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Johannes von Damaskus als Koranexeget

Joachim Braun

1. Hinführung

„Der Koran gehört nicht zu den Büchern, die sich einem Leser leicht erschließen.“1
Mit diesen Worten beginnt der renommierte Koranforscher Hartmut Bobzin seine
mittlerweile zum Standardwerk gewordene Einführung in das heilige Buch der
Muslime. Dass er mit seinem Diktum wohl recht hat, beweist auch das vielbeach-
tete aktuelle Streben der sich in der deutschen akademischen Landschaft gerade im
Werden befindenden Islamischen Theologie nach einer angemessenen Koran-
hermeneutik.2
Der vorliegende Beitrag allerdings lenkt die Aufmerksamkeit zurück in die pa-
tristische Geschichte und behandelt eine der ersten Begegnungen eines christlichen
Autors mit dem Islam. Johannes von Damaskus gilt als erster griechischsprachiger3
Theologe, der sich mit der im siebten Jahrhundert neuentstandenen Religion ausei-
nandersetzte. Die nachfolgenden Untersuchungen widmen sich den Ausführungen des
Damaszeners zum Islam im hundertsten Kapitel der Häresiengeschichte (haer. 100)
seines dogmatischen Hauptwerkes, der Πηγὴ γνώσεως („Quelle der Erkenntnis“).

1
Bobzin, Hartmut: Der Koran. Eine Einführung, München 72007, 9.
2
Vgl. als prominentes Beispiel Khorchide, Mouhanad: Islam ist Barmherzigkeit. Grund-
züge einer modernen Religion, Freiburg i. Br. u. a. 2012, 159–196.
3
Schon vor der Zeit des Johannes entstand vor allem, aber nicht nur im nicht-chalcedo-
nensischen syrischsprachigen miaphysitischen Christentum eine umfangreiche Litera-
turgattung, die den Islam meist mit apokalyptischen Deutungskategorien charakterisier-
te. Vgl. Brock, Sebastian Paul: Syriac Views of Emergent Islam, in: Juynboll, G. H. A.
(Hrsg.): Studies on the First Century Islamic Society (= PIH 5), Carbondale u. a. 1982,
9–21; Reinink, G. J.: The Beginnings of Syriac Apologetic Literature in Response to Is-
lam, in: OrChr 77 (1993), 165–187; Griffith, Sidney H.: The Church in the Shadow of
the Mosque. Christians and Muslims in the World of Islam (= Jews, Christians, and
Muslims from the ancient to the modern world), Princeton 2008, 23–39; Winkler, Diet-
mar W.: Christian Responses to Islam in the Umayyad Period, in: Winkler, Dietmar W.
(Hrsg.): Syriac Churches Encountering Islam. Past Experiences and Future Perspectives
(= Pro oriente studies in the Syriac tradition 1), Pascataway 2010, 66–84, hier: 76–78.
Auch wenn ein Weiterwirken dieser frühen Reaktionen auf den Islam in den späteren
polemischen Werken byzantinischer Autoren angenommen werden darf (vgl. Moorhead,
John: The earliest Christian theological response to Islam, in: Religion 11,3 [1981], 265–
274, hier: 265), sind etwaige Beziehungen des Johannes von Damaskus zur syrischen Kul-
tur und Literatur bisher nicht erforscht (vgl. Studer, Basilius: Die theologische Arbeitswei-
se des Johannes von Damaskus [= SPB 2], Ettal 1956, 12 Fn 27).
96 Joachim Braun

Da jedoch nicht alle Aspekte, die er in seiner polemischen Schrift aufgreift, an die-
ser Stelle ausführlich betrachtet werden können, soll vor allem eine Fragestellung
im Mittelpunkt des Interesses stehen: Gegen Ende von haer. 100 zitiert Johannes
vier ausgewählte Suren aus dem Koran und baut sie in seine zwar provokative, je-
doch stets mit hohem Vernunftanspruch vorgebrachte Argumentation ein. Die unten-
stehenden Überlegungen werden zeigen, dass der Damaszener damit wohl zum ers-
ten nichtmuslimischen Textzeugen für den Koran wird und ebenso mit Recht als
einer der ersten christlichen Koranexegeten bezeichnet werden darf.
Methodisch wird hierfür in vier Schritten vorgegangen: Zu Beginn steht eine kur-
ze Einführung in das Leben des Damaszeners (2.), die vor allem danach fragt, wie er
persönlich mit dem Islam in Kontakt kam. Es schließt sich eine überblickshafte Be-
schreibung von haer. 100 an (3.). Im Hauptteil des Beitrags (4.) soll der Textab-
schnitt, in dem Johannes von Damaskus vier Suren zitiert und kommentiert, aus-
führlich besprochen werden. Schließlich runden eine zusammenfassende Bewertung
der Polemik des Damaszeners und ein Ausblick auf den Einfluss, den seine Argu-
mentation auf spätere Autoren haben wird (5.), die Gedankenführung ab.

2. Johannes von Damaskus und der Islam

Es erscheint überflüssig, an dieser Stelle eine ausführliche Darstellung der Vita des
Johannes von Damaskus zu bieten, kann sie doch in der zahlreichen Literatur zur
Damaszenerforschung und in den einschlägigen theologischen oder historiographi-
schen Lexika sehr leicht nachgelesen werden.4 Dennoch ist es wohl unabdingbar,
den Ausführungen zum Text über den Islam zumindest einen kurzen biographi-
schen Überblick voranzustellen, lassen sich zahlreiche Argumente des Johannes in
haer. 100 doch nur vor dem Hintergrund seiner eigenen Vita besser verstehen. Aus
diesem Grund werden die nachfolgenden Überlegungen zur Biographie des Damas-
zeners vor allem auf die Fragestellung hin fokussiert, in welcher Weise seine Familie
und er selbst mit dem frühen Islam in Berührung kam.

4
Beispielshaft seien genannt Nasrallah, Joseph: Saint Jean de Damas. Son époque – sa vie
– son œuvre (= Les souvenirs chrétiens de Damas 2), Harissa 1950, 9–136; Kotter, Boni-
fatius: Art. „Johannes von Damaskus“, in: TRE 17 (1988), 127–132, hier: 127; Bieder-
mann, H. M.: Art. „J. Damaskenos“, in: LMA V (1991), 566f., hier: 566; Volk, Robert:
Art. „Johannes v. Damaskus“, in: LThK³ V (1996), 895–899, hier: 895f.; Volk, Robert:
Art. „Johannes von Damaskus“, in LACL³ (2002), 387–389, hier: 387; Petrynko, Olek-
sandr: Der jambische Weihnachtskanon des Johannes von Damaskus. Einleitung – Text,
Übersetzung – Kommentar (= Jerusalemer Theologisches Forum 15), Münster 2010,
51–83; Hofmann, Johannes: Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte (= Theologi-
sche Lehr- und Lernbücher 4/2), Würzburg 2013, 322–326.
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Die exakten Lebensdaten des Damaszeners sind nicht überliefert5, allerdings


fallen sie wohl mit der Herrschaft der Umayyaden (661–750) zusammen.6 Jo-
hannes – sein arabischer Name lautet Manṣūr ibn Sarğūn – wurde um 655 geboren
und entstammte einer angesehen melkitischen Familie. Als Damaskus im Jahr 635
erobert wurde, habe Johannes’ Großvater bei den Verhandlungen zur Übergabe der
Stadt eine wichtige Rolle gespielt.7 661 wurde Damaskus von den Kalifen zur neu-
en Hauptstadt ihres Reiches erkoren, wobei die Familie des Damaszeners am Hof
der neuen Herrscher ihr Amt in der Finanzverwaltung behielt, das sie schon in by-
zantinischer Zeit innehatte.8
Seiner Herkunft aus dem „damaskenischen Verwaltungsadel“9 entsprechend, wur-
de Johannes von einem Hauslehrer in den klassischen Fächern der Enkyklios Paideia,
aber auch der christlichen Theologie unterrichtet.10 Es ist darüber hinaus durchaus
wahrscheinlich, dass Johannes schon in seinen Kindesjahren als Spielgefährte des zu-
künftigen Kalifen Yazīd am Herrscherhof zu Gast war,11 möglicherweise wurden

5
Vgl. Louth, Andrew: St John Damascene. Tradition and Originality in Byzantine Theolo-
gy (= The Oxford early christian studies), Oxford u. a. 2002, 3; Petrynko (s. Anm. 4), 57.
6
Vgl. Conticello, Vassa S.: Art. „Jean Damascène“, in: DPA III (2000), 989–1012, hier:
1002; Griffith, Sidney H.: Giovanni di Damasco e la chiesa in Siria allʼepoca degli
Omayyadi, in: Conticello, V. / Detorakis, Th. / Flusin, B. u. a. (Hrsg.): Giovanni di Da-
masco. Un padre al sorgere dellʼIslam: atti del XIII Convegno ecumenico internazionale
de spiritualità ortodossa, sezione bizantina, Bose, 11–13 settembre 2005. A cura di
Sabino Chialà e Lisa Cremaschi, monaci de Bose, Magnano 2006, 21–52, hier: 21.
7
Vgl. Jugie, Martin: La Vie de saint Jean Damacène, in: EOr 13 (1924), 137–161, hier:
139; Nasrallah (s. Anm. 4), 9.23–25; Louth, Andrew: A Christian theologian at the court
of the Caliph: some cross-cultural reflections, in: Dialogos. Hellenic Studies Review 3
(1996), 4–19, hier: 7; Pochoshajew, Igor: Johannes von Damaskos: De Hearesibus 100,
in: Islamochristiana 30 (2004), 65–75, hier: 71f.; Hazim, Ignatius / Patriarch Ignatius
IV.: Christianity in the Umayyad Era (661–750), in: Badr, Habib / Abou el Rouss Slim,
Suad / Abou Nohra, Joseph (Hrsg.): Christianity. A History in the Middle East, Beirut
2005, 471–493, hier: 475f.
8
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), .17f.58f.; Sahas, Daniel J.: Cultural interaction during the
Ummayad period. The „circle“ of John of Damascus, in: ARAM Periodical 6 (1994),
35–66, hier: 43 Fn 37; Louth (s. Anm. 7), 6; Louth (s. Anm. 5), 5; Petrynko (s. Anm. 4), 59.
9
Pochoshajew (s. Anm. 7), 70.
10
Vgl. Frank, Wilhelm: Der hl. Johannes von Damascus. Bekenner und Kirchenlehrer. Ein
kurzer Lebensabriß, verfaßt von einem Mitgliede der Gesellschaft Jesu in Damascus. Mit
mehreren Illustrationen. Aus dem Französischen ins Deutsche übertragen und mit einem
Anhang über die kirchlichen Verhältnisse in Damascus versehen, Breslau 1911, 12–16;
Hofmann (s. Anm. 4), 323.
11
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), 58; Graf, Georg: Geschichte der christlichen arabischen Li-
teratur. Erster Band. Die Übersetzungen (StT 118), Vatikanstadt 1944, 54; Sahas, Daniel
J.: John of Damascus on Islam – Revisited, in: Abr-n. 23 (1984/1985), 104–118, hier:
106.114; Kotter (s. Anm. 4), 127; Biedermann (s. Anm. 4), 566; Khoury, Paul: Jean
Damascène et lʼIslam (= Religionswissenschaftliche Studien 33), Würzburg ²1994. Zu-
erst veröffentlicht in: POC 7 (1957), 55–63 und 8 (1958), 313–110, hier: 18; Louth
(s. Anm. 7), 4; Conticello (s. Anm. 6), 1002; Valkenberg, Pim: John of Damascus and
the theological construction of Christian identiy vis-à-vis early Islam, in: Jaarboek
98 Joachim Braun

beide sogar gemeinsam ausgebildet.12 Hier könnte der Damaszener auch zum ers-
ten Mal mit dem Text des Korans in Kontakt gekommen sein.13
Schließlich folgte Johannes seinem Vater im Dienst am Hof des Kalifen, hatte
dort wohl eine administrative Vertrauensstellung inne und war wichtiger Fürspre-
cher der Christen gegenüber den islamischen Herrschern.14 Im Rang eines Emirs
sei er für die Finanzverwaltung des Kalifats zuständig gewesen.15 Aufgrund seiner
privilegierten Stellung konnte der Damaszener die Religion des Islam sehr gut
kennenlernen.16
Wegen der immer christenfeindlicheren Gesetzgebung der islamischen Herr-
scher und infolge der Edikte des Kalifen ʿUmar II., die Juden und Christen verbo-
ten, hohe Staatsämter zu bekleiden, verließ Johannes am Ende des ersten Jahrzehnts
des achten Jahrhunderts nach etwa 20 Jahren seinen Dienst und lebte fortan als
Mönch.17 Er trat wahrscheinlich in die Mar-Sabas-Laura bei Jerusalem ein18 und
auch dort, im Schatten des erst kürzlich auf dem Tempelberg erbauten Felsendoms
konnte er den Islam sicherlich aus der Nähe wahrnehmen.19

(Thomas Instituut te Utrecht) 2000, 8–30, hier: 10 Fn 10; Winkler (s. Anm. 3), 78. Vgl.
dagegen Kazhdan, Alexander: A history of Byzantine literature (650–850). In collabora-
tion with Lee F. Sherry, Christine Angelidi (= The National Hellenic Research Founda-
tion, Institute for Byzantine Research, Research Series 2), Athen 1999, 76.
12
Vgl. Sahas, Daniel J. (Ed.): John of Damascus on Islam. The „Heresy of the Ishma-
elites“, Leiden 1972, 40 Fn 3; Louth (s. Anm. 7), 7; Goddard, Hugh: A History of Chris-
tian-Muslim Relations (= IslS), Edinburgh 2000, 38; Petrynko (s. Anm. 4), 66.
13
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), 64.
14
Vgl. Hazim (s. Anm. 7), 489; Petrynko (s. Anm. 4), 68.
15
Vgl. Langen, Joseph: Johannes von Damaskus. Eine patristische Monographie, Gotha
1879, 19f. Fn 3; Sahas (s. Anm. 11), 106f.
16
Vgl. Le Coz, Raymond (Ed.): Jean Damascène: Écrits sur lʼIslam. Présentation, commen-
taires et traduction (= SC 383), Paris 1992, 15f.
17
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), 73.75.81; Studer (s. Anm. 3), 7 Fn 5; Khoury, Adel-
Théodore: Les théologiens byzantins et lʼIslam. Textes et auteurs (VIIe – XIIIe s.), Lö-
wen u. a. ²1969, 36; Le Coz (s. Anm. 16), 54; Sahas, Daniel: The Arab character of the
Christian disputation with Islam. The case of John of Damascus (ca. 655 – ca. 750),
in: Lewis, Bernard / Niewöhner, Friedrich (Hrsg.): Religionsgespräche im Mittelalter
(= Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 4), Wiesbaden 1992, 185–205, hier: 191; Khoury,
Adel Theodor: Einleitung, in: Glei, Reinhold / Khoury, Adel Theodor (Ed./Übers.): Jo-
hannes Damaskenos und Theodor Abū Qurra: Schriften zum Islam. Kommentierte grie-
chisch-deutsche Textausgabe (= CIsC.G 3), Würzburg u. a. 1995, 11–63, hier: 11;
Lexutt, Athina / Metz, Detlef (Hrsg.): Christentum – Islam. Ein Quellenkompendium
(8.–21. Jh.), Köln u. a. 2009, 16; Petrynko (s. Anm. 4), 69.71.
18
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), 128; Sahas (s. Anm. 11), 107; Hofmann (s. Anm. 4), 324. In
der neuesten Forschung werden wohl durchaus berechtigte Zweifel geäußert, ob Johannes
wirklich im Mar-Sabas-Kloster lebte. Vgl. Auzépy, Marie-France: De la Palestine à
Constantinople (VIIIe–IXe siècles): Étienne le Sabaïte et Jean Damascène, in: Travaux et
mémoires 12 (1994), 183–218, hier: 202; Louth (s. Anm. 5), 6; Petrynko (s. Anm. 4), 73.
19
Vgl. Louth (s. Anm. 5), 7.14.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 99

Die bilderfeindliche Synode von Hiereia im Jahr 754, auf der Johannes von
Damaskus posthum mit dem Anathema belegt wurde, stellt den terminus ante
quem für seinen Tod dar.20 Es darf wohl begründeter Weise angenommen werden,
dass er im Zeitraum zwischen vor 744 und vor 754 starb.21
Damit kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich in der Biographie
des Johannes von Damaskus zahlreiche Berührungspunkt mit dem Islam finden. Er
kannte die neue Religion seit seiner Kindheit sehr gut und dürfte zumindest in den
Anfangsjahren der umayyadischen Dynastie wegen seines Staatsamtes in die isla-
mische Gesellschaft integriert gewesen sein. Aufgrund der tiefen Verwurzelung
seiner Familie in der arabischen Kultur wird er in der byzantinischen Ikonographie
meist mit der für ihn bezeichnenden, turbanartigen Kopfbedeckung dargestellt.22

3. haer. 100

Eine ausführliche Einleitung in das umfangreiche Gesamtwerk des Damaszeners


kann an dieser Stelle nicht geboten werden.23 Lediglich haer. 10024 aus dem zwei-
ten Teil Περὶ αἱρέσεων der Πηγὴ γνώσεως soll nachfolgend unsere Aufmerksam-
keit gelten, denn diesem Abschnitt über den Islam entstammt der später eingehend
analysierte Text.
Nach 99 Kapiteln, in denen Johannes in seiner Häresiengeschichte die unter-
schiedlichsten Irrlehren oftmals nur mit einer knappen Zusammenfassung be-
schreibt, kommt er in haer. 100 ausführlich auf den Islam zu sprechen. So unter-
scheidet sich dieses 100. Kapitel von den vorausgegangenen Ausführungen formal
durch seine auffällige Länge, sowie inhaltlich wegen der besonderen Aktualität
seines Themas.25 Während er für die anderen Kapitel Abhandlungen früherer

20
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), 118; Sahas (s. Anm. 11), 107; Louth, Andrew: St John Da-
mascene: preacher and poet, in: Cunningham, Mary B. / Allen, Pauline (Hrsg.): Preacher
and Audience. Studies in Early Christian and Byzantine Homiletics (= A new history of
the sermon 1), Leiden u. a. 1998, 247–266, hier: 249 Fn 10; Petrynko (s. Anm. 4), 80f.
21
Vgl. Hofmann (s. Anm. 4), 325.
22
Vgl. Kaster, Gabriela: Art. „Johannes von Damaskus“, in: LCI VII (1974), 102–104,
hier: 102; Sahas (s. Anm. 11), 105.
23
Auch hier ist auf die einschlägigen Lexika und Überblicksstudien zu verweisen: Ermoni,
V.: Saint Jean Damascène (= La pensée chrétienne. Textes et Etudes), Paris 1904, 7–13;
Nasrallah (s. Anm. 4), 137–160; Studer (s. Anm. 3), 14–29; Kotter (s. Anm. 4), 127–
129; Biedermann (s. Anm. 4), 566f.; Volk 1996 (s. Anm. 4), 896–898; Volk 2002
(s. Anm. 4), 387–389; Hofmann (s. Anm. 4), 326–362.
24
Die Kapitelzählung richtet sich nach der kritischen Edition Kotters. Zuvor wurde das
Kapitel über den Islam auf Grundlage der Ausgabe des griechischen Textes von 1864 im
94. Band der Patrologia Graeca als haer. 101 angegeben. Jacques-Paul Migne orientierte
sich dabei an der Pariser Edition von Michel Le Quien aus dem Jahr 1712.
25
Vgl. Sahas (s. Anm. 12), 58; Sahas (s. Anm. 17), 197; Davids, Adelbert / Valkenberg,
Pim: John of Damascus: the Heresy of the Ishmaelites, in: Roggema, Barbara / Poorthuis,
100 Joachim Braun

Autoren zusammenfasst, erscheint haer. 100 „wie ein persönlicher, spontaner, aus-
gebauter Aufsatz“26, das „einzige von Johannes mit neuen Gedanken geprägte Ka-
pitel“27. Allerdings wollte Johannes von Damaskus keinen vollständigen Überblick
über die islamische Lehre bieten, im Vordergrund stand für ihn die polemische
Auseinandersetzung mit der neuen Religion.28 Aus diesem Grund ist haer. 100 kei-
ne neutrale Beschreibung, vielmehr bewertet der Damaszener Mohammed und den
Islam, seine Entstehung und Lehrmeinungen, den Koran und verschiedene musli-
mische Rechtsvorschriften stets in Bezug auf das Christentum mit einem hohen
Bewusstsein wissenschaftlicher Überlegenheit.29
Die Ausführungen des Damaszeners zum Islam in haer. 100 können anhand in-
haltlicher Kriterien in sieben Teile gegliedert werden.30 Den Text eröffnen einige
einleitende Bemerkungen (1), die den Islam geschichtlich, aber bereits auch theo-
logisch einordnen. Es folgt die Bewertung Mohammeds als Pseudoprophet (2), in-
dem sich Johannes unter anderem über seine Ausbildung bei einem häretischen
Mönch mokiert. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt schließlich auf der detaillier-
ten Beschreibung der koranischen Theologie, Mariologie und „Christologie“31 (3),
wobei der Damaszener deren Widersprüche und Unvernünftigkeiten aufzeigt. An
offenbarungstheologische Streitfragen über die Glaubwürdigkeit Mohammeds und

Marcel / Valkenberg, Pim (Hrsg.): The three rings. Textual studies in the historical
trialogue of Judaism, Christianity, and Islam (= Publications of the Thomas Instituut te
Utrecht, New Series 11), Löwen u. a. 2005, 71–90, hier: 74; Courtieu, Gilles: Die
threskeia der Ismaeliten und anderer Völker. Studie über das religiöse Vokabular der
hundertsten Häresie des Johannes Damascenus. Übersetzung aus dem Französischen:
Markus Groß, in: Groß, Markus / Ohlig, Karl-Heinz (Hrsg.): Die Entstehung einer Welt-
religion I. Von der koranischen Bewegung zum Frühislam (= Inârah 5), Berlin 2010,
111–139, hier: 115f.
26
Courtieu (s. Anm. 25), 113.
27
Müller, Andreas: Diskursive Identitätsbildung. Frühe Begegnungen zwischen Christen-
tum und Islam, in: KuD 57 (2011), 224–242, hier: 227.
28
Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 73.
29
Vgl. Sahas, Daniel J.: The Art and Non-Art of Byzantine Polemics: Patterns of Refuta-
tion in Byzantine Anti-Islamic Literature, in: Gervers, Michael / Bikhazi, Ramzi Jibran
(Hrsg.): Indigenous Christian Communities in Islamic Lands. Eighth to Eighteenth Cen-
turies (= Papers in Mediaeval Studies 9), Toronto 1990, 55–73, hier: 62; Khoury
(s. Anm. 11), 70; Davids / Valkenberg (s. Anm. 25), 78; Raeder, Siegfried: Antworten
auf den Islam. Texte christlicher Autoren vom 8. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zu-
sammengestellt, eingeleitet und erläutert, Neukirchen-Vluyn 2006, 19.
30
In der Literatur finden sich zahlreiche weitere Gliederungsvorschläge, die sich allerdings
stärker an formalen Kriterien orientieren. Diese große Vielfalt rührt wohl von der kom-
plexen Charakteristik des Textes selbst her. Vgl. Valkenberg (s. Anm. 11), 12.
31
Von Christologie im eigentlichen Sinn kann im Koran nicht gesprochen werden.
Vielmehr ist dem Islam die Vorstellung einer Trinität, als auch die einer Gottessohn-
schaft Jesu Christi fremd. Deshalb kann nur indirekt von einer „Christologie“ des Ko-
rans die Rede sein. Vgl. dazu noch grundsätzlicher Bruns, Peter: Der Islam – eine
(juden-)christliche Sekte? Eine kurze dogmengeschichtliche Betrachtung, in: FKTh 26
(2010), 1–23, hier: 19.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 101

des Korans (4) schließt sich die Widerlegung einiger exemplarischer Vorwürfe ge-
gen die christliche Dogmatik und Frömmigkeit (5) an. Schließlich zitiert Johannes
vier ausgewählte Suren aus dem Koran (6), bevor der Text mit dem Hinweis auf
verschiedene islamische Rechtsvorschriften (7) endet.
Armand Abel ging Mitte des 20. Jahrhunderts und damit noch vor dem Er-
scheinen der kritischen Edition Kotters davon aus, der Text könne nicht von Jo-
hannes selbst stammen.32 Er beinhalte Informationen und polemische Argumen-
tationsweisen, die vielmehr auf den Wissensstand frühestens im neunten oder
zehnten Jahrhundert hinweisen würden. Die moderne Damaszenerforschung geht
heute dagegen von der Authentizität des Textes aus.33 So datiert das wohl älteste
Manuskript Mosqu. Synod. gr. 315, das von Bonifatius Kotter für seine Edition
herangezogen wurde und aus dem Athoskloster Iberon stammt, ins neunte oder
zehnte Jahrhundert.34 An der Argumentation Abels kann somit aufgrund der Er-
gebnisse der Handschriftenforschung nicht länger festgehalten werden.35 Damit ist
haer. 100 die älteste christliche Polemik in griechischer Sprache gegen den Islam,
ja möglicherweise die älteste systematische Darstellung der neuen Religion über-
haupt, und Johannes von Damaskus im achten Jahrhundert einer der ersten Theolo-
gen, die sich mit ihr auseinandersetzten.36 Dies macht deutlich, warum die nach-
folgende intensive Beschäftigung mit dem Text des Damaszeners lohnt.

32
Vgl. hier und im Folgenden Abel, Armand: La lettre polémique „dʼAréthas“ a lʼémir de
Damas, in: Byz. 24 (1954), 343–370, hier: 353 Fn 2; Abel, Armand: La polémique da-
mascénienne et son influence sur les origines de la théologie musulmane, in: Centre
dʼétudes supérieures spécialisé dʼhistoire des religions de Strasbourg (Hrsg.):
Lʼélaboration de lʼIslam. Colloque de Strasbourg 12–13–14 juin 1959, Paris 1961,
61–85, hier: 65 Fn 1; Abel, Armand: Le chapitre CI du Livre des Hérésies de Jean
Damascène: son inauthenticité, in: StIsl 19 (1963), 5–25.
33
Vgl. hier und im Folgenden Khoury ²1969 (s. Anm. 17), 51.53.55; Sahas (s. Anm. 11),
104f.; Khoury 1995 (s. Anm. 17), 38–44; Hoyland, Robert G.: Seeing Islam as others
saw it. A survey and evaluation of Christian, Jewish and Zoroastrian writings on early
Islam (= Studies in late antiquity and early Islam 13), Princeton u. a. 1997, 485.
34
Vgl. Kotter, Bonifatius (Ed.): Die Schriften des Johannes von Damaskos. IV Liber de
haeresibus. Opera polemica. Herausgegeben vom Byzantinischen Institut der Abtei Schey-
ern (= PTS 22), Berlin u. a. 1981, 4. Er führt diese Handschrift unter Nr. 351B an.
35
Vgl. Khoury ²1969 (s. Anm. 17), 55; Le Coz (s. Anm. 16), 190f.
36
Vgl. Eichner, Wolfgang: Die Nachrichten über den Islam bei den Byzantinern, in: Islam 23
(1936), 133–162.197–244, hier: 136; Kaegi, Walter Emil jr.: Initial Byzantine Reactions
to the Arab Conquest, in: CH 38 (1969), 139–149, hier: 139; Knorr, Ortwin: Zur Über-
lieferungsgeschichte des „Liber de haeresibus“ des Johannes von Damaskus (um 650 –
vor 754). Anmerkungen zur Edition B. Kotters, in: ByZ 91 (1998), 59–69, hier: 59;
Louth (s. Anm. 5), 77; Davids / Valkenberg (s. Anm. 25), 71.73; van der Horst, Pieter W.:
De eerste christelijke confrontatie met de islam, in: KeTh 59 (2008), 148–157, hier: 149;
Niehoff-Panagiotidis, Jannis: Byzanz und Islam. Von der Kontingenzbewältigung zur
aneignenden Übersetzung, in: Speer, Andreas / Steinkrüger, Philipp (Hrsg.): Knoten-
punkt Byzanz. Wissensformen und kulturelle Wechselbeziehungen (= MM 36), Berlin
u. a. 2012, 123–144, hier: 138.
102 Joachim Braun

4. Johannes von Damaskus als Koranexeget

Im Rahmen dieses Beitrags kann nicht auf alle Aspekte der polemischen Aus-
führungen des Damaszeners eingegangen werden. Deshalb betrachten die nachfol-
genden Überlegungen vor allem einen besonderen Teilbereich. Die Aufmerksamkeit
wird Textabschnitt (6) gelten, in dem Johannes von Damaskus vier exemplarische Su-
ren aus dem Koran aufgreift, teilweise wörtlich zitiert und in seine Argumentation
einbaut. Im diesem letzten größeren Abschnitt des hundertsten Kapitels wird er somit
zum ersten nichtmuslimischen Zeugen für die Existenz des Korans und Teile seines
Inhalts.37 Aus der Abhandlung des Damaszeners kann rekonstruiert werden, auf wel-
che Suren des heutigen kanonischen Korantextes er sich bezieht. So kommentiert er
die Suren 2, 4 und 5. In der Forschungsliteratur ist durchaus umstritten, ob Johannes
noch mehr als nur diese drei Suren kannte.38 Dabei erscheint es schwierig, nachzuwei-
sen, ob er den gesamten Koran gelesen oder ihn möglicherweise bei Niederschrift sei-
ner Polemik sogar vorliegen hatte.39 Es ist unklar, ob ihm ein schriftliches Exemplar
des Korans zur Verfügung stand, aus dem er wörtlich zitieren konnte, oder ob er den
Inhalt der Suren nur aus dem Gedächtnis wiedergab.40 Sollte Johannes allerdings di-
rekt aus dem Koran zitiert haben, so besaß er noch keine griechische Übersetzung,
sondern übertrug aus dem arabischen Original. Die früheste byzantinische Koranüber-
setzung entstand wohl nicht vor dem 9. Jahrhundert.41 Des Weiteren kennt Johannes
die Bezeichnung „Sure“ für die Kapitel des Korans noch nicht. Er benutzt als simple
Begrifflichkeit „γραφή“ in Verbindung mit dem Titel der jeweiligen Sure.42 Johannes
weiß bereits darum, dass jeder Sure ein eigener Name („προσηγορίαν“43) zukommt.
Wann die 114 Suren des Korans ihre Namen erhielten, unter denen sie bis heute

37
Vgl. Sweetman, J. Windrow: Islam and Christian Theology. A study of the interpreta-
tion of theological ideas in the two religions. Part One, Volume I: Preparatory historical
survey (= LuttL 19; Missionary Research Series 6), London u. a. 1945, 64; Sahas
(s. Anm. 17), 195; Niehoff-Panagiotidis (s. Anm. 36), 139.
38
Vgl. Sahas (s. Anm. 12), 93; Khoury (s. Anm. 11), 25 gegen Merrill, John Ernest: Of the
tractate of John of damascus on Islam, in: MW 41 (1951), 88–97, hier: 97.
39
Vgl. Sahas (s. Anm. 17), 195.
40
Vgl. Chase, Frederic H. jr.: Saint John of Damascus. Writings (= FaCh 37), Washington,
D. C. 1958, XXXI gegen Argyriou, Astérios: Perception de lʼIslam et traduction du
Coran dans le monde byzantin grec, in: Byz. 75 (2005), 25–69, hier: 30. Ob Johannes
überhaupt arabisch lesen und schreiben konnte, wird in der Forschung kontrovers disku-
tiert. Vgl. Sahas (s. Anm. 11), 116 Fn 25; Argyriou (s. Anm. 40), 28.
41
Vgl. Trapp, Erich: Gab es eine byzantinische Koranübersetzung?, in: Diptycha 2 (1981/
1982), 7–17, hier: 11; Khoury ²1969 (s. Anm. 17), 54; Bádenas de la Peñas, Pedro: Is-
lam como herejía en la obra de Juan Damasceno, in: Barceló, Miquel / Martinez Gáz-
quez, José (Hrsg.): Musulmanes y cristianos en Hispania durante las conquistas de los
siglos XII y XIII (= Col·lecció Documents), Bellaterra 2005, 9–23, hier: 16.
42
Vgl. Kotter (s. Anm. 34), 6496.65114.67149.152. Vgl. hierzu auch Lampe, Geoffrey W. H.:
A patristic Greek Lexicon, Oxford 61982: „γραφή, ἡ“ A.1.c., 322f.
43
Kotter (s. Anm. 34), 6496.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 103

bekannt sind, ist umstritten. Der Damaszener jedenfalls bezeugt, dass bereits in der
ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts einige schon ihre spezifischen Namen trugen.44 Im
Folgenden soll einzeln der Blick auf die von ihm zitierten Suren gelenkt werden.

4.1 Sure „Die Frau“


Als erste beispielhafte Sure führt Johannes „ἡ γραφὴ ,τῆς γυναικὸς‘“ (haer. 100)45
an. Damit ist unzweifelhaft die vierte Sure des Korans gemeint, auch wenn diese
im heutigen kanonischen Text den Titel „Die Frauen“ im Plural besitzt. Der Da-
maszener greift verschiedene Aspekte aus den 176 Versen dieser Sure heraus, um
die islamische Ehe- und Sexualmoral zu kritisieren. Dabei beruft er sich aber nicht
nur auf die vierte Sure allein, die verschiedenen Themen, die er anspricht, finden
sich über den ganzen Koran verteilt.46 Darüber hinaus scheint er auch die Ausdeu-
tung der koranischen Lehre in den unterschiedlichen Rechtsschulen zur Grundlage
zu haben.47 Vor allem zwei Aspekte stehen im Mittelpunkt der damaszenischen
Kritik. So polemisiert er scharf gegen die im Koran erlaubte Polygamie und macht
sich des Weiteren geradezu lächerlich über die Möglichkeit der Ehescheidung.

4.1.1 Johannesʼ Polemik gegen die Polygamie


Über die Zahl der Ehefrauen schreibt Johannes von Damaskus:

ἐν αὐτῇ τέσσαρας γυναῖκας προφανῶς Darin [sc. in der Sure] setzt er fest,
λαµβάνειν νοµοθετεῖ καὶ παλλακάς, daß man sich vier reguläre Frauen
ἐὰν δύνηται, χιλίας, ὅσας ἡ χεὶρ αὐτοῦ nehmen darf und <dazu> Nebenfrau-
κατάσχῃ ὑποκειµένας ἐκ τῶν τεσσά- en, wenn man kann, tausend, soviele
ρων γυναικῶν. (haer. 100)48 man eben neben den vier <regulären>
Frauen als Untergebene unter seiner
Tutel halten kann.49

44
Vgl. Sahas (s. Anm. 12), 89.
45
Der griechische Text von haer. 100 wird hier und im Folgenden nach der kritischen Edi-
tion Kotters (s. Anm. 34) zitiert, hier: 6496.
46
Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 122.
47
Vgl. Ohlig, Karl-Heinz: Hinweise auf eine neue Religion in der christlichen Literatur
„unter islamischer Herrschaft“?, in: Ohlig, Karl-Heinz (Hrsg.): Der frühe Islam. Eine
historisch-kritische Rekonstruktion anhand zeitgenössischer Quellen (= Inârah 2), Berlin
2007, 223–325, hier: 305.
48
Kotter (s. Anm. 34), 64f.96–99.
49
Die deutsche Übersetzung entstammt hier und im Folgenden Glei, Reinhold: Edition
und Übersetzung, in: Glei, Reinhold / Khoury, Adel Theodor (Ed./Übers.): Johannes
Damaskenos und Theodor Abū Qurra: Schriften zum Islam. Kommentierte griechisch-
104 Joachim Braun

Die Erlaubnis der Polygamie mit bis zu vier Frauen und die Regelungen zu den
Nebenfrauen kennt er wohl aus Sure 4:3.25.129. Die Zahl der Nebenfrauen auf bis
zu 1000 festzulegen, ist wohl eine Übertreibung des Damaszeners mit eindeutig
polemischer Absicht.50 Trotz dieser hyperbolischen Übersteigerung beschreibt er
wohl dennoch die koranischen Regelungen zur Praxis der Polygamie sehr zu-
treffend. Die muslimische Ehe, ein bloßer zivilrechtlicher Vertrag,51 stelle keine
gleichberechtigte Verbindung zwischen Mann und Frau dar,52 aus religiöser Sicht
spreche nichts gegen die Polygamie.53 Diese Regelungen des Korans kann Johan-
nes von Damaskus als christlicher Theologe nicht akzeptieren.
Den möglichen positiven Aspekt der koranischen Ehegesetzgebung, die vor-
islamische heidnische Praxis der ausschweifenden Vielweiberei sei eingeschränkt
worden, erwähnt Johannes von Damaskus nicht. Ebenso verschweigt er den nähe-
ren Zusammenhang, in dem Sure 4:3 die Polygamie erlaubt habe.54 So lasse der
erste Teil des Verses darauf schließen, dass es hier vor allem um die Versorgung
der nach den verlustreichen Schlachten in den ersten Jahren des Islams zurück-
gebliebenen Frauen gehe. Die Polygynie sei aus Sorge um die Witwen und Waisen
empfohlen worden.55 Auch wenn Johannes von Damaskus diesen Hintergrund für
die koranischen Regelungen nicht erwähnt, möglicherweise gar nicht kannte, so
ändert dies wohl nichts an seiner grundsätzlichen Polemik gegen die Polygamie. Er
beurteilt die islamische Gesetzgebung mit dem Maßstab der christlichen Moral, die
für ihn das Ideal repräsentiert.56 Dabei wollte er wohl weniger die Benachteiligung
der Frau kritisieren, als vielmehr die christliche Monogamie verteidigen und
den Muslimen ungebremste sexuelle Ausschweifungen zuschreiben.57 Auch die spä-
teren byzantinischen Polemiker werden seiner Verurteilung der Polygamie fol-

deutsche Textausgabe (= CIsC.G 3), Würzburg u. a. 1995, 65–183, wobei sich der grie-
chische und deutsche Text von haer. 100 auf den Seiten 73–83 befindet, hier: 81.
50
Vgl. Eichner (s. Anm. 36), 220.
51
Vgl. Bousquet , Georges-Henri: Le droit musulman (= Collection Armand Colin, Sec-
tion de droit 373), Paris 1963, 97–111; Walther, Wiebke: Die Frau im Islam, Stuttgart
u. a. 1980, 34; Breuer, Clemens: Zwischen Tradition und Moderne: Ehe und Familie im
Islam, in: Kienzler, Klaus / Riedl, Gerda / Schiefer Ferrari, Markus (Hrsg.). Islam und
Christentum. Religion im Gespräch (= Augsburger Schriften zu Theologie und Philoso-
phie 1), Münster u. a. 2001, 129–139, hier: 133.
52
Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 122.
53
Vgl. Bousquet, Georges-Henri: Lʼéthique sexuelle de lʼIslam, Paris 1990, 144.
54
Vgl. Sahas (s. Anm. 12), 90.
55
Vgl. Sahas (s. Anm. 12), 90; Walther (s. Anm. 51), 36; Watt, W. Montgomery: Muham-
mad at Medina, Karatschi u. a. 1981, 276; Rieplhuber, Rita: Die Stellung der Frau in den
neutestamentlichen Schriften und im Koran (= Studien 5), Altenberge 1986, 202; Bobzin
(s. Anm. 1), 81.
56
Vgl. Khoury, Adel-Théodore: Polémique byzantine contre lʼIslam (VIIIe–XIIIe S.), Lei-
den ²1972, 261 Fn 7.
57
Vgl. Christensen, Torben: Johannes Damaskenosʼ opgør med Islam, in: DTT 32 (1969),
34–50, hier: 41.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 105

gen.58 In den polemischen Schriften spielt dabei auch die polygame Lebensweise
Mohammeds selbst eine wichtige Rolle. Die Anzahl der Ehefrauen Mohammeds
war eines der häufigsten Argumente gegen die moralische Integrität des islami-
schen Propheten, sah man darin doch einen Beweis für seine sexuelle Gier.59

4.1.2 Die Zaid-Episode zur Ehescheidung


Auch über die Möglichkeit der Ehescheidung polemisiert Johannes von Damaskus.
In nüchterner Aufgeklärtheit stellt er die koranische Gesetzgebung vor, aber gerade
deshalb kann ein ironischer Unterton ausgemacht werden, wenn er knapp schreibt:

Ἣν δʼ ἂν βουληθῇ ἀπολύειν, ἣν ἐθελή- Wenn man aber eine entlassen will,


σειε, καὶ κοµίζεσθαι ἄλλην (haer. <so kann man das> nach Belieben
100)60. <tun>, und sich eine andere nehmen.61

Der Damaszener kennt die muslimische Rechtsinstitution der sogenannten „Ver-


stoßung“ oder „Zurückweisung“, mit der ein Mann die Ehe mit seiner Frau ohne
Begründung willkürlich und formlos auflösen konnte.62 In seinen Ausführungen
scheint er sich auf die Vorschriften in Sure 2:229f. zu beziehen,63 die er folgender-
maßen paraphrasiert:

Ὁ βουλόµενος ἀπολυέτω τὴν γυναῖκα Wer will, soll seine Frau entlassen.
αὐτοῦ. Ἐὰν δὲ µετὰ τὸ ἀπολῦσαι ἐπʼ Wenn er sich ihr aber nach der Entlas-
αὐτὴν ἀναστρέψῃ, γαµείτω αὐτὴν sung wieder zuwenden will, soll sie
ἄλλος. Οὐ γὰρ ἔξεστι λαβεῖν αὐτήν, εἰ <vorher> einen anderen heiraten. Denn
µὴ γαµεθῇ ὑφʼ ἑτέρου. (haer. 100)64 es ist nicht erlaubt, sie zu heiraten,
wenn sie nicht von einem anderen ge-
heiratet wurde65.

Wiederum steht wohl nicht die Benachteiligung der Frau im Mittelpunkt seiner
Kritik, sondern vielmehr der unverantwortliche Umgang mit der Institution Ehe

58
Vgl. Khoury (s. Anm. 56), 261.
59
Vgl. Schöller, Marco: Mohammed. Leben. Werk. Wirkung (= Suhrkamp BasisBiographie
34), Frankfurt a. M. 2008, 57.
60
Kotter (s. Anm. 34), 6599.
61
Glei (s. Anm. 49), 81.
62
Vgl. Bousquet (s. Anm. 51), 119–124; Gaudefroy-Demombynes, Maurice: Mahomet, Paris
1969, 569–573; Charles, Raymond: Le droit musulman (= QSJ 702), Paris 61982, 52–55;
Dilger, K.: Art. „Ehe. F. Arabisch-islamischer Bereich“, in: LMA III (1986), 1646–1648,
hier: 1648; Schirrmacher, Christine: Der Islam 1. Geschichte, Lehre, Unterschiede zum
Christentum (= Theologie für die Gemeinde 1), Neuhausen / Stuttgart 1994, 332.
63
Vgl. Eichner (s. Anm. 36), 222.
64
Kotter (s. Anm. 34), 65108–110.
65
Glei (s. Anm. 49), 81.
106 Joachim Braun

und die fremd anmutende Anweisung, dass eine entlassene Frau von ihrem Ehemann
erst wieder zurückgenommen werden darf, wenn sie zuvor von einem anderen Mann
geheiratet wurde. Hinter dieser Regelung stehe die Absicht, die Ehefrau vor einer all-
zu willkürlichen Behandlung durch ihren Gatten zu schützen.66 Dass der Koran diese
Vorschrift erst nach der dritten Verstoßung vorsieht, ist Johannes wahrscheinlich
unbekannt gewesen.67 Nichtsdestotrotz bewertet er diese rituelle, geradezu magi-
sche68 Reinigung der geschiedenen Frau durch den Geschlechtsakt mit einem ande-
ren Mann als unannehmbar und so erblickten auch die späteren byzantinischen
Autoren in einer derartigen Zwischenhochzeit einen ethisch verwerflichen Ehe-
bruch (vgl. haer. 100).69
Um seine Polemik gegen Mohammed auf die Spitze zu treiben und seine mora-
lische Desintegrität zu beweisen, berichtet Johannes an dieser Stelle des Weiteren
ausführlich, in welchem biographischen Zusammenhang70 die islamische Regelung
zur Ehescheidung entstanden sei. Mohammed habe sich in die Frau seines Adop-
tivsohnes Zaid71 verliebt. Um sie heiraten zu können, habe er Zaid von einer Got-
tesoffenbarung an ihn berichtet. Gott wolle, dass Zaid seine Ehefrau verstoße,
damit Mohammed sich mit ihr vermählen könne. Daraufhin habe Zaid seine Frau
entlassen und schließlich habe Mohammed sie geheiratet (vgl. haer. 100)72. Diese
Episode um Zaids Frau wird zu einem bevorzugten Thema der byzantinischen Po-
lemik werden, könne Mohammed als Ehebrecher doch kein wahrer Prophet sein.73
Darüber hinaus möchte Johannes von Damaskus wohl auch kritisieren, dass die
Berufung auf eine göttliche Offenbarung von Mohammed hier als ein Mittel be-
nutzt wird, um die Befriedigung der eigenen Gelüste zu legitimieren.74
Johannes dürfte den islamischen Bericht über die Zaid-Episode in Sure 33 ge-
kannt haben und damit auch die anstößigen Verse 50 und 51, die Mohammed
gleichsam jede Frau zusprechen, die er nur will. „Empörender scheint kaum etwas
sein zu können als jene Qoranstelle, die Gott dem Propheten als sein ,besonderes

66
Vgl. Walther (s. Anm. 51), 39; Rieplhuber (s. Anm. 55), 223; Bousquet (s. Anm. 53),
157.159; Khoury, Adel Theodor: Der Koran. Arabisch – Deutsch. Übersetzung und wis-
senschaftlicher Kommentar. Band 3. Sure 2,213–2,286, Gütersloh 1992, 89; Schirrmacher
(s. Anm. 62), 333. Vgl. in ähnlicher Weise Dtn 24,1–4.
67
Vgl. Eichner (s. Anm. 36), 223.
68
Vgl. Bousquet (s. Anm. 53), 159 Fn 59.
69
Vgl. Kotter (s. Anm. 34), 65107. Vgl. Khoury, Adel-Thédore: Der theologische Streit der
Byzantiner mit dem Islam, Paderborn 1969, 49.
70
Vgl. Andrae, Tor: Mohammed. Sein Leben und sein Glaube. Nachdruck der Ausgabe
Göttingen 1932, Hildesheim u. a. 1977, 124f.; Gaudefroy-Demombynes (s. Anm. 62),
225f.; Watt (s. Anm. 55), 396; Stieglecker, Hermann: Die Glaubenslehren des Islam, Pa-
derborn ²1983, 428–435.
71
Johannes von Damaskus nennt Zaid einen „Σύµπονον“ (haer. 100; Kotter [s. Anm. 34],
65100) Mohammeds, bezeichnet ihn also als seinen Mitarbeiter.
72
Vgl. Kotter (s. Anm. 34), 65100–107.
73
Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 124 Fn 1.
74
Vgl. Pochoshajew (s. Anm. 7), 68.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 107

Recht‘ den Besitz geradezu jeder Frau gewähren läßt nach der ihn gelüstet.“75 Gott
werde damit zur bloßen Legitimationsgröße für die „passion charnelle“76 Moham-
meds, ja zum „Kuppler“77 degradiert. Für seine polemische Argumentation hat Jo-
hannes von Damaskus den biographischen Bericht um die Frau des Zaid wohl etwas
umgedeutet, denn im Koran stelle diese Episode aus dem Leben Mohammeds kei-
neswegs den Ursprung der Gesetzgebung zur Ehescheidung dar. Vielmehr wird die
Frage des Inzests behandelt, ob durch Adoption dieselben Einschränkungen entstün-
den wie durch Blutsverwandtschaft. Die Anordnung an Mohammed, er solle die Frau
seines Adoptivsohnes heiraten, gebe hierauf Antwort.78 Die Geschichte um Zaid hebe
also die heidnisch-arabischen Adoptivgesetze und das damit verbundene Ehehinder-
nis auf und unterscheide stärker zwischen leiblicher Verwandtschaft und Adoptiv-
verhältnissen.79 Auf diese Zusammenhänge geht Johannes von Damaskus in seiner
Polemik nicht ein.

4.1.3 Die Saatfeld-Metapher


Am Ende seiner Polemik gegen das islamische Eheverständnis und die moralische
Desintegrität Mohammeds führt Johannes ein koranisches Bildwort an:

Ἔργασαι τὴν γῆν, ἣν ἔδωκέ σοι ὁ Bestelle das Saatfeld, das Gott dir ge-
θεός, καὶ φιλοκάλησον αὐτήν, καὶ geben hat, und bearbeite es mit Eifer,
τόδε ποίησον καὶ τοιῶσδε (haer. und tue dies auf diese Weise81.
100)80.

Hierbei handelt es sich um ein Zitat aus Sure 2:223: „Eure Frauen sind euch ein
Saatfeld. Geht zu (diesem) eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt!“82 Für diese Stelle
muss wahrscheinlich eindeutig eine sexuelle Konnotation angenommen werden.
„Der Damaskenos, wie die byzantinische Tradition, sieht in diesen Versen den

75
Baumstark, Anton: Lebenstragik Mohammeds, in: ZMR 22 (1932), 319–332, hier: 328
(sic!).
76
Khoury ²1969 (s. Anm. 17), 63.
77
Graf, Georg: Christliche Polemik gegen den Islam, in: GelbeH 2 (1926), 825–842,
hier: 840.
78
Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 125.
79
Vgl. Gaudefroy-Demombynes (s. Anm. 62), 226; Charles (s. Anm. 62), 43.58; Stieg-
lecker (s. Anm. 70), 430; Rieplhuber (s. Anm. 55), 194f.243; Bousquet (s. Anm. 53), 45;
Khoury (s. Anm. 11), 55; Paret, Rudi: Mohammed und der Koran. Geschichte und Ver-
kündigung des arabischen Propheten (= Kohlhammer-Urban-Taschenbücher 32), Stutt-
gart 102008, 159.
80
Kotter (s. Anm. 34), 65112f..
81
Glei (s. Anm. 49), 81.
82
Wörtliche Koranzitate entstammen der Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 92004.
108 Joachim Braun

Ausdruck ungehemmter sexueller Ausschweifung“83. Johannes kennzeichnet diesen


Surenvers als „αἰσχρός“ (haer. 100)84 und sieht in ihm wohl den Höhepunkt des
koranischen „encouragement au commerce charnel“85. Die Frau wird völlig der
Verfügungsgewalt des Mannes unterstellt, der seinen sexuellen Trieben ungehin-
dert nachgeben darf. Es wird möglicherweise weniger die Benachteiligung der
Frau, als vielmehr die ungebremste Lust gewesen sein, die der Damaszener hier
kritisieren wollte. Er hat in ihr höchstwahrscheinlich einen hochgradigen Wider-
spruch zur christlichen Ethik erkannt.

4.2 Sure „Das Kamel Gottes“


In großer Ausführlichkeit86 berichtet Johannes von Damaskus über die „γραφὴ τῆς
καµήλου τοῦ θεοῦ“ (haer. 100)87. Im heute vorliegenden kanonischen Text des Ko-
rans findet sich jedoch keine Sure mit dem Titel „Das Kamel Gottes“.88 Allerdings
gibt es zahlreiche Verse, die von der Kamelstute des Propheten Ṣāliḥ erzählen (vgl.
Sure 7:73–79; 26:141–159; 54:23–31; 91:11–15).89 Dabei ist von einem Kamel die
Rede, das durch Flechsenschnitt getötet wird, woraufhin Gott die Übeltäter be-
straft, wie der Prophet angekündigt hatte.90 Geradezu midraschartig bietet der
Damaszener eine mit vielen zusätzlichen Informationen ausgeschmückte In-
haltsangabe dieser über den Koran verstreuten Straflegende gegen den Stamm der

83
Khoury, Adel Theodor: Erläuterungen, in: Glei, Reinhold / Khoury, Adel Theodor
(Ed./Übers.): Johannes Damaskenos und Theodor Abū Qurra: Schriften zum Islam.
Kommentierte griechisch-deutsche Textausgabe (= CIsC.G 3), Würzburg u. a. 1995,
185–213, hier: 197.
84
Kotter (s. Anm. 34), 65113.
85
Khoury (s. Anm. 11), 31.
86
Vgl. Kotter (s. Anm. 34), 65f.114–148. Vgl. Hipp, Jeschua: Die Kamele Gottes zwischen
Passion und Himmelfahrt: Die Ironisierung islamischer Narrative und Paradiesvorstel-
lungen in Kapitel 100 der Häresien des Johannes von Damaskus, in: Zeitschrift für Reli-
gionswissenschaft 21 (2013), 228–269, hier: 239. Aufgrund des auffallend großen
Umfangs, den die Beschreibung dieser Geschichte im Verhältnis zu den gesamten Aus-
führungen in haer. 100 einnimmt, wurden für diesen Textabschnitt häufig Interpolatio-
nen (vgl. Le Coz [s. Anm. 16], 195f.) oder redaktionelle Überarbeitungen (vgl. Khoury
[s. Anm. 56], 157) vermutet.
87
Kotter (s. Anm. 34), 65114.
88
Vgl. hier und im Folgenden Sahas (s. Anm. 12), 91; Le Coz (s. Anm. 16), 126; Khoury
(s. Anm. 83), 198; Goetze, Andreas: Religion fällt nicht vom Himmel. Die ersten Jahr-
hunderte des Islams, Darmstadt ²2012, 245.
89
Vgl. dazu Sprenger, Aloys: Das Leben und die Lehre des Moḥammad. Nach bisher
grösstenteils unbenutzen Quellen. Erster Band, Berlin 1861, 518–525; Stieglecker
(s. Anm. 70), 247f.; Hipp (s. Anm. 86), 242–244. Johannes von Damaskus erwähnt Ṣāliḥ
jedoch nicht.
90
Vgl. hier und im Folgenden Körner, Felix: Kirche im Angesicht des Islam. Theologie
des interreligiösen Zeugnisses, Stuttgart 2008, 239.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 109

Ṯamūd. Hierfür hat er wohl auch Traditionen aus der mündlichen Überlieferung,
möglicherweise auch Ḥadīṯe aufgegriffen.91
Die nachfolgenden Überlegungen widmen sich zunächst der formalen Frage-
stellung, welche Bedeutung Johannes von Damaskus als Zeuge im Kanonisierungs-
prozess des Korantextes zukommt, wenn er im achten Jahrhundert nach eigener
Überzeugung eine Sure zitiert, die heute dergestalt nicht mehr vorkommt.92 Schließ-
lich sollen darüber hinaus zwei inhaltliche Themenkreise aufgegriffen werden, die
fragen, warum der Damaszener gerade mit der Geschichte der Kamelstute gegen
den Islam polemisiert und wie er in diesem Zusammenhang die muslimische Lehre
über Paradies und Hölle beschreibt.

4.2.1 Johannes als Zeuge im Kanonisierungsprozess des Korantextes


Die Forschungsmeinungen zur Sammlung und Redaktion des Korantextes sind ge-
spalten. In der muslimischen Tradition wird dies als das Werk der ersten drei Kali-
fen, Abū Bakr, ʿUmar und ʿUṯmān, angesehen. Die letzte Redaktion unter dem
Kalifen ʿUṯmān hätte schließlich in der Mitte des siebten Jahrhunderts den offi-
ziellen Korantext erbracht, der überall und für alle Zeiten Gültigkeit besäße.93 Die
christliche Polemik gegen den Koran setzt in der zweiten Hälfte des achten Jahr-
hunderts ein94 und bezieht sich auffälliger Weise nicht nur auf seinen Inhalt, son-
dern auch auf die Textüberlieferung, da wohl selbst unter den Christen bekannt
war, dass der Koran nicht von Anfang an eine feste und allgemein anerkannte
Textform hatte.95 ʿUṯmān hätte, so will es die islamische Tradition, Abschriften der
kanonischen Ausgabe des Korans in Medina erstellen lassen und diese in die gro-
ßen Städte des Kalifenreiches verschickt, um die einzig gültige Lesart festzule-
gen.96 Auch nach Damaskus sei eine solche authentische Kopie versandt und alle
abweichenden Koranausgaben vernichtet worden, sodass sich der neue Text ohne

91
Vgl. Khoury ²1969 (s. Anm. 17), 64; Ducellier, Alain: Le Miroir de lʼIslam. Musulmans
et Chrétiens dʼOrient au Moyen Age (VIIe–XIe siècles) (= Collection Archives 46), Paris
1971, 132; Khoury (s. Anm. 56), 159; Hipp (s. Anm. 86), 245–247.
92
Dies kann wohl nicht nur als Fehler des Damaszeners gewertet werden. Vgl. dagegen
Becker, C. H.: Islamstudien. Vom Werden und Wesen der islamischen Welt I, Hildes-
heim 1967, 436; Khoury 1995 (s. Anm. 17), 45; Körner (s. Anm. 90), 239.
93
Vgl. Blachère, Régis: Introduction au Coran, Paris ²1977, 52; Krawulsky, Dorothea: Ei-
ne Einführung in die Koranwissenschaften. ʿUlūm al-Qurʾān (= Welten des Islams 1),
Bern u. a. 2006, 145; Bobzin (s. Anm. 1), 102.
94
Vgl. Mingana, Alphonse: The transmission of the Ḳurʼān, in: JMEOS 5 (1915/1916),
25–47, hier: 39.44; Fritsch, Erdmann: Islam und Christentum im Mittelalter. Beiträge
zur Geschichte der muslimischen Polemik gegen das Christentum in arabischer Sprache
(= BSHT 17), Breslau 1930, 97; Bruns (s. Anm. 31), 5 Fn 24.
95
Vgl. Bruns (s. Anm. 31), 5.
96
Vgl. hier und im Folgenden Blachère (s. Anm. 93), 62; Khoury, Adel Theodor: Der Ko-
ran. Arabisch – Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar. Band 1.
Muḥammad. Der Koran. Sure 1,1–2,74, Gütersloh 1990, 73.
110 Joachim Braun

Schwierigkeiten sogleich durchgesetzt hätte. Allerdings dürfte dies ein Euphe-


mismus der islamischen Überlieferung sein, haben sich andere Koranausgaben
wohl doch länger erhalten. Wenn Johannes aus dem Koran die Sure „Das Kamel
Gottes“ zitiert, so könnte ihm möglicherweise eine Rezension des Buches aus sei-
ner Heimatstadt bekannt gewesen sein, die ein solches Kapitel enthielt.97 In der ka-
nonischen Lesart des Korans sei diese Sure später entfallen, die übrigen Erwäh-
nungen der Kamelstute des Prophten Ṣāliḥ blieben dabei unerklärt stehen.98 Damit
wird Johannes von Damaskus zum Zeugen, dass der Kanonisierungsprozess des
Korans entgegen der muslimischen Tradition im achten Jahrhundert noch nicht
vollständig abgeschlossen war.99

4.2.2 Christologische Deutung


Nach diesen formalen Überlegungen zu Johannes von Damaskus als Zeugen für
den Kanonisierungsprozess des Korantextes soll nun eine inhaltliche Fragestellung
ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Es mag nämlich durchaus verwundern,
weswegen der Damaszener der Erzählung über die Kamelstute des Propheten Ṣāliḥ
eine derart ausführliche Beachtung schenkt. Es drängt sich die Frage auf, worin die
polemische Argumentationskraft seiner Ausführungen besteht und ob er mit sei-
nem auffallend detaillierten Bericht die Kamelsure wirklich nur als eine der vielen
absurden Geschichten Mohammeds (vgl. haer. 100)100 charakterisieren möchte.
Möglicherweise erkennt er in ihr auch Anspielungen auf den christlichen Glauben,
allerdings mit starken Veränderungen und Verzerrungen.101 Mohammed sei nicht
die vollständige Wahrheit über das Kamel geoffenbart worden.102 Vor allem in
dem „µικρὰ κάµηλος“ (haer. 100)103 könnte Johannes von Damaskus einen
korrumpierten christologischen Hintergrund gesehen haben.104 Über die Herkunft

97
Vgl. King, N. Q.: S. Joannis Damasceni De haeresibus. cap. CI and Islam, in: Cross, F.
L. (Hrsg.): Studia Patristica. Vol. VIII. Papers presented to the Fourth International Con-
ference on Patristic Studies held at Christ Church, Oxford, 1963. Part II Patres Apostoli-
ci, Historica, Liturgica, Ascetica et Monastica (= TU 93), Berlin 1966, 76–81, hier: 79;
Le Coz (s. Anm. 16), 72 Fn 1.126 Fn 1; Bádenas de la Peñas (s. Anm. 41), 19. Vgl. da-
gegen Pochoshajew (s. Anm. 7), 69.
98
Vgl. Ohlig (s. Anm. 47), 304.
99
Vgl. Khoury (s. Anm. 96), 76.
100
Vgl. Kotter (s. Anm. 34), 6495f..
101
Vgl. Davids / Valkenberg (s. Anm. 25), 82.
102
Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 127.
103
Kotter (s. Anm. 34), 65120. Κάµηλος sei bei Johannes auch dann grammatisch feminin,
wenn damit ein männliches Tier bezeichnet werde. Deshalb beziehen sich die nachfol-
gend angeführten Adjektive auf das Kameljunge und nicht wie von Glei (s. Anm. 49),
83 fälschlich angenommen auf die Kamelstute. Vgl. Körner (s. Anm. 90), 239 Fn 4.
104
Vgl. hier und im Folgenden Körner (s. Anm. 90), 239f. Das Kameljunge taucht in den heu-
tigen Koranversen zur Kamelstute Ṣaliḥs nicht auf. Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 127; Louth
(s. Anm. 5), 79f.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 111

dieses kleinen Kamels trifft er in diesem Zusammenhang eine interessante Aussa-


ge. So erweise sich das Kameljunge als „ἀπάτορα“, „ἀµήτορα“ und „ἀγενεαλό-
γητον“ (haer. 100)105, als vaterlos, mutterlos und überhaupt ohne Vorfahren. Mit ge-
nau denselben Worten wird in Hebr 7,3 Melchisedek charakterisiert, der nicht
durch Abstammung, sondern durch göttliche Erwählung zum Priester bestimmt ist.
Wird im Hebräerbrief der alttestamentliche Priester Melchisedek typologisch auf
Jesus Christus hin ausgelegt, könnte Johannes im Kameljungen ebenfalls ein chris-
tologisches Bild erkannt haben.
Des Weiteren erinnere der Abschnitt

Καί φαµεν·Συνεβιβάσθη ταύτῃ κάµε- Wir sagen: Hatte ein anderes Kamel
λος ἄλλη; Καὶ λέγουσιν· Οὐχί. (haer. Verkehr mit der Kamelstute? Sie sa-
100)106 gen: Nein.107

an die im Koran bezeugte Lehre von der Jungfrauengeburt.108 Darüber hinaus wird
das kleine Kamel in den Himmel aufgenommen (vgl. haer. 100)109, wie auch Jesus
aus der Todesnot von Gott errettet wurde (vgl. Sure 4:158).110 „Wir haben es hier
offenbar mit einer Verfremdung der Jesusgeschichte zu tun. Johannes will zeigen,
dass auch der Islam das Mysterium des Christentums tradiert, es aber unbewusst
tut.“111 Diesen Vorwurf bringt der Damaszener allerdings nur indirekt zur Sprache.

105
Kotter (s. Anm. 34), 66124f..
106
Kotter (s. Anm. 34), 66122f..
107
Glei (s. Anm. 49), 81.83.
108
In Textabschnitt (3), wenn der Damaszener über die Theologie, Mariologie und „Chris-
tologie“ des Korans schreibt, erwähnt er als einen islamischen Lehrinhalt, dass Jesus aus
Maria „ἄνευ σπορᾶς“ (haer. 100; Kotter [s. Anm. 34], 6120) geboren worden sei. Hierbei
spielt er wohl auf den Glauben an die jungfräuliche Geburt an, die auch im Islam eine
wichtige Rolle spielt. Vgl. Khoury (s. Anm. 11), 27; Khoury (s. Anm. 83), 189; Hof-
mann, Johannes: Das Leben des Johannes von Damaskus (um 655 – 744/54) und seine
Ausführungen über die Mariologie des Islams. Frühe Einblicke in den Islam aus melkiti-
scher Perspektive, in: Flogaus, Reinhard / Wasmuth, Jennifer (Hrsg.): Orthodoxie im
Dialog. Historische und aktuelle Perspektiven (FS Heinz Ohme = AKG 130), Berlin
u. a. 2015, 265–279, hier: 276–278.
109
Vgl. Kotter (s. Anm. 34), 66126.
110
Johannes kommentiert die koranische Lehre zur Kreuzigung Jesu ebenfalls bereits in
Textabschnitt (3) und dürfte sich dabei vor allem auf Sure 4:157 beziehen (vgl. Kotter
[s. Anm. 34], 6122–24). Die arabische Formulierung „    “, die „zu den dunkelsten
und umstrittensten, die Spekulation der muslimischen wie nichtmuslimischen Exegeten
am meisten stimulierenden Formulierungen des gesamten Korans“ (Bauschke, Martin:
Der Sohn Marias. Jesus im Koran, Darmstadt 2013, 119) gehört, gibt der Damaszener
mit „ἐσταύρωσαν τὴν σκιὰν αὐτοῦ“ wieder und fügt „Χριστὸς οὐκ ἐσταυρώθη“ (Kotter
[s. Anm. 34], 6123f.) hinzu. Damit wird Johannes wohl zum ersten Autor, der diesen Ko-
ranvers kommentierte. Vgl. Lawson, Todd: The Cruxifixion and the Qurʼan. A Study in
the History of Muslim Thought, Oxford 2009, 7 Fn 13.
111
Körner (s. Anm. 90), 240.
112 Joachim Braun

Auch er erklärt das Geheimnis der Kamelsure nicht, spottet vielmehr nur darüber,
dass der Prophet des Islam den Inhalt seiner eigenen Verkündigung nicht erkannt
habe.112

4.2.3 Paradies und Hölle im Islam


Am Ende seiner Ausführungen zur Sure „Das Kamel Gottes“ polemisiert Johannes
von Damaskus gegen die Jenseitserwartung des Islam.113 Hier verlasse der Text
den Boden einer seriösen Auseinandersetzung und drücke sich mit polemischer
Bissigkeit und beleidigendem Hohn aus.114 Der Damaszener weist dabei auf die
Inkonsistenz der Erzählung über die Kamelstute hin. Das mangelhafte Wissen des
Propheten über das Kamelfohlen gefährde die Paradieserwartungen der Mus-
lime.115 Die Verheißungen Mohammeds würden trügen, in Wirklichkeit befänden
sie sich auf dem Weg in die Hölle.
Wenn Johannes von Damaskus vom Paradies „τῆς τρυφῆς“ (haer. 100)116
schreibt, scheint er die koranische Lehre über die sinnlichen Freuden117 im Jenseits
zu kennen. So mokiert er sich über den übermäßigen Weingenuss im Paradies:

Κἂν οἶνον ἐκ τοῦ παροδεύοντος ἐπι- Wenn ihr aber den Wein aus dem vor-
θυµήσητε ποταµοῦ, […] ἄκρατον πί- beifließenden Fluß begehrt, […] und
νοντες ἐκκαίεσθε καὶ µέθῃ παραπαίετε ihr ihn ungemischt trinkt, dürftet ihr in
καὶ καθεύδετε·καρηβαροῦντες δὲ καὶ Hitze geraten, durch Trunkenheit den
µεθʼ ὕπνον καὶ κεκραιπαληκότες ἐξ Verstand verlieren und einschlafen.
οἴνου τῶν ἡδέων ἐπιλανθάνεσθε τοῦ Mit schwerem Kopf aber nach dem
παραδείσου. (haer. 100)118 Schlaf und noch schwindlig vom Wein,
werdet ihr die Freuden des Paradieses
vergessen119.

112
Vgl. Körner (s. Anm. 90), 239; Hipp (s. Anm. 86), 268.
113
Johannes war wohl die herausragende Bedeutung der Paradiesverheißung und Höllenan-
drohung in der Predigt Mohammeds bekannt. Vgl. Hipp (s. Anm. 86), 256.
114
Vgl. Khoury (s. Anm. 83), 198. Hipp (s. Anm. 86), 240 Fn 41 argumentiert gegen diese
Beurteilung.
115
Vgl. hier und im Folgenden Pochoshajew (s. Anm. 7), 68 Fn 33.
116
Kotter (s. Anm. 34), 66142.
117
Vgl. Henninger, Josef: Spuren christlicher Glaubenswahrheiten im Koran (= SNZM 10),
Schöneck / Beckenried (Schweiz) 1951, 82; Horovitz, Josef: Das koranische Paradies
(= Scripta Universitatis atque Bibliotheca Hierosolymitanarum), Jerusalem 1973, 5; Rae-
der, Siegfried: Biblische Traditionen im Koran, in: JBTh 12 (1997), 309–331, hier: 315.
118
Kotter (s. Anm. 34), 66137–141.
119
Glei (s. Anm. 49), 83.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 113

Tatsächlich wird den Muslimen in Sure 47:15 und 83:25–28 für das Paradies der
Weingenuss erlaubt, der im diesseitigen Leben noch verboten ist.120 Wenn Johan-
nes von Damaskus diese Verheißungen kannte, so verschwieg er wichtige Details,
die seiner polemischen Argumentation widersprochen hätten. Zum einen wird auch
der paradiesische Wein nicht unvermischt getrunken, sondern mit Wasser aus der
Tasnīm-Quelle verdünnt (vgl. Sure 83:27f.).121 Zum anderen ist sein Genuss nicht
berauschend (vgl. Sure 37:47; 52:23; 56:19).122
Der Damaszener beendet seine Ausführungen zur Kamelsure mit der Drohung,
dass die Muslime im Jenseits nicht im Paradies, sondern in der Hölle sein werden.

Ἐκεῖσε δὲ σκότος ἐστὶ τὸ ἐξώτερον Dort aber umgibt euch Dunkelheit, dort
καὶ κόλασις ἀτελεύτητος, πῦρ ἠχοῦν, sind ewige Strafe, brüllendes Feuer, ein
σκώ-ληξ ἀκοίµητος καὶ ταρτάριοι niemals schlafender Wurm und hölli-
δαίµονες. (haer. 100)123 sche Geister124.

Für seine Höllenbeschreibung greift er dabei auf bekannte Bilder aus der Bibel zu-
rück, so ist die Vorstellung der „σκότος […] τὸ ἐξώτερον“ Mt 8,12 entnommen.
Der „σκώληξ ἀκοίµητος“ erinnert an Jes 66,24, das als Zitat im Drohwort Mk 9,48
wieder aufgegriffen wird. Aber Johannes spielt hier wohl nicht nur auf christliche
Höllenvorstellungen an, sondern greift auch koranische Metaphern und Bilder auf.
Im Islam wird die Hölle ebenfalls als ein tiefer Abgrund unter der Erde beschrie-
ben, in dem die Menschen vor allem durch Feuerqualen bestraft werden.125 Tat-
sächlich findet sich im Koran eine massive Fülle von Passagen, die das Feuer der
Hölle als Strafe Gottes nach diesem Leben oder nach dem Endgericht erwähnen.126
Mit den „ταρτάριοι δαίµονες“ könnte Johannes auf die im Koran erwähnten Höl-
lenwächter (vgl. Sure 40:49f.; 66:6; 69:30–37; 74:30f.; 96:18) anspielen, die als
gute, Gott dienstbare Engel die Strafurteile Allahs vollstrecken.127 Abschließend

120
Auf das Verbot des Weingenusses kommt Johannes in Textabschnitt (7) zu sprechen
und haer. 100 endet mit der Feststellung „οἰνοποσίαν δὲ παντελῶς ἀπηγόρευσεν“ (Kot-
ter [s. Anm. 34], 67172).
121
Vgl. Schedl, Claus: Muhammad und Jesus. Die christologisch relevanten Texte des Ko-
rans neu übersetzt und erklärt, Wien u. a. 1978, 129.
122
Vgl. Henninger (s. Anm. 117), 84; Merrill (s. Anm. 38), 94; Schirrmacher (s. Anm. 62),
202.
123
Kotter (s. Anm. 34), 66147f..
124
Glei (s. Anm. 49), 83.
125
Vgl. Henninger (s. Anm. 117), 94.96; Schirrmacher (s. Anm. 62), 200.
126
Vgl. Girschek, Georg: Zur Bedeutung des Feuers in Bibel und Koran. Versuch eines re-
ligionsphänomenologischen Vergleichs, in: Hagemann, Ludwig / Khoury, Adel Theodo-
re / Wanzura, Werner (Hrsg.): Auf dem Weg zum Dialog. (FS Muhammad Salim
Abdullah = Religionswissenschaftliche Studien 37), Würzburg u. a. 1996, 213–226,
hier: 222f.
127
Vgl. Henninger (s. Anm. 117), 59f.63.78.95f.
114 Joachim Braun

sei kurz darauf hingewiesen, dass das Bildwort „ψυχὰς ὄνων“ (haer. 100)128, das
Johannes von Damaskus als Metapher für die Hölle gebraucht, unklar bleibt. Her-
kunft und Bedeutung der „Seelen der Esel“ müssen an dieser Stelle offenbleiben.129

4.3 Sure „Der Tisch“


Schließlich weist Johannes von Damaskus auf eine Episode hin, die sich in Sure
5:112–115 wiederfindet.130 Der Damaszener paraphrasiert den Korantext, wenn er
schreibt:

Πάλιν φησὶν ὁ Μάµεδ· ἡ γραφὴ „τῆς Ferner sagt Muḥammad: Die Sure
τραπέζης“ λέγει δέ, ὅτι ὁ Χριστὸς „Der Tisch“ erzählt, daß Christus von
ᾐτήσατο παρὰ τοῦ θεοῦ τράπεζαν, καὶ Gott einen Tisch erbat, und er ihm ge-
ἐδόθη αὐτῷ. Ὁ γὰρ θεός, φησίν, εἶπεν geben wurde. Denn Gott, heißt es,
αὐτῷ, ὅτι δέδωκά σοι καὶ τοῖς σοῖς sagte zu ihm: „Ich habe dir und den
τράπεζαν ἄφθαρτον. (haer. 100)131 Deinen einen unvergänglichen Tisch
gegeben.“132

Johannes fasst damit zwar den Inhalt der entsprechenden Verse der fünften Sure
zusammen, allerdings gibt er keinen Hinweis darauf, wie er selbst diese Stelle ver-
stand. Er rechnet sie unter die vielen absurden Geschichten (vgl. haer. 100)133, die
für ihn den Koran charakterisieren. Es kann deshalb nur vermutet werden, warum
er gerade diese Erzählung für seine polemischen Ausführungen auswählte.
Tatsächlich darf für den koranischen Wunderbericht über den von Jesus er-
betenen Tisch vom Himmel ein christlicher Hintergrund angenommen werden. Da-
rauf weisen philologische und etymologische Überlegungen hin. Denn das an
dieser Stelle in der Bedeutung „Tisch, gedeckte Tafel, Fest“ gebrauchte Wort
 ‫ ٔى‬
, das – wie Johannes richtig weiß – auch Titel der gesamten Sure ist, stellt

128
Kotter (s. Anm. 34), 66145.
129
Einzig eine entfernte Assoziation mit Jer 22,19 erscheint möglich. In diesem Drohwort
wird König Jojakim ein unehrenhaftes Eselsbegräbnis verheißen. Möglicherweise dachte
der Damaszener aber auch an die Charakterisierung Ismaels als Wildesel in Gen 16,12.
Eine andere, jedoch ebenso unwahrscheinliche Möglichkeit bildet Sure 2:259. In diesem
wohl Ez 37,1–14 nachgestalteten Wunderbericht (vgl. Paret, Rudi: Der Koran. Kom-
mentar und Konkordanz. Mit einem Nachtrag zur Taschenbuchausgabe, Stuttgart 72005
(unveränderter Nachdruck ²1977), 56), wird ein Esel von Allah wieder zum Leben er-
weckt. Ferner tritt der Esel in Sure 31:19 und 62:5 negativ konnotiert auf. Vgl. auch
Hipp (s. Anm. 86), 262–264.
130
Vgl. Khoury (s. Anm. 83), 198.
131
Kotter (s. Anm. 34), 67149–151.
132
Glei (s. Anm. 49), 83.
133
Vgl. Kotter (s. Anm. 34), 6495.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 115

wohl ein äthiopisches Lehnwort (ማእድ፡) im Arabischen dar.134 „Nicht wenige christ-
liche Termini, aramäischer und auch abessinischer Herkunft […], hatten sich in der
arabischen Sprache eingebürgert“135. Von daher ergibt sich wohl eine Überlieferung
dieser Wundergeschichte über das christliche Äthiopien auf die arabische Halbinsel.
In der islamwissenschaftlichen Forschung wurde der Inhalt von Sure 5:112–115
oftmals als „Muhammeds Abendmahlssurrogat“136 ausgelegt. Es liege hier die ko-
ranische Version des neutestamentlichen Berichts über das Letzte Abendmahl
vor.137 Wenngleich in dieselbe Richtung, jedoch noch einen Schritt weiter geht die
Interpretation, die darin einen Anklang an die christliche Eucharistiefeier sieht.138
Diese Auslegung stützt sich vor allem auf Vers 115, der als Drohung an 1 Kor
11,27–29 erinnere und möglicherweise als ursprünglicher Bestandteil des ganzen
Berichts mit in die koranische Tradition übernommen worden sei.139 Es wird in der
Forschungsliteratur diskutiert, ob auch Johannes für Sure 5:112–115 „einen kor-
rumpierten eucharistischen Hintergrund“140 annahm, weshalb er diese Stelle in sei-
ner polemischen Abhandlung über den Islam zitiert haben könnte.141 Ob Johannes
an dieser Stelle aber wirklich ein falsches Eucharistieverständnis im Koran
kritisieren wollte, ist äußerst fraglich142, nicht zuletzt deshalb, weil die eucha-
ristische Deutung der Sure keineswegs unumstritten ist.143 Aufgrund des weiten

134
Vgl. Dillmann, Christian Friedrich August: Lexicon linguae aethiopicae cum indice latino.
Adiectum est vocabularium Tigre dialecti septentrionalis compilatum a Werner Munzin-
ger, Leipzig 1865, 197f.; Ahrens, Karl: Christliches im Koran. Eine Nachlese, in: ZDMG
84 (1930), 15–68.148–190, hier: 23; Kropp, Manfred: Viele fremde Tische, und noch
einer im Koran: Zur Etymologie von äthiopisch maʼəd(də) und arabisch māʼida/mayda,
in: OrChr 87 (2003), 140–143, hier: 141; Kropp, Manfred: Äthiopische Arabesken im
Koran. Afroasiatische Perlen auf Band gereiht, einzeln oder zu Paaren, diffus verteilt
oder an Glanzpunkten, in: Groß, Markus / Ohlig, Karl-Heinz (Hrsg.): Schlaglichter. Die
beiden ersten islamischen Jahrhunderte (= Inârah 3), Berlin 2008, 384–410, hier: 396.408.
135
Wellhausen, Julius: Reste arabischen Heidentums. Gesammelt und erläutert, Berlin
³1961, 232.
136
Rösch, Gustav: Die Jesusmythen des Islam, in: ThStKr 49 (1876), 409–454, hier: 447.
137
Vgl. Gerock, Carl Friedrich: Versuch einer Darstellung der Christologie des Koran, Ham-
burg 1839, 54f.; Andrae (s. Anm. 70), 31; Paret (s. Anm. 129), 133.
138
Vgl. Merrill (s. Anm. 38), 93; ʿAbd al-Tafāhum: The Qurʼān and the Holy Communion,
in: MW 49 (1959), 239–248; Bruns (s. Anm. 31), 16 Fn 71; Bauschke (s. Anm. 110), 80.
139
Vgl. Busse, Heribert: Die theologischen Beziehungen des Islams zu Judentum
und Christentum. Grundlagen des Dialogs im Koran und die gegenwärtige Situation
(= Grundzüge 72), Darmstadt 1988, 131; Schumann, Olaf H.: Der Christus der Muslime.
Christologische Aspekte in der arabisch-islamischen Literatur (= KVRG 13), Köln u. a.
²1988, 25.
140
Bruns (s. Anm. 31), 16 Fn 71.
141
Vgl. Sahas (s. Anm. 12), 93.
142
Vgl. Eichner (s. Anm. 36), 200.
143
Vgl. Schedl (s. Anm. 121), 542; Khoury, Adel-Thédore: Apologétique byzantine contre
lʼIslam (VIIIe – XIIIe s.) (= Studien 1), Altenberge 1982, 127; Le Coz (s. Anm. 16), 129;
Gnilka, Joachim: Die Nazarener und der Koran. Eine Spurensuche, Freiburg i. Br. u. a.
2007, 114; Bauschke (s. Anm. 110), 77.
116 Joachim Braun

Bedeutungsspektrums des arabischen Begriffs  ‫ ٔى‬


, der nicht nur mit „Tisch“,
sondern auch mit „Speise“ übersetzt werden kann, muss für einen christlichen Hin-
tergrund nicht zwangsläufig an die Eucharistie gedacht werden.144 An dieser Stelle
muss offen bleiben, wie Johannes von Damaskus selbst die von ihm paraphrasier-
ten Verse verstand und warum er gerade diese in seiner Polemik gegen den Islam
erwähnte. Möglicherweise ist einer sehr simplen Lösung der Vorzug zu geben: Er
könnte die „Christologie“ kritisieren wollen, die hinter der Erzählung des Tisch-
wunders steht. Als Gesandtem Gottes kommt Jesus nur eine fürbittende Mittlerrol-
le zu, denn im letzten ist es nicht er, der das Wunder wirkt, sondern Allah.145
Dagegen stehen für den Kirchenlehrer die Wundererzählungen der Evangelien.

4.4 Sure „Die junge Kuh“


Als viertes und letztes Beispiel aus dem Koran führt Johannes von Damaskus
schließlich unter dem Titel „Die junge Kuh“ Sure 2 an (vgl. haer 100)146. Sie dürf-
te dem Damaszener in ihrem Inhalt durchaus bekannt gewesen sein. Doch obwohl
diese Sure mit ihren 286 Versen die längste im Koran ist und theologisch interes-
sante Fragestellungen beispielsweise zur Schöpfung, über Abraham, zu den Spei-
segeboten oder auch zur Feier der Hochzeit behandelt, übergeht Johannes ihre
verschiedenen Thematiken schweigend.147 Er polemisiert dagegen äußerst heftig,
indem er schreibt, im Koran gebe es noch

ἄλλα τινὰ ῥήµατα γέλωτος ἄξια (haer. andere lächerliche Äußerungen149.


100)148.

144
Verschiedene andere Deutungen finden sich bei Gerock (s. Anm. 137), 55; Khoury,
Adel-Théodore: Die Christologie des Korans. Stellungnahme des heiligen Buches des
Islam über Jesus, den Sohn der Maria, in: ZMR 52 (1968), 49–63, hier: 54; Paret
(s. Anm. 129), 133; Arnaldez, Roger: Jésus. Fils de Marie prophète de lʼIslam (= CJJC 13),
Paris 1980, 235; Busse (s. Anm. 139), 130; Le Coz (s. Anm. 16), 129; Klausnitzer,
Wolfgang: Jesus und Muhammad. Ihr Leben, ihre Botschaft. Eine Gegenüberstellung,
Freiburg i. Br. u. a. 2007, 202 Fn 44; van der Horst (s. Anm. 36), 154 Fn 31; van Reeth,
J. M. F.: Eucharistie im Koran, in: Groß, Markus / Ohlig, Karl-Heinz (Hrsg.): Schlag-
lichter. Die beiden ersten islamischen Jahrhunderte (= Inârah 3), Berlin 2008, 457–460,
hier: 459; Eißler, Friedmann: Jesus und Maria im Islam, in: Böttrich, Christfried / Ego,
Beate / Eißler, Friedmann (Hrsg.): Jesus und Maria in Judentum, Christentum und Islam
(= Judentum, Christentum und Islam 2), Göttingen 2009, 120–205, 158.193; Bauschke
(s. Anm. 110), 77–79.
145
Vgl. Schedl (s. Anm. 121), 541.544; Riße, Günter: „Gott ist Christus, der Sohn der Ma-
ria“. Eine Studie zum Christusbild im Koran (= Begegnung. Kontextuell-dialogische
Studien zur Theologie der Kulturen und Religionen 2), Bonn 1989, 211.
146
Kotter (s. Anm. 34), 67152.
147
Vgl. Le Coz (s. Anm. 16), 130.
148
Kotter (s. Anm. 34), 67152.
149
Glei (s. Anm. 49), 83.
Johannes von Damaskus als Koranexeget 117

An dieser Stelle soll auch darauf hingewiesen werden, dass die Edition des grie-
chischen Textes der Häresiengeschichte durch Michel Le Quien im 94. Band der
Patrologia Graeca Mignes für „βοιδίου“ (haer. 100)150 als Titel der Sure die Alter-
native „κυνιδίου“ (PG 94, 772D) verzeichnet. Paul Khoury macht in seiner Studie
darauf aufmerksam, dass es zwar keine Sure mit dem Titel „Der Hund“ gebe, Jo-
hannes hier aber auf Sure 18 anspielen könnte.151 Dort wird in den Versen 9 bis 26
eine koranische Version der Sieben-Schläfer-Legende erzählt.152 In ihr spielt ein
Hund als Bewacher der schlafenden Heiligen eine wichtige Rolle.153 Über die Ent-
stellung der ursprünglich christlichen Heiligengeschichte154 würde sich der Damas-
zener mokieren, wenn er mit den Worten „ἄλλα τινὰ ῥήµατα γέλωτος ἄξια“ (haer.
100)155 fortfahre. Dies könnte erklären, warum Johannes nichts aus dem Inhalt der
Sure zitiert, sondern sich mit einer bloßen Erwähnung und polemischen Verurtei-
lung begnügt.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Der Großteil der Damaszenusforschung ist sich einig, dass Johannes eine sehr gute
Kenntnis über den Islam und große Vertrautheit mit dessen Inhalten und Tradi-
tionen besaß, die über bloß rudimentäres Wissen hinausgehen.156 Wie auch in den
obigen Ausführungen häufig deutlich wurde, so scheint er die islamische Lehre in
haer. 100 trotz der polemischen Intention durchaus exakt wiederzugeben. Er weiß
um die wichtigsten Lehrmeinungen, Traditionen und Gebräuche und dürfte dieses
profunde Wissen in direktem Kontakt mit dem Islam in seinen frühen Lebens-
jahren erworben haben. So vermittelt er zwar ein sehr polemisches, doch kenntnis-
reiches Bild des Islam.157 Die zahlreichen Zitate und Anspielungen auf verschiedene

150
Kotter (s. Anm. 34), 67152.
151
Vgl. hier und im Folgenden Khoury (s. Anm. 11), 25 Fn 34.
152
Vgl. Kandler, Hermann: Die Bedeutung der Siebenschläfer (Aṣḥāb al-kahf) im Islam. Un-
tersuchungen zu Legende und Kult in Schrifttum, Religion und Volksglauben unter beson-
derer Berücksichtigung der Siebenschläfer-Wallfahrt (= Abhandlungen zur Geschichte der
Geowissenschaften und Religion/Umwelt-Forschung, Beiheft 7), Bochum 1994.
153
Vgl. Kandler (s. Anm. 152), 56–58.
154
Die koranische Version ist von der ursprünglichen Erzählung stark unterschieden und
hebt sich deutlich von der christlichen Vorlage ab. Vgl. Kandler (s. Anm. 152), 13f.
155
Kotter (s. Anm. 34), 67152.
156
Vgl. hier und im Folgenden beispielhaft Khoury (s. Anm. 69), 12; Khoury ²1969 (s. Anm.
17), 55; Sahas (s. Anm. 12), 95; Sahas (s. Anm. 11), 108; Le Coz (s. Anm. 16), 132.197;
Sahas (s. Anm. 17), 195.199; Valkenberg (s. Anm. 11), 19; Louth (s. Anm. 5), 80;
Pochoshajew (s. Anm. 7), 66; Griffith (s. Anm. 3), 42; van der Horst (s. Anm. 36), 157;
Hipp (s. Anm. 86), 238; Hofmann (s. Anm. 4), 329.
157
Vgl. Raeder (s. Anm. 29), 6.
118 Joachim Braun

Suren beweisen seine Korankenntnis.158 Ihn dürfte der Damaszener in der arabi-
schen Originalsprache gelesen haben. „Dass Johannes die arabische Sprache be-
herrscht hat, ist schon wegen seiner amtlichen Stellung sicher; es ist daher auch
anzunehmen, daß er den Koran im Urtexte benutzt hat, wie sich aus mehreren Zita-
ten ergibt“159. Allerdings soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass ge-
rade dieser letzte Punkt unter den Fachleuten „[a]rge Meinungsverschieden-
heiten“160 hervorgerufen hat. So schreibt beispielsweise John Meyendorff über
Johannesʼ Korankenntnis und haer. 100 im Allgemeinen: „Any knowledge of Is-
lam, direct or indirect, which is betrayed by John, relates to four suras only – the
second, the third, the fourth, and the fifth – and to the oral Islamic traditions“161.
Der Damaszener habe in einem „Christian ghetto“162 gelebt. Auch Felix Körner
urteilt eher negativ: „Doch was Johannes hier unternimmt, ist kein ernsthaftes Ge-
spräch. Er schreibt im Kloster über den Islam; er betreibt nicht einmal Quellen-
studium.“163 Ferner hält er fest: „Die Islamauseinandersetzung des Johannes wirkt,
als sei er bereit, sich auf das zu verlassen, was er beim Spielen mit Yazid aufge-
schnappt hat. Ihm kommt es offenbar vor allem darauf an, die Überlegenheit des
eigenen Glaubens zu erweisen.“164 Die vorangegangenen Ausführungen haben je-
doch gezeigt, dass wohl eher der ersten Gruppe von Forschern zugestimmt werden
muss, die in Johannes von Damaskus einen profunden Kenner des Islam seiner Zeit
sehen. Sein Wissen um den Korantext wird in haer. 100 eindeutig sichtbar.
Der Einfluss des Damaszeners auf die nachfolgenden Generationen der anti-
islamischen Polemik christlicher Autoren bis in moderne Zeiten hinein kann nicht
überschätzt werden.165 Als erster griechischsprachiger Theologe, der sich intensiv

158
Vgl. Eichner (s. Anm. 36), 242; Merrill (s. Anm. 38), 97; Khoury (s. Anm. 11), 35f.;
Khoury 1995 (s. Anm. 17), 44f.; Ducellier, Alain: Chrétiens dʼOrient et Islam au Moyen
Age. VIIe–XVe siècle, Paris 1996, 110; Hoyland (s. Anm. 33), 489; Louth (s. Anm. 5),
80; Raeder, Siegfried: Der Islam und das Christentum. Eine historische und theologische
Einführung, Neukirchen-Vluyn ²2003, 171; Pochoshajew (s. Anm. 7), 65; Vrankic, Pe-
ter: Die Rezeption des Islam in der Ost- und Westkirche in der Zeit vom 7. bis zum 10.
Jahrhundert, in: Hauke, Manfred /Stickelbroeck, Michael (Hrsg.): Donum Veritatis.
Theologie im Dienst an der Kirche. (FS Anton Ziegenaus), Regensburg 2006, 423–449,
hier: 433.
159
Güterbock, Carl: Der Islam im Lichte der byzantinischen Polemik, Berlin 1912, 12. Vgl.
Eichner (s. Anm. 36), 242; Nasrallah (s. Anm. 4), 179; Addison, James Thayer: The Chris-
tian Approach to the Moslem. A Historical Study, New York 1966, 27; Louth (s. Anm. 7),
7; Pochoshajew (s. Anm. 7), 70; Griffith (s. Anm. 3), 41; van der Horst (s. Anm. 36), 149;
Winkler (s. Anm. 3), 78.
160
Kotter (s. Anm. 34), 7.
161
Meyendorff, John: Byzantine Views of Islam, in: DOP 18 (1964), 113–132, hier: 118.
162
Meyendorff (s. Anm. 161), 117.
163
Körner (s. Anm. 90), 240.
164
Körner (s. Anm. 90), 240.
165
Vgl. hier und im Folgenden Keller, Adolf: Der Geisteskampf des Christentums gegen
den Islam bis zur Zeit der Kreuzzüge, Leipzig 1896, 31.66f.; Abel 1961 (s. Anm. 32),
67; Addison (s. Anm. 159), 26; Khoury (s. Anm. 69), 15; Sahas (s. Anm. 12), 129;
Johannes von Damaskus als Koranexeget 119

mit der islamischen Lehre auseinandersetzte, nimmt er mit seiner Pionierleistung in


haer. 100 eine paradigmatische Vorreiterrolle ein. Mit seinen Ausführungen legt
der Damaszener die Argumentationsweise der christlichen Polemik gegen den Is-
lam in Methode und Inhalt fest. Die neuralgischen Themen der Auseinander-
setzung zwischen Christen und Muslimen sind von ihm vorgezeichnet. Die nach-
folgenden Schriftsteller werden geradezu stereotyp dieselben Argumente, die
schon Johannes anführte, immer wieder aufgreifen. Vor allem byzantinische Theo-
logen griffen auf seine polemische Darstellung des Islam zurück und übernahmen
oftmals wörtlich den gesamten Text des Damaszeners in ihre eigenen Werke.166
Mit der frühen Übersetzung seiner Schriften ins Arabische galt er bald auch unter
den arabischsprachigen Christen als Autorität.167 An dieser Stelle kann nur kurz an
Theodor Abū Qurra (um 755 – nach 829), der als erster christlicher Theologe ara-
bischer Zunge gilt, erinnert werden.168
Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass Johannes von Damaskus mit
seiner polemischen Argumentation und die ihm folgenden Autoren die Entwick-
lung einer reflektierten islamischen Theologie beeinflusst haben. Die muslimischen
Denker sahen sich gezwungen, der christlichen Polemik apologetisch entgegen-
zutreten. Damit steht der Damaszener sozusagen am Beginn der Herausbildung ei-
ner reflektierten islamischen Theologie.169
Schließlich wäre diese Synthese unvollständig, wenn nicht auf den Einfluss der
antiislamischen Polemik des Damaszeners auf die westliche Theologie hinge-
wiesen würde.170 Seine Beurteilung des Islam wurde von den mittelalterlichen Ge-
lehrten der lateinischen Christenheit übernommen. Das Islambild des Abendlandes
und die Bewertung Mohammeds als Pseudopropheten speisten sich aus byzantini-
schen Quellen und gingen vor allem auf Johannes von Damaskus zurück.171

Sahas (s. Anm. 11), 114; Valkenberg (s. Anm. 11), 8f.; Davids / Valkenberg (s. Anm.
25), 90; Niehoff-Panagiotidis (s. Anm. 36), 138f.
166
Vgl. Valkenberg (s. Anm. 11), 9. Vgl. dagegen Meyendorff (s. Anm. 161), 117.
167
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), 170.179–189; Sahas (s. Anm. 11), 110.
168
Vgl. Dick, Ignace: Un continuateur arabe de saint Jean Damascène: Theodore Abuqurra,
évêque melkite de Harran. La personne et son milieu, in: POC 12 (1962), 209–223.319–
332 und POC 13 (1963), 114–129; Graf, Georg: Geschichte der christlichen arabischen
Literatur. Zweiter Band. Die Schriftsteller bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (StT 133),
Vatikanstadt 1947, 7–26; Beck, Hans-Georg: Kirche und theologische Literatur im By-
zantinischen Reich (= HAW 12. Abt.: Byzantinisches Handbuch: 2. T., 1. Bd.), München
²1977, 488; Markov, Smilen: Theodor ʾAbū Qurra als Nachfolger des Johannes von Da-
maskus, in: Speer, Andreas / Steinkrüger, Philipp: Knotenpunkt Byzanz. Wissensformen
und kulturelle Wechselbeziehungen (= MM 36), Berlin u. a. 2012, 111–122.
169
Vgl. Nasrallah (s. Anm. 4), 177f. Vgl. dagegen Dick (s. Anm. 168), 212.
170
Vgl. hier und im Folgenden Valkenberg (s. Anm. 11), 8f.
171
Vgl. Klueting, Edeltraud: Quis fuerit Machometus? Mohammed im lateinischen Mittel-
alter (11.–13. Jahrhundert), in: AKuG 90 (2008), 283–306, hier: 290; Bobzin, Hartmut:
Mohammed, München 42011, 9–11.
120 Joachim Braun

Der unbestreitbar große Einfluss, den Johannes von Damaskus mit seiner Islam-
polemik auf die nachfolgenden Autoren in Ost und West ausübte, bedarf der weite-
ren Nachforschung. Die entsprechenden Texte müssten miteinander verglichen,
Abhängigkeitsverhältnisse begründet werden. An dieser Stelle konnte nur eine
zusammenfassende Synthese vorgestellt werden. Ihr Ergebnis zur Bedeutung von
haer. 100 ist wohl eindeutig: Johannes von Damaskus ist auch mit seiner Cha-
rakterisierung des Islam tatsächlich ein „östliche[r] Lehrer […] der Christen-
heit“172.

172
Hofmann (s. Anm. 4), 321.

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