wiener Zeitung]] vom 20. Juli 2001 abgerufen am 26. Juni 2010.</ref> Als junger Mann begann Széchenyi eine Karriere beim Militär. Er kämpfte in Kriegen gegen Napoleon, unter anderem in der [[Völkerschlacht bei Leipzig]], und zeichnete sich als Rittmeister aus. Als ihm jedoch der Majorsrang verwehrt blieb, wandte er sich seiner neuen Lebensaufgabe zu: der Erneuerung seiner Nation.
Als Kind war István Széchenyi eher ein Spätentwickler, er konnte mit zwölf Jahren noch kaum lesen. Ab 1805 erhielt er Unterricht durch [[Gustav Adolf Hess de Calve]], János Lebenberg, [[Miklós Révai]] sowie [[Ferenc Kazinczy]] und beherrschte später sechs Sprachen, wobei er aber Deutsch und Französisch wesentlich besser als Ungarisch beherrschte.<ref>{{Webarchiv | url=http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?tabID=3946&alias=wzo&lexikon=Menschen&letter=M&cob=5380 | archive-is=20130114234134 | text="Ein Happy End mit Tränen"}} [[Paul Lendvai]] über Geschichte, Mentalität und Zukunft Ungarns in der [[Wiener Zeitung]] vom 20. Juli 2001, abgerufen am 26. Juni 2010.</ref> Als junger Mann begann Széchenyi eine Karriere beim Militär. Er kämpfte in Kriegen gegen Napoleon, unter anderem in der [[Völkerschlacht bei Leipzig]], und zeichnete sich als Rittmeister aus. Als ihm jedoch der Majorsrang verwehrt blieb, wandte er sich seiner neuen Lebensaufgabe zu: der Erneuerung seiner Nation.


1814 begann der junge Hocharistokrat eine umfassende Reisetätigkeit. Die beiden Pole dieser Reisen waren England, das damals industriell am weitesten entwickelte Land Europas, und die Türkei.
1814 begann der junge Hocharistokrat eine umfassende Reisetätigkeit. Die beiden Pole dieser Reisen waren England, das damals industriell am weitesten entwickelte Land Europas, und die Türkei.
Széchenyi empfand die britischen Institutionen – von Pferderennen bis zur Industriewirtschaft – als vorbildhaft. Er wurde in der ersten Hälfte des „Reformzeitalters“ als gradualistischer Reformer die Leitfigur der liberalen Bewegung Ungarns. Nach seinen Reisen inszenierte Széchenyi 1827 das erste [[Pferderennen]] Ungarns.
Széchenyi empfand die britischen Institutionen – von Pferderennen bis zur Industriewirtschaft – als vorbildhaft. Er wurde in der ersten Hälfte des „Reformzeitalters“ als gradualistischer Reformer die Leitfigur der liberalen Bewegung Ungarns. Nach seinen Reisen inszenierte Széchenyi 1827 das erste Pferderennen Ungarns.
In der zweiten Hälfte verlor er seine führende Position an den Radikalen [[Lajos Kossuth]], der Ungarn schließlich in die [[Ungarische Revolution 1848/1849|Revolution von 1848/49]] führte. Der feinnervige Graf Széchenyi verstrickte sich 1824 in eine romantische Liebesgeschichte mit der im [[Buda]]er [[Burgviertel]] residierenden [[Crescence Seilern|Gräfin Seilern]] (verheiratete Zichy), die er 1836, nach dem Tod ihres Ehegatten, auch ehelichte. (Der ungarische Literat [[Ferenc Herczeg]] (1863–1954) schrieb darüber sein Theaterstück ''A Híd'' („Die Brücke“), in dem er, etwas verkürzt, Széchenyis Engagement für die nach ihm benannte [[Kettenbrücke (Budapest)|Brückenverbindung]] zwischen Buda und Pest auf diese große Liebe zurückführte.)
In der zweiten Hälfte verlor er seine führende Position an den Radikalen [[Lajos Kossuth]], der das Land schließlich in die [[Ungarische Revolution 1848/1849|Ungarische Revolution von 1848/49]] führte. Der feinnervige Graf Széchenyi verstrickte sich 1824 in eine romantische Liebesgeschichte mit der im [[Buda]]er [[Burgviertel]] residierenden Gräfin [[Crescence Seilern]] (verheiratete Zichy), die er 1836, nach dem Tod ihres Ehegatten, auch ehelichte. Der ungarische Literat [[Ferenc Herczeg]] schrieb darüber sein Theaterstück ''Die Brücke'' ([[Ungarische Sprache|ung.]] ''A Híd)'', in dem er Széchenyis Engagement für die nach ihm benannte [[Kettenbrücke (Budapest)|Széchenyi-Kettenbrücke]] zwischen Buda und [[Pest (Stadt)|Pest]] auf diese große Liebe zurückführte.


Széchenyi war zweifellos eine romantische Gestalt und neigte zu Depressionen; er war allerdings auch ein rationaler politischer Analytiker, der durchaus hellsichtig jahrelang davor warnte, Kossuth werde das Land mit seinem Ungestüm in eine Katastrophe führen. In der Revolutionszeit brach Széchenyi seelisch zusammen. Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte er in einer Nervenheilanstalt in Döbling bei Wien. Dem Griff der Behörden, die ihm nach einem scharf formulierten anonymen Pamphlet („Blick“) die Überführung in eine öffentliche Irrenanstalt androhten, entzog er sich durch Selbstmord.
Széchenyi war zweifellos eine romantische Gestalt und neigte zu Depressionen; er war allerdings auch ein rationaler politischer Analytiker, der jahrelang davor warnte, Kossuth werde das Land mit seinem Ungestüm in eine Katastrophe führen. In der Revolutionszeit brach Széchenyi seelisch zusammen. Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte er in einer Nervenheilanstalt in Döbling bei Wien. Dem Griff der Behörden, die ihm nach einem scharf formulierten anonymen Pamphlet („Blick“) die Überführung in eine öffentliche Irrenanstalt androhten, entzog er sich durch Selbstmord.
[[Datei:Portrait of Ferenc Herceg by Istvan Szentgyoergyi, 1920.jpg|mini|hochkant|„Ferenc Herczeg“ (Rückseite)<br />Bronze von István Szentgyörgyi, Ungarisches Nationalmuseum, Budapest<br />''Die undatierte Medaille zeigt ein Porträt von Graf István Graf Széchenyi''&nbsp;<ref name="Herczeg">[http://www.hung-art.hu/frames-e.html?/english/s/szentgyo Fine Arts in Hungary] (→ABC Index →Szentgyörgyi István →Works by István Szentgyörgyi →Ferenc Herceg (reverse) →"'''I'''")</ref> mit der Széchenyi-Kettenbrücke und bezieht sich auf [[Ferenc Herczeg]]'s Theaterstück „Die Brücke“ (1925)]]
[[Datei:Portrait of Ferenc Herceg by Istvan Szentgyoergyi, 1920.jpg|mini|hochkant|„Ferenc Herczeg“ (Rückseite)<br />Bronze von István Szentgyörgyi, Ungarisches Nationalmuseum, Budapest<br />''Die undatierte Medaille zeigt ein Porträt von Graf István Graf Széchenyi''&nbsp;<ref name="Herczeg">[https://www.hung-art.hu/frames-e.html?/english/s/szentgyo Fine Arts in Hungary] (→ABC Index →Szentgyörgyi István →Works by István Szentgyörgyi →Ferenc Herceg (reverse) →"'''I'''")</ref> mit der Széchenyi-Kettenbrücke und bezieht sich auf [[Ferenc Herczeg|Ferenc Herczegs]] Theaterstück „Die Brücke“ (1925)]]


Seit 1834 war er Ehrenmitglied der [[Bayerische Akademie der Wissenschaften|Bayerischen Akademie der Wissenschaften]].
Seit 1834 war er Ehrenmitglied der [[Bayerische Akademie der Wissenschaften|Bayerischen Akademie der Wissenschaften]].
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== Werke ==
== Werke ==
=== Kritik am Feudalsystem ===
=== Kritik am Feudalsystem ===
Széchenyis Werk ''Hitel'' (deutsch: ''Über den Credit''&nbsp;<ref>Als [http://books.google.de/books?id=kBYMAQAAMAAJ&printsec=frontcover E-Book] abrufbar, abgerufen am 5.&nbsp;Februar 2011.</ref>), das im Jahr 1830 erschien und einen für diese Zeit ungewohnt starken Anklang fand, erörterte die Gründe für die wirtschaftliche Zurückgebliebenheit Ungarns. Er kritisierte darin die Zollpolitik Österreichs, den Kreditmangel und die Aufrechthaltung der Adelsprivilegien zu Lasten des Volkes. Die Unveräußerlichkeit adeligen Grundbesitzes mache den Hypothekarkredit auf solches Land unmöglich, und der daraus resultierende Kreditmangel lasse eine Industrialisierung nicht zu. Dies sei eine Folge des Feudalsystems sowie eines alten Verfassungsgesetzes namens „[[Avitizität]]“. Széchenyis Wirken galt der Schaffung neuer öffentlich-rechtlicher Rahmenbedingungen für die Erstarkung der Wirtschaft. In seinen Büchern ''Világ'' („Licht“) und ''Stadium'' stellte er ein konkretes Reformprogramm zusammen, welches auf eine strengere Gesetzesumsetzung und die Abschaffung der Steuerfreiheit von Adligen abzielte. Im Wiener Exil verfasste Széchenyi schließlich 1858 als Antwort auf den in London anonym erschienenen „Rückblick“ des mächtigen Innenministers [[Alexander von Bach]] auf die ungarische Revolution von 1848 bis 49 einen „Blick“<ref>[http://books.google.com/books?id=jyjJp6xVZCkC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false ''Ein Blick auf den anonymen "Rückblick", welcher für einen vertrauten Kreis in verhältnismäßig wenigen Exemplaren im Monate October 1857, in Wien, erschien, von einem Ungarn'', hrsg. und Vorwort von F.K.]</ref> auf besagten Rückblick, der ebenfalls anonym erschien. In ihm rechnete Széchenyi mit dem Scheitern des Bach'schen Versuchs einer Zerschlagung Ungarns im [[Neoabsolutismus]] ab. Das scharf formulierte Werk enthielt allerdings Passagen, die als [[Majestätsbeleidigung]] interpretierbar waren. Eine wichtige historische und biografische Quelle stellen schließlich Széchenyis (hauptsächlich auf Deutsch verfasste) Tagebücher dar.
Széchenyis Werk ''Über den Credit''<ref>Als [http://books.google.de/books?id=kBYMAQAAMAAJ&printsec=frontcover E-Book] abrufbar, abgerufen am 5.&nbsp;Februar 2011.</ref> (ung. ''Hitel)'', das im Jahr 1830 erschien und einen für diese Zeit ungewohnt starken Anklang fand, erörterte die Gründe für die wirtschaftliche Zurückgebliebenheit Ungarns. Er kritisierte darin die Zollpolitik Österreichs, den Kreditmangel und die Aufrechterhaltung der Adelsprivilegien zu Lasten des Volkes. Die Unveräußerlichkeit adeligen Grundbesitzes mache den Hypothekarkredit auf solches Land unmöglich, und der daraus resultierende Kreditmangel lasse eine Industrialisierung nicht zu. Dies sei eine Folge des Feudalsystems sowie eines alten Verfassungsgesetzes namens „[[Avitizität]]“. Széchenyis Wirken galt der Schaffung neuer öffentlich-rechtlicher Rahmenbedingungen für die Erstarkung der Wirtschaft. In seinen Büchern ''Világ'' („Licht“) und ''Stadium'' stellte er ein konkretes Reformprogramm zusammen, welches auf eine strengere Gesetzesumsetzung und die Abschaffung der Steuerfreiheit von Adligen abzielte. Im Wiener Exil verfasste Széchenyi schließlich 1858 als Antwort auf den in London anonym erschienenen „Rückblick“ des mächtigen Innenministers [[Alexander von Bach]] auf die ungarische Revolution von 1848/49 einen „Blick“<ref>[https://books.google.com/books?id=jyjJp6xVZCkC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false ''Ein Blick auf den anonymen "Rückblick", welcher für einen vertrauten Kreis in verhältnismäßig wenigen Exemplaren im Monate October 1857, in Wien, erschien, von einem Ungarn'', hrsg. und Vorwort von F.K.]</ref> auf besagten Rückblick, der ebenfalls anonym erschien. In ihm rechnete Széchenyi mit dem Scheitern des Bach’schen Versuchs einer Zerschlagung Ungarns im [[Neoabsolutismus]] ab. Das scharf formulierte Werk enthielt allerdings Passagen, die als [[Majestätsbeleidigung]] interpretierbar waren. Eine wichtige historische und biografische Quelle stellen schließlich Széchenyis (hauptsächlich auf Deutsch verfasste) Tagebücher dar.


=== Förderung der Wirtschaft ===
=== Förderung der Wirtschaft ===
Széchenyi besaß nie politische Macht, mit Ausnahme des Amtes eines Verkehrsministers in der kurzen Regierungsphase unter Ministerpräsident [[Lajos Batthyány]] 1848. Als Privatunternehmer und Mitglied des [[Reichstag (Ungarn)|Pressburger Landtags]] initiierte er aber viele Projekte für die Verbesserung der Transportwege und die Verschönerung der Stadt Budapest, damit sie der gesellschaftliche Mittelpunkt Ungarns würde. Er initiierte die erste feste Brücke zwischen Buda und Pest, die [[Kettenbrücke (Budapest)|Kettenbrücke]], die mittels einer Aktiengesellschaft errichtet werden sollte. Die Tatsache, dass das Brückengesetz aus 1835 alle Passanten, auch die Adligen, verpflichtete, den Brückenzoll zu zahlen, wirkte als egalitäres Signal. Weiter förderte Széchenyi die Dampfschifffahrt, leitete die Arbeiten zur Donau- und Theissregulierung, errichtete in Pest ein Kasino, wo sich Intellektuelle trafen, um Meinungen auszutauschen (erster Küchenchef [[Franz Sacher]], Vater von [[Eduard Sacher]], dem Gründer des [[Hotel Sacher]] in Wien), initiierte die Gründung des [[Nationaltheater (Budapest)|Nationaltheaters]] und bot für die Gründung der [[Ungarische Akademie der Wissenschaften|Ungarischen Akademie der Wissenschaften]] in [[Bratislava|Pressburg]] sein Jahreseinkommen an.
Széchenyi besaß nie politische Macht, mit Ausnahme des Amtes eines Verkehrsministers in der kurzen Regierungsphase unter Ministerpräsident [[Lajos Batthyány]] 1848. Als Privatunternehmer und Mitglied des [[Reichstag (Ungarn)|ungarischen Landtags]] initiierte er aber viele Projekte für die Verbesserung der Transportwege und die Verschönerung der Stadt Budapest, damit sie der gesellschaftliche Mittelpunkt Ungarns würde. Er initiierte die erste feste Brücke zwischen Buda und Pest, die [[Kettenbrücke (Budapest)|Kettenbrücke]], die mittels einer Aktiengesellschaft errichtet werden sollte. Die Tatsache, dass das Brückengesetz aus 1835 alle Passanten, auch die Adligen, verpflichtete, den Brückenzoll zu zahlen, wirkte als egalitäres Signal. Weiter förderte Széchenyi die Dampfschifffahrt auf der Donau, leitete die Arbeiten zur Donau- und Theissregulierung, errichtete in Pest ein Kasino, wo sich Intellektuelle trafen, um Meinungen auszutauschen (dessen erster Küchenchef war [[Franz Sacher]]), initiierte die Gründung des [[Nationaltheater (Budapest)|Nationaltheaters]] und bot für die Gründung der [[Ungarische Akademie der Wissenschaften|Ungarischen Akademie der Wissenschaften]] in [[Bratislava|Pressburg]] sein Jahreseinkommen an.


== Umfeld und Wirkung ==
== Umfeld und Wirkung ==
=== Kossuth ===
=== Kossuth ===
[[Lajos Kossuth]] war ein Revolutionär, mit dem Széchenyi in den vierziger Jahren in Konflikt geriet und in der Presse eine großangelegte politische Debatte führte. Die Debatte betraf hauptsächlich Fragen zur Eigenständigkeit Ungarns in der Gesamtmonarchie und zur Magyarisierung ethnischer Minderheiten. Széchenyi warnte seine Landsleute vor den Folgen des Sprachnationalismus und einer Abtrennung von Österreich. Angesichts der Katastrophen im 20. Jahrhundert, die ganz Osteuropa voll erfasst haben, bewies er mit dieser Position einen bemerkenswerten Weitblick.
[[Lajos Kossuth]] war ein Revolutionär, mit dem Széchenyi in den 1840er Jahren in Konflikt geriet und in der Presse eine großangelegte politische Debatte führte. Die Debatte betraf hauptsächlich Fragen zur Eigenständigkeit Ungarns in der Gesamtmonarchie und zur [[Magyarisierung]] ethnischer Minderheiten. Széchenyi warnte seine Landsleute vor den Folgen des Sprachnationalismus und einer Abtrennung von Österreich. Angesichts der Katastrophen im 20. Jahrhundert, die ganz Osteuropa voll erfasst haben, bewies er mit dieser Position einen bemerkenswerten Weitblick.


=== Metternich ===
=== Metternich ===
Széchenyi versuchte immer wieder, die Wiener Regierung für seine Pläne zu gewinnen. In [[Joseph Anton Johann von Österreich|Erzherzog Joseph]], dem habsburgischen [[Palatin (Ungarn)|Palatin]] (Reichsverweser) Ungarns, hatte er lange Zeit einen wohlwollenden Förderer. Der maßgebende Staatsmann der Zeit, [[Klemens Wenzel Lothar von Metternich|Fürst Metternich]], hingegen hielt den Grafen für einen rebellischen Geist, der es auf die Aufspaltung des Kaiserreichs abgesehen habe. Der Staatskanzler deutete die Zeichen der Epoche richtig, aber er irrte sich in der Beurteilung der Persönlichkeit. Széchenyi war für ein erstarkendes ungarisches Nationalgefühl zu vorsichtig und zu regierungstreu.
Széchenyi versuchte immer wieder, die Wiener Regierung für seine Pläne zu gewinnen. In Erzherzog [[Joseph von Österreich]], dem habsburgischen [[Palatin (Ungarn)|Palatin]] Ungarns, hatte er lange Zeit einen wohlwollenden Förderer. Der maßgebende Staatsmann der Zeit, Fürst [[Klemens Wenzel Lothar von Metternich|von Metternich]], hingegen hielt den Grafen für einen rebellischen Geist, der es auf die Aufspaltung des Kaiserreichs abgesehen habe. Der Staatskanzler deutete die Zeichen der Epoche richtig, aber er irrte sich in der Beurteilung der Persönlichkeit. Széchenyi war für ein erstarkendes ungarisches Nationalgefühl zu vorsichtig und zu regierungstreu.


=== Würdigungen ===
=== Würdigungen ===
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* das Budapester [[Széchenyi-Heilbad]]
* das Budapester [[Széchenyi-Heilbad]]
* die Budapester [[Kettenbrücke (Budapest)|Széchenyi-Kettenbrücke]], deren Bau er initiierte
* die Budapester [[Kettenbrücke (Budapest)|Széchenyi-Kettenbrücke]], deren Bau er initiierte
* die [[Széchenyi-Museumsbahn]] von [[Fertőboz]] zum Schloss in [[Nagycenk]], dem Stammsitz der Adelsfamilie Széchenyi, im Andenken an seine Leistungen für das ungarische Transportwesen
* die [[Széchenyi-Museumsbahn Nagycenk]] von [[Fertőboz]] zum Schloss in [[Nagycenk]], dem Stammsitz der Adelsfamilie Széchenyi, im Andenken an seine Leistungen für das ungarische Transportwesen
* das Széchenyi-Museum im Schloss Nagycenk
* das Széchenyi-Museum im Schloss Nagycenk
* die [[István-Széchenyi-Universität]] in [[Győr]] (ursprünglich eine Hochschule für Transport und Telekommunikation).
* die [[István-Széchenyi-Universität]] in [[Győr]] (ursprünglich eine Hochschule für Transport und Telekommunikation).
* das Széchenyi István Gymnasium in [[Sopron]] und [[Pécs]]
* das Széchenyi-István-Gymnasium in [[Sopron]] und [[Pécs]]
* Sein Porträt ist auf dem umlaufenden 5000-[[Forint]]-Schein der Ungarischen Staatsbank sowie auf älteren Banknoten der Zwischenkriegszeit abgebildet.
* Sein Porträt ist auf dem umlaufenden 5000-[[Forint]]-Schein der Ungarischen Staatsbank sowie auf älteren Banknoten der Zwischenkriegszeit abgebildet sowie auf Briefmarken, etwa der Dauermarkenserie ''[[Berühmte Ungarn (Briefmarkenserie)|Berühmte Ungarn]]'' der Ungarischen Post.
* Széchenyi-Denkmal in [[Siófok]]
* Széchenyi-Denkmal in [[Siófok]]


== Familie ==
== Familie ==
Graf Széchenyi und Gräfin Seilern hatten zwei gemeinsame Kinder:
Graf Széchenyi und Gräfin Seilern hatten zwei gemeinsame Kinder:
* [[Béla Széchenyi|Graf Bela Stephan Maria Széchenyi de Sarvar-Felsövideki]] (1837–1918) Gräfin Johanna Gobertine Erdödy
* Graf [[Béla Széchenyi]] (1837–1918) Gräfin Johanna Gobertine Erdödy
* [[Ödön Széchenyi|Graf Ödön (Edmund) Széchenyi de Sárvár-Felsövidék]] (1839–1922) (2) Eulália Christopoulos
* Graf [[Ödön Széchenyi]] (1839–1922) (2) Eulália Christopoulos

Die Unternehmerin [[Gloria von Thurn und Taxis]] (* 1960), Maya Flick, Carl Graf von Schönburg-Glauchau und der Journalist [[Alexander Graf von Schönburg-Glauchau]] (* 1969) sind Ururenkel Széchenyis.
Die Geschwister [[Gloria von Thurn und Taxis]] (* 1960), [[Maya Felicitas Gräfin von Schönburg-Glauchau|Maya von Schönburg]], verh. Flick (1958–2019), Carl von Schönburg (* 1966) und [[Alexander Graf von Schönburg-Glauchau|Alexander von Schönburg]] (* 1969) sind Ururenkel Széchenyis.


== Literatur ==
== Literatur ==
* {{BLKÖ|Széchenyi, Stephan|41|251|289|}}
* {{BLKÖ|Széchenyi, Stephan|41|251|289|}}
* Denis Silagi: ''Der größte Ungar: Graf Stephan Széchenyi.'' Herold Verlag, Wien/ München 1967.
* {{Literatur |Autor=Denis Silagi |Titel=Der größte Ungar. Graf Stephan Széchenyi |Verlag=Verlag Herold |Ort=Wien/München |Datum=1967 |DNB=458949396}}
* {{Literatur |Autor=George Barany |Titel=Stephen Széchenyi and the awakening of Hungarian nationalism, 1791-1841 |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton |Datum=1968 |Sprache=en |OCLC=1014981763}}
* Andreas Oplatka: ''Graf Stephan Széchenyi. Der Mann, der Ungarn schuf.'' Zsolnay Verlag, Wien 2004, ISBN 3-552-05317-4.
* {{Literatur |Autor=Andreas Oplatka |Titel=Graf Stephan Széchenyi. Der Mann, der Ungarn schuf |Verlag=Paul Zsolnay Verlag |Ort=Wien |Datum=2004 |ISBN=978-3-552-05317-5}}
* I. Fazekas, S. Malfèr, P. Tusor (Hrsg.): ''Széchenyi, Kossuth, Batthyány, Deák. Studien zu den ungarischen Reformpolitikern des 19. Jahrhunderts und ihren Beziehungen zu Österreich.'' (= Publikationen der ungarischen Geschichtsforschung in Wien. Band 3). Collegium Hungaricum, Wien 2011, ISBN 978-963-88739-6-5.
* {{Literatur |Titel=Széchenyi, Kossuth, Batthyány, Deák. Studien zu den ungarischen Reformpolitikern des 19. Jahrhunderts und ihren Beziehungen zu Österreich |Hrsg=István Fazekas |Verlag=Institut für Ungarische Geschichtsforschung |Ort=Wien |Datum=2011 |Reihe=Publikationen der ungarischen Geschichtsforschung in Wien |BandReihe=3 |ISBN=978-9-638-87396-5}}
* {{ÖBL|14|131|132|Széchenyi von Sárvár und Felsővidék István (Stephan) Gf.|Z. Szász}}
* {{ÖBL|14|131|132|Széchenyi von Sárvár und Felsővidék István (Stephan) Gf.|Z. Szász}}
* László Csorba: ''Count István Széchenyi (1791–1860).'' In: Ferenc Hörcher / Kálmán Tóth (Hrsg.): ''19th-century Hungarian political thought and culture: towards settlement with Austria, 1790–1867''. Bloomsbury Academic, London / New York 2023, ISBN 978-1-350-20291-7, S. 117–132.
* {{Literatur |Autor=Harald Pöcher |Titel=István Széchenyi (1791–1860). Der größte Ungar |Sammelwerk=[[Österreichische Militärische Zeitschrift]] |Band=Jahrgang 61 |Nummer=Heft 6 |Datum=2023 |DNB=1310459967}}


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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* {{MEK|ABC14240/14622}}
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* [http://mek.oszk.hu/01000/01073/index.phtml Széchenyi István: Morgenländische Fahrt (1818–1819)]
* [http://mek.oszk.hu/01000/01073/index.phtml Széchenyi István: Morgenländische Fahrt (1818–1819)]
* [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:355-ubr02488-8 Einiges über Ungarn], ''Heckenast, Pesth 1839''
* [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:355-ubr02488-8 Einiges über Ungarn], ''Heckenast, Pesth 1839''
* [[Robert Schediwy]]: [https://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wz_reflexionen/kompendium/205051_Ein-Mann-des-Ausgleichs.html Ein Mann des Ausgleichs. Graf István Széchenyi und sein Schloss Nagycenk bei Sopron.] [[Wiener Zeitung]] vom 20. Juli 2001
* [[Robert Schediwy]]: [https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/themen_channel/wz_reflexionen/kompendium/205051_Ein-Mann-des-Ausgleichs.html Ein Mann des Ausgleichs. Graf István Széchenyi und sein Schloss Nagycenk bei Sopron.] [[Wiener Zeitung]] vom 20. Juli 2001


== Einzelnachweise ==
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Aktuelle Version vom 27. Mai 2024, 21:25 Uhr

Friedrich von Amerling: Porträt von Graf István Széchenyi (1836)

Graf István Széchenyi ([ˈiʃtvaːn ˈseːtʃɛɲi]; * 21. September 1791 in Wien; † 8. April 1860 in Döbling) war ein ungarischer Staatsreformer und Unternehmer. Beeinflusst durch Jeremy Bentham und Adam Smith widmete er sich ab 1825 ganz dem wirtschaftlichen Fortschritt in Ungarn, um den Rückstand gegenüber dem Westen aufzuholen, und der Verbesserung der Stellung der ungarischen Nation innerhalb der Habsburgermonarchie. Dieses Engagement brachte ihm seitens seines Konkurrenten und zeitweiligen Widersachers Lajos Kossuth den Ehrentitel „Größter Ungar“ ein,[1] der bis heute verwendet wird.[2]

Theodor Alconiere: Széchenyi am Eisernen Tor (1831)
Széchenyis Frau Crescence Seilern

Széchenyi wurde als Spross der ungarischen Magnatenfamilie Széchenyi in Wien geboren. Sein aufklärerisch gesinnter Vater Ferenc Széchényi schenkte 1802 seine eigenen Sammlungen der ungarischen Nation und gründete damit das Ungarische Nationalmuseum und die Nationalbibliothek. Seine Mutter Julianna Festetics war die Schwester von György Festetics, der sich für die Förderung der ungarischen Literatur einsetzte und 1797 in Keszthely (Kesthell) am Balaton die erste Agrarhochschule Ungarns, das Georgikon, gründete.

Als Kind war István Széchenyi eher ein Spätentwickler, er konnte mit zwölf Jahren noch kaum lesen. Ab 1805 erhielt er Unterricht durch Gustav Adolf Hess de Calve, János Lebenberg, Miklós Révai sowie Ferenc Kazinczy und beherrschte später sechs Sprachen, wobei er aber Deutsch und Französisch wesentlich besser als Ungarisch beherrschte.[3] Als junger Mann begann Széchenyi eine Karriere beim Militär. Er kämpfte in Kriegen gegen Napoleon, unter anderem in der Völkerschlacht bei Leipzig, und zeichnete sich als Rittmeister aus. Als ihm jedoch der Majorsrang verwehrt blieb, wandte er sich seiner neuen Lebensaufgabe zu: der Erneuerung seiner Nation.

1814 begann der junge Hocharistokrat eine umfassende Reisetätigkeit. Die beiden Pole dieser Reisen waren England, das damals industriell am weitesten entwickelte Land Europas, und die Türkei. Széchenyi empfand die britischen Institutionen – von Pferderennen bis zur Industriewirtschaft – als vorbildhaft. Er wurde in der ersten Hälfte des „Reformzeitalters“ als gradualistischer Reformer die Leitfigur der liberalen Bewegung Ungarns. Nach seinen Reisen inszenierte Széchenyi 1827 das erste Pferderennen Ungarns. In der zweiten Hälfte verlor er seine führende Position an den Radikalen Lajos Kossuth, der das Land schließlich in die Ungarische Revolution von 1848/49 führte. Der feinnervige Graf Széchenyi verstrickte sich 1824 in eine romantische Liebesgeschichte mit der im Budaer Burgviertel residierenden Gräfin Crescence Seilern (verheiratete Zichy), die er 1836, nach dem Tod ihres Ehegatten, auch ehelichte. Der ungarische Literat Ferenc Herczeg schrieb darüber sein Theaterstück Die Brücke (ung. A Híd), in dem er Széchenyis Engagement für die nach ihm benannte Széchenyi-Kettenbrücke zwischen Buda und Pest auf diese große Liebe zurückführte.

Széchenyi war zweifellos eine romantische Gestalt und neigte zu Depressionen; er war allerdings auch ein rationaler politischer Analytiker, der jahrelang davor warnte, Kossuth werde das Land mit seinem Ungestüm in eine Katastrophe führen. In der Revolutionszeit brach Széchenyi seelisch zusammen. Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte er in einer Nervenheilanstalt in Döbling bei Wien. Dem Griff der Behörden, die ihm nach einem scharf formulierten anonymen Pamphlet („Blick“) die Überführung in eine öffentliche Irrenanstalt androhten, entzog er sich durch Selbstmord.

„Ferenc Herczeg“ (Rückseite)
Bronze von István Szentgyörgyi, Ungarisches Nationalmuseum, Budapest
Die undatierte Medaille zeigt ein Porträt von Graf István Graf Széchenyi [4] mit der Széchenyi-Kettenbrücke und bezieht sich auf Ferenc Herczegs Theaterstück „Die Brücke“ (1925)

Seit 1834 war er Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Kritik am Feudalsystem

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Széchenyis Werk Über den Credit[5] (ung. Hitel), das im Jahr 1830 erschien und einen für diese Zeit ungewohnt starken Anklang fand, erörterte die Gründe für die wirtschaftliche Zurückgebliebenheit Ungarns. Er kritisierte darin die Zollpolitik Österreichs, den Kreditmangel und die Aufrechterhaltung der Adelsprivilegien zu Lasten des Volkes. Die Unveräußerlichkeit adeligen Grundbesitzes mache den Hypothekarkredit auf solches Land unmöglich, und der daraus resultierende Kreditmangel lasse eine Industrialisierung nicht zu. Dies sei eine Folge des Feudalsystems sowie eines alten Verfassungsgesetzes namens „Avitizität“. Széchenyis Wirken galt der Schaffung neuer öffentlich-rechtlicher Rahmenbedingungen für die Erstarkung der Wirtschaft. In seinen Büchern Világ („Licht“) und Stadium stellte er ein konkretes Reformprogramm zusammen, welches auf eine strengere Gesetzesumsetzung und die Abschaffung der Steuerfreiheit von Adligen abzielte. Im Wiener Exil verfasste Széchenyi schließlich 1858 als Antwort auf den in London anonym erschienenen „Rückblick“ des mächtigen Innenministers Alexander von Bach auf die ungarische Revolution von 1848/49 einen „Blick“[6] auf besagten Rückblick, der ebenfalls anonym erschien. In ihm rechnete Széchenyi mit dem Scheitern des Bach’schen Versuchs einer Zerschlagung Ungarns im Neoabsolutismus ab. Das scharf formulierte Werk enthielt allerdings Passagen, die als Majestätsbeleidigung interpretierbar waren. Eine wichtige historische und biografische Quelle stellen schließlich Széchenyis (hauptsächlich auf Deutsch verfasste) Tagebücher dar.

Förderung der Wirtschaft

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Széchenyi besaß nie politische Macht, mit Ausnahme des Amtes eines Verkehrsministers in der kurzen Regierungsphase unter Ministerpräsident Lajos Batthyány 1848. Als Privatunternehmer und Mitglied des ungarischen Landtags initiierte er aber viele Projekte für die Verbesserung der Transportwege und die Verschönerung der Stadt Budapest, damit sie der gesellschaftliche Mittelpunkt Ungarns würde. Er initiierte die erste feste Brücke zwischen Buda und Pest, die Kettenbrücke, die mittels einer Aktiengesellschaft errichtet werden sollte. Die Tatsache, dass das Brückengesetz aus 1835 alle Passanten, auch die Adligen, verpflichtete, den Brückenzoll zu zahlen, wirkte als egalitäres Signal. Weiter förderte Széchenyi die Dampfschifffahrt auf der Donau, leitete die Arbeiten zur Donau- und Theissregulierung, errichtete in Pest ein Kasino, wo sich Intellektuelle trafen, um Meinungen auszutauschen (dessen erster Küchenchef war Franz Sacher), initiierte die Gründung des Nationaltheaters und bot für die Gründung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Pressburg sein Jahreseinkommen an.

Umfeld und Wirkung

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Lajos Kossuth war ein Revolutionär, mit dem Széchenyi in den 1840er Jahren in Konflikt geriet und in der Presse eine großangelegte politische Debatte führte. Die Debatte betraf hauptsächlich Fragen zur Eigenständigkeit Ungarns in der Gesamtmonarchie und zur Magyarisierung ethnischer Minderheiten. Széchenyi warnte seine Landsleute vor den Folgen des Sprachnationalismus und einer Abtrennung von Österreich. Angesichts der Katastrophen im 20. Jahrhundert, die ganz Osteuropa voll erfasst haben, bewies er mit dieser Position einen bemerkenswerten Weitblick.

Széchenyi versuchte immer wieder, die Wiener Regierung für seine Pläne zu gewinnen. In Erzherzog Joseph von Österreich, dem habsburgischen Palatin Ungarns, hatte er lange Zeit einen wohlwollenden Förderer. Der maßgebende Staatsmann der Zeit, Fürst von Metternich, hingegen hielt den Grafen für einen rebellischen Geist, der es auf die Aufspaltung des Kaiserreichs abgesehen habe. Der Staatskanzler deutete die Zeichen der Epoche richtig, aber er irrte sich in der Beurteilung der Persönlichkeit. Széchenyi war für ein erstarkendes ungarisches Nationalgefühl zu vorsichtig und zu regierungstreu.

István Széchenyi (Ungarische Banknote, 5000 Forint, 1999)

Széchenyis Namen tragen:

Graf Széchenyi und Gräfin Seilern hatten zwei gemeinsame Kinder:

Die Geschwister Gloria von Thurn und Taxis (* 1960), Maya von Schönburg, verh. Flick (1958–2019), Carl von Schönburg (* 1966) und Alexander von Schönburg (* 1969) sind Ururenkel Széchenyis.

Commons: István Széchenyi – Sammlung von Bildern und Videos

Einzelnachweise

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  1. Ein ungarischer Aristokrat - Széchenyi István . Ungarn-Guide.com
  2. Denis Silagi: Der größte Ungar: Graf Stephan Széchenyi. Herold Verlag, Wien/ München 1967
    * Nagycenk. „Der Wohnort des ‚Grössten Ungarn‘ (Lajos Kossuth hat ihn so genannt) liegt nur 12 km weit von Sopron entfernt [...] Vor der Kirche steht die Bronzestatue von István Széchenyi, die von dem Bildhauer Alajos Stróbl stammt. Einige Meter von hier entfernt steht auf dem Friedhof der Gemeinde das Széchenyi-Mausoleum, wo ‚der größte Ungar‘ und viele Mitglieder der Széchenyi-Familie ihre ewige Ruhe gefunden haben.“ (Hungariantourism.com (Memento vom 25. Januar 2009 im Internet Archive), abgerufen am 14. August 2010)
    * „Zum 150. Jahrestag des Todes von István Széchenyi können unsere Besucher mit Hilfe unserer Kammerausstellung in die wichtigsten Stationen des Lebens‚ des ‚größten Ungarn‘ einen Einblick gewinnen.“ ( Tourismusamt Budapest: Budapestinfo.hu (Memento vom 28. April 2010 im Internet Archive), abgerufen am 14. August 2010)
  3. "Ein Happy End mit Tränen" (Memento vom 14. Januar 2013 im Webarchiv archive.today) Paul Lendvai über Geschichte, Mentalität und Zukunft Ungarns in der Wiener Zeitung vom 20. Juli 2001, abgerufen am 26. Juni 2010.
  4. Fine Arts in Hungary (→ABC Index →Szentgyörgyi István →Works by István Szentgyörgyi →Ferenc Herceg (reverse) →"I")
  5. Als E-Book abrufbar, abgerufen am 5. Februar 2011.
  6. Ein Blick auf den anonymen "Rückblick", welcher für einen vertrauten Kreis in verhältnismäßig wenigen Exemplaren im Monate October 1857, in Wien, erschien, von einem Ungarn, hrsg. und Vorwort von F.K.