Tretter Analysis 1
Tretter Analysis 1
Tretter Analysis 1
Mathematik Kompakt
Herausgegeben von:
Martin Brokate
Karl-Heinz Hoffmann
Götz Kersting
Otmar Scherzer
Gernot Stroth
Emo Welzl
Christiane Tretter
Christiane Tretter
Universität Bern
Mathematisches Institut
Bern, Schweiz
www.birkhauser-science.com
Vorwort
Am Anfang eines Studiums der Mathematik, der Physik oder auch der Informatik
stehen die beiden Vorlesungen „Analysis I“ und „Lineare Algebra I“. Jeder, der eines
dieser Fächer studiert hat, erinnert sich daran, wie schwer dieser Anfang erschien.
Aber auch der steilste Anstieg beginnt mit einem ersten Schritt. Dieses Buch und der
nachfolgende zweite Band „Analysis II“ sollen Ihnen helfen, die ersten Schritte in der
Welt der Analysis zu machen.
Auch wenn der Stoff der ersten zwei Analysis-Vorlesungen Standard ist und es zahl-
reiche gute Bücher zur Einführung gibt, hat die Umstellung von Diplom auf Bachelor
und Master zur Folge, dass diese Bücher unter den veränderten Studienbedingungen
oft nicht mehr direkt als Vorlesungsvorlage dienen können. Dozierende und Studieren-
de müssen selbst entscheiden, worauf verzichtet werden kann; eine oft nicht einfache
Entscheidung, vor allem, weil in der Mathematik alles aufeinander aufbaut!
Das vorliegende Buch umfasst nicht mehr und nicht weniger als den Stoff, der in
einer vierstündigen Vorlesung bei einer Semesterdauer von 14 Wochen an der Tafel
vorgetragen werden kann. Praktisch erprobt wurde dies in insgesamt vier Vorlesungen
„Analysis I“ (mit doppelt so vielen Klausuren) innerhalb von 10 Jahren, von denen ich
eine an der Universität Bremen und drei an der Universität Bern gehalten habe.
In dieser Zeit konnte ich Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen Studierenden
sammeln: in Bremen aus der Mathematik einschließlich Lehramt Gymnasium und der
Technomathematik, in Bern aus der Mathematik, der Physik, der Informatik sowie aus
anderen Fächern, wie z.B. Volkswirtschaft, Philosophie oder Sport, die Mathematik als
weiteres Fach im Minor gewählt hatten. Dies war ein Ansporn, die schwierige Materie
im Detail und in kleinen Schritten zu erklären.
Bei allen Bemühungen ist es aber in der Mathematik wie beim Klavier Spielen oder
beim Ski fahren: Man kann sie nicht passiv durch Zuhören oder Zuschauen erlernen!
Lassen Sie sich also nicht täuschen von der schön gedruckten Oberfläche, und fragen
Sie sich bei jeder Zeile, warum sie aus dem Vorherigen folgt. Nutzen Sie vor allem jedes
Beispiel und jede Übungsaufgabe, um selbst etwas zu machen. Dies gilt ganz besonders
für die Übungen, die Sie in Ihrer eigenen Vorlesung erleben werden. Es ist besser (und
erfordert mehr Mut!), sich selbst eine Lösung auszudenken und eventuell Fehler zu
machen, als eine vermeintlich richtige Lösung unverstanden abzuschreiben.
Es würde mich freuen, wenn dieses Buch, jenseits von ECTS und Prüfungen, Inter-
esse für mehr Mathematik wecken würde. So wie ich als Autorin können auch Sie bei
vi Vorwort
Themen, die Sie besonders interessieren, von der vielfältigen Auswahl an Analysis I-
Büchern und den fantastischen Suchmöglichkeiten im Internet profitieren. An einigen
Stellen werden konkrete Literaturhinweise gegeben, ansonsten finden sich, wie bei
einem Lehrbuch hoffentlich erlaubt, alle benutzten Materialien global im Literaturver-
zeichnis. Die historischen Fußnoten sind mit Informationen aus der Online-Datenbank
[20] und dem interessanten Buch von T. Sonar [26] entstanden.
Parallel und weiterführend zu diesem Buch sind die Bücher von O. Forster [14], K.
Königsberger [19], H. Amann und J. Escher [2], H. Heuser [17] und W. Walter [29] zu
empfehlen. Für Studierende, die sich schwer mit dem Abstrakten tun, hat sich das Buch
von H. Neunzert et al. [22] bewährt. Für ganz Neugierige oder für später eignen sich
die fortgeschrittenen Bücher von W. Rudin [24] und G. Shilov [25]. Für Studierende
der Physik sind die Bücher von H. Fischer und H. Kaul [13] und von K. Meyberg und
P. Vachenauer [21] eine gute Ergänzung, da sie verschiedene Gebiete der Mathematik
gleichzeitig präsentieren. Falls Sie Antworten auf die Frage „Und was kann man mit
Mathematik eigentlich später machen?“ suchen, lohnt sich ein Blick in die beiden Bücher
von M. Aigner und E. Behrends [1] sowie [7]. Und ganz wichtig: Spaß und Begeisterung
für die Mathematik wecken die Bücher von M. Aigner und G. Ziegler [5] und C. Hesse
[16] (letzteres auch als Geschenk für Nicht-Mathematiker!).
Dieses Buch hätte nicht entstehen können ohne die großartige und fortwährende
Unterstützung meiner jeweiligen Mitarbeiter und Studenten: Parallel zur Vorlesung
in Bremen hat Dr. Dipl. Psych. Ingo Fründ (damals einer der Hörer) die Vorlesungs-
aufzeichnungen in Latex gesetzt. Mein damaliger Doktorand in Bremen, Dr. Markus
Wagenhofer, hat das Skript redigiert und weiter ausgefeilt. In Bern hat meine damalige
Postdoktorandin Dr. Monika Winklmeier das Skript stetig in eine immer endgültigere
Form gebracht. Beiden danke ich neben ihrem großen Engagement auch für viele pro-
fessionelle Abbildungen, die den Stoff hoffentlich verständlicher machen. Darüber hin-
aus haben die Studierenden aus Bremen und Bern und vor allem meine Doktorandin
Sabine Bögli mit diversen Listen von Tippfehlern geholfen, selbige auf ein hoffentlich
kleines Maß zu reduzieren (ganz wird es wohl nie gelingen!). Schließlich hat meine
derzeitige Postdoktorandin Dr. Agnes Radl dieses Buchmanuskript mit großem Sach-
verstand Korrektur gelesen. Bei allen Beteiligten bedanke ich mich auch für wertvolle
inhaltliche Diskussionen!
Mein besonderer Dank gilt auch dem Herausgebergremium der Reihe„Mathematik
Kompakt“ und Birkhäuser/Springer Basel, vor allem Frau Dr. Barbara Hellriegel und
Herrn Dr. Thomas Hempfling, für das Vertrauen, das Sie alle in mich gesetzt haben,
und für die verlegerische Unterstützung!
Vorwort v
VI Stetige Funktionen 71
20 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
21 Grenzwerte und einseitige Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
22 Sätze über stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
VII Differentialrechnung in R 89
23 Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
24 Mittelwertsätze und lokale Extrema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Literaturverzeichnis 151
Index 153
I Grundlegende Notationen
und Beweistypen
Die Formulierung mathematischer Aussagen und ihrer Beweise ist zu Beginn oft sehr
ungewohnt. Sie verwendet eine spezielle Sprache und nur streng logische Argumente.
Eine Übersicht wichtiger Notationen und Beweistypen kann hier helfen.
! 1
Mathematische Aussagen
Mengen und Aussagen. Eine Menge M ist die Zusammenfassung unterscheidbarer
Objekte, die man Elemente von M nennt. Man schreibt:
x∈M x ist Element der Menge M.
x∈
/M x ist kein Element der Menge M.
Eine Aussage A ist ein Satz, der einen Sachverhalt beschreibt und dem ein Wahrheits-
wert, wahr (w) oder falsch (f), zugeordnet werden kann.
Junktoren und Negation. Sind A und B Aussagen, so bildet man damit die folgenden
weiteren Aussagen:
¬A A gilt nicht.
A∧B A und B gelten gleichzeitig.
A∨B A oder B gilt (auch beide dürfen gelten).
A &⇒ B Aus A folgt B.
oder: A ist hinreichende Bedingung für B.
oder: B ist notwendige Bedingung für A.
2 I Notationen und Beweistypen
! 2
Definitionen
Im Unterschied zu Gleichungen und Implikationen schreiben wir bei Definitionen
:= bzw. :⇐⇒ wird definiert als bzw. durch;
die Symbole =: bzw. ⇐⇒: bedeuten, dass das definierte Objekt rechts steht.
! 3
Logische Struktur gängiger Beweistypen
Um eine Behauptung A &⇒ B zu beweisen, gibt es verschiedene Wege. Einige wichtige
Beweistypen stellen wir hier vor. Das Beweisende bezeichnet man mit (oder auch
q.e.d., quod erat demonstrandum, lateinisch für„was zu beweisen war“).
Beweis des logisch Transponierten. Um A &⇒ B zu zeigen, kann man auch ¬B &⇒ ¬A
zeigen. Es gilt nämlich:
(A &⇒ B) ⇐⇒ (¬B &⇒ ¬A).
Vollständige Induktion. Damit kann man zeigen, dass eine Aussage A(n) für alle natür-
lichen Zahlen n ∈ N gilt bzw. für n ≥ n0 mit n0 ∈ N (siehe Kapitel 6).
! 4
Grundlegende mathematische Objekte
Mengen. Für Mengen X, Y schreibt man:
X⊂Y :⇐⇒ ∀ x ∈ X: x ∈ Y , (X Teilmenge von Y ),
X=Y :⇐⇒ (X ⊂ Y ) ∧ (Y ⊂ X),
und man definiert bzw. nennt:
X \ Y := {x: x ∈ X ∧ x -∈ Y } (Differenz),
X ∪ Y := {x: x ∈ X ∨ x ∈ Y } (Vereinigung),
X ∩ Y := {x: x ∈ X ∧ x ∈ Y } (Durchschnitt),
∅ := {} (leere Menge; beachte: ∅ -= {0}),
P(X) := {M: M ⊂ X} (Potenzmenge),
X × Y := {(x, y): x ∈ X, y ∈ Y } (kartesisches Produkt).
X, Y disjunkt :⇐⇒ X ∩ Y = ∅ (und schreibt dann X ∪˙ Y ),
#X := Anzahl der Elemente von X, falls X endlich viele Elemente hat.
Die Potenzmenge ist die Menge aller Teilmengen von X, also eine Menge von Bemerkung I.5
Mengen; sie enthält immer ∅ und X.
! "
X = {0, 1} &⇒ P(X) = ∅, {0}, {1}, {0, 1} . Beispiel I.6
4 I Notationen und Beweistypen
Funktionen. Eine Funktion (oder Abbildung) zwischen zwei Mengen X und Y ist ei-
ne Vorschrift
f : X → Y, x 2→ f (x),
die jedem Element x ∈ X ein eindeutiges f (x) ∈ Y zuordnet. Man nennt
Df := X Definitionsbereich von f ,
!# $ "
G(f ) := x, f (x) : x ∈ X ⊂ X × Y Graph von f ,
! "
f (X) := f (x): x ∈ X Wertebereich von f .
Bemerkung I.8 Injektivität und Surjektivität hängen von X und Y ab: Ist R die Menge der reellen
Zahlen (siehe Kapitel III, IV) und R+0 := {x ∈ R: x ≥ 0}, so ist
Die natürlichen Zahlen scheinen uns von Kind auf vertraut. Mathematisch werden
N = {1, 2, . . .} bzw. N0 = {0, 1, 2, . . .} durch Axiome eingeführt. Ein Axiom ist ein
unbeweisbarer Grundsatz, der als wahr angenommen wird. Axiomensysteme müssen
widerspruchsfrei sein und möglichst minimal ([30]).
! 5
Peano-Axiome
Die charakteristischen Eigenschaften der natürlichen Zahlen {0, 1, 2, . . .} = N0 be-
ruhen auf den folgenden Axiomen von Peano1.
(P1) 0 ∈ N0 ,
(P2) ∀ n ∈ N0 ∃! ν(n) ∈ N0 ,
(P3) ∀ n ∈ N0 : 0 -= ν(n),
# $
(P4) ∀ n, m ∈ N0 : ν(n) = ν(m) &⇒ n = m ,
# $
(P5) ∀ M ⊂ N0 : 0 ∈ M ∧ (n ∈ M &⇒ ν(n) ∈ M) &⇒ M = N0 .
Axiom (P5) wird Induktionsprinzip genannt. Für n ∈ N heißt die Zahl ν(n) der
Nachfolger von n. Nach (P4) und (P5) ist die Abbildung ν: N0 → N0 \ {0} bijektiv.
Mittels der Abbildung ν und der Axiome (P3), (P4) definieren wir nun die Menge
der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, . . . und darauf eine Addition +, eine Multiplikation ·
sowie eine Vergleichsrelation ≤.
(i) Definiere die Menge der natürlichen Zahlen N := {1, 2, . . . } als Definition II.1
1 := ν(0), 2 := ν(1) = ν(ν(0)), . . . .
(ii) Für n, m ∈ N0 := N ∪ {0} definiere n + m und n · m sukzessive durch
n + 0 := n,
n + 1 := ν(n),
1 Giuseppe Peano, ∗ 27. August 1858 in Spinetta, Piemont, 20. April 1932 in Turin, italienischer Ma-
thematiker, der sich vor allem mit mathematischer Logik, der Axiomatik der natürlichen Zahlen und mit
Differentialgleichungen erster Ordnung beschäftigte.
6 II Natürliche Zahlen und vollständige Induktion
n + (m + 1) := (n + m) + 1, n, m ∈ N0 (z.B. n + 2 := (n + 1) + 1 usw.),
n · 0 := 0,
n · 1 := n,
n · (m + 1) := (n · m) + n.
(iii) Für n, m ∈ N0 definiere
n ≤ m :⇐⇒ m ≥ n :⇐⇒ ∃ d ∈ N0 : n + d = m;
man sagt dann, n ist kleiner gleich m oder m ist größer gleich n.
Bemerkung II.2 – Addition + und Multiplikation · sind assoziativ und kommutativ mit neu-
tralen Elementen 0 bzw. 1 sowie distributiv (vgl. Kapitel III).
– Die Zahl d in (iii) ist eindeutig und heißt Differenz von m und n; man schreibt
m − n := d.
Die Menge der natürlichen Zahlen hat einige wichtige Eigenschaften, die hier nicht be-
wiesen werden sollen (für die Beweise siehe z.B. [19]).
Satz II.4 Wohlordnungssatz. Jede nichtleere Teilmenge von N0 besitzt ein kleinstes Element,
d.h. # $
∀ M ⊂ N0 , M -= ∅, ∃ m0 ∈ M: ∀ m ∈ M: m0 ≤ m .
Satz II.5 Die Menge der natürlichen Zahlen ist nicht nach oben beschränkt, d.h.
# $
! N ∈ N0 : ∀ n ∈ N0 : n ≤ N .
! 6
Vollständige Induktion
Weil es unendlich viele natürliche Zahlen gibt, kann man eine Aussage A(n) für alle
natürlichen Zahlen n ∈ N0 nicht durch das sukzessive Zeigen von A(1), A(2), . . .
beweisen. Hier braucht man das Prinzip der vollständigen Induktion.
Um eine Aussage A(n) für alle n ∈ N0 , n ≥ n0 , ab einem festen n0 ∈ N0 zu beweisen,
reicht es nämlich nach Axiom (P5), zwei Behauptungen zu zeigen:
6 Vollständige Induktion 7
(i) Induktionsanfang: Zeige A(n0 ).
(ii) Induktionsschritt: Zeige für beliebiges n ∈ N0 , n ≥ n0 : A(n) &⇒ A(n + 1).
Man wendet dazu (P5) auf die Menge M := {k ∈ N0 : A(n0 + k) gilt} an.
Im Induktionsschritt nennt man A(n) Induktionsvoraussetzung und A(n + 1) In-
duktionsbehauptung. Für (I) schreiben wir auch n = n0 und für (II) n " n + 1.
Formeln für Summen und Produkte beweist man oft mit vollständiger Induktion.
Zum Einstieg formulieren wir den ersten Induktionsbeweis ganz ausführlich.
n
' 1 Satz II.6
k = 1 + 2 + · · · + n = n(n + 1), n ∈ N.
2
k=1
(II) Induktionsschritt n " n + 1, n ∈ N beliebig: Wir zeigen nun, dass aus A(n) die
Behauptung A(n + 1) folgt. Dazu formulieren wir beide Aussagen explizit:
' n
1
Induktionsvoraussetzung: k = n(n + 1). (Aussage A(n))
2
k=1
n+1
' 1
Induktionsbehauptung: k = (n + 1)(n + 2). (Aussage A(n + 1))
2
k=1
Wir folgern nun mittels Induktionsvoraussetzung die Induktionsbehauptung:
n+1
' )' n * Ind.vor. 1
k = k + (n + 1) = n(n + 1) + (n + 1)
2
k=1 k=1
)1 * 1
= n + 1 (n + 1) = (n + 2)(n + 1).
2 2
Die Menge R der reellen Zahlen wird erst in Abschnitt IV.13 eingeführt. Wir benutzen
sie hier vorab für einige weitere wichtige Beispiele.
Außer für den Beweis durch vollständige Induktion benutzt man das Induktionsprinzip
noch für die rekursive Definition (Definition durch vollständige Induktion):
Um jedem n ∈ N0 , n ≥ n0 , ein Element f (n) einer Menge X zuzuordnen, reicht es
nach dem Induktionsprinzip
Beispiel Für eine reelle Zahl x ∈ R definiert man die Potenzen x n , n ∈ N0 , durch
(I) x 0 := 1,
(II) x n+1 := x · x n , n ∈ N0 .
7 Fakultät und Binomialkoeffizienten 9
! 7
Fakultät und Binomialkoeffizienten
In der Wahrscheinlichkeitstheorie spielt die Frage eine Rolle, auf wie viele Weisen man
n verschiedene Elemente einer Menge anordnen oder k daraus auswählen kann. Dazu
braucht man:
(I) 0! := 1,
(II) (n + 1)! := (n + 1) · n!, n ∈ N0 .
Es sei n ∈ N und M eine Menge mit n Elementen. Eine Anordnung von M ist eine Definition II.11
bijektive Abbildung von M nach {1, 2, . . . , n}, eine Permutation von M ist eine
bijektive Abbildung von M in sich.
Die Anzahl der Anordnungen (Permutationen) einer Menge mit n verschiedenen Satz II.12
Elementen ist gleich n!.
Beweis (durch vollständige Induktion nach n, n0 = 0). Zu zeigen ist, dass für alle n ∈ N
für eine beliebige n–elementige Menge M gilt:
+ ,
n n
Ck := #{N ⊂ M: #N = k} = , k = 0, 1, . . . , n.
k
0
#0$
n = 0 : Die einzige Teilmenge von M = ∅ ist N = ∅, also ist C0 = 1 = 0 .
n " n + 1 : Es sei k ∈ {0, 1, . . . , n+1}.
# Für
$ k = n+1 ist M die einzige (n+1)-elementige
n+1 n+1
Teilmenge von M, also Cn+1 = 1 = n+1 . Für k ≤ n fixiere ein x ∈ M und zerlege
.
{N ⊂ M: #N = k} = {N ⊂ M: #N = k, x ∈ N} ∪ {N ⊂ M: #N = k, x ∈
/ N} .
- ./ 0 - ./ 0 - ./ 0
=:N =:N1 =:N2
#n$ #$
Da k ≤ n ist, liefert die Induktionsvoraussetzung #N1 = k−1 , #N2 = nk . Weil
N1 ∩ N2 = ∅, folgt dann mit der Additionsregel für Binomialkoeffizienten
+ , + , + ,
n n Prop. II.14 n + 1
Ckn+1 = #N = #N1 + #N2 = + = .
k−1 k k
7 Fakultät und Binomialkoeffizienten 11
„6 aus 49“: Die Anzahl der Möglichkeiten, 6 Zahlen aus den Zahlen 1 bis 49 Beispiel
auszuwählen, ist
+ ,
49 49! 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44
= = = 13 983 816,
6 6! 43! 1·2·3·4·5·6
die Chance auf einen „Sechser“ im Lotto ist also nur ca. 1 : 14 Millionen!
Binomialkoeffizienten sind auch sehr nützlich, um die n-te Potenz einer Summe zweier
Zahlen auszurechnen; der Fall n = 2 ist sicher der bekannteste.
'n + ,
n k n−k
(x + y)n+1 = (x + y) · (x + y)n = (x + y) x y
k
k=0
'n + , n + ,
n k+1 n−k ' n k n−k+1
= x y + x y .
k k
k=0 k=0
Benutzen wir in der ersten Summe die Indexverschiebung k " k − 1 und dann das
Additionsgesetz für Binomialkoeffizienten, ergibt sich
n+1 +
' , 'n + ,
n n k n−(k−1)
(x + y)n+1 = x k y n−(k−1) + x y
k−1 k
k=1 k=0
'n ++ , + ,,
n n
= x n+1 + + x k y n+1−k + y n+1
k−1 k
k=1 - ./ 0
n+1
=( k ) nach Prop. II.14
n+1 +
' ,
n + 1 k n+1−k
= x y .
k
k=0
Speziell für x = y = 1 und x = −1, y = 1 erhält man aus Satz II.16 sofort:
n + ,
' n
' + ,
n k n Korollar II.17
= 2 n , n ∈ N0 ; (−1) = 0, n ∈ N.
k k
k=0 k=0
12 II Natürliche Zahlen und vollständige Induktion
Übungsaufgaben
II.1. Beweise für n ∈ N die Summenformeln:
n
! !2n !n
3 n2(n + 1)2 k+1 1 1
a) k = , b) (−1) = .
k=1
4 k=1
k k=1
n + k
II.2. Zeige, dass für jedes n ∈ N die Zahl 42n+1 + 3n+2 durch 13 teilbar ist.
2 BlaisePascal, ∗ 19. Juni 1623 in Clermont-Ferrand, 19. August 1662 in Paris, französischer Mathe-
matiker und Philosoph, der in Korrespondenz mit Fermat die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie
legte.
III Reelle Zahlen
Die Forderung nach der Lösbarkeit gewisser Gleichungen motiviert die Erweiterung
der Menge der natürlichen Zahlen, in diesem Kapitel zunächst auf die ganzen Zahlen,
die rationalen Zahlen und die reellen Zahlen.
! 8
Körperstruktur
Die uns geläufigen Rechenregeln für die Addition und Multiplikation von Zahlen lassen
sich alle aus den folgenden Körperaxiomen herleiten.
14 III Reelle Zahlen
Definition III.1 Ein Körper (K , +, · ) ist eine Menge K , #K ≥ 2, mit zwei Verknüpfungen
+: K × K → K , (x, y) 2→ x + y,
· : K × K → K, (x, y) 2→ x · y,
die folgende Axiome erfüllen:
Aus den Körperaxiomen ergeben sich eine Reihe von Folgerungen und Rechenregeln
in Körpern. Viele erscheinen vom Rechnen mit Zahlen her selbstverständlich, sind es
aber z. B. im Körper F2 schon weniger:
8 Körperstruktur 15
Es sei (K, +, · ) ein Körper. Dann gelten: Proposition III.2
(i) 0 und 1 sind eindeutig.
(ii) −x und x −1 sind zu jedem x ∈ K eindeutig bestimmt.
(iii) −0 = 0.
(v) −(−x) = x, x ∈ K.
(vi) −(x + y) = −x − y, x, y ∈ K.
(vii) Die Gleichung a · x = b mit a, b ∈ K, a -= 0, hat in K die eindeutige Lösung
b
x = a −1 · b = .
a
(viii) (x + y) · z = x · z + y · z, x, y, z ∈ K.
(ix) x · 0 = 0 · x = 0, x ∈ K.
(x) x · y = 0 ⇐⇒ x = 0 ∨ y = 0, x, y ∈ K.
(xi) (−x) · y = −(x · y), x, y ∈ K.
(xii) (−x) · (−y) = x · y, x, y ∈ K.
(xiii) (x −1 )−1 = x, x ∈ K , x -= 0.
(xiv) (x · y)−1 = x −1 · y −1 , x, y ∈ K , x, y -= 0.
(x) „ &⇒ “: Angenommen, es gilt x · y = 0 und x -= 0 (analog für y -= 0). Dann ist nach
(M2) auch y · x = 0, und es folgt
(M3) (M4) (M1) (ix)
y = y · 1 = y · (x · x −1) = (y · x) · x −1 = 0 · x −1 = 0.
Definition III.3 Ist K ein Körper, definiere für x ∈ K die ganzzahligen Potenzen
x 0 := 1,
x n := x · x n−1 , n ∈ N,
x −n := (x −1 )n , n ∈ N.
Beweis. Wir beweisen z.B. (iii). Für n ∈ N0 benutzen wir vollständige Induktion:
n = 0: Nach Definition III.3 und (M3) gilt:
(x · y)0 = 1 = 1 · 1 = x 0 · y 0 .
Ist −n ∈ N, so ist nach Definition III.3, Proposition III.2 (xiv) und der bereits bewie-
senen Behauptung, angewendet auf −n:
(ii) # $−n # $−n # −1 −1 $−n # $−n (ii)
x n · y n = x −1 · y −1 = x ·y = (x · y)−1 = (x · y)n .
! 9
Anordnungsaxiome
Aus dem Alltag sind wir gewohnt, Zahlen miteinander vergleichen zu können. Bei
allgemeinen Körpern ist das nicht immer möglich:
9 Anordnungsaxiome 17
Ein Körper (K , +, · ) heißt angeordnet, wenn darauf eine Eigenschaft positiv (> 0) Definition III.5
definiert ist, die die folgenden Axiome erfüllt:
(AO1) Für alle x ∈ K gilt genau eine der Eigenschaften x > 0, x = 0 oder −x > 0.
(AO2) x > 0 ∧ y > 0 &⇒ x + y > 0, x, y ∈ K .
(AO3) x > 0 ∧ y > 0 &⇒ x · y > 0, x, y ∈ K.
Für einen angeordneten Körper schreibt man dann auch (K , +, · , >).
(Q, +, · , >) und (R, +, · , >) sind angeordnete Körper, z.B. ist auf Q Beispiele
p
> 0 :⇐⇒ (p ∈ N ∧ q ∈ N) ∨ (−p ∈ N ∧ −q ∈ N).
q
Sind (K, +, · , >) ein angeordneter Körper und x, x ), y, y ), z ∈ K, so gelten: Proposition III.6
(i) x < y ∧ y < z &⇒ x < z (Transitivität);
(ii) x < y ∧ a ∈ K &⇒ x + a < y + a;
(iii) x < y ∧ x ) < y ) &⇒ x + x ) < y + y ) ;
(iv) x < y ∧ a ∈ K , a > 0 &⇒ a · x < a · y,
x < y ∧ a ∈ K, a < 0 &⇒ a · x > a · y;
(v) 0 ≤ x < y ∧ 0 ≤ x ) < y ) &⇒ 0 ≤ x ) · x < y ) · y;
(vi) x -= 0 &⇒ x 2 > 0;
(vii) x > 0 &⇒ x −1 > 0;
(viii) 0 < x < y &⇒ 0 < y −1 < x −1 ;
(ix) 1 > 0.
Wegen (i) setzt man dann: x < y < z :⇐⇒ x < y ∧ y < z.
18 III Reelle Zahlen
Beispiel Nicht jeder Körper besitzt eine Anordnung. Ein Beispiel ist (F2 , +, · ). Gäbe es eine
Anordnung „ >“ auf F2 , so wäre einerseits nach Definition 1 + 1 = 0, andererseits
nach Proposition III.6 (ix) und (AO2) aber
1 > 0 &⇒ 1 + 1 > 0 ! zu (AO1).
Satz III.7 Bernoullische1 Ungleichung. Ist (K , +, · , >) ein angeordneter Körper, so gilt für
alle x ∈ K, x ≥ −1, und n ∈ N0 :
(1 + x)n ≥ 1 + n · x. (9.1)
≥ 1 + (n + 1) · x.
Bemerkung. Für n ≥ 2 und x -= 0 gilt in (9.1) die strikte Ungleichung (1+x)n > 1+n·x.
Definition III.8 Es sei (K, +, · , >) ein angeordneter Körper. Dann definiert man für x ∈ K das
Signum (Vorzeichen) von x als
1, falls x > 0,
sign x := 0, falls x = 0,
−1, falls x < 0,
1 Jakob I. Bernoulli, ∗ 6. Januar 1655 und 16. August 1705 in Basel, Schweizer Mathematiker, Bruder
von Johann Bernoulli und Onkel von Jakob II. Bernoulli, studierte gegen den Willen seines Vaters neben
Philosophie und Theologie autodidaktisch Mathematik und Astronomie.
9 Anordnungsaxiome 19
und den Absolutbetrag von x als
1
x, falls x ≥ 0,
|x| := (sign x) · x =
−x, falls x < 0.
(i) |x| ≥ 0,
(ii) |x| = 0 ⇐⇒ x = 0,
(iii) | −x| = |x|,
(iv) x ≤ |x|, −x ≤ |x|,
(v) |x · y| = |x| · |y|,
& x & |x|
& &
(vi) & & = , y -= 0.
y |y|
Beweis. Zu zeigen ist nur noch die linke Ungleichung. Mit der Dreiecksungleichung
und Proposition III.9 ergibt sich für x, y ∈ K :
|x| = |x + y − y| ≤ |x + y| + |y| &⇒ |x| − |y| ≤ |x + y|,
# $
|y| = |x + y − x| ≤ |x + y| + |x| &⇒ − |x| − |y| = |y| − |x| ≤ |x + y|,
& &
also insgesamt |x| − |y|& ≤ |x + y|.
&
Ein Körper (K , +, · ) heißt archimedisch angeordnet, wenn er angeordnet ist und Definition III.12
darin das sog. Archimedische2 Axiom gilt:
2 Archimedes von Syrakus, vermutlich ∗ 287 v. Chr., 212 v. Chr. in Syrakus, Sizilien, griechischer
Mathematiker und Physiker, der als einer der bedeutendsten der Antike gilt; das Archimedische Axiom
stammt aber eigentlich von Eudoxos von Knidos.
20 III Reelle Zahlen
(ii) Ist 0 < q < 1, so existiert zu jedem " > 0 ein N ∈ N mit
qN < ".
! 10
Vollständigkeit von R
In diesem Abschnitt führen wir die Eigenschaft ein, die R von Q unterscheidet. In
Kapitel IV werden wir eine Reihe anderer Charakterisierungen der Vollständigkeit
kennenlernen.
(ii) M nach oben (bzw. unten) beschränkt, wenn M eine obere (bzw. untere)
Schranke besitzt; M heißt beschränkt, wenn es nach oben und unten be-
schränkt ist;
analog heißt die größte untere Schranke s von M Infimum von M, s = inf M.
Man kann zeigen, dass sup M, inf M, max M und min M jeweils eindeutig bestimmt
sind, falls sie existieren.
Aus den Definitionen ergibt sich sofort, z. B. für Supremum und Maximum,
s = max M &⇒ s = sup M,
aber nicht umgekehrt, denn es kann sup M ∈
/ M gelten:
s = max M ⇐⇒ s = sup M ∧ s ∈ M.
Eine praktische Charakterisierung von Supremum und Infimum ist die folgende.
Es seien X ⊂ R, X -= ∅, und " ∈ R eine obere Schranke von X. Dann gilt Proposition III.15
" = sup X ⇐⇒ ∀" > 0 ∃ x" ∈ X " − " < x" ≤ ";
eine analoge Aussage gilt für inf X.
Beweis. Der Beweis ist eine sehr gute Übung (Aufgabe III.4), um die sperrigen Begriffe
Supremum und Infimum besser verstehen zu lernen!
Unser obiges Beispiel Q wird auch zeigen, dass es sogar nach oben beschränkte Teil-
mengen geben kann, die nicht einmal ein Supremum besitzen (siehe Korollar IV.43).
Dies führt auf folgende Klassifizierung angeordneter Körper:
Ein angeordneter Körper (K, +, · , >) heißt vollständig, wenn darin das Vollstän- Definition III.16
digkeitsaxiom gilt:
(V) Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge von K hat ein Supremum.
22 III Reelle Zahlen
Im nächsten Kapitel werden wir die Menge der reellen Zahlen R konstruieren und
sehen, dass R ein archimedisch angeordneter vollständiger Körper ist, d.h., R erfüllt
– die Körperaxiome (A1)–(A4), (M1)–(M4), (D),
Übungsaufgaben
III.1. Beweise die folgenden Ungleichungen für n ∈ N:
a) 2n < n! für n ≥ 4.
" #
n 1 1
b) ≤ für k ∈ N0 , k ≤ n.
k nk k!
$ 1 %n ! n
1
c) 1 + ≤ < 3.
n k=0
k!
a0 := 1, a1 := 1, an+1 := an−1 + an , n ∈ N.
III.3. Bestimme, soweit vorhanden, Infimum, Supremum, Maximum und Minimum folgender
Teilmengen von Q:
& ' & 1 '
a) x ∈ Q: ∃ n ∈ N x = n2 , c) x ∈ Q: ∃ n ∈ N x = + 1 + (−1)n ,
n
& 1' & 2
'
b) x ∈ Q: ∃ n ∈ N x = 3 , d) x ∈ Q: x ≤ 2 .
n
III.4. Beweise Proposition III.15 und formuliere die analoge Aussage für das Infimum einer
Menge.
3 Die Fibonacci-Zahlen spielen eine überraschende Rolle in der Natur, z.B. bei Anordnungen in Tannen-
zapfen und Sonnenblumen; auch der Goldene Schnitt hängt mit ihnen zusammen (Aufgabe IV.4).
IV Metrische Räume und
Folgen
Metrische Räume sind Mengen, auf denen eine Abstandsfunktion definiert ist. In der
Ebene kann man sich z.B. auf freiem Feld die „Luftlinie“ als Abstandsfunktion denken;
in einer Stadt dagegen würde man eine andere Abstandsfunktion wählen.
! 11
Konvergenz von Folgen
Um das Verhalten von Folgen x1 , x2 , . . . reeller Zahlen zu untersuchen, führen wir das
Konzept der Konvergenz in einem metrischen Raum ein.
Es sei X eine nichtleere Menge. Eine Metrik auf X ist eine Abbildung d: X × X → Definition IV.1
[0, ∞) mit folgenden Eigenschaften:
(i) d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y, x, y ∈ X,
(ii) d(x, y) = d(y, x), x, y ∈ X (Symmetrie),
(iii) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y), x, y, z ∈ X (Dreiecksungleichung);
(X, d) heißt metrischer Raum und d(x, y) Abstand von x und y bzgl. der Metrik d.
6 Beispiel IV.2
0, x = y,
– Eine Menge X mit der diskreten Metrik d(x, y) :=
- y.
1, x =
– Q und R jeweils mit d(x, y) := |x − y|, x, y ∈ Q bzw. R.
– Rn := R × R × · · · × R (n-mal) mit der euklidischen Metrik:
7
d(x, y) := (x1 − y1 )2 + · · · + (xn − yn )2 , x = (xi )ni=1 , y = (yi )ni=1 ∈ Rn ,
√
wobei die Wurzel · wie später in Satz IV.42 definiert ist.
Im Spezialfall n = 1 ist die euklidische Metrik genau die oben für R angegebene.
Zum besseren Verständnis darf man sich im Folgenden als metrischen Raum immer
die Menge der reellen Zahlen R mit der euklidischen Metrik d wie oben vorstellen.
24 IV Metrische Räume und Folgen
Definition IV.3 Eine Folge in einem metrischen Raum (X, d) ist eine Abbildung
N → X, n 2→ xn ∈ X;
man schreibt in diesem Fall (xn )n∈N ⊂ X, (xn )∞
n=1 ⊂ X oder (x1 , x2 , x3 , . . . ) ⊂ X.
Als Definitionsbereiche von Folgen können statt N auch N0 oder unendliche Teilmen-
gen von N0 , wie etwa {n ∈ N0 : n ≥ n0 } oder {2k: k ∈ N}, vorkommen.
Die obigen Beispiele zeigen, dass sich Folgen ganz unterschiedlich verhalten können.
Stellen Sie sich folgendes Spiel vor. Ein Gegenspieler nennt Ihnen eine beliebig
kleine positive Zahl #, und Sie müssen versuchen, einen Index N zu finden, so dass alle
folgenden xn mit n ≥ N dieses # unterbieten.
Mit der Folge aus c) verlieren Sie das Spiel. Mit der Folge aus b) dagegen gewinnen
Sie; diese Eigenschaft nennt man „gegen 0 konvergieren“:
Definition IV.5 Eine Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißt konvergent
:⇐⇒ ∃ a ∈ X ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n ≥ N: d(xn , a) < ". (11.1)
(xn )n∈N heißt dann konvergent gegen a, und a heißt Limes oder Grenzwert von
(xn )n∈N ; man schreibt dann
lim xn = a oder xn → a, n → ∞.
n→∞
Die Folge (xn )n∈N heißt divergent, wenn sie nicht konvergent ist.
Allgemein wird die Zahl N in (11.1) vom jeweiligen # abhängen: je kleiner Ihr Gegen-
spieler # macht, desto größer werden Sie N wählen müssen, um ihn zu unterbieten.
Überlegen Sie sich nun, wie es bei unserem Spiel mit der Folge aus d) aussieht!
Bezeichnung. Sind (X, d) ein metrischer Raum, a ∈ X und " > 0, so definiert man
B" (a) := {x ∈ X: d(x, a) < "} ("-Umgebung von a bzgl. d),
K" (a) := {x ∈ X: d(x, a) ≤ "}.
Geometrisch lässt sich damit die Konvergenz einer Folge so beschreiben: (xn )n∈N kon-
vergiert gegen a, wenn in jeder beliebig kleinen "-Umgebung von a fast alle, d.h. alle
bis auf endlich viele Folgenglieder xn liegen.
11 Konvergenz von Folgen 25
Eindeutigkeit des Limes. Ist (xn )n∈N eine Folge in einem metrischen Raum (X, d) Satz IV.6
und sind a, a ) ∈ X mit xn → a und xn → a ) , n → ∞, so ist a = a ) .
Da " beliebig klein gewählt werden kann, muss d(a, a )) = 0 gelten. Nach Eigenschaft
(i) in Definition IV.1 folgt dann a = a ).
– limn→∞ a = a für a ∈ R. (Frage: Wie wählt man N zu beliebigem " > 0?)
1
– limn→∞ = 0.
n
Beweis. Für " > 0 beliebig existiert nach dem Archimedischen Axiom (AO4)
ein N ∈ N mit N = N · 1 > 1" . Damit folgt für n ≥ N
&1 & 1 1
& &
& − 0& = ≤ < ".
n n N
– xn = (−1)n , n ∈ N0 , liefert eine divergente Folge.
|xn − a| < 1, n ≥ N.
Eine Teilmenge M eines metrischen Raums (X, d) heißt beschränkt Definition IV.8
:⇐⇒ diam M := sup{d(x, y): x, y ∈ M} < ∞
oder, äquivalent dazu und oft leichter nachzuprüfen,
Ist X = R mit der euklidischen Metrik, kann man die 0 als speziellen Bezugspunkt
benutzen und sich überlegen:
26 IV Metrische Räume und Folgen
Satz IV.9 Jede konvergente Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) ist beschränkt.
Beispiele – Eine beschränkte Folge muss nicht konvergieren; ein Beispiel ist
xn := (−1)n , n ∈ N.
– Die Fibonacci1-Folge a0 := 1, a1 := 1, an+1 := an−1 + an , n ∈ N, ist nach Satz
IV.9 divergent, weil sie nach Aufgabe III.2 unbeschränkt ist:
∀ n ∈ N: an ≥ n.
– Die geometrische Folge xn := x n , n ∈ N0 , mit x ∈ R ist
6
0 für |x| < 1,
+ konvergent für |x| < 1 und x = 1 mit lim x n =
n→∞ 1 für x = 1,
+ divergent für |x| > 1 und x = −1.
Um zeigen zu können, dass eine Folge konvergiert, muss man einen Kandidaten für
den Limes haben. Die folgende Eigenschaft einer Folge setzt das nicht voraus:
Definition IV.10 Eine Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißt Cauchy 2-Folge
:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n, m ≥ N: d(xm , xn ) < ".
1 Leonardo Pisano, genannt Fibonacci, ∗ um 1170, nach 1240, vermutlich in Pisa, bedeutender italie-
nischer Mathematiker des Mittelalters, erzogen in Nordafrika, führte in Europa die arithmetischen Rechen-
methoden auf Basis des indisch-arabischen Stellenwertsystems ein.
2 Augustin Louis Cauchy, ∗ 21. August 1789 in Paris, 23. Mai 1857 in Sceaux, französischer Mathe-
matiker, Pionier der reellen und komplexen Analysis mit nahezu 800 Arbeiten, dessen Namen zahlreiche
mathematische Sätze tragen.
11 Konvergenz von Folgen 27
Für eine Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) gilt: Satz IV.11
(xn )n∈N konvergent &⇒ (xn )n∈N Cauchy-Folge.
Beweis. Es sei a := lim n→∞ xn und " > 0. Dann existiert ein N ∈ N mit
"
∀ n ≥ N: d(xn , a) < .
2
Nach der Dreiecksungleichung ist dann für n, m ≥ N
d(xm , xn ) ≤ d(xm , a) + d(xn , a) < ".
Aber nicht jede Cauchy-Folge in einem metrischen Raum ist konvergent:
Eine Cauchy-Folge (xn )n∈N0 in Q, die nicht konvergiert in Q, ist Beispiel IV.12
n
' 1
xn := (−1)k , n ∈ N0 .
2k + 1
k=0
Für l ∈ N, l + 2 ≤ m ist:
m−l−1 Summanden
m
/ 0- .
' 1 1 1 1
(−1)k−l = − + · · · + (−1)m−l > 0, (11.5)
2k + 1 -2l + 5 ./ 2l + 70 2m + 1
k=l+2
>0
denn für m − l − 1 gerade (also m − l ungerade) ist die Anzahl der Summanden
gerade und jedes Paar positiv, und für m − l − 1 ungerade (also m − l gerade) ist
1
der letzte Term (−1)m−l 2m+1 > 0.
Wir wenden nun Ungleichung (11.5) zuerst in (11.3) mit l = n − 1 und dann
in (11.4) mit l = n an und erhalten:
&'m
1 && '
m
1
&
|xm − xn | = & (−1)k−(n−1) &= (−1)k−(n−1)
k=n+1
2k + 1 k=n+1
2k + 1
- ./ 0
>0 ((11.5) für l = n − 1)
' m
1 k−n 1 1
= − (−1) < .
2n + 3 2k + 1 2n + 3
k=n+2
- ./ 0
>0 ((11.5) für l = n)
28 IV Metrische Räume und Folgen
Nach dem Archimedischen Axiom (AO4) existiert ein N ∈ N mit 2N + 3 > 1" .
Insgesamt folgt für alle m, n ≥ N:
1 1
|xm − xn | < < < ".
2n + 3 2N + 3
(xn )n∈N konvergiert nicht in Q: Wir zeigen erst später (Aufgabe VIII.7), wenn wir
die Zahl $ ∈ R \ Q definiert haben (Aufgabe VI.4):
∞
' 1 $
(−1)k := lim xn = .
2k + 1 n→∞ 4
k=0
Definition IV.13 Ein metrischer Raum (X, d) heißt vollständig, wenn jede Cauchy-Folge in (X, d)
konvergiert.
Eine äquivalente Version des Vollständigkeitsaxioms für R (vgl. Definition III.16) ist:
(V’) In R konvergiert jede Cauchy-Folge.
Satz IV.14 Für eine Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) gilt:
(xn )n∈N Cauchy-Folge &⇒ (xn )n∈N beschränkt.
Beweis. Der Beweis ist ähnlich wie der Beweis von Satz IV.9; hier findet man ein r > 0
mit (xn )n∈N ⊂ Br (x1 ).
Definition IV.15 Für eine Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißt
(i) (xnk )k∈N Teilfolge, falls (nk )k∈N ⊂ N und n1 < n2 < . . . ,
(ii) a ∈ X Häufungswert, wenn eine Teilfolge (xnk )k∈N von (xn )n∈N existiert mit
lim xnk = a.
k→∞
Beispiel xn = (−1)n , n ∈ N, hat die zwei Häufungswerte +1 und −1, denn (x2k )k∈N bzw.
(x2k−1 )k∈N konvergieren gegen +1 bzw. −1.
Bemerkung. Für die Indexfolge (nk )k∈N ⊂ N einer Teilfolge gilt immer
nk ≥ k, k ∈ N. (11.6)
Satz IV.16 Hat eine Cauchy-Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) eine konvergente
Teilfolge (xnk )k∈N , so konvergiert die Folge (xn )n∈N selbst.
12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 29
Beweis. Es sei a := limk→∞ xnk und " > 0 beliebig. Da (xn )n∈N eine Cauchy-Folge ist,
existiert ein N ∈ N mit "
d(xn , xm ) < , n, m ≥ N.
2
Da xnk → a, k → ∞, existiert ein K ∈ N, ohne Einschränkung K ≥ N, mit
"
d(xnk , a) < , k ≥ K.
2
Für n ≥ K folgt mit Dreiecksungleichung und da nK ≥ K ≥ N (siehe (11.6))
d(xn , a) ≤ d(xn , xnK ) + d(xnK , a) < ".
! 12
Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte
Spezielle metrische Räume sind normierte Räume. Während eine Metrik auf einer
beliebigen Menge definiert werden kann, setzt eine Norm eine Vektorraumstruktur
voraus. Vektorräume lernt man vor allem in der Linearen Algebra kennen ([12, Ab-
schnitt 1.4]):
Es sei K ein Körper. Eine nichtleere Menge V heißt Vektorraum über K , wenn zwei Definition IV.17
Verknüpfungen
+: V × V → V , (x, y) 2→ x + y, x, y ∈ V (Addition),
· : K × V → V, (%, x) 2→ % · x, % ∈ K, x ∈ V (Skalarmultiplikation),
existieren, so dass folgende Axiome erfüllt sind:
Axiome für die Vektorraum-Addition:
(VR1) x + (y + z) = (x + y) + z, x, y, z ∈ V ,
(VR2) x + y = y + x, x, y ∈ V ,
(VR3) ∃ 0V ∈ V ∀ x ∈ V : x + 0V = x,
(VR4) ∀ x ∈ V ∃ − x ∈ V : x + (−x) = 0V .
Korollar IV.18 Es sei V ein Vektorraum über einem Körper K. Dann gelten:
(i) 0V und −x sind eindeutig,
(ii) 0 · x = 0V , x ∈ V,
(iii) (−1) · x = −x, x ∈ V.
Beweis. (i) beweist man analog wie die Eindeutigkeit in Korollar III.2 für Körper.
(ii) Nach (VR6) gilt mit % = 1, & = 0 für beliebiges x ∈ V :
(VR8) (VR6) (VR8)
x = 1 · x = (1 + 0) · x = 1 · x + 0 · x = x + 0 · x.
Da 0V nach (i) eindeutig ist, folgt 0 · x = 0V .
(iii) Nach (VR6) gilt mit % = 1, & = −1 für beliebiges x ∈ V :
(ii) (VR6) (VR8)
0V = 0 · x = (1 − 1) · x = 1 · x + (−1) · x = x + (−1) · x.
Da −x nach (i) eindeutig ist, folgt (−1) · x = −x.
Ein Vektorraum hat, anders als ein metrischer Raum, ein ausgezeichnetes Element:
den Nullvektor 0V. Diesen nutzen wir nun als Bezugspunkt zur Abstandsmessung.
Als Körper betrachten wir im Folgenden nur K = R oder später die komplexen Zahlen
C (Abschnitt V.15), wo es jeweils einen Absolutbetrag | · | gibt.
Definition IV.19 Es sei K = R (oder später C) und V ein Vektorraum über K. Eine Norm auf V ist
eine Abbildung 8 · 8: V → [0, ∞) mit folgenden Eigenschaften:
(i) 8x8 = 0 ⇐⇒ x = 0, x ∈ V,
(ii) 8% · x8 = |%| · 8x8, % ∈ K, x ∈ V ,
(iii) 8x + y8 ≤ 8x8 + 8y8, x, y ∈ V (Dreiecksungleichung);
(V , 8 · 8) heißt dann normierter Raum.
12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 31
Ist (V , 8 · 8) ein normierter Raum, so gilt: Korollar IV.20
& &
&8x8 − 8y8& ≤ 8x + y8 ≤ 8x8 + 8y8, x, y ∈ V .
Beweis. Der Beweis ist wie bei Korollar III.11 für den Absolutbetrag in R.
Die euklidische Norm hängt mit der euklidischen Metrik (Beispiel IV.2) zusammen:
# $
Ein normierter Raum V , 8 · 8 ist ein metrischer Raum mit Proposition IV.21
Beweis. Die Eigenschaften einer Metrik folgen direkt aus denjenigen der Norm. Es ist
eine gute Übung, dies selbst nachzuprüfen!
Damit übersetzt sich die Definition der Konvergenz
# $oder Cauchy-Konvergenz für eine
Folge (xn )n∈N in einem normierten Raum V , 8 · 8 wie folgt:
– (xn )n∈N konvergent ⇐⇒ ∃ a ∈ V ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n ≥ N: 8xn − a8 < ".
– (xn )n∈N Cauchy-Folge ⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n, m ≥ N : 8xn − xm 8 < ".
Ein normierter Raum (V , 8 · 8) heißt Banachraum3 , wenn er bezüglich der Metrik Definition IV.22
(12.1) vollständig ist.
# $
Es sei V , 8 · 8 ein normierter Raum über K und % ∈ K. Sind (xn )n∈N , (yn )n∈N ⊂ V Satz IV.23
Cauchy-Folgen bzw. konvergent, so auch
3 Stefan Banach, ∗ 30. März 1892 in Krakau, 31. August 1945 in Lvov, jetzt Ukraine, polnischer Ma-
thematiker, der als Begründer der modernen Funktionalanalysis gilt und am liebsten in Cafés arbeitete, vor
allem gemeinsam mit Kollegen im Schottischen Café in Lvov.
32 IV Metrische Räume und Folgen
Beweis. (xn + yn )n∈N ist Cauchy-Folge: Zu jedem " > 0 existieren nach Voraussetzung
N, N ) ∈ N mit:
" "
∀ n, m ≥ N: 8xn − xm 8 < , ∀ n, m ≥ N ) : 8yn − ym 8 < .
2 2
Dann ist für n, m ≥ max{N, N ) } mit der Dreiecksungleichung (Definition IV.19 (iii))
(% · xn )n∈N ist Cauchy-Folge: Der Fall % = 0 ist klar. Ist % -= 0, so gibt es zu jedem " > 0
nach Voraussetzung ein N ∈ N mit
"
∀ n, m ≥ N: 8xn − xm 8 < .
|%|
Dann folgt für alle n, m ≥ N mit Definition IV.19 (ii):
"
8% · xn − % · xm 8 = 8% · (xn − xm )8 = |%| 8xn − xm 8 < |%| = ".
|%|
Die Beweise im Fall der Konvergenz sind ganz analog.
# $
Proposition IV.24 Es sei V , 8 · 8 ein normierter Raum. Ist (xn )n∈N eine Cauchy-Folge bzw. konvergent
# $
in V , so ist die Folge 8xn 8 n∈N eine Cauchy-Folge bzw. konvergent in R; im letzteren
Fall gilt: 8 8 8 8
8 lim xn 8 = lim 8xn 8.
n→∞ n→∞
Beweis. Ist (xn )n∈N ⊂ V Cauchy-Folge und " > 0 beliebig, so gibt es ein N ∈ N mit
Achtung: Die Umkehrung gilt nicht! Zum Beispiel liefert xn = (−1)n , n ∈ N, eine nicht
konvergente Folge, für die aber (8xn 8)n∈N = (1)n∈N konvergent ist.
# $
Definition IV.25 Eine Folge (xn )n∈N in einem normierten Raum V , 8 · 8 heißt Nullfolge : ⇐⇒
limn→∞ xn = 0V .
12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 33
# $
Für eine Folge (xn )n∈N in einem normierten Raum V , 8 · 8 und a ∈ V gelten: Proposition IV.26
(i) xn → a, n → ∞ ⇐⇒ (xn − a)n∈N Nullfolge in V ,
(ii) (xn )n∈N Nullfolge in V ⇐⇒ (8xn 8)n∈N Nullfolge in R,
(iii) (xn )n∈N Nullfolge in V ⇐⇒ ∃ (rn )n∈N ⊂ R, limn→∞ rn = 0,
∃ n0 ∈ N ∀ n ≥ n0: 8xn 8 ≤ rn .
Beweis. (i) und (ii) folgen direkt aus der Definition, (iii) ist eine leichte Übung.
n! Beispiel
xn = n
, n ∈ N, ist eine Nullfolge nach Proposition IV.26 (iii), denn:
n
1·2·3·····n 1 2 3 n 1
|xn | = xn = = · · ····· ≤ =: rn , n ∈ N.
n · n · n · · · · · n n -./0
n -./0n n
-./0 n
≤1 ≤1 =1
Als Nächstes betrachten wir Folgen in R mit der durch den Absolutbetrag | · | induzier-
ten Norm bzw. Metrik und später in den komplexen Zahlen C (Abschnitt V.15). Hier
ist außer der Addition + auch die Multiplikation · zweier Elemente definiert:
Es sei K = R (später auch K = C) mit dem Absolutbetrag | · | als Norm. Satz IV.27
(i) Sind (xn )n∈N , (yn )n∈N ⊂ K Cauchy-Folgen bzw. konvergent, so auch
(xn · yn )n∈N ;
im Fall der Konvergenz gilt:
lim (xn · yn ) = ( lim xn ) · ( lim yn ).
n→∞ n→∞ n→∞
(ii) Ist (xn )n∈N ⊂ K eine Nullfolge und (yn )n∈N ⊂ K beschränkt, so ist (xn · yn )n∈N
eine Nullfolge.
Beweis. (i) Es sei " > 0 beliebig. Nach Satz IV.14 sind (xn )n∈N , (yn )n∈N beschränkt.
Also existieren R, R) > 0 mit
∀ n ∈ N: |xn | < R ∧ |yn | < R) .
Da (xn )n∈N , (yn )n∈N Cauchy-Folgen sind, existieren N, N ) mit
" "
∀ n, m ≥ N: |xn − xm | < ) , ∀ n, m ≥ N ) : |yn − ym | < .
2R 2R
Dann gilt für alle n, m ≥ max{N, N ) }:
|xn yn − xm ym | = |xn (yn − ym ) + (xn − xm )ym |
≤ |xn (yn − ym )| + |(xn − xm )ym |
= |xn | · |yn − ym | + |xn − xm | · |ym | < ".
-./0 - ./ 0 - ./ 0 -./0
<R "
< 2R < 2R" ) <R)
(ii) Es sei " > 0 beliebig. Weil (yn )n∈N ⊂ K beschränkt ist, existiert R) > 0 mit
∀ n ∈ N: |yn | < R) .
Da (xn )n∈N eine Nullfolge ist, existiert N ∈ N mit
"
∀ n ≥ N: |xn | < )
.
R
Damit folgt für alle n ≥ N:
"
|xn yn | = |xn | · |yn | < )
· R) = ".
R
Satz IV.28 Es sei K = R (später auch K = C) mit dem Absolutbetrag | · | als Norm. Sind
(xn )n∈N , (yn )n∈N ⊂ K konvergente Folgen mit b := limn→∞ yn -= 0, dann existiert
ein n0 ∈ N, so dass yn -= 0 für n ≥ n0, und die Folge
)x *
n
yn n∈N, n≥n0
konvergiert mit
xn limn→∞ xn
lim = .
n→∞ yn limn→∞ yn
Beweis. Nach Satz IV.27 genügt es, den Fall xn = 1, n ∈ N, zu betrachten. Da nach
Voraussetzung yn → b -= 0, n → ∞, gilt, gibt es n0 ∈ N mit
|b|
∀ n ≥ n0 : |yn − b| <
.
2
Nach der Dreiecksungleichung von unten (Korollar IV.20) gilt dann für n ≥ n0:
& & |b| |b|
|b| − |yn | ≤ |b| − |yn |& ≤ |yn − b| <
& , also |yn | > > 0.
2 2
Da limn→∞ yn = b, gibt es zu beliebigem " > 0 ein N ∈ N mit
|b|2
∀ n ≥ N: |yn − b| ≤ · ".
2
Insgesamt folgt für alle n ≥ max{n0 , N}:
& 1 1 & |y − b| 2 |yn − b|
& & n
& − &= < < ".
yn b |yn| |b| |b|2
Beispiel 1+2+···+n n
xn := − , n ∈ N: Nach Satz II.6 ist
n+2 2
n · (n + 1) n n(n + 1) − n(n + 2) 1 n 1 1
xn = − = =− =− .
2(n + 2) 2 2(n + 2) 2 n+2 2 1 + n2
Also gilt nach unseren Rechenregeln für Grenzwerte (Satz IV.23, IV.27 und IV.28):
1 1 1
lim xn = − 2 =− .
n→∞ 2 1 + limn→∞ n
2
12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 35
Im angeordneten Körper R kann man noch die Konvergenz von Folgen gegen ∞ oder
−∞ definieren und somit verschiedene Formen der Divergenz unterscheiden.
Eine Folge (xn )n∈N ⊂ R heißt bestimmt divergent (oder uneigentlich konvergent) Definition IV.29
gegen ∞ (bzw. −∞)
:⇐⇒ ∀ R > 0 ∃ N ∈ N ∀ n ≥ N: xn > R (bzw. xn < −R);
Eine divergente, aber nicht bestimmt divergente Folge heißt unbestimmt divergent.
Der Punkt ∞ (bzw. −∞) heißt Häufungswert von (xn )n∈N , wenn es eine Teilfolge
(xnk )k∈N von (xn )n∈N gibt mit
Bemerkung. Existieren zu (xn )n∈N ⊂ R eine Folge (rn )n∈N ⊂ R+ und n0 ∈ N mit
∀ n ≥ n0: xn ≥ rn (bzw. xn ≤ −rn) und lim rn = ∞,
n→∞
Ist (xn )n∈N ⊂ R bestimmt divergent gegen ∞ (bzw. −∞), so ist (xn )n∈N nicht nach
oben bzw. unten beschränkt. Die Umkehrung gilt aber nicht:
Bemerkung IV.31 Für das Rechnen mit Grenzwerten ±∞ gelten folgende Regeln:
∞ + ∞ = ∞, −∞ − ∞ = −∞, ∞ · ∞ = ∞, ∞ · (−∞) = −∞,
6
a ±∞, a > 0,
a ± ∞ = ±∞, = 0, a · (±∞) = a ∈ R \ {0}.
±∞ ∓∞, a < 0,
∞
Achtung: Nicht definiert sind beim Rechnen mit Limites 0·∞, ∞
, ∞−∞ oder 1∞ !
xn + yn = 3n → ∞; xn · yn = 2n2 → ∞;
a + xn = a + n → a + ∞ = ∞; a·xn = an → a·∞ = (sgn a)·∞, falls a -= 0;
a a xn 1 1 xn 1
= → 0; aber: = → , = → 0.
xn n yn 2 2 zn n
! 13
Konstruktion von R
Es gibt verschiedene Wege, die reellen Zahlen einzuführen. Der folgende geht auf Can-
tor4 zurück. Durch einen Vervollständigungsprozess wird dabei R aus Q durch Hinzu-
nahme aller möglichen Grenzwerte von Cauchy-Folgen in Q konstruiert.
Definition IV.32 Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge X ist eine Teilmenge R ⊂ X × X, die zwei
Elemente von X in Beziehung setzt durch
x ∼ y :⇐⇒ (x, y) ∈ R (gesprochen x äquivalent zu y),
so dass für alle x, y, z ∈ X gilt:
(i) x ∼ x (Reflexivität),
(ii) x ∼ y &⇒ y ∼ x (Symmetrie),
(iii) x ∼ y ∧ y ∼ z &⇒ x ∼ z (Transitivität).
Für x ∈ X definiert man die Äquivalenzklasse von x als
[x] := {y ∈ X: y ∼ x};
jedes Element y ∈ [x] heißt Repräsentant von [x]. Die Menge aller Äquivalenzklas-
sen von X modulo ∼ bezeichnet man mit
X/ ∼ := {[x]: x ∈ X} ⊂ P(X).
4 Georg Cantor, ∗ 3. März 1845 in Sankt Petersburg, 6. Januar 1918 in Halle (Saale), deutscher Mathe-
matiker, begründete die Mengenlehre und lieferte wichtige Ergebnisse über Kardinalzahlen und trigonome-
trische Reihen.
13 Konstruktion von R 37
9̇
Zwei Äquivalenzklassen sind gleich oder disjunkt: X = x∈X [x]. Bemerkung IV.33
(i) Für eine beliebige Menge X ist „=“ eine Äquivalenzrelation: Beispiele
x ∼ y :⇐⇒ x = y.
Hier hat jede Äquivalenzklasse genau ein Element, nämlich [x] = {x}, x ∈ X.
(ii) Für die Menge X der jetzt lebenden Menschen ist eine Äquivalenzrelation
x ∼ y :⇐⇒ x, y haben dieselben Eltern (d.h., x, y sind Geschwister).
Cantors Konstruktion von R. Auf der Menge CQ aller Cauchy-Folgen in Q führen wir
eine Äquivalenzrelation ∼ ein durch
(xn )n∈N ∼ (yn )n∈N :⇐⇒ lim |xn − yn | = 0,
n→∞
und wir definieren die Menge R der reellen Zahlen als
R := {" = [(xn )n∈N ]: (xn )n∈N ∈ CQ }.
Addition und Multiplikation werden für [(xn )n∈N ], [(yn )n∈N ] ∈ R definiert durch
[(xn )n∈N ] + [(yn )n∈N ] := [(xn + yn )n∈N ],
[(xn )n∈N ] · [(yn )n∈N ] := [(xn · yn )n∈N ];
eine Eigenschaft > 0 auf R wird eingeführt durch
[(xn )n∈N ] > 0 :⇐⇒ ∃ r ∈ Q, r > 0, ∃ n0 ∈ N ∀ n ≥ n0: xn > r.
Man prüft nach, dass die so definierten Verknüpfungen +, · sowie die Relation >
auf R wohldefiniert sind und (R, +, · , >) alle Körperaxiome, Anordnungsaxiome
einschließlich dem Archimedischem Axiom sowie das Vollständigkeitsaxiom erfüllt.
Noch nicht klar ist, wie man eine rationale Zahl q ∈ Q in der Menge der reellen
Zahlen R wiederfindet! Dazu identifiziert man q ∈ Q mit der Äquivalenzklasse [(q)n∈N ]
der konstanten Folge (q)n∈N , die natürlich eine Cauchy-Folge in Q ist.
Es erweist sich oft als praktisch, die reellen Zahlen und die Anordnung darauf um
die Elemente ∞ und −∞ wie folgt zu erweitern.
Man definiert das erweiterte System der reellen Zahlen als Definition IV.34
R := R ∪ {−∞, ∞}
38 IV Metrische Räume und Folgen
und setzt die Ordnungsrelation > von R auf R fort vermöge x > −∞ und ∞ > x
für x ∈ R; außerdem verwendet man die praktischen Konventionen
Bemerkung. Es ist a = inf (a, b) = inf (a, b] = inf [a, b) = inf [a, b] = min [a, b) =
min [a, b]; wegen a -∈ (a, b) ⊂ (a, b] haben aber (a, b) und (a, b] kein Minimum.
! 14
Vergleichssätze, monotone Folgen
In diesem Abschnitt betrachten wir Folgen in angeordneten Körpern, z.B. in R mit
dem Absolutbetrag | · |. Speziell stellen wir die Frage, wie sich Ungleichungen bei
Grenzwertbildung verhalten.
Satz IV.36 Es seien K ein angeordneter Körper und (xn )n∈N , (yn )n∈N ⊂ K konvergente Folgen.
Gibt es ein n0 ∈ N mit
∀ n ≥ n0: xn ≤ yn , (14.1)
14 Vergleichssätze, monotone Folgen 39
so folgt
lim xn ≤ lim yn .
n→∞ n→∞
Achtung: Gilt sogar xn < yn in (14.1), so folgt für die Grenzwerte trotzdem nur ≤:
1 1
xn := − , yn := , xn < yn , n ∈ N, aber lim xn = lim yn = 0.
n n n→∞ n→∞
Beweis (von Satz IV.36). Angenommen a := limn→∞ xn > limn→∞ yn =: b. Dann ist
" := (a − b)/2 > 0, und es gibt dazu N, N ) ∈ N mit
Nach Wahl von " ist a − " = b + ". Mit n ≥ max{N, N ) } ergibt sich der Widerspruch
Die beiden nächsten Korollare sind direkte Folgerungen aus Satz IV.36.
Es seien K ein angeordneter Körper und (xn )n∈N ⊂ K konvergent. Existieren Korollar IV.37
˛, ˇ ∈ K und n0 ∈ N mit
∀ n ≥ n0 : ˛ ≤ xn ≤ ˇ,
so folgt
˛ ≤ lim xn ≤ ˇ.
n→∞
Sandwich-Lemma. In einem angeordneten Körper K seien Folgen (xn )n∈N , Korollar IV.38
(yn )n∈N , (zn )n∈N ⊂ K gegeben. Gibt es ein n0 ∈ N mit
∀ n ≥ n0: xn ≤ yn ≤ zn ,
so gilt:
lim xn = lim zn = a &⇒ lim yn = a.
n→∞ n→∞ n→∞
n2 + 3n Beispiel
xn = 3 , n ∈ N, ist eine Nullfolge nach Korollar IV.38, denn:
n + 2n2 + 1
1
n2 + 3n + n32
n 1 3
0≤ 3 = ≤ + 2 → 0, n → ∞.
n + 2n2 + 1 2 1 n n
1+ + 3
- n./ n 0
≥1
40 IV Metrische Räume und Folgen
Definition IV.39 Eine Folge (xn )n∈N in einem angeordneten Körper K heißt
und monoton, wenn (i) oder (ii) gilt. Sie heißt streng monoton wachsend (bzw.
fallend), wenn in (i) (bzw. (ii)) die strikten Ungleichungen < (bzw. >) gelten.
Eine notwendige Bedingung für Konvergenz ist die Beschränktheit einer Folge (siehe
Satz IV.9); für monotone Folgen ist sie sogar hinreichend:
Satz IV.40 Jede beschränkte monotone Folge (xn )n∈N in einem vollständigen angeordneten Körper
K (z.B. in R) konvergiert, und zwar gegen
(i) sup {xn : n ∈ N}, falls (xn )n∈N monoton wachsend ist,
(ii) inf {xn : n ∈ N}, falls (xn )n∈N monoton fallend ist.
Beweis. (i) Es sei (xn )n∈N beschränkt und monoton wachsend. Dann ist die Menge
X = {xn : n ∈ N} ⊂ K beschränkt und nichtleer. Da K vollständig ist, existiert x :=
sup X ∈ K. Für beliebiges " > 0 gibt es nach Proposition III.15 ein N ∈ N mit
x − " < xN ≤ x.
Wegen der Monotonie von (xn )n∈N und der Definition von x folgt für alle n ≥ N:
x − " < xN ≤ xn ≤ x < x + ", d.h. |xn − x| < ".
(ii) folgt, indem man (i) auf die monoton wachsende Folge (−xn )n∈N anwendet.
Korollar IV.41 Für eine monotone Folge (xn )n∈N in einem vollständigen angeordneten Körper K
(z.B. in R) gilt:
(xn )n∈N konvergent ⇐⇒ (xn )n∈N beschränkt.
(a) Quadratwurzeln in R:
Satz IV.42 Es sei a ∈ R, a > 0. Dann konvergiert für einen beliebigen Startwert x0 ∈ R, x0 > 0,
die Folge (xn )n∈N0 , definiert durch
1) a*
xn+1 := xn + , n ∈ N0 , (14.2)
2 xn
√
gegen die eindeutige positive Lösung der Gleichung x 2 = a, bezeichnet mit a oder
1
mit a 2 .
14 Vergleichssätze, monotone Folgen 41
Beweis. Wir beweisen die Behauptung in vier Schritten.
Behauptung 1: xn > 0, n ∈ N0 .
Beweis (durch Induktion): n = 0: Nach Voraussetzung ist der Startwert x0 > 0.
n " n + 1: Da a > 0 nach Voraussetzung und xn > 0 nach Induktionsvoraussetzung,
folgt xn+1 > 0 direkt aus der Definition (14.2).
Behauptung 2: xn2 ≥ a, n ∈ N.
Beweis: Nach Definition (14.2) gilt für alle n ∈ N:
+ ,2 + ,2
1 a 1 a
xn2 − a = xn−1 + −a= xn−1 − ≥ 0.
4 xn−1 4 xn−1
√
Beweis. Dazu zeigen wir 2 ∈ / Q. Denn dann ist die√Cauchy-Folge (xn )n∈N ⊂ Q aus
Satz IV.42 mit√a = 2 in Q nicht konvergent. Wäre 2 ∈ Q, so gäbe es teilerfremde
p, q ∈ N mit 2 = pq . Dann wäre 2q2 = p2 , d.h. p2 und damit p gerade, p = 2r mit
r ∈ N, nach Beispiel I.3. Also wäre 2q2 = 4r 2 , d.h. auch q2 und damit q gerade, im
Widerspruch zur Teilerfremdheit von p und q.
42 IV Metrische Räume und Folgen
Bemerkung. Die Folge√in Satz IV.42 liefert einen effizienten Algorithmus zur numeri-
schen Berechnung von a. Die Zahl der gültigen Stellen nach dem Komma verdoppelt
sich in jedem Schritt, z.B. schon auf 23 nach der 5. Iteration!
Proposition IV.44 Es sei a ∈ R, a > 0, und k ∈ N, k ≥ 2. Dann konvergiert für einen beliebigen
Startwert x0 ∈ R, x0 > 0, die Folge (xn )n∈N , gegeben durch
+ ,
1 a
xn+1 := (k − 1)xn + k−1 , n ∈ N0 ,
k xn
√
gegen die eindeutige positive Lösung der Gleichung x k = a, bezeichnet mit k a oder
1
mit a k .
'n + , + ,
n n 2 n(n − 1) 2
n = (xn + 1)n = xnk ≥ 1 + xn = 1 + xn , n ∈ N,
k 2 2
k=0
√
also 0 ≤ xn ≤ 2/n → 0, n → ∞. Also ist (xn )n∈N eine Nullfolge √ nach
√ dem
Sandwich-Lemma (Korollar IV.38). Die zweite Behauptung folgt, da n a ≤ n n für
n ≥ a. Für die dritte Behauptung benutzt man den Fall k = 1 und Satz IV.27.
Beweis. Nach Satz IV.40 reicht es wieder zu zeigen, dass die Folge monoton und be-
schränkt ist:
5
Leonhard Euler, ∗ 15. April 1707 in Basel, 18. September 1783 in Sankt Petersburg, SchweizerMathe-
matiker, der auch lange in St. Peterburg wirkte und der zu den bedeutendsten und produktivsten Mathema-
tikern aller Zeiten zählt. Fast die Hälfte seiner über 850 Arbeiten (siehe www.eulerarchive.org) entstand
nach seiner Erblindung im Alter von 59 Jahren.
14 Vergleichssätze, monotone Folgen 43
Behauptung 1: (xn )n∈N ist monoton wachsend.
Beweis: Für n ∈ N, n ≥ 2, ist nach Definition (14.3)
+ ,n + ,−(n−1)
xn 1 1 (n + 1)n (n − 1)n−1
= 1+ 1+ =
xn−1 n n−1 nn nn−1
+ ,
(n2 − 1)n n 1 n n
= = 1 − · .
n2n n − 1 n2 n−1
Den ersten Faktor schätzen wir mit der Bernoullischen Ungleichung (Satz III.7) ab:
xn ) 1* n
≥ 1−n· 2 · = 1.
xn−1 n n−1
Behauptung 2: 2 ≤ xn < 3, n ∈ N.
Beweis: Nach Behauptung 1 ist xn ≥ x1 = 2; in Aufgabe III.1 c) wurde xn < 3 für n ∈ N
gezeigt.
Bemerkung. Die Folge in Satz IV.46 ist nicht zur numerischen Berechnung von e
geeignet, sie konvergiert extrem langsam! Bei n = 1000 hat man erst 2 gültige Stellen
nach dem Komma, bei n = 30.000 erst 4!
Viel besser dazu geeignet ist die nächste Folge, auf die wir später in Kapitel IX über
Taylor-Reihen (Beispiel IX.12 und Tabelle 30.1) nochmal zu sprechen kommen:
Gegen e konvergiert auch die Folge (yn )n∈N ⊂ R gegeben durch Proposition IV.47
'n
1
yn := , n ∈ N0 .
k!
k=0
Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung zur Eulerschen Zahl. Die Behauptung folgt
auch aus dem späteren allgemeinen Satz IX.1 von Taylor (Beispiel IX.12).
(c) Intervallschachtelung:
Ist In =: [an , bn] ⊂ R, n ∈ N, eine Folge von Intervallen mit Satz IV.48
I1 ⊃ I2 ⊃ · · · ⊃ In ⊃ In+1 ⊃ . . . ,
<
und gilt limn→∞ (bn − an ) = 0, so existiert genau ein c ∈ R, so dass c ∈ In .
n∈N
Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung für monotone Folgen (Aufgabe IV.5).
Bemerkung. Satz IV.48 ist äquivalent zum Vollständigkeitsaxiom (V’), liefert also eine
weitere Variante (V”) desselbigen.
44 IV Metrische Räume und Folgen
Übungsaufgaben
IV.1. Untersuche, ob die folgenden Grenzwerte existieren (auch uneigentlich), und berechne sie
allenfalls:
(n + 1)(n2 − 1) n2 n2 + 4n 2n
a) lim , c) lim n , b) lim n − , d) lim .
n→∞ (2n + 1)(3n2 + 1) n→∞ 2 n→∞ n+2 n→∞ n!
$√ %
IV.2. Zeige, dass die Folge 1 + n−1 ⊂ Q eine Cauchy-Folge ist.
n∈N
IV.3. Es seien (xn )n∈N , (yn )n∈N ⊂ R Folgen und a ∈ R mit lim n→∞ xn = a = limn→∞ yn . Zeige,
dass dann lim n→∞ |xn − yn | = 0 ist. Gilt die Umkehrung?
IV.5. Beweise Satz IV.48 über die Intervallschachtelung und zeige, dass die Intervalle In =
[an , bn ], n ∈ N, mit an , bn wie folgt eine solche bilden:
$ 1 %n $ 1 %n+1
an := 1 + , bn := 1 + , n ∈ N.
n n
V Komplexe Zahlen und Reihen
Während man natürliche, rationale und reelle Zahlen aus dem Alltag vom Zählen
und Messen zu kennen glaubt, scheinen die komplexen Zahlen rein mathematische
Konstrukte zu sein. Dennoch braucht man sie in Anwendungen, z.B. in der komplexen
Widerstandsrechnung der Elektrotechnik (siehe z.B. [6, Abschnitt 10.9]).
! 15
Definition von C
Die mathematische Motivation zur Einführung der Menge der komplexen Zahlen, in
Analogie zur Erweiterung von N auf Q und weiter auf R (vgl. Kapitel IV), ist:
Problem in R: Die Gleichung x 2 = −1 hat keine Lösung in x ∈ R.
(C, +, · ) ist ein Körper mit Nullelement (0, 0) und Einselement (1, 0). Die Gleichung Satz V.2
z 2 = −1
hat genau zwei Lösungen in C,
i := (0, 1) und −i = (0, −1);
die so definierte komplexe Zahl i heißt imaginäre Einheit1 .
1 Die imaginäre Einheit und das Symbol i dafür wurden 1777 von Leonhard Euler eingeführt.
46 V Komplexe Zahlen und Reihen
Beweis. Die Körperaxiome weist man durch Nachrechnen und Anwenden der obigen
Definitionen nach. Für z = (x, y) ∈ C gilt:
z 2 = −1 ⇐⇒ (x, y) · (x, y) = (−1, 0)
⇐⇒ (x 2 − y 2 , 2xy) = (−1, 0)
2 2 2 2
# $
⇐⇒ x − y = −1 ∧ 2xy = 0 ⇐⇒ x − y = −1 ∧ x = 0 ∨ y = 0
⇐⇒ x = 0 ∧ y 2 = 1 ⇐⇒ z = (0, 1) ∨ z = (0, −1).
Bei der vorletzten Äquivalenz kann der Fall y = 0 nicht mehr auftreten, denn sonst
folgte der Widerspruch x 2 = −1 < 0 für das Element x ∈ R.
Bemerkung. Für komplexe Zahlen der Form (x, 0), (u, 0) gelten:
(x, 0) + (u, 0) = (x + u, 0),
(x, 0) · (u, 0) = (x · u, 0).
So identifiziert man (x, 0) ∈ C mit x ∈ R und fasst R ⊂ C als Teilmenge auf. Wegen
z = (x, y) = (x, 0) + (0, 1) · (y, 0) = (x, 0) + i · (y, 0)
schreibt man komplexe Zahlen auch in der Form
z = x +iy mit x, y ∈ R
und kann dann wie gewohnt rechnen, wenn man i2 = −1 beachtet (überzeugen Sie
sich, dass man so dasselbe Ergebnis wie mit Definition V.1 erhält!).
Aus Proposition V.4 (iii), (vi) und (vii) folgt sofort (vgl. Definition IV.19):
# $
C, | · | ist ein normierter Raum. Korollar V.5
Bislang haben wir R als Teilmenge von C betrachtet und viele Gemeinsamkeiten von
R und C festgestellt, etwa bei Rechenregeln und Absolutbetrag. Es gibt allerdings einen
ganz wesentlichen Unterschied zwischen C und R:
Beweis. Angenommen, es gäbe eine Anordnung (> 0) auf C mit (AO1), (AO2), und
(AO3). Dann wäre nach Korollar III.6 z 2 > 0 für z -= 0. Nach (AO2) gilt aber
0 < i2 + 12 = −1 + 1 = 0 !.
48 V Komplexe Zahlen und Reihen
! 16
Folgen in C
Nachdem C, genau wie R, mit dem Absolutbetrag ein normierter Raum ist, gelten alle
Resultate aus Abschnitt IV.12 auch für Folgen in C! Jetzt leiten wir weitere Eigenschaften
von Folgen in C her, die sich umgekehrt auf Folgen in R übertragen.
Korollar V.8 Ist (zn )n∈N ⊂ C konvergent, so ist auch (z n )n∈N konvergent und
lim z n = lim zn .
n→∞ n→∞
Beweis. Es sei (zn )n∈N ⊂ C eine Cauchy-Folge. Nach Satz V.7 (i) sind (Re zn )n∈N und
(Im zn )n∈N Cauchy-Folgen in R und konvergieren damit in R, weil R vollständig ist.
Nach Satz V.7 (ii) konvergiert dann (zn )n∈N in C.
Satz V.10 von Bolzano2 -Weierstraß3. Jede beschränkte Folge in C enthält eine konvergente
Teilfolge.
2 Bernhard Bolzano, ∗ 5. Oktober 1781, 18. Dezember 1848 in Prag, böhmischer Mathematiker und
Theologe, der einige der von Cauchy wenige Jahre später unabhängig entwickelten Begriffe bereits verwen-
dete.
3 Karl Weierstraß, ∗ 31. Oktober 1815 in Ostenfelde/Westfalen, 19. Februar 1897 in Berlin, bedeu-
tender deutscher Mathematiker und zuerst als Lehrer tätig, legte mit seiner mathematischen Strenge den
Grundstein der heutigen Analysis und war einer der Begründer der komplexen Funktionentheorie.
16 Folgen in C 49
Zum Beweis benötigen wir einige Vorbereitungen; wir betrachten dazu Folgen in R.
Es sei (xk )k∈N ⊂ R. Dann sind die Folgen (yn )n∈N und (%
yn )n∈N ⊂ R, definiert durch Proposition V.11
yn := sup {xk : k ≥ n},
yn := inf {xk : k ≥ n},
%
yn = sup {yn : n ∈ N}
lim inf xk := lim %
k→∞ n→∞
yn = sup{xk : k ≥ n} ≤ sup{xk : k ≥ m} = ym .
Ist (xk )k∈N ⊂ R beschränkt, so ist lim supk→∞ xk der größte und lim inf k→∞ xk der Lemma V.12
kleinste Häufungswert von (xk )k∈N .
Beweis. Wir zeigen die Behauptung für den Limes superior. Mit (xk )k∈N ist auch die in
Proposition V.11 definierte Folge (yn )n∈N beschränkt. Aus Satz IV.40 folgt
1 1
x∗ + > ynm = sup {xk : k ≥ nm } ≥ x ∗ > x ∗ − . (16.1)
m m
Wieder nach Proposition III.15 existiert dann ein km ≥ nm mit xkm > x ∗ − 1
m. Mit
(16.1) folgt insgesamt
1 1
x∗ + > xkm > x ∗ − .
m m
Da m ∈ N beliebig war, folgt limm→∞ xkm = x ∗ , also ist x ∗ Häufungswert.
Beweis von Satz V.10. Es sei (zn )n∈N ⊂ C eine beschränkte Folge.
50 V Komplexe Zahlen und Reihen
Ist (zn )n∈N ⊂ R, so folgt die Behauptung direkt aus Lemma V.12, weil man mindestens
einen Häufungswert mit dagegen konvergenter Teilfolge hat.
Ist allgemein (zn )n∈N ⊂ C, so sind nach Proposition V.4 (i) auch (Re zn )n∈N , (Im zn )n∈N ⊂
R beschränkt. Damit besitzt die reelle Folge (Re zn )n∈N eine konvergente Teilfolge
(Re znk )k∈N . Als Teilfolge einer beschränkten Folge ist die reelle Folge (Im znk )k∈N be-
schränkt und hat wiederum eine konvergente Teilfolge (Im znkm )m∈N . Insgesamt ist nach
Satz V.7 (ii) dann (znkm )m∈N eine konvergente Teilfolge von (zn )n∈N .
Bemerkung. Der Satz von Bolzano-Weierstraß in R ist eine weitere äquivalente For-
mulierung der Vollständigkeit von R.
Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung, da man hier die sperrigen Begriffe Limes
superior bzw. inferior mit dem vertrauteren Begriff des Limes zu verbinden lernt.
! 17
Reihen
In diesem Abschnitt betrachten wir Folgen in normierten Räumen, insbesondere Folgen
in (R, | · |) oder (C, | · |). Anders als in metrischen Räumen hat man darin auch eine
Addition, und wir können unendliche Summen x1 + x2 + x3 + · · · betrachten.
Definition V.14 Es sei (V , 8 · 8) ein normierter Raum und (xk )k∈N0 ⊂ V . Definiere
n
'
sn := xk , n ∈ N0 .
k=0
=
Dann heißt die Folge (sn )n∈N0 Reihe in V , formal bezeichnet mit ∞ k=0 xk ; man
nennt =
sn die n-te Partialsumme und xk den k-ten Summanden der Reihe. Die
Reihe ∞ k=0 xk heißt konvergent (divergent), wenn die Folge (sn )n∈N0 der Parti-
alsummen konvergent (bzw. divergent) ist; ist s := limn→∞ sn , so schreibt man
∞
'
s= xk .
k=0
Indem man die ersten Folgenglieder 0 setzt, können Reihen auch erst bei k = 1 oder
k = n0 mit einem beliebigen n0 ∈ N beginnen.
17 Reihen 51
∞
' ∞
'
1 1 Beispiele
– ist konvergent, denn nach Proposition IV.47 ist = e.
k! k!
k=0 k=0
∞ )
' 1*
– 1+ ist divergent, weil (sn )n∈N unbeschränkt ist:
k
n )
1*
k=1 ' ' n
sn = 1+ ≥ 1 = n, n ∈ N.
k
k=1 k=1
Es ist scheinbar ein Widerspruch, dass man unendlich viele Zahlen aufsummieren und
dennoch ein endliches Ergebnis erhalten kann. Das Geheimnis dahinter ist, dass dies
nur unter starken Bedingungen für diese Zahlen gilt.
Es sei (V , 8 · 8) ein normierter Raum und (xk )k∈N ⊂ V . Dann gilt: Satz V.15
∞
'
xk konvergent &⇒ (xk )k∈N Nullfolge.
k=0
=
Beweis. Nach Voraussetzung konvergiert (sn )n∈N mit sn := nk=0 xk , ist also nach Satz
IV.11 eine Cauchy-Folge. Daher existiert zu beliebigem " > 0 ein N ∈ N mit
∀ n, m ≥ N: |sn − sm | < ".
Mit n = m + 1 gilt dann speziell
∀ n ≥ N: |xm+1| = |sm+1 − sm | < ".
Da " > 0 beliebig war, ist lim k→∞ xk = 0 gezeigt.
Die Bedingung, dass die Folgenglieder (xk )k∈N eine Nullfolge bilden, ist zwar notwendig
für die Konvergenz der Reihe, aber nicht hinreichend! Ein Beispiel dafür ist:
∞
' 1
Harmonische Reihe. ist divergent. Beispiel V.16
k
k=1
=n 1
Beweis. Für die Partialsummen sn := k=1 k , n ∈ N, gilt:
2n
' 2n
'
1 1 1 1
|s2n − sn | = ≥ =n· = , n ∈ N.
k 2n 2n 2
k=n+1 k=n+1
Damit ist (sn )n∈N keine Cauchy-Folge, also nach Satz IV.11 nicht konvergent.
Beweis. |z| < 1: Dann ist (|z|k )k∈N0 Nullfolge, also nach Proposition IV.26 (ii) auch
(z k )k∈N0 . Man überlegt sich leicht, dass die geometrische Summenformel aus Satz II.7
auch für komplexe Zahlen gilt. Zusammen mit den Rechenregeln aus Satz IV.23 und
Satz IV.28 folgt dann für n ∈ N:
n
'
k 1 − z n+1 1 − limn→∞ z n+1 1
sn := z = −→ = , n → ∞.
k=0
1−z 1−z 1−z
|z| ≥ 1: Dann ist |z|k ≥ 1, k ∈ N0 , also ist (z k )k∈N0 keine Nullfolge. Damit folgt die
Behauptung aus Satz V.15.
Bemerkung V.18 Da Reihen spezielle Folgen sind, gelten die üblichen Rechenregeln; z.B. gilt nach Satz
IV.23 für (xk )k∈N , (yk )k∈N ⊂ V und % ∈ K (wenn V Vektorraum über K ist)
∞
' ∞
' ∞
' ∞
' ∞
'
(xk + yk ) = xk + yk , (%xk ) = % xk ,
k=0 k=0 k=0 k=0 k=0
Wie stellt man nun allgemein fest, ob eine Reihe konvergiert oder nicht? Der erste und
einfachste Test ist zu prüfen, ob die Summanden überhaupt eine Nullfolge bilden.
Wenn ja, braucht man weitere Kriterien.
Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz IV.11, angewendet auf die Folge der Partialsum-
men (sn )n∈N , weil V vollständig ist.
Speziell für Reihen nichtnegativer Zahlen in R kann man ein sehr praktisches Kriterium
mit Hilfe der Monotonie der Partialsummen herleiten.
=n
Satz V.20 Es sei (xk )k∈N0 ⊂ [0, ∞). Dann gilt mit sn := k=0 xk , n ∈ N:
∞
'
xk konvergent ⇐⇒ (sn )n∈N0 beschränkt;
=∞ k=0
dann gilt k=0 xk = sup {sn : n ∈ N0 }.
Auch für Reihen reeller Zahlen mit wechselnden Vorzeichen gibt es ein einfaches Kon-
vergenzkriterium.
Eine alternierende Reihe ist eine Reihe in R, in der je zwei aufeinanderfolgende Definition V.22
Summanden verschiedene Vorzeichen haben, d.h. eine Reihe der Form
∞
'
± (−1)k xk mit xk ≥ 0, k ∈ N0 .
k=0
Leibniz4 -Kriterium für alternierende Reihen. Ist (xk )k∈N0 ⊂ [0, ∞) eine mono- Satz V.23
ton fallende Nullfolge, so ist
∞
'
(−1)k xk (17.2)
k=0
=n k
konvergent (gegen s ∈ R); für die Partialsummen sn := k=0 (−1) xk , n ∈ N, gilt
dann die Abschätzung
|s − sn | ≤ xn+1 , n ∈ N0 . (17.3)
Nach den Behauptungen 1 und 2 sowie nach Satz IV.40 existieren dann
s := lim s2m , t := lim s2m+1 . (17.4)
m→∞ m→∞
Damit ist nach Satz IV.23 und weil (xk )k∈N0 Nullfolge ist
s − t = lim (s2m − s2m+1 ) = lim x2m+1 = 0.
m→∞ m→∞
Nun sei " > 0 beliebig vorgegeben. Wegen (17.4) existieren N1 , N2 ∈ N mit
∀ m ∈ N, 2m ≥ N1 : |s2m − s| < ",
∀ m ∈ N, 2m ≥ N2 : |s2m−1 − s| = |s2m−1 − t| < ".
Insgesamt folgt |sn − s| < " für n ≥ max{N1 , N2 }. Also ist (sn )n∈N und damit die
alternierende Reihe (17.2) konvergent. Nach Satz IV.40 und (17.4) ist
s = inf {s2m : m ∈ N}, s = t = sup {s2m−1 : m ∈ N}.
Damit und mit Behauptung 1 folgt schließlich für m ∈ N:
0 ≤ s2m − s ≤ s2m − s2m+1 = x2m+1 ,
0 ≤ s − s2m+1 ≤ s2m − s2m−1 = x2m .
Mit Hilfe des Leibniz-Kriteriums können wir jetzt sofort die Konvergenz der beiden
folgenden Reihen ablesen, deren Grenzwerte wir erst nach der Definition von Loga-
rithmus und Arcus Tangens berechnen können (Korollar IX.19, Aufgabe VIII.7).
∞
' 1
Beispiel V.24 Alternierende harmonische Reihe. (−1)k−1 ist konvergent in R.
k
k=1
∞
'
Beispiel V.25 1
(−1)k ist konvergent in R (vgl. Beispiel IV.12).
2k + 1
k=0
Reihen mit viel einfacheren Grenzwerten begegnen wir unbewusst laufend im Alltag,
z.B. wenn man in einen Taschenrechner auf einem Handy 1/3 eingibt und die Ziffern-
folge 0.333333333 . . . angezeigt bekommt. Wir erkennen darin die ersten Stellen der
Dezimaldarstellung von 1/3, die tatsächlich eine unendliche Reihe ist.
Definition V.26 Es sei b ∈ N, b ≥ 2 fest. Ein (unendlicher) b-adischer Bruch ist eine Reihe der
Gestalt ∞ ∞
) ' * '
± a−l bl + a−(l−1) bl−1 + · · · + a−1 b + ak b−k =: ± ak b−k (17.5)
k=−0 k=−l
Jeder b-adische Bruch konvergiert gegen ein reelle Zahl. Satz V.27
eine Cauchy-Folge bilden. Dazu sei " > 0 beliebig. Da b ≥ 2 > 1, existiert nach
Satz III.13 (i) ein N ∈ N mit b−N < ". Dann gilt für m > n ≥ N, wenn wir
0 ≤ ak ≤ b − 1 und die Formel für die geometrische Reihe (Beispiel V.17) benutzen,
&'m n
' & '
m
& −k −k &
|sm − sn | = & ak b − ak b & = ak b−k
k=−l k=−l k=n+1
m
' m−(n+1)
'
!=k−(n+1)
≤ (b − 1) b−k = (b − 1) · b−(!+n+1)
k=n+1 !=0
∞
' Bsp. V.17 1
≤ (b − 1) b−(n+1) b−! = (b − 1) b−(n+1) 1
!=0
1− b
Noch wichtiger ist die Umkehrung von Satz V.27, die uns die so abstrakt eingeführten
reellen Zahlen wieder vertrauter macht.
Jede reelle Zahl lässt sich als b-adischer Bruch darstellen. Satz V.28
∞
'
denn dann ist 0 ≤ lim )n ≤ lim b−n = 0 und damit x = ak b−k .
n→∞ n→∞
k=−N
n = −N: Nach (17.7) ist 0 ≤ xb−N < b, also existieren a−N ∈ {0, 1, . . . , b − 1} und
0 ≤ ı−N < 1 mit
xb−N = a−N + ı−N .
56 V Komplexe Zahlen und Reihen
Bemerkung V.29 – Nach Satz V.28 lässt sich jede reelle Zahl beliebig genau durch rationale Zahlen
approximieren (denn die Partialsummen sind in Q!).
– Die b-adische Darstellung (17.5) ist nicht eindeutig, z.B. ist für b = 10:
'∞ '∞ + ,k
9 1 geom. Reihe 9 1
0.999 . . . = 9 · 10−k = = 1 = 1,
10 10 10 1 − 10
k=1 k=0
also 0.9999 . . . = 1.0000 . . .. Die Darstellung wird eindeutig, wenn man aus-
schließt, dass ak = 9 für alle bis auf endlich viele k ∈ N.
Die b-adische Darstellung reeller Zahlen lässt sich auch benutzen, um einen wichtigen
Unterschied zwischen den rationalen und den reellen Zahlen herauszufinden. Beides
sind ja unendliche Mengen, aber wie unendlich?
Beweis. Es genügt zu zeigen, dass das Intervall [0, 1) überabzählbar ist. Angenommen,
[0, 1) wäre abzählbar. Dann existiert eine Folge (xn )n∈N ⊂ [0, 1), so dass
[0, 1) = {xn : n ∈ N}. (17.8)
18 Absolute Konvergenz 57
Nach Satz V.28 und Bemerkung V.29 hat jedes xn , n ∈ N, eine eindeutige Dezimaldar-
stellung, d.h., es existieren ank ∈ {0, 1, . . . , 9}, k ∈ N, n ∈ N, mit
∞
'
xn = ank 10−k = 0. an1 an2 an3 . . . , n ∈ N.
k=1
Dann ist nach Konstruktion yk -= akk , k ∈ N. Da y ∈ [0, 1), existiert nach (17.8)
ein n0 ∈ N mit y = xn0 . Da die Dezimaldarstellung nach Bemerkung V.29 eindeutig
gewählt war, folgt yk = an0 k , k ∈ N, also der Widerspruch yn0 = an0 n0 .
! 18
Absolute Konvergenz
Im Unterschied zu Folgen gibt es bei der Konvergenz von Reihen unterschiedliche
Qualitäten. Ist etwa (xk )k∈N ⊂ R oder C, dann gilt immer
Das beste Beispiel dafür ist, dass die alternierende harmonische Reihe konvergiert,
während die harmonische Reihe divergiert!
Es
=∞ seien (V , 8 · 8) ein normierter Raum und (xk )k∈N0 ⊂ V . Dann heißt die Reihe Definition V.33
k=0 xk absolut konvergent in V , wenn die Reihe
∞
'
8xk 8 in R konvergiert.
k=0
58 V Komplexe Zahlen und Reihen
Satz V.34 Ist (V , 8 · 8) ein vollständiger normierter Raum und (xk )k∈N0 ⊂ V , so gilt
∞
' ∞
'
xk absolut konvergent &⇒ xk konvergent.
k=0 k=0
Beweis. Es sei " > 0 beliebig. Dann gibt es nach Voraussetzung ein N ∈ N mit
m
'
∀ m > n ≥ N: 8xk 8 < ".
k=n+1
Für die absolute Konvergenz einer Reihe gibt es drei wichtige Kriterien, das Majoranten-,
das Quotienten- und das Wurzelkriterium. Welches am besten geeignet ist, hängt von
der speziellen Reihe ab. Man kann auch eines nach dem anderen testen (nachdem man
geprüft hat, dass die Summanden eine Nullfolge bilden!).
Beweis. Es sei " > 0 beliebig. Nach Voraussetzung (18.1) gibt es ein N ∈ N mit
m
' m
'
∀ m > n ≥ N: 8xk 8 ≤ ck < ".
-./0
k=n+1 ≤c k=n+1
k
=∞
Also ist k=0 8xk 8 konvergent nach dem Cauchy-Kriterium (Satz V.19).
18 Absolute Konvergenz 59
'∞
k! Beispiel V.37
ist absolut konvergent, da für k ∈ N
kk
k=1
k! 1 · 2 · 3 · · · k 2
= ≤
kk k · k · k · · · k k2
=
gilt und ∞ 1
k=1 k 2 nach Beispiel V.21 konvergiert.
Ist ˛ = 1, kann man keine Aussage über die Konvergenz der Reihe machen.
Beweis. (i) Nach Voraussetzung gilt 8xk+1 8 ≤ q8xk 8 für k ≥ K , also folgt induktiv:
8xK 8
8xk 8 ≤ qk−K 8xK 8 = K qk =: c · qk , k ≥ K .
q
= =∞ =∞
Da q < 1, ist c · ∞k=0 qk
eine konvergente Majorante für k=0 x k . Damit ist k=0 xk
nach dem Majorantenkriterium (Satz V.36) absolut konvergent.
(ii) Nach Voraussetzung ist 8xk 8 ≥ 8xK 8 > 0 für k ≥ K. Also ist (8xk 8)k∈N keine
Nullfolge, und die Behauptung folgt aus Satz V.15.
∞
'
Beispiele k2
– ist (absolut) konvergent nach Quotientenkriterium und nach Be-
2k
k=1
merkung V.40, denn
|xk+1 | (k + 1)2 2k 1 ) 1 *2 1
= = 1 + −→ , k → ∞;
|xk | 2k+1 k 2 2 k 2
in Satz V.39 (i) kann man q ∈ ( 12 , 1) beliebig wählen, z.B. q = 34 .
∞
' 1
– k ist (absolut) konvergent nach Wurzelkriterium, denn
k=0
2k+(−1)
=1 (Beispiel IV.45)
> / 0-√ .
7 1 k 1 1 k 1
lim sup k |xk | = lim sup (−1)k
= lim 2 = < 1.
k→∞ k→∞ 2 2 2 k→∞ 2
- ./ 0
2,
(−1) k k gerade,
2 =
1 , k ungerade.
2
∞
'
Satz V.41 zk
Für alle z ∈ C konvergiert absolut. Die so definierte Funktion
k!
k=0
∞
' zk
exp: C → C, z 2→ , (18.3)
k!
k=0
heißt Exponentialfunktion.
18 Absolute Konvergenz 61
Beweis. Eine gute Übung für die Konvergenzkriterien (siehe Aufgabe V.6)!
Bis jetzt haben wir Reihen immer in der vorgegebenen Reihenfolge summiert. Aber
was passiert, wenn wir eine andere Reihenfolge wählen? Wie wirkt sich eine solche
Umordnung auf das Konvergenzverhalten aus? Es stellt sich leider heraus, dass nicht
jede Umordnung einer konvergenten Reihe wieder konvergent sein muss.
Ist (V , 8·8)
=∞ k∈N ⊂ V und ': N0 → N0 eine Permutation,
ein normierter Raum, (xk )= Definition V.42
so heißt k=0 x' (k) Umordnung von ∞ k=0 xk .
erhält man, wenn man je einen positiven Term und dann zwei negative summiert:
1 1 1 1 1 1 1 1
1− − + − − +···+ − − +··· .
2 4 3 6 8 2k − 1 4k − 2 4k
Man kann zeigen, dass die obige Umordnung gegen 2s konvergiert und dass es
sogar Umordnungen gibt, die divergieren (siehe [19, Abschnitt 6.3], [14, (7.9)]).
Dann konvergieren
∞ )'
' ∞ * ∞ )'
' ∞ * ∞ ) '
' n *
xkl , xkl , xkl
k=0 l=0 l=0 k=0 n=0 k,l=0
k+l=n
=∞
absolut und haben denselben Grenzwert; man schreibt dann auch k,l=0 xkl .
=∞
Beweis. Für jedes k ∈ N0 ist die Reihe sk := l=0 xkl absolut konvergent nach
#Satz
=mV.20, denn $ (8xkl 8)l∈N0 ⊂ [0, ∞), und die zugehörige Folge der Partialsummen
l=0 8xkl 8 m∈N0 ist beschränkt nach Voraussetzung (18.6).
=
Analog zeigt man, dass= für jedes l ∈ N0 die Reihe tl := ∞ k=0 xkl absolut konvergiert;
n
für jedes n ∈ N0 ist vn := k,l=0 xkl eine endliche Summe. Also sind
k+l=n
∞
' ∞
' ∞
'
sk , tl und vn (18.7)
k=0 l=0 n=0
=
wohldefinierte Reihen. Wir zeigen nun, am Beispiel von ∞ k=0 sk , dass alle drei Reihen
absolut konvergent sind.
Für beliebige K , L ∈ N0 gilt nach Dreiecksungleichung und Voraussetzung (18.6)
K 8'
' L 8 ' K '
L
8 8
8 xkl 8 ≤ 8xkl 8 ≤ M < ∞.
k=0 l=0 k=0 l=0
Nach Korollar IV.37 gilt die Ungleichung dann auch für den Grenzwert L → ∞:
K
' K 8'
' ∞ 8
8 8
8sk 8 = 8 xkl 8 ≤ M < ∞.
k=0 k=0 l=0
Die Behauptung folgt wieder aus Satz V.20, da (8sk 8)k∈N0 ⊂ [0, ∞). Das schon Bewie-
sene, angewendet mit (V , 8 · 8) = (R, | · |) und 8xkl 8, k, l ∈ N0 , zeigt, dass auch
∞ )'
' n *
8xkl 8
n=0 k,l=0
k+l=n
K = R oder
Es sei= =∞C mit dem Absolutbetrag | · | als Norm und (xk )k∈N0 , (yl )l∈N0 ⊂ K. Satz V.46
∞
Sind k=0 xk , l=0 yl absolut konvergent, so ist ihr Cauchy-Produkt
'∞ )' n *
xk yn−k
n=0 k=0
absolut konvergent mit
)' ∞ ∞
* )' * '∞ )'
n *
xk · yl = xk yn−k .
k=0 l=0 n=0 k=0
Beispiel Für |z| < 1 ist nach der Formel für die geometrische Reihe (Beispiel V.17)
∞
) ' *) ' * ' ) ' ∞ ∞ * '
n ∞
1 k l k n−k n
= z z = z z
- ./ 0 = (n + 1)z .
(1 − z)2 k=0 l=0 n=0 k=0 n n=0 =z
Mittels Cauchy-Produkt können wir folgende Eigenschaften der in Satz V.41 definierten
Exponentialfunktion zeigen; dabei ist e die Eulersche Zahl aus Satz IV.46.
∞
' zk
Satz V.47 Eigenschaften von exp. Für exp: C → C, exp(z) := ist
k!
k=0
(i) exp(z̄) = exp(z), z ∈ C,
(ii) exp(z + w) = exp(z) exp(w), z, w ∈ C,
(iii) exp(n) = en , n ∈ Z,
(iv) exp(z) -= 0, z ∈ C,
(v) |exp(ix)| = 1, x ∈ R.
Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung für die Reihendarstellung von exp, die uns
gleich im nächsten Abschnitt wieder begegnen wird (Aufgabe V.7).
! 19
Potenzreihen
Die Exponentialreihe in (18.3) ist ein Beispiel einer Potenzreihe. Dabei hängen die
Summanden in einer speziellen Weise von einem komplexen Parameter z ab.
Potenzreihe im Punkt a.
Eine Potenzreihe kann für manche z ∈ C konvergieren und für andere nicht.Wie„wild“
kann die Menge der z ∈ C sein, für die eine Potenzreihe nicht konvergiert?
Lemma V.49 Es seien (an )n∈N0 ⊂ C und a ∈ C. Konvergiert die Reihe in (19.1) für ein z0 ∈ C\{a},
dann konvergiert sie absolut für alle z ∈ C mit
|z − a| < |z0 − a|.
19 Potenzreihen 65
=∞ n
# n
$
Beweis. Da n=0 an (z0 − a) konvergiert, ist an (z0 − a) n∈N0
eine Nullfolge, also
insbesondere beschränkt. Folglich existiert C > 0 mit
Die Konvergenzgebiete von Potenzreihen sind also Kreise um den jeweiligen Entwick-
lungspunkt:
Beweis. Es sei z ∈ C mit |z − a| < =R. Nach Definition von R als Supremum existiert
ein r ≥ 0, |z − a| < r < R, so dass ∞ n
n=0 an r konvergent ist. Lemma V.49 mit z0 = r + a
liefert die erste Behauptung. =∞ n
Es sei z ∈ C mit=∞|z − a| > R. Wäre n=0 an (z − a) konvergent, dann wäre nach
Lemma V.49 auch n=0 an () − a)n mit ) ∈ C so, dass |) − a| = r, R < r < |z − a|,
konvergent, im Widerspruch zur Supremumseigenschaft von R.
Bemerkung. – R = 0 und R = ∞ sind möglich.
=∞
Der Konvergenzradius R einer Potenzreihe n=0 an (z − a)n ist gegeben durch Proposition V.51
) √ *−1
(i) R = lim sup n |an | ,
n→∞
|an |
(ii) R = lim , falls dieser Limes in R existiert.
n→∞ |an+1 |
66 V Komplexe Zahlen und Reihen
Beweis. (i) Die Behauptung folgt aus dem Wurzelkriterium (Satz V.38), denn
/
=:L
0- . 6 1
7 7 < 1, für |z − a| < L
= R,
lim sup |an(z − a) | = |z − a| lim sup |an |
n n n
∞
'
Beispiel
– Für nn z n ist R = 0, denn
n=0 =∞
# √
n
$−1 #/ 0- .$−1
lim sup n n = lim n = 0.
n→∞ n→∞
∞
' zn
– Für ist R = 1, denn
n=1
n & &
& an & n + 1
& &
& a & = n → 1, n → ∞;
n+1
auf dem Rand des Konvergenzkreises gibt es sowohl Konvergenz als auch
Divergenz:
z = 1: Divergenz (harmonische Reihe),
z = −1: Konvergenz (alternierende harmonische Reihe).
∞
' zn
– Für die Exponentialreihe ist R = ∞ (Satz V.41 und Aufgabe V.6).
n=0
n!
Auf ihren Konvergenzgebieten haben Potenzreihen viele schöne Eigenschaften, z.B. hat
man für die Addition und Multiplikation die folgenden Rechenregeln:
Beweis. Für die Summe folgt die Behauptung direkt aus den Rechenregeln für Grenz-
werte von Reihen (Bemerkung V.18 und Satz IV.23).
Für das Produkt folgt die Behauptung aus Satz V.46, da beide Reihen nach Lem-
ma V.49 absolut konvergieren und die rechte Seite ihr Cauchy-Produkt ist.
Polynome sind spezielle Potenzreihen mit nur endlich vielen Summanden. Mit ele-
mentaren Methoden kann man zeigen, dass ein Polynom eindeutig durch seine Koef-
fizienten bestimmt ist. Gilt dies auch allgemeiner für Potenzreihen?
19 Potenzreihen 67
=∞
Es seien (an )n∈N0 ⊂ C, a ∈ C, R > 0 der Konvergenzradius von n=0 an (z − a)n und Lemma V.53
m ∈ N0 . Dann existiert zu jedem r ∈ (0, R) ein C > 0, so dass für alle z ∈ C mit
|z − a| ≤ r gilt:
&'∞ &
& n&
& an (z − a) & ≤ C|z − a|m .
n=m
&'∞ & ∞
' ∞
'
& n& m n−m m
& an (z − a) & ≤ |z − a| |an ||z − a| ≤ |z − a| |an |r n−m
- ./ 0
n=m n=m n=m
≤r
'∞
= |z − a|m |an+m |r n .
n=0
- ./ 0
=:C<∞, da r<R
=∞
Es seien (cn )n∈N0 ⊂ C, a ∈ C, und R > 0 der Konvergenzradius von n=0 cn (z − a)n . Satz V.54
Gibt es eine Nullfolge (zj )j∈N0 ⊂ C mit |zj | < R, j ∈ N0 , und
∞
'
∀ j ∈ N0 : cn zjn = 0, (19.2)
n=0
und existiert eine Teilfolge (zjk )k∈N0 mit zjk -= 0, k ∈ N0 , dann ist cn = 0, n ∈ N0 .
∀ j ∈ N0 : |zj | ≤ r.
gilt. Speziell für z = zj + a ist |z − a| = |zj | ≤ r, also ergibt sich mit (19.2)
und damit |cn0 | ≤ C|zj | für alle j ∈ N0 . Da (zj )j∈N0 eine Nullfolge ist, muss cn0 = 0 sein,
im Widerspruch zur Wahl von n0 .
68 V Komplexe Zahlen und Reihen
Satz V.55 Identitätssatz für Potenzreihen. Es seien (an )n∈N 0 , (bn )n∈N0 ⊂=
=∞ C, a ∈ C, und
n ∞ n
Ra , Rb > 0 die Konvergenzradien
# $der Potenzreihen n=0 a n (z−a) , n=0 b n (z−a) .
Existiert ein r ∈ 0, min{Ra , Rb } mit
∞
' ∞
'
n
an (z − a) = bn (z − a)n , |z − a| ≤ r,
n=0 n=0
so gilt an = bn , n ∈ N0 .
Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz V.54 mit cn = an − bn , n ∈ N0 ; die Nullfolge
zj )j∈N0 mit |%
(zj )j∈N0 erhält man aus einer Folge (% zj → a, j → ∞, indem
zj − a| < r und %
man zj := % zj − a setzt.
Eine wichtige Anwendung des Identitätssatzes ist das Bestimmen der Koeffizienten von
Potenzreihen durch Koeffizientenvergleich:
1
Beispiel Um 1−z als Potenzreihe darzustellen, macht man den Ansatz
' ∞
1
= an z n = a0 + a1 z + a2 z 2 + a3 z 3 + · · · , |z| < 1.
1−z n=0
Nach dem Identitätssatz müssen die Koeffizienten der beiden Potenzreihen links
und rechts übereinstimmen (Koeffizientenvergleich), also folgt
a0 = 1, a1 − a0 = 0, ..., ak − ak−1 = 0, . . . &⇒ ak = 1, k ∈ N0 ,
und so erhält man wieder die geometrische Reihe (vgl. Beispiel V.17):
'∞
1 2 3
= 1+z +z +z +··· = z n , |z| < 1.
1−z n=0
Übungsaufgaben
V.1. Stelle folgende komplexe Zahlen in der Form x + iy mit x, y ∈ R dar:
1+i 1 $ 1 + i %2 $ 1 − i %3 1
a) , b) , c) − 3 , d) , n ∈ N.
1−i i + i+ 11 1−i 1+i in
i+1
(z − 1(
( (
V.2. Wo liegt die Menge der Punkte z ∈ C mit ( ( = c für c = 1, 2?
z+1
2
V.3. Stelle 3
als 2- und 5-adischen Bruch dar!
19 Potenzreihen 69
V.4. Zeige, dass Q abzählbar ist und dass es zu jeder reellen Zahl a ∈ R Folgen (xn )n∈N ⊂ Q und
(yn )n∈N ⊂ R \ Q gibt mit limn→∞ xn = a = lim n→∞ yn .
V.8 (Kochsche5 Kurve, Schneeflockenkurve). Über den mittleren Dritteln der Seiten eines
gleichseitigen Dreiecks mit Seitenlänge a > 0 wird je ein gleichseitiges Dreieck errichtet.
Über jedem mittleren Drittel der Seiten des so entstandenen Polygons wird jeweils wie-
der ein gleichseitiges Dreieck errichtet. Die Kochsche Schneeflockenkurve entsteht als Limes,
wenn man diese Vorschrift unendlich oft wiederholt:
5 Helge von Koch, ∗ 25. Januar 1870, 11. März 1924 in Stockholm, schwedischer Mathematiker, der
die nach ihm benannte Kurve als eines der ersten Fraktale formal konstruierte.
VI Stetige Funktionen
Von diesem Abschnitt an beschäftigen wir uns mit Funktionen einer reellen Variablen
und deren Eigenschaften. Wir beginnen mit der Stetigkeit, wo wir feststellen werden,
dass dazu mehr gehört als „keine Sprünge zu haben“.
! 20
Stetigkeit
Im Folgenden sei f eine Funktion zwischen metrischen Räumen (X, dX ) und (Y , dY ).
Dabei sind vor allem die Fälle X = Rn , Y = R oder X = Y = C wichtig. In diesem
Buch geht es hauptsächlich um Funktionen
f : R ⊃ Df → R,
wobei X = Y = R mit der euklidischen Metrik dX (x, y) = dY (x, y) = |x − y| versehen
und Df meist ein Intervall ist.
Erinnern Sie sich an das Spiel bei der Konvergenz von Folgen von Seite 24? Hier ist es
ganz ähnlich: Ein Gegenspieler gibt Ihnen ein beliebiges " vor, und Sie gewinnen, wenn
Sie immer ein ı finden können, so dass die Differenz der Funktionswerte in Punkten
mit Abstand kleiner ı kleiner als dieses vorgegebene " ist.
Im Allgemeinen wird es so sein, dass Sie ı um so kleiner machen müssen, je kleiner
Ihr Opponent sein " macht, d.h., ı hängt von " ab.
Geometrisch heißt Stetigkeit in x0 , dass es zu jedem Streifen S" um f (x0 ) ein Intervall
Iı um x0 gibt, so dass der Graph Gf von f über Iı im Streifen S" liegt.
72 VI Stetige Funktionen
f (x0 ) + ε
f (x0 ) Sε
f (x0 ) − ε
Gf
x0
x0 − δ Iδ x0 + δ
(iii) Ist (X, 8 · 8) ein normierter Raum, so ist f : X → R, f (x) = 8x8, stetig in X:
Sind x0 ∈ X und " > 0 beliebig, so gilt für alle x ∈ X mit 8x − x0 8 < " =: ı
nach der Dreiecksungleichung von unten (Korollar IV.20):
& &
|f (x) − f (x0 )| = 8x8 − 8x0 8& ≤ 8x − x0 8 < ".
&
f (x) f (x)
x x
Beispiel VI.2 (ii): f (x) = |x| Beispiel VI.2 (iv): f (x) = x 2
h(x)
x x
1 Peter Gustav Lejeune Dirichlet, ∗ 13. Februar 1805 in Düren, damals Frankreich, 5. Mai 1859 in
Göttingen, deutscher Mathematiker, der bedeutende Ergebnisse in Analysis, Zahlentheorie und Mechanik
erzielte.
2 Rudolf Lipschitz, ∗ 14. Mai 1832 in Königsberg, Preußen, 7. Oktober 1903 in Bonn, deutscher
Mathematiker, Schüler von Dirichlet, arbeitete auf vielen Gebieten der Mathematik.
74 VI Stetige Funktionen
| Re z1 − Re z2 | = | Re(z1 − z2 )| ≤ |z1 − z2 |.
Satz VI.5 Folgenkriterium für Stetigkeit. Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume. Eine
Funktion f: X ⊃ Df → Y ist stetig in x0 ∈ Df
# n→∞ n→∞ $
⇐⇒ ∀ (xn )n∈N ⊂ Df : xn −−−−→ x0 &⇒ f (xn ) −−−−→ f (x0 ) . (20.1)
Beweis. „&⇒“: Es sei f stetig in x0 und (xn )n∈N ⊂ Df eine Folge mit xn → x0 , n → ∞.
Zu beliebigem " > 0 existiert dann ein ı > 0 mit
# # $ $
∀ x ∈ Df : dX (x, x0 ) < ı &⇒ dY f (x), f (x0 ) < " .
„⇐&“: Angenommen, (20.1) gilt, aber f ist nicht stetig in x0 . Dann gilt:
# # $ $
∃ "0 > 0 ∀ ı > 0 ∃ x ∈ Df : dX (x, x0 ) < ı ∧ dY f (x), f (x0 ) ≥ "0 .
Damit wir den Nachweis der Stetigkeit einer Funktion auf die Stetigkeit elementarer
Funktionen zurückführen können, sind die folgenden Regeln nützlich.
Es seien X eine Menge, Y ein Vektorraum über einem Körper K (z.B. X = Y = R). Definition VI.7
Für f : X ⊃ Df → Y , g: X ⊃ Dg → Y und % ∈ K definiere
Df ·g := Df ∩ Dg , (f · g)(x) := f (x)g(x), x ∈ Df ·g ,
)f * f (x)
D f := {x ∈ Df ∩ Dg : g(x) -= 0}, (x) := , x ∈ Df .
g g g(x) g
Es seien (X, dX ) ein metrischer Raum, (Y , 8 · 8Y ) ein normierter Raum über einem Satz VI.8
Körper K (z.B. X = Y = R), f : X ⊃ Df → Y , g: X ⊃ Dg → Y , % ∈ K, x0 ∈ Df ∩Dg
(bzw. nur x0 ∈ Df ). Sind f und g stetig in x0 , dann sind
(i) f + g und % · f stetig in x0 ;
ist speziell Y = K, sind außerdem
(ii) f · g stetig in x0 ,
f
(iii) stetig in x0 , falls g(x0 ) -= 0.
g
Beweis. Eine gute Übung für die #, ı-Definition der Stetigkeit (Aufgabe VI.2)!
Ist Y = R oder Y = C, schreibt man auch C(X) statt C(X, R) bzw. C(X, C).
76 VI Stetige Funktionen
Aus Satz VI.8 ergibt sich nun sofort, indem man ihn z.B. für K = R und n = 1
wiederholt anwendet auf die stetigen Funktionen f (x) = 1, g(x) = x, x ∈ R:
Beweis. Es sei " > 0 vorgegeben. Da g stetig in f (x0 ) ist, existiert ı > 0 mit
# $
∀ y ∈ Dg : dY (y, f (x0 )) < ı &⇒ dZ (g(y), g(f (x0 ))) < " .
Da f stetig in x0 ist, existiert zu ı ein * > 0 mit
# $
∀ x ∈ Df : dX (x, x0 ) < * &⇒ dY (f (x), f (x0 )) < ı .
Also folgt für x ∈ Dg ◦f = {x ∈ Df : f (x) ∈ Dg } mit dX (x, x0 ) < * :
# $ # $
dZ (g ◦ f )(x), (g ◦ f )(x0 ) = dZ g(f (x)), g(f (x0 )) < ".
Bemerkung. Aus g ◦ f stetig folgt nicht, dass g und f stetig sind; dies sieht man, wenn
man f unstetig (z.B. die Gauß-Klammer) und g ≡ 0 wählt.
20 Stetigkeit 77
Jede Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0 um a ∈ C definiert auf ihrem Konver- Satz VI.13
genzkreis {z ∈ C: |z − a| < R} = BR (a) eine stetige Funktion.
Beweis. Sind (an )n∈N0 ⊂ C die Koeffizienten der Potenzreihe, so setzen wir
'∞
f : C ⊃ BR (a) → C, f (z) := an(z − a)n, z ∈ BR (a).
n=0
Es seien z0 ∈ BR (a) und " > = 0 beliebig. Wähle r > 0 mit |z0 − a| < r < R. Nach
Satz V.50 konvergiert die Reihe ∞ n
n=0 an (z − a) absolut für z ∈ BR (a), also existiert ein
N ∈ N mit
'∞
"
|an| r n < .
n=N +1
4
Damit definieren wir
N
'
p(z) := an (z − a)n , z ∈ C.
n=0
Nach Korollar VI.11 ist p als Polynom stetig in z0 , also existiert ein ı > 0 so, dass
# "$
∀ z ∈ C: |z − z0 | < ı &⇒ |p(z) − p(z0 )| < .
2
Für |z − z0 | < min{ı, r − |z0 − a|} ist dann |z − a| ≤ |z − z0 | + |z0 − a| < r und damit
insgesamt, mittels verallgemeinerter Dreiecksungleichung (Proposition V.35):
&'∞ '∞ &
& n n&
|f (z) − f (z0 )| = & an (z − a) − an (z0 − a) &
n=0 n=0
≤r n ≤r n
& & ∞
' / 0- . ∞
' / 0- .
&
≤ &p(z) − p(z0 )& + n
|an | · |z − a| + |an | · |z0 − a|n
- ./ 0 n=N +1 n=N +1
< " - ./ 0 - ./ 0
2
< "4 < "4
< ".
exp, sin und cos. Stetig auf C und damit auf ganz R sind die Exponentialfunktion Beispiele VI.14
und die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus:
∞
' zk
– exp: C → C, exp(z) = ,
k!
k=0
' 2k+1 ∞
1 k z
– sin: C → C, sin(z) := (exp(iz) − exp(−iz)) = (−1) ,
2i (2k + 1)!
k=0
' 2k ∞
1 k z
– cos: C → C, cos(z) := (exp(iz) + exp(−iz)) = (−1) ;
2 (2k)!
k=0
für später merken wir uns, dass nach Definition sofort die Eulersche Formel folgt:
exp(ix) = cos(x) + i sin(x), x ∈ R. (20.2)
78 VI Stetige Funktionen
! 21
Grenzwerte und einseitige Stetigkeit
Der Begriff des Grenzwertes einer Funktion ist eng mit der Stetigkeit verwoben. Zu sei-
ner Definition benötigen wir den Begriff des Häufungspunktes einer Menge; darunter
versteht man Punkte, die im folgenden Sinn nicht isoliert sind.
Definition VI.15 Es sei (X, d) ein metrischer Raum (z.B. X = R) und A ⊂ X. Ein Punkt x0 ∈ X
heißt Häufungspunkt von A
:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ x" ∈ A, x" =
- x0 : d(x" , x0 ) < ".
Bemerkung VI.17 Ist x0 ∈ Df , so gilt (vgl. die Definition VI.1 der Stetigkeit):
f stetig in x0 ⇐⇒ lim f (x) = f (x0 ).
x→x0
Beispiel VI.19 x2 − 1
f (x) = , x ∈ R \ {−1}, hat die stetige Fortsetzung %
f (x) = x − 1, x ∈ R.
x+1
21 Grenzwerte und einseitige Stetigkeit 79
Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume, f : X ⊃ Df → Y eine stetige Funktion Satz VI.20
und x0 -∈ Df Häufungspunkt von Df . Existiert ein a ∈ Y mit
lim f (x) = a,
x→x0
Beweis. Nach Konstruktion ist % f stetig. Angenommen, es gibt eine weitere stetige Fort-
setzung A
f von f auf Df ∪ {x0 }. Dann gilt
∀ x ∈ Df : A f (x) = f (x) = %
f (x).
Da A
f und %
f in x0 stetig sind und %
f |D f = A
f |Df = f , folgt mit Bemerkung VI.17:
f (x0 ) = lim A
A f (x) = lim f (x) = lim %
f (x) = %
f (x0 ).
x→x0 x→x0 x→x0
Die nächsten beiden Sätze liefern Kriterien, um mit Hilfe von Folgen zu entscheiden,
ob eine Funktion in einem Punkt einen Grenzwert hat.
Folgenkriterium für die Existenz eines Limes. Es seien (X, dX ) und (Y , dY ) Satz VI.21
metrische Räume, f : X ⊃ Df → Y eine stetige Funktion und x0 -∈ Df Häufungspunkt
von Df . Dann hat f in x0 den Grenzwert a ∈ Y
# $
⇐⇒ ∀ (xn )n∈N ⊂ Df : lim xn = x0 &⇒ lim f (xn ) = a .
n→∞ n→∞
Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz VI.5, angewendet auf die stetige Fortsetzung %
f
von f aus Satz VI.20.
Wie bei Folgen muss man den Limes nicht kennen, um seine Existenz zu zeigen. Dazu
muss aber der Raum Y vollständig sein, wie z.B. Y = R oder Y = C.
Cauchy-Kriterium für die Existenz eines Limes. Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metri- Satz VI.22
sche Räume, Y vollständig, f : X ⊃ Df → Y eine Funktion und x0 ∈ X Häufungs-
punkt von Df . Dann hat f einen Grenzwert in x0
⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ ı > 0 ∀ x, y ∈ Df \ {x0 }:
# # $ $
dX (x, x0 ) < ı ∧ dX (y, x0 ) < ı &⇒ dY f (x), f (y) < " .
Beweis. „&⇒“: Es sei a := limx→x0 f (x). Zu jedem " > 0 gibt es dann ein ı > 0 mit
) "*
∀ x ∈ Df : dX (x, x0 ) < ı &⇒ dY (f (x), a) < .
2
Mit der Dreiecksungleichung folgt für x, y ∈ Df mit dX (x, x0 ) < ı, dX (y, x0 ) < ı:
" "
dY (f (x), f (y)) ≤ dY (f (x), a) + dY (f (y), a) < + = ".
2 2
80 VI Stetige Funktionen
„⇐&“: Es sei " > 0 vorgegeben. Nach Voraussetzung existiert ein ı > 0 mit
) # $ "*
∀ x, y ∈ Df : dX (x, x0 ) < ı ∧ dX (y, x0 ) < ı &⇒ dY f (x), f (y) < .
3
Da x0 Häufungspunkt von Df ist, existiert eine Folge (xn )n∈N ⊂ Df mit xn -= x0 und
xn → x0 , n → ∞. Also existiert ein N ∈ N mit
∀ n ≥ N: dX (xn , x0 ) < ı.
Für Funktionen auf X = R kann man auch einseitige Grenzwerte betrachten. Dabei
nähert man sich x0 ∈ Df nur von einer Seite:
x2 − 1
– f (x) = , x ∈ R \ {−1}, ist links- und rechtsseitig stetig in −1 mit
x+1
x2 − 1 x2 − 1
lim = lim (x − 1) = −2 = lim .
x!−1 x + 1 x!−1 x"−1 x + 1
21 Grenzwerte und einseitige Stetigkeit 81
Ist (Y , dY ) metrischer Raum, f : R ⊃ Df → Y und x0 ∈ Df , so gilt: Proposition VI.24
Beweis. Die Äquivalenz folgt direkt aus den Definitionen der Stetigkeit und der links-
bzw. rechtsseitigen Stetigkeit.
Die Existenz von einseitigen Grenzwerten für Funktionen von R nach R kann man mit
Hilfe ihres Wachstumsverhalten untersuchen.
f heißt (streng) monoton, wenn f (streng) monoton wachsend oder fallend ist.
⇐⇒ ∃ M > 0 ∀ x ∈ Df : |f (x)| ≤ M.
Eine monotone beschränkte Funktion f : R ⊃ (a, b) → R besitzt in jedem x0 ∈ [a, b] Proposition VI.27
einseitige Grenzwerte.
Beweis. Wir beweisen z.B. für monoton wachsendes f und x0 ∈ (a, b], dass der links-
seitige Grenzwert in x0 existiert. Dazu sei " > 0 beliebig. Setzt man
so existiert nach Proposition III.15 ein x" ∈ (a, x0) mit s − " < f (x" ) ≤ s. Wegen der
Monotonie von f und der Supremumseigenschaft von s folgt für x ∈ (x" , x0 ):
Als Nächstes betrachten wir für Funktionen auf R Grenzwerte bei ±∞ und für Funk-
tionen nach R uneigentliche Grenzwerte, d.h., ±∞ als Grenzwerte.
Definition VI.28 Es seien (Y , dY ) ein metrischer Raum, f : R ⊃ Df → Y eine Funktion und Df nach
oben (bzw. unten) unbeschränkt. Dann heißt a ∈ Y Grenzwert von f bei ∞ (bzw.
bei −∞)
# # $ $
:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ R > 0 ∀ x ∈ R: x > R (bzw. x < −R) &⇒ dY f (x), a < " ;
Definition VI.29 Uneigentliche Grenzwerte. Es seien (X, dX ) ein metrischer Raum sowie
f : X ⊃ Df → R eine Funktion und x0 ∈ X ein Häufungspunkt von Df . Dann hat
f in x0 den Grenzwert ∞ (bzw. −∞)
# $
:⇐⇒ ∀ R ≥ 0 ∃ ı > 0 ∀ x ∈ Df : dX (x, x0 ) < ı &⇒ f (x) ≥ R (bzw. ≤ −R ) ;
und definiert analog limx"x0 f (x) = ±∞, limx!x0 f (x) = ±∞, limx→±∞ f (x) = ±∞.
Beispiel VI.30 limx→∞ exp(x) = ∞, limx→−∞ exp(x) = 0, denn für x > 0 ist:
1
exp(x) ≥ 1 + x → ∞, x → ∞, exp(−x) = → 0, x → ∞.
exp(x)
Bemerkung VI.31 Wegen des Folgenkriteriums für die Existenz des Limes (Satz VI.21) gelten für
Grenzwerte von Funktionen analoge Rechenregeln wie für Folgen.
22 Sätze über stetige Funktionen 83
! 22
Sätze über stetige Funktionen
Für stetige Funktionen von R nach R beweisen wir nun zwei zentrale Sätze, den Zwi-
schenwertsatz und den Satz vom Minimum und Maximum.
Beweis.
B C Einschränkung sei f (a) ≤ f (b) (sonst betrachte −f ). Dann ist * ∈
Ohne
f (a), f (b) . Definiere eine Folge von Intervallen In := [an , bn ] , n ∈ N0 , durch
6B an +bn
C # a +b $
an , 2 , * ≤ f n 2 n ,
[a0 , b0] := [a, b] , [an+1 , bn+1] := B C # a +b $
an +bn
2
, bn , * > f n 2 n .
Dann ist f (an ) ≤ * ≤ f (bn ), n ∈ N0 , und bn − an = 2−n (b − a) → 0, n → ∞. Nach
Satz IV.48 über die Intervallschachtelung gibt es genau ein c ∈ R mit
<
c∈ [an , bn ] ,
n∈N0
also limn→∞ an = limn→∞ bn = c. Da f stetig ist, folgt nach Satz VI.5:
f (c) = lim f (an ) ≤ * , f (c) = lim f (bn ) ≥ * , also f (c) = * .
n→∞ - ./ 0 n→∞ - ./ 0
≤* ≥*
Ist f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit f (a) < 0 und f (b) > 0, so hat f in Korollar VI.33
[a, b] eine Nullstelle, d.h., es gibt ein c ∈ [a, b] mit f (c) = 0.
Jedes Polynom ungeraden Grades auf R hat eine reelle Nullstelle. Korollar VI.34
Beweis. Es seien n ∈ N und p(x) = a2n+1x 2n+1 +a2n x 2n +· · ·+a0 ein Polynom mit ak ∈ R,
k = 0, 1, . . . , 2n + 1, so dass a2n+1 -= 0. Da sich die Nullstellen von p nach Division
durch a2n+1 nicht ändern, können wir ohne Einschränkung a2n+1 = 1 annehmen,
) a2n a0 *
2n+1 2n 2n+1
p(x) = x + a2n x + · · · + a0 = x 1+ + · · · + 2n+1 , x ∈ R \ {0}.
x x
Wegen lim x→∞ 1/x = 0, kann R > 0 so groß gewählt werden, dass
a2n a0 |a2n| |a0 | 1
1+ +···+ ≥ 1 − − · · · − ≥
(±R) (±R)2n+1 R R2n+1 2
und damit
1 1
p(R) ≥ R2n+1 · > 0, p(−R) ≤ (−R)2n+1 · < 0.
2 2
Da p als Polynom stetig ist, liefert Korollar VI.33 die Behauptung.
84 VI Stetige Funktionen
Die folgende Eigenschaft von Teilmengen metrischer Räume benutzen wir hier nur für
R oder C; wir kommen in Analysis II ([28, Abschnitt I.2]) allgemeiner darauf zurück.
Definition VI.35 Eine Teilmenge K ⊂ X eines metrischen Raums (X, dX ) heißt kompakt, wenn jede
Folge (xn )n∈N ⊂ K eine in K konvergente Teilfolge (xnk )k∈N hat.
Beweis. „⇐&“: Ist I = [a, b] und (xn )n∈N ⊂ I, so ist wegen a ≤ xn ≤ b, n ∈ N, die Folge
(xn )n∈N beschränkt. Nach Satz V.10 von Bolzano-Weierstraß existiert eine konvergente
Teilfolge (xnk )k∈N . Setzt man x := limk→∞ xnk , so gilt wegen a ≤ xnk ≤ b, k ∈ N, nach
Korollar IV.37 auch a ≤ x ≤ b, also x ∈ I = [a, b].
„&⇒“: Angenommen, es wäre z.B. I = (a, b]. Dann hat die Folge xn := a + 1n , n ∈ N,
keine in I konvergente Teilfolge, da a ∈
/ I.
Intervalle sind sehr spezielle kompakte Teilmengen. Sehr viel exotischer ist:
C0
C1
C2
C3
C4 etc.
Satz VI.37 vom Minimum und Maximum. Ist K ⊂ R kompakt und f : K → R stetig, so
nimmt f auf K Minimum und Maximum an, d.h., es gibt x∗ , x ∗ ∈ K mit
f (x∗ ) ≤ f (x) ≤ f (x ∗ ), x ∈ K.
Beweis. Es reicht, die Existenz des Maximums zu zeigen (sonst betrachte −f ). Setze
s := sup f (K) = sup {f (x): x ∈ K }.
22 Sätze über stetige Funktionen 85
Zu zeigen ist, dass s < ∞ und dass es ein x ∗ ∈ K gibt mit f (x ∗ ) = s. Da s Supremum
ist, gibt es nach Proposition III.15 zu jedem n ∈ N ein xn ∈ K mit
6
s − n1 < f (xn ) ≤ s, falls s < ∞,
n < f (xn ), falls s = ∞.
Dann ist lim n→∞ f (xn ) = s. Da K kompakt ist, gibt es eine in K konvergente Teilfolge
(xnk )k∈N , und wir setzen
x ∗ := lim xnk ∈ K.
k→∞
(i) Es seien K ⊂ R kompakt und f : K → R stetig. Ist f (x) > 0, x ∈ K , dann Korollar VI.38
gilt sogar inf f (K) > 0, d.h., es existiert ein ˛ > 0 mit
f (x) ≥ ˛ > 0, x ∈ K .
(ii) Ist f : (a, b) → R stetig, x0 ∈ (a, b) und f (x0 ) > 0, so gibt es ı, ˛ > 0 mit
f (x) ≥ ˛ > 0, x ∈ [x0 − ı, x0 + ı] ⊂ (a, b).
Zusammengenommen liefern der Zwischenwertsatz und der Satz vom Minimum und
Maximum die folgende Strukturaussage für stetige Funktionen:
Neben Stetigkeit und Lipschitz-Stetigkeit gibt es noch eine weitere Verschärfung des
Stetigkeitsbegriffs, die sog. gleichmäßige Stetigkeit.
Bemerkung. Der Unterschied zur Stetigkeit besteht darin, dass ı hier nur von " ab-
hängt und nicht von einem speziellen Punkt x0 in Df !
– Lipschitz-stetige Funktionen sind gleichmäßig stetig (vgl. Beweis von Pro- Beispiele VI.41
position VI.4).
√
– f (x) = x, x ∈ [0, 1], ist gleichmäßig stetig (obwohl nicht Lipschitz-stetig).
– f (x) = 1x , x ∈ (0, 1], ist stetig, aber nicht gleichmäßig stetig;
Abb. 22.2 illustriert, dass im letzten Fall für " > 0 fest ı → 0 für x0 → 0 gilt!
86 VI Stetige Funktionen
Zum Schluss des Abschnitts sehen wir noch, dass sich Stetigkeit und Monotonie auf
die Umkehrfunktion übertragen, falls diese existiert.
Satz VI.43 Es seien I ⊂ R ein Intervall und f : I → R eine stetige streng monotone Funktion.
Dann ist f : I → f (I) bijektiv, und die Umkehrfunktion
f −1 : f (I) → I
ist stetig und streng monoton im selben Sinn wie f .
Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung, um die Definition der Stetigkeit und der
Monotonie zu festigen (Aufgabe VI.6).
Bemerkung. Die Notation f −1 wird sowohl für die Umkehrfunktion benutzt als auch
manchmal für 1f ; die Unterscheidung muss jeweils der Zusammenhang liefern.
22 Sätze über stetige Funktionen 87
und Beispiel. Die Funktion exp: R → (0, ∞) ist stetig, streng monoton wachsend Satz VI.44
und bijektiv. Ihre Umkehrfunktion
ln := (exp)−1 : (0, ∞) → R,
der natürliche Logarithmus, ist stetig und streng monoton wachsend mit
(i) ln(x · y) = ln(x) + ln(y), ln(x n ) = n ln(x), x, y ∈ (0, ∞), n ∈ N;
(ii) ln(1) = 0, ln(e) = 1;
Beweis. Als Potenzreihe ist exp: R → R stetig (Beispiel VI.14). Weiter gilt:
∞
' xn 1
x > 0 &⇒ exp(x) = 1 + > 1, x < 0 &⇒ exp(x) = < 1.
n=1
n! exp(−x)
Damit folgt mit Hilfe der Funktionalgleichung (Satz V.47 (ii)) für x, y ∈ R:
Als streng monotone Funktion ist exp injektiv auf R. Aus dem Zwischenwertsatz
(Satz VI.32) und lim x→−∞ exp(x) = 0, limx→∞ exp(x) = ∞ (Beispiel VI.30) folgt
exp(R) = (0, ∞). Die Behauptungen ergeben sich dann alle aus Satz VI.43 und den
Eigenschaften der Exponentialfunkion (Satz V.47, Beispiel VI.30).
Bemerkung. Der natürliche Logarithmus ln (logarithmus naturalis, auch log) ist der
Spezialfall des Logarithmus log a zu einer Basis a > 0, wenn man als Basis e wählt;
dabei ist log a die Umkehrfunktion der Funktion
R → (0, ∞), x 2→ a x := exp(x ln(a)). (22.1)
Übungsaufgaben
VI.1. Für welche k ∈ N0 sind die Funktionen fk : R → R definiert durch
) $ %
x sin 1x , x -= 0,
k
fk (x) :=
0, x = 0,
stetig? Skizziere die Graphen für ein stetiges und ein unstetiges fk !
VI.6. Beweise Satz VI.43 über die Stetigkeit und Monotonie der Umkehrfunktion.
VII Differentialrechnung in R
In diesem Kapitel wird der Begriff der Differenzierbarkeit von Funktionen einer (meist)
reellen Variablen eingeführt. Differenzierbar bedeutet, dass man lokal die Funktion li-
near, also durch eine Gerade, approximieren kann. Je öfter eine Funktion differenzier-
bar ist, desto genauer kann man sie lokal nicht nur durch eine Gerade, sondern durch
Polynome höheren Grades approximieren (siehe Kapitel IX).
! 23
Differenzierbarkeit
Wir formulieren die Differenzierbarkeit für Funktionen auf K = R oder C mit Werten
in einem normierten Raum Y ; die Definition ist in diesem allgemeineren Fall identisch
mit der für Funktionen von R nach R.
f ) : K ⊃ Df → Y , x 2→ f ) (x).
die Steigung der Sekanten des Graphen von f in den Punkten (x0 , f (x0 )) und (x, f (x)).
Für x → x0 geht die Sekante in die Tangente an den Graphen von f im Punkt (x0 , f (x0 ))
über; die Ableitung f ) (x0 ) ist die Steigung dieser Tangente.
f (x)
f (x0 )
|f (x0 ) − f (x)|
f (x)
|x0 − x|
x x0 x
x→x0
= x n−1 + x0 x n−2 + · · · + x0n−2 x + x0n−1 −−−−−→ nx0n−1 .
- ./ 0
n Summanden
1
– f (x) = , x ∈ R \ {0}, mit n ∈ N ist differenzierbar in R \ {0} mit
xn
) 1 *) 1
) −n ) −n−1
f (x) = = (x ) = −n x = −n , x ∈ R \ {0}.
xn x n+1
Beweis. Man überlegt sich leicht, dass f ) (x) = sign x, x ∈ R \ {0}. Für x0 = 0
existiert der Limes in (23.1) nicht, denn
|x| − |0| x −x |x| − |0|
lim = lim = 1 -= −1 = lim = lim .
x"0 x − 0 x"0 x x!0 x x!0 x − 0
23 Differenzierbarkeit 91
√
– f (x) = x, x ∈ [0, ∞), ist differenzierbar in (0, ∞), aber nicht in 0, mit
#√ $) # 1 $) 1 − 1 1
f ) (x) = x = x 2 = x 2 = √ , x ∈ (0, ∞).
2 2 x
Beweis. Eine gute Übung! Was geht bei 0 schief? (Aufgabe VII.2).
Beweis. (i) Es sei z ∈ C, 0 < |z| < 1. Wegen der absoluten Konvergenz der Exponenti-
alreihe (Satz V.41) liefern die verallgemeinerte Dreiecksungleichung (Proposition V.35)
und die Formel für die geometrischen Reihe (Beispiel V.17):
& exp(z) − 1 & &1 ' ∞
zn & &' ∞
z n−1 && ' n−1
∞
& & & & &
& − 1& = & − 1& = & &≤ |z|
z z n=1 n! n=2
n! n=2
→0
∞
/0-.
' 1 |z| z→0
n
= |z| = −1= −−−−→ 0.
1 − |z| 1 − |z|
n=1 - ./ 0
→1
Das Fazit des folgenden Satzes ist: Differenzierbar heißt linear approximierbar!
Beweis. „(i) ⇒ (ii)“: Setze mx0 := f ) (x0 ). Dann gilt (23.2) mit
f (x) − f (x0 ) − mx , x -= x0 ,
0
r(x) := x − x0
0, x=x . 0
92 VII Differentialrechnung in R
Die Funktion r ist stetig in x0 mit limx→x0 r(x) = f )(x0 ) − mx0 = 0 = r(x0 ).
„(ii) ⇒ (i)“: Für x -= x0 folgt aus (23.2), weil r stetig ist in x0 und r(x0 ) = 0,
f (x) − f (x0 ) x→x0
= mx0 + r(x) −−−−−→ mx0 .
x − x0 -./0
→ r(x0 ) = 0
Bemerkung. Die Differenzierbarkeit von f in x0 ist also äquivalent dazu, dass f linear
approximierbar ist, d.h., es existiert eine lineare Funktion (die Tangente!)
Beweis. Die Behauptung folgt mit Bemerkung VI.17, weil nach Satz VII.4 gilt:
→0 →0 →0
) / 0- . /0-. / 0- . *
lim f (x) = lim f (x0 ) + mx0 (x − x0 ) + r(x) (x − x0 ) = f (x0 ).
x→x0 x→x0
Bemerkung. Die Umkehrung gilt nicht! Die Funktion f (x) = |x|, x ∈ R, etwa ist stetig
in 0, aber nicht differenzierbar in 0.
Es gibt sogar überall stetige und nirgends differenzierbare Funktionen, z.B. die Kochsche
Schneeflockenkurve (Aufgabe V.8) oder die Weierstraß-Funktion ([26, Abschnitt 9.6.2,
Abb. 9.6.3])
∞
'
f (x) = 4k cos(4k $x), x ∈ R.
k=0
Beweis. (i) Die Behauptungen folgen direkt aus der Definition VII.1 der Ableitung und
den Rechenregeln für Grenzwerte.
(ii) Da g differenzierbar in x0 ist, ist g auch stetig in x0 (Korollar VII.5), also gilt
limx→x0 g(x) = g(x0 ). Damit folgt für x ∈ D, x -= x0 :
(iii) Da g stetig ist in x0 (siehe oben) und g(x0 ) -= 0, gibt es ı > 0 mit g(x) -= 0,
x ∈ Bı (x0 ) = {x ∈ D: |x − x0 | < ı} (sonst gäbe es eine Folge (xn )n∈N ⊂ D mit
g(xn ) = 0 und xn → x0 , n → ∞). Dann ist für x ∈ Bı (x0 ), x -= x0 ,
#f $ #f $
(x) − (x0 ) 1 ) f (x) − f (x ) g(x) − g(x0 ) *
g g 0
= · g(x0 ) − f (x0 ) ·
x − x0 g(x) g(x0 ) x − x0 x − x0
-./0 - ./ 0 - ./ 0
→ g (x0 ) →f ) (x0 ) →g ) (x0 )
(i) Die Menge der differenzierbaren Funktionen f : K ⊃ D → Y bildet einen Korollar VII.7
Vektorraum über K.
(ii) Polynome sind auf ganz R bzw. C differenzierbar.
(iii) Rationale Funktionen sind auf ihrem Definitionsbereich differenzierbar.
Beweis. Für den Beweis benutzen wir die Äquivalenz der Differenzierbarkeit mit der
linearen Approximierbarkeit (Satz VII.4). Nach Voraussetzung und Satz VII.4 gibt es
in x0 bzw. f (x0 ) stetige Funktionen rf : K ⊃ Df → K , rg : K ⊃ Dg → K mit rf (x0 ) = 0,
94 VII Differentialrechnung in R
rg (f (x0 )) = 0 und
f (x) = f (x0 ) + f ) (x0 )(x − x0 ) + rf (x)(x − x0 ), x ∈ Df ,
)
# $# $ # $
g(y) = g(f (x0 )) + g f (x0 ) y − f (x0 ) + rg (y) y − f (x0 ) , y ∈ Dg .
Einsetzen der ersten Gleichung in die zweite mit y = f (x) für x ∈ Df liefert:
# $ # $# $ # $# $
(g ◦ f )(x) = g f (x0 ) + g ) f (x0 ) f (x) − f (x0 ) + rg f (x) f (x) − f (x0 )
# $ # $# $
= g f (x0 ) + g ) f (x0 ) f ) (x0 )(x − x0 ) + rf (x)(x − x0 )
# $# $
+ rg f (x) f )(x0 )(x − x0 ) + rf (x)(x − x0 )
# $
= (g ◦ f )(x0 ) + g ) f (x0 ) f ) (x0 )(x − x0 ) + rg ◦f (x)(x − x0 ),
wobei
# $ # $
rg ◦f (x) := g ) f (x0 ) rf (x) + rg (f (x)) f ) (x0 ) + rf (x) , x ∈ Df .
Als Summe und Komposition stetiger Funktionen ist rg ◦f stetig in x0 mit
)
# $ # ) $
rg ◦f (x0 ) = g f (x0 ) rf (x0 ) + rg (f (x0 )) f (x0 ) + rf (x0 ) = 0.
- ./ 0 - ./ 0
=0 =0
Die Behauptung folgt nun wiederum aus Satz VII.4.
f −1 differenzierbar in y0 ⇐⇒ f ) (x0 ) -= 0;
in diesem Fall ist
1
(f −1)) (y0 ) = #
) −1
$. (23.3)
f f (y0 )
23 Differenzierbarkeit 95
Beweis. „&⇒“: Aus (f −1 ◦ f )(x) = x, x ∈ Df , folgt nach Differentiation mit der
Kettenregel (Satz VII.8):
)
# −1 $) )
# −1 $)
−1
1 = (f ◦ f ) (x0 ) = f (f (x0 )) · f (x0 ) = f (y0 ) · f ) (x0 );
# $)
insbesondere folgt f ) (x0 ) -= 0 und f −1 (y0 ) = f ) (x1 0 ) , also (23.3).
„⇐&“: Wir zeigen erst, dass y0 Häufungspunkt von Df −1 = f (Df ) ist. Da x0 Häu-
fungspunkt von Df ist, gibt es eine Folge (xn )n∈N ⊂ Df , xn -= x0 , mit xn → x0 ,
n → ∞. Weil f nach Korollar VII.5 stetig in x0 ist, gilt yn := f (xn ) → f (x0 ) = y0 ,
n → ∞. Da f injektiv ist, ist wegen xn -= x0 auch yn = f (xn ) -= f (x0 ) = y0 .
Um zu zeigen, dass f −1 differenzierbar in y0 ist, sei (yn )n∈N ⊂ f (Df ), yn -= y0 , eine
Folge mit yn → y0 , n → ∞. Da f −1 : f (Df ) → Df bijektiv ist, folgt aus yn -= y0 dann
xn := f −1(yn ) -= f −1 (y0 ) = x0 . Weil f −1 nach Satz VI.43 stetig ist, folgt xn → x0 , n → ∞.
Nach Voraussetzung und Definition der Ableitung gilt dann
f (xn ) − f (x0 )
0 -= f )(x0 ) = lim .
n→∞ xn − x0
Damit folgt, dass der Grenzwert
f −1 (yn ) − f −1 (y0 ) 1 1 1
lim = f (xn )−f (x0 )
= ) (x )
= # $
n→∞ yn − y0 f ) −1
f f (y0 )
limn→∞ xn −x0 0
(ii) sin: [− $2 , $2 ] → [−1, 1], cos:[0, $] → [−1, 1] sind bijektiv mit Umkehr-
funktionen
E $ $F
arcsin: [−1, 1] → − , , arccos: [−1, 1] → [0, $],
2 2
die differenzierbar auf (−1, 1) sind mit
) 1 1 1
arcsin (x) = = = √
sin) (arcsin(x)) cos(arcsin(x)) 1 − (sin(arcsin(x)))2
1
=√ ,
1−x 2
1
arccos) (x) = . . . = − √ ,
1−x 2
π
2
−5 −4 −3 −2 −1 1 2 3 4
− π2
Rekursiv definieren wir nun Ableitungen f (n) höherer Ordnung einer Funktion. Dazu
setzen wir für eine differenzierbare Funktion f (0) := f , f (1) := f ) .
! 24
Mittelwertsätze und lokale Extrema
Der Mittelwertsatz ist das zentrale Hilfsmittel, um notwendige und hinreichende Be-
dingungen für lokale Extrema von Funktionen f : R ⊂ Df → R herzuleiten; dabei ist
Df immer ein Intervall mit Randpunkten a, b ∈ R, −∞ < a < b < ∞.
Definition VII.15 Es seien (X, d) ein metrischer Raum, f : X ⊃ Df → R eine Funktion und x0 ∈ Df .
Man sagt, f hat in x0 ein lokales Minimum bzw. Maximum
:⇐⇒ ∃ " > 0 ∀ x ∈ Df , d(x, x0) < ": f (x0 ) ≤ f (x) bzw. f (x0 ) ≥ f (x)
Der Punkt x0 heißt lokale bzw. globale Extremstelle von f , wenn f in x0 ein lokales
bzw. globales Minimum oder Maximum hat.
Satz VII.16 Es seien f : R ⊃ (a, b) → R eine Funktion und x0 ∈ (a, b). Hat f in x0 eine lokale
Extremstelle und ist f in x0 differenzierbar, so folgt
f ) (x0 ) = 0.
Beweis. Es sei etwa x0 ein lokales Minimum (sonst betrachte −f ). Dann existiert ein
" > 0 mit (x0 − ", x0 + ") ⊂ (a, b) und
– f ) (x0 ) = 0 ist notwendig für lokale Extremstellen, aber nicht hinreichend; z.B.
hat f (x) = x 3 , x ∈ R, in x0 = 0 kein lokales Extremum, aber f ) (0) = 0.
– die Randpunkte a, b,
– die Punkte in (a, b), in denen f nicht differenzierbar ist,
– die kritischen Punkte von f in (a, b).
24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 99
Aus Satz VII.16 folgt mit Satz VI.37 vom Minimum und Maximum sofort:
Es sei f : R ⊃ [a, b] → R stetig in [a, b] und differenzierbar in (a, b). Dann nimmt Korollar VII.17
f sein (globales) Minimum und Maximum entweder auf dem Rand des Intervalls
[a, b] oder in einem kritischen Punkt an:
! )
"
max f (x) ∈ f (a), f (b), max{f (x): x ∈ (a, b) , f (x) = 0}
x∈[a,b]
Satz von Rolle. Es sei f : R ⊃ [a, b] → R stetig in [a, b] und differenzierbar Satz VII.18
in (a, b). Ist f (a) = f (b), dann existiert ein " ∈ (a, b) mit
f )(") = 0.
Beweis. 1. Fall: f konstant. Dann ist f ) = 0 nach Beispiel VII.2 mit n = 0, also gilt
f )(") = 0 für beliebiges " ∈ (a, b).
2. Fall: f nicht konstant. Dann existiert x0 ∈ (a, b) mit
Weil f stetig auf [a, b] ist, nimmt es nach Satz VI.37 sein Minimum bzw. Maximum
dann in einem Punkt " ∈ (a, b) an. Also ist " ∈ (a, b) eine Extremstelle, und da f in
(a, b) differenzierbar ist, folgt f ) (") = 0 aus Satz VII.16.
Aus dem Satz von Rolle ergibt sich durch eine einfache Transformation sofort der
folgende zentrale Satz der Differentialrechnung (vgl. Abb. 24.1):
Beweis. Wir wollen den Satz von Rolle anwenden auf die Hilfsfunktion:
f (b) − f (a)
h(x) := f (x) − (x − a), x ∈ [a, b] .
b−a
Genau wie f ist h stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b) mit
f (b) − f (a)
h(a) = f (a), h(b) = f (b) − (b − a) = f (a) = h(a),
b−a
erfüllt also die Voraussetzungen von Satz VII.18. Folglich gibt es ein " ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a)
0 = h) (") = f ) (") − .
b−a
100 VII Differentialrechnung in R
f (x) = 1
x
a ξ b a ξ b
Abb. 24.1: Mittelwertsatz und Transformation auf den Satz von Rolle
Geometrisch bedeutet der Mittelwertsatz, dass es einen Punkt " ∈ (a, b) gibt, in dem
die Tangentensteigung gleich der Sekantensteigung in a und b ist.
Aus dem Mittelwertsatz lassen sich eine ganz Reihe wichtiger Folgerungen ziehen:
Korollar VII.20 Ist f : R ⊃ [a, b] → R stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b) oder ist
f : R → R stetig differenzierbar, so gilt:
f konstant ⇐⇒ f ) = 0.
Satz VII.21 Es sei % ∈ R und I ⊆ R ein Intervall. Jede stetig differenzierbare Lösung y: I → R
der Differentialgleichung
y ) (x) = % y(x), x ∈ I, (24.1)
ist von der Form y(x) = C exp(%x), x ∈ I, mit einem C ∈ R. Insbesondere ist die
Exponentialfunktion exp die eindeutige Lösung des „Anfangswertproblems“
y ) = y, y(0) = 1.
Beweis. Für f (x) := y(x) · exp(−%x), x ∈ I, gilt nach Produkt- und Kettenregel:
f ) (x) = y ) (x) exp(−%x) + y(x)(−%) exp(−%x) = (y ) (x) − %y(x)) exp(−%x) = 0.
- ./ 0
=0 nach (24.1)
Nach Korollar VII.20 ist dann f konstant, d.h., es gibt C ∈ R mit f (x) = C, x ∈ I.
Für % = 1 folgt aus der Bedingung y(0) = 1, dass C = C exp(0) = y(0) = 1.
24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 101
Als Nächstes benutzen wir die Ableitung einer Funktion, um Informationen über ihre
Monotonie und Kriterien für die Klassifikation lokaler Extrema zu erhalten.
Ist X eine Menge und f: X → R eine Funktion, schreiben wir Bezeichnung VII.22
f > 0 :⇐⇒ ∀ x ∈ X: f (x) > 0,
Lässt sich f stetig auf [a, b] fortsetzen, so gelten alle Aussagen rechts auf [a, b].
Beweis. „&⇒“ in (i) und (ii): Nach dem Mittelwertsatz (Satz VII.19) gibt es für beliebige
x1 , x2 ∈ (a, b), x1 < x2 , ein " ∈ (x1 , x2) mit
f (x2 ) − f (x1 ) = f ) (") (x2 − x1 ) .
- ./ 0
>0
Daraus ergeben sich alle Behauptungen; z.B. folgt aus f ) > 0, dass f ) (") > 0 und damit
f (x2 ) > f (x1 ), also ist f streng monoton wachsend.
„⇐&“ in (ii): Aus der Definition der Ableitung folgt für beliebiges x0 ∈ (a, b):
f (x) − f (x0 )
f ) (x0 ) = lim . (24.2)
x"x0 x − x0
- ./ 0
>0
Daraus ergeben sich alle Behauptungen; z.B. folgt aus f monoton wachsend, dass
f (x) − f (x0 ) ≥ 0, also f )(x0 ) ≥ 0.
Bemerkung. In (i) gelten die Rückrichtungen nicht. Auch wenn f streng monoton
wachsend ist und daher f (x) − f (x0 ) > 0 in (24.2) gilt, folgt im Limes nur f ) (x0 ) ≥ 0;
z.B. ist f (x) = x 3 , x ∈ R, streng monoton wachsend, aber f ) (0) = 0.
Kriterien für lokale Extrema. Es seien f : R ⊃ (a, b) → R differenzierbar und Satz VII.24
x0 ∈ (a, b) mit f ) (x0 ) = 0. Dann gilt:
(i) f hat in x0 ein lokales Minimum, falls ˛, ˇ ∈ R, ˛ < x0 < ˇ existieren mit
) )
# $
f (x) ≤ 0, x ∈ (˛, x0) ∧ f (x) ≥ 0, x ∈ x0 , ˇ ,
Beweis. (i) Die Behauptungen folgen direkt aus der Charakterisierung der Monotonie
mit Hilfe der Ableitung in Satz VII.23.
(ii) Es sei etwa f )) (x0 ) > 0 (sonst betrachte −f ). Dann existieren nach Korollar VI.38 (ii),
da f )) stetig in (a, b) vorausgesetzt ist, ˛, ˇ ∈ R, ˛ < x0 < ˇ mit
# $
f ))(x) > 0, x ∈ ˛, ˇ ,
# $
d.h., f ist nach Satz VII.23 streng monoton wachsend auf ˛, ˇ . Da f ) (x0 ) = 0, folgt
)
# $
f ) (x) ≤ 0, x ∈ (˛, x0 ), und f ) (x) ≥ 0, x ∈ x0 , ˇ . Also sind die Voraussetzungen aus
dem ersten Fall in (i) erfüllt, und die Behauptung folgt daraus.
Die Konvexität einer Funktion kann man mit der zweiten Ableitung prüfen:
Satz VII.26 Ist I ⊂ R ein offenes Intervall und f : I → R zweimal differenzierbar, so gilt
f konvex ⇐⇒ f )) ≥ 0.
Beweis. „⇐&“: Weil f )) ≥ 0, ist f ) monoton wachsend auf I (Satz VII.23). Es seien
nun x1 , x2 ∈ I beliebig, ohne Einschränkung x1 < x2 , und % ∈ (0, 1). Dann ist
x := %x1 + (1 − %)x2 ∈ (x1 , x2). Nach dem Mittelwertsatz (Satz VII.19) gibt es
"1 ∈ (x1 , x) , "2 ∈ (x, x2 ) mit
f (x) − f (x1 ) f (x2 ) − f (x)
= f ) ("1 ) ≤ f ) ("2 ) = , (24.3)
x − x1 x2 − x
wobei wir die Monotonie von f ) benutzt haben. Mit
Beweis. Ist " · + = 0, ist nichts zu zeigen. Also sei " · + > 0. Da ln konkav ist, folgt mit
% = p1 , 1−% = 1− 1p = 1q , der Funktionalgleichung für ln (Satz VI.44) und der Definition
der Potenzen mit reellen Exponenten (Kapitel VI, (22.1)), z.B. " p = exp(p ln(")):
)1 1 q* 1 1
ln " + + ≥ ln(" p ) + ln(+q ) = ln(") + ln(+).
p
p q p q
Wendet man darauf die (streng) monoton wachsende Funktion exp an, ergibt sich:
1 p 1 q # $
" + + ≥ exp ln(") + ln(+) = exp(ln(")) · exp(ln(+)) = " · +.
p q
1 William Henry Young, ∗ 20. Oktober 1863 in London, 7. Juli 1942 in Lausanne, englischer Mathe-
matiker, der vor allem orthogonale Reihen und Integrationstheorie studierte.
104 VII Differentialrechnung in R
Beweis. Ist x = 0 oder y = 0, ist nichts zu zeigen. Sind x, y -= 0, so liefert die Youngsche
Ungleichung (Satz VII.27) mit
|xi | |yi |
"= , +=
8x8p 8y8q
für i = 1, 2, . . . , n sofort
|xi | |yi | 1 |xi |p 1 |yi |q
≤ + q .
8x8p 8y8q p 8x8pp q 8y8q
p
Sind p, q ∈ (1, ∞) mit 1p + 1q = 1, so ist q = p−1 und heißt zu p konjugierter Exponent
zu p, auch oft mit p) bezeichnet. Ein Spezialfall ist das Paar p = 2 und q = 2.
In diesem Fall wird die Höldersche Ungleichung zu einer Ungleichung, die Sie
vielleicht schon aus der Linearen Algebra kennen:
2 Otto Ludwig Hölder, ∗ 22. Dezember 1859 in Stuttgart, 29. August 1937 in Leipzig, deutscher
Mathematiker, der über Fourierreihen und Gruppen arbeitete.
3 Victor Yakovlevich Bunyakovsky, ∗ 16. Dezember 1804 in Bar, Ukraine, 12. Dezember 1889 in St.
Petersburg, Russland, Schüler von Cauchy, arbeitete in Zahlentheorie und Geometrie und entdeckte die –
oft nicht nach ihm benannte – Ungleichung 1859, 25 Jahre vor Schwarz.
4 Hermann Amandus Schwarz, ∗ 25. Januar 1843 in Hermsdorf, jetzt Polen, 30. November 1921
in Berlin, deutscher Mathematiker, Schüler von Weierstraß, arbeitete über konforme Abbildungen und
Minimalflächen.
24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 105
Minkowskische5 Ungleichung. Es seien K = R oder C und p ∈ (1, ∞) . Dann Satz VII.30
gilt für x, y ∈ K n :
8x + y8p ≤ 8x8p + 8y8p.
Beweis. Ist x + y = 0, so ist nichts zu zeigen. Es sei nun x + y -= 0. Mit Hilfe der Drei-
ecksungleichung für den Betrag in K und der Hölderschen Ungleichung (Satz VII.28),
p
angewendet auf x und x + y sowie y und x + y, folgt mit q = p−1 :
n
' n
' n
'
p p−1 p−1
8x + y8p = |xi + yi | · |xi + yi | ≤ |xi | |xi + yi | + |yi | |xi + yi |p−1
i=1 i=1 i=1
=p =p
)'
n / 0- .* 1 )'
n / 0- .* 1
q q
≤ 8x8p |xi + yi |(p−1)q + 8y8p |xi + yi |(p−1)q
i=1 i=1
# $ p
p
p
Wegen p − q
= 1 folgt nach Division durch 8x + y8p (-= 0) die Behauptung.
q
Eine Verallgemeinerung des Mittelwertsatzes ist der folgende Satz, den wir verwenden,
um im Folgenden die Regeln von L’Hôpital6 zur Grenzwertberechnung zu bewei-
sen.
Bemerkung. – Im Spezialfall g(x) = x, x ∈ [a, b], erhält man wieder den Mittel-
wertsatz (Satz VII.19).
– Der verallgemeinerte Mittelwertsatz folgt nicht durch „Quotientenbildung“ aus
dem Mittelwertsatz; dieser liefert nur die Existenz von "1 , "2 ∈ (a, b) mit
5 Hermann Minkowski, ∗ 22. Juni 1864 in Aleksotas, Litauen,12. Januar 1909 in Göttingen, legte durch
ein neues Raum-Zeit-Konzept die mathematische Basis der Relativitätstheorie.
6 Guillaume Fran çois Antoine Marquis de L’Hôpital, ∗ 1661, 2. Februar 1704 in Paris, französischer
Mathematiker, der zuerst Hauptmann der Kavallerie war, und später das erste Lehrbuch in Analysis nach
den Aufzeichnungen von Johann Bernoulli schrieb.
106 VII Differentialrechnung in R
Beweis. Es ist g(b) -= g(a), sonst gäbe es nach dem Satz von Rolle ein + ∈ (a, b) mit
g ) (+) = 0. Analog wie im Beweis des Mittelwertsatzes definiere eine Funktion
f (b) − f (a) # $
h(x) := f (x) − g(x) − g(a) , x ∈ [a, b] ,
g(b) − g(a)
die die Voraussetzungen des Satzes VII.18 von Rolle erfüllt. Also gibt es " ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a) )
0 = h) (") = f ) (") − g (") .
g(b) − g(a) - ./ 0
-=0
Beweis. Gilt (i), so sind f und g in x = a stetig fortsetzbar durch 0; wir bezeichnen
diese Fortsetzungen wieder mit f und g. Nach dem verallgemeinerten Mittelwertsatz
(Satz VII.32) existiert für jedes x ∈ (a, b) ein " ∈ (a, x) mit
f ) (") f (x) − f (a) f (x)
= = .
g ) (") g(x) − g(a) g(x)
Da x " a auch " " a impliziert, folgt daraus die Behauptung.
)
Gilt (ii) und setzt man * := limx"a gf ) (x)(x)
, so gibt es zu beliebigem " > 0 ein ı > 0 mit
& ) &
& f (") & "
∀ " ∈ (a, a + ı) : & ) & − * && < .
g (") 2
Wieder mit dem verallgemeinerten Mittelwertsatz (Satz VII.32) folgt daraus
& &
& f (x) − f (y) & "
∀ x, y ∈ (a, a + ı) : & & − * && < . (24.5)
g(x) − g(y) 2
Für festes y ∈ (a, a + ı) gilt wegen Voraussetzung (ii) →1, x→a
/ 0- .
g (y)
f (x) f (x) − f (y) g(x) − g(y) f (x) f (x) − f (y) 1 − g (x)
= · · = · ,
g(x) g(x) − g(y) f (x) − f (y) g(x) g(x) − g(y) 1 − f (y)
f (x)
- ./ 0
also existiert ein ı0 > 0 mit →1, x→a
& &
& f (x) f (x) − f (y) & "
∀ x ∈ (a, a + ı0 ) : && − &< . (24.6)
g(x) g(x) − g(y) & 2
Insgesamt folgt aus (24.5), (24.6) und der Dreiecksungleichung schließlich
& &
& f (x) &
∀ x ∈ (a, a + min{ı, ı0}) : && − * && < ".
g(x)
24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 107
– lim x n ln(x) = 0, n ∈ N: Beispiele
x"0
Denn mit f (x) = ln(x), g(x) = x −n , x ∈ (0, ∞), gilt (ii) in Satz VII.33 und
f ) (x) 1 ) 1 *
lim ) = lim x
−n−1
= lim − x n = 0;
x"0 g (x) x"0 −nx x"0 n
die umgekehrte Wahl f (x) = x n , g(x) = (ln(x))−1 , x ∈ (0, ∞), ist sinnlos!
1
ln(x) x n
– lim √ = lim 1 1n −1
= lim 1 = 0, n ∈ N:
x→∞ n
x x→∞
nx x x→∞ n
Übungsaufgaben
VII.1. Für a ∈ (0, ∞) fest definiere die Funktion
VII.2. Untersuche, wo folgende Funktionen differenzierbar sind, und bestimme dort ihre Ab-
leitung:
√
a) f (x) = x, x ∈ [0, ∞); b) f (x) = |x|3, x ∈ R;
c) f (x) = (1 + 2x )n , x ∈ R, n ∈ N; d) f (x) = ln(| ln(x)|), x ∈ (0, ∞);
e) f (x) = x x , x ∈ [0, ∞); f) f (x) = arctan(x), x ∈ R.
108 VII Differentialrechnung in R
VII.3. Beweise, dass die folgende Funktion beliebig oft differenzierbar ist:
) * 1+
exp − |x| , x -= 0,
f : R → R, f (x) =
0, x = 0.
* 1+
Zeige, dass f (n) (x) = pn−1
x
(x)
2n exp − x für x > 0 mit einem Polynom pn−1 vom Grad n − 1
und dass f (0) = 0 für alle n ∈ N0 .
(n)
x5 5x 4 f (5) (x) 5!
lim = lim = · · · = lim (5) = = 120 ?
x→0 sin(x) − x x→0 cos(x) − 1 x→0 g (x) cos(0)
Was ist das richtige Ergebnis?
VIII Integralrechnung in R
Die Integration ist der inverse Prozess zur Differentiation. Es gibt verschiedene Integral-
begriffe. Der elementarste für Funktionen einer reellen Variablen geht auf Bernhard
Riemann1 zurück. Ein allgemeinerer Integralbegriff wird später etwa für die Wahr-
scheinlichkeitstheorie benötigt (siehe z.B. [8]).
Problem: Ist f : [a, b] → R, f ≥ 0, eine Funktion, wie bestimmt man die Fläche Af
unter dem Graphen von f ?
Gf
Af
a b
Wie definiert man Af allgemein, und für welche Funktionenklassen ist dies möglich?
Im Folgenden seien immer a, b ∈ R mit a < b und K = R (später auch C).
! 25
Das Riemann-Integral
Das Riemann-Integral erhält man in einem Grenzübergang, bei dem man das Inter-
vall [a, b] in immer kleinere Teilintervalle teilt und die Funktion f durch stückweise
konstante Funktionen approximiert.
1
Bernhard Riemann, ∗ 17. September 1826 in Breselenz (Niedersachsen), 20. Juli 1866 in Selasca (Ita-
lien), deutscher Mathematiker, wirkte bahnbrechend auf vielen Gebieten der Analysis, Differentialgeometrie,
mathematischen Physik und analytischen Zahlentheorie. Die nach ihm benannte Riemannsche Vermutung
ist eines der größten ungelösten Probleme der Mathematik (siehe Beispiel VIII.31).
110 VIII Integralrechnung in R
Definition VIII.1 (i) Eine Menge von Punkten P = {x0 , x1 , . . . , xn } ⊂ [a, b] mit n ∈ N heißt
Partition von [a, b]
:⇐⇒ a = x0 < x1 < x2 < · · · < xn = b.
=
n
Für jede Partition P = {x0 , x1 , . . . , xn } ⊂ [a, b] gilt offenbar (xi − xi−1 ) = b − a.
i=1
Definition VIII.2 Eine Funktion ': [a, b] → R heißt Treppenfunktion, wenn es eine Partition P =
{x0 , x1 , . . . , xn } ⊂ [a, b] und Konstanten c1 , c2 . . . , cn ∈ R gibt mit
'(x) = ci , x ∈ (xi−1 , xi ) , i = 1, . . . , n.
+ ,
x0 x1 . . . . . . xn
Wir schreiben dann zur Abkürzung ' = .
c1 c2 . . . cn
Definition VIII.3 Es seien P = {x0 , x1, . . . , xn } ⊂ [a, b] eine Partition des Intervalls [a, b] und
f : [a, b] → R eine beschränkte Funktion. Wir setzen
mi := inf {f (x): x ∈ (xi−1, xi )}, i = 1, . . . , n,
Mi := sup{f (x): x ∈ (xi−1, xi )}, i = 1, . . . , n,
und definieren die Unter- bzw. Obersummen von f zur Partition P als
n
'
s(P, f ) := mi (xi − xi−1 ),
i=1
'n
S(P, f ) := Mi (xi − xi−1 ).
i=1
Damit definiert man das Unter- bzw. Oberintegral von f über [a, b] als
G b
f (x) dx := sup{s(P, f ): P Partition von [a, b]},
∗a
G ∗b
f (x) dx := inf {S(P, f ): P Partition von [a, b]}.
a
b
a x
Um auch eine Ungleichung zwischen Ober- und Unterintegral zu erhalten, genügt die
Abschätzung in Bemerkung VIII.4 für eine feste Partition P noch nicht:
(i) s(P, f ) ≤ s(P ) , f ) ≤ S(P ) , f ) ≤ S(P, f ) für Partitionen P ⊂ P ) von [a, b];
G b G ∗b
(ii) f (x) dx ≤ f (x) dx.
∗a a
Beweis. (i) Die mittlere Abschätzung ist klar nach Bemerkung VIII.4. Falls P = P ) , so
sind auch die anderen beiden Abschätzungen klar. Für P # P ) zeigen wir die Abschät-
zung für die Untersummen; für die Obersummen ist der Beweis analog.
1. Fall: P ) \ P = {x ) }. Dann gibt es ein j0 ∈ {1, . . . , n} mit xj0 −1 < x ) < xj0 . Setze
# $
m)j0 := inf {f (x): x ∈ xj0 −1 , x ) } ≥ mj0 ,
))
# ) $
mj0 := inf {f (x): x ∈ x , xj0 } ≥ mj0 .
Damit folgt:
2. Fall: P ) \ P = {x1) , . . . xk) }, k ∈ N: Die Behauptung folgt induktiv aus dem 1. Fall.
(ii) Sind P1 , P2 beliebige Partitionen von [a, b], so folgt nach (i):
Die Behauptung folgt, indem man auf der linken Seite das Supremum über alle P1 und
auf der rechten Seite das Infimum über alle P2 bildet.
112 VIII Integralrechnung in R
+ ,
Beispiele x0 x1 . . . . . . xn
– ' ∈ T [a, b], ' = , ist Riemann-integrierbar mit
c1 c2 . . . cn
G b ' n
'(x) dx = ci (xi − xi−1 );
a i=1
hier ist das Riemann-Integral von ' über [a, b] die Summe der Flächen der
Rechtecke unter dem Graphen von ' über der x-Achse minus die Summe
der Flächen der Rechtecke über dem Graphen von ' unter der x-Achse:
+
+ +
+
a b a − b
Satz VIII.7 Kriterium von Riemann. Eine beschränkte Funktion f : [a, b] → R ist Riemann-
integrierbar
⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ Partition P" ⊂ [a, b] : S(P" , f ) − s(P" , f ) < ". (25.1)
Beweis. „⇐&“: Es seien " > 0 beliebig und P" wie in (25.1). Mit Lemma VIII.5 (ii) und
der Definition des Ober- und Unterintegrals als Infimum bzw. Supremum folgt
G ∗b G b
0 ≤ f (x) dx − f (x) dx ≤ S(P" , f ) − s(P" , f ) < ".
a ∗a
Beweis. Ist f : [a, b] → R stetig, so ist f beschränkt auf [a, b] und sogar gleichmäßig
stetig nach Satz VI.42. Also existiert zu beliebigem " > 0 ein ı > 0 mit
& & "
& &
∀ x, y ∈ [a, b] , |x − y| < ı: f (x) − f (y) < . (25.3)
b−a
b−a
Wähle n ∈ N mit n
< ı und definiere damit
b−a
xi := a + i · , i = 0, 1, . . . , n, P" := {x0 , x1 , . . . , xn }. (25.4)
n
Dann gilt xi − xi−1 = b−a
n
< ı, i = 1, . . . , n. Da f stetig ist, nimmt f auf jedem Intervall
[xi−1 , xi ] Minimum mi und Maximum Mi an. Zusammen mit (25.3) folgt dann
n
' 'n
" "
S(P" , f ) − s(P" , f ) = (Mi − mi ) (xi − xi−1 ) < = n · = ".
- ./ 0 - ./ 0 n n
i=1 i=1
<"/(b−a) =(b−a)/n
Jede beschränkte Funktion f : [a, b] → R, die nur endlich viele Unstetigkeitsstellen Korollar VIII.9
hat, ist Riemann-integrierbar.
Bemerkung. Tatsächlich darf die Menge der Unstetigkeitsstellen von f noch viel all-
gemeiner sein (siehe z.B. [8, Satz V.10]), insbesondere abzählbar unendlich!
Beweis. Ohne Einschränkung sei f monoton wachsend (sonst betrachte −f ); dann ist
f (b) − f (a) ≥ 0. Zu " > 0 beliebig existiert dann n ∈ N so, dass
b−a
(f (b) − f (a)) < ".
n
114 VIII Integralrechnung in R
Definiere damit eine Partition P" wie in (25.4). Da f monoton wachsend ist, gilt
mi = inf {f (x): x ∈ (xi−1, xi )} ≥ f (xi−1 ),
Mi = sup{f (x): x ∈ (xi−1, xi )} ≤ f (xi ).
Damit folgt nach der Wahl von n:
=(b−a)/n
n
' / 0- . b − a ' n
# $
S(P" , f ) − s(P" , f ) = (M − m )(x − xi−1) ≤ f (xi ) − f (xi−1 ) < ".
- i ./ i0 i n
i=1 i=1
≤f (xi )−f (xi−1 ) - ./ 0
=f (xn )−f (x0 )=f (b)−f (a)
Nach dem Kriterium von Riemann (Satz VIII.7) ist f Riemann-integrierbar.
Zum Rechnen mit Integralen gibt es einige wichtige Regeln; dabei sei K = R oder C.
Proposition VIII.12 Es sei f : [a, b] → K beschränkt und c ∈ (a, b). Dann ist f Riemann-integrierbar auf
[a, b] genau dann, wenn die Einschränkungen f |[a,c] und f |[c,b] auf [a, c] bzw. [c, b]
Riemann-integrierbar sind; dann gilt:
G b G c G b
f (x) dx = f (x) dx + f (x) dx.
a a c
(ii) f · g Riemann-integrierbar;
G b G b
(iii) falls K = R: f (x) ≤ g(x), x ∈ [a, b] &⇒ f (x) dx ≤ g(x) dx.
a a
Beweis (der Propositionen VIII.12, VIII.13). Alle Behauptungen prüft man mit Hil-
fe der Definition des Riemann-Integrals (Definitionen VIII.6 und VIII.11) oder des
Kriteriums von Riemann (Satz VIII.7) nach (Aufgabe VIII.1).
G b
Vorsicht: Für (f · g)(x) dx gibt es keine Formel!
a
25 Das Riemann-Integral 115
Verallgemeinerter Mittelwertsatz der Integralrechnung. Sind f : (a, b) → R Satz VIII.14
stetig, ': [a, b] → R Riemann-integrierbar und ' ≥ 0, so gibt es ein " ∈ [a, b] mit
G b G b
f (x)'(x) dx = f (") '(x) dx.
a a
Bemerkung. Der klassische Mittelwertsatz der Integralrechnung ist der Fall ' ≡ 1:
G b
f (x) dx = f (")(b − a),
a
1
Beweis. Da f stetig ist, ist f Riemann-integrierbar und f ([a, b]) =: [m, M] nach
Korollar VI.39 zum Zwischenwertsatz. Da ' ≥ 0 nach Voraussetzung, folgt dann
m '(x) ≤ f (x)'(x) ≤ M'(x), x ∈ [a, b]. Integriert man über [a, b], ergibt sich
daraus nach Proposition VIII.13 (iii):
G b G b G b
m '(x) dx ≤ f (x)'(x) dx ≤ M '(x) dx.
a a a
Da [m, M] = f ([a, b]), gibt es dann ein " ∈ [a, b] mit f (") = &.
Sind f: [a, b] → R Riemann-integrierbar, f ([a, b]) ⊂ [m, M] und g: [m, M] → R Proposition VIII.15
stetig, so ist g ◦ f Riemann-integrierbar.
Beweis. Es sei " > 0 beliebig. Da g stetig auf dem kompakten Intervall [m, M] ist,
existiert K := max{|g(y)|: y ∈ [m, M]}, und g ist gleichmäßig stetig auf [m, M]. Also
"
gibt es ein ı > 0, ohne Einschränkung ı < 4K , mit
"
∀ y1 , y2 ∈ [m, M] , |y1 − y2 | < ı: |g(y1 ) − g(y2 )| < .
2(b − a)
Weil f Riemann-integrierbar ist, existiert nach dem Kriterium von Riemann
(Satz VIII.7) eine Partition Pı 2 = {x0 , x1 , . . . , xn } mit
Da ı ≤ Mi − mi für i ∈
/ I, folgt
n
' n
' n
Mi − mi 1'
(xi − xi−1) ≤ (xi − xi−1) ≤ (Mi − mi )(xi − xi−1 )
i=1 i=1
ı ı i=1
i-∈I i-∈I
1# $
= S(Pı 2 , f ) − s(Pı 2 , f ) < ı.
ı
Weiter gilt nach Definition der Menge I und von K als Maximum von g auf [m, M]:
"
Mi) − m)i < , i ∈ I,
2(b − a)
Mi) − m)i ≤ |Mi) | + |m)i | ≤ 2K , i ∈
- I.
"
Insgesamt ist dann wegen ı < 4K
"
< 2(b−a) ≤2K
n
' / 0- . n /
' 0- .
) )
S(Pı 2 , h) − s(Pı 2 , h) = (Mi − mi )(xi − xi−1) + (Mi − m)i )(xi − xi−1 )
)
i=1 i=1
i∈I i-∈I
n
' n
'
" "
< (xi − xi−1) + 2K (xi − xi−1) < + 2K ı < ".
2(b − a) 2
i=1 i=1
i-∈I i-∈I
- ./ 0 - ./ 0
≤b−a <ı
Mit P" := Pı 2 liefert das Kriterium von Riemann (Satz VIII.7) die Behauptung.
2 2 2
Beweis. Nach Proposition VIII.13 (ii) und (i) ist√ |f | = (Re f ) + (Im f ) Riemann-
integrierbar. Nach Proposition VIII.15 mit g = · ist |f | Riemann-integrierbar. Um
die Ungleichung (25.6) zu zeigen, setzen wir
G b
z := f (x) dx ∈ C.
a
! 26
Integration und Differentiation
Differentiation und Integration haben beide die Eigenschaft der Linearität (Satz VII.6
und Proposition VIII.13). Jetzt wollen wir untersuchen, in welchem Sinn die beiden
Operationen zueinander invers sind.
In diesem Abschnitt seien wieder a, b ∈ R, a < b, und K = R oder C.
so ist Fa stetig in [a, b]; ist f stetig in x0 ∈ [a, b], so ist Fa differenzierbar in x0 mit
Fa) (x0 ) = f (x0 ).
Also ist Fa Lipschitz-stetig und damit insbesondere stetig nach Proposition VI.4. Ist f
stetig in x0 und " > 0 beliebig, so existiert ein ı > 0 mit
∀ t ∈ [a, b] , t ∈ [x0 , x0 + ı]: |f (t) − f (x0 )| < ".
Dann gilt für x ∈ [a, b] , x ∈ (x0 , x0 + ı), nach Satz VIII.16:
& F (x) − F (x ) & G
& a a 0 & 1 && x # $ &&
& − f (x0 )& = & f (t) − f (x0 ) dt &
x − x0 x − x0 x0
G x
1 & & 1
≤ & f (t) − f (x0 )& dt < (x − x0 )" = ",
x − x0 x0 - ./ 0 x − x0
<"
analog für x ∈ (x0 − ı, x0). Also ist Fa differenzierbar in x0 mit Fa) (x0 ) = f (x0 ).
118 VIII Integralrechnung in R
Bemerkung. Nach der Konvention in Definition VIII.17 gilt Satz VIII.18 auch für das
Hb
Integral Gb (x) := x f (t) dt, x ∈ [a, b], dann mit Gb) (x0 ) = −f (x0 ).
Definition VIII.19 Es sei I ⊂ R ein Intervall und K = R oder C. Eine differenzierbare Funktion
F: I → K heißt Stammfunktion einer Funktion f : I → K
:⇐⇒ F ) = f ;
H
man nennt F auch unbestimmtes Integral von f und schreibt F(x) = f (x) dx.
Bemerkung. Ist f stetig, so ist Fa aus (26.1) Stammfunktion von f mit Fa (a) = 0.
Beweis. Es sei Fa die Stammfunktion von f aus (26.1). Nach Proposition VIII.20 gibt
es dann c ∈ K mit F = Fa + c (nämlich c = F(a), da Fa(a) = 0). Damit folgt
G b
# $ # $
F(b) − F(a) = Fa(b) + c − Fa (a) + c = Fa (b) − Fa (a) = f (x) dx.
- ./ 0 a
=0
&b
Bemerkung. Man schreibt auch: F(b) − F(a) =: [F(x)]ba =: F(x)&a .
Eine Übersicht der wichtigsten Stammfunktionen, die man sich merken sollte, gibt Ta-
belle 27.1. Eine umfassende systematische Aufstellung bekannter Stammfunktionen
(gut zum Suchen geeignet!) enthält die Formelsammlung [9, 21.7].
27 Integrationsmethoden 119
! 27
Integrationsmethoden
Wir lernen nun drei Methoden kennen, um Integrale auszurechnen bzw. Stammfunk-
tionen zu bestimmen. Es gibt kein Rezept, wann welche Methode funktioniert. Auf
jeden Fall helfen Probieren, Erfahrung (vgl. Tabelle 27.1) und Kreativität!
B C B C
Substitution.
B C Es seien f : [a, b] → C stetig, ˛, ˇ ⊂ [a, b], ': ˛, ˇ → R und Satz VIII.23
'( ˛, ˇ ) ⊂ [a, b]. Dann gilt:
G ˇ G '(ˇ)
)
(f ◦ ')(x) · ' (x) dx = f (t) dt.
˛ '(˛)
Beweis. Ist F eine Stammfunktion von f , so ist nach Kettenregel (Satz VII.8)
(F ◦ ')) (x) = F ) ('(x)) · ' ) (x) = f ('(x)) · ' ) (x), x ∈ [a, b],
also ist F ◦ ' Stammfunktion von (f ◦ ') · ' ) . Nach dem Fundamentalsatz der
Differential- und Integralrechnung (Satz VIII.21) folgt dann:
1 s+1 x ∈ R, falls s ∈ N0
x s , s -= −1 x x ∈ R \ {0}, falls s ∈ (−N)
s+1
x ∈ (0, ∞), falls s ∈ R \ Z
1
ln(x) x ∈ (0, ∞)
x
1
exp(%x), % ∈ C \ {0} exp(%x) x∈R
%
sin(x) − cos(x) x∈R
cos(x) sin(x) x∈R
1 $ $ $%
tan(x) x∈ − ,
cos2 (x) 2 2
1 cos(x)
− cot(x) := − x ∈ (0, $)
sin2 (x) sin(x)
1
√ arcsin(x) x ∈ (−1, 1)
1 − x2
1
arctan(x) x∈R
1 + x2
f ) (x)
, f (x) -= 0, x ∈ R ln |f (x)| x∈R
f (x)
120 VIII Integralrechnung in R
G ˇ
(f ◦ ')(x) · ' )(x) dx = (F ◦ ')(ˇ) − (F ◦ ')(˛)
˛ G '(ˇ)
= F('(ˇ)) − F('(˛)) = f (t) dt.
'(˛)
G 17
Beispiel Berechne das Integral 1 − y 2 dy !
7 −1
Für f (y) := 1 − y 2 , y ∈ [−1, 1], und '(x) := cos(x), x ∈ [0, $], ist
7
f ('(x)) = 1 − cos 2 (x) = sin(x), ' ) (x) = − sin(x), '(0) = 1, '($) = −1.
1# $
cos(2x) = cos 2 (x) − sin2 (x) = 1 − 2 sin2 (x) &⇒ sin2 (x) = 1 − cos(2x) .
2
Damit ergibt sich
=0
G G J$. /
I 0-
1 7 $
1# $ $ 1 1 $
1 − y 2 dy = 1 − cos(2x) dx = − sin(2x) = .
−1 0 2 2 2 2 0 2
Zeichnen Sie sich den Graphen von f auf und überlegen Sie, dass wir eben die
Fläche eines Halbkreises mit Radius 1 berechnet haben!
Beweis. Nach der Produktregel (Satz VII.6 (ii)) ist (f · g)) = f ) g + f g ) , also f · g
Stammfunktion von f ) g + f g ) . Nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Inte-
gralrechnung (Satz VIII.21) ist dann
G b # $ B Cb
f (x)g ) (x) + f ) (x)g(x) dx = f (x)g(x) a .
a
Bemerkung. Für das unbestimmte Integral hat die partielle Integration die Form
G G
f (x)g ) (x) dx = f (x)g(x) − f ) (x)g(x) dx.
27 Integrationsmethoden 121
Finde eine Stammfunktion des Logarithmus, d.h., berechne für a > 0 Beispiel
G x
ln(t) dt, x ∈ [a, ∞)!
a
Mit f (t) = ln(t), g(t) = t, t ∈ (a, ∞), in Satz VIII.24 folgt für x ∈ [a, ∞):
G x G x
1
ln(t) dt = [t ln(t)] xa − · t dt = x ln(x) − a ln(a) − (x − a)
a a t
= x(ln(x) − 1) − a(ln(a) − 1).
Also ist F(x) = x(ln(x) − 1), x ∈ (0, ∞), eine Stammfunktion des Logarithmus ln.
Eine spezielle Integrationsmethode für rationale Funktionen liefert die sog. Partial-
bruchzerlegung, die nur noch Terme enthält, die man elementar integrieren kann.
wobei x1 , . . . , xr ∈ R, dlν , %
dlν , ck! ∈ R, und q1 , . . . , qs reelle Polynome zweiten
Grades ohne reelle Nullstellen sind.
Beweis. Der Beweis erfolgt mit Hilfe des Fundamentalsatzes der Algebra, der die Zer-
legung von Q in Linearfaktoren liefert (siehe z.B. [19, Abschnitt 4.3]).
G 0
Beispiel x 2(x − 2)
Berechne 2
dx !
−1 (x − 1)
! 28
Uneigentliche Integrale
Es gibt zwei Fälle von uneigentlichen Integralen: Entweder kann das Integrationsin-
tervall unendlich sein, oder das Integrationsintervall ist beschränkt, aber die Funktion
darauf ist unbeschränkt.
(i) für I = [a, b) oder [a, ∞) bzw. I = (a, b] oder (−∞, b] durch
G b G ˇ G b G b
f (x) dx := lim f (x) dx, f (x) dx := lim f (x) dx,
a ˇ!b a a ˛"a ˛
Man nennt das uneigentliche Integral konvergent, falls die Grenzwerte jeweils exis-
tieren,
H andernfalls divergent, und absolut konvergent, wenn das uneigentliche Inte-
gral I |f (x)| dx konvergent ist.
28 Uneigentliche Integrale 123
Bemerkung. – Es gelten die gleichen Rechenregeln wie für Riemann-Integrale
(Proposition VIII.13); insbesondere folgt, dass Definition VIII.27 (ii) unabhängig
von der Wahl von c ist.
G ∞ = 1 Beispiel VIII.28
1 , s > 1,
– dx s−1
1 xs ist divergent, s ≤ 1.
Beweis. Die Behauptung folgt mit den Rechenregeln für Integral und Limes (Proposi-
tion VIII.13 und Satz IV.36).
Integralvergleichskriterium für Reihen. Ist f : [1, ∞) → [0, ∞) monoton fal- Satz VIII.30
lend, so gilt:
∞
' G ∞
f (n) konvergent ⇐⇒ f (x) dx konvergent.
n=1 1
∞
6
Beispiel VIII.31 ' 1 konvergent für s > 1,
n=1
ns divergent für s ≤ 1,
folgt sofort aus dem Integralvergleichskriterium (SatzVIII.30) und Beispiel VIII.28.
Diese Reihe kann man auch für komplexe s ∈ C definieren, und sie konver-
giert dann für Re s > 1; durch „analytische Fortsetzung“ erhält man daraus die
Riemannsche Zeta-Funktion ): C \ {1} → C. Die noch immer nicht bewiesene
Riemannsche Vermutung 2 sagt ([3, Abschnitt VI.6]):
! 29
Konvergenz von Funktionenfolgen und -reihen
Funktionen müssen oft durch einfachere Funktionen (z.B. Polynome) approximiert
werden. Wie misst man die Güte einer solchen Approximation, und wie verhalten sich
Ableitung, Stetigkeit und Integral bei einer solchen Approximation:
G b G b
fn (x) dx −−−−→ f (x) dx ?
a n→∞ a
???
fn −−−−→ f &⇒ fn stetig &⇒ f stetig ?
n→∞
f ) (x) −−−−→ f ) (x) ?
n n→∞
Definition VIII.32 und Bemerkung. Sind X eine Menge und (E, 8 · 8) ein normierter Raum, so setzt
man
B(X, E) := {f : X → E: f beschränkt},
!
8f 8∞ := sup 8f (x)8: x ∈ X}, f ∈ B(X, E).
Dann ist 8·8∞ eine Norm auf B(X, E) und heißt Supremumsnorm. Ist E vollständig,
so ist auch B(X, E) vollständig (Aufgabe VIII.8).
2 Sie ist eines der sieben „Millenium Prize Problems“ des Clay Mathematics Institute, das für ihren Beweis
:⇐⇒ ∀ " > 0 ∀ x ∈ X ∃ N = N(x, ") ∈ N ∀ n ≥ N: 8fn (x) − f (x)8 < ";
glm.
(ii) gleichmäßig konvergent gegen f , fn −−−−→ f
n→∞
Geometrisch heißt gleichmäßige Konvergenz, dass es für jedes " > 0 ein N ∈ N gibt, so
dass für alle n ≥ N die Graphen der fn im "-Streifen um den Graphen der Grenzfunk-
tion f liegen (Abb. 29.1).
fn (x)
ε
ε
f (x)
x
(i) Damit sind auch punktweise und gleichmäßige Konvergenz von Funktio- Bemerkung VIII.34
∞
'
nenreihen fk definiert (mittels Partialsummenfolge);
k=1
glm. pktw.
(ii) fn −−−−→ f &⇒ fn −−−−→ f (aber nicht umgekehrt);
n→∞ n→∞
pktw.
(iii) fn −−−−→ f ⇐⇒ ∀ x ∈ X: 8fn (x) − f (x)8 −−−−→ 0;
n→∞ n→∞
glm.
(iv) fn −−−−→ f ⇐⇒ 8fn − f 8∞ −−−−→ 0.
n→∞ n→∞
Satz VIII.35 Es seien (X, d) metrischer Raum, (E, 8 · 8) normierter Raum und fn , f : X → E,
n ∈ N. Dann gilt:
glm.
fn −−−−→ f , fn stetig &⇒ f stetig.
n→∞
Beweis. Es seien x0 ∈ X und " > 0 beliebig. Wegen der gleichmäßigen Konvergenz der
Folge (fn )n∈N existiert ein N ∈ N mit
"
∀ n ≥ N: 8fn − f 8∞ < .
3
Da fN stetig in x0 ist, existiert ein ı > 0 mit
"
∀ x ∈ X, d(x, x0) < ı: 8fN (x) − fN (x0 )8 < .
3
Damit folgt für x ∈ X mit d(x, x0) < ı:
8f (x) − f (x0 )8 ≤ 8f (x) − fN (x)8 + 8fN (x) − fN (x0 )8 + 8fN (x0 ) − f (x0 )8 < ".
- ./ 0 - ./ 0 - ./ 0
≤8f −fN 8∞ < "3 < "3 ≤8fN −f 8∞ < "3
Beweis. Nach Satz VIII.35 ist f stetig, also sind f und fn Riemann-integrierbar. Mit
Proposition VIII.13 (i), Satz VIII.16 und der gleichmäßigen Konvergenz folgt:
&G G b & G
& b & b& &
& & & n→∞
& fn (x) dx − f (x) dx & ≤ fn (x)−f (x)& dx ≤ 8fn − f 8∞ (b − a) −−−−→ 0.
& a a & a
Speziell für Funktionenreihen gibt es einen recht einfachen Test auf absolute und
gleichmäßige Konvergenz:
Kriterium von Weierstraß. Es seien X eine Menge, (E, 8 · 8) ein vollständiger Satz VIII.38
normierter Raum (z.B. E = R oder C) und gk : X → E beschränkt, k ∈ N. Gilt
∞
'
8gk 8∞ < ∞, (29.1)
k=1
=∞
so konvergiert k=1 gk absolut und gleichmäßig in E.
Wegen 8gk (x)8 ≤ 8gk 8∞ < ∞, x ∈ X, und nach Voraussetzung (29.1) kon-
Beweis. =
vergiert ∞k=1 gk (x) absolut nach dem Majoranten-Kriterium (Satz V.36). Setze
n
' ∞
'
fn (x) := gk (x), f (x) := gk (x), x ∈ X, n ∈ N.
k=1 k=1
glm.
Zu zeigen ist fn −−−−→ f . Für beliebiges " > 0 gibt es wegen (29.1) ein N ∈ N mit
n→∞
∞
'
∀ n ≥ N: 8gk 8∞ < ".
k=n+1
Dann folgt für alle n ≥ N und alle x ∈ X mit der verallgemeinerten Dreiecksunglei-
chung (Proposition V.35):
8 8 8 8
∞
' 8
8
∞
' 8 8 ∞
'
8fn (x) − f (x)8 = 8 gk (x)8 ≤ 8gk (x)8 ≤ 8gk 8∞ < ".
k=n+1 k=n+1 k=n+1
128 VIII Integralrechnung in R
∞
Beispiel VIII.39 1 ' cos(2k$x)
B2 (x) := 2 konvergiert absolut und gleichmäßig auf R, da nach
$ k2
k=1
Beispiel V.21 gilt:
'∞
1
2
< ∞.
k=1
k
Tatsächlich ist B2 (x) = x 2 − x + 16 das zweite der Bernoulli-Polynome Bn , die z.B. bei
der Berechnung der Werte der Riemannschen Zeta-Funktion (Beispiel VIII.31) an
geradzahligen Stellen auftreten ([18, Abschnitt 41]):
∞
' ∞
'
1 (2$)2n 1 $2
)(2n) = = |B2n (0)|, n ∈ N; speziell: = .
k 2n 2(2n)! k2 6
k=1 k=1
Die wichtigste Anwendung für das Kriterium von Weierstraß sind Potenzreihen.
Der folgende Satz ist eine wichtige Vorbereitung für die Funktionentheorie oder Kom-
plexe Analysis, in der es um Funktionen von C nach C geht (siehe z.B. [11, Ab-
schnitt III.2]):
=
Satz VIII.40 Für eine Potenzreihe f (z) := ∞ k
k=0 ak (z − a) mit Koeffizienten ak ∈ C, k ∈ N, und
Konvergenzradius R > 0 gilt für jedes 0 < , < R:
∞
'
(i) z 2→ ak (z −a)k konvergiert absolut und gleichmäßig auf B, (a) gegen f ,
k=0
'∞
(ii) z 2→ kak (z −a)k−1 konvergiert absolut und gleichmäßig auf B, (a) gegen f ).
k=1
Behauptung (i) für f folgt mit Hilfe der geometrischen Reihe aus dem Kriterium von
Weierstraß (Satz VIII.38). Analog zeigt man, dass die Potenzreihe in (ii) absolut und
gleichmäßig auf B, (a) konvergiert; dass die Grenzfunktion f ) ist, folgt aus Satz VIII.37,
weil gk) (x) = kak (z − a)k−1, z ∈ C, k ∈ N.
Beweis. Die Behauptung folgt aus den Sätzen VIII.40, VIII.36 und VIII.37.
29 Gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen 129
Die Potenzreihen Beispiel VIII.42
∞
' ∞
'
z 2k+1 z 2k
sinh(z) := , cosh(z) := , z ∈ C,
(2k + 1)! (2k)!
k=0 k=0
Übungsaufgaben
VIII.1. Beweise die Eigenschaften des Riemann-Integrals aus Proposition VIII.12 und VIII.13.
, 1
VIII.2. Bestimme mit Hilfe von Ober- und Untersummen x 2 dx!
−1
√
VIII.3. Zeige, dass die Funktion f (x) = x 1 + x, x ∈ [0, 1], Riemann-integrierbar auf [0, 1] ist,
und berechne ihr Riemann-Integral auf drei Weisen:
√
a) mit den Substitutionen '1 (x) = 1 + x und '2 (x) = tan2 (x);
b) mit partieller Integration.
, 1
1
VIII.4. Für welche s ∈ R konvergiert das Integral dx und warum?
0 xs
VIII.7. Leite mit Hilfe von Satz VIII.40 die Potenzreihe von arctan her (denke an die Ablei-
tung von arctan ....) und daraus den Wert der alternierenden harmonischen Reihe (Bei-
spiel IV.12 und Aufgabe VI.4):
∞
! 1 $
(−1)k = .
k=0
2k + 1 4
VIII.8. Beweise, dass der Raum der beschränkten Funktionen B(X, E) auf einer Menge X mit
Werten in einem vollständigen normierten Raum E mit der Supremumsnorm 8 · 8∞
(Definition VIII.32) ein vollständiger normierter Raum ist.
VIII.9. Zeige, dass für die hyberbolischen Funktionen sinh und cosh für x, y ∈ R folgende
Identitäten gelten:
130 VIII Integralrechnung in R
1
* + 1
* +
a) sinh(x) = 2
exp(x) − exp(−x) , cosh(x) = 2
exp(x) + exp(−x) ;
b) cosh2 (x) − sinh2 (x) = 1;
c) sinh(x + y) = cosh(x) sinh(y) + cosh(y) sinh(x);
d) cosh(x + y) = cosh(x) cosh(y) + sinh(x) sinh(y).
Wie hängen sinh und cosh mit sin und cos zusammen?
VIII.10. Bestimme jeweils eine Stammfunktion für den Tangens hyperbolicus und den Cotan-
gens hyberbolicus:
sinh cosh
tanh: R → R, tanh := , coth: R \ {0} → R, coth := .
cosh sinh
Skizziere die Graphen der hyperbolischen Funktionen sinh, cosh, tanh, coth auf R!
IX Taylorpolynome und -reihen
! 30
Taylorpolynome
Die Grundidee der Taylorapproximation versteht man am besten, wenn man die er-
sten beiden Schritte „zu Fuß“ überlegt. Dazu sei I ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall,
f : I → R eine Funktion und x0 ∈ I fest.
(1) Ist f einmal stetig differenzierbar, liefert der Fundamentalsatz der Differential-
und Integralrechnung (Korollar VIII.22):
G x
f (x) = f (x0 ) + f ) (t) dt, (30.1)
- ./ 0 x0
=:P0 (x) - ./ 0
(Polynom 0. Grades) =:R0 (x) („Rest“)
f (x)
R1 (x)
P1 (x)
Tangente von f in x0
x0 x
Beweis (durch vollständige Induktion nach n). Der Fall n = 0 war in (30.1) gezeigt. Im
Induktionsschritt gehen wir genau wie in Schritt (2) oben vor:
n " n + 1: Nach Induktionsvoraussetzung und mit partieller Integration folgt:
G
1 x (n+1)
Rn (x) = f (t)(x − t)n dt
n! x0
:I ;
n+1 Jt=x G x n+1
1 (x − t) (x − t)
= −f (n+1)(t) + f (n+2) (t) dt
n! n+1 t=x0 x0 n+1
G x
f (n+1)(x0 ) 1
= (x − x0 )n+1 + f (n+2)(t)(x − t)n+1 dt .
(n + 1)! (n + 1)! x0
- ./ 0
=Rn+1 (x)
Definition IX.2 Für n ∈ N0 , f ∈ C n (I, C) und x0 ∈ I ist das Taylorpolynom der Ordnung n von f in
x0 definiert als
) f (n) (x0 )
Pn (x) := f (x0 ) + f (x0 )(x − x0 ) + · · · + (x − x0 )n
n!
' n
f (k) (x0 )
= (x − x0 )k , x ∈ I.
k!
k=0
1 Brook Taylor, ∗ 18. August 1685 in Edmonton, 29. Dezember 1731 in Somerset House, London, eng-
lischer Mathematiker, der neben der erst Jahrzehnte später durch Lagrange gewürdigten Taylorentwicklung
die Finite-Differenzen-Methode erfand.
30 Taylorpolynome 133
Wir wissen bereits, dass f ) = 0 genau dann gilt, wenn f konstant, also ein Polynom vom
Grad 0, ist (Korollar VII.20). Jetzt können wir allgemeiner zeigen:
Es seien n ∈ N0 , f ∈ C n (I, C) und x0 ∈ I. Dann existiert genau ein Polynom P vom Proposition IX.4
Grad ≤ n mit
P (k)(x0 ) = f (k) (x0 ), k = 0, 1, . . . , n,
nämlich das Taylorpolynom Pn der Ordnung n von f in x0 .
Es seien n ∈ N0 , f ∈ C n+1 (I, R) und x0 , x ∈ I. Dann existiert ein " ∈ (x0 , x) bzw. Satz IX.5
(x, x0 ) mit
f (n+1) (")
Rn (x) = (x − x0 )n+1 (Lagrangesche2 Form des Restgliedes).
(n + 1)!
Korollar IX.6 Sind I ⊂ R Intervall, f ∈ C n+1 (I, R), x0 ∈ I, und gibt es K ≥ 0 mit
| f (n+1) (t)| ≤ K , t ∈ I, (30.2)
so gilt
K
|Rn (x)| ≤ |x − x0 |n+1 , x ∈ I.
(n + 1)!
Bemerkung. Ist I ein abgeschlossenes Intervall, gilt (30.2) nach Satz VI.37 vom
Minimum
! (n+1)und Maximum immer; "insbesondere gilt für jedes ı > 0 mit K :=
max | f (t)|: t ∈ [x0 − ı, x0 + ı] :
K
|Rn (x)| ≤ ı n+1 , x ∈ [x0 − ı, x0 + ı].
(n + 1)!
In Satz VII.24 (ii) haben wir lokale Extrema x0 mit Hilfe des Vorzeichens von f )) (x0 )
klassifiziert, falls f )) (x0 ) -= 0 war. Die Lagrangesche Restgliedformel erlaubt uns nun
eine Verallgemeinerung auf den Fall f (n+1) (x0 ) -= 0 für ein beliebiges n ∈ N.
Beweis. Es sei etwa f (n+1) (x0 ) > 0 (sonst betrachte −f ). Da f (n+1) nach Voraussetzung
stetig ist, existiert ein ı > 0, so dass
∀ x ∈ (x0 − ı, x0 + ı): f (n+1) (x) > 0.
Nach der Taylorschen Formel (Satz IX.1) und mit Voraussetzung (30.3) folgt:
f (x) = f (x0 ) + Rn (x), x ∈ (x0 − ı, x0 + ı).
n ungerade (d.h. n + 1 gerade): Nach Satz IX.5 gibt es ein " ∈ (x0 − ı, x0 + ı) mit
1
Rn (x) = f (n+1)(") (x − x0 )n+1 ≥ 0 &⇒ x0 lokales Minimum. (30.4)
(n + 1)! - ./ 0 - ./ 0
>0 ≥0
n gerade (d.h. n + 1 ungerade): Dann wechselt in (30.4) der Faktor (x − x0 )n+1 in (30.4)
das Vorzeichen auf (x0 − ı, x0 + ı) in x0 , also folgt jetzt
6
≥ 0, x ∈ (x0 , x0 + ı)
Rn (x) = &⇒ x0 keine lokale Extremstelle.
< 0, x ∈ (x0 − ı, x0 )
30 Taylorpolynome 135
Zur qualitativen Formulierung der Taylorschen Formel (d.h. ohne genaue Konstanten
in den Restgliedabschätzungen) ist die folgende Schreibweise nützlich.
Landausche3 Symbole. Es seien (X1 , 8 · 81), (X2 , 8 · 82) normierte Räume (z.B. R Definition IX.8
oder C), D ⊂ X1 , f , g: D → X2 und a Häufungspunkt von D. Dann schreibt man
für x → a:
(i) f (x) = O(g(x)) :⇐⇒ ∃ ı > 0 ∃ C > 0 ∀ x ∈ D, 8x − a81 < ı:
8f (x)82 ≤ C8g(x)82,
8f (x)82
(ii) f (x) = o(g(x)) :⇐⇒ lim x→a = 0.
8g(x)82
Nach Korollar IX.6 gilt Rn (x) = O((x − x0 )n+1 ) = o((x − x0 )n ), x → x0 , also lässt Bemerkung IX.10
sich die Taylorsche Formel qualitativ schreiben als
(n) 1
) f (x0 ) n O((x − x0 )n+1 ),
f (x) = f (x0 ) + f (x0 )(x − x0 ) + · · · + (x − x0 ) +
n! o((x − x0 )n ).
Wir wollen die Restgliedabschätzungen aus Korollar IX.6 jetzt bei unserem anfängli-
chen Beispiel sin(x) ≈ x für „kleine“ x testen:
3 Edmund Landau, ∗ 14. Februar 1877, 19. Februar 1938 in Berlin, deutscher Mathematiker, im Dritten
Reich bereits 1933/34 von seiner Professur aus Göttingen vertrieben, machte sich sehr um die analytische
Zahlentheorie verdient.
136 IX Taylorpolynome und -reihen
Die Restglieder Rn (x) = sin(x) − Pn (x) für n = 2k − 1, 2k können mit Hilfe von
|sin(x)|, |cos(x)| ≤ 1, x ∈ R, nach Korollar IX.6 abgeschätzt werden durch
1
|R2k−1 (x)| = |R2k (x)| ≤ |x|2k+1 .
(2k + 1)!
Also gilt z.B. für I = [−0.1, 0.1]:
1 3 (0.1)3
| sin(x) − x| = |R1 (x)| ≤ |x| ≤ = 0.000166666 . . . , x ∈ [−0.1, 0.1] .
3! 3!
Die Restglieder Rn (x) = exp(x) − Pn (x) schätzt man für x ∈ I = [−1, 1] mit Korol-
lar IX.6 ab. Da exp streng monoton wächst (Satz VI.44), folgt mit Aufgabe III.1 c):
n
' 1
| exp(x)| ≤ | exp(1)| = e = lim ≤ 3, x ∈ [−1, 1], (30.6)
n→∞ k!
k=1
also folgt
3 3
|Rn (x)| ≤ |x|n+1 ≤ , x ∈ [−1, 1]. (30.7)
(n + 1)! (n + 1)!
Wir benutzen zur analytischen Approximation von e = exp(1) das Taylorpolynom
%n (1).
Pn (1) und als numerische Näherung für Pn (1) eine endliche Dezimalzahl P
Gesucht ist also n ∈ N so, dass
%n (1)| ≤ | exp(1) − Pn (1)| + |Pn(1) − P
| exp(1) − P %n (1)| < 10−6 . (30.8)
- ./ 0 - ./ 0 - ./ 0
Analysis Numerik Forderung!
Es ist n!
1 1 1 n! + n! + 2 + n!
3! + · · · + 1
Pn (1) = 1 + 1 + + + · · · + = .
2 3! n! - n!
./ 0
Der Zähler dieses Bruches ist in N
31 Taylorreihen 137
%n (1) auf 6 Nachkommastellen genau, ist |Pn (1)− %
Ist P Pn(1)| < 0.5·10−6 (dazu muss
%n (1) mindestens 7 Nachkommastellen haben, und die 6. und 7. Stelle dürfen nicht
P
0 sein; z.B. kann 3.0123400 durch Rundung 3.012339988 2→ 3.0123400 entstehen).
Wegen der Abschätzung (30.7) gilt dann (30.8), wenn n ∈ N so groß ist, dass auch
3
|Rn (1)| = | exp(1) − Pn (1)| ≤ < 0.5 · 10−6 .
(n + 1)!
Man prüft leicht nach, dass das kleinste n mit dieser Eigenschaft n = 10 ist. Wegen
P10 (1) = 2.71828180114 ist dann P %10 (1) = 2.7182818 eine auf mindestens 6
(tatsächlich sogar 7) Nachkommastellen genaue Darstellung von e.
! 31
Taylorreihen
Das vorige Beispiel zeigt, dass die Taylorpolynome der Ordnung n von exp in 0 nichts
anderes sind als die n-ten Partialsummen der Potenzreihe, die exp definiert:
∞
' xk
exp(x) = = lim Pn (x), x ∈ R,
k! n→∞
k=0
(siehe (30.5) und Satz IX.1). Gilt dies auch für andere Funktionen?
Taylorreihe von f in x0 . Gibt es ein ı > 0 mit Tf ,x0 (x) → f (x), x ∈ (x0 − ı, x0 + ı),
so sagt man, f besitzt eine Taylorentwicklung in x0 .
138 IX Taylorpolynome und -reihen
Bemerkung IX.14 Der Konvergenzradius der Taylorreihe kann 0 sein (Aufgabe IX.4). Auch wenn die
Taylorreihe konvergiert, muss sie nicht gegen f konvergieren:
Proposition IX.15 Es seien I ⊂ R ein Intervall, f ∈ C ∞ (I, C), x0 ∈ I und ı > 0. Dann gilt für
x ∈ (x0 − ı, x0 + ı):
n→∞ n→∞
Tf ,x0 (x) −−−−→ f (x) ⇐⇒ Rn (x) −−−−→ 0.
Beweis. Die Behauptung folgt direkt aus der Taylorschen Formel (Satz IX.1) im Grenz-
wert n → ∞, denn danach gilt:
n
' f (k) (x0 )
f (x) − (x − x0 )k = Rn (x), n ∈ N.
k!
k=0
mit ak ∈ C. Dann stimmt die Potenzreihe mit der Taylorreihe überein, d.h., es gilt
f (k) (x0 )
ak = , k ∈ N0 .
k!
Beweis. Für x ∈ (−1, 1) liefern Integration und geometrische Reihe (Beispiel V.17):
G x G x' ∞
B C t=x 1
ln(1 + x) = ln(1 + t) t=0 = dt = (−1)k t k dt.
0 1+t 0 k=0
Da der Konvergenzradius der geometrischen Reihe 1 ist, dürfen wir nach Korol-
lar VIII.41 gliedweise integrieren und erhalten
'∞ G x '∞ k+1 ∞
' k
k k k x k−1 x
ln(1 + x) = (−1) t dt = (−1) = (−1) .
0 k+1 k
k=0 k=0 k=1
Für x = 1 folgt Gleichheit aus dem folgenden Abelschen Grenzwertsatz (Satz IX.20),
weil die alternierende harmonische Reihe konvergiert (Beispiel V.24).
Die alternierende harmonische Reihe (Beispiel V.24) hat den Wert Korollar IX.19
'∞
(−1)k−1 1 1 1
ln(2) = = 1− + − +··· .
k 2 3 4
k=1
=∞
Abelscher4 Grenzwertsatz. Sind (ak )k∈N0 ⊂ R und k=0 ak konvergent, so kon- Satz IX.20
vergiert die Potenzreihe
∞
'
ak x k =: f (x) (31.2)
k=0
für x ∈ [0, 1] und stellt eine auf [0, 1] stetige Funktion f dar.
Beweis. Nach Voraussetzung und Lemma V.49 ist der Konvergenzradius von (31.2)
mindestens 1, also folgt die Behauptung für alle x ∈ [0, 1) nach Satz VI.13. Da der
Punkt x = 1 auf dem Rand des Konvergenzkreises liegen kann, ist noch zu zeigen, dass
4
Niels Henrik Abel, ∗ 5. August 1802 auf der Insel Finnøy, 6. April 1829 in Froland, norwegischer
Mathematiker, der sich mit elliptischen Integralen beschäftigte und zeigte, dass es für algebraische Gleichun-
gen 5. Ordnung keine Lösungsformel geben kann; der nach ihm benannte Abel-Preis ist der „Nobelpreis der
Mathematik“ (siehe www.abelprize.no).
140 IX Taylorpolynome und -reihen
Als Nullfolge ist (rn )n∈N insbesondere beschränkt, also existiert ein K > 0 mit
|rn | ≤ K , n = −1, 0, 1 . . . .
Bemerkung IX.22 Der Spezialfall ˛ = n ∈ N0 und k = 0, 1, . . . , n ist genau unsere frühere Definiti-
on II.13; für ˛ = n ∈ N0 , und k ≥ n + 1 ist
+ , ( k
n n−l+1
= = 0,
k l
l=1
da im Produkt rechts dann für l = n + 1 der Faktor 0 auftritt.
31 Taylorreihen 141
+ , + , + , Beispiele IX.23
˛ ˛ ˛ ˛(˛ − 1)
– = 1, = ˛, = .
0 1 2 2
+ , (k k
−1 −1 − l + 1 (
– = = (−1) = (−1)k , k ∈ N0 .
k l
l=1 l=1
Bemerkung. Für ˛ = n ∈ N0 ist nach Bemerkung IX.22 die Summe in der binomi-
schen Reihe endlich und reduziert sich auf den binomischen Lehrsatz (Satz II.16).
Beweis von Satz IX.24. Nach obiger Bemerkung ist nur für den Fall ˛ ∈ / N0 etwas zu
beweisen. Für f (x) := (1 + x)˛ , x ∈ R, und beliebiges k ∈ N0 gilt:
+ ,
˛
f (k) (x) = ˛(˛ − 1) · · · (˛ − k + 1)(1 + x)˛−k = k! (1 + x)˛−k .
k
Also ist die Taylorreihe von f in 0 gegeben durch
'∞ ∞ + , ∞
f (k)(0) k ' ˛ k '
Tf ,0(x) = x = x =: ak x k .
k=0
k! k=0
k k=0
also folgt
&+ ,& G x &+ ,&
& ˛ & & ˛ & n+1
&
|Rn (x)| ≤ (n + 1) & & Cx n
(x − t) dt ≤ C & & &x .
n+1 & n+1 &
0
= # ˛ $ n+1 ## ˛ $ n+1 $
Nach Behauptung 1 konvergiert ∞ n=0 n+1 x , also muss n+1
x n∈N
eine Null-
folge sein (Satz V.15), und es folgt Rn (x) → 0, n → ∞.
Beispiele IX.25 Mit Hilfe von Beispiel IX.23 sieht man jeweils für |x| < 1:
' ∞
1
– ˛ = −1: = (−1)k x k ,
1+x
k=0
'∞ ∞
'
1
= (−1)k (−x)k = x k (geometrische Reihe),
1−x
k=0 k=0
1 √ 1 1
– ˛= : 1 + x = 1 + x − x 2 + O(x 3 ),
2 2 8
1 1 1 3
– ˛=− : √ = 1 − x + x 2 + O(x 3 ).
2 1+x 2 8
! 32
Iterationsverfahren
Im „wirklichen Leben“ ist es eher selten, dass man Lösungen von Gleichungen wie
etwa Nullstellen explizit ausrechnen kann. Zum Beispiel können wir mit Hilfe des
Zwischenwertsatzes zwar zeigen, dass die Funktion (vgl. [2, Abschnitt IV.4])
1
g(x) = x 5 e|x| − x 2 sin(ln(x 2 )) + 2012, x ∈ R \ {0},
$
eine Nullstelle hat (finden Sie ein Intervall, wo diese liegen muss!). Wie aber bestimmt
man diese Nullstelle, zumindest näherungsweise?
x1 = f(x0)
x2 = f(x1)
x2 = f(x1) x1 = f(x0)
x0 x2 x4 x5 x3 x1 x5 x3 x1 x0 x2 x4
Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume. Dann heißt eine Funktion f : X → Y Definition IX.27
Kontraktion
# $
:⇐⇒ ∃ ! ∈ [0, 1) ∀ x1 , x2 ∈ X: dY f (x1 ), f (x2 ) ≤ ! dX (x1 , x2 ).
Banachscher Fixpunktsatz. Es seien (X, d), (Y , d) vollständige metrische Räume, Satz IX.29
X ⊂ Y , f : X → X eine Kontraktion mit Konstante ! und f (X) ⊂ X. Dann gilt:
(i) f hat genau einen Fixpunkt a ∈ X.
144 IX Taylorpolynome und -reihen
(ii) Die Folge (xn )n∈N0 ⊂ X, definiert durch xn+1 := f (xn ), n ∈ N0 , konvergiert für
jeden Startwert x0 ∈ X gegen a.
Beweis. Wir zeigen zuerst zwei Behauptungen; die erste ist Ungleichung (2) aus (iii):
Behauptung 1: d(xn+1 , xn ) ≤ ! n d(x1, x0 ), n ∈ N0 .
Beweis (durch vollständige Induktion): Der Fall n = 0 ist offensichtlich.
n " n + 1: Weil f eine Kontraktion ist, gilt nach Definition von (xn )n∈N0 und Indukti-
onsvoraussetzung:
1 # $
Behauptung 2: d(x, y) ≤ d(x, f (x)) + d(y, f (y)) , x, y ∈ X.
1−!
Beweis: Zweimalige Anwendung der Dreiecksungleichung liefert für x, y ∈ X:
(i) Eindeutigkeit des Fixpunkts: Es seien x, y ∈ X mit x = f (x), y = f (y). Aus Behaup-
tung 2 folgt d(x, y) = 0, also x = y.
Existenz des Fixpunkts und (ii): Aus Behauptung 2 mit x := xn+k und y := xn , n, k ∈ N0 ,
und mit Behauptung 1 ergibt sich, da ! < 1:
Beh. 2 1 # $
d(xn+k , xn ) ≤ d(xn+k , f (xn+k )) + d(xn , f (xn ))
1−!
1 # $
= d(xn+k , xn+k+1 ) + d(xn , xn+1 )
1−!
Beh. 1 1 # $
n+k n
≤ ! +! d(x1 , x0 )
1 − ! -./0
≤!n
2! n
≤ d(x1 , x0 ) −→ 0, n → ∞.
1−!
32 Iterationsverfahren 145
Also ist (xn )n∈N eine Cauchy-Folge in X. Da X vollständig ist, existiert der Limes
a := limn→∞ xn ∈ X. Nach Bemerkung IX.28 ist f als Kontraktion stetig, also gilt:
Die Frage, wie „gut“ ein Iterationsverfahren konvergiert, ist eine der zentralen Fragen
der Numerik (siehe z.B. [23]), die wir hier nur streifen:
Newton5 -Verfahren. Darunter versteht man einen speziellen Fall der Methode der
sukzessiven Approximation zur Nullstellenbestimmung (Newtons Originalbeispiel von
1704 war x 3 −2x−5 = 0). Dabei benutzt man die lineare Approximierbarkeit (Taylorsche
Formel mit n = 1) für die Konstruktion der approximierenden Folge:
Dann hat g genau eine Nullstelle in [a, b], denn weil g ) stetig ist, ist entweder g ) > 0 oder
g ) < 0 auf [a, b]. Wählt man xn+1 als die (eindeutige) Nullstelle des Taylorpolynoms
P1 in xn ,
5
Sir Isaac Newton, ∗ 4. Januar 1643 in Woolsthorpe-by-Colsterworth, England, 31. März 1727 in
London, englischer Physiker und Mathematiker und einer der größten Wissenschaftler überhaupt, Begründer
der Differential- und Integralrechnung in Konkurrenz mit Leibniz und bekannt für seine Entdeckungen in
Optik und Gravitation.
146 IX Taylorpolynome und -reihen
g
P1 in x0
P1 in x0
g
P1 in x1
P1 in x1
a ξ x0 b
a ξ x2 x 1 x0 b x1
Satz IX.31 Es sei g ∈ C 2 ([a, b], R) mit g ) (x) -= 0, x ∈ [a, b], und es existiere ein " ∈ (a, b) mit
g(") = 0. Dann gibt es ein ı > 0, so dass für jedes x0 ∈ (" − ı, " + ı) = Bı (") die
Folge (xn )n∈N0 , gegeben durch
g(xn )
xn+1 := xn − , n ∈ N0 , (32.1)
g ) (xn )
|f (x0 ) − x0 | ≤ (1 − !) r,
so hat f genau einen Fixpunkt, und die Methode der sukzessiven Approximation aus
Satz IX.29 mit Startwert x0 konvergiert.
Beweis. Wir wenden den Banachschen Fixpunktsatz (Satz IX.29) und die nachfolgende
Bemerkung IX.30 mit X = Kr (x0 ), Y = R an. Dazu ist zu zeigen:
Behauptung 1: (Kr (x0 ), d), d(x, y) := |x − y|, ist ein vollständiger metrischer Raum.
Beweis: Dazu sei (yn )n∈N0 ⊂ Kr (x0 ) eine Cauchy-Folge. Weil (R, d) vollständig ist,
existiert + := limn→∞ yn ∈ R. Noch zu zeigen ist, dass + ∈ Kr (x0 ). Wegen x0 − r ≤
yn ≤ x0 + r folgt aus Korollar IV.37 sofort
x0 − r ≤ + = lim yn ≤ x0 + r.
n→∞
# $
Behauptung 2: f {xn : n ∈ N0 } ⊂ Kr (x0 ).
32 Iterationsverfahren 147
Beweis: Nach Behauptung 1 aus dem Beweis von Satz IX.29 und mit der geometrischen
Summenformel (Satz II.7) ergibt sich:
|f (xn ) − x0 | = |xn+1 − x0 |
≤ |xn+1 − xn | + |xn − xn−1 | + · · · + |x2 − x1 | + |x1 − x0 |
≤ (! n + ! n−1 + · · · + ! + 1)|x1 − x0 |
1 − ! n+1
= |f (x0 ) − x0 | ≤ (1 − ! n+1 ) r ≤ r.
1 − ! - ./ 0
≤(1−!)r n. Vor.
Nach Satz IX.29 und Bemerkung IX.30 folgt dann die Behauptung.
Beweis von Satz IX.31. Ziel ist es zu zeigen, dass es ein ı > 0 gibt, so dass für alle
x0 ∈ (" − ı, " + ı) ein r > 0 existiert, so dass die Funktion
g(x)
f (x) := x − , x ∈ [a, b],
g ) (x)
die Voraussetzungen von Lemma IX.32 erfüllt. Nach Satz VI.37 vom Minimum und
Maximum und wegen g ) -= 0 existieren Konstanten C1 , C2 , c > 0 mit
Da f ∈ C 1 ([a, b], R) ist, können wir Bemerkung IX.28 (iii) benutzen, um zu zeigen,
dass f eine Kontraktion ist. Nach Definition von f und Quotientenregel gilt:
C2
|f ) (x)| ≤ |g(x)|, x ∈ [a, b].
c2
Mit g(") = 0, dem Mittelwertsatz und mit (32.2) ergibt sich
C1 C2 1
K" (") = [" − ", " + "] ⊂ [a, b] und " ≤ .
c2 2
C1 C2 C1 C2 1
|f ) (x)| ≤ |x − "| ≤ " ≤ , x ∈ [" − ", " + "].
c2 c2 2
Nach Bemerkung IX.28 (iii) ist dann f Kontraktion auf [" − ", " + "] = K" (") mit
Kontraktionskonstante ! = 12 .
148 IX Taylorpolynome und -reihen
Um Lemma IX.32 anwenden zu können, müssen wir noch r > 0 und ı > 0 finden, so
dass für alle x0 ∈ Bı (") gilt Kr (x0 ) ⊂ K" (") und |f (x0 ) − x0 | ≤ r/2.
cr r
Setze r := "2 und ı := 2C 1
. Wegen 0 < c ≤ C 1 ist ı ≤ 2
= "
4
, und für jedes beliebige
x0 ∈ Bı (") und x ∈ Kr (x0 ) folgt:
" "
|x − "| ≤ |x − x0 | + |x0 − "| < r + ı ≤ + < ",
- ./ 0 - ./ 0 2 4
≤r <ı
also ist Kr (x0 ) ⊂ K" ("). Weiter gilt nach Definition von f für x0 ∈ Bı ("):
& &
& g(x0 ) & (32.3), (32.2) C1 C1 ı r
|f (x0 ) − x0 | = && ) & ≤ |x − "| ≤ = .
g (x0 ) &
0
c c 2
Insgesamt erfüllt f für jedes x0 ∈ Bı (") die Voraussetzungen von Lemma IX.32 auf
Kr (x0 ), also hat f genau einen Fixpunkt ˛ ∈ Kr (x0 ) und limn→∞ xn = ˛. Da
g )(x) -= 0
f (x) = x ⇐⇒ g(x) = 0,
gilt g(˛) = 0. Weil g wegen g ) -= 0 auf [a, b] nur eine Nullstelle hat, folgt ˛ = ".
denn für n ∈ N0 existiert nach Satz IX.5 (Lagrangesche Form des Taylorschen Rest-
glieds) ein +n ∈ (", xn ) bzw. (xn , "), so dass
) g ))(+n )
0 = g(") = g(xn ) + g (xn )(" − xn ) + (" − xn )2 .
2
Mit den Bezeichnungen aus dem Beweis von Satz IX.31 folgt dann:
& ) * & & )) &
& g(xn ) & 1 & g (+n ) &&
& 2 C2
|" − xn+1 | = &" − xn − ) &= & ) & |" − xn | ≤ |" − xn |2 .
g (xn ) 2 g (xn ) 2c
Im Spezialfall, dass g konvex oder konkav ist, kann man die Konvergenz der Newton-
Iteration aus Satz IX.31 auch direkt zeigen:
Proposition IX.33 Ist in Satz IX.31 zusätzlich g konvex (bzw. konkav) und x0 ∈ (a, b) mit g(x0 ) > 0
(bzw. g(x0 ) < 0), so konvergiert die Folge aus (32.1) gegen ".
Beweis. Die Behauptung kann ohne Satz IX.31 gezeigt werden (Aufgabe IX.6)!
√ 1
Anwendung. Approximation von Wurzeln k a = a k mit a > 0, k ≥ 2:
√
Nach Definition ist k a die (eindeutige) positive Nullstelle der Funktion
xnk − a ) 1* a
xn+1 := xn − k−1 = 1 − xn + k−1 , n ∈ N0 ,
kxn k kxn
√
gegen k
a (vgl. Proposition IV.44). Speziell für k = 2 konvergiert
1) a*
xn+1 = xn + , n ∈ N0 ,
2 xn
√
gegen a (vgl. den direkten Beweis in Satz IV.42 und Tabelle 32.2 für a = 2).
√
Tabelle 32.2: Konvergenz der Newton-Iteration gegen a für a = 2
√
n xn | 2 − xn |
0 1 0.41421356237309504880168872421
1 1.5 0.08578643762690495119831127579
2 1.4166666666666666666666666666 0.00245310429357161786497794245
3 1.4142156862745098039215686274 0.00000212390141475511987990324
4 1.4142135623746899106262955788 0.00000000000159486182460685468
5 1.4142135623730950488016896235 0.00000000000000000000000089929
6 1.4142135623730950488016887242 0.00000000000000000000000000000
Übungsaufgaben
IX.1. Zeige die Charakterisierung der Taylorpolynome in Proposition IX.4!
a) f : R → R, f (x) = (x 2 − 3x + 1)(x − 2) um x0 = 2,
$
b) g: R → R, g(x) = sin(x) um x0 = ,
2
2
c) h: R → R, h(x) = 1 − um x0 = 0,
exp(2x) + 1
sinh(x)
d) tanh: R → R, tanh(x) = um x0 = 0;
cosh(x)
was folgt aus c) und d)?
1
IX.5. Zeige, dass die Taylorreihe Tf ,0 (x) von f (x) = / N0 auch für −1 < x < 0
für ˛ ∈
(1 + x)˛
gegen f (x) konvergiert.
IX.6. Zeige die Konvergenz der Newton-Iteration in Proposition IX.33 für den Fall einer kon-
vexen Funktion g direkt!
Literaturverzeichnis
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152 Literaturverzeichnis
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[28] Tretter, C.: Analysis II. Mathematik Kompakt. Birkhäuser, Basel, 2012.
Abbildung 4 Definitionsbereich 4
Ableitung 89 deg 76
höhere 96 diam 25
Kettenregel 93 Differentialgleichung 100
linksseitige, rechtsseitige 97 Differentialquotient 89
Produkt- und Quotientenre- Differenz 6
gel 92 Differenzenquotient 89, 90
Absolutbetrag 19, 90 differenzierbar 89
einer komplexen Zahl 46 n-mal 96
-e Funktion 89
Abstand 23
einseitig 97
abzählbar 56
linksseitig, rechtsseitig 97
abzählbar unendlich 56 stetig 96
Addition 14 disjunkt 3
Anfangswertproblem 100 Distributivgesetz 14
Anordnung 9, 17 divergent 24, 50
archimedische 19 bestimmt 35
Approximation unbestimmt 35
sukzessive 143 Doppelreihensatz 62
approximierbar
linear 92 e 42
Äquivalenzklasse 36 Einschränkung einer Funktion 4
Element
Äquivalenzrelation 36
größtes, maximales 20
arccos 95
kleinstes, minimales 20
arcsin 95
"-Umgebung 24, 38
arctan 95 Euklidischer Algorithmus 6
Axiom 5 euklidisches Skalarprodukt 104
-e von Peano 5 Eulersche Formel 77
Archimedisches 19 Eulersche Zahl 42, 136
exp siehe Exponentialfunktion
beschränkt Exponentialfunktion 60, 64, 69, 77, 91,
-e Funktion 81 100, 103, 107, 139
Extremstelle
-e Menge 20, 25
globale 98
-e Folge 25
lokale 98
nach oben, unten 20
bijektiv 4 Fakultät 9
Bild einer Menge 4 Fixpunkt 142
Binomialkoeffizient 10, 140 Folge 24
binomischer Lehrsatz 11, 141 beschränkte 25
Bolzano 48 Cauchy- 26
divergente 24
Fibonacci- 22, 26, 35, 44
Cantors Konstruktion von R 37 geometrische 24
Cantorsches Diskontinuum 84 Häufungswert einer 28
Cauchy-Produkt 63 konstante 24
Cosinus 69, 77, 87, 94, 95, 139 konvergente 24
Cosinus hyperbolicus 129 monotone 40
Cotangens 119 Null- 32
Cotangens hyperbolicus 130 Teil- 28
Index 155
Funktion 4 Intervall 38
beschränkte 81 kompaktes 84
differenzierbare 89 Intervallschachtelung 43
Dirichlet- 73, 112
gleichmäßig stetige 85 kartesisches Produkt 3
hyberbolische 129, 130 kompakt 84
konkave 102 Komposition von Funktionen 4
konvexe 102 konjugierter Exponent 104
Lipschitz-stetige 73, 74, 85 Kontraktion 143
rationale 76, 93 konvergent 24, 50
Riemann-integrierbare 112 absolut 57, 122
(Riemannsche) Zeta- 124 gleichmäßig 125
Stamm- 118 punktweise 125
stetige 71 uneigentlich 35
Treppen- 110 Konvergenzradius 65
Umkehr- 4, 94 Körper 14
angeordneter 17
Gauß-Klammer 72, 80, 81 archimedisch angeordneter 19
geometrische Summenformel 7 vollständiger 21
gleichmächtig 56 Kriterium
Goldener Schnitt 44 Leibniz- 53
Grad Majoranten- 58
eines Polynoms 76 Quotienten- 59
Graph 4 von Leibniz 53
Grenzwert 24 von Riemann 112
einer Funktion 78 von Weierstraß 127
einer Funktion bei ∞ 82 Wurzel- 59
linksseitiger 80 kritischer Punkt 98
rechtsseitiger 80 Landausche Symbole 135
uneigentlicher 82 Limes 24
inferior 49
harmonische Reihe 51 superior 49
alternierende 54, 61, 139 Limes einer Funktion 78
Häufungspunkt 78 linear approximierbar 92
Häufungswert 28, 35, 78 Lipschitz-Konstante 73
ln 87
imaginäre Einheit 45 log a 87
Imaginärteil 46 Logarithmus 87, 95, 103, 107
Induktionsprinzip 5 Stammfunktion des 121
Infimum 21 lokal Riemann-integrierbar 122
injektiv 4
Integral 109 Mächtigkeit 56
Ober-, Unter- 110 Majorante 58
Riemann- 109, 112 Maximum
unbestimmtes 118 globales 98
uneigentliches 122 lokales 98
Integration Menge 3
durch Substitution 119 beschränkte 20, 25
partielle 120 kompakte 84
integrierbar 112 Mächtigkeit 56
156 Index
Metrik 23 Regel
diskrete 23 Ketten- 93
euklidische 23 Leibniz- 97
Minimum -n von L’Hôpital 106
globales 98 Produkt- 92
lokales 98 Quotienten- 92
Mittelwertsatz 99 Substitutions- 119
der Integralrechnung 115 Reihe 50
verallgemeinerter 105 absolut konvergente 57
modulo 36 alternierende 53
monoton alternierende harmonische 54,
streng ∼ fallend 101 61, 139
fallend 40, 81, 101 binomische 141
streng ∼ wachsend 101 divergente 50
wachsend 40, 81, 101 Exponential- 60, 137
Multiplikation 14 geometrische 51, 68, 142
harmonische 51
Nachfolger von n 5 konvergente 50
negativ 17 Logarithmus- 54, 139
Newton-Verfahren 145 Potenz- 64, 128
nichtnegativ 17 Taylor- 137
nichtpositiv 17 rekursive Definition 8
Norm 30 Repräsentant 36
euklidische 31 Restglied
Supremums- 124 Cauchysche Form 132
Lagrangesche Form 133
Obersumme 110
Riemann-Integral 109, 112
Partialbruchzerlegung 121 komplexwertiges 114
Partialsumme 50 Riemann-integrierbar 112
Partition 110 lokal 122
Pascalsches Dreieck 12 Riemannsche Vermutung 124
Permutation 9
$ 88 s(P, f ), S(P, f ) 110
Polynom 76, 83, 93 Satz
Bernoulli- 128 Abelscher Grenzwertsatz 139
Potenz Banachscher Fixpunktsatz 143
ganzzahlige 8, 16 Fundamentalsatz der
rationale 40, 42, 107 Differential- und Integral-
reelle 87, 107 rechnung 118
Potenzmenge 3 Identitätssatz für Potenzrei-
hen 68
Quadratwurzel 40, 148 Mittelwertsatz (MWS) 99
MWS der Integralrechnung 115
Raum Umordnungs- 61
Banach- 31 verallgemeinerter MWS 105
metrischer 23 vom Minimum und Maxi-
normierter 30 mum 84
Vektor- 29 von Bolzano-Weierstraß 48
vollständiger metrischer 28 von Rolle 99
Realteil 46 von Taylor 132
Index 157
Wohlordnungssatz 6 Stetigkeit und Monotonie
Zwischenwertsatz 83 der 86
Schranke Umordnung 61
größte untere 21 Ungleichung
kleinste obere 21 Bernoullische 18
obere 20 Cauchy-Bunyakovsky-
untere 20 Schwarzsche 104
Signum 18 Dreiecks- 19, 23, 47
Sinus 69, 77, 87, 94, 95, 139 Höldersche 104
Sinus hyperbolicus 129 Minkowskische 105
Skalar 29 verallgemeinerte Dreiecks- 58
Skalarprodukt 104 Youngsche 103
stetig 71 Untersumme 110
gleichmäßig 85 Urbild einer Menge 4
linksseitig, rechtsseitig 80
Lipschitz- 73, 74, 85 Vektor 29
stetige Fortsetzung einer Funktion 78 Verfeinerung einer Partition 110
streng monoton 81 vollständige Induktion 6
fallend 40, 81, 101 Vollständigkeit 21, 28, 37, 43, 50
wachsend 40, 81, 101 Vorzeichen 18
Supremum 21
surjektiv 4 Wertebereich 4
Wurzel 40, 148
Tangens 94, 95 k-te 42, 148
Tangens hyperbolicus 130
Taylorentwicklung 137 Zahlen
Taylorpolynom 132 ganze 13
Taylorsche Formel 132 gerade, ungerade 2
komplexe 45
überabzählbar 56 konjugiert komplexe 46
Umgebung 38 natürliche 2, 5
Umkehrfunktion 4, 94 rationale 13
Ableitung der 94 reelle 37