Dionysos Und Apollon
Dionysos Und Apollon
Dionysos Und Apollon
ERSTER GESANG
ZWEITER GESANG
DRITTER GESANG
VIERTER GESANG
FÜNFTER GESANG
SECHSTER GESANG
SIEBENTER GESANG
ACHTER GESANG
Der Satyr ist, wie der idyllische Hirte unserer neueren Zeit,
das Kind einer Sehnsucht nach dem Ursprünglichen
und Natürlichen; aber beachten Sie,
mit welcher Entschlossenheit und Furchtlosigkeit
der Grieche den Mann des Waldes umarmte,
und wiederum, wie schüchtern und mürrisch
der moderne Mann mit dem schmeichelhaften Bild
eines zarten, flötespielenden, weichmütigen Hirten
herumspielte! Die Natur, an der noch keine Erkenntnis
gearbeitet hat, die der Kultur ungebrochene Schranken hält,
das sah der Grieche in seinem Satyr, der darum
noch nicht mit dem Affen zusammenfallen sollte.
Im Gegenteil: Es war das Urbild des Menschen,
die Verkörperung seiner höchsten und stärksten Regungen,
als begeisterter Zecher, entzückt von der Nähe
seines Gottes, als mitleidender Gefährte,
in dem sich das Leiden des Gottes wiederholt-
als der aus den Tiefen der Natur sprechende
Verkünder der Weisheit,
als Sinnbild der sexuellen Allmacht der Natur,
der der Grieche mit ehrfürchtiger Ehrfurcht
zu begegnen pflegte. Der Satyr war etwas Erhabenes
und Gottähnliches: er konnte nicht umhin,
so zu erscheinen, besonders für das traurige
und müde Auge des dionysischen Mannes.
Er wäre beleidigt gewesen von unserem täuschend
aufgemotzten Hirten, während sein Auge
mit erhabener Genugtuung auf den nackten
und unverfälscht großartigen Charakteren der Natur
verweilte: hier wurde der Schein der Kultur
vom Urbild des Menschen hinweg gewischt;
hier offenbarte sich der wahre Mann, der bärtige Satyr,
der jubelnd zu seinem Gott ruft. Vor ihm
schrumpfte der gebildete Mann zur Lügenkarikatur
zusammen. Auch mit Bezug auf diese Anfänge
der tragischen Kunst hat Schiller recht: Der Chor
ist ein lebendiges Bollwerk gegen die Anfänge
der Wirklichkeit, weil er – der satyrische Chor –
das Dasein wahrhaftiger, realistischer, vollkommener
darstellt, als der Gebildete, der sich sonst hält
für die einzige Realität. Die Sphäre der Poesie
liegt nicht wie eine phantastische Unmöglichkeit
der Dichterphantasie außerhalb der Welt:
sie will gerade das Gegenteil sein, der ungeschminkte
Ausdruck der Wahrheit, und muss gerade deshalb
den falschen Putz jener vermeintlichen Wirklichkeit
ablegen des kultivierten Mannes. Der Gegensatz
zwischen dieser inneren Wahrheit der Natur
und der Falschheit der Kultur, die sich
als die einzige Realität ausgibt, ist ähnlich
wie der zwischen dem ewigen Kern der Dinge,
dem Ding an sich, und die kollektive Welt
der Phänomene. Und wie die Tragödie
mit ihrem metaphysischen Trost auf das ewige Leben
dieses Daseinskerns trotz der fortwährenden Auflösung
der Erscheinungen hinweist, so drückt bereits
die Symbolik des satyrischen Chores diese Urbeziehung
zwischen dem Ding an sich und der Erscheinung
bildlich aus. Der idyllische Hirte des modernen Menschen
ist nur eine Kopie der Summe der Illusionen der Kultur,
die er Natur nennt; der dionysische Grieche
will Wahrheit und Natur in ihrer stärksten Form;
er sieht sich in den bärtigen Satyr verwandelt.
NEUNTER GESANG
ZEHNTER GESANG
ELFTER GESANG
Als aber doch eine neue Kunst aufblühte, die die Tragödie
als ihre Stamm-Mutter und Herrin verehrte,
sah man mit Schrecken, dass sie zwar die Züge
ihrer Mutter trug, aber eben jene Züge, die diese
in ihrem langen Todeskampf gezeigt hatte.
Es war Euripides, der diesen tragischen Todeskampf
ausfocht; die spätere Kunst ist als Neue attische Komödie
bekannt. Darin die entartete Form der Tragödie lebte
als Monument des schmerzhaftesten und gewaltsamsten
Todes der eigentlichen Tragödie fort.
ZWÖLFTER GESANG
DREIZEHNTER GESANG
VIERZEHNTER GESANG
FÜNFZEHNTER GESANG
SECHZEHNTER GESANG
Wir haben versucht, an diesem ausführlichen
historischen Beispiel deutlich zu machen,
dass die Tragödie ebenso sicher an der Vergänglichkeit
des Geistes der Musik zugrunde geht, wie sie
nur aus diesem Geist geboren werden kann.
Um die Einzigartigkeit dieser Behauptung zu qualifizieren
und andererseits die Quelle dieser unserer Einsicht
aufzudecken, müssen wir uns jetzt mit klarer Sicht
den analogen Phänomenen der Gegenwart stellen;
wir müssen mitten in diese Kämpfe eintreten, die,
wie ich gerade sagte, in den höchsten Sphären
unserer gegenwärtigen Welt zwischen der unersättlichen
optimistischen Wahrnehmung und dem tragischen
Bedürfnis der Kunst ausgetragen werden. Dabei
lasse ich alle anderen antagonistischen Tendenzen
unberücksichtigt, die sich der Kunst, besonders
der Tragödie, jederzeit entgegenstellen und gegenwärtig
wieder triumphierend ihre Herrschaft ausbreiten,
so sehr, dass von den Theaterkünsten zum Beispiel
nur die Posse und das Ballett in erträglich reicher
Üppigkeit ihre vielleicht nicht jedem wohl riechenden
Blüten entfaltet. Ich werde nur von der illuströsesten
Opposition gegen die tragische Auffassung der Dinge
sprechen – und damit meine ich im Grunde
die optimistische Wissenschaft, an deren Spitze
ihr Ahnherr Sokrates steht. Derzeit werden auch
die Einsatzkräfte benannt, die mir eine Wiedergeburt
der Tragödie zu garantieren scheinen - und wer weiß,
was für Hoffnungen das deutsche Genie sonst noch hat!
SIEBZEHNTER GESANG
ACHTZEHNTER GESANG
NEUNZEHNTER GESANG
ZWANZIGSTER GESANG
EINUNDZWANZIGSTER GESANG
ZWEIUNDZWANZIGSTER GESANG
DREIUNDZWANZIGSTER GESANG
VIERUNDZWANZIGSTER GESANG