Burdach - Vom Mittelalter Zur Reformation
Burdach - Vom Mittelalter Zur Reformation
Burdach - Vom Mittelalter Zur Reformation
zur
reformation
Konrad Burdach
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0
VON
KONRAD BUBDACH
ERSTES HEFT
HALLE
MAX NIEMEYER
1893
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Vorrede.
neues Licht zu werfen. Manche Mängel der äusseren Form, ein ge-
wisses Missverhältniss in der Composition der Darstellung, verschiedene
Wiederholungen, zufällige Uebergänge, nachträgliche Berichtigungen
im Verlauf der Untersuchung, werden auch dem gutwilligen Leser auf-
fallen: sie erklären sich aus der Art der Entstehung und werden
hoffentlich aufgewogen durch die Vorzüge, die jedem ersten, frisch
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Poesie hinab in den Orcus? Welches sind die neuen Sterne, die am
Himmel die alten überstrahlen?
litterarischen Welche ästhetischen
und moralischen Wandlungen spiegeln sich in den Schicksalen wieder,
denen die Erzeugnisse der mittelhochdeutschen Litteratur in der hand-
schriftlichen Tradition des 14. und 15. Jahrhunderts ausgesetzt ge-
wesen sind?
Bei solchen Fragen musste ich auf ganz allgemeine Untersuchungen
gerathen. Ich bin davor nicht zurückgeschreckt, sondern habe es
gewagt, über die Grenzen des sogenannten Fachs hinauszuschreiten,
Kunst- wie Kirchen- und Rechtshistorikern in das Handwerk zu greifen
nnd in die Geschichte der französischen, italienischen, englischen Litte-
und wie diese allenthalben tausendfältig verflochten ist mit der euro-
päischen Culturbewegung, so kann die deutsche Literaturgeschichte
dieser Epoche auch nur als Universalgeschichte und mit steter Ver-
gleichung der übrigen Litteraturen behandelt werden. Die Erfinder
und Anhänger der sogenannten 'vergleichenden Literaturgeschichte'
mögen also immerhin ihr neugebackenes Modewort darauf anwenden,
aber eine neue Methode, eine neue Wissenschaft ist hier natürlich
nicht geübt, sondern nur das, was jeder Literarhistoriker , der diesen
Namen verdient, ztf leisten oder wenigstens zu erstreben die Pflicht hat.
Allerdings hoffe ich, auch der Geschichtswissenschaft im weiteren
Sinn gedient zu haben und mich erfüllt es mit Freude, dass diesen
fragmentarischen Betrachtungen der Beifall eines so bewährten Kenners
wie Karl Wenck (Historische Zeitschrift N. F. 34, 512) zu Theil ge-
worden ist.
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rarischcn Kreis fixirt, als das bisher gelangen war. Auch die Bedeu-
tung der aufblühenden canonistischen Studien, von den Rechts-
historikern längst genugsam beachtet, wird nach meinen Ausführungen
in Zukunft seitens der Historiker und Literarhistoriker noch mehr gewür-
digt werden müssen. Die Zusammenhänge überhaupt der litte-
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tung geistiger Cultur vorstellen. Gewiss hat dies Bild für einen grossen
Theil aller Culturübertragung seine Berechtigung: wie ein in das
Wasser geworfener Stein um die Wurfstelle concentrische Kreise her-
vorruft, die je weiter je mehr an Kraft verlieren und schliesslich un-
sichtbar verschwinden, so strömen auch von jedem Mittelpunkt geistiger
aber eine andere Art der Culturübertragung, die auf den Höhen des
nationalen Lebens vor sich geht Von ihr hängen die grossen Um-
schwünge ab, nach welchen die Geschichte ihre Epochen rechnet; sie
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setzend, fasst hier mit voller, dort mit halber oder Viertelskraft Fuss,
vermittelt und getragen von der wechselnden Aufnahmefähigkeit. Ihren
scheinbar regellosen Weg gilt es zunächst aufmerksam zu verfolgen
und einfach ihre Richtung, ihre Bewegung und ihre Rasten zu consta-
tiren. Ist dies geschehen, dann werden sich auch ihre Kometenbahnen
durch feste Formeln begrenzen lassen.
Für das ausgehende 14. und das 15. Jahrhundert möchte ich auf
die Beobachtung Gewicht legen, dass in Deutschland die Cultur an die
Peripherie springt: ein neues Kraftcentrum entsteht im mittel-
deutschen Osten, etwas später — wie ich glaube nicht ohne Zusammen-
hang mit jenem — ein zweites am Niederrhein, das aus der Anhäufung
alter Cultur emporsteigt. Prag, Nürnberg — Köln, die niederländischen
Städte ; dann Erfurt. Leipzig gewinnen die geistige Führung und commu-
niciren direct unter einander (vgl. unten 8. -26 ff. 62. 114). Was in
für, dass um die Wende des 14. Jahrhunderts die geistige Strömung
von Prag nach Nürnberg gegangen ist. Immerhin bleibt die Frage
noch in der Schwebe. Entscheiden kann sie vielleicht eine genauere
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Schlesien - Meissen - Thüringen , die sich für das 14. und das be-
ginnende 15. Jahrhundert näherer Betrachtung auf das eindringlichste
kundgibt: die vorläufigen Hinweise (8. 27. 96 Anm. 2. 64 f.) werden meine
späteren Untersuchungen der litterarischen und sprachgeschichtlichen
Entwickelung ergänzen und verstärken.
Das Missverständniss möchte ich abwehren, als ob diese böhmisch-
schlcsisch-meissnisch- thüringische aufstrebende Cultur die alte Cultur
der Rheinlande und Schwabens übertroffen hätte. Da» zu behaupten
liegt man gebe den folgenden Darlegungen nicht etwa
mir fern und
diesen Sinn. Aber die neuen grossen Impulse kommen jetzt einerseits
aus dem mitteldeutschen Osten und anderseits aus dem Nordwesten:
die Mächte, welche die künftige Entwicklung im tiefsten Grunde für
lange Zeit hinaus bestimmen, treten an jenen beiden Stellen zuerst auf
die Weltbühne. Der Humanismus und die Renaissance in Böhmen ist
die in Böhmen ihren Ursprung haben oder liegt hier ein directer litte-
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Wie man bei dieser Gelegenheit deutlich sieht, empfängt die Ge-
schichte der litterarischen Studien hier Licht aus der Geschichte der
Kunst Und so hoffe ich, werden diese Blätter auch sonst bezeugen,
welch fruchtbare Hilfsmittel die Literaturgeschichte im engern und
weitern 8inne von der Geschichte verwandter geistiger Lebens-
äusserungen entleihen kann. Die Miniaturmalerei steht ihrer Natur
nach der litterarischen Tradition am nächsten, ist mit ihr verflochten
und von ihr abhängig. Sie kann daher oftmals jene in willkommener
Weise beleuchten, wie die Geschichte des Bildercyclus zum Welschen
Gast, wie die böhmischen Miniaturen des Karolinischen Zeitalters lehren.
Aber auch die Tafelmalerei und die bildende Kunst überhaupt erhellt
manchmal die Strassen der geistigen Cultur, welche bei isolirter Be-
trachtung der Litteratur dunkel bleiben.
Die neue Kunst Giotto's und Simone Martini's findet gleich der
französischen lllnminirkunst zuerst auf deutschem Boden an dem grossen
Stapelplatz Prag eine Stätte, erzeugt hier ein Neues, das dann auf den
einmal gegebenen Ausfuhrwegen sich weiter verbreitet. Und wie die
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der Mitte des 14. Jahrhunderts gegen das Niederdeutsche siegreich vor
und zwar stufenweise, nach Schreib- und Sprechsphären, nach socialen
Schichten: in Literatursprache, Gerichtssprache, Urkundensprache, Ge-
schäftssprache, Schulsprache, Volkssprache. In dieser Grenzverrückung
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wird man heute gewiss nicht mehr ein elementares Phänomen aas
dem Naturleben der Sprache erblicken, wie Braune und Tümpel vor
Jahren (1880) gethan haben (Beiträge 7, 13. 19 f.). Noch viel weniger
darf man das Umsichgreifen der bairisch -Österreichischen Diphthonge,
am wenigsten den grossen allmählichen Process der Entstehung einer
ostmitteldeutschen durch bairisch - österreichische Elemente gefärbten
Schreib- und Gemeinsprache loslösen von dem Zuge der gesammten
Culturbewegung des Zeitalters. Dabei bleibt freilich für jeden einzelnen
Fall immer die Frage bestehn und fordert genaue Untersuchung: be-
deutet die sprachliche Yerändernng lediglich eine Metamorphose des
Schreibens oder des Sprechens, oder beides? Aber so principiell wie
man früher glaubte ist der Unterschied nicht zwischen einer Verwandlung
der Sprache der Schrift, der Gebildeten und derjenigen der Volkssprache.
Magdeburg und sein Gebiet lehrt es jedem, der hören will, heute noch
alleTage dort wiederholt sich oder vielmehr setzt sich fort der
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K. B.
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Inhalt.
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xvt
Solle
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XVII
Seite
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bi da Strada) 90. Zweite Reise nach Italien (1368):
Bekanntschaft mit Salutati 91. —
Bekanntschaft mit Pe-
trarcas Freunde, dem Franzosen Sacramore 91 (Osseker
Handschrift der Busspsalmen Petrarcas 'ad Segumor' 92).
Sonstige französische Beziehungen Johanns 92. Ver- —
bindung Johanns mit den Augustiner - Eremiten von
S. Spirito 93 (Aufschwung der Augustinercongregation in
Böhmen unter Karl IV., Theilnahme Johanns für sie 94;
sonstige Begünstigung derselben 95 ; die regulirten Au-
gustiner-Chorherren in Böhmen 95): Johanns Interesse
für Werke italienischer Augustiner 97; vermuthete Be-
ziehungen zu Lnigi de Marsigli 97 (vgl. 84 Anm. 1). —
Antheil der deutschen Augustiner an der Einbürgerung
der klassischen Studien und Opposition gegen die Fran-
ciscaner und Dominicaner 98 (der Augustiner-Chorherr
Konrad v. Waldhausen 98 Anm., 100 Anm.). Einfluss der —
Florentiner Handschriftenherstellung 99. Wirkung der —
humanistischen Ideen 99 'Tulliana facundia' 100; Zauber
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die Entwickelung und Verzweigung dieser und verwandter Novellen-
sammlungen durch die Weltlitteratur verfolgt, ferner die Einleitung zu
seiner Ausgabe der deutschen poetischen Bearbeitung dieses Stoffes
aus dem 15. Jahrhundert, des Lebens Dyocletians von Hans dem Büheler
(Quedlinburg und Leipzig 1841). Hier wirken sichtlich die Anreg-
ungen seiner Lehrer nach: Moriz Rapps und insbesondere Uhlands,
dem er später zusammen mit Holland in der Ausgabe seiner Schriften
zur Geschichte der Dichtung und Sage das schönste Denkmal errichtet
hat. Aber diese verheissungsvollen Ansätze zu einer universalen
Litteraturgesehichte gediehen nicht weiter: die Fortsetzung der Aus-
gabe der lateinischen Gesta Romanorum Band: Text. Stuttgart
(1.
1842), für welche Anmerkungen und Abhandlungen geplant waren,
unterblieb, und der Schlussband seines italienischen Novellenschatzes,
welcher eine Untersuchung über die Quellen und Geschichte der Stoffe
geben und damit das Unternehmen eigentlich erst zum Ziel führen
sollte, ist nie erschienen.
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_ 3 —
Dies auszusprechen, scheint gerade heute nicht über-
Urtheil
flüssig, wo in der germanistischen Wissenschaft über die Aufgaben des
Herausgebers eine bedenkliche 1'ncinigkeit der Meinungen zu herr-
schen beginnt, Weite Kreise innerhalb der altdeutschen Philologie
stellen der Textkritik ein unsäglich niedriges Ziel: die linguistischen,
.
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Freiherr von Lassberg als Meister Sepp von Eppislifisen die Fach-
genossen theils belehrte theils neckte.
Der Dank aller billig Urtheilcnden wird Keller trotz alledem
für immer bleiben, auch noch dann, wenn einmal die von ihm edirten
Werke sämmtlich aufs neue besser und höheren Ansprüchen genügend
herausgegeben sein werden. Und die Geschichte der germanischen
Philologie wird ausserdem auch seiner Uebersetzungen freundlich ge-
denken, redender Denkmäler des universellen Geistes, der damals
unsere Wissenschaft beflügelte, und von dem man so gern einen Hauch
in unsere heutigen Jüngsten wünschte. Aber was Keller hervor-
gebracht hat als gewandter Uebersetzer des Cervantes (zusammen mit
Notter und Duttenhofer, Stuttgart 1839—1842, 2. Ausgabe 1850), ita-
lienischer Novellen (Leipzig 1851. 1852), altfranzösischer Sagen
(Tübingen 1839, 2. Auflage 1876), der problematischen bretonischen
Volkslieder Villemarques, die er für echt und alt hielt (zusammen mit
v.Seckendorff, Tübingen 1841), dreier Romane der George Sand (Rose
und Blanche, Andreas, Valentin, Stuttgart 1836. 1837), der Dramen
Shakespeares (gemeinsam mit Moriz Rapp, Stuttgart 1843, 2. Ausgabe
1854), ausgewählter Erzählungen von Maria Edgeworth (Stuttgart
1840), der Gudrun (Stuttgart 1840), — es steht an Umfang und Werth
zurück hinter seinen Leistungen als Herausgeber. Diese bilden sein
eigentliches bleibendes Lebenswerk, woneben auch der lange gepflegte,
aber nicht vollendete schwäbische Sprachschatz in den Hintergrund
tritt, und das vorliegende Handschriftenverzeiehniss kann man ge-
wissermassen als Rechenschaftsbericht darüber ansehen.
Schon frühe hatte Keller von seiner intimen Beschäftigung mit
altdeutschen Handschriften Nachricht gegeben: in seiner 'Romvart'
(Mannheim und Paris 1844), deren Ertrag aus florentinischen römi- ,
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liehen Stande der Wissenschaft näher zu bringen. Sie vor s, der fttr
Bartsch diese entsagungsvolle Aufgabe der Pietät Übernommen hat,
wird Keiner, der ermisst, was eine solche Last bedeuten will neben
dem dreifachen Beruf des akademischen Lehrers, des gelehrten Schrift-
stellers und des Mitglieds der Prüfungscommission für das höhere
Lehramt, die Anerkennung verweigern, dass er die Brauchbarkeit des
Verzeichnisses nach besten Kräften erhöht hat. Die Beschreibung von
Valentin Holls Handschrift (S. 95 —
147), fast ein Drittel des ganzen
Buchs, rührt wie das Register von ihm her. Nur Billigung verdient
es, dass er diejenigen Nummern
des Katalogs fortgelassen hat, deren
Text im Wortlaut an zugänglicher Stelle in früheren Arbeiten
bereits
Kellers, besonders in den Fastnachtsspielen und im Meister Altswert,
vorlag, oder die von anderen Gelehrten inzwischen besser und genauer
beschrieben sind.
Von den 11 6 erwähnten Handschriften fallen die meisten nach
Tübingen (Universitätsbibliothek und Stiftsbibliothek), nämlich 25;
nach Darmstadt (Hof bibliothek) 16, nach Frankfurt a. M. (Stadtbiblio-
thek) 12, nach Stattgart (Königliche öffentliche und Königliche Hand-
und Privatbibliothek) 11, nach Karlsruhe (Hofbibliothek) 9, nach
Wolfenbüttel (Herzogliche Bibliothek) und Weimar (Grossherzogliche
Bibliothek) je 5, nach Heidelberg (Universitätsbibliothek) 4, nach
Augsburg (Stadtbibliothek) 3 nach Mainz (Stadtbibliothek) Dresden
, ,
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die Grundlage für methodisch abschliessende, erschöpfende Untersuch-
ungen der einschlägigen Fragen liefern könnte, so fordert sie doch auf,
allerlei principielle Erwägungen und allerlei einzelne Wahrnehmungen
daran anzuknüpfen.
Die erste Bemerkung allgemeinerer Natur, die sich aufdrängt,
betrifft das Alter der von Keller verzeichneten Handschriften. Da-
bei scheiden sechs von der Betrachtung aus als moderne Abschriften,
zwei als zusammenhangslose Bruchstücke verschiedener Handschriften
des 14. — 16. Jahrhunderts. Von den übrig bleibenden 108 Hand-
schriften gehören nicht weniger als 71 dem 15. Jahrhundert, nur 22
dem 13. und 14. Jahrhundert, 14 dem 16. Jahrhundert an.
Schon dies Verhältniss beruht nicht auf Zufall, sondern hat
typische Geltung: zu keiner Zeit sind in Deutschland so massenhaft
Handschriften deutscher Schriftwerke angefertigt worden als im 15.
Jahrhundert, der eigentlichen Blüthezeit des Handschriften-Handels,
und noch nach der Erfindung und dem allmählichen Emporkommen
des Buchdrucks dauert eine rege Schreibcrthätigkeit fort.
Jetzt erst erreicht der Luxus der Handschriften seinen Höhe-
punkt, wo Fürsten und Fürstinnen, der hohe Adel, reiche Bürger eine
Ehre darein setzen, kostbare mit prächtigen Bildern geschmückte
Andachtsbticher zu besitzen. Schien doch Vielen damals noch die
neue Erfindung zu mangelhaft und unvollkommen, zu plebejisch und
die schriftliche Vervielfältigung das Zuverlässigere. Wer zumal wie ,
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redigirte bei Veranstaltung neuer Ausgaben seine Dichtungen nicht
immer direct nach den älteren Drucken, sondern auch, z. B. beim
Divan, nach daraus genommenen handschriftlichen Copien, und er war
Zeitlebens mit einer Kanzlei von Schreibern umgeben wie ein mittel-
alterlicher Fürst. Unsere Gross- und Urgrosseltern liebten es, sich
aus ihrer Leetüre handschriftliche Anthologien herzustellen, und die
Gewohnheit der Stammbücher ist noch nicht einmal heute ganz aus-
gestorben, wenn sie sich auch zu den Unmündigen geflüchtet hat.
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Die Aufgabe, die mir vor Augen steht und die lockend genug
ist, wäre: das Nachleben der mittelhochdeutschen Poesie
darzustellen, soweit es sich in der Anfertigung neuer Handschriften
der alten Werke beweist. Die folgenden Betrachtungen wollen nur
als die ersten Ansätze, als methodische Beispiele dieser noch nicht
einmal angebrochenen Untersuchung gelten und bedürfen nachsich-
tigster Bcurtheilung gar sehr.
II.
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Pagen: 1555 — orfnllt das Ringen um den Besitz der in ihrem Wesen
und in mehr angefochtenen Cultur. l'm
ihrer Allgemeingültigkeit nicht
den, Besitz in jedem Sinne des Worts den geistigen den Besitz der
: ,
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— 11 —
sondern in den Anschauungen einer geschlossenen Gesellschaft, in den
Idealen einer weltlichen, der ritterlich-höfischen Cultur gesucht hatte,
rettete sich hinüber in die Jahrhunderte des Kampfes um die Religion?
Bei der Beantwortung dieser Frage wird auch auf das Problem Licht
fallen: wie verhält sich die Sittlichkeit der Reformationszeit, wo auch die
Laien das innerlichste Verhältniss zur Religion gewannen, zu der
Sittlichkeit des ausgehenden Mittelalters, in dem die weltlichen Kreise
sich mit der Kirche auf bequemere Weise abfandeu.
Der Welsche Gast des Thomasin von Zirclaria, der von Gervinus
und W. Grimm so verschieden beurtheilt und zuletzt von Scherer in
seiner Litteraturgeschichte freundlich und gerechter gewürdigt worden
ist, wendet sich, ein Lehrbuch ritterlicher Moral, durchaus an höfische
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2 in die zweite Hälfte desselben 1 ins 16. Jahrhundert.
, Dabei ist
mit berücksichtigt die nur in dem Bücherverzeichniss der Königsberger
Bibliothek des deutschen Ordens von 1434 genannte (Zeitschrift für
deutsches Altertüum 13, 570), nicht aber die Ankündigung des Schul-
meisters Handschriftenhändlers Diepold Lauber in Hagenau aus
und
den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts, der Handschriften des
Welschen fJastes auf Lager führte (Zeitschrift für deutsches Alter-
thum 3, 191).
In der folgenden Aufzählung gehe ich von dem H. Kückert be-
kannten Bestände aus. Rflckcrt hatte in seiner Ausgabe, die leider
noch immer die einzige ist, zwölf Handschriften benutzt. Dazu kommt
13. die Büdinger Handschrift aus der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts (Crecelius, Zeitschrift für deutsches Alterthum 10, 287), im
Besitz seiner Durchlaucht des Fürsten zu Ysenburg auf dem Schloss
zu Büdingen, eine Bilderhandschrift. Sie ist v. Oechelhäusers Auf-
merksamkeit entgangen, vermuthlich weil er versäumt hat, auch hier-
über seinen germanistischen Berather (Wilhelm Braune) zu befragen,
der höchst werthvolle Bemerkungen über den Dialekt der Handschriften
beigesteuert hat. Das Unglück ist aber nicht gross: der Codex ist
nur fragmentarisch auf uns gekommen, und zu den erhaltenen Bruch-
stücken gehören nur drei Bilder, die Nr. 21. 34. 36 bei v. Oechel-
häuser entsprechen. Leider fehlt gerade das Stück, in welches das
für die Datirung so bedeutsame Bild fällt, das v. Oechelhäuser als
Nr. 35 zählt. 14. Fragment einer Pesther Handschrift der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts (Rieh. M. Werner, Zeitschrift für deutsches
Alterthum 26, 151 ff.), gleichfalls von v. Oechelhäuser nicht erwähnt.
15. Die sogenannte Hamiltonhandschrift, aus der Sammlung des Herzogs
von Hamilton, von 1882 bis 1888 im Kupferstichkabinet des Königl.
Museums zu Berlin, dann nach England verkauft, bei v. Oechelhäuser
Nr. V (S. 9 ff.), v. Oechelhäuser irrt übrigens, wenn er S. 10 behauptet,
dieses Manuscript sei bisher noch nicht näher beschrieben. Es ist ge-
schehen durch Steinmeyer (Zeitschrift für deutsches Alterthum 27, 384f.).
Nur freilich widerspricht 6ich v. Oechelhäusers und Steinmeyers Be-
schreibung in einigen Punkten. Nach Steinmeyer ist die Handschrift
von mehreren Händen, nach v. Oechelhäuser „anscheinend von derselben
Hand"; nach Steinmeyer giebt sie die Inhaltsangabe bis zum vierten
Buch, nach v. Oechelhäuser fehlt diese ganz; nach Steinmeyer zeigt
die Handschrift „manche Auslassungen", nach v. Oechelhäuser „enthält
sie den vollständigen Text des Gedichts (ohne Vorrede)". Bedauer-
lich, dass eine Lösung dieser Widersprüche jetzt, wo dies Kleinod an
England verloren ist, sich schwer oder gar nicht herbeiführen lassen
wird. 16. Fragment einer zweiten Wolfenbüttler Handschrift des
34. Jahrhunderts (v. Heinemann , Zeitschrift für deutsches Alterthum
12, 106 ff.), bei v. Oechelhäuser nicht angeführt. 17. Karlsruher Hand-
schrift des 1 5. Jahrhunderts
, bisher noch nicht beachtet, in Kellers
Verzeichnise als Nr. 9 beschrieben, bei v. Oechelhäuser S. 1 und 73
Anra. genannt. Auch dies ist eine Bilderhandschrift: es ist im Text
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— 13 —
Raum gelassen für Illustrationen, die nicht ausgeführt worden sind.
18. Königsberger verlorene Handschrift. Ausserdem die von Diepold
Lauber vertriebenen Handschriften. ')
Die Handschriften überwiegen, und wir können nichts
illustrirten
besseres thun, wollen wir von dem Nachleben des Werkes eine deut-
liche Vorstellung erhalten, als von den sorgfältigen Untersuchungen
v. Oechelhäusers ausgehen.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich die Entstehungszeit der
Originalhandschrift (0), welche für alle übrigen Codices picturati die
Grundlage gebildet hat, bestimmen. Das 35. Bild erläutert die Verse
2123. 2124 des Gedichts, indem es einen Herrn mit gekreuzten Füssen,
der typischen Stellung für den rechtsprechenden Richter, auf einem
Polstersitz thronend darstellt, wie er sich zu einer tiefer hockenden
schreibenden Person wendet. Diese —
„Der Schephe" notirt —
auf ein vorgehaltenes Blatt die Jahreszahl und sie ist in den* einzelnen
Handschriften verschieden. Es bietet nämlich auf dem Schriftzettel
des Bildes die Gothaische Handschrift (von 1340): Anno domini 1240,
die Erbacher Handschrift (zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts) und
Hamiltonhandschrift (Wende des 14. und 15. Jahrhunderts): 1248, Cod.
palat. german. 333 (14. Jahrhundert): 1300, die Stuttgarter Handschrift
(von 1359): 1359, die Ulmer und Wolfenbüttler Handschrift (beide
15. Jahrhundert): 1408. Die Daten des Schriftzettels geben also nicht
die Entstehungszeit der einzelnen Handschriften selbst, sondern weisen
auf die zu Grunde liegenden Vorlagen zurück.
So gewinnen wir ausser dem Original des Bildercyclus (0) noch
fünf Tochterhandschriften von 1240, 1248, 1300, 1359, 1408, aus
denen die erhaltenen Handschriften abgeleitet sind. Leider ist die
Lesung der Jahreszahl gerade auf der ältesten Handschrift (A),
Cod. pal. germ. 389 (Ende des 13. Jahrhunderts), nicht sicher,
wenigstens im Zehner (v. Oechelhäuser S. 78 Anmerkg.): deutlich
ist nur 12.6. Da Thomasin sein Gedicht 1215/16 vollendet
hat (vgl. V. 11717. 12278), so blieben streng genommen für die
Vorlage von A zur Auswahl die Daten 1216, 1226, 1236, 1246
u. 8. w. bis 1296. Indess da A
in jeder Beziehung den ursprüng-
lichsten Text und die ursprünglichsten Zeichnungen bewahrt, so muss
ihre Vorlage auch älter gewesen sein als die Vorlagen aller übrigen
Handschriften, d. h. älter als 1240 (das Datum des Schriftzettels der
Gothaischen Handschrift). Dadurch beschränkt sieh der Spielraum für
die Entstehung der Vorlage von A auf 1216, 1226, 1236. Vielleicht
dass weitere Prüfung der Handschrift doch noch eine dieser drei
Zahlen als gesichert herausbringt, v. Oechelhäuser nimmt 1216 an
als „kaum anders lesbar" und verlegt somit die Vorlage von A in
1) Eine Handschrift des Gedichts besass auch 1462 der Bayer INiterieh
von Keichcrzhausen (Ehrenbrief 104, 1, Zeitschr. f. d. Alt, t», 50) und gleich-
zeitig oder etwas früher Elisabeth von Volkunstorf in Oesterreich (Germania
1, IM) f.). Es ist nicht ausgeschlossen, dass eins der erhaltenen Manuscripte
ans ihren Bibliotheken stammt.
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die Zeit des Originals des Bildercyclus (0) und diese» zugleich in die
Zeit der ersten Originalhandschrift des Gedichts. Das inuss ich als
zweifelhaft bezeichnen. Gewiss ist hingegen, dass wir das Original
des Bildercyclus möglichst weit vor die Mitte des 13. Jahrhunderts
hinaufzurücken ein Recht besitzen. Sämmtliche Handschriften sind in
der Periode des gothischen Baustils entstanden, behalten aber gleich-
wohl in den auf ihren Bildern dargestellten Architekturen den roma-
nischen Stil bei. Das ist nur begreiflich, wenn das Original noch
während der Herrschaft des romanischen Stils, d. h. vor der Mitte des
13. Jahrhunderts vollendet wurde.
Wackernagel behauptete in seiner Litteraturgeschichte (2. Aufl.
S. 134, Anni. 35), die Bilder seien „offenbar schon von dem Verfasser
angeordnet," aber bewiesen hat er das in dem Aufsatz (Zeitschrift f.
d. Altorthum <>, 292), auf welchen er sich beruft, durchaus nicht. Ob
die erste Originalhandschrift des Gedichts schon den Bildercyclus (0)
enthielt, schon illustrirt war, können wir vorläufig nicht entscheiden.
Ich persönlich möchte es bejahen. Auf alle Fälle jedoch haben .wir
hier ein lllustrationswerk vor uns aus der besten mittelhochdeutschen
Zeit, vielleicht gleichzeitig mit des Dichters Schöpfung oder höchstens
ein paar Jahrzehnte jünger. Und wir müssen ihm so viel als mög-
lich für die Erkenntniss der Wirkung des Gedichts und seines Publi-
cums abgewinnen.
Nach v. Oechelhäuser bewahrt A den ursprünglichen Charakter
des Bildercyclus am treuesten: der Text ist darin in einer Columne
geschrieben und von anspruchslosen Randzeichnungen begleitet. Alle
übrigen Manuseripte geben zwei Columnen nnd die Bilder mitten im
Text an ausgesparten Stellen. Die Anordnung der Bilder am Rande
führte, wie v. Oechelhäuser S. 31 bemerkt (zu Nr. 35), im Original ge-
legentlich Mangel an Raum herbei und wirkte dadurch auf die Stel-
lung der Figuren ein. Die Copisten haben das dann, ohne das ihre
Columnenbilder dazu Grund gaben, beibehalten.
Der Künstler des Bildercyclus hat eine erkennbare Individualität.
Das zeigt die Auswahl der Scenen für seine Illustrationen: er ver-
meidet religiöse Vorwürfe liebt es hingegen, Kampf- und Jagdscenen
,
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es mir, nur zu sagen, dass er der Laienbildung zugänglich, von ihr
berührt und nicht beherrscht war von den Vorstellungen der rein geist-
lichen Cultur. Das ist die Hauptsache. Denn zu den allerwichtigsten
Aufgaben für das Gesammtverständniss des deutschen Mittelalters
gehört es, genauer festzustellen, wann und wie in Deutschland neben
der kirchlichen eine speeifisch laienhafte Cultur aufsteigt, wie sie An-
fangs von jener abhängig, dann immer freier und freier wird und auf
kurze Zeit sogar im 13. Jahrhundert das Uebergewicht erlangt. Kunst-
geschichte, Literaturgeschichte, Keehtsgeschichte, Geschichte der Philo-
sophie und Sittengeschichte müssen hier gemeinsam Hand in Hand
arbeiten. Im vorliegenden Fall sehe ich keinen Grund, den Künstler
der Bilder in andern Lebensverhältnissen zu suchen als den Dichter.
Thomasin stammte aus dem welschen edlen Geschlecht der Cer-
chiari in Frianl, war Domherr in Aquileja Dienstinann des Patri-
,
archen Wolfger von Aquileja, des früheren Bischofs von Passau. Dieser
ist nun aber ein Typus der weltlicher Bildung geneigten Prälaten aus
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In dem Kreise Wolfgers wurzelt auch Thomasins Werk, dessen
Polemik gegen Walthers Pabstsprüehe ihn nicht abhält, seine übrigen
Gedichte zu bewundern. Es kann leicht irreführen, wenn Seherer in
seiner Litteraturgeschiehte den Abschnitt über Walther mit der Anti-
these beginnt: „Ein reisender Bisehof schenkte am 12. November 1203
in Zeisscltnaucr an der Donau dem Sänger Walther von der Vogel-
weide eine Summe Geldes zur Anschaffung eines Pelzrockes. Ein
italienischer Domherr, der sich in deutscher Poesie versuchte, Tho-
masin von Zirclaria, stellte im Jahre 1215 denselben Walther als einen
Volksverführer hin der mit einem seiner Gedichte Tausende bethört
,
und ungehorsam gegen Gottes und des Pabstes Gebot gemacht habe*
(S. 197). Thomasin gehörte keinesfalls zu der streng hierarchischen,
aller weltlichen Cultur und Macht schlechthin feindlichen Partei; in
seinem Gedicht lebt nicht der finstere harte Geist weltflüchtiger Askese,
des herrschsüchtigen Zclotismus. Mochte die Hitze und Leidenschaft
der Kampfesweise Walthers ihm gefährlich scheinen, so brauchte er
darum noch nicht auf der eigentlichen Gegenseite zu stehen. Auch
ein Mann von so zweifellos reichstreuer Gesinnung wie Wolfger konnte
unmöglich den Ton des zornigen Dichters gutheissen. Man darf nicht
die Verschiedenheit der Lebensstellung ausser Acht lassen: Wolfger,
Walther, Thomasin konnten dem Pabst gegenüber nicht dieselbe Frei-
heit der Kritik in Anspruch nehmen, aber alle drei zählten zu dem
Kreise überlegener Geister, die den Frieden in dem gewaltigen Streit
zwischen Kirche und Welt, Hierarchie und Kaiserthnm, Askese unc
Freude des Lebens nicht im Sinne der Extremen einer der beiden
Parteien und am wenigsten im Sinne des Clericalismus herbeigeführt
^
wünschten. In diesem Kreise dürfen wir auch den Schöpfer des
Bildercyclus zum welschen Gast suchen, der meiner Ansicht nach ein
^
Geistlicher war. Es kann übrigens auch seine deutsche Herkunft nicht
als sicher bezeichnet werden. Mindestens mnss man die Frage er-
heben, ob nicht Einflüsse der italienischen Miniaturmalerei auf ihn ge-
wirkt haben. Aber er kann auch selbst wie Thomasin ein Welscher
gewesen sein.
In den erhaltenen Bilderhandschriften sieht v. Oechelhäuser
jedenfalls mit Recht einen Beweis für den Aufschwung in der deutschen
Malkunst, den man mit Lamprecht (Westdeutsche Zeitschrift 7, 76 f.) seit
der Mitte oder dem Ende des 11. Jahrhunderts anzunehmen hat. Und
gewiss ist, dass er im Zusammenhang steht mit der Betheiligung welt-
licher Künstler, mit dem Aufkommen der nationalen Dichtung, mit
dem Sieg der ungebundener gestaltenden Phantasie der Laienkreise
über die starren Typen der kirchlichen Tradition, kurz dass er ein Glied
ist in jener Kette von Erscheinungen, die eben den leider so kurz
dauernden Triumph der Laienbildung begründen: den Triumph der
Welt, der Natur, der reineren Menschlichkeit Uber Askese und Hier-
archie.
Zwischen den Bildern der einzelnen Handschriften des Welschen
Gastes lässt sich mit Ausnahme der Wolfenbüttler und Ulmer Hand-
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— 17 -
schrift kein Verhältnis direkter Abhängigkeit nachweisen, v. Oechel-
Rücksicht auf die wieder aus den Händen gegebene Vorlage thcils
nach der Erinnerung theils in freier Erfindung ausgeführt. Ich will
übrigens die Notiz in der Stuttgarter Handschrift (S) des Welschen
Gastes, wonach zwischen der Niederschrift des Textes und der An-
. fertigung der Bilder mehr als dreissig Jahre liegen sollen (v. Oechel-
häuscr S. 3), nicht in meinem Sinne geltend machen.
In der Geschichte des Bildcrcyclus zu Thoinasins Gedicht lassen
sich drei Typen unterscheiden. Der erste, dem Original am nächsten
stehende, ist die flüchtig colorirte Federzeichnung. Sie wird repräsen-
tirt durch die Heidelberger Handschrift des 13. Jahrhunderts (A) und
die Stuttgarter Handschrift von 1359 (S). Beide gehören dem bairisch-
Österreichischen Sprachgebiet an, die zweite ist wahrscheinlich in
Kegeusburg entstanden. Hier sehen wir die nationale Miniatur, wie
sie im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts in Deutschland sich aus-
gebildet hat sie ist für ein höfisches Publikum bestimmt.
:
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— 18 —
schritten angefertigt worden, welche voll den zweiten Typus des
Bildercyclus zeigen: farbenprächtige Gouachebilder, die eine ziemliche
Uebung in der Pinselführung voraussetzen und bei aller Unbeholfen-
heit und Roheit der Zeichnung durch die Technik des Colorits reiz-
.voll wirken. Die Illustrationen dieser Handschriften, der Erbacher
Handschrift aus der zweiten Hälfte des U.Jahrhunderts (E) und der
Hamiltonhandschrift von der Wende des 14. zum 15. Jahrhundert (H),
f&hren uns in eine ganz andere Welt.
Sie setzen den Umschwung voraus, der sich in dem für die gc-
sammte deutsche Cultur Epoche machenden Jahrzehnt um 1350 voll-
zogen hatte: die Entwickelung der berufsmässigen Illustration nach
dem Muster der französischen Enlumineurs, insbesondere der schon seit
Ludwig IX. blühenden Pariser Miniaturmalerei (vgl. über diese Schnaase,
Geschichte der bildenden Künste 2 5, 501 ff. ,
Janitschek, Geschichte
der deutschen Malerei S. 169 f.). Träger dieses Fortschritts war in
Deutschland aber zuerst die Prager Miniatorenschule Karl IV., am
:
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>
— 19 —
Jahrhunderts eine so lebhafte Thätigkcitf entfalten und die Vorläufer
sind der späteren polygraphischen Vervielfältigung. Bisher war uns
diese Art der gewerbsmässigen Illustrationstechnik eigentlich nur aus
dein Südwesten Deutschlands bekannt, aus den Werkstätten etwa eines
Ulrich v. Kichental in Constanz, eines Diepold Lauber in Hagenau.
Durch v. Oechelhäuser lernen wir, worauf er selbst hätte hinweisen
sollen, dieselbe Sorte von Bilderhandschriften aus dem östlichen Mittel-
deutschland kennen aus Schlesien, Thüringen-Meissen, der Lausitz, dem
:
1) Von der WolfenbUttler Handschrift des Jahres 1408 (W), die ab-
hängig von der Münchener ist und von Cod. pal. germ. 330 des 15. Jahr-
,
hunderts (b) giebt v. Oechelhäuser bez. Braune leider keine nähere Bestim-
mung des Dialekts und Entstehungsortes.
2*
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— 20 —
(Germania 21, 45 f.) mittheilt, dass er ein Liebhaber kostbarer Bücher
war, dass er eine Bibliothek von hundert Werken an seinen Sitz mit-
brachte, dass er die Kunst liebte, seine Kapelle mit Wandmalereien
schmücken und seinen Grabstein aushauen liess, dass er insbesondere
auch die Miniaturmalerei begünstigte, und auf sein Geheiss das Buch
Catholikon (das grammatische Werk des Johannes Januensis) mit
schönen und kostbaren Illustrationen ausgestattet wurde. Ob die
Karlsruher Handschrift für ihn angefertigt worden ist, vermag ich
nicht zu entscheiden, da die von Keller mitgetheilte Textprobe
keinen sicheren Anhalt bietot, die Herkunft aus dem Dialekt genauer
zu localisiren. Zu 'geunen' (für 'günnen') auf Bl. 572 b vgl. Wein-
hold, Mittelhochd. Gramm. 1 S. 68 f. Kauffmann, Geschichte der schwä-
;
erstes Kapitel 'sagt von hochmütigkeit und von hochvart'. Die ge-
meinsame Quelle ist offenbar die alphabetisch geordnete Compilation
des Karmeliters Matthias Farinator aus Wien, die um 1330 auf Befehl
des Pabstes Johann XXII. hergestellt ist und als 'Liber moralitatum
Lumeu fidelis animae' angeführt wird (Possevinus, Apparat us Sacer 2,
422; Fabricius, Bibliotheca Latina ed. Mansi. Patav. 1754. 5, 56),
eine jener Sentenzensammlungen in Aussprüchen von Kirchenvätern
und Dichtern, die nach Tugenden und Lastern sachlich oder alpha-
betisch geordnet in verschiedener Zusammensetzung als 'Liber scintil-
larum', 'Conflictus virtutum et vitiorum', 'Flores virtutum', 'Auctori-
tates' vorkommen. Andern Inhalt muss, wie sich aus Geffkens
Bemerkung (Der Bilderkatechismus des 15. Jahrhunderts. 1. Leipzig
1855, Beilagen S. 127) ergiebt, das zweite 'Lumen animae' betitelte
Werk gehabt haben, welches die Vorlage für das niederdeutsche Beicht-
buch 'Dat licht der sele' (Lübeck 1484, bei Geffken a. a. 0. Beilagen
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— 21 —
S. 126 abgegeben hat und nach Aussage des niederdeutschen Be-
ff.)
ihm, das wir wohl als das von Ulrich erwähnte „grosse Licht der
Seele", welches "auch er schon vergeblich suchte, betrachten dürfen,
war Geffken weder eine Handschrift noch ein Druck bekannt ge-
worden: ich glaube auch dieses nachweisen zu können. Drei Hand-
schriften der Erfurter Amploniana aus dem 14. und 15. Jahrhundert
(Schums Verzeichniss S. 349. 410. 424) enthalten eine 'Lumen anirme'•
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- 22 —
setzung eines scholastischen typologischen Flurilegs, des Lumen animae, ) 1
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— 23 —
Einheit bilden, gebührend gewürdigt, nnd noch nie ist im vollen Zu-
sammenhange dargestellt worden, wie damals von Böhmen, zumal von
Prag aus, das gesammte deutsche Geistesleben die folgenreichsten Ein-
wirkungen erfuhr.
Karl IV., der in Frankreich seine Erziehung empfangen hatte
und frühzeitig nach Italien gekommen war, regte, wie schon oben
(S. 18) znr Sprache kam , die berufsmässige Miniaturmalerei an, indem
er sie auf das Muster der französischen llluminirkunst wies, nach fran-
zösischer Art illustrirte Handschriften aus Paris mitbrachte, wohl auch
französische Enlumineurs an seinen Hof zog. Er stellte die hervor-
ragendsten französischen, italienischen und deutschen Meister der Wand-
und Tafelmalerei wie der Architektur und Sculptur, einen Matthias
von Arras, Thomas von Mödena, Theodorich, Nicolaua Wurmser aus
Strassburg, Peter Parier aus Gmünd und viele andere, bei seinen präch-
tigen Burg- und Kirchenbanten in Dienst und gab so den Anstoss zu
der schönen, wenn auch kurzen Blüthe böhmischer Kunst. Er war
nach Dohme's Ausdruck (Geschichte der deutschen Baukunst. Berlin
1890, S. 248) der erste Fürst, der die Zunftschranken des Mittelalters
durchbrechend den Genius im Künstler ehrte. Und er —
nicht Maxi-
milian, wie man behauptet hat —war auch der erste deutsche Fürst,
der die Pflege des Unterrichts und der Wissenschaft als eine seiner
vornehmsten Regentenaufgaben erkannte: kein anderer weltlicher
Herrscher dieser Epoche hat in solchem Umfange zur Gründung und
Förderung von Universitäten mitgewirkt. Er hat der Reihe nach General-
stndien in Arezzo, Pavia, Orange, Genf und Lucca gestiftet, von denen
die an den beiden letzten Orten freilich nicht ins Leben traten, er hat
die Hochschulen zu Siena und Florenz privilegirt (Denifle, Die Uni-
versitäten im Mittelalter. Berlin 1885. 1, 766 ff.; 427. 579. 468 ff.
648 f. 651; 447. 562). Aber mehr als diese italienischen und fran-
zösischen Bildungsstätten, welche nach Deutschland nnr durch verein-
zelte ihrer Schüler und indirect wirkten, hat seine Schöpfung auf deut-
schem Boden unserer Cultur genützt: Prag, die erste deutsche Uni-
versität.
Durch sie verpflanzte er die Pariser Scholastik, die er liebte
und bewunderte, in deren Schule sich sein ganzes Denken heran-
melitana. Aurelianis 1752. 2, 410 ff. UebcrArt und Zeit der Abfassung be-
richtet der I'rolog des ursprünglichen Werkes, den v. Murr, Journal zur
Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur. Nürnberg 1775. I, tiüff.
nach dem Druck von 1470 veröffentlichte, und den Ulrich Putsch in seinem
'Licht der Seele' mitü Oersetzt hat, wie sich aus dem Germania 21, 42 ff.
Mitgetheilten ergieht. Eine von (,'ruel, Geschichte der deutschen Predigt im
Mittelalter. Detmold 1S7'J, S. 4(><) angeführte Augshurger Handschrift von
1473 bezeichnet als Herausgeber Krzbischof Berengar von Compostella,
'quondam maxister ordinis praedicatorunf. Gemeint ist damit Berengar de
Londora. inthronisirt UM 7, gestorben 1325 (nach Garns, Series episcoporum
S. 2(5 vgl. über ihn Quetif-Kchard, Scriptorcs ordiuis praedicatorum 1,514 ff).
;
Das Ganze zcnällt, wie ich aus dem hxcmplar des Anton Sorgschen Drucks
von 1477 auf der hiesigen Universitätsbibliothek ersehe, in zwei verschie-
dene Theile: der erste in 75 Titeln, von Titel s bis 74 (wo alter .Schluss
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— 24
die Schuld, dass man ihn so selten richtig beurtheilt. Wie in seiner
Verehrung der Künste und Wissenschaften, in dem internationalen Zug
seines Charakters, der sich z. B. in seiner beinahe unglaublichen
Sprachenkunde äussert, in seiner Vorliebe für die Botanik, die er durch
Errichtung des ersten botanischen Gartens in Deutschland fördert, so
erscheint er in vielem andern als ein moderner Mensch. Er hatte
persönliche Beziehungen zu Boccaccio. Er stand Petrarca nahe und
suchte von ihm zu lernen, aber er liess sich niemals durch die roman-
tischen Zumuthungen, die dieser an ihn richtete, von dem Wege seiner
kühlen Realpolitik zur Wiederaufnahme der nicht mehr lebensfähigen
Idee des Weltimperiums verleiten. Er hatte aus der Geschichte zu
lernen verstanden, besser nnd besonnener als Petrarca, der so gern
sein phantastisches Träumen mit ihr drapirte. Er liebte und förderte
darum ihr Studium, regte die deutsche Geschichtschreibung an und trat
selbst mit hervorragendem Geschick in seiner Selbstbiographie als
historischer Schriftsteller auf. Er hatte im französischen Staate die Ein-
heit der Gewalten kennen und schätzen gelernt und suchte sie nun
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— 25 —
in Deutschland durchzuführen. Er brachte zum ersten Mal die poli-
tischen Bestrebungen seiner Vorgänger seit dem Interregnum zum glück-
lichen Abschluss und schuf im Königreich Böhmen eine starke, in sich
gefestigte Er stellte hier zuerst das Bild auf eines conso-
Hausmacht.
lidirten mit durchgreifender königlicher Gewalt, mit centrali-
Staates
sirter Verwaltung, mit geordneten Finanzen, mit geregelter Bewirt-
schaftung der Domänen, mit Sicherheit des Verkehrs, mit Gewähr der
Rechtshülfe und des inneren Friedens, mit Stärkung und Förderung
des Handels und Gewerbes: das Bild des modernen Staates. Er
vollendete durch seine goldene Bulle, welche die kurfürstlichen Rechte
fixirte, die Ausbildung der Landeshoheit und legte so den Grund zu
der modernen Fürstensouveränetät Er organisirte die Rechtspflege
durch Codification und Gesetzgebung. Er verkehrte mit italienischen
Recht8gelchrtcn wie Bartolus* von Sassoferrato, dem Haupt der juristi-
schen Scholastiker, und anderen, bediente sich ihrer in Staatsgeschäften,
begünstigte das Eindringen des römischen Rechts und leistete diesem
auch dadurch Vorschub, dass er das Amt eines Hofpfalzgrafen aus
Italien nach Deutschland verpflanzte (Schröder, Lehrbuch der deutschen
Rechtsgeschichte S. 486 f.). Auf das Studium des römischen Rechts
legte er so grosses Gewicht, weil er darin eine Stütze der kaiserlichen
Macht erblickte, wie das sein Stiftungsbrief für die Universität Orango
vom 4. Juni 1365 feierlichen Worten ausspricht (Denifle a. a. 0.
mit
1, 469. Anm. Er suchte in der Maiestas Carolina 1355 dem
1017).
ganzen Gebiet der böhmischen Krono ein verbessertes Gerichtsverfahren
zu geben er stürzte die alte Grafenverfassung und bereitete die spätere
:
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— 26 —
Nüchtern, kalt, zäh, berechnend nnd vorsichtig nnr nach dem
Erreichbaren trachtend, ein guter Kenner der Menschen nnd der Welt,
bengte er sich vor der geschichtlichen Notwendigkeit: er begriff, dass
dem wankenden Körper ein nener Halt, dem in Atome zerfallenden
Staatswesen ') ein neuer Grund bereitet werden müsse. Während seiner
Regierung und unter seiner Mitwirkung rückt der politische Schwer-
punkt des Reichs, rückt der Schwerpunkt der deutschen Cultur nach
dem Osten und Nordosten. Sein Königreich Böhmen umfasste zuletzt
das heutige Böhmen, Mähren, Oesterreich-Schlesien die Ober- und
,
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— 27 —
erfüllenden Hoffnung, die Hansa nnter seine Leitung zu bringen, unter-
nahm 1375 mit seiner Gemahlin und glänzendem Gefolge den pomp-
er
haften Zug nach Lübeck. Der gesammte deutsche Osten mit den
grossen Stapelplätzen Hamburg, Lübeck, Frankfurt, Danzig, Breslau,
Krakau, Prag, Nürnberg sollte eine wirtschaftliche Einheit werden
und unmittelbar mit Venedig, der Pforte für den italienischen und
lcvantinischen Handel in Austausch treten. In weiterer Ferne schwebte
ihm auch , wozu mit Oesterreich und Ungarn (1364)
die Erbverträge
den Weg eröffneten, eine noch umfassendere grosse östliche Monarchie
internationalen Charakters über deutsche, magyarische und slavische
Völker vor.«)
Nach Karls IV. Tod zerbröckelte die luxemburgische Hausmacht
und dem Kronlande Böhmen die deutsche
die Hussitenstürme fegten aus
Cultur hinweg. Aber der mächtige Anstoss, den die Karolinische
Zeit gegeben hatte, dauerte im Osten, nur etwas weiter nach Norden
geschoben, fort. 2 ) An die Stelle de6 prunkvollen Prags, wohin während
des 14. Jahrhunderts aus Schlesien Thüringen-Meissen
,
Brandenburg,
,
Karls IV. und seiner Zeit. Innsbruck 18SO 18M>; 0. Lorenz, Deutschlands
(leschichtsquellen 3 1 .»04 ff; Hufler, Mittheilungen des Vereins für bc-
,
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— 28 —
so oft der Name seines unversöhnlichen Gegners erscheint: Claus von
Bismark, der Ahnherr Ottos von Bismarck-Schönhausen.
Im deutschen Osten war der Zusammenhang mit den alten natio-
nalen Ueberlieferungen kein so starker als in dem deutschen Mutter-
lande. Auf dem colonisirtem Boden leistete das deutsche Wesen
neuen, fremden Culturelementen, die von aussen eindrangen, geringeren
Widerstand. Hier, wo überdies in Folge der einfacheren wirtschaft-
licheren Verhältnisse die socialen Gegensätze nicht annähernd so scharf
und unversöhnlich, wo die Bedürfnisse lange nicht so complicirt waren
als in dem von Capitalismus und Pauperismus heimgesuchten Westen
und darum die Einheit des Rechts auf weniger Hindernisse stiess, voll-
zieht sich am frühesten und leichtesten die Reception des römischen
Hecht«, hier in Böhmen rindet zuerst der italienische Humanismus, die
gleichzeitige französische und italienische Kunst und Wissenschaft
freundliche Aufnahme und lebhafte Nachahmung, hier gewinnt die
Lehre Wiclifs zuerst weiten Boden, und indem sie neben waldensi-
schen und anderen häretischen Strömungen einhergehend und mit ihnen
sich mischend die hussitische Bewegung entfesselt, 1 ) in der ausser dem
Reformationsgedanken zum ersten Mal das Princip der Nationalität
mit der Kraft einer elementaren Naturgewalt in die Weltgeschichte
tritt, wirkt sie nahezu unermesslich. Aber dieses Zusammendrängen
so heterogener Einflüsse in engem Räume und die fortwährende, sich
steigernde Reibung der slavischen an der eingewanderten Nation wirken
auch auf die schöpferische Fähigkeit der hier vereinigten deutschen
Bevölkerung befruchtend, treibend wie ein Gewitterregen: hier wird
der Grund gelegt für den ostmitteldeutschen Charakter der neu-
Schlesiens. Gotha 1S84. 1, 415 ff.; für Zittau, das damals nicht zur Lausitz,
sondern unmittelbar zu Böhmen gehörte : Peschcck, Handbuch der Geschichte
von Zittau. Zittau 1834. 1, 543 f.; tür die Lausitz: Pescheck N. Lausitz. Magaz.
12, 93 ff. 13, Ol ff.; 0. Tschiersch, Geschichte des Luckauer .Schulwesens.
Abdruck der ältesten Verzeichnisse der Graduirten und Scholaren Leipzigs Die :
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29 —
hochdeutschen Schriftsprache, liier bildet sich zuerst eine formgewandte
wissenschaftliche und deutsche
Prosa, hier entsteht die
litterarische
erste wirksame, über ein Jahrhundert verbreitete deutsche Uebersetzung
des neuen Testaments, hier werden erfolgreiche Versuche einer pro-
saischen Verdeutschung der ganzen Bibel gemacht, hier unternimmt
man es zuerst, antike Autoren in deutscher Prosarede sprechen zu
lassen.
Mit einem Worte: hier strömt fast alles Neue, Grosse, was das
Zeitalter der Reformation, d. h. die Zeit von 1350 1600, bringen —
sollte, wie in einem grossen Sammelbecken zusammen.
Welche Canäle haben diese angestaute Fluth weiter verbreitet?
Dem Ziel gegenwärtiger Untersuchungen gemäss verfolge ich nur die,
welche in der litterarischen Production und ihrer schriftlichen Fixirung
tliessen. Auch für sie bedeutet die Karolinische Epoche einen
Wechsel der Richtung: Abkehr vom Alten, Umgestaltung des Ueber-
lieferten.
Nnr wenige Personen sind es, die an der Spitze dieser Beweg-
ung stehen; alle ans der Umgebung des Kaisers. Ihre geistige Cultur
hat der gebildetste Mann der damaligen Welt, Petrarca, aufs höchste
gepriesen. ') In der Fülle aber ihrer mannigfachen Bestrebungen er-
von Johanu in Saaz entlehnt, was bisher Niemand bemerkt hat, den Titel
und die Fiction, dass eiu Laudmaim über die grossen Welträthsel seine Ge-
danken ausspricht, dass er der Gewissensangst und dem Schrecken vor dem
daherrasenden Todesengel der Pest die menschliche, die ewige Natur und
die göttliche Weltordnung gegenüberstellt, dem gewaltigen englischen Ge-
dichte Wilhelm Lauglauds von 1362 'Peter der Ackerinaun' (Piers
the Plowmau), einem wirkungsvollen Vorklange der Lehren Wiclifs, und
dessen Nachahmungen: 'Piers the Ploughmans Credo' (um 1394), 'Plowmans
Tale' (jünger sind: 'God spede the Ploujrji', 'How the Plowman lerned bis
Paternoster'). Ueber diese englischen Dichtungen: Leehlcr, Johann Wiclif
1,244 ff. 2, 30 ff. 1(>5 ff; ten Brink, Geschichte der englischen Litteratur 1,
445 ff. 2, 1, 209; Körting, Grundriss der Geschichte der englischen Litteratur.
Münster 1887, S. 153 f. Auch Chaucer ist von Langlands poetischer Schöpf-
ung beeiuflusst in seinen '('auterbury tales' (s. ten Brink a. a. O. 2, 1, 151).
1) Seine Worte enthalten, auch wenn man das bei einem solchen Erz-
schmeichler nothwendig abzuziehende Mass in Abrechnung bringt, noch immer
eine starke Auszeichnung: 'Ego vero nihil barbarum minus nihil humanuni
magis profiteor me vidisse quam Caesarem et aliquot circa cum suminos viros,
quorum modo nominibus scienter abstineo: summos inquam viros et insignes,
dignos maiori memoria: quod ad haec attinet abunde luites et affabiles velut
si Athenis atticis nati essent' (Brief an Erzbischof Ernst von Pardubitz, aus
Mailand, bei Fracassetti Franeisei Petrareae epistolae. Florentiae 1863, 3,
58. lib. 21, epist. 1).
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— 30
gnade gefallen sei, und seine neuerdings aus einer Klagenfurter Hand-
schrift herausgegebenen Briefe zeigen, dass gegnerische Einflüsse ihn
aus seiner Stellung verdrängten. •)
Dieser Mann, der den König auf allen wichtigen Reisen be-
gleitete, mit ihm Italien besuchte und dort Petrarca kennen lernte, ist
1) Friedjung, Kaiser Karl IV., S. 107 ff.; Huber, Regesten des Kaiser-
reiches unter Karl IV., S. XLIIff; Benedict Das Leben des heiligen Hiero-
,
nymus in der Uebersetzung des Bischofs Johannes VIII. von Olmütz. Biblio-
thek der lnittelhochd. Litteratur in Böhmen, Bd. 3. Prag 1880, S. Iff.;
Lindner Das Urkundenwesen Karls IV. und seiner Nachfolger. Stuttgart
,
1882, S. 16 f.; Hnbcr, Allgcni. deutsche Biogr. 14, 468 f.; Tadra, Archiv ftir
österr. Geschichte 68, I ff. Unzugänglich ist mir ein Aufsatz Uber ihn von Tadra
im Casopis musea 886 3. 85 f.
1 , — Das Lebensbild Johanns gestaltete sich
noch viel reicher, wollte man mit Joh. Heyne (Documentirte Geschichte des
Bisthums und Hochstiftes Breslau. Bd. 2. Breslau 1864, S. 212 ff.) ihn auch
in jenem Johann von Neumarkt wiedererkennen, der Magister und Doctor
der M ediein, 136» Archidiakonus zu Glogau, in diesem Jahre ein Anniversa-
rium für seine Seelenruhe in der Pfarrkirche von Neumarkt, stiftete und Ver-
fasser mehrerer medicinischer Schriften ist. Allein, so gut Zeit und Ort dazu
passen würde, gegen diese Identificirung spricht dass der Kanzler Karls IV.
,
niemals sonst Magister oder gar Doctor der Medicin genannt wird. Ebenso-
wenig ist jener Joannes de Novoforo, der am 9. Februar 1375 zum Licentiateu
promovirt wird (Monumenta historica Universitatis Pragcnsis 1,1,1 68) mit dem
Kanzler eine Person.
— 31 —
ohne Frage, wenn auch politisch nicht bedeutend, weitaus die univer-
sellste Persönlichkeit unter den hohen Beamten des Königs und sein
geschicktestes Werkzeug. Ihm gebührt das Verdienst, seit Karls
Kaiserkrönung eine durchgreifende Reform der königlichen Kanzlei
ausgeführt zu haben (vgl. Lindner, Das Urkundenwesen Karls IV.,
S. 126). Bei der wichtigsten politischen Massregel Karls IV., der Ab-
fassung der goldenen Bulle, war er als Mitarbeiter, d. h. mindestens
als stilistischer Redaktor, bcthciligt, Ein begeisterter Verehrer Pe-
trarcas, dessen freundschaftliche Correspondenz mit dem Kaiser durch
seine Hand ging und mit dem er selbst befreundet war und eifrig
Briefe wechselte, ein Bewunderer Cola di Rienzos, dessen Erscheinen
in Prag (1350) das grösstc Aufsehen gemacht hatte, erhob Johann die
Prager Schule des Notariats, welche schon lange in einem gewissen
Ansehen stand (Voigt, Wiederbelebung des classischen Altcrthums2 2,
272; Brcsslau. Handbuch der Urkundenlehre 1. Leipzig 1889, S. 645
Anm. 2) durch sein lateinisches Epistolar- und Formelbuch die soge-
,
nannte Summa canccllariae Caroli IV., auf die Höhe eines unbestrittenen
Musters der Wohlredenheit. Eine ähnliche Formelsammlung ver-
anstaltete er für seine Olmtttzer Diöcesc: Cancellaria officii Olomu-
censis. Sie mag aus seinen letzten Lebensjahren herrühren und erst
nach seinem Tode redigirt sein (Tadra, Archiv für österreichische Ge-
schichte 68, 5 f.). In der einzigen Prager Handschrift ist sie verbun-
den mit einem ördo judiciarius, einem geistlichen Formelbuch nebst
Briefen des Erzbischofs Ernst von Prag und einer Rhetorik: man er-
kennt in dieser Vereinigung ein Hilfsbuch für* den Gebrauch der
Kanzleien. Und ein solches liegt uns auch vor in der interessanten
Klagenfurter Handschrift (Tadra a. a. 0. S. 6 ff), die wenn schon nicht
,
unmittelbar unter den Augen Johanns, doch auf seine Veranlassung ent-
standen ist. Sie enthält folgende Stücke: das Formelbuch des Hen-
ricus Italiens, das in der königlichen Hofkanzlei zu Prag etwa 1283
— 93 von dem aus Isernia stammenden Verfasser, dem Notar König
Wenzels II. hergestellt worden ist (Voigt Archiv für Österreich. Ge-
,
1, 645 Anm. 2); ein Verzeichniss von Titeln geistlicher und weltlicher
Würdenträger die Cancellaria Caroli IV. in einer sehr umfangreichen
;
Gestalt, die sich durch eine beträchtliche Anzahl von Briefen Johanns
auszeichnet und etwa aus dem Jahre 1378 herrühren dürfte; ferner
'Formae devolutionum' (sc. bonorum); eine Sammlung von Briefen in
der Weise Johanns, grossentheils nur Stilübungen endlich ein Formel-
;
buch aus dem 13. Jahrhundert mit Briefen von König Wenzel II.
Der mannigfaltige Inhalt dieser Werke, welcher eine genauere
Untersuchung verdiente, zeigt uns Johann direct wirksam im Dienste
jener grossen geschichtlichen Bewegung, die sich zuerst auf deutschem
Boden im Königreich Böhmen vollzog und von den Kreisen der Kanz-
leien aus sich verbreitete: die Verdrängung des nationalen Gerichts-
verfahrens, wie es im sächsischen und süddeutschen Recht festgestellt
war, durch Einbürgerung des canonischen Processes, canonistischer
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— 32 —
Rechtsanschauungen, durch Ausbildung einer sicheren Technik des
schriftlichen Verfahrens durch Heranziehung civilistischer Lehren
,
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— :-n —
zu sein. Ob oder noch in dem Stammort geboren ist,
er bereits hier
bleibt unsicher. Er empfing Bildung und nannte sich selbst
geistliche
'clericus Pragensis diöceseos\ Zunächst wurde er Grubenschreiber bei
dem Bergwerksbesitzer Thomas Wolf in Kuttenberg, dann Unterberg-
schreiber der Stadt Kuttenberg. Dies fällt etwa in die Zeit um 1350.
Da das Gericht von Kuttenberg sein Recht von dem Oberhof Iglau
empfing, so konnte sich Johann hier praktisch Kcnntniss und Uebung
im Iglauer Recht, das in ganz Böhmen, Mähren, Schlesien für viele
Tochterstädte autoritative Geltung hatte, und damit auch Erfahrung in
bergmännischen Verhältnissen erwerben. Im Jahre 1359 erscheint er
als Leiter der Schule von Iglau, und wie dort und anderswo der
Schulmeister zugleich das Amt des Stadtschreibers versah, so wurde
auch er am 23. December 1360 von dem Schöffenrathe zum städti-
Notar gewählt. In dieser Stellung verblieb er mehrere Jahre nnd
legte das erste Stadtbuch an, in welches alle mündlich vor Gericht
geschlossenen Geschäfte eingetragen wurden, eine Einrichtung, welche
für den Aufschwung des bürgerlichen Verkehrs und Gewerbes von un-
berechenbarem Einfluss war und in der wir die Anfänge des modernen
Grundbuchwesens zu erkennen haben. Er vereinigte die Freiheiten
und Privilegien der Stadt und die wichtigeren Schöffenurtheile in ein
Buch, und diese seine Sammlung von Schöffensprüchen (libri senten-
tiarum) wurde oftmals abgeschrieben und vielfach Muster für ähnliche
Zusammenstellungen späterer Notare. Er erwarb sich aber auch da-
durch um die Rechtspflege Verdienste, dass er den des Lateins unkun-
digen Schöffon das Verständniss der lateinischen Rechtsquellen durch
deutsche Uebersetzungen erleichterte: so Ubersetzte er das Iglauer
Stadtrecht und, was besonders folgenreich war, die oben erwähnte
Constitutio juris metallici Wenzels II. welche nun in deutschem Ge-
,
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— 34 —
wurde er in Olinütz dessen bisehöflicher Notar. Dies ergiebt sich aus
dem Statut von 1376 (abgedruckt bei Richter, Augustini Olmuc. episco-
porum Olomucensium serics. Olmütz 1831, S. 305 tf. und bei Heyne,
Documentirte Geschichte des Bisthunis Breslau 2, 217 f.), sowie aus
den von Tadra a. a. 0. herausgegebenen Briefen (Nr. 44. 96. 173.
217). Er stand dem Bischof, dessen Protonotar er wurde, offenbar
sehr nahe, wird von ihm als sein 'familiaris domesticus' bezeichnet und
besass den Rang eines 'notarius publicus', wozu man damals in Deutsch-
land noch ziemlich schwer ernannt wurde. Später trägt er seine ver-
vollkommnete Kunst in die städtischen und fürstlichen Kanzleien
Mährens und Oesterreichs: er wird Stadtschreiber in Brünn, ) 1
wohl nach dem Tode Johanns von Neumarkt (1380). Dort veröffent-
licht er nach dem Vorbild seines Lehrers eine eigene Sammlung von
Formularen für Urkunden nebst einigen Briefen, die er aus Schrift-
stücken der Reichskanzlei zusammenstellt, und widmet sie dem Herzog
Albrecht III. von Oesterreich. Ausserdem aber vereinigt er in einer
zweiten Schrift eine Anzahl Briefformularc aus Karls Kanzlei mit einem
theoretischen Abriss der Epistolographie und mit Urkunden mähri-
scher Herkunft und eignet dies Werk dem Markgrafen Jost von Mähren
zu. In dieser Zeit stellte er, wie ich vermuthe, auch jenen berühmten
mit hervorragenden Miniaturen geschmückten Codex des Brünner
Schöffenbuchs (im Brünner Stadtarchiv) her, den man gewöhnlich einem
angenommenen älteren Brünner Stadtschreiber Johannes, der aber bis-
her nicht nachgewiesen ist, beilegt 2 ) Es ist darin ein reiches Material,
Stadtrecht und Schöffensprüche, wie ich glaube auf Grund einer älteren
Sammlung, die möglicherweise 1353 angelegt ist (s. die Anmerkung 1),
nach dem Vorbild der canonistischen 'Summae de casibus', 'Summae eon-
fessorum' zu einem alphabetisch geordneten Leitfaden für das gesammte
Recht verarbeitet, mit Bevorzugung von Process- und Privatrecht dazn ;
1) Ich kann ihn als solchen zuerst in einer Urkunde vom Sl.Dcceuiber
1380 nachweisen (Brandl, Codex diplomaticus Moraviae. Brünn 18S5. II,
Nr. 207, S. 186), dann noch 1384 (ebd. Nr. 328, S. 300), zuletzt am 22. Sep-
tember 1387 (obd. Nr. 452, S. 397)*
2) Die in der juristischen Litteratur hergebrachten Datirungen sind,
obwohl von einem Buch in das andere vererbt, ungenügend begründet uud
widerspruchsvoll. Monse in seinem Versuch über die ältesten Municipalrechte
Mährens (Abhandlungen der Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften auf
das Jahr 1787. Prag-Dresden 1788) besehrieb die Handschrift zuerst und
setzte sie S. 80. 149 in die Zeit zwischen 1350 und 1360, Rösslcr in seiner
Ausgabe des Brünner Schöffenbuchs (Reehtsdeukmäler aus Böhmen und
Mähren Bd. 2. Prag 1852) bezieht völlig grundlos eine Notiz einer Brüuner
Stadtrechnuug über abgeschriebene Rechtsbücher (libri leguui) von 1353 auf
die Schöffeubuchhandschrift Johanns und verlegt sie S. XLIII in das Jahr
1353, dagegen S. L ins Jahr 1365, wobei er jene Notiz unbeachtet lässt; Ott,
Beiträge zur Receptionsgeschichte S. 174 und Anin. 1 hält an der Datirung
—
Monse s 1350 1360 fest und schiebt trotzdem die Handschrift auf Grund der
unglücklichen Notiz in das Jahr 1353 zurück! Für die Autorschaft Johanns von
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— 35 -
schichte der deutschen Rechtsquellen 1, 527 f. Ott, Beiträge zur Re-
ceptionsgeschichte S. 174 ff.).«)
Beispiel, um 1380 aber sehr wohl begreiflich ist. Uebrigens will ich noch
hervorheben, dass genau denselben Titel wie in der Ueberscnrift zu dem Bilde
der Brünner Handschrift (Fol. 108), in welchem man das Portrait des Ver-
fassers der Sammlung zu erkennen hat (Rössler a. a. 0. S. LI), Johann von Geln-
hausen auch in den urkundlichen Erwähnungen (s. die vorige Anmerkung)
tührt: 'dominus notarius civitatis.'
1) Ueber Johanns von Gelnhausen früheres Leben sowie seine juristische
Thätigkeit fjiebt Toinaschek, Der Oberhof Iglau in Mähren. Innsbruck 1S68,
S. 20—27, die reichsten Nachrichten, ohne jedoch die Identität mit dem Ver-
fasser des Brünner Schüffenbuchs zu erkennen. Ich habe ihn aus den späte-
ren Forschungen von Huber, Rcgesta Imperii Karls IV., Lindner a. a. 0. 8. 20.
15! f., Benedict a. a. 0. S. XIV ff. in seineu Combiuatioueu vielfach corrigirt
und konnte dabei das Bedauern nicht unterdrücken, dass seine Arbeit von
diesen Gelehrten nicht benutzt wurde.
3*
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— 36 —
selbst dankbar und bewundernd als Schüler und Freund Johanns von
Neumarkt, dessen Nachfolger er in der Leitung der Reichskanzlei unter
Wenzel wurde (bis 1384), nachdem er vorher als Bischof von Meissen
Wenzels königlicher Sonderkanzlei vorgestandon hatte, unterhält mit
ihm einen Briefwechsel und zeigt sich in dem Stil seiner Briefe, die sein
Codex epistolaris vereinigt, von ihm abhängig (Loscrth Archiv für
,
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— 37 —
Wohin wir blicken, überall herrscht damals in jenen Gegenden
das Streben nach Neuordnung, strengerer Regelung der Verwaltung,
nach Fixirung der Formen des geschäftlichen und juristischen Ver-
kehrs. Für die Administration seines Olmützer Bisthums gab Johann
von Neumarkt mit seiner Geschäftskunde und juristischen Schulung das
Beispiel; er revidirte die Statuten des Olmützer Domcapitels, arbeitete
sie um und gab sie 1367 als 'Confirmatio statutorum capituli ecelesiae
Olomucensis* heraus; er verfasste 1380 die Statuten der von ihm nach
Kremsier berufenen Diöcesansynode. Hierin wandelte er nur auf der
Bahn, die der erste Prager Erzbischof Ernst von Pardubitz ver-
hcissungsvoll und rühmlich beschritten hatte, als er durch zahlreiche
Erlasse, Statuten und Synodalverordnungen ') seine Provinz musterhaft
organ sirte
i als er mit fester Hand streng, aber in den Grenzen des
,
Rechts auf eine wahrhafte kirchliche Reform, auf die sittliche und
geistige Erhebung der Geistlichen hinarbeitete und das zu erfüllen
trachtete, was in den folgenden verworrenen Zeiten so oft von den
Besten ersehnt und immer so unglücklich versucht wurde.
Von älteren Forschern wurden Johann auch zwei kleinere juri-
stische Schriften processus juris' und
beigelegt: 'Forraulae et varii
'Tractatus de advocatis, judieibus, syndico et actore'. Ist das richtig,
und die von Benedict a. a. 0. S. XVII erwähnte Prager Handschrift
der Cancellaria officii Olomucensis könnte einen Anhalt dafür bieten
(vgl. auch Tadra, Aich. f. österr. Gesch. 68, 5), so haben wir Johann
geradezu als einen der theoretischen Vorkämpfer des neuen gerichtlichen
Verfahrens, des neuen Standes der gelehrten Richter, Advocaten und
Syndiken zu betrachen.
Jedenfalls kann der Geist nicht zweifelhaft sein, unter dessen
Zeichen die juristischen Leistungen der kaiserlichen Kanzlei Böhmens
standen. In der Maiestas Carolina, die sich, wie Werunsky richtig
bemerkt (Zeitschr. f. Rechtsgesch. Germanist. Abth. 9, 70 Anm. 2), durch
ihr Proömium und die Arengen der einzelnen Titel als ein stilistisches
Werk Johanns oder seiner Schule in der Reichskanzlei erweist, zeigt
sich ein entschiedenes Festhalten an der römisch-canonischen Termi-
nologie, wird unter dem Einrluss römisch-rechtlicher Vorbilder zwischen
dem und Strafprocess unterschieden, rinden sich manche wört-
Civil-
licheund sachliche Reminiscenzen an canonische und römisch-recht-
166 f.). Auch die lateinische Bearbei-
liche Quellen (Ott, Beiträge S.
tung des ursprünglich in cechischer Sprache 1344 1350 verfassten —
Bibliotheken (ebd. K.Folge Bd. 2) unter den .Stiehworten de» Registers: ("'an-
cellaria, Forniularii diversi, Summue dictaminis. Genannt sei liier nur die Samm-
lung canonischer Processfonnularien des Johannes PH
in da, Stadtschreibers
in Taus (um 1870).
U
HoehYr, Concilia Pragensia, l'rag IM} 2 (Abhandlungen der kgl. böh-
mischen Gesellschaft der Wissenschaften. 5. Folge. 12. Bd.), S. XXIV ff, 2 ff.;
Frind, Kirchengeschichte Böhmens Bd. 2. Prag lS(i(i, S. 98 ff; Ott, Beiträge
zur Keceptionsgeschichtc S. IS ff; Loserth, Hus und Wiclif S. 80 ff; Borenz,
Deutschlands Geschichtsquellen 3 I, 817 Anm. I.
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— 38 —
Ordo judicii Bocmie, die aus der böhmischen Landeskanzlei
terre
hervorgegangen, von der Maiestas Carolina vielfach benutzt wurde,
hatte eine beträchtliche Anzahl von Kunstausdrücken des
ziemlich
römisch-canonischen Processes verwendet (Ott ebd. S. 167, Werunsky,
Zeitschr. f. Rechtsgesch. Germanist. Abth. 10, 115 Anm. 1). Desgleichen
enthält die goldene Bulle, deren Eingang, der Anruf an Gott in
Hexametern und die poetisirende, philosophisch -staatsrechtliche Be-
trachtung über die 'divisio' der Reiche, sicher Johann von Neumarkt
zugeschrieben werden muss, deutliche Anklänge an das Corpus juris:
sie statuirt nach römischem Vorbild den Begriff der Majestätsbeleidigung
und wendet ihn den Kurfürsten gegenüber an (Jacoby, Zeitschrift für
die gesammten Staatswissenschaften 13, 152). Und sie ist stilistisch
jedenfalls ganz und gar ein Product der Reichskanzlei. ) Endlich
1
1) Soviel steht unzweifelhaft fest. Im Uebrigen sei die Art und Weise,
wie die einzelnen Handschriften und ihre Vorlagen aus der Fassung der
Reichskanzlei hervorgegangen sind, dahingestellt und auf die Untersuchungen
verwiesen von O. Harnack, Das Kurfiirstcneollegiuin. (Jiessen 1883; Forsch-
ungen 24, 445 ff. und Lindner, Mitthcilungeu des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung 5, UG ff; Forschungen 25, 184 ff.
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- 39 —
wollte. Inseinem Albrecht von Oesterreich gewidmeten Formelbuch
findet sich denn auch jenes denkwürdige Formular für die Doctor-
promotion, das zuerst die Gleichstellung des Doctor juris civilis mit
den Adlichen ausspricht (Stobbe, Rechtsquellen 1, 633 Anm. 76).
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— 40 —
hitze Prags ('suspectos dies augustales') zu entrücken und gemeinschaft-
lich mit ihm heilige Bücher zu lesen (ebd. Nr. 100).
In der juristischen Corporation, die sich 1372 als eine beson-
dere Universität von den übrigen drei Facnltäten getrennt hatte, wurde
das römische Civilrecht freilich erst seit 1378 und Anfangs nur durch
vereinzelte 'Legisten' vorgetragen (Stölzel, Die Entwicklung des ge-
lehrten Richterthums. Stuttgart 1872. 1, 79 ff.; Denifle, Die Universi-
täten dos Mittelalters 1, 589 und Anm. 1496). Aber das canonische
Recht war von vornherein gut vertreten.') Zwei bedeutende pro-
cessualische Schriften des canonischen Rechts sind denn damals
auch aus der Prager Hochschule ans Licht getreten. Die eine, 1385
für Unterrichtszwecke verfasst, stellt den canonischen Rechtsgang
an einem fingirten Process dar und rührt sicherlich von einem
mit der Praxis der curia archiepiscopalis Pragensis vertrauten Prager
Rechtsgelehrten her, höchst wahrscheinlich von Nicolaus Puchnik,
der 1373 das Baccalariat der Prager Artistenfacultät, 1376 die Licentia
pro magisterio erlangte, dann als Licentiatus in decretis in die Ma-
trikel der Prager Juristenuniversität eingetragen, 1385 Official des Erz-
bischofs Johann von Jenzenstein (1379 —
1396) war und als soge-
nannter Vicekanzler der Universität die Examinatoren für das Magister-
examen ernannte, Domherr zu Prag, Olmütz, Wysehrad und Vicar
des Erzbischofs wurde, endlich 1402 nach dem Tode Erzbischofs Wolf-
ram von Skworec des Nachfolgers Johanns von Jenzenstein, den erz-
,
Aus den Kreisen der Prager Universität und der Sphäre der
Jurisdiction ihres Kanzlers,des Erzbischofs von Prag, stammen auch
mehrere Werke geistlicher Jurisprudenz, die zu den ersten ihrer
Art in Deutschland gehören. Sie sind hervorgerufen durch die Ver-
waltunglies geistlichen Amtes, insbesondere die Verwaltung des Buss-
sacraments: eine Beichtstuhljurisprudenz, die das Grenzgebiet
zwischen Recht und Moral casuistisch, nach der Methode des cano-
nischen Rechts behandelt. Das geschieht einmal in Anleitungen der
Priester für die Beichtpraxis, welche eine Masse juristischen Materials
vom kirchlich-ethischen Gesichtspunkte verarbeiteten und indirect den
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— 41 —
Priester auch mit den Principien, welche dem
römisch-rechtlichen
canonischen Recht zu Grunde liegen, vertraut machten: 'die Summae
confessorum' und ihre Verwandten. Anderseits werden in Form von
Tractaten einzolne Gebiete des Rechts, die Verhältnisse der Geschäfts-
leute, Zinsen und Contracte und dergleichen erörtert: die 'Tractatus do
contractibus' (Stintzing, Geschichte der populären Literatur des römisch-
canonischen Rechts in Deutschland. Leipzig 1867, S. 489 ff.; Geschichte
der deutschen Rechtswissenschaft 1, 15 ff.; Muther, Zur Geschichte der
Rechtswissenschaft. Jena 1876, S. 158 ff).
Der des Prager Erzbischofs Ernst von Par-
erste Generalvicar
dubitz, Stephan von Prag,der an der Präger Cathedrale das jus
canonicum docirte (Denifle, Universitäten des Mittelalters 1, 589), später
Rcgularcanonicus in Raudnitz, verfasste in mehreren Handschriften
verbreitete 'Quaestiones seu Casus scientiae', die auf der Summa
des Raimund de Pennaforte, des berühmten Compilators der Decre-
talen Gregors IX., und auf der Summa des Johannes von Freiburg
(f 1314) fussen. In Zusammenhang damit .stehen die von Ernst von
Pardubitz selbst gesammelten 'Casus qui spectant ad episcopum pro
absolutione' (Schulte, Geschichte der Quellen und Litteratur des cano-
nischen Rechts 2, 431). Heinrich Totting von Oyta, Heinrichs
von Langenstein Freund, gebildet in Erfurt und auf der Prager
Universität, der er von 1362—1385 angehörte, dürfte als einer der Ersten
auf deutschem Boden seinen 'Tractatus de cohtractibus' verfasst haben.
Auch Konrad von Ebrach, der einen 'Tractatus de censibus' schrieb,
lehrte als Magister der Theologie 1375 in Prag. ) Bekannter ist Mat-
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— 42 —
Ruprechts von der Pfalz und wurde 1405 Bischof von Worms. Aber
schon in Prag stand er im Kanzleidienste: die Supplik Karls IV. an
den Pabst 1355 zu Gunsten von 'personas dilectorum suorum doctorum
magistrorum bacallariorum sue universitatis Pragensis' nennt ihn aus-
drücklich 'notarius'.
An diesem bedeutenden Vorreformator haben Kanzlei und Uni-
versität gleichen Theil. Und auch für andere Personen lässt sich die
innige Beziehung zwischen beiden aufdecken. Ich will versuchen, den
Listen über die Mitglieder der königlichen Kanzlei, welche wir den
gründlichen Forschungen Hubers und Lindners danken, durch Nach-
weise über den Bildungsgang einzelner Kanzleibeamten ein wenig
mehr Leben einzuhauchen.
Den niedrigsten Rang in der Kanzlei nahmen die Registra-
toren ein. Doch stiegen viele derselben zum Notar oder wenigstens
zum Corrector, die tüchtigsten und intelligentesten zum Protonotar
empor. Im Kreise aller, auch der, die nicht aufrückten, finden wir
das Streben nach Vermehrung der Bildung durch Universitätsbesuch.
Leonardus (1353—1354)») erwirbt am 9. März 1376 den ar-
tistischen Baccalariat (Liber decanorum facultatis philosophicae univers.
Pragensis [Monument, hist. univers. Pragens. I]. Prag 1830, 1, 169);
Petrus Wratislaviensis (1361—1362) am 3. October 1374 (ebd.
1, 161): Johannes Rost (1370) Weihnachten 1376 zum artistischen
Baccalariat zugelassen (Liber decanorum 1, 173), erscheint in einer
Urkunde von 1389 zu Prag unter den 'consules et jurati cives' als
'Hansa Rost' (Libri erectionum archidioeccsis Pragensis ed. Borov^,
S. 415b). Nicolaus de Praga (1371—1374) ist entweder der Dom-
herr von Wyschrad und Baccalarius der Künste, welcher in der juristi-
schen Universität zu Prag 1382 inscribirt wurde (Album seu matri-
cula facultatis juridicac universitatis Pragensis [Monumenta histor. uni-
versit. Pragensis II]. Prag 1834, 1, 36), der sich jedoch in der Ma-
trikel der philosophischen Decane unter den vielen Namensvettern
nicht auffinden lässt , oder der 1378 immatrikulirte (Album 1, 33).
Petrus Ruthenus (1373) beginnt sein juristisches Studium 1375, wo
die Matrikel ihn als 'Petrus de Polonia magna plebanus in Lupza nec
non eanonicus in Kastro Gueznensi (Album 1 88) nennt. Unsicher
'
,
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— 43 —
Archidiakonus von Znaim und Scholastikas vom Heiligenkreuz in
Breslau schreibt endlich am '24. October 1393 das Archidiakonat in
,
gelegten Titel 'tunc consiliarius Mitglied des dem Rector zur Seite
'
stehenden Rathes, der aus den Decanen und je zwei Vertretern der
Facultäten bestand (Paulsen Histor. Zeitschrift 45, 387. 389).
, Ver-
schieden von ihm ist wohl der 1380 zum Vicerector der juristischen Uni-
versität bestellte Johannes Saxo de Zirberch, Pfarrer in Ebs (Album
1. 34. 67). Johannes, Dechant zu Glogau (Registrator 1361, Cor-
rector und Notar bis 1368) wird 1373 als Jurist immatrikulirt (Album
1, 86).
Angelegentlicher noch um akademische Bildung bemühen sich
die gleich als Notare auftretenden Mitglieder der königlichen Kanzlei.
Petrus de Luna (Laun, 1343 Karls Notar, bis 1354) wird 1355 in
Karls Supplik an den Pabst 'bacallarius in artibus in universitate Pra-
gensi actu legens' genannt (Denifle, Die Universitäten 1, 594), d. h. er
hielt damals als Baccalarius Vorlesungen; 1375 erwirbt er das Ma-
gisterium der Artistenfacultät (Liber decanorum 1, 163) und bringt es
dann noch zum juristischen Baccalarius (Album 1, 9). Weniger er-
freulich hat sich die Laufbahn des Protonotars Welislaus gestaltet
(1347 —
1359)'): auch er erlangte das Magisteriutn der philosophi-
schen Facultät, ward aber 1374 unter dem Decanat des Nicolaus von
Guben wegen Verdachts der Anstiftung und Beihilfe zur Ermordung
eines Bischofs schimpflich excludirt (Liber decanorum 1 , 32. 99).
Heinricus Thesaurarius (1348 — 67, auch Corrector) nennt sich
selbst am 1367 'Magister Pragensis'. Petrus pracpositus
29. Juni
Wratislaviensis (1348 —
1353 oder 1355, verschieden von dem
oben genannten Registrator Petrus Wratislaviensis) wird 1387 in die
juristische Universität aufgenommen (Album 1, 40, wo er ausdrücklich
'praepositus ecclesiae sanctae Crucis Wratislaviensis' heisst). Johannes
de Wratislavia (1352) zum Baccalariat unter dem Ma-
determinirt
gister Henricus de Oyta am 11. Juli 1368 (Lib. decan. 1, 137). Hein-
ricus aus Wesel (1353—1365) bekommt zu Pfingsten 1376 den
artistischen Baccalariat (Lib. dec. 1, 171). Johannes aus Eichstädt
(1355 — 1371) figurirt noch 1393 in der philosophischen Matrikel als
'electus ad corrigendas literas magister Joannes Eykstat' (Lib. dec. I,
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283). —
Ileinricus Australis (1359 1361) determinirt behufs Antritts
des Baccalariats 1383 (Lib. decan. 1, 217).
artistischen Petrus de
Jawor (Janer, 1360—1378, seit 1376 Protonotar, in Wenzels Kanzlei
bis 1386) gehört offenbar zu den gebildetsten Beamten der Kanzlei:
Weihnachten 1371 artistischer Baccalarius steigt er 1382 zum Licen-
tiaten auf (Liber decan. 1, 149. 212) d. h. er erhält die 'licentia le-
gendi', die factische Befugniss des Magisters, und lasst sich 1385 bei
• der Juristenuniversität inscribiren (Album 1, 97). Conrad von
—
Magdeburg (1360 1363) führt in einer Urkunde vom 12. December
1376 den Titel 'magister artium' (Libri erectionum S. 136b, Nr. 252).
Nicolaus de Crapitz (1366—1368) besteht Herbst 1389 die Prüf-
ung zum artistischen Baccalariat (Lib. decan. 1, 264). Nicolaus aus
Posen (1367 —
1378) wird 1379 als Jurist immatrikulirt (Album 1,
91). Johannes von Montabaur (1365—1368) erringt 1386 die
Würde des philosophischen Baccalarius (Lib. dec. 1,246). Benedict
von Crabicz (1368 in der Kanzlei und im Rath, in diplomatischer
Mission verwendet, als Unterfertiger von Urkunden noch nicht nach-
gewiesen), Archidiakon von Saaz und Canonicus von Prag, erhält den
Baccalariatskvanz bei den Artisten Weihnachten 1386, das Magisterium
Ende 1389 und wird 1391 als juristischer Scholar inscribirt (Lib.
decan. 1, 249. 266. Album 1, 42). Petrus, Probst von Olmütz
(1370 —
1371), beginnt juristische Studien an der Prager Universität
1382 (Album 1, 37: 'Petrus de Olmucz canonicus s. Mauricii Cremsi-
rensis').Eine Ausnahmestellung beansprucht Jaroslaus de Jabloncz ): l
156). Dann trat er in die Reichskanzlei und wurde vom Kaiser selbst
dem Kanzler Johann von Neumarkt zur Anleitung übergeben. Das
wird noch 1373 geschehen sein, denn vom 13. December ist die
früheste von ihm unterfertigte Urkunde. Er stieg dann zum kaiser-
lichen Protonotar auf: als solcher ward er 1375 'gratis ad honorem
et promotionem universitatis bei den Juristen inscribirt (Album 1, 31)
'
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scheinlich aber erfüllte der Kaiser Johanns Gesuch, 'ut Jaroslaum rc-
assuniet in familiärem', und machte ihn zum Mitglied seines Rathes.
Als solcher setzte er seine juristischen Studien und Vorlesungen offen-
bar fort und ward Rector der Prager Juristenuniversität (Album 1, 4).
Auch den Ncbenkanzleien des Königreichs Böhmen, die ihr
Personal natürlicherweise zum grossen Theil aus der Schule der Reichs-
kanzlei empfingen, fehlte es nicht an graduirten Mitgliedern. Wir
kennen in der Bresläuer Kanzlei der königlichen Landeshauptmann-
'
schaft einen Notar Johann Wittel (1363—1376), der sich als Ma-
gister, natürlich der artistischen Facultät, bezeichnet.
Die Reichskanzlei selbst unterhielt während Wenzels Regierung
noch engere Beziehungen zur Universität als vorher. Stand sie jetzt
doch bis 1384 unter der Leitung des Bischofs von Meissen, späteren
Erzbischofs von Prag, Johanns von Jenzenstein, der in Prag, Padua,
Bologna, Montpellier und Paris studirt hatte. Zu Anfang des Jahres
1385 löste ihn der frühere Unterkämmerer ') Probst von Lcbus Hanko
oder Johannes Brunonis ab, den ich mit Sicherheit nicht in den Prager
Matrikeln nachzuweisen vermag. 2 )
Ich beginne wieder mit den Registratoren. Jacob von Kremsier
(1376 —
1384) hatte 1375 an der juristischen Universität sein Studium
begonnen (Album 1, 30). Bartholomäus de Novacivitate (1385
— 1397) wird 1384 als 'rector parochialis ecclesiae in Strana* bei den
Juristen immatrikulirt (Album 1,38). Johannes aus Bautzen (1395)
hatte sich vor seinem Eintritt in die Kanzlei akademische Bildung ver-
schafft: am 9. zusammen mit dem bekannten
December 1385 war er
Amplonius Ratinck aus Rheinberg bei Xanten, dem Begründer des
Collegs und der Bibliothek in Erfurt, die seinen Namen tragen, zum
Baccalariat der Künste zugelassen und hatte dann am 26. September
1387 determinirt (Lib. decan. 1, 234. 253). Johannes de Wratislavia
(1395 —
1396), Probst von Nordhausen, könnte einer der beiden Namens-
vettern sein, von denen der eine am 9. März 1375 Baccalarius, am
5. Februar 1377 Liccntiat, der andere Michaelis 1382 Baccalarius der
artistischen Facultät wurde (Libcr decan. 1, 169. 174. 208).
Ueber die Notare 3) Wenzels mögen die folgenden Zeugnisse
Auskunft geben. Petrus de Wischow (1389 —
1399, Anfangs Re-
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— 46 —
gistrator)hatte sich 1377 als 'servitor' des Petrus, Canonicus von
Krcmsier, bei den Juristen immatrikuliren lassen, war also unbemittelt
gewesen und hatte sich durch Famulatsdicnst seinen Unterhalt ver-
dient (Album 1, 32). Wenceslaus von Olmtitz (1392—1401, An-
fangs Registrator), 1383 den juristischen Baccalariat erworben
hatte
und wurde 1407 Licentiat im -canonischen Recht (Album 1, 11. 7).')
Er avancirte zum Protonotar: am 19. November 1398 wird er so ge-
nannt in einer Urkunde, in welcher er als Procurator des Probates
von Altbuntzlau Wilhelm von Hasenburg erscheint (Liber confirma-
tionum quintus S. 312 f.), desgleichen in seiner Inscription als Licentiat
im Album der juristischen Universität. Ausserdem war er 'advocatus
consistorii Pragcn6is'. Das ergiebt sich aus der Einzeichnung in einer
aus seinem Besitz stammenden Handschrift des Prager Metropolitan-
capitels, die neben anderen canonistischen Schriften
4
Repititiones juris'
des italienischen Professors beider Rechte Ubertus de Lampugnano ent-
hält, die derselbe 1385 'in studio Pragensi* gehalten hatte (Schulte,
Die canonistischen Handschriften der Prager Bibliotheken a. a. 0.
Nr. 206, S. 82). Wenceslaus besass danach auch Kenntniss des Civil-
rechts. —
Johaun von Bamberg (1398 1419, erst Registratur, zu-
letzt Protonotar), war am 24. September 1375 examinirt und zugelassen
zum Baccalariat der Künste und hatte 1376 determinirt (Lib. decan.
1, 166. 171). Paulus de Tost (1404—1419, Anfangs Registrator),
der aus Wenzels Kanzlei in die Siegmunds Ubertrat, begann 1392
juristische Studien (Album 1 104) und wurde Weihnachten 1397
,
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— 47 —
Die Anforderungen an die wissenschaftliche und, wie sich aus meinen
Zusammenstellungen erkennen lässt, insbesondere an die juristische
Ausbildung haben sicli also sichtlich gesteigert. Ich glaube nicht fehl-
zugehen, wenn ich auch hierin den Geist von Karls IV. Kanzler wirk-
sam finde und im Hinblick auf die von ihm mannigfach bethätigte
Förderung der Prager Hochschule und ihrer Scholaren (vgl. oben
S. 39) seinem directen und indirecten Einfluss diese Wandlung wenig-
stens zum Theil zuschreibe. Ein anderer Theil mag wohl auf die
Rechnung des allgemeinen Aufschwungs kommen, den das Prager
Generalstudinm zu Ende des Jahrhunderts, kurz vor der Krise, erlebte.
1) Während des Druckes gelangt durch die Freundlichkeit von Herrn Dr.
Max Perlbach zu meiner Kenntnis» der Aufsatz A. Wagners Uber schlesisehe
Pfrlinduer des 14. Jahrhunderts in dem eben erschienenen 25. Band der Zeit-
schrift d. Vereinsf. Gesch. und Alterthum Schlesiens (S. ?so ff.). Derselbe
bringt aus Kegesten des vaticaniachen Archivs Augaben über folgende Mit-
glieder der königlichen Kauzlei Böhmens: .lohanu von Neuinarkt (noch 2«.
Oktober 1351 Stadtpfarrer in seiner Vaterstadt), Dicthmar von Mcckebach,
Peter von Luna (Laun), Jacob Augustiui, Nicolans aus Posen, Johann von
Glatz, Nicolaus von Bunzlau, Johann Brunonis.
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leben des Volkes. Hier bilden sich die öffentlichen Notare, ) die eine
1
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fortan f actisch unverändert (Ficker. Beiträge zur Urkundenlehre.
Innsbruck 1878. 2, 17 ff. 406; Seeliger, Erzkanzler und Reichskanzleien.
Innsbruck 1889, S. 59 f.). Der erste wirkliche Hofkanzler in diesem
neuen Sinne war Johann von Neumarkt. Ziemlich gleichzeitig bildet
sich ein fest organisirter Hofrath, der etwa unseren Staatsministerien
vergleichbar ist, mit fester besoldeter Anstellung und Vereidigung seiner
Mitglieder, und dieser Rath tritt von nun ab in den Unterfertigungen
als Behörde auf (Seeliger, Das deutsche Hofmeisteramt im späteren
Mittelalter. Innsbruck 1885, S. 89 ff. 97 ff. 90 Anm. 3).
Damit war die Grundlage für die Entwicklung eines weltlichen
Staatsbeamtenthums gegeben. Ein neuer bevorzugter Stand kam empor,
und seine Macht drückte sich auch äusserlich dadurch aus, dass Mit-
glieder der Hofkanzlei und des Hofraths nobilitirt wurden. Als ein
Ereignis» von epochemachender Bedeutung führt man es gewöhnlich
an, dass Caspar Schlick, der seit 1416 in der Reichskanzlei arbeitete
(Lindner a. a. 0. S. 36), von Siegmund am 31. Mai 1433 auf der Tiber-
brücke zu Rom als Erster zum Ritter geschlagen und zu seinem
obersten Kanzler gemacht sei. In der That lässt sich nicht verkennen,
es ist ein symbolischer Vorgang: Deutschlands Kaiser über dem
Strom der ewigen Roma den Mann im Rang erhöhend, der später
(1443) seinem Freunde Enea Silvio den Eintritt in die Hofkanzlei
Friedrichs III. vermittelte und dadurch der humanistischen Bewegung
in Deutschland den massgebenden, einrlussreichsten Führer schuf, der
selber dann von dem Meister der eleganten Form als Held der Welt-
novelle 'Eurialus und Lucretia' mit der Unsterblichkeit beschenkt ward.
Aber lange vorher, schon unter Karl IV., gemessen die Mitglieder der
Hofkanzlei und des Ilofraths eine geehrte, eximirte, fest geregelte
Stellung. Das lehren die Formeln in Johanns von Gelnhausen Samm-
lung über Rechte und Immunitäten dieser Hofbeamten und über die
Art ihrer Ernennung, worin besonderer Nachdruck darauf gelegt wird,
dass sie 'literati' seien (vgl. Joh. Willi. Hoffmann, Sammlung ungedr.
Urkunden 2, Nr. 18. 99, auch in der Cancellaria Caroli IV. bei Mencke,
Scriptores rerum gennanic. 3, S. 2032, Nr. 27).
Wie einst im 12. Jahrhundert Cleriker selbst an der Ueber-
windung der kirchlichen Cultur mitgearbeitet hatten, indem sie, um
breitere und stärkere Wirkungen zn erzielen, den neuen höfisch-ritter-
lichen Lebensmächten Zutritt in ihre geistliche Dichtung eröffneten
(Alexanderlied, Rolandslied, Kaiserchronik; die Legendenpoesie im Stil
des höfischen Romans), wie später im 18. Jahrhundert der Pietismus
die religiöse Gefühlspoesie Klopstocks hervorrief und damit den Grund
schuf für die selbständige weltliche Dichtung unserer Klassiker, so
dienen im 14. und 15. Jahrhundert diese Cleriker in den Kanzleien
der Verweltlichung und Schwächung der kirchlichen Cultur: auf dem
Umweg über das canonischc Recht führen sie das römische Civilrecht
herbei und bereiten damit die Unterlage für einen neuen mächtigen
weltlichen Organismus, der unabhängig von der Kirche einen neuen
Staatsbegriff hervorbringt und in seinen Dienst sich stellt. Aus ihrem
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— 50 —
eigenen Schoosse erwachsen der geistlichen Cnltnr im zwölften, im
vierzehnten und fünfzehnten, im achtzehnten Jahrhundert die erfolg-
reichsten Gegner.
Wir gewahren gleich nach Karls Constituirung der Reichskanzlei
als Hofamt, wie von ihr eine Fülle geistiger Strömungen ausgeht,
die ihren Ursprung und ihr Ziel nicht im Rahmen der Kirche haben.
Viel davon hat der universelle Geist Karls IV. hervorgelockt, da ja
nun die Reichskanzlei zu seinem persönlichen Hofstaat gehörte, aus
dem er seine 'familiäres', seine 'consiliarii', 'referendarü' zu entnehmen
pflegte, aber hier rührt sich jetzt auch so manches, was gegen den
Sinn und die Neigung des Kaisers war und helfen sollte, den grossen
Brand der folgenden Zeiten zu entzünden, von dem er sich mit Grauen
und Entsetzen würde abgekehrt haben.
Aus derselben Kanzlei, welche die ersten weltlichen Hofbeamten
schulte, sind auch zwei Theilnehmer der grossen religiösen Bewegung
hervorgegangen auch sie mehr oder weniger sich gegen die Kirche
:
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— 51 —
lieh bezeugt, in derForm von Meditation und Gebet, ist um 1470 von
Ulrich Zell in Köln gedmekt, dann in mehreren erweiternden Aus-
gaben in Deutschland, Italien, Frankreich wiederholt, auch in das Italie-
nische und Spanische übersetzt worden (Brunet, Manuel du libraire s 1,
502 ff.). Beide Bearbeitungen also sind in Köln entstanden, was be-
sondere Beachtung verdient um der engen Beziehungen willen, die wir
später noch mehrmals zwischen Prag und dem Niederrhein, insbesondere
Köln und den Niederlanden bemerken werden, und beide gehen, wie
ich nicht zweifle, auf des Matthäus von Krakau Tractat zurück. Ihr
Verhältniss zu demselben bedürfte freilich noch näherer Untersuchung,
die ich augenblicklich hier in Halle,wo kein einziges all dieser biblio-
graphischen Keimelicn sich befindet, nicht anstellen kann, und zwar
mttsste vor allem von der handschriftlichen 'Ars moriendi' der Bres-
lauer Universitätsbibliothek (1. Q. 37), welche des Matthäus Namen
trägt, ausgegangen werden. Jedenfalls bleibt es bedeutsam genug, dass
ein Mann, der lange Zeit Prager Professor und Notar gewesen war,
so bestimmend eingewirkt hat anf dio beliebtesten religiösen Bilder-
und Lohrbücher des 15. Jahrhunderts.
Mi I i 6 von Kremsier, cechischer Abkunft, fungirte vom 30. Ja-
nuar 1358 bis zum 1362 in der Reichskanzlei, zuerst als
26. Mai
Registrator, dann als Corrector, zuletzt als Notar. In ihm kündigen
sich bereits die unheimlichen Mächte an, welche Karls IV. Schöpfung
zertrümmern sollten. Der Kaiser selbst hatte die Notwendigkeit einer
Reform der Kirche durch sittliche Hebung des Clerus und Vertiefung
des religiösen Lebens begriffen, aber indem er, wenn auch nur eine
Zeit lang, die Hand bot zu den Heilungsversuchen wahntrunkener
Volksredner wie Milic, entfesselte er eine Demagogie, die den innersten
Boden der errungenen Cultur im Königreich Böhmen aufwühlte und
den religiösen, nationalen, socialen Fanatismus heraufbeschwor.
Einer der nächsten Vertrauten des Kaisers, von seiner und des
trefflichen, reformfreundlichen Erzbischofs Ernst Theilnahme und Gunst
gefördert und
mit Auszeichnungen geehrt, legte Milic alle Aemter
nieder, um ganz der grossen, gefährlichen Aufgabe des Sitten-
sich
besserers und Strafpredigers hinzugeben. Ein schwärmerischer Apoka-
lyptiker, voll Phantasie und Leidenschaft, richtet er in seinen böh-
misch und deutsch gehaltenen Predigten seine Angriffe auf das, was
dem Kaiser am heiligsten war: den strengen Bau der Kirche, die
Reliquienverehrung, den kirchlichen Pomp, die akademischen Studien.
Er wagte es, Karl IV. selbst in öffentlicher Versammlung als den Anti-
christ zu bezeichnen. Als Gründer unerlaubter Begninenhäuser, in die
er die Sünderinnen Prags versammelte, um aus dem Platz der Ueppig-
keit, dem „Venedig", ein „Jerusalem" zu machen, verfiel er dem Ge-
richt der Inquisition und starb gerade rechtzeitig, um einer Bestrafung
zu entgehen. ) 1
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— 52 —
In beiden, Matthäus von Krakau und Milif von Kremsier, lebt
der diese Jahrhunderte beherrschende Gedanke Erneuerung der Kirche
:
Werk der Magdalencnrettung nahm übrigens eine Zeit lang Erzbischof Emst
selber Theil, denn sein Fonnelbucli enthält eine 'Forma quantum ad mulieres
miseras seu quidas (i. nieretriees)
' die Wissende Sünderinnen der christlichen
Wohlthätigkeit empfiehlt (Archiv f. österr. Gesch. 61, 543).
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— 53 —
nischen, zu zerlegen. Oft erweist sich die Scheidtrag als höchst miss-
lich, wie z. B. bei der Frage, ob sttd französische oder lombardische
Waldcnser auf Böhmens häretische Sekten bedeutsamer gewirkt haben.
Sicherist, dass die neue Bildung, welche damals in Prag und von dort
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— 54 —
clopädieen, Chroniken. Das war denn geradezu eine franco -italienische
Litteratur, aber auch wo man sich der eigenen Landessprache bediente,
in der Novelle, im asketisch-moralischen Tractat, in den Sentenzcn-
sammlungen, in den Rhetoriken, in der allegorisch-didaktischen Dich-
tung blieb überall Frankreichs Vorbild mehr oder minder bestimmend,
und nur in der religiösen Lyrik des heiligen Franz von Assisi, Jaco-
pones und Bonvesins zeigt sich schon im 13. Jahrhundert der poetische
Genius Italiens in seiner Freiheit und hinreißenden Grösse. Dantes
Comedia verdunkelt dann im Laufe des 14. Jahrhunderts nach und
nach den Ruhm des 'Roman de la Rose', dessen Manier der allegori-
schen Vision freilich den Sänger der 'Vita Nuova' geleitet hat, und
der in Uebersetzung ,
Nachbildung wie im Original allenthalben in
Italien verbreitet war, aber noch Petrarca empfahl ihn Guido Gon-
zaga in Mantua, als dieser ihn um ein gutes Buch in der Volkssprache
gebeten hatte, wenn auch mit kühler Zurückhaltung (Körting, Petrarcas
Leben und Werke. Leipzig 1878, S. 498 f.). Petrarca, der Führer
der patriotischen Partei Italiens, das Haupt der Modernen, hat seinen
Aufenthalt zwischen Avignon und Italien getheilt. Bei seinem Besuch
von Paris lernte er 1333 durch den Toscaner Dionigi da Borgo San
Sepolcro, der dort an der Universität docirte, Augustin kennen: von
ihm erhielt er eine schöne Handschrift der Confessionen in kleinem
Format, die er fortan wie ein Kleinod immer bei sich trug (Körting
a. a. 0. S. 91 f.).
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— 55 —
Wittelaltere. Bd. 3. Wien 1883, S. 9 ff.); dazu traten am königlichen
Hof von Paris die für Karl den Weisen (1364 1380) veranstalteten —
Ucbersetzungcn Augustinischer Werke in der Landessprache (Voigt,
Wiederbelebung 2 2, 342). Für die Entwickelung der gesammten Re-
naissance ist aber jene in Paris vollzogene Einführung Petrarcas in den
Augustinismus höchst folgenreich geworden. Paris hatte in der That
hinreichenden Antheil an Petrarcas Ausbildung, um ihm im Wetteifer
mit Rom durch den Kanzler der Universität den Dichterlorbeer an-
bieten zu dürfen.
Malerei. Deutsche Ausgabe von Jordan. Leipzig 1809. 2, 261 ff. Die
neueste italienische Ausgabe ist mir nicht zugänglich. Ueber die Kunst in
Avignon die Aufsätze von Müntz, Gazette archeologique 9, 98 ff. 10, 393 ff.
11, 202 ff. 257 ff. 12, K»4 ff. 2!I8 ff. 13, 21 ff, von demselben auch 'I.e palais
pontifical de Sorgues' und 'Les peintures de Simone Martini ä Avignon' in
den Memoires de la societe natiouale des antiquaires de France. Toinc 45
5. Serie. Tome 5). 1884, S. 17 ff. 07 ff.
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— 56 —
liehe Bibliotheken. Leipzig 1890, Nr. 631—37).«) Hier herrschte eine
lebhafte Handschriftenfabrikation, florirtc die Illuminirkunst. -) Hier
blühte die Jurisprudenz. Hier gediehen auf griechisch-arabischer Grund-
lage naturwissenschuftlich-medicinische Studien, die anzuregen dreierlei
zusammenwirkte: die politische Verbindung mit dem Königreich Sicilien,
wo unter den Normannen, unter den Staufern Friedrich II. und Man-
fred, unter Karl von Anjou eine vollkommen organisirte Uebersetz-
ungsthätigkeit griechische und arabische Werke der philosophischen,
astrologischen, medicinischen aber auch der Unterhaltungslitteratur,
,
1) Nach (»ottliebs Bemerkung „erscheint hier zum ersten Mal eine wirk-
liche Bibliothek mit dem gesammten dazu gehörigen Apparat*. Die allmäh-
liche Vermehrung der päbstlichen Btichersaminlang lassen die von ihm ver-
zeichneten lnventare sehr gut verfolgen.
2) In den Jahren 1338—1345 kaufte der Procurator des Hainburger
Rathes zu Avignon eine Anzahl juristischer Werke (Eppenberg in Hugos
Civilistischem Magazin <i, 206 ff.), lieber die Illustrationen päpstlicher Urkun-
den, die durch gewerbsmässige, von der Curie angestellte Illuminatoren an-
gefertigt wurden, s. Nordhoff in v. Löhers Arehival. Zeitschrift 5. 142 ff.
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— 57 —
die weite Welt als die grossen Ahnherren einer reineren, freieren Auf-
fassung des Menschen.
avignonische Cnltur in ihrer eigenartigen Mischung mittel-
Die
alterlicher und die Renaissance ankündigender Elemente wetteiferte
mit. der von Paris, und soweit das wissenschaftliche Leben in Betracht
kommt, auch mit den durch ihre Rechtsschulen ausgezeichneten Uni-
versitäten in Orleans und Toulouse, der durch mcdicinisches Studium
berühmten Hochschule von Montpellier.
Avignon, Paris, Bologna und Oxford sind die grossen Culturherdc
der damaligen Welt. Und Böhmen, insbesondere Prag empfängt von
ihnen allen direct. wie keine zweite Gegend in Deutschland zu jener
Zeit; von Oxford freilich, in stärkerem Masse wenigstens, erst nach
Karls IV. Tod.
Verweilen wir bei dem, was uns hier am meisten interessirt:
Handschriftenwesen, Kunst, Litteratur.
Schon 1292 erwarben die Aebte der böhmischen Cistercienser-
klöster Waldsassen, Sedlec, Königsaal ') für 200 Mark Silbers, die
König Wenzel II. dazu geschenkt hatte, in Paris eine Menge Hand-
schriften (Fontes rerum austriacarum. Scriptores 8, 117 f.; Hor£i£ka,
Die Kunstthätigkeit in Prag zur Zeit Karls IV. Jahresbericht des
deutschen Staatsgymnasinms von Prag-Altstadt 1882—83, S. 3 f.; Neu-
werth, Geschichte der christlichen Kunst in Böhmen bis zum Aussterben
der Premysliden. Prag 1888, 'S. 331. 439 f.) Für das Grabmal Wen-
zels II. (f 1305) lieferte Meister Johann von Brabant die aus Erz
gegossene Bildsäule (Fontes rerum austriacarum. Script. 8, 204), und
häufige Reisen der Cistercienseräbte zu den Generalcapiteln des Ordens
nach Citeaux unterhielten in den Klöstern dieses Ordens, der in Deutsch-
land weit verbreitet und der mächtigste Förderer deutscher Cultur war,
die Beziehung zu Frankreich. Peter von Zittau, seit 1316 Abt von
Königsaal, der treffliche Geschichtschreiber des Zeitalters Wenzels II.
und Heinrichs VII., hatte auf Reisen Trier, Paris, Dijon, Clairvaux be-
sucht und stand mit dem Procurator der Cistercicnser am päbstlichen
Hofe zu Avignon in Correspondenz (Heidemann, Forschungen zur deut-
schen Geschichte 9, 475; im Uebrigen vgl. über ihn Lorenz, Geschichts-
quellen'* 1, 292 ff.). So ahmten denn schon damals die Cistercicnser
Böhmens in ihren Kirchen- und Kapellenbautcn französische Muster
nach (Neuwirth a. a. 0. 382. 383. 386 f.). Der Prager Bischof Jo-
—
hann IV. von Drazic (1301 1343), der zweimal und zwar Jahre-
lang sich in Avignon aufhielt, hatte vom päbstlichen Hof ein schön
geschriebenes durch Miniaturen geziertes Glaubensbekenntniss mit-
gebracht nach französischem Muster die Hauskapelle wie den Speise-
,
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— 58 —
Moldanbrücke bei Reudnitz gewonnen (1333), wo er ftir die gleichfalls
aus Avignon stammenden regulirten Augustinerchorherren 1329 das
erste Kloster in Böhmen gegründet hatte. Elisabeth, Karls IV. Mutter,
die eine Leidenschaft ftir Klostergrnndungen und Bauten hegte und
eifrig Reliquien sammelte, erhielt von Johann XXII. eine mit Edel-
steinen geschmückte Goldplatte (Hortiftka a. a. 0. 8. 7). Aus Avignon
ist unter Johann von Luxemburg auch die Miniaturhandschrift des 'Scrip-
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Vorlage für das schöne Pontificale Albert6 von Sternberg von
1376 (im Prämonstratonscrstift Strahow zu Prag) scheint z. B. eine
aus Frankreich nach Böhmen gebrachte Handschrift gewesen zu sein;
eine Handschrift der Historia Hierosolyniitana des Thaddacus von
Messina (1291) kaufte nach einer sich darin findenden Eintragung der
Protonotar Karls IV. Nicolaus von Kremsier, der 1354 —
1362 in
der Kanzlei nachweisbar, als ernannter Bischof von Leitomischl am
6. August 1364 starb (Frind, Kirchengeschichte Böhmens 2, 114), am
24. October 1362 zu Avignon (Balbinus, Bohemia docta 3, 103; Fried-
jung a. a. 0. S. 237).
Welche Rolle im 15. Jahrhundert die systematische Anlage von
Bibliotheken gespielt hat und wie sie zu einem Lebensnerv der
Renaissance, zur Basis für die neu erstehende Philologie geworden ist,
weiss Jedermann. Aber diese neue Leidenschaft hebt schon während des
14. Jahrhunderts fast in allen Ländern Europas an, und überall zumeist
in den Kreisen, die dem Humanismus vorarbeiteten oder sich sogar
zu ihm bekannten. Auch hierin wieder giebt Frankreich und Burgund,
insbesondere der königliche und päbstliche Hof in Paris und Avignon, ) 1
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— 60 —
Den Grundstock der Prager Universitätsbibliothek bildet eine.
Büchersammlung, welche der Dechant von WySehrad Wilhelm von ^
Hasenburg, Verfasser einer Lebensbeschreibung Emsts von Pardubitz,
auf französischen Reisen als Begleiter des Bischofs, zumal bei längerem
Aufenthalt in Avignon und vielleicht schon bei einem früheren Studium
auf italienischen Hochschulen zusammengebracht hatte und die nach
seinem Tode (1370) von Karl IV. für das 1366 gestiftete Collegium
Carolinum erworben wurde. Sie umfasste 1 14 theologische, juristische,
philosophische Werke ') (Loserth, Archiv für österreichische Geschichte
53, 321 f.): ein BUcherschatz, dem zu jener Zeit kein zweiter
in Deutschland gleichkam.
Der (^eche Adalbertus Ranconis de Ericinio, ein Typns
des internationalen Gelehrtenthums der damaligen Zeit, der in
Paris und Oxford studirt und docirt, in Paris 1348 das Magisterium
und 1355 des Rectoramt erlangt hatte, der dann Lehrer an der Prager
Universität wurde,
hochgefeiert als wissenschaftliche Grösse ersten
Ranges wie Kanzelredner, streitsüchtig und in erbitterte littera-
als
rische, dogmatische und politische Fehden mit Heinrich v. Oyta (s.
oben S. 41) und dem Erzbischof Johann von Jenzenstein verwickelt,
in denen er nicht immer mit reinen Waffen kämpfte und fast stets
den Kürzeren zog, v halb in Prag und halb in Paris zu Hause, der
Lehrer des Thoraas Stitny. den er anregte, für Cechen in deren Sprache
zu schreiben, dem Vorreformator Matthias von Janow nahestehend, von
Konrad von Waldhausen, Milifc von Kremsier und Johann Hus geschätzt,
bis an sein Ende die religiösen Weihen verschmähend, die er zu
nehmen verpflichtet gewesen wäre, der Führer der national-cechischen
Bewegung und insofern ein Bahnbrecher des Hussitenthums hatte ,
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- 61 —
Bald nach der Gründung der Prager Universität strömte dort
offenbar eine Masse Handschriften aus allen europaischen Culturländern
zusammen. Wie in Paris, Bologna (Kirchhoff, Die Handschriftenhändler
des Mittelalters. 2. Ausg. Leipzig 1853), Avignon (Dcnifle, Universi-
täten 1, .358), gab es auch hier 'librarii', Handschriftenhändler, und in
ihrem Dienst eine Menge von Illuminatoren und Schreibern (Tomek, Ge-
schichte der Prager Universität. Prag 1849, S. 41 f.; Hanslik, Ge-
seilte hte und Beschreibung der Prager Universitätsbibliothek. Prag 1851,
S. 24. 32). Besonders aber schrieben natürlich die Scholaren selbst,
die nach des Bencs von Weitraühl glaubhafter Aussage aus aller Herren
Länder, zumal aus England, Frankreich, Oberitalien gekommen waren
(Denifle, Universitäten 1, 600), Bücher ab, zum Theil um sich ihren Unter-
halt zu verdienen und den 'pastus' (Honorar) für die Vorlesuugen zu er-
schwingen. Viele, die auswärts studirt hatten, brachten auf ausländi-
schen Universitäten angefertigte Codices mit. So enthält Schuhes Ver-
zeichniss canonistischer Handschriften der Präger Bibliotheken (Abhand-
lungen der böhmischen Akademie 6. Folge. Bd. 2) mehrere Nach-
weise von Büchern, die deutsche Studenten aus Böhmen in Padua,
Prag und anderen Universitätsstädten geschrieben haben. Die in Prag
docirenden deutschen Professoren hatten wohl so ziemlich alle ihre
wissenschaftliche Bildung im Ausland, sei es in Frankreich, auf italie-
nischen Universitäten, in Oxford, erworben oder doch wenigstens ver-
mehrt. Sie alle importirten natürlich auch auswärtige Handschriften.
Nicht anders die in Prag weilenden italienischen Gelehrten: der Ge-
schichtschreiber und Kosmograph Johann Marignola (Friedjung a. a. 0.
S. 218 ff); der dort docirende Doctor der Decrete aus Bologna, sei es
nun, dass er, wie Denifle meint (Die Universitäten 1, 592 und Anm.
1516), identisch ist mit dem 1355 in Karls Supplik angeführten 'Ludo-
vicus d. s. Lanrentio de Padua decretorum doctor' oder dass VVe-
runskys Vermuthung (s. oben S. 40 Anm.) zutrifft; der Mediciner Ma-
gister Balthasar de Tuscia (Denifle a. a. 0. S. 589), der Jurist Ubertus
de Lampugnano (s. oben S. 40 Anm.). Die Capitelsbibliothek zu St.
Veit in Prag besitzt einen so grossen Schatz juristisch -canonistischer
Litteratur des 13. 14. 15. Jahrhunderts, insbesondere casuistischer Rich-
tung, wie keine zweite ähnliche (Schulte, Die canonistischen Hand-
schriften S. 4), und ohne Zweifel ist das Meiste davon in dem letzten
Drittel des 14. Jahrhunderts erworben.
Die älteste umfangreiche deutsche Gelehrtenbibliothek , die de9
Amplonius Ratinck, ist in Prag, wenn auch nicht begründet, so
doch in ihrem Bestände sehr wesentlich vermehrt worden. Aus den
Händen von Prager Universitätslehrern hat Amplonius dort eine An-
zahl kostbarer Handschriften des Galen, Aristoteles, Thomas v. Aquino,
einige mit prächtigen Illuminationen, um 1385 erworben, und diese
Handschriften stammen zum Theil aus Frankreich und England (Schum,
Beschreibendes Verzeichniss der Amplonianischen Handschriftensamm-
lung zu Erfurt. Berlin 1887, S. VIII ff).
Amplonius zeigt überhaupt höchst anschaulich durch seine Lebens-
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wege und die Zusammensetzung seiner Bibliothek, Uber deren Herkunft
Schum a. a. 0. 8. XIV. XV. XIX. 987 ff. werthvolle Nachweise giebt,
welche Strassen die geistige Cultur während des 14. Jahrhunderts in
Deutschland gezogen ist. Niederländer von Geburt, auf den Schulen
zu Soest und Osnabrück vorgebildet, auf den Universitäten Prag und
Köln , vorübergehend auch in Erfurt und Wien sowie vielleicht auf
,
einer neueren Aufschrift für einen Katalog der Bücherei des Colle-
gium Carolinnm 'angesehen hat (Serapeum 1 1 [1850]. Intelligenzblatt
S. 58 ff. 72 ff.; Hanslik, Geschichte und Beschreibung der Prager Uni-
versitätsbibliothek S. 18 ff; Gottlieb a. a. 0. Nr. 156)2), ra it dem ältesten
authentischen Katalog der Prager Universitätsbibliothek (Loserth, Mit-
theilungen des Instituts für Österreich. Geschichte 11, 301 ff; Iiistor.
Zeitschr. 53, 59). Jenes 'Registrum' enthält von englischer Reform-
litteratur erst die Summa des Thomas von Bradwardin, der spätere
Katalog dagegen eine ganze Menge Schriften Wiclifs und seiner
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Schüler. Nicht unbeträchtlich vertreten sind in beiden auch die antiken
Autoren, und diese Thatsache, die wir später unten näher in's Auge fassen
werden, fällt in's Gewicht. Was in den Hörsälen der Collegien zur
Zeit Karls IV. hauste, war immer höchstens nur die funkelnagelneue
Weisheit der Pariser Modclchrer, später die polomischen Schriften der
durchaus in scholastischer Methode befangenen Reformtheologen. Hier
können wir also humanistische Kegungen nicht erwarten. Darum muss
die Reihe klassischer Schriftsteller in jenen beiden Katalogen
schon als ein beachtenswerthes Symptom für Strömungen gelten, die
von anderen Stellen aus auch in die enge Sphäre der Universitätsgelehr-
samkeit eindrangen. Sie kommen vom Hofe Karls IV. , von der zu
seinem Hofstaat gohörigen Reichskanzlei.
Dort regen sich ganz andere Gewalten, dort fassen Renaissance
und Humanismus Fuss und ringen mit Theologie und Scholastik, da
wendet man sich auch der deutschen Sprache und Litteratur mit frischen
Kräften zu und sucht beide im Geiste der neuen Cultur zu gestalten.
Es konnte nicht fehlen, dass in einem so lehrhaft gestimmten Zeitalter
keine andere Gattung der Litteratur und des litterarischen Gebrauchs
der Sprache davon so stark betroffen wurde als die didaktische,
von deren Schicksalen, soweit sie sich in den schriftlichen Documenten
abspiegeln, ja hier die Rede ist.
Karl IV. ist der Vater der deutschen Renaissance, des deutschen
Humanismus geworden, obwohl seinem innersten Wesen der eigentliche
Kern der neuen von Petrarca vertretenen Ideen unsympathisch bleiben
musste. )
1
Er begriff mit seinem klugen Geist und seiner erstaunlichen
Receptionsfakigkeit ,dass hier eine bedeutende Erscheinung sich auf-
richte, und er säumte nicht, sie in sein Königreich zu verpflanzen, und
soweit sie nicht seine festgezogenen Gedankenkreise störte, zu pflegen.
Physisch ein Deutscher mit einer Beimischung slavischen Bluts von
seiner Mutter Elisabeth her, war er geistig halb Franzose halb Deut-
scher und förderte auch direct den Aufschwung der deutschen Litte-
ratur und Kunst nach romanischem Vorbild, aber beide nur insofern
sie wissenschaftlicher Bildung oder geistlich-moralischer Erbauung und
Belehrung oder praktisch -geschäftlicher Schulung dienen, jedenfalls
nur, insoweit sie didaktisch wirken. Heinrich von Mügelns scholastisch-
allegorische Dichtungen bewegen sich in der ersten Sphäre, die reli-
giöse Malerei am Hofe, die kaiserlichen Kirchenbauten und die Ueber-
setzerthätigkeit Johanns von Neumarkt in der zweiten, die Arbeiten
der Kanzlei in der dritten. Hier soll zunächst festgestellt werden,
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wie viel Karl IV. für die neue Bewegung des Humanismus, sei es auch
in Unklarheit über ihre Tragweite, gethan hat.
Der Kaiser hatte etwas von der modernen, durch den Huma-
nismus genährten Vorliebe für historische Forschung: auf seine An-
regungen zurück geht die Geschichtschreibung, welche sich im
Kreise der Kanzleibeamten entwickelt. Doch ist es zweifelhaft, ob sie
in der Reichskanzlei schon zu Karls Zeit gepflegt worden ist. Der
Domherr von Prag Franz, eechischer Abstammung, widmete seine
auf Veranlassung des Prager Bischofs Johann von Draiic unternommene
Chronik in zweiter Bearbeitung dem Kaiser etwa zwischen 1353 —
1355 (Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen 3 1, 302; Loserth, Die
Königsaaler Geschichtsquellen. Fontes rerum austriacanim. Scriptores 8.
Wien 1875, S. 13). Möglich, dass er vorher auch in der Reichskanzlei
amtirt hat und eine Person ist mit dem vom 5. December 1352 bis
6. August 1353 nachweisbaren Notar derselben, welcher sich einfach
'Franciscus' schreibt. .Problematisch bleibt auch die angeblich ver-
lorene Chronik des Notars Otto, welche die Zeit von 1253 —1346
umfassen und auf Befehl des Kaisers Karl begonnen sein soll. Ihre
einstige Existenz ist von Loserth (Archiv für (isterreich. Geschichte 53,
38 ff.) ganz in Abrede gestellt, dagegen von Lorenz (Geschichtsquellen J
1, 314 Anm.) als möglich aufrecht erhalten worden. Man könnte sieh
als ihren Verfasser den Notar Otto von Donyn denken, der 1350
Vorstand der königlichen Landeshauptmannschaftskanzlei zn Breslau
war. Annehmen Besse sich auch, dass dieser Notar Otto nur als Stoff-
sammler und Hilfsarbeiter für die auf Karls Befehl verfasste Chronik
des Benes von Weitmühl fnngirt habe, zu deren ersten drei Büchern
sein Werk in nächster Verwandtschaft gestanden haben inuss.
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seinem Kloster mit Strenge auf die Reform der Zucht und Herstellung
der arg gelockerten Sitte hielte wenn er sich in Schlesien wie auf dem
Concil zu Pisa als feuriger Kanzelredner einen Namen machte, so be-
merken wir auch darin den Schüler der Karolinischen Zeit, dessen
litterarisehe Thätigkeit wie eine Leichenrede auf sie anmuthet. ') An
ihm bewährt sich wieder die oben (S. 27) ausgesprochene Beobach-
tung, dass die unter Karl IV. in Böhmen erwachsene Cultur während
der folgenden stürmischen Zeiten in den nördlich angrenzenden Ge-
bieten sich ihre Stätte gründet.
wenn er die
Historische Interessen bestimmten Karl IV. zumeist,
Littcratur französischer Prosatibersetzungen antiker Schrift-
steller, die in Frankreich seit dem Ende des 13. Jahrhunderts, be-
sonders unter Johann II. (1350—1364) und Karl V. (1364—1380) sich
entfaltet hatte, 7 ) selbst nach Böhmen hinüber leitete, indem er von seiner
letzten Reise nach Frankreich (Winter 1377,78) unter anderen Büchern
wahrscheinlich jene kostbare illutninirte Handschrift in der Nostizsehen
Bibliothek zu Prag mitbrachte, welche die französische Uebersetzung
des Livius von Pierre Bercheur, dem Freunde Petrarcas, enthält
(Friedjung, Karl IV., S. 279). 3 ) Man muss sich dabei erinnern, dass
auch Boccaccio den Livius in die italienische Landessprache übersetzte
(Voigt, Wiederbelebung 2 2, 160; Gaspary, Geschichte der italienischen
Literatur 2, 645). Ohne Frage auf die vom Prager Hof ausstrahlen-
den Anregungen zurück geht die deutsche Prosaübersetzung des Va-
lerius Maximus, welche 1369 Heinrich von Mügeln, der zeitweise
Karls IV. Hofrath angehört hatte, veranlasst durch Hertnit von Pettau,
verfasste, ebenso dessen deutsehe Uebertragung der Ungarischen latei-
nischen Chronik. Gerade Valerius Maximus war ein Lieblingsschrift-
steller der italienischen Humanisten — bekanntlich gab er Petrarca
das Vorbild für seinen Liber rerum memorandarura'
l
— und auch des
Karolinischen Kreises, wo er in Predigten und historischen Werken
(z. B. in des Adalbert Ranconis Leichenrede auf Karl IV., bei Konrad
von Waldhausen bei Marignola u. ö.) mit Vorliebe citirt wurde ihn
, ;
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— 66 -
logie Simon de Hesdiu übersetzt und commentirt (Voigt, Wiederbele-
bung 2 2, 342), eine Arbeit, von der man in Böhmen Kenntnis» haben
konnte; er wird von den italienischen Genossen und Nachfolgern Pe-
trarcas eifrig commentirt, und er bleibt auch in Deutachland, als der
Humanismus dort seinen wirklichen Einzug gehalten hatte, eine viel
gelesene und viel benutzte Quelle für historische Anekdoten.
Karl IV. trug etwas von der humanistischen Ehrfurcht vor alten
Manuscripten und den antiquarisch-historischen Interessen der Renais-
sance in sich: das Werk des böhmischen Chronisten Cosmas liess er
durch den Praerer Domherrn Plichta, der selbst Bücher sammelte und
(nach Libri erectionnm 1, 8.40, Nr. 76. S. 42, Nr. 79) am 16. Juli
1362 noch lebte, am 6. September aber schon tot war, aus der alten
von Motten zerfressenen Handschrift dreimal abschreiben (Friedjung
a. a. 0. S. 201. 238). Er hat zuerst die alten Urkunden und Privi-
legien der Krone Böhmen zusammen bringen und ordnen lasseu und
auf seiner Itnrg Karlstein das erste moderne Archiv begründet. Auch
sein Rcliquiencnltus der in eine fast unbegreifliche Sammelwut!» aus-
,
Art hervorgebracht wurde, lässt die grosse Liste dort ansässiger, be-
güterter Goldschmiede ahnen, macht der erhaltene Schatz böhmischer
Kroninsignien Reliquien
,
Monstranzen u. s. w. sichtbar (s. Horeieka,
,
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— 67 —
nng8am belegt,, der Rcliquienglaube noch im Zeitalter Enea Silvios bei
Hoch und Niedrig.
An Sinn für Kritik fehlte es Karl IV., wenn politische Fragen
ins Spiel kamen, durchaus nicht. Er hat bekanntlich Petrarca zu einer
Prüfung der gefälschten österreichischen Freiheitsbriefe veranlasst, die
das älteste Beispiel einer freilich noch sehr kindlichen Diplomatik ist
(Jäger, Archiv f. Österreich, (ieschichte 38, 437 ff.; Steinherz, Mitthei-
lungen des Instituts f Österreich. Geschichtsforsch. 9, 62 ff.).
Auch für die im Zeitalter der Renaissance neu entdeckte, so
stark in den Vordergrund geschobene Bedeutung des Individuums
hat Karl IV. wie kaum ein anderer gleichzeitiger Fürst Empfindung
besessen. Mag man die Dichterkrönuug des Zanobi da Strada, welche
er zum Verdruss Boccaccios in Pisa vollzog, eine blosse Komödie
nennen, sie beweist so gut wie die Thatsache, dass er dem Historiker
Heinrich von Herford in Paderborn ein Grabmal errichten Hess, dass
er sich mit einem Stab von Historiographen umgab gleich den späteren
kleinen italienischen Fürsten, dass er Petrarca zum Pfalzgrafen er-
nannte (1357), dass er im Triforium des Prager Doms die Portrait-
büsten der Baupfleger und der Architekten neben der seinen und denen
seiner Familie aufstellen Hess, seinen Sinn für die Macht der künstle-
rischen und wissenschaftlichen Persönlichkeit, seine Anerkennung
derselben als einer Kraft, mit der auch der Staatenlenker zu rechnen
hat. Sie lehrt zugleich, dass er von dem neuen Stichwort der huma-
nistischen Lehre etwas begriffen hatte,dem Ruhm.
Im December 1354 hatte auf des Kaisers feierliche Einladung
die erste persönliche Begegnung mit Petrarca, der von Mailand herbei-
geeilt war, stattgefunden. Damals wurden jene denkwürdigen tage-
langen Gespräche zwischen Karl und dem Poeten über „die berühmten
Männer" geführt, die wie ein erstes Morgenroth der modernen Zeit
erscheinen.') Der Kaiser hatte die Widmung verlangt von Petrarcas
Buch 'De viris illustribus seinem wissenschaftlichen Lebenswerk; der
Dichter erwiderte mit Stolz, erst wenn Karl durch Thaten und Seelen-
grösse den berühmten Männern des Alterthums sich gleich machen und
solchen Ruhm wie sie erringen werde, sei er würdig der Zueignung.
Und der Kaiser, weit entfernt, über solch kühnes Wort nach Despoten-
art sich zu erzürnen, hörte mit strahlenden Augen und heiterer Stirn
zu, Hess sieh von Petrarca einige silberne und goldene Münzen antiker
Kaiser schenken, das Leben der Einzelnen erzählen und gestand
schliesslich, nie ein angenehmeres Geschenk erhalten zu haben. Er
nahm selbst Theil an Petrarcas Sammlerthätigkeit und übersandte ihm
später bei seinem Abschied von Italien durch Laelius (Lello) eine alte
römische Kaisermünze ('Caesaream effigiem pervetusti operis', Epistolae
lib. 19, 12, Fracassetti 2, 548). Mochte hinter dieser Gabe eine
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leise Ironie sich bergen über die phantastischen politischen Folge-
rangen, die der Dichter aus der Geschichte zog, so traf er doch mit
ihm zusammen in der moralischen Tendenz der Geschichtsauffass-
ung. Hatte er doch schon in dem wahrhaft vernichtenden Brief, wo-
mit in seinem Namen der gefangene Cola di Rienzo die Declamationen
in Petrarcas erstem Schreiben beantwortete (Frühjahr 1351; abgedruckt
bei Pelzel, Karl IV. Bd. 1, ürkundenbuch S. 160 f.),«) erklären lassen,
dass Ruhm und Ehre ihn in seinem Handeln leiten sollton, dass ihn
in der Verwirrung der Gegenwart unter der ungeheuren Bürde der
Herrschaft einzig die Liebe zur Tugend aufrecht erhalte.
Nur
ein Fürst, der die geniale Persönlichkeit an und für sich
ehrte und zu begreifen wusste, konnte die masslos heftige Sprache
ruhig hinnehmen, die Petrarca in seinen Briefen mehrfach und be-
sonders nach seinem Abzug von Italien gegen ihn führte: man ge-
wahrt den Anbruch einer neuen Aera, wo die freie Kritik aus auf-
richtiger Ueberzeugung auch von den irdischen Machthabern gehört
und ertragen wird.
Karl IV. duldete rückhaltlose Meinungsäusserung in ernster wie
in humoristischer Form. Er besass Verständnis:* für die neue Form
des individuellen Spottes und Witzes, wie er in Italien im
Gefolge des höher entwickelten Selbstgefühls, der Autonomie des Indi-
viduums und zugleich als Gegengewicht dawider um sich griff und
durch die Klasse des 'uomo piacevole', des 'buffone' verbreitet wurde.
Die scherzhafte Urkunde, in welcher Karl IV. einen seiner Hofnarren
zum Narrengrafen machte (in der Cancellaria Caroli IV. bei Neumann,
Neues Laus. Magazin 23, Nr. 19) 2) und die witzige Ernennung des
schrift von (J. Voigt, Abhandlungen der bayrischen Akademie der Wissen-
schaften. Histor. Cl. 1B, 3, S. 99 ff. (Beilage 18) abgedruckt, vgl. ebd. S. 41.
Der Text dieser Handschriften ist viel schlechter als der von Pelzel gegebene,
welcher Voigt seltsamerweise unbekannt geblieben zu sein scheint, aber beide
bieten die höchst wichtige, kaum anzuzweifelnde Ueberschrift: 'Responsio
domini Caroli Romanoruin Imperatoris facta per Nicolaum Laurencii ohm tri-
bunum Roine'. Wahrlich eine geniale Ironie, Petrarca durch seineu politi-
schen Gesinnungsgenossen, dessen Sache er nur aus der Ferne vertreten hatte
uud so lange es ungefährlich war. abfertigen zu lassen
2) Zur Kennzeichnung ihres Charakters sei der ganz humanistische
Sehluss mitgetheilt: 'Datum apud Inferos in Acheronte medio, traus Lethei
numiuis ripas in nemore (Neumaun: uemorcs), ubi Cocytus (Neumauu: Cho-
diees) amne (Neiunann ampne) amaro preterfluit et Stygis (Neumann Stigis)
: :
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— 69 —
Dolcibene zum „König der italienischen Spaßmacher" ist öfter ange-
führt worden (vgl. z. B. Friedjung a. a. 0. 109), und beides ist in der
That charakteristisch, „eine Vorahnung Pietro Aretinos", wie sich
Burckhardt (1, 70) ausdrückt.
In diesen Scherzen liegt ein gutes Stück Ernst: das Zugeständ-
niss, dass das innere persönliche Leben des einzelnen Menschen etwas
Bedeutsames, Wichtiges, unter Umständen Unverletzliches, ja Souve-
raines sei. Dies war es, warum Karl von Petrarca bei dem Zusammen-
sein in Mantua die Erzählung seiner Lebensereignisse verlangte und
dann aufmerksam, ja selbst ergänzend und berichtigend, zuhörte. So
wird ihm denn auch das eigene Seelenleben zum interessanten
Stoff für seine litterarische Darstellung. Indem er selbst Uber seine
Erlebnisse Tagebücher führte undMemoiren schrieb, betheiligte
seine
moderne Europa
er sich an jener Gattung der Litteratur, welche in das
zuerst Petrarca durch seinen Brief an die Nachwelt, sein Buch vom
geheimen Kampf seiner Herzenssorgen eingeführt und dann die grossen
Häupter der Renaissance Enea Silvio, Benvenuto Cellini, Girolamo
Cardano weiter gepflegt haben, und es ist noch die Frage, wer von
beiden. Karl oder Petrarca, dem grossen Vorbilde Augustin, in dessen
Verehrung sie zusammentrafen, an Wahrhaftigkeit und strenger Auf-
richtigkeit gegen sich selbst näher kam.
An jener Entdeckung der Welt und des Menschen, an der
Entdeckung der landschaftlichen Schönheit, an dem Interesse für ferne
Länder und ihre andersgearteten Zustände, an dem Sinn für die Cha-
rakteristik der Völker, an der Vorliebe für Schilderungen von Gegen-
den und Städten (Petrarca, Leonardo Bruni, Poggio!) worin, wie Burck-
hardt so schön dargelegt hat, die italienische Renaissance der modernen
Menschheit den Weg zeigte, sehen wir Karl IV. vielleicht als den
ersten Regenten Europas betheiligt Auf seinem Zug nach Rom führte
er nichts aus von dem, was die italienischen patriotischen Phantasten,
Petrarca an der Spitze, sehnsüchtig erwarteten : er hielt sich dem öffent-
lichen Leben der Stadt fern, besuchte in der Stille der Nacht Kirchen
und Heiligthümer und machte mit seinem Gefolge einen Ausflug nach
Tivoli. Von dem Phantom der mittelalterlichen Kaiserherrlichkeit wollte
er nichts wissen, aber der Schönheit einer italienischen Frühlingslandschart
— es war im April — gab er sich hin, wie ein moderner Mensch. Den
Vorläufer des grossen Genuesen, den Minoriten Johann' Marignola,
der in seinen cosmographischen Berichten sich trotz aller wunderlichen
Verquickung mit dem alten scholastischen Unsinn geographischer
Fabeleien zur Darstellung des wirklich Geschauten und zu einer tole-
ranten Auffassung der fremden Cnlturen aufschwingt, zieht er an seinen
Hof und beauftragt ihn, die Chronik Böhmens zu schreiben, offenbar,
weil er gerade ihm einen besonderen Sinn für das Charakteristi-
sche der böhmischen Nation zutraute. Auch dies ist von Vorbedeutung:
während der ganzen nächsten Epoche nimmt die Reiselitteratur in
deutscher Prosa den breitesten Raum ein (vgl. Gödekc, Grundriss- l,
375 ff.), und was Marignola begann, hat derjenige italienische Humanist,
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— 70 —
welcher am meisten auf Deutschland gewirkt hat, Enea Silvio, in seiner
geographischen Encyclopädie vollendet.
Von den eigentlichen Führern des späteren Humanismus scheidet
Karl IV. allerdings seine abweichende Auffassung der Kirche, viel mehr
aber und geradezu durch eine tiefe Kluft der principielle Gegensatz
in Hinsicht seines Verhältnisses zum Staat. Dem Individualismus
und Libertinismus als politischem Axiom, der Indifferenz gegen die
organisirte Vertretung des Christenthums auf Erden, wohin die spätere
Renaissance immer mehr drängte, stand er weltenweit entfernt. Den
Einfluss Peter Rogers (Clemens VI.) hat er niemals ganz überwunden
und aus der geistigen Atmosphäre von Paris und Avignon ist er nie-
mals ganz herausgekommen. Die Scholastik hatte ihm den Sinn für
das Gesetz, für die strenge Ordnung, die begriffliche Klarheit
aber auch den supranaturalistischen Zug zur Symbolik eingepflanzt,
wie er sich in dem Fragmente seiner Predigt und namentlich in
seinem 'Liber moralitatum' (vgl. Friedjung, Karl IV., S. 147 ff.) kund-
giebt: dieser schwimmt völlig im Fahrwasser des oben (S. 19 ff. 22),
Wer aber Uber Karl IV. ob seinem wüsten Allegorisieren die Naso
rümpfen und darum das Märchen von seinem mittelalterlichen Gesichts-
kreis wiederholen möchte, der erinnere sich, dass damals die ganze
Welt von der Sucht nach Allegorie erfüllt war: ein Dante so gut wie
ein Wilhelm Langland und auch Petrarca, der nach den Lehren der
frühchristlichen lateinischen Schriftsteller die Poesie geradezu als die
Kunst definirt, die Wahrheit der Dinge mit lieblichen Hüllen auszu-
schmücken (Körting a. a. 0. S. 650 f.), der in seinem Tractat De re-l
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— 71 —
der Begründer des modernen Realismus in der Erzählungslitteratur,
der gleichwohl die antike Poesie echt mittelalterlich christlich-allego-
risch auslegte und in Petrarcas Liebe zu Laura lediglich ein dichte-
risches Gleichniss für die Sehnsucht nach dem Lorbeer erblickte, der
im Nimfale Ameto, in seinen lateinischen Idyllen, in der Amorosa
Visione, in seinen Göttergenealogien, in seinem Dante-Commentar die
gleiche Vorliebe für das allegorische Maskenwesen, für die mystische
Verkleidung des Heidnischen in's Christliche, des Persönlichen und
Gegenwärtigen in das Moralischallgemeine bethätigte. Auch die Refor-
matoren, ) Luther gar sehr eingeschlossen, haben in Predigt und Bibel-
1
das einsame Leben in Wäldern und auf Bergen, der Kaiser bricht in
Lachen aus, wozu er ein Recht hatte, indem er sich erinnern mochte,
welche Künste der Schmeichelei und Verstellung, welche Betriebsam-
keit und Verschlagenheit des Servilismus der nach dem Alleinsein
sehnsüchtige Dichter aufgeboten hatte, um in den Besitz äusserer Ehren
und Güter der grossen Welt und fürstlicher Huldigungen zu gelangen.
Eine lebhafte Disputation entsteht, Petrarca verweist schliesslich mit
sie werde Helena verlassen (llias 3. 1 14). moralisirt: für die, welche ihr Leben
der Venus und den Leidenschatten geweiht haben, gäbe es nichts härteres,
als von diesen im Alter verlassen zu werden.
I) Gegen die homiletischen Werke der alten Kirche eiferten sie frei-
lich und verhöhnten deren mystische Moralisationcu. Pas öfter genannte
'Lumen aniniae", diesen Typus allegorischer PeutungsUunst , brandmarkt
z. b". Michael Neander, ( )rbis" terrae partium suecineta explicatio. Lipsiae lösd,
Bl. FT.
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der ihm eigenen Autoreneitelkeit auf das Buch, welches er über das
Thema geschrieben habe, und der Kaiser versichert, er werde es ver-
brennen, falls es ihm jemals zu Gesicht komme (Epistolae de rebus
familiaribus, Hb. 19, ep. 3. Fracassetti 3, 521 f.). Körting irrt,
glaube ich, wenn er behauptet, dies Wortgefecht sei von Karl „gewiss
nicht ernst gemeint" gewesen (Petrarca 8. 328). Es ward offenbar mit
der den Kaiser charakteristischen Ironie geführt, aber der Streit
für
hatteohne Zweifel eine sehr ernste, reale Ursache. Auch Karl kannte
die heilende Kraft der Zurückgezogenheit, den Zauber der stillen
Natur: im romantischen Beraunthal hatte er sein Karlstein errichtet,
und oft genug flüchtete er aus dem Lärm der Welt und der Wirrnis«
der Regierung an diese Stätte religiöser Sammlung. Aber er weihte
sein Leben dem Dienst der Gesammthcit, dem Staat; er spürte in sich
keinen Hauch von jenem egoistischen Subjectivismus, der sich in Pe-
trarcas sentimentalen Anwandlongen, in seinem gelegentlichen Welt-
schmerz zeigt und in so seltsamem Widerspruch steht zu der anderen
Seite seines Wesens, dem Ehrgeiz, der Ruhmsucht, der Begierde nach
weltlichem Glanz und Wohlleben. Der Kaiser, Vater und Schützer
des Rechts, vom Morgen bis zum Abend unermüdlich für Ordnung,
Ruhe, Sicherheit des ihm anvertrauten Reiches arbeitend der Dichter,
;
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— 73 —
der weltlichen Moral des Mittelalters wird von hier aus verdrängt oder
doch gründlich umgestaltet.
Hier zuerst in Deutschland tritt das Gefühl für den Stil der
Prosa, für die Eleganz des Ausdrucks, für die Eloquenz im Sinne
der Renaissance hervor als eine wirksame Macht; hier beobachten wir
die ersten Versuche einer Theorie der Epistolographie und Rhe-
torik; hier werden die neuen litterarischen Gattungen der Brief,
:
die Rede, der Dialog, die Novelle, alle in ungebundener Rede, und
die Ode, die Elegie in poetischer Form zuerst bewundert, verbreitet,
theilweise nachgeahmt; hier entwickelt sich zuerst der Sinn für das
künstlerisch geschmückte Leben, wie er sich besonders in den
prachtvollen Miniaturen äussert, die für diese Kreise und in ihnen ent-
stehen; hier spielt zuerst, nach dem Vorbild von Frankreich und Italien
die Landessprache eine neue litterarische Rolle, indem auch sie
fortan unter das Gesetz des neuen Stil begriffs, der neuen Kunstanschau-
ungen gestellt wird.
Bekanntlich
ist auch eine grosse Zahl der hervorragendsten
und französischen Humanisten im Kanzleidienst thätig ge-
italienischen
wesen. Er war damals und blieb lange Zeit in allen Ländern der
bequemste Mittelposten zwischen weltlichem und geistlichem Stand.
Petrarca, dem fünfmalein apostolisches Secretariat angeboten wurde,
lebte als eine Art
vagirender Diplomat. Zanobi da Strada war erst
Schulmeister in Florenz, dann königlicher Secretär in Neapel, zuletzt
Protonotar bei der Curie; desgleichen waren Francesco Bruni, Coluccio
Salutati, Leonardo Bruni, Poggio in der Kanzlei der Curie zu Avignon
und Rom angestellt. Von Franzosen hatten ähnliche Stellungen, im
Dienst der päbstlichen Curie oder französischer Forsten Laurent de
:
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— 74 —
romanischen Kanzleien, besonders aber die Kunst der französisch-italie-
nischen Kalligraphie und Illumination nnch Böhmen. ) Von Karls Proto-
1
notar Nicolaus von Krem sie r wissen wir, dass er in Avignon Hand-
schriften sammelte (s. oben »S. 59), der Notar Jacob von Kremsier, .
der Stadt Kom 6, 668) treffend „halb notaril halb kirchlich" nannte, 4
bietet einen geradezu scheusslichen, durch Fehler der Ueberlieferung und des i
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— 75 —
Eine Charakteristik kann ich hier im Vorbeigehen nicht liefern,
Andeutungen einer solchen werden unten folgen; noch weniger vermag
ich die verlangte kritische Sichtung zu unternehmen und möchte nur
auf die Notwendigkeit hinweisen, dass diese ganze lateinische Kanzlei-
litteratur im Zusammenhange auch einmal vom philologischen, stilistisch-
grammatisehen Standpunkt aus untersucht werde. Die Historiker haben
Rieh bisher damit nur unter dem einseitigen Gesichtspunkt des Gehaltes
an sicher datirbarem, Urkundenmaterial befasst und
authentischem
bei ihren Ausgaben wohl gar Arengen, welche doch für die lite-
die
rarische Betrachtung am ergiebigsten sind, fortgelassen. ) Die Stil-
1
Ausgabe thiite uoth. Nicht viel besser steht es mit der Sammlung seiner
Briefe, von denen einige durch Melius, Pelzel, Papencordt, Hortis heraus-
gegeben sind. Vgl. Voigt, Wiederbelebung* 2, 272 Ann)., der aber vielfach
Angaben macht: Melius hat nicht sechs Briefe Jobanns, sondern
irrthfhiiliclie
fünf publicirt, der sechste ist vom Kaiser; im Namen des Bischofs von Olniiltz
(Johann Ocko?) hat Johann nie Briefe geschrieben; die beiden Briefe bei
Pelzel sind identisch mit zwei der von Melius abgedruckten und nur einer
davon hat Johann zum Verfasser; die von Keitmann veröffentlichten Briefe
stehen bereits bei Melius. Voigt kann unmöglich Johanns Briefe genau ge-
prüft haben.
Tadra bekennt z. B. in der Einleitung zu setner Ausgabe der Can-
1)
cellaria Johannis Noviforeusis (Archiv f. österr. Gesch. (»S, 9) ganz arglos,
er habe „die in dem bekannten schwulstigen Style geschriebenen Einleitungen
und Arengen zu den Briefen grossentheils ausgelassen" und nur „das eigent-
lich Wesentliche aufgenommen", als ob nicht gerade jene mindestens ebenso
.eigentlich wesentlich" als der historische Inhalt der Briefe wären!
2) Ausser Papencordt, Cola di Kienzo und seine Zeit. Hamburg und
Gotha 1S4I, Gregorovius, Geschichte der Stadt Korn Ii, 231 ff. u. ö. vgf. jetzt
Gabrielli, Epistolario di Cola di Kienzo. Koma ISUO (Fonti per la storia
d ltalia V. Epistolari secolo XIV), dazu Gabriellis Aufsatz 'LVpistole di
Cola di Kienzo e l'epistolografia medievale': Arehivio della Sncieta romana
di storia patria II, 3SI ff.
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«
— 76 —
Rhetorik die grösste Wirkung gehabt hat (Gaspary, Geschichte der
italienischen Literatur 1, 57 f Brcsslau, Urkundenlelire S. 640). End-
;
Augen.
Da sehen wir ihn in seinem behaglichen Privatleben, umgeben
von vielfachen freundschaftlichen Beziehungen zu Collegen in der
Kanzlei, denen er ein wohlwollender Gönner bleibt. Er schenkt Jo-
hannes von Glatz (Registrator 1348, Notar 1353 1358), seinem —
'
consanguineus carissimus' ein Landgut (Cancellaria Johannis Novifor.
Nr. 3, vgl. Nr. 134); er nennt Jacob von Kremsier (1382 1384 —
in Wenzels Kanzlei, s. oben S. 74) seinen 'familiarissimus commen-
salis domesticus, quem a sue inventutis primordiis enutrivi' (ebd.
Nr. 90), woraus wir sehen, dass er auch noch auf die Besetzung der
Stellen in Wenzels Kanzlei Einfluss hatte; er scherzt einmal in einem
nicht ganz verständlichen Brief, wie es scheint, über Wilhelm von
—
Kortclangen, der von 1366 1382 in Karls und Wenzels Kanzlei
amtirto (ebd. Nr. 172). In einer andern jocosen Epistel, die behufs
komischer Wirkung Lateinisch und Deutsch mischt, warnt er den i
wohl in Prag), ihm einen gebildeten Schreiber zu senden (ebd. Nr. 114).
Buridan war freilich ein hartgesottener Scholastiker, dem Petrarca
sicher verächtlich den Rücken kehrte, aber man darf ihn nicht nach
dem legend arischen Esel zwischen den beiden Heubündeln bcurtheilen,
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— 77 —
der bekanntlich eine gegnerische Parodie seiner Lehre vom freien
Willen Er war ohne Frage einer der populärsten Professoren des
ist
Zeitalters, dafür spricht z. B. dass man von Albertus Magnus auf ihn
,
vanz wollten freilich mit Cicero und dem mehr geahnten als gekannten
Plato Aristoteles und die vor allem gehasäten arabischen Commentare,
die ganze dürre Schulphilosophie der Universitäten aus dem Felde
schlagen. Und ebenso bekannten sich die drei grossen Reformatoren
des 14. Jahrhunderts , Thomas von Bradwardin Wiclif und Uus, zum ,
ä) In dem oben (S. 02) genannten 'Registrum librorum' aus dem Ende
des 14. Jahrhunderts findet sich 'Loyea Otkaui (d. i. Occami) in papiro'
(Serapeuui a. a. 0. S. 75, Hansük a. a. O. S. 21).
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- 78 —
wir seiner Herkunft und gesammten Wirksamkeit zufolge wohl auch
Johann von Nenmarkt zählen; die Cechen huldigten dem Realismus.
Aber später traten vielfache Schwankungen und Mischungen ein;
keineswegs blieben die Reformparteien, die Anhänger der humanistischen
Bewegung durchaus Platonikcr und Realisten. Gerade solche Männer,
die sonst willig genug von der antiken Rhetorik lernen wollten, vor
allem in Frankreich, standen den 'Moderni', d. h. den Nominalisten,
nahe z. B. der milde aufgeklärte versöhnlicher Reform geneigte Jo-
,
, ,
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— 79 —
wünscht er ihm Glück zur Abschrift des Horaz (Cancellar. Joh. Novi-
for. Nr. 37).') Das Speculum stultorum ist eine in das Gewand der
Thierfabel gekleidete Satire gegen den Clerus und die Mönchsorden,
gegen die Wissenschaft der Aerzte, gegen das Universitätslebeu das .
eitle Treiben der Scholaren in Salerno und Paris von dem Präceutor
an der Kathedrale zu Canterburv Nigellns Wireker, der in der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lebte. 2 ) Auch dies Werk, ein
Vorläufer von Brants Narrenschiff, auf den ich später zurückkomme,
stand mit seinen Grundgedanken und seiner allegorischen Form den
Keformlendenzen wie dem Gesehmacke des ausgehenden 14. Jahrhun-
dertsnahe: Abneigung gegen die Mönchsorden erfüllte damals die
gesammte Weltgeistlichkeit Böhmens und zur Verspottung der Aerzte
wie der unfruchtbaren Schillgelehrsamkeit hatte Petrarca das Signal
gegeben, dem zu folgen seine Schüler nicht säumten.
lateinischen Schulpoesic des 12. uud 13. Jahrhunderts. München IST'.), S. st» ff.
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1872, S. 63 ff.; Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen 3 2, 337 f.),
Vincenz von Beauvais (Kümmel in Schmids Encyclopiidie des Erzieh-
ungswesens. 2. Ausgabe. 9, 740 f.), Engelbert von Admont (Walter a.
a. 0. S. 535; Contzen a. a. 0. S. 103 f.; Lorenz, Deutschlande Ge-
schichtsquellen 3 2, 345) und viele andere haben dies Thema behandelt,
freilich in verschiedenartiger Weise. Des Aegidius Romanus Schrift ist
eine christliche Umformung der Ethik und Politik des Aristoteles und
von ihm als Erzieher Philipps des Schönen verfasst (Walter a. a. 0.
S. 531 ff.; Werner, Scholastik 3, 2 13 ff.; Lorenz, Deutschlands Geschichts-
quellen 3 2, 339).') Sie benutzte neben dem Schachbuch des Jacobus
de Cessolis und dem 'Secretum Secretorum' der Schüler Chaucers Thomas
Occleve, ein Mann der Kauzlei gleich Johann von Neumarkt, 1411
oder 1412 für sein Gedicht 'The Governail of Princes', das zum
Besten des Prinzen von Wales, des späteren Heinrich V., geschrieben
war (Aster, Das Verhältuiss des altenglischen Gedichtes 'De regimine
principum' von Thomas Hoccleve zu seinen Quellen. Leipz. Dissert.
1888; ten Brink, Geschichte der englischen Litteratur 2, 1, 225).
Auch Enea Silvio hat dann einen Tractat über Fürstenerziehung ver-
fasst :er schöpft gleich seinem Vorgänger aus Aristoteles, aber auch
schon aus Plutarch, Quintiliau, Plato und stellt die humanistische Bil-
dung in den Vordergrund (Voigt, Enea Silvio. Bd. 2. Berlin 1862,
S. 290 f.; Gervinus, Geschichte der deutschen Dichtung 5 2, 300 f.).
Seine wie die pädagogischeu Schriften anderer Humanisten, des Leo-
nardo Bruni, Pier Paolo Vergerio, Guarino, Filelfo, Maffeo Vegio, ver-
dienten wohl genauer im Zusammenhang gewürdigt und mit der mittel-
alterlichen verwandten Litteratur verglichen zu werden, 2) wobei ins-
besondere auch das Verhältuiss zur Ethik und Psychologio Augustius
ins Auge gefasst werden müsste. Der Kern dieser ganzen litterarischen
Productiou voll durchaus aristokratischer Tendenz ist die Fürsten-
pädagogik: sie gewinnt nun einen humanistisch-höfischen Charakter.
Und wiederum erweist sich der neue Stand der Hofbeamten, erweist
sich die Kanzlei und der ihr nahestehende Kreis als Träger der Ver-
wandlung der Dienst an Fürstenhöfen veranlasst die Humanisten, sich
:
Vorlage (doch wohl der genannten) erwähnt Kaspary, Geschichte der italie-
nischen Literatur I, 191; eine italienische Nachahmung von Fra l'aolino
Minorita ebd. 505. Nach Krauss haben noch im 17. Jahrhundert die be-
deutendsten Gelehrten, welche Uber Politik schrieben, vielfach aus ihm ge-
schöpft, vielleicht auch Bossuot.
2) Einstweilen bleibt man angewiesen auf das, was über sie geboten
ist von: Voigt, Wiederbelebung 2 2, 4<!1 ff. Burckhardt I, 241; Kümmel in
;
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— 81 —
befassen. Hier liegen die Keime zu der Theorie und Praxis einer
humanistischen Erziehung, die dann das 16. Jahrhundert ausgebildet
hat. So rückt Johanns von Neumarkt Interesse für des Aegidius Ro-
manus Fürstenspiegel in einen grossen geschichtlichen Zusammenhang
und gewinnt symptomatische Bedeutung: er erscheint, wie er durch sein
Wirken in mehrfacher Hinsicht überhaupt für einen Vorläufer seines
Collegen in der deutschen Reichskanzlei, Enea Silvios gelten muss,
gleichsam an der Schwelle eines neuen Baues der sittlich-wissenschaft-
lichen Bildung, der sich auf der aus dem Alterthum gewonnenen
Grundlage, auf der antiken Moralphilosophie erhebt und zn Anfang
mehr mit Aristotelischem, später mit Platonisch- Ciceronianischem Material
ausgeführt wird, jedenfalls aber grundverschieden ist von jener mittel-
hochdeutschen poetischen Pädagogik, wie sie etwa der Welsche Gast
oder der Windsbecke enthält. Aristokratisch sind sie freilich beide,
aber die profane, ritterliche Bildung des Mittelalters verwirklicht durch-
aus den Gedanken einer corporativen Erziehung, sie dient dem
Adel als einer geschlossenen social und politisch selbständigen Raste.
Die neue humanistische Bildung erstrebt die Entwickelung der
Individuen, und sie beginnt an den Stellen, wo die grösste Frei-
heit, ja die Souverainetät der Persönlichkeit zuerst in die Erscheinung
trat: in den Palästen der italienischen Tyrannen. Sie inaugnrirt in
soeial-politischer Hinsicht das Streberthum, den Servilismus, um die
Bewegungsfähigkeit der Einzelnen unbeschränkt zu machen und einen
anderen, abstracteren Adel zu schaffen.
Gegen nachlässige und dilettantische Schreiber ging Johann von
Neumarkt unerbittlich vor den Scriptor Elias, welchen er für die Ab-
:
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— 82 —
Novifor. 14 Anm.); er beauftragt den Notar Peter mit der Ab-
S.
schrift des Werkes; er lässt durch seinen Schreiber Johannes ein an-
deres Exemplar, das für die Herzöge von Oesterreich bestimmt ist,
herstellen sowie sonstige von ihm verfasste Schriften illuminiren und
ist ungeduldig über das langsame Fortschreiten der Arbeit (ebd.
Nr. 67. 119. 130).
Man blickt in eine vollkommen organisirte, nach bestimmten
litterarischen Interessen geleitete Schreibthätigkeit hinein. Nun ge-
winnen schon früher bekannte Nachrichten über Johanns von Neu-
markt Wirksamkeit an Werth. Kurz nach seinem Tode schreibt (Janaar
1381) Johann von Jenzeustein, Erzbischof von Prag, sein begeisterter
Schüler, an den Magister Nicolaus in Prag, ein Trost sei ihm 'quod
libros suos hinc inde lcgatos quam plura habent monasteria'; er selbst
will sie theils kaufen, theils abschreiben lassen (Loserth, Archiv für
Österreich. Geschichte 55, 315). Johann von Neumarkt hatte eine ver-
besserte Ausgabe des Policraticus von Johann von Salesbury
'ad utilitatem publicam promovendam' veranstaltet, von der die Kirche
S. Peter und Paul zu Liegnitz eine 1394 angefertigte Handschrift be-
sitzt (Benedict, Das Leben des h. Hieronymus u. s. w. S. XXI). Wir
sehen ihn hier schon als eine Art Philologen thätig und spüren etwas
von dem neu erwachten Sinn für Textkritik, von jener Sorgfalt, mit
der Petrarca zuerst und seine Schule der stumpfsinnigen Schluderei
der mönchischen Lohnschreiber entgegentraten. Besonders die Ver-
gleichung mit zwei Zeitgenossen und Collegen von der Kanzlei drangt
sich auf: mit dem Florentiner Staatskanzler Coluccio Salutati, der
wie Johann von Neumarkt über die Fahrlässigkeit und die Betrüge-
reien der Copisten sich ereifert, der Ciceros Briefe redigirt und Schriften
Augustins durch Vergleichung verschiedener Exemplare verbessert
(Voigt, Wiederbelebung * 1, 213) und mit dem Kanzler König Karls VI.
von Frankreich Jean de Montreuil, der zwei Monate darauf ver-
wendete, sein Exemplar von Petrarcas 'De remediis utriusque fortunae'
mit anderen zu collationiren und zu verbessern (Voigt ebd. 2, 349).
Der Gegenstand von Johanns von Neumarkt philologischer Bemühung,
der Policraticus des englischen Schülers Abälards stammt nun freilich
aus dem hohen Mittelalter, aber er ist auch in den Tagen der Renaissance
noch sehr beliebt geblieben und bis tief ins 17. Jahrhundert hinein
wiederholt abgedruckt worden (s. Schaarschmidt, Johannes Saresberiensis.
Leipzig 1862, S. 283 ff.) und sein Verfasser war nach mehreren Seiten
hin ein Vorläufer des Humanismus: als Gegner der einseitigen Schul-
logik und Schultheologie als einer der frühesten Vertheidiger klassi-
,
scher Studien, als eleganter Latinist und einer der ersten Verehrer und
Nachahmer von Ciceros Stil, als principloser Eklektiker und Nach-
treter der Ciceronianischen Moralphilosophie, die ja gerade von den
Humanisten des 14. und 15. Jahrhunderts auf den Schild erhoben wurde,
als Bewunderer Piatos, als tüchtiger Kenner des römischen Civilrechta
(Schaarschmidt S. 81 ff.; Prantl, Geschichte der Logik 2,232). Wenn er
in Begleitung des Pabstes Adrian IV. (1154 —
1159), seines Landsmannes,
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— 83 —
während eines mehrmonatlichen Aufenthalts zn Benevent in Verkehr
trittmit einem des Lateins kundigen, gebildeten Griechen und unter
dessen Anleitung einen Theil des Aristotelischen Organon in der
Ursprache liest (Schaarschmidt a.a.O. S. 112 f.), so wirkt er dadurch
mit in dem Vorspiel zu der späteren völligen Auferstehung hellenischer
Sprache und Litteratur im ausgehenden Treccnto :der Belebung griechi-
scher Studien in Sflditalien während des normannisch-staufischen Zeitalters.
Johann von Neumarkt folgte, indem er eine Schreiberthätigkeit
planmässig leitete, seinem grossen Metropoliten Ernst von Pardu-
bitz, den er, wie ich oben (S. 37) bemerkte, auch in der Verwaltung
seines Bisthums und der dazu vorgenommenen Gesetzgebung sich zum
Muster gewählt hatte. Aber während Ernst, wie uns berichtet wird, ) 1
seien alle Handschriften aus der Bibliothek entwendet und nach Stock-
holm geschleppt worden. Aber deren Unrichtigkeit haben Dudiks Unter-
6*
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— 84 —
Klosterbibliothek in dem wichtigen Schatzverzeichniss des Stiftes, dem
sogenannten 'Liber Thomäus', und zwar in dem achten Theile desselben,
der von Frater Johannes de Dobrowyss 1419, aber auf Grund eines
älteren Katalogs ('juxta tenorem antiqui registri'), verfasst ist (s. Skrej-
sovsky in den Mittheilungen der k. k. Centralcommission zur Erhaltung
der Baudenkmale. Neue Folge Bd. 4. Wien 1878, 8. 26). Ott (Bei-
träge zur Rcceptionsgeschichte S. 94) hat daraus interessante, leider
nur zu knappe Mittheilungen gemacht. Ob die dort verzeichnete cauo-
nisch-römische Rechtslitteratur (Decretum, Decretalen, Digestum vetus)
auf Johanns Besitz zurückgehe, bleibt zweifelhaft. Glauben könnte
man das von dem 'Speculum humanae salvationis cum Clementinis et
aliis pluribus annexis', sowie von den lateinischen Klassikern (Livius,
Seneca). Bestimmt in den Gesichtskreis Johanns von Neumarkt führt
aber der 'Liber Egidii de regimine prineipum in pergameno' (vgl. oben
S. 79),') und er mag vielleicht ihm gehört haben. Doch bedürfte
das näherer Untersuchung, die Zeitpunkt und Art des vorher erwähnten
Testaments genauer feststellen müsste. Vielleicht geben diese Zeilen
dazu die Anregung.
Nicht minder als für seine Privatbibliothek scheint Johann von
Neuraarkt für die Vermehrung der Bibliothek des Metropolitan-
capitels in Olmütz besorgt gewesen zu sein (d'Elvert a. a. 0. S. 92).
Auch hier lassen sich noch Spuren seiner Wirksamkeit auffinden. 2)
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- 65 -
Wann er Petrarcas Schriften kennen gelernt hat, kann man ziem-
bestimmt sagen. Jedenfalls geschah es vor der persönlichen Be-
lich
kanntschaft, und ohne Zweifel war es ein Italiener, der ihn mit Be-
wunderung zu ihm erfüllte und die Annäherung vermittelte: der
Apotheker A ngelo aus Florenz, der in Prag lebte, dort nach Schle-
singer (Geschichte Böhmens * S. 266) und Friedjung (Karl IV. S. 224
Anm.) den ersten botanischen Garten Deutschlands besass, am 29. März
1373 von Karl IV. als sein Hofgesinde und Hausgenosse Erlass der
Steuern und Abgaben erhielt (Huber, Regesten Nr. 5186) und 1382.
1384, zuletzt am 4. November 1388 als 'consul et juratus civis' in
Prag urkundlich sich nachweisen Iftsst (Libri erectionum 2, 240. 243.
3, 289). Auf die Aussage dieses Florentiners beruft sich Johann in
dem ersten Schreiben das er an Petrarca richtet und in dem er
,
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— 86 _
einer Weise, die zeigt,dass er ans eigener Anschauung damals die
Schriften und den Stildes Bewunderten noch nicht kannte. Das ge-
schah zu Ende des Jahres 1352 oder in der ersten Hälfte des folgen-
den. ') Das erste Schriftstück aus Petrarcas Feder das Johann dann
,
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— 87 -
Garten Sanctae Valeriae zu Mailand umherwandelnd und bedeutsame
Gespräche führend. Und dieselbe Handschrift enthält auch jene origi-
nellen Illustrationen zu der Schrift des Palladius, welche in Initialen
eingefügt die zwölf Monate durch einzelne Personen in charakteristi-
schen Beschäftigungen realistisch zur Darstellung bringen und, soweit
man aus der von P. de Nolhac (Gazette archcologique 15) gegebenen
Probe ') in Heliogravüre urtheilen kann durch die natürliche Behand-
,
lung des Costüms und der Körperhaltung als eine Glanzleistung der
jungen Renaissance-Kunst erscheinen, in der kaum noch ein Rest von
zu grosser Schlankheit der Formen an die stilisirende Gothik erinnert.
1) Ein Schnitter mit beiden Iläuden den Dreschflegel führend als Bild
des Juli.
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- 88 —
Rienzo in Prag bei dem Kaiser eingeführt haben soll (Papencordt,
Cola di Rienzo S. 217 Anm.; Friedjung a. a. 0. 8. 286).
Wie gut oder schlecht diese letzte Nachricht nun beglaubigt sei,
die Ankunft Colas in Prag darf als der eigentliche Anfang der
Renaissancebewegung in Deutschland gelten, und das Jahr 1350
bewährt wiederum seinen Charakter: es macht Epoche. Cola war der
feurigste Vertreter der politischen Renaissance, ein Sinnesgenosse Pe-
trarcas, der glühendste Verfechter der Restauration Roms in seiner
antiken Weltmacht, Kenner der alten römischen Schriftsteller, der erste
Erforscher der Inschriften, Statuen und Ruinen des Alterthums, ) ein 1
Phantast, ein moralisch haltloser Mensch, aber einer der grossen Magier,
die in den Zeiten innerer Gährung, wo neue Mächte mit den alten
ringen, immer wieder auf die Massen unwiderstehlich wirken. Als er
nach Prag kam, nach dem gewaltigen Umschwung seines Glücks, und
mit den sibyllinischen Weissagungen seines Freundes, des Franciscaner-
Spiritnalen Frate Angelo vom Apennin den Kaiser bestimmen wollte,
die Welt aus den Angeln zu heben, hat er auf den Kreis des Hofes
die tiefste Wirkung geübt. Karl, Erzbischof Ernst, Johann von
Neumarkt, alle empfangen und erwidern die Briefe, die er aus seiner
Gefangenschaft in Raudnitz auf dem erzbischöflichen Schloss an sie
richtet. Und diese Briefe mit ihrem seltsam orakelhaften Stil, die sich
stets zum Tractat, zur Prophezeiung, zur Vision erweitern, wurden in
jenen Kreisen gesammelt, mit den Antworten zusammengestellt.
Zu jener Zeit ist in Böhmen die von Pelzel (Kaiser Karl IV.
Bd. I. Vorbericht Nr. 11) benutzte Handschrift entstanden, welche in
der Hauptsache die während Colas Untersuchung von ihm mit dem
Karolinischen Kreis und dem Pabst gewechselten Briefe nebst zum
Processe gehörigen Urkunden vereinigt (Papencordt a. a. 0. S. 325).
Für den Veranstalter dieser Sammlung, deren Original leider, so viel ich
weiss, nicht wieder aufgefunden worden ist, möchte ich keinen anderen
als den königlichen Hofkanzler Johann von Neumarkt halten. Nie-
mand trat dem Gefangenen so nahe als er. Erzbischof Ernst bewahrte
bei aller milden Freundlichkeit ihm gegenüber doch eine gewisse vor-
sichtige Zurückhaltung. Aber Johann berauscht
sich nur in der Wort-
fülle und künstlichen Rhetorik des Tribunen und sucht sie nachzu-
ahmen, zu überbieten. 2 ) Ja er tritt, wie Voigt gezeigt hat, sein Amt
an ihn selbst ab, lässt ihn statt seiner die Antwort Karls IV. an Pc-
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— 89 —
trarca ausführen (s. 68) and nimmt diese dann auf in seine
oben S.
Sammlung von Musterstucken aus der Cancellaria Caroli IV. (Hand-
schrift der Bibliothek des Prager Domcapitels, Pelzel 1, Urkundenb.
S. 160). In dem Formelbnch des Stiftes Ossek aus dem 14. Jahr-
hundert , welches Briefe und Urkunden Karls IV. Johanns von Neu-
,
1) Ossek gehörte zur Diöcese Leitomischl und zwar als eines der dem
Bischof zugewiesenen Stiftsgüter (Frind, Kirchengeschichte Böhmens 2, III f.),
daher nennt es Johann von Neumarkt im Osseker Formelbnch (S. 67. (!!>)
'villa sua'. Johanns Bruder Matthias, Bischof in partibus von Trebinje
(in Bosnien), nicht von Tibur, wie Heyne, Frind, Benedict das überlieferte
'Tribuniensis' auflösen (s. Huber, Regesten Nr. 2471») und Wcihbisehof
von Breslau, der für ihn, den als Hofkanzlcr dauernd von seinem Bischofs-
sitz Abwesenden, die bischöflichen Weiheakte besorgte (Frind a. a. 0. 2, ILO,
war selbst Cistercieuser und wurde in dem schlesischen Cistercienserstift
I.eubus begraben (Heyne. Geschichte des Bisthums Breslau 2. tili f.). Briefe
.Johanns an ihn in der Cancellaria Caroli IV. (Neumann Nr. iS2. l'.lh.) In
dem Satz 'eonscnsuni praebet Arnestus episcopus Prag. I3S5, VII kal. Febr.'
(S. Iii), bei Palacky S. 242) iuuss die Jahreszahl verdruckt sein, da Emst
schon I3<»4 starb. Es soll wohl 135s heissen.
2) Danach berichtigt sieh Friedjungs Angabe: „eine Frucht des Aufent-
halts Petrarcas in Prag war die Bekanntschaft mit dem Erzbischof Emst von
Prag, mit dem Bisehof Johann Ocko von Olmütz und mit «lern Kanzler Johann
von Neumarkt, der damals (1353— I3G4) Bischof von Leitmeritz (!) war" (a.
a. 0. S. 311).
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— 90 —
in Pisa den 'doctor legum' Giovanni Landulfi kennen gelernt haben,
den der König am 25. Januar 1355 dort zu seinem Richter, Rath und
Hofgesinde ernannte (Huber, Regesten Nr. 6133. Nachtr. Nr. 6794,
vgl. auch 6810. 6815. 6824). Auch die beiden andern einflussreichsten
Männer des königlichen Hofes, Ernst von Pardubitz, Erzbischof von
Prag und Johann Ocko von Wlaschim, Bischof von Olmtitz, waren
Karl IV. nach Italien gefolgt. ) Sie alle und Johann von Neumarkt
1
1) Am 22. Januar 1355 schreibt Karl IV. noch an Ernst nach Prag
einen Brief (Huber, Regesten Nr. l!>74), aber am 21. Februar tungirt der Ere-
biseliof bereits in Pisa als Zeuge einer Urkunde (Huber, Regesten Nr. WU5).
Johann Ocko als Zeuge zuerst am 2u. März 1355 zu Pisa (Huber, Regesten
Nachtr. Nr. lisua).
2) Nicht in Siena, wie Körting, Boccaccios Leben und Werke. Leipzig
lhSO, S. 20« annimmt, vgl. Voigt, Wiederbelebung 3 I, 45b Anm.
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- 91 —
(Neumann, N. Laus. Magazin 23, 153 f.) mit Recht
cellaria Caroli IV.
Cancellario regis Siciliae
die Aufschrift trägt '
kann damit kaum sonst
Jemand gemeint sein als Zanobi. ) Doch ist mir nach dem Ton des
1
verlassen hatte, in die Stadt Rom und die Krönung von Karls vierter
Gemahlin Elisabeth von Pommern (October- November 1368). Bei
diesen Festtagen war auch der Florentiner Coluccio Salutati, der
Freund Petrarcas und Boccaccios, anwesend, damals Secretär bei der
päbstlichen Curie (Pelzel, Karl IV. 2, 808 f.), und mit ihm ist jeden-
falls auch Johann von Neumarkt, sein College, zusammengetroffen.
Von Petrarcas Freunden hat Johann von Neumarkt — ausser
Laelius, den er wohl beim Kaiser gesehen haben wird (s. oben S. 67) —
auch den Franzosen Sacramore di Pommiers persönlich gekannt.
Ovidius", der schon König Roberts Kanzler gewesen war und dann nach
seinem Tode ebenfalls dem Grossscneschall als Secretär diente (Voigt,
Wiederbelebung 1 I. 455; Körting, Petrarca S. 1(54 f.). Doch liegt es näher,
zwischen Johann und Zanobi von der Dichterkrönung her eine Verbindung
anzunehmen. Denn die Ueberschriften der einzelnen Briefe sind vielfach Un-
nau und späteren nicht authentischen Ursprungs; kleine Unrichtigkeiten
den Titulaturen kommen in ihnen öfter vor; die Ausdrücke 'cancellarius'
und •seeretarius' insbesondere werden übrigens auch anderwärts nicht selten
für einander gesetzt. Die Ueberschrift eines Briefs Petrarcas an Zanobi
lautet in einer Handschrift der Marcusbibliothek: 'Ingenioso et facundo viro
magistro Zenobio de Florentia Siculi regis Secretano' (Fracassctti, Adno-
tationes, ad Variar. ep. 1, S. »Jiof., vgl. S. 207 f.). Der König von Sicilien ist
Ludwig von Tarent (I34t>— 1W52), Johannas zweiter Gemahl. Ob der Brief
an Petrarca oder an Zanobi geschrieben worden ist, könnte nur genaue kri-
tische Untersuchung seiner handschriftlichen Ueberlieferung, die ich oben
(S. 74) forderte, entscheiden.
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— 92 —
Ja er, der als Mailänder Geschäftsträger zwischen Böhmen und Italien
bisweilen siebenmal in einem Jahr hin nnd her reiste, war geradezu
der Vermittler des brieflichen Verkehrs Petrarcas mit Deutschland.
Im Dccember 1354 hatte er dem Dichter die Einladung Karls IV. nach
Mantua zugestellt; er hatte ihn Sommer 1356 auf der Reise nach
Deutschland begleitet; er überbrachte die Urkunde über seine Ernen-
nung zum kaiserlichen Pfalzgrafen (1357) und nahm auch das Dank-
schreiben Petrarcas mit nach Prag. Er erwarb sich allmählich des
Dichters Freundschaft, und dass auch Johann von Neumarkt ihm nahe
stand, zeigt der an ihn gerichtete humoristische Brief in der Cancel-
laria Caroli IV. (bei Neumann a. a. 0. S. 198). ') Einen Reflex des
Verkehrs zwischen Petrarca, Sacramore und Johann von Neumarkt
giebt vielleicht eine Handschrift des Cistercienserklosters Ossek 'Fran-:
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— 93 —
lang.') Als seinen Gönner bezeichnet er in einem Schreiben voll ge-
suchtester Höflichkeit den Cardinal Guido von Boulognc, 2 ) einen nahen
Verwandten des französischen Königshauses, den er an der päbstlichen
Curie kennen gelernt und mit dem er in Briefwechsel gestanden zu
haben scheint (Cancellaria Johannis Novifor. Nr. 81).
Wie ich glaube, kann man aber auch ohne äussere Zengnisse
aus inneren Gründen noch eine Verbindung des deutschen Hofkanzlers
mit jenem Florentiner Humanistenkreis erschliessen, der vielleicht
für die Propaganda der neuen Ideen mehr gethan hat als die grossen
Häupter selbst: ich meine die Augustiner-Eremiten von S. Spirito.
Die Augustiner-Eremiten waren wie oben (8. 54 f.) bereits aus-
,
vor, auf welcher sie sich von der peripatetischen Psychologie der
scholastischen Schulwissenschaft lossagten und der Platonisch-Augusti-
nischen wieder zustrebten. Der Orden hatte seine Haupstützpunkte
an den Universitäten Paris, Padua, Toulouse, Bologna; er blühte
in Italien und Frankreich. Bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts
vom Rhein, laut glaubhafter Ueberlieferung von Cöln und Mecheln
aus, in Deutschland sich niederlassend fassen die schwarzen Brüder
früh und überwiegend gerade im östlichen und nordöstlichen Theil
des Reiches Fuss: in Thüringen, Meissen, Sachsen, der Neumark, 3 )
was auf die Zeit nach Karls Kaiserkrönung weist, kann das Gesuch sich nur
auf die Erledigung des Baiuberger Episcopats durch den Tod Leopolds von
Bebenburg beziehen (f 4. November 1303). Der Dauphin ist danach Karl V.,
der 1364 König wurde, der Neffe des deutschen Kaisers. Er war auch Weih-
nachten 1356 mit Johann von Xeumarkt auf dem grossen Reichshof in Metz
zusammengetroffen (Huber, Regesten Nr. 2537. 2553a. 2555 ab).
1 ) Das ergeben die Worte
'
super provisione sibi facta ', s. Du Cange-
Henschel ed. Favre, Glossarium inediae et infiniae aetatis s. v. provisio 2.
2) Nach Garns Serie» S. IX. 571 und Mas Latrie, Tresor
de Chronologie d'histoire et de geographie. Paris 1*89 wurde er 1342 Car-
dinal und starb am 25. November 1373. Er war ein Sohn Roberts VII (1314
— 1326), Grafen von Boulogue und Auvergue. —
Nach der Darstellung von
Lindner, Geschichte des deutschen Reiches unter Wenzel 1, 75. 77. 109. 110.
402 (vgl. auch das Register 2, S. 53:* a), die Froissart folgt, hätte er noch
1380 gelebt. Irrig bezeichnet Tadra in der Ausgabe der Cancellaria Johann.
Novifor. (Inhaltsverzeichuiss S. 20) als Adressaten des Briefes Guido von Bo-
logna, den es gar nicht giebt.
3) Ueber die Ausbreitung des Ordens vgl. Kohle, Die deutsche
Augustiuercongregation und Jonann von Staupitz. Gotha 1879, S. 40 ff.
413 f.: Erfurt 1256, Gotha 1258, Grimma 1289, Sangerhauseu vor I3u0, Xord-
hausen ?, Langensalza vor 1300, Quedlinburg c. 13oo, Magdeburg 128», Helm-
stedt 1291», Osnabriiek 12S7, Anclaui 1310, Friedberg (Neumark) 1290, Königs-
berg i. N. 12'JI. Nicht billigen kann ich. dass Kolde von seinem Vcrzeichniss
der Germania Augustiniana die zur bairischen Provinz gehörenden Convento
Böhmens und Mährens ausgeschlossen hat. Er begründet dies damit, dass sie
„für die Entwicklung der deutschen Congregation von keiner Bedeutung sind*
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— 94 -
und besonders auch in Böhmen (Frlnd, Kirchengeschichte Böhmens 2,
303 ff.; Böhm, Archiv f. Kunde Österreich. Gesch. 1852. Notizenblatt,
8. 232 ff.). Hier war zuerst das Kloster Stockau, dann 1262 S. Benigna
(oder Insula), ) 1263 Schopka, 1285 S. Thomas auf der Prager Klein-
x
stand, ist ohne Frage von jenen übergangenen Klöstern beeinflusst worden.
Auch hätte die Universität Prag besondere Berücksichtigung verdient, da sie
früher und mehr als Erfurt für die Bildung der Augustiner gesorgt hat: ein
Beispiel der von hier ausgehenden Beziehungen gewährt der Entwicklungs-
gang des Angelus Dobelin (oben S. 39, unten S. 95). Ueber die Bedeutung
des Augustiner-Chorherrn Konrad von Waldhausen und den weitreichenden
EinHuss seiner Predigt s. unten S. 98.
I) Ueber seine Bibliothek, die 14*21 von den Hussiten verbrannt wurde
s. Ungar, Abbandlungen der böhui. Gesellschaft der Wissenschaften 17S">. V,
257; Gottlieb. Mittelalterliche Bibliotheken S. 382, Nr. SSI und Aum.
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— 95 -
zu Leitomischl. )
1
Nicht minder nahe stand er dem Augustinerkloster
bei Brünn (Altbrünn): er bittet zusammen mit dem Markgrafen von
Mähren um Indulgenzcn für dasselbe (Cancellaria Johann. Novifor.
Nr. 78); er ersucht den Cardinal von Florenz, wohl Petrus Corsini
(Cardinal 1370, t 1405, s. Garns, Scries episcoporum S. 748 Lindner,;
Geschichte des deutschen Reiches unter König Wenzel 1, 73. 78), den
Brudor Eberhard, Lector in Brünn, zu seinem Suffragan zu befördern
(ebd. Nr. 87); er empfiehlt dem Bischof von Leitomischl, Albert von
Sternberg, den Prior Augustinus (ebd. Nr. 91); er schreibt wiederholt
an den Prior wie an den Convent des Brünner Klosters (ebd. Nr. 140.
141. 145. 150). Der Augustiner Angelus Dobelin aus dem Kloster zu
Grimma (Kolde, Die deutsche Augustiner-Congregation S. 51) erwarb
sich als Prager Baccalarius auf die freundschaftliche Empfehlung
Johanns von Neumarkt an den Cardinal Aimericus, Bischof von Paris,
der sich 1372 in Prag als königlicher Gesandter aufgehalten hatte,
den Pariser theologischen Doctorat (Cancellaria Johannis Novifor.
Nr. 89) und wurde dann später der erste Decan der theologischen
Facultät in Erfurt (Kolde a. a. 0 ).
Auch andere Personen aus Karls IV. nächster Umgebung be-
günstigten den Orden: im Jahre 1371 gründete Albert von Sternberg,
Johanns von Neumarkt Nachfolger auf dem Bischofssitz zu Leitomischl
(s. oben S. 59), in der Stadt Sternberg ein Kloster desselben (Richter,
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Hauptcapitel des Ordens wurde am 19. September 1350 von Karl IV.
in der Prager Neustadt gegründet: das Augustinerstift am Karlshof
(Huber, Regesten Nr. 6659), dem er dann wie seine Gemahlin Anna
vielfache Gunst erwies (vgl. Huber, Regesten Nr. 2258. 6880. 'Gemah-
linnen' Nr. 5). )
1
Filialen von Karlshof wurden die Propstei zu Bösig
und (1389) der Convent zu Lissa. Im Jahre 1362 ward Sadska in
ein Augustinerstift umgewandelt, 1367 das dritte Hauptcapitel in
Wittingau gegründet, Andere weniger bedeutende Niederlassungen
folgten (Frind, Kirchengesch. Böhmens 2, 318 ff.) 2 )
Die böhmischen Augustiner standen ohne Zweifel in Verbindung
mit ihren italienischen und französischen Brüdern. Und wenn wir uns
erinnern, dass Johann, wie sich oben (S. 79. 81) zeigte, Werke zweier
browsky, Böhmische Litteratur auf das Jahr 1779. Prag 1779, 1, 280 ff. nenne
ich: Palladius 'De re rustica' zusammen mit 'Lumen aniinae' (s. oben S. 1'.».
22. 50. 70) von 1386; Predigten des Milic von Kremsier (s. oben S. 51 ff.),
Konrad von Waldhausen (s. u. S. y8 A. 3); Homilien Gregors, Bedas, Augustins;
Bonaventura 'ltinerarium mentis in Dcum'; Augustins 'De civitate dei' und
'De conscientia'; Gregors Dialoge und Moralia; die Vita des Johann von
Jcnzenstein; Schriften gegen die Wiclifiten und Waldenser-, ein Brief des
Andreas von Brod (s. Loserth, llus und Wiclif S. 50. 77 u. ö.).
1) Karlshof gründete Karl IV. zu Ehren Karls des Grossen, ihm zu
Ehren auch in dessen Geburtsort, zu Nieder-lngelheim, 1354 das Kloster der
Augustiner-Chorherren. Sehr gut hebt HörSiSka a. a. 0. S. 27 hervor, dass der
herrliche Kuppelbau der Prager Karlskirche eine Nachahmung sein soll der
Aachener Pfalzkapelle, der alten Krömtngsstätte der deutschen Kaiser, der
Schöpfung Karls des Grossen. In den Domschatz zu Aachen stiftete Karl IV.,
wie lloreicka a. a. O. (Fortsetzung) S. 21 wahrscheinlich macht, drei grosse
prächtige Reliquiare ; daselbst am 30. December 302 einen Altar zu Ehren des
1
heiligen Wenzel, dessen Kaplan böhmisch verstehen und den zahlreich dorthin
pilgernden Böhmen die Beichte abnehmen sollte. Am 15. Januar 1357, dem
Gedächtnisstagc Karls des Grossen, wohnte er in der Aachener Kapelle einem
Gottesdienste bei, sitzend auf dem Stuhle des Gefeierten, mit den kaiser-
lichen Abzeichen und der Krone des Gewaltigen angethan. In diesem Cultus
Karls des Grossen liegt vielleicht der Schlüssel zum Verstündniss von
Karls IV. Wirken: gleich jenem wollte er ein Zusammenfasser, ein Organi-
sator, ein König des Rechts und der Einheit sein, wenn er auch die Idee
des römischen Imperiums hatte fallen lassen.
2) Auch an den Augustinerchorherren zeigt sich der enge kirchlich-
politische Zusammenhang Schlesiens mit Böhmen. Erzbischof Ernst von Prag
führte sie nach Glatz, indem er dort, wo er seine erste Bildung empfangen
hatte, 1350 ein Collegiatcapitel errichtete, das er mit Rauduitzer Chorherren
besetzte. Es zeichnete sich durch strenge Kirchenzucht und wissenschaft-
lichen Sinn aus, stand während der Versuche Herzog Albrechts V. von Oester-
reich, die Klöster zu reformiren, in lebhaftem Verkehr und wechselseitigem
Austausch der Brüder mit Wittingau und den österreichischen Stiftern Dürren-
stein und St. Dorotheen in Wien, und brachte eine nicht unwichtige Kloster-
chronik hervor (Lorenz, Geschichtsquellen 2, 237. Wattenbach, Jahrbuch für
!l
vaterländische Geschichte 1, 215 ff.). Von dem ganz und gar im Baune der
deutschen Bildung des Kanonischen Kreises stehenden Ludolf, dem Abt des
Augustiuerstiites zu Sagau war oben S. 64 f. die Rede ;
Beziehungen dieses
Klosters zu Johann von Neumarkt erweist die aus der dortigen Bibliothek
stammende Handschrift seines Formelbuchs von 1391 (jetzt in der Breslaucr
Universitätsbibliothek), Uber die Palm, Wagners Archiv für Geschichte deut-
scher Sprache und Dichtung I, 254 und Benedict a. a. 0. 8. XX11I berichten.
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— 97 —
Romanus und des Simon Fidatus
italienischer Augustiner, des Aegidius —
und zwar das unter Aufsicht des Brünner Augustiner - Priors
erstere
— vervielfältigen Hess, dass er wahrscheinlich die unechten,
Augustin beigelegten Meditationen (Münch. Handschr. Cod. german.
70, s. Benedict a.a.O. S. XXIV f. XXVII), ausserdem, wie sicher
feststeht, auf Karls IV. Geheiss die pseudo - Augustinischen, da-
mals aber allgemein als echt anerkannten Soliloquia und auf Wunsch
der Markgräfin Elisabeth von Mähren das Leben des h. Hieronymus in
(gleichfalls unechten) Briefen des h. Eusebius, Augustinus und Cyrillus
(s. Benedict a. a. 0. S. XXVI ff.) übersetzte, so müssen wir in ihm
einen wenn auch unbeholfenen und kritiklosen ) litterarischen Vertreter
l
Wiederbelebung a 1, 191 ff. 392 f.; Zambrini, Le opere volgari a stampa dei
secoli XIII e XIV. Edizione quarta. Bologna 1878, S. 651. 652; L.Geiger,
Renaissance und Humanismus iu Italien und 'Deutschland. Berlin 1882, S. 79 ;
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ihren Schriften nicht allein der lateinischen, sondern anch der Landes-
sprachen. Wenn Boccaccio bestimmt, dass seine Bibliothek nach dem
Tode Martinos dem Augustinerkloster S. Spirito zufallen, ) dass er ent-1
quiendienstes, des Luxus und Wuchers, der Verderbniss des Clerus und den
evangelischen Charakter seiner auf praktisches Christeuthum zielenden Pre-
digten ein wirksamer Erneuerung des kirchlichen Lebens
(Linsenmayer, Geschichte der Predigt in Deutschland S. 464 f.; Loscrth, Bus
und Wiclif S. 40 ff. 266 ff.). Er verdiente eine genauere, monographische
Würdigung. Im Jahre 1S62 war er laut Angabe in einer Abschrift seines
Briefes an den Bischof von Passau Prediger bei der Thomaskirche der Prager
Augustinereremiten (Loserth a. a. 0. S. 26*5, Anm. 3) und 13*54 richtete er an
den Vorsteher dieses Convents ein Schreiben, das Meneik in einem mir un-
zugänglichen Aufsatz (Abhandlungen der k. Gesellschaft der Wissenschaften.
Bd. 11. Prag ISS2) abgedruckt hat. Von seinem Angriff gegen die Mendi-
canten fühlten sich auch die Amrustiner-Ereuiiten getroffen, die ihn in sechs
Puncten bei dem Erzbischof verklagten (Palacky, Geschichte von Böhmen 3,
16.1). Seine vor Prager Studenten gehaltenen Predigten waren handschrift-
lich in Böhmen, Mähren, Oesterreich, Tirol, Schlesien, bis nach der Schweiz
verbreitet (Loserth a. a. O. S. 42. Anm. 5); seine Postille wurde uoch im 16.
Jahrhundert abgeschrieben (Friedjung, Karl IV. S. 171, Anm. 3).
4) Ueber ihn K.Werner, Scholastik des späteren Mittelalters 3, 17;
Gotheiu, Die Culturentwicklung Süd-Italiens. Breslau 1>>S6, S. 453 ff.
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— 99 —
treten. Wiederum also werden wir gedrängt, Johann von Neumarkt
mit Coluccio Salutati zu vergleichen, dem Zögling der Augustiner von
S. Spirito, dem Kanzler von Florenz.
Und nach Florenz als einer Quelle der auf ihn wirkenden Ein-
flüsse führt eine andere Erwägung. Dort in der mächtig aufblühenden
Arnostadt hatte sich zuerst auf italienischem Boden eine lebhafte
Schreibthätigkeit humanistischer gelehrter Sammler und ein selbständiger,
von den Universitäten unabhängiger Handschriftenhandel, eine fabrik-
mässige Handschriftenanfertigung im Dienste humanistischer Bestrebungen
entwickelt (Kirchhoff, Handschriftenhändler * S. 32 —
39. 44ff.- Wat-T
1) Die böhmischen Vorläufer der Reformation sind ohne Zweifel von der
Schule der Augustiner-Eremiten und den Schriften Augustins beeiutiusst worden:
der oben (S.51 f.) genannte M ilic von Kreuisicr beruft sich in seiner für die
Häufigkeit der Connnunion eintretenden Postille 'Dei gracia' auf den Tractat des
Simon de Cassia (s. oben S. bl) 'Ad aboleudos eotidianos defectus', uud der
Hussit Procop von Pilsen vertheidigt Wiclifs Tractat 'De ideis mit Citaten
1
aus Angnstin (Loscrth. Uns und Wiclif, S. 70 f. 281 ff.). Aber neben Augustin
7*
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— 100 —
Ketzersekteu, die freien christlichen Vereinigungen, Savonarola, Staupitz,
Luther auf dasselbe Ziel hin.
Beides, die Hervorhebung der Form und des Persönlichen,
der Formalismus und der Individualismus giobt auch für Johanns von
Neumarkt litterarisch- wissenschaftliche und künstlerische Bemühung
den Grundton ab.
stützt sich Procop auch auf Sencea (ebd. S. 279. 281), den Philosophen, wel-
chen Petrarca und sein Kreis so hoch verehrten. Geradezu humanistisch ge-
färbt niuss man vollends nach Loserths Mittheilungen (a. a. 0. S. 4'J) die aka-
demischen Predigten des Augustiner-Chorherrn Konrads von Waldhausen
(s. oben S. '.IS Aum.:i) nennen: er citirt Hieronymus, Gregor, Valerius Maximus,
Vegetins, die Lieblingsschriftsteller der älteren italienischen Humanisten; er
erzählt in einer Predigt über die Zucht seinen Zuhörern von der Belagerung
Numantias und den Verdiensten des Publius Cornelius Scipio um die römische
Disciplin. Er nimmt also Theil an dem für Petrarca so sehr charakteristi-
schen Cultus der Seipionen, den dessen Epos Africa zum höchsten Ausdruck
brachte. Darin uiuss man ohne Frage eine Folge der humanistischen Propa-
ganda erkennen, die Konrad bei seinem Aufenthalt in Rom (1350) oder auch
später in Prag nahe getreten sein mag.
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— 101 —
erröthet er über seine Plumpheit und verzweifelt, dem Meister gleich-
zukommen. ) Er kommt sich dem gekrönten Poeten gegenüber wie ein
1
Dieser Satz steht iu dem oben (S. 91 Anm. 1) erwähnten Brief, dessen
1)
Adresse die Handschriften verschieden augeben.
2) Doch darf man das nicht zu ernst nehmen. Zu den Hausmittclchcn
der humanistischen Epistolographie gehörte von vornherein das Complimcnt
auf eigene Kosten d. h. die Belobigung des Freundes oder Gönners und die
eigene Herabsetzung, und dann wieder die Zurückweisung der gleichen Selbst-
anklagen des Partners. So verfahrt Petrarca selbst.
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— 102 —
tiefe innere Erregung sucht er durch die Fülle der Worte, in der er
das Wesen antiker Beredtsamkeit erblickte, durch Häufung von Syno-
nymen auszudrücken. Dies Schreiben hat eine weltgeschichtliche Be-
deutung ') zum ersten Mal sieht hier ein Deutscher Italien mit den
:
Augen der modernen Zeit und redet davon mit jenem Enthusiasmus,
aus dem die deutsche Renaissance entsprungen ist. Johann von Neu-
markt ist dadurch der geistige Ahnherr aller der Tausende, die bis
auf unsere Tage über die Alpen gestiegen sind und ihre Eindrücke
entzückten Briefen in die Heimath anvertraut haben; 2) ein Ahnherr
auch jenes Grössten, der mehr als vier Jahrhunderte später der geliebten
Frau in Tagebüchern und Briefen von seiner Erzieherin Italien be-
richtete. Und merkwürdig, wie ungeheuer der Abstand zwischen
Karls IV. Hofkanzler und Goethe auch sein mag: um den Italien ver-
dankten inneren Gewinn zu bezeichnen, greifen sie beide fast zu dem
nämlichen symbolischen Bilde. Der Eine will auf Lastthieren Edel-
steine, Perlen und andere Kleinodien aus dem Lande der goldenen
Aepfel heimführen; der Andere träumt, von einer fruchtbaren, reich
bewachsenen Insel Fasanen Pfauen
, Paradiesvögel auf seinem Kahn
,
1) Als eine der wichtigsten Urkunden flir die Geschichte der deutschen
Renaissance, cnlturgescbichtlich und stilgeschichtlich gleich bedeutsam, mag
der Brief hier folgen: 'Salve festa dies toto vcnerabilis evo, qtia gressus
meos versus felicein Ytaliam lineavi, felix itaque ista hora, qua ad tantas
divicias scandere didici ac sedem meam in altuui ponere non verebar. felix
nimiruiu felicis temporis constellacio jovialis, quem tanta bonorum copia in
Ytalia aspectu beatissimo decoravit Nani cum pridem gades (Grenzen) Ytalic
!
pertigissem [pertingissem Bs.], niox quasi in anrea secula per portas intravi
paradisi et pouia aurea undique recreverunt Quapropter supplico,
quatenus ad deducendum gemmas, uiargaritas et alias ras nohilissimas came-
los, spadones et droniedarios aliquos transmittatis nani quibus aurum rapit
,
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— 103 —
Nr. 4745), ) aber doch wohl auch von Nicolaus von Kremsier und
1
Wilhelm Kortelangen (s. die Anmerkung), die beide Johanns von Neu-
markt litterarische Neigungen th eilten (oben S. 59. 76).
Die Wirkung der neuen Cultur, welche dieser aus den Schriften
und Gesprächen Petrarcas, Rienzos und ihrer Landsleute kennen ge-
lernt und die er dann unter südlichem Himmel mit der italienischen
Luft begierig eingesogen hatte suchte er in der Heimath zu reprodu-
,
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— 104 —
Rienzo, watet doch gelegentlich, z. B. in Dedicationen, durch eine Fluth
von Metaphern.
Am augenfälligsten tritt der humanistische Charakter von Johanns
lateinischem Stil hervor in der Manier der gelehrten Anspielung,
sei es mit Beziehung auf Personen und Ereignisse der antiken Mythologie
oder Geschichte, sei es in der Form des Citats antiker Schriftsteller.
Proben davon enthalten z. B. die oben (S. 100) von mir analysirten
Briefe an Petrarca. Aber nicht minder die Cancellaria Johannis Novi-
forensis, in welcher besonders der Brief an den König von Ungarn
(Nr. 57) und an den Kaiser (Nr. 60) den ganzen humanistischen Apparat
in Bewegung setzt. Da wirbeln denn Prankworte durch einander wie
'Musa pyerides', 'pegazei fluminis dulei nectare aut nobilibus aquis o
'montem hymetium thymi
fönte castalio' (castellio Hs.), 'Lethei fluminis',
fragrantenT, 'musarum eliconios colles seu latices parnazei bieipitis';
da werden Julius Caesar, Pompeins, Cato, Brutus, Fabricius, jeder mit
der ihn charakterisirenden Eigenschaft, als Zeugen vorgerufen. Aber
mit diesen Reminiscenzen mischen sich friedlich alttestamentliche.
In dem Brief an den Kaiser werden neben antiken Namen Saul, David,
Isaak, Ismahel genannt. Auch der Eingang zur goldenen Bulle arbeitet
mit denselben Mitteln: das Eröffhungsgedicht in Hexametern bittet
Gott, sein Volk zu bewahren vor einem Hinabschrciten in das Reich,
wo die Erinnys herrscht und Alecto nach den Gesetzen gebietet, die
Megaera abfasst. In der für Karls IV. Politik so ausserordentlich lehr-
reichen Betrachtung über das Verderben uneiniger Reiche, die darauf
folgt, braut Johann von Neumarkt aus christlichen und humanistischen
Elementen ein Stück gedankenvoller Geschichtsphilosophie. Die dämo-
nischen Mächte der christlichen Auffassung werden apostrophirt die :
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— 105 —
gischen Zeitalters ausgedehnt werden, in gewissen archaischen Ele-
menten der kaiserlichen Kanzleisprache unter Karl und seinen Nach-
folgern ihren Abglanz gefunden. ) 1
ital. Lit. 1, 44«) dadurch widerlegt werde. Aber abgesehen davon, dass jener
Brief auch einige Jahre später, wenn auch freilich vor 1 :*«*>, geschrieben sein
könnte, so ist es sehr möglich, dass Petrarca von seinem Werke vor der
Vollendung bereits einzelne Abschnitte, die ja alle in sich geschlossene Ein-
heiten sind, näherstehenden Personen mittheilte.
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— 106 —
such, durch Vorenthaltnng jenes Commentars auf die Erschliessung
des Kaisers einen Zwang ausüben zu wollen.
Ohne Zweifel hat Johann von Neumarkt auch Briefe Petrarcas
und poetische Episteln sich abschriftlich zu verschaffen gewusst.
Fahndeten doch damals alle Freunde der neueren Eloquenz geradezu
mit Leidenschaft auf die Kundgebungen der Petrarcischen Epistolo-
graphie und sorgten durch Vervielfältigung für ihre Verbreitung. ) 1
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— 107 —
oder minder ') dem hohen Stil , der 'eloquentia' zustreben , anderseits J
Episteln Tones über Verhältnisse seines Privatlebens. Er
leichteren I
bittet die Königinnen von Ungarn bei dem Kaiser für Freilassuug seines
Verwandten Fürsprache einzulegen (Cancellaria Joh. Novif. Nr. 30);
er selbst verwendet sich bei der Gemahlin des Herrn von Holstein für
deren Diener (Nr. 47); er tröstet seine Schwester wegen des Verlustes
ihrer Habe (Nr. 115); er beauftragt seinen Diener, seine Schwester gut
zu verpflegen (Nr. 120) und wendet sich ihretwegen an einen Prager
Arzt (Nr. 193) und den Apotheker Angelus (Nr. 194); er schreibt
mehrmals in allerlei Geldangelegenheiten (Nr. 125. 134. 195. 218).
Die Briefe, welche sich auf die von ihm geleitete Schreibthätigkeit
und auf akademische Angelegenheiten beziehen wurden oben 8. 76 ff. ,
1) Ich wiederhole, was ich oben (S. "A) sagte: Die Autorschaft der
in Johanns Sammlungen vereinigten Schriftstücke bedarf besonderer Unter-
suchung. Die Stiluntersehiede sind zu bedeutend, als dass sie insgesammt
einem Verfasser beigelegt werden könnten. Freilich muss man ein gewisses
Mass davon auf Rechnung der Verschiedenheit der Anlässe und der Adres-
saten setzen. An Petrarca, an Cola di Rienzo, au italienische Cardinale, an
den König Ludwig den Grossen von Ungarn und an dessen Frau und Mutter,
an den Markgrafen Johann Heinrich, Karls IV. Bruder, sehreibt er mit der
sichtlichen Ansicht, humanistisch gebildet zu erscheinen. Andern gegenüber
lüsst er sieh gehen und verharrt in dem hergebrachten mittelalterlichen
Kanzleistil.
2) Am 4. December 1352 gewährt er zu Prag dem 'Swacho, qui dici-
tur manus aurea' und dem 'Marssico', '
fistulatores fratres', zum Lohn für
ihre Kunst Freiheit von der Bema für ihr Haus in llostomitz (Huber, Re-
gesteu Nr. 1534).
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— 108 —
lichem Official Ende 1380 oder nach seinem Tode zusammengestellten
Formelbuchs, enthält eine Indulgenz für einen entlaufenen Cleriker,
der sich als Goliarde herumgetrieben hat (Cancell. Johannis Novif.
Nr. 2P2). Ja, Johann von Neumarkt hat selbst als Dichter mit der
edleren lateinischen Production der geistlichen Vaganten
gewetteifert ) und hier —
geschichtlich betrachtet höchst merkwürdig! —
die alte Erbschaft der antikisirenden Vagantenpoesie des Mittelalters
(Carmina Burana) mit neuen antiken, aus dem jungen Humanismus
stammenden Zuflüssen bereichert.
Johann von Jenzenstein rühmte ihn besonders wegen seiner
lateinischen Marienlieder und ersuchte ihn um deren Zusendung
(Cod. epist. Arch. f. Österreich. Gescb. 55, S. 384); ein geistliches latei-
nisches Lied, das er nebst einer Auslegung anderer Lieder an den Prager
Erzbischof Ernst schickte, steht in einer Prager und einer Wiener Hand-
schrift der Cancellaria Caroli IV.; ein lateinisches Gedicht von ihm zu
Ehren des heiligen Hieronymus, dessen Lebensgeschichte er übersetzte,
findet sich in einer Olmützer Handschrift (Benedict, Leben d. heil. Hiero-
nymus S. XXI). Zum Vergleiche müsste man auch Petrarcas geistliche
lateinische Dichtung, seine Busspsalmen und seine Gebete heranziehen.
Für die Kenntniss der lateinischen Poesie Johanns von Neumarkt
und seiner Schule fliessen nun aber Quellen, die bisher von allen, die
über den merkwürdigen Mann gehandelt haben, tibersehen worden sind.
Sic zugänglich gemacht zu haben ist das Verdienst des Hymnologen
Drevcs. 2 )
Als eine Folge der mächtigen Entfaltung kirchlichen Lebens
unter Karl IV. , insbesondere der grossartigen Ausstattung des jungen
Erzbisthums Prag, erwuchs in Böhmen, wenn nicht früher, so doch in
ausgedehnterem Umfang als in den übrigen Gegenden Deutschlands
eine neue geistliche Liederdichtung ausser! iturgischen Charakters.
Während in den Klöstern Stiddeutschlands im 14. und 15. Jahrhundert
der stillen Privatandacht dienende Psalterien und Rosarien von ziem-
lich beträchtlicher Länge massenhaft entstehen, bringt Böhmen damals
kurze, volksthümliche , sangbare Lieder hervor, die als Vorläufer des
späteren religiösen Volksliedes der Landessprache angesehen werden
müssen und später nachweislich auf zwei Wegen in die deutschen
Liederbücher übergegangen sind oder doch sie beeinflusst haben: in
die katholischen durch Vermittelung von Leisentritts Gesangbuch, in
die protestantischen durch die Gesangbücher der Böhmischen Brüder
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— 109 —
(Drevcs 1, 4. 34 ff.). Für den eigentlichen Gottesdienst waren in
Böhmen neben den alten lateinischen Hymnen nnd Sequenzen, welche
längst das Gemeingut der katholischen Kirche bildeten, nur ganz wenige
bestimmte Lieder in der Landessprache zugelassen. Jene volksmässi-
geren Gesänge dagegen lösten sich von den kirchlichen Formen,
näherten sich dem weltlichen Liede und behaupteten ihr Recht bei
ausserliturgischen Andachten, Krippen- und Osterspielen, der Auf-
erstehungsfeier, kirchlichen Umzügen, unter der Stillmesse. Erhalten
sind sie uns fast nur in jüngeren böhmischen Handschriften, von denen
einige allerdings bis in die ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts
zurückreichen, eine Prager sogar noch aus dem 14. Jahrhundert stammt.
Dreves hat aber den Beweis zu führen versucht und genauere Unter-
suchung muss es bestätigen, dass ein grosser Theil des Inhalts dieser
Codices auf die Zeit des ersten Prager Erzbischofs zurückgeht. Wollte
man Balbins Zeugniss glauben, so wäre die Prager Handschrift VII C.
10 des 16. Jahrhunderts, welche ein deutschlateinisches, bisher aus
einer Breslauer und einer Zwickauer Handschrift des 15. Jahrhunderts
bekanntes Passionslied enthält, sogar directe Abschrift von des Erz-
bischofs mit Miniaturen geziertem Autograph, das in die Bibliothek des
von ihm gestifteten Augustiner-Chorherrenstifts in Glatz gekommen sei.
Wie es sich damit auch verhalten mag,') die Hauptmasse der durch
Dreves mangelhaft edirten Lieder von sehr ungleichem, zum Theil be-
deutendem poetischen Werth ist dem Mariencult gewidmet und könnte
spätestens aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts stammen, reicht wahr-
scheinlich aber noch in die Lebenszeit Johanns von Neumarkt hinein. Unter
ihnen nun möchten wohl manche wirklich auch von Johann gedichtet oder
doch durch ihn angeregt sein. 2) Jedenfalls geben sie meines Wissens das
früheste Beispiel für das Eindringen humanistischer Vorstellungen und
humanistischer Formen in die lateinische geistliche Lyrik Deutschlands.
In einem Liede (Nr. 31) werden alle neun Musen, von Euterpc bis Urania,
mit Namen aufgerufen, zum Preise der Maria, die Diana genannt wird
(wie in einem andern Gedicht Minerva) und da fehlt auch nicht die
Lingua Tulliana, als Inbegriff höchster Beredtsamkeit. Das gemahnt
ganz an den Gedankenkreis des Hofkanzlcrs. An ihn erinnern auch
Epitheta der Jungfrau wie 'Thymiama fragrantis odoris' (Nr. 193, 2),
sec. 14 ex.), welche den 'Liber de apibus' enthält, dazu die Notiz steht, die
1 landschritt sei angefertigt nach einer aus dem Kloster Saaz entliehenen, auf
<>f»7). Leider hat Wattenbach nicht bemerkt, aus welcher Zeit jene Notiz
stammt. Vgl. Friedjung a. a. 0. S. 99 und Anm. 2; Dreves I, 24 f.
2) Eine genauere Untersuchung, als ich sie anstellen konnte, über Ent-
stehungszeit, Verfasser, Inhalt, Stil und Formen dieser Lieder wäre ausser-
ordentlich zu wünschen. Berücksichtigen miisste sie auch die Miluehener
Bilderhandschrift (Cgm. IKt), welche deutsche Gebete unter dem Namen des
Johann von Neumarkt enthält (vgl. Benedict a. a. 0. S. XXIV Anm. 2).
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— 110 —
Ausdrücke wie 'Odas orpheales' (28, 4). In andern Liedern ist die
Rede vom Tartarus, von Acheron und Phlegethon (vgl. Karls Ernennung
des Narrengrafen oben 8. 68 Anm. 2), von Pluto, von Scylla, Euros,
Zephir.') Daneben begegnen viele alttestamentliche Züge, wie in der Prosa
Johanns von Neumarkt, besonders auf fällt aber eine halb pennalistische
halb akademisch-scholastische Gelehrsamkeit, die von hebräischen und
griechischen Brocken ('El, Bei, hylo, pyr, rhoyma, microcosmus, proto-
noxa, nymphula, neophytus') zehrt, mit hochtrabenden Worten wie 'logica,
physica, philosophica, logicaliter' um sich wirft. Die Vermuthung, dass
die Lieder zum Theil aus Kreisen von Scholaren und vagirenden
Cl erikern, clerici ribaldi, Goliarden hervorgegangen seien, wird für
einige Lieder (z. B. Nr. 44) zur Gewissheit.
Einen Schritt weiter in der Aneignung humanistischer Elemente
bedeutet die Hymnendichtung Johanns von Jenzenstein, der
Johanns von Neumarkt Schüler und Nachfolger in der Reichskanzlei
war (s oben S. 35. 45). Wie dieser in seine Formelsammlung (Cancel-
laria Wenceslai regis) Schreiben aufnahm, die sclavisch den huma-
nistisch verbrämten Stil Johanns nachahmen, 2 ) so wandelt er auch in
seiner lateinischen Lyrik auf der Bahn seines Lehrers.
Seine 28 Hymnen, die Dreves (Prag, Verlag der Cyrillo-Mcthod-
schen Buchdruckerei, J. Zeman und Comp. 1886) herausgegeben hat,
,
zeigen auch von der formalen Seite den zwingenden Einfluss des
Humanismus. In höchst merkwürdiger Weise sehwanken sie nämlich
zwischen dem althergebrachten accentuirenden Priucip der mittelalter-
lichen Hymnenmetrik und dem neuen, humanistischen, quantitirenden.
Dabei kommt denn meistens eine dritte rein syllabirende, silbenzählende
heraus, die modernen Ohren widerwärtig genug ist (Dreves a. a. O.
S. 44 f.). Auf demselben Boden bewegt sich dann die lateinische
llymncndichtung in Böhmen zu Anfang des 15. Jahrhunderts, die Poesie
des Johann Hus und Jacobellus von Mies (Dreves, Analecta 1, 31 ff.).
In diesen Zusammenhang gehören auch einige Lieder der merk-
würdigen Handschrift des schlesischen Franciscaners Nicolaus von
Kosel von 1417 (Breslauer Universitätsbibliothek), die Feifalik (Sitz-
ungsberichte der Wiener Akademie PhiL-hist. Classe. 1861. 36, 158.
178 f. 179 ff.) und Palm
(Abhandlungen der schlesischen Gesellschaft
für vaterländische Cultur. Phil.-hist, Abtheil. 1861, S. 78 f. 80 f. 88 f.
94 f.) mitgetheilt haben. Es sind Producte fahrender Scholaren,
v agir ender Cleriker und zeigen greifbar die innige Berührung zwi-
schen Böhmens und Schlesiens litterarischem Leben, die erst seit dem
dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts nachlässt. Manche davon mögen
nichts weiter als stilistische Uebungen, Formulare für Bettelgedichte sein.
Das älteste richtet sich an Karl IV., ein anderes bezieht sich auf die
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- 111 —
hussitischen Wirren unter Wenzel. Eine zweite etwa gleichzeitige
Handschrift aus der Bibliothek der Augustiner-Chorherren zu Sagau
(Breslauer Universitätsbibliothek) bietet ganz ähnliche Erzeugnisse fahren-
der Schüler, 'clericuli' (bei Palm a.a.O. Nr. III. IV. V). Vgl. auch
Feifalik a. a. 0. S. 151 ff. Das Saganer Chorherrenstift hatte, wie ich
oben (S. 64. 96 A. 2) zeigte Beziehungen zu hervorragenden Per-
,
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— 112 —
zwischen den Impulsen der religiösen Renaissancemalcrei and der
Litteratur zeigen die Miniaturen. Das für Erzbischof Ernst angelegte
Orationale, eine Sammlung von Gebeten (im böhmischen Museum zu
Prag), deren drei Bilder Christus am Kreuz, die thronende Madonna
und den knicenden Besitzer darstellen, enthält ein Marienlied des
Karthäusers Kon r ad von Haimburg (Dreves Analecta 3, Nr. 2), der
Vicar in Mauerbach in Niederösterreich, Prior in Seitz in Steiermark
und Gaming war und zeitweilig der Prager Karthause (zwischen 1345
und 1350) angehörte. Er, einer der besten und gelesensten geistlichen
Dichter des Mittelalters, vcrfasste dort im Auftrage Karls IV. und des
P>zbischofs eine Sammlung von Lectionen 'ad nocturnos', neun für
jeden Tag des Jahres, zur Benutzung des von Ernst gestifteten Collegs
von Mansionaren am Veitsdome, welche täglich das Votiv-Ofßcium 'de
bcata' herzusagen hatten. Einen Auszug daraus stellte er 1356 im
Auftrag des erwählten Bischofs von Trient Meinhard von Neuhaus her,
der unter dem Titel 'Laus Mariae' in vielen Hand-
'Mariale' oder
schriften vorkommt (Dreves a. a.
f.). Auch das 'Psalterium de
0. S. 7
landibus nominum eins' im böhmi-
beatissimae Virginis sive Expositio
schen Museum zu Prag ist durch zwei ausgezeichnete Bilder geschmückt:
Marias Opfergang und Verkündigung (Abbildung bei Woltmann, Gesch.
der Malerei 1, 369, besser Rcpert. f. Kunst w. 2, S. 8).') Ja die Sage
fuhrt sogar auf Emsts eigene Künstlcrhand zwei Madonnafigurcu aus
der Mitte des 14. Jahrhunderts in Reichenau und Glatz zurück (Grueber,
Die Kunst in Böhmen 3, 111), woraus immerhin gefolgert werden kann,
dass er an der Stiftung dieser Sculpturen betheiligt war. Die Glanz-
leistung der böhmischen Miniatorenschule, einer der Höhepunkte der
Karolinischen Kunst überhaupt, sind die Illustrationen zu Johanns von
Neumarkt Reisebrevier (Liber viaticus), das in seiner Leitomischler
Bischofszeit (1353 —
1364) entstanden ist (Handschrift des böhmischen
Mnseums in Prag), und eines dieser Bilder zeigt Johann selbst, mit
dem Streben nach Portraittreue dargestellt, kniend vor der Krönung
Märiens.
Auch Petrarca war ein Liebhaber kunstvoller Miniaturen. Wir
können eine Anzahl ihm gehöriger illustrirter Handschriften noch nach-
weisen. Die berühmteste ist der Virgil-Codex der Ambrosiana in Mai-
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113 —
land mit Bildern von dorn grossen Sienesen Simone Martini (vgl. E.
Müntz, Gazette arche'ologiquc 1887 12. S. 100 ff. und Planche 13).«)
Von einer anderen (Vatic.lat. 2 193) habe ich oben (S. 86) gesprochen,
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114 —
Schönheit die Kunst der Portraitmalerei und der Drang nach Ent-
,
in der malerischen Darstellung des Kanins wie für die ausgeführtere Behand-
lung der Landschaft gab die französische Buchmalerei das Vorbild, s. Kämmerer,
Die Landschaft in der deutschen Kunst bis zum Tode Albreehts Dürers. Bei-
träge zur Kunstgeschichte. X. F. 4. Leipzig c>St>, S. H."> ff. Landschaftsgründc,
I
über denen sich bald der natürliche, bald noch ein Goldhimincl spannt, z. B.
in dein aus der böhmischen Schule stammenden Altarbild in der Vituskirche
zu Mühlhausen in Schwaben, Kämmerer ebd. S. 42, vgl. im l'ebrigen die
früher genannten Werke über die böhmische Malerei, wo auch einige Kepro-
duetiouen gegeben sind.
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115
auf ihn aber damit tröstet, dass auch an der Pegnitz wie au der Moldan,
wenn anch minderwerthige Freuden seiner warten (Caneellaria Caroli IV.
Neumann Nr. 5); wenn er dem Bischof von Freisinn, Paul von Harrach,
betheuert, falls er seiner vergesse, solle ihm nie mehr vergönnt sein,
das Antlitz seiner Geliebten in Nürnberg zu sehen, und er in dem
lustigen Spiel der Frauen vergessen werden (ebd. Nr. 10), so erinnern
wir uns an das leichte Lehen, das später Enea Silvio mit seinen Amts-
genossen in der Kanzlei geführt hat. Zu den Asketen und strengen
Eiferern hat Johann von Neumarkt auch später nie gehört, seinen auf
das Humane gestimmten Charakter hat er sich bis in's Alter erhalten
und nicht wie Enea Silvio die Jugendsünden mit der sauren Schein-
heiligkeit des renigen Greises beklagt. Allerdings war und blieb er
stets ein kirchlich gesinnter Mann, der die Disciplin streng handhabt
und einen Olmützer Probst wegen unziemlichen Aufwandes vom Amte
eines General vicars entsetzt (Cancell. Johann. Novifor. Nr. 131), der
seine bischöflichen Rechte in Olmütz unter schwierigsten Verhältnissen
tapfer vertheidigt, der. als er zum Breslauer Bischof erwählt ist, sich
eifrig bemüht, die Ketzerei in seiner neuen Diöcese auszurotten (ebd.
Nr. 208. 209), der Processionen und Fasten anordnet wegeu der
Kirchenzwietracht, Pest und Hungersnoth. des Unwetters und der Ueber-
schwemmung. Aber er führt den Krummstab als ein milde denkender,
frei und gerecht urthcilcndcr Mann die eigenmächtigen Ueberhcbungen
:
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— 116 —
es ist dem ganzen Zeitalter der Renaissance und der Reformation eigen-
thümlich geblieben. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts zog die Pfalz-
gräfin Mechthild, 'die Liebhaberin aller Künste', an ihren Hof nach
Rottenburg die deutschen Jünger des italienischen Humanismus: Nicolaus
von Wyle war Maler und Schriftsteller. Die entscheidenden Schriften
der Reformationszeit haben durch das Bündniss von Wort und Bild
gewirkt und gelegentlich fertigte der Autor des Buchs selbst die Holz-
schnitte, wie Jorg Wickrain und Andere (s. Scherer. Die Anfange des
deutschen Prosaromans S. 37).
Es wird die Aufgabe weiterer Untersuchung ) sein, die ich mir
1
versagen uiuss, zu ermitteln, wie aus dem entlegenen Winkel der deut-
schen Cultur die Propaganda für die neue Bildung nach verschiedenen
Seiten ihre Kreise zog. Johann von Neumarkt besass, abgesehen von
seinen Beziehungen zu den Beamten der Kanzleien des Königreichs,
die ich nachgewiesen habe, weitverzweigte persönliche Verbindungen,
die er auch in litterarischen Dingen ausgenutzt haben wird: nach
Schlesien, Oesterreich und Ungarn, nach Nürnberg, Freiing, Augsburg,
Mainz, Heidelberg, Magdeburg. 2 ) Besonders müsste wohl Äer Zusammen-
hang mit Oesterreich und Ungarn ins Auge gefasst werden. Zu den
österreichischen Herzögen hatte Johann von Neumarkt (s. oben S. 82)
wie sein Schüler Johann von Gelnhausen (s. oben S. 34). ein näheres
I3b2) ebd. 57; die Königinnen Elisabeth, Ludwigs Mutter (f 1381) und Elisa-
beth, Ludwigs zweite Gemahlin (Tochter des Herzogs Stephan von Bosnien)
ebd. 30; Kapellan des Königs ebd. 121; Aufenthalt daselbst (wohl aus Au-
lass der Vermählung Karls IV. mit Anna von Schweidnitz, Ludwigs Pflege-
tochter, zu Ofen 27. Mai 1353) Cancellaria Caroli IV., Neumann Nr. 20, vgl.
auch Caucellar. Johann. Novifor. Nr. 119; Nürnberg: Frater Rosa, Domini-
caner, Cancell. Caroli IV., Nemnann Nr. 1; Aufenthalt daselbst ebd. Nr. 5. 10;
Frei sing: Bischof Paul von Harrach ebd. Nr. 10. 203. 205. 206, Cancell.
Job. Novifor. Nr. 53; Augsburg: Bischof von Augsburg Cancell. Caroli IV.
Xr. 139; Nonnen zu Kirchheim Augsburger Diöcese ebd. Nr. 12; Mainz:
Probst Wilhelm Pyuczero ebd. Nr. 6. 17; Heidelberg: Pfalzgräfin bei Rhein
ebd. Nr. II; Magdeburg: Erzbischof von Magdeburg ebd. Nr. 2.
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— 117 —
litterarisches Verhältnis« and der Einfluss der böhmischen Miniatur-
malerei auf die österreichische ist längst festgestellt.
In nächster Beziehung zu Johanns von Neumarkt philologisch-
humanistischen Interessen stehen die verwandten seines Herrn, des
Markgrafen Jost von Mähren (1375—1411), eines Neffen Karls IV..
und mehr noch die von dessen Kanzler Andreas von Wittingau. ) 1
Schon mit Josts Vater. Markgraf Johann Heinrich, Karls IV. Bruder,
hatte Johann von Neumarkt persönliche Verbindungen er berichtet an
:
ihn in einem Briefe aus Italien (bei Mader, Gervas. Tilber. commentatio
S. 91 Nr. 6) über des Kaisers Erfolge in Toseana, gegen Pisa, Lucca,
Siena, Florenz (Frühling 1355, nach der Kaiserkrönung): seine Supplik
an den päbstlichen Stuhl worin er um die Ernennung Johanns von
,
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— 118 —
Beide, der Markgraf wie sein Kanzler, theilen mit dem Karoli-
niseken Kreis und mit .Johann von Neumarkt das Interesse für Livius.
die Verehrung für Petrarca. Jost liess sich in Florenz Petrarcas Buch
über die berühmten Männer abschreiben; er fahndete auf alte Hand-
schriften der Klassiker, bildete sich ein, einen vollständigen Livius
irgendwo gesehen zu haben und schrieb davon an Salutati. Andreas,
der sich Salutati zu seinem Vorbild erkoren und ihm in Florenz seine
Bewunderung zu Füssen gelegt hatte, bestärkte ihn darin und wollte
für eine sorgfältige Abschrift Sorge tragen (Voigt, Wiederbelebung 2
2, 274).
Hof mit dem Humanistenkreise in Florenz
Unterhielt der mährische
Beziehungen, so leiten andere Fäden, wenn auch nur vorübergehend,
von Brünn nach Mailand.
Bei Jost lebte in ehrenvoller Stellung, als sein familiaris' der Bau-
meister Heinrich von Gmünd, ) der Leiter des Baus der Brünner
1
haben, sodass ihr Kind, die Enkelin Peter Parlers, (iertrud recht gut 1384
die Frau Heinrichs von Gmünd sein konnte. Denkbar freilich wäre auch,
dass unter jenem 'Michael lapieida ecclesie Coloniensis' der Bruder Peter
Parlers zu verstehen sei, der ja auch früher in Köln gearbeitet hatte. Klemm
a. a. 0. S. 51 ff nimmt drei verschiedene Baumeister Namens Michael an:
1) den Bruder Peter Parlers, 2) den Schwiegersohn Michael aus Köln und
3) Michael, Vater der Drutginis, gleichfalls aus Köln. Derselben Ansicht ist
auch Neuwirth. Mir kommt sie nicht glaublich vor. besonders deswegen,
weil Neuwirths Annahme, Heinrich von Gmünd sei mit Heinrich Parier, dem
Bruder Peter Parlers, identisch (Peter Parier S. 3b), unbewiesen und unwahr-
scheinlich ist. Heinrich von Gmünd könnte aber ein entfernterer Verwandter
der Parierscheu Familie gewesen sein.
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— 119 -
erscheint Heinrich am 28. November 1391 in Mailand und wird von
der Baudeputation als Ersatz für den eigentlich erwarteten Kölner
Meister am ll.December 1391 auf drei Monate als Ingenieur ange-
stellt. Wir gewahren nun den oft wiederkehrenden Conflict nordischer
und italienischer Bauweise, bei welchem die Laien, namentlich die
Fürsten und die Hofbeamten, auf Seiten der fremden Künstler stehen,
die Fachleute dagegen mit der deutschen Behandlung der Gothik sich
nicht befreunden können. Heinrich verwarf das bisher Ausgeführte
und rieth, alles wieder abzureissen und von vorn anzufangen. Eine
in Folge dessen am 1. Mai 1392 zusammentretende Commission italie-
nischer Dcputirter und Baumeister entschied gegen ihn. Fortan wurde
er auf das schlechteste behandelt man lohnte ihn ab und weigerte
:
Anselm, Bernhard von Clairvaux, Richard von St. Victor, Petrus Lom-
bardus, Bonaventura, Thomas von Aquino, Lyra, Occam und andere.
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— 120 —
Die canonist ischc Littcratur ziemlich vollständig: Decretum, Decretalien,
Liber scxtus, Clementinen, Extravaganten, Lectura des Archidiaconus
super sextum, Johannes Andreae, Summa des Raimund von Pennaforte,
Summae confcssorum u. a. (s. Ott, Beiträge zur Receptionsgescbichte
S. 97). Bemerkenswerth ist, dass, was Ott entgangen zu sein scheint,
die Sententiae des Johannes Klenkok gegen den Sachsenspiegel (Sera-
pcum S. 67, Hanslik S. 20) vorhanden sind: ein Zeuguiss für die in den
Präger Collogien herrschende Abneigung gegen das nationale Recht
(vgl. oben S. 25. 38.)- Von römischem Recht: Codex und Institutionen
(Serapeum S. 68, Hanslik S. 20). Von grammatischer Litteratur: Catho-
licon, Mammotreetus (Mammorreptus). Die riesigen Enc\ clopädien des
Petrus Comestor und Vincentius Bellovacensis fehlen natürlich nicht,
ebensowenig die grosse Vorrathskammer poetisch -scholastischer Alle-
gorie, des Alanus ab Insulis "Planctus naturae' und Anticlaudian, wie
einer der beliebten Trojaromanc ( De bello Troiano'). An Legenden
erscheinen 'Passionale sanctorunv. 'Legenda laudis sanctae Mariae' und
die Legende des heiligen Franciscus, gewiss kein Zufall und eine will-
kommene Bestätigung der oben (8. 111) vorgetragenen Behauptungen
der Cultus Mariens, der Geist des heiligen Franciscus, sie sind die
Seele des religiösen und künstlerischen Aufschwungs im Zeitalter
Karls IV. Indessen ist doch auch die antike Litteratur auffallend reich
vertreten: abgesehen von des Josephus 'Bellum judaicum', einigen Aristo-
telischen und pseudo -Aristotelischen Schriften finden wir Martianus
Capeila De nuptiis philologiae', Boethius 'De consolatione philosophiae',
l
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— 121 —
colleg eintreten musstc (Tomek, Geschichte der Prager Universität
S. 22. 23).
Igt meine Vermuthung richtig, so wäre zu erwarten, dass einige
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— 122 —
Kenntnis.* humanistischer Lieblingsantoren ist, dass aueh ein (lateini-
scher) Lucian (a. a. 0. S. 9) aufgeführt wird. Sonst hebe ich noch
hervor: Episteln des heiligen Hieronymus, 'Libellus de solutione Satane',
die Selbstbiographie Karls IV.
Von den Handschriften antiker Schriftsteller, welche die Prager
Universitätsbibliothek besitzt, sind nur wenige in ihrer Provenienz nach-
gewiesen. Ein Werk schenkte ihr der oben (S. 59. 103 und Anm. I) genannte
Nicolaus von Kremsier gleich nach ihrer Stiftung (Hanslik a. a. 0. S. 25).
Die werthvollste und wichtigste Handschrift ist der Codex der 'Htetoria
naturalis* des älteren Plinius. der erweiterten 'Medicina Plinii' (s. Teuffei,
Geschichte der römischen Litteratur 411, 2) und der Briefe des jüngeren
*'
Plinius aus dem 14. Jahrhundert. Der Schreiber war ein Böhme und
arbeitete wahrscheinlich für den Kath der Prager Altstadt, der die
Handschrift der Bibliothek des Carolinum zum Geschenk machte (Hanslik
a. a. 0. S. 605 f.). Ohne Zweifel dürfen wir sie als die bedeutsamste
Frucht aus der Frühzeit des gelehrten Humanismus auf deutschem
Boden betrachten. Und sie bezeugt selbst durch ihr ferneres Schicksal,
dass von Böhmen ans die Fäden der grossen Geistesbewegung des
ganzen Zeitalters ihren Ursprung nehmen 1538 wurde sie auf Melanch-
:
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— 123 —
Cistercicnscr nnd Kalthäuser zu erfahren. Aber freilich, das Geschick
fast aller KlosterbibliothekenBöhmens war dasselbe: in den Jahren
1419 — 1422 Wuth der fanatisirten Hussiten
fielen sie der bestialischen
zum Opfer, und was damals nicht in Flammen aufgegangen war, ent-
führten oder vernichteten im 7. Jahrhundert schwedische und spanische
1
Soldaten. Wir hören in der Zeit vom Ende des 14. Jahrhunderts und
in den ersten Jahrzehnten des folgenden viel von böhmischen Bücher-
liebhabern, die ihre beträchtlichen Sammlungen den Bibliotheken der
Stiften und Kirchen vermachen oder schenken. 2 ) Allein an Nach-
richten über Umfang und Inhalt derselben fehlt es unter den obwalten-
den Umständen gar sehr.
Die Bibliothek des Prager Domcapitels nennt zwei Hand-
schriften antiker Autoren ihr eigen, deren Herkunft wir einigermassen
fixiren und in Zusammenhang bringen können mit den Anfängen des
Humanismus in Böhmen während des ausgehenden 14. Jahrhunderts:
eine Handschrift von des Macrobius 'Commentarius in somnium Scipionis'
aus dem 12. Jahrhundert und eine Handschrift von Virgils Eklogen,
Georgica nnd Acneidc aus dem 9. Jahrhundert. Beide gehörten nach
einer darin sich findenden Notiz früher — die Pliniushandschrift
1449 — dem Matthias de Gehnyedna Slkornie. Dieser ist, was die-
jenigen, welche bisher die beiden Handschriften beschrieben, ) unter- 1
stitnts 11, 309 ff.) auf Lebenszeit zur Benutzung entliehen im Eintausch
gegen zwei Handschriften desselben Inhalts.'2 ) Vorher gehörte sie einem
Mauricius de Kunicz, den ich loider nicht nachweisen kann, und dieser
hatte sie doppelt corrigirt oder schon doppelt eorrigirt erhalten ('bis cor-
rectus' s. oben S. 122, Anm. 1) So kommen wir in den ersten Anfang des
15. Jahrhunderts wenn nicht gar bis in das 14. zurück als den Zeit-
,
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— 124 —
spätere Eintragung: Virgilii Maronis Poete
'Pubiii laurcati in arte
poctica doctissimi'. am 3. Januar 1414 der Bibliothek des Dom-
Die
capitels testamentarisch vennachte Sammlung des Archidiakons und
erzbischöflichen Generalvicars Adam von Neczetitz enthielt neben
patristisch-scholastischer und canonistischer Litteratur: Macrobius 'De
Somnio', 'Cypriani Epistolae'. Bohemia docta 3, 35).
Iloratius (Raibin,
Bereits 1374 konnte manin Prag sowohl einen Plinius als einen
Cicero zu festgesetzten Preisen, nämlich zu 117 Goldgulden (765 Fl.
Österreich. Währung) kaufen, wie Tomek im zweiten, cechiseh ge-
schriebenen und mir daher unzugänglichen Bande seiner Geschichte
Prags aus Prager Consistorialacten berichtet (Ott, Beiträge zur Recep-
tionsgeschichte 8. 100 Anm. 9).
dem diese werthlos geworden sei, geschehen sein, also wenn ich ihn recht
verstehe, erst geraume Zeit nach 1427. Aber die Sammlung sowohl als die
einzelnen Stücke derselben können bereits vor dem Acte des Einbindens
niedergeschrieben worden sein. Alles käme darauf an, den Notar Wenzel
von Iglau nachzuweisen und seine Lebenszeit zu bestimmen.
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— 125 —
Domcapitels aus dem 13. Jahrhundert (L 96) von einer Hand des
14. Jahrhunderts. Die Rückseite des letzten Blattes enthält in 33
Zeilen ein Vcrzeichniss antiker Autoren und Titel das R. Förster im
,
3, 315 ff.?) 12. Eaetaneius 13. Palponista (Francke, Lat. Schulpoesie S. 75 ff.)
14. Ennius 15. Aurelius maximus l<5. Affrica petrarehe et de vita solitaria
17. Salustius Ib. Paradoxe Tulii 19. Tulius tuscul[an]annn disputatiouum
2U. De VII philosophis cum muliere disputantis (1. disputantibus; lörster ver-
mag den Titel nicht nachzuweisen: es ist der in Weltliteratur weit
verbreitete Roman von den sieben weiseu Meistern) 21. Invective contra
medicum (von Petrarca) 22. Invective coutra quendam magni status et parve
scientie 23. Macrobius de saturnalibus 24. Lncretium 2:». Lucanum 2«. Prn-
dentium yiupnorum et contra heresos (1. haereticos; es ist nicht, wie Förster
glaubt, an die Apotheosis zu denken, sondern das Carmen adversus paganos
gemeint) 27. IMaehearius (1. Platearius) 28. Marcianus (natürlich Martianus
Capella) 29. Cycero in praenoscitis (1. prognosticis Arats Ufjnyvwauxtt in
;
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— 120 —
Zweifel ist erhaben: dies Verzeichnis« hat ein in der humanistischen
Bewegung Stehender angelegt. Es stammt aus der Zeit nach Pe-
trarcasTod, nach der Herausgabe der Africa. Und es rührt aus
einem durch Petrarca beeinflussten Kreise her. Die aufgezählten
antiken Autoren sind gerade diejenigen, deren Kenntniss wir bei
Petrarca nachweisen können (s. die Angaben Körtings a. a. 0. S. 481 ff.).
Ich vermnthe, der Besitzer der Statiushandschrift war ein Verehrer
Petrarcas und trug auf dem letzten Blatt jene Notizen als Lesefrüchte
ein, die er aus den Schriften des Meisters gewonnen hatte. So erklärt
sich die Erwähnuug des Ennius, von dem ja Petrarca oft redet
(Körting a. a. 0. S. 533 und Anm.), der ja auch in seiner Africa er-
scheint, des Aurelius Cotta Maximus, der Aratübersetzung Ciceros.
War der Verfasser der Notizen ein Italiener, etwa ein Mitglied des
Kreises Salutatis? Vielleicht dass einem paläographisch sicher ge-
schulten und erfahrenen Ange der Ductus der Schrift eine Entschei-
dung über die llcimatli liefert. Innere Gründe, auf die ich mich bei
mangelnder Autopsie stützen tnuss, scheinen mir nicht dafür zu sprechen,
dass ein Italiener diese Aufzeichnungen machte. Ein solcher würde
nicht nötliig gehabt haben, sich die Titel der bekanntesten Werke Pe-
trarcas erst schriftlich anzumerken. Was vielleicht niebt aus Petrarca
stammt, Sidonius Apollinaris (11), Palponista (13), Platearius (27),
Nennius (32), die sieben weisen Meister (20), führt eher nach
Böhmen-Milbren als nach Italien. Die sieben weisen Meister werden
bekanntlich während des 15. Jahrhunderts in Deutsehland die llaupt-
quelle der aufstrebenden Prosaerzählungslitteratur, und Sidonius Apolli-
naris wird z. B. in einem Brief der aus Wenzels Kanzlei stammenden
Formelsammlung (bei Friedjung a. a. 0. S. 324) angeführt. Alles in
Allem genommen neige ich mich dazu, den Verfasser der Notizen
1
I) Audi das möchte ich iu Betracht ziehen, dass die Bibliothek des
Prager Doincapitels, die im Wesentlichen den alten Bestand des »
I. und
1."». Jahrhunderts noch jetzt repräsentirt, Petrarcas Africa und von den übrigen
Werken des Verzeichnisses die folgenden besitzt: Valerius Maxinius. Virgilii
Bucoliea, Lactantius. Horatii Epistolac und Camiina, Seneea, Statins, Sallustins
in Catilinain (llirsching. Versuch einer Beschreibung sehenswürdiger Biblio-
theken Teutschlands I. "iu'.i Ü'., wo aber nur Auszüge gegeben sind).
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— 127 —
in den Kreisen der Kanzlei.') Der Böhme Caspar Schlick, Sohu
des Egerer Kaufmanns Heinrich Schlick, der auch in Italien Geschäfts-
verbindungen bc9ass und von dort sich seine Frau geholt hatte, unter
Siegmund, Albrecht und Friedrich Leiter der deutschen Reichskanzlei
und als solcher durch sein Amt wie in seinen humanistischen Neigungen
Erbe und Nachfolger Johanns von Neumarkt, hatte Enea auf dem Baseler
Concil iu sein Bureau gezogen und ihm dann später (1443) ein Secre-
tariat in der Reichskanzlei Friedrichs III. verschafft. Seine Collegen
waren dort die Böhmen Wenzel von Buchau, von dem ein Brief
sich in der Sammlung der Episteln Eneas findet, und der zuerst seine
Briefe abschrieb, sammelte und mit ihnen ein kleines Buchhändler-
Prokop von Rabstein der später (1453) Kanzler von
geschäft trieb,
Böhmen wurde und dessen Bruder Johann von Rabstein, der in
Rom gelebt und sich lange Zeit den Wissenschaften gewidmet hatte,
der mit Cicero, Ovid, Terenz, Horaz vertraut und ein Anhänger der
rhetorischen Künste geworden war, dann nach Böhmen zurückkehrte,
dort „in der glücklichen Müsse der Wissenschaften" sein Leben ver-
brachte und in seinem kirchenpolitischen Dialog Enea als seinem Vor-
bild nachstrebte. Der Kanzlei Siegmunds (1436—1437) und Albrechts
(1438) gehörte auch Johann TuHek aus Patzau an, der 1441 als
Bürger von Prag aufgenommen 1446 —
1451 Protonotar der Altstadt
war und mit Enea in Briefwechsel stand, für ihn in Böhmen littera-
rische Propaganda machte, indem er sich seine neu verfassten Schriften
ausbat, und ihm bei der Ausarbeitung seiner Historia bohemica Hilfe
leistete. Auch am Hofe des König Ladislaus hatte Enea Silvio persön-
liche Beziehungen und der Protonotar der Herren von Rosenberg, der
Häupter der katholischen Partei, Wenzel von Crumlow, an den
Enea 1453 einen freundschaftlichen Brief richtete und der 1454 1459 —
Administrator des Erzbisthums Prag war, hatte seine Episteln in einer
Handschrift (in der Prager Universitätsbibliothek) zusammengetragen. 2 )
Es herschte in der That, wie einer von Eneas Verehrern an ihn schrieb,
in Böhmen das lebhafteste Interesse für seine Person und seine Schriften.
Und auch in Olmütz fanden Johanns von Neumarkt Bestrebungen
Fortsetzung durch den Bischof Protasius von Czernahora (1457
1481), 3 ) der in Italien gebildet, ein Freund des Janus Pannonius
») Vgl. Voigt, Archiv f. Österreich. 'Gesch. 10, 32$ ff. 337 f. Enea
Silvio 1, 284. 2, 353. Wiederbelebung 3 2, 21*5 f.; Ott, Beiträge zur Rcccptions-
geschichte S. 229Anm. 3. —
Es wäre hier auch Pier Paolo V erger io als
ein Bahnbrecher des Humanismus in Deutschland zu nenneu, der ja in die
Kanzlei Sieginunds eintrat und ihm als „Hotdichter und Lateinsecretär*
(Voigt, Wiederbelebung * 2, 275) diente. Aber seine Wirksamkeit hat sich
kaum in Böhmen geltend gemacht.
-) In den Besitz dieses Mannes gelangte übrigens auch die oben
(S. 58) erwähnte Handschrift des 'Scriptum super apocalypsim' (Woltmann,
Quellenschriften zur Knnstgesch. 13, 35): er war offenbar ein Bücherfreund.
) Darf man
3
auf ihn oder die von ihm gegebenen Anregungen die
Herstellung oder wenigstens den Erwerb einiger Handschriften zurückführen,
die bevor sie von den Schweden erbeutet worden waren und mit der Biblio-
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— 128 —
Guarinos Schüler, ein Bewunderer von Vallas Elegantien sich als ein
Gönner und Förderer der humanistischen Studien bewies.
thek der Königin Christine in die Vaticana kamen, der Bibliothek des Olmtitzer
Domcapitels und später der des dortigen Jesuitencollegs gehörten? Alle zu
gleicher Zeit, im 15. Jahrhundert, in Italien geschrieben, alle in Goldeinband
gebunden machen sie den Eindruck, als seien sie für einen Maecen eigens
bestellt gewesen. Es sind: Justins Epitome zu des Pompeius Trogus Historien,
Curtins Rufus, 'Panegyrici diversorum auctorum', Ciceros Verrinnen, Macrobius
'Liber de saturnalibus' (Dudik, Iter Romanum 1, 196 ff.)
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Nachtrüge und Berichtigungen
form das Urtheil in den rein philologischen Fragen der Kritik eines
litterarischen Kunstwerks trübt. Was die Schreiber sprachen und auf-
zeichneten hat an sich sehr grosse Bedeutung, aber es ist für den Her-
ausgeber niemals das letzte zu erstrebende Ziel: das sind nur die
Worte des Dichters.
S. 7. Ueberdie deutschen Stammbücher giebt jetzt reichhaltigen
Aufschluss: Robert und Richard Keil, die deutschen Stammbücher des
16. bis 19. Jahrhunderts. Berlin 1893.
S. 10. Innerhalb des Benedictinerordens, dessen eigentliche
Culturmission mit dem 12. Jahrhundert abgelaufen war, kam es im
15. Jahrhundert von zwei Seiten herauf kurze Zeit zu einer Erneuerung
des wissenschaftlichen Lebens: im Süden von Melk her, wo 1418 unter
dem Abt Nicolaus mit einigen Mönchen aus Subiaco eine Reform ein-
geführt worden war, und im Norden durch die sogenannte 'Bursfelder
Congregation', die seit 1430 durch Männer wie Johann Dederoth von
Minden und Johann Rhode wirksam wurde. Dort wie hier nahm man
nun das Abschreiben von Handschriften wieder als Ordenspflicht auf,
wobei sich auch die Klosterfrauen eifrig betheiligten. Der Einfluss
der Melker Reform traf Baiern und Schwaben: in Tegernsee stellte der
Abt Caspar (1426—1461) die Bibliothek wieder her, indem er alte
Handschriften ankaufte und neue durch Lohnschreiber anfertigen Hess,
in Augsburg erhob sich die Schule von St. Ulrich zu frischem Gedeihen,
wovon dann besonders die 1472 angelegte Druckerei des Klosters
Kunde gab. VgLKämmel Geschichte des deutschen Schulwesens im Ueber-
gange vom Mittelalter zur Neuzeit. Leipzig 1882, S. 37, Wetzer und
Welte Kirchenlexicon 2 II, 790. Einen interessanten Einblick in das
litterarische Leben zu Bnrsfelde eröffnet die von Edward Schröder
(Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 16, 145) be-
sprochene Sammelhandschrift: ein vereinzeltes Denkmal für die Pflege
9
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— 130 —
der heimischen Littcratur, während sonst in der Congrcgation, unähnlich
dem Vorbilde von Windesheim, die Landessprache zurückgetreten zu
sein scheint. Der von Schröder abgedruckte mystisch-asketische Tractat,
theilweise gekleidet in die Form des Gesprächs zwischen Christus und
seiner Braut, der Seele, mischt in merkwürdiger Weise lateinische Rhe-
torik, die oft durch Reime geziert ist, mit Niederdeutsch. Der siebente
Theil des Codex, der ausser 'De iniitaiione Christi' ein niederdeutsches,
geistlich-bänkelsängerisches Gedicht des Jacob von Ratingen auf das
Breslauer Hostienmirakel von 1453 (E. Schröder a.a.O. S. 41 ff.) und
einen Abschnitt aus einer Schrift von Petrarca enthält, ist 1461 in
Halle a. S. von Hildebrand von Hardegsen geschrieben und giebt so
ein beachtenswerthes Zeugniss für den religiösen und wissenschaftlichen
Geist, der in den Stiftern von Halle (Neuwerk und St. Moritz) seit
ihrer Reform durch Johannes Busch, den treuen Schüler von Windes-
heim, d. h. seit 1442 bez. 1447 (s. Hertzberg Geschichte der Stadt Halle.
Halle a. S. 1889. 1, 396 ff.) eingezogen war. Die daraus hervortretende
Fühlung mit der Schriftstellerei des italienischen Humanismus muss
besonders bemerkt werden. Im Uebrigen lässt, worauf Schröder mit Recht
hinweist, ein den alten Bestand enthaltendes Verzeichniss von Hand-
schriften aus Bursfelde, das die Marburger Universitätsbibliothek besitzt,
den geistigen Gesichtskreis der Bursfelder Congregation erkennen. —
lieber die anderen Orden und ihre Reformversuche in Bezug auf Schule
und Bildung seit dem 15. Jahrhundert vgl. Kämme! a. a. 0. S. 37 ff.
Für die Theilnahme der Klosterfrauen an den Handschriftenherstellungen
giebt Wackernagel Literaturgeschichte 2 S. 342, 49. 365, 20. 408, 7.
426, 23- 26. 430, 48 Belege. Edward Schröder hat (Jahrbuch f. niederd.
Sprachforschung 15, 1 ff.) die litterarische Thätigkeit der Benedicti-
nerinnen des Klosters Ebstorf in der Lüneburger Heide für den
Ausgang des 15. Jahrhunderts beleuchtet: Gebetbücher, Predigten,
geistliche Betrachtungen in der Landessprache, lateinische Hymnen mit
Interlinearversionen, ein lateinisch-deutsches Vocabularium, vor allem
aber einige Bruchstücke eines Gedichts der Heldensage (Virginal) und
ein geistliches niederdeutsches Liederbuch.
S. 13. Schönbach macht mich aufmerksam auf die von ihm
Zeitschrift für deutsches Alterthum 20, 136 bemerkte Handschrift
des Welschen Gastes, die 1250 'Jacobus abbas monasterii Mosa-
censis' gekauft oder hatte anfertigen lassen.
S. 17. Mein Einwand gegen die von Oechelhäuser erschlossenen
verlorenen handschriftlichen Zwischenglieder wird jetzt gestützt durch
den von Neuwirth (Repertorium für Kunstwissenschaft 16, 76 ff.) an
böhmischen Miniaturen geführten Nachweis, dass im späteren Mittelalter
die Arbeit des Schreibers und Illuminators nicht in einer Hand lag,
vielmehr meistens drei Phasen für die Herstellung der Bilderhandschrift
unterschieden werden müssen : die Thätigkeit des Schreibers, die An-
gaben einer zweiten Person für die Ausführung der Miniaturen und
Rubrication, die Malerei des Illuminators. Vgl. auch den Aufsatz von
Berger und Dnrrieu im 53. Band der Mömoires de la Sociäte nationale
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— 131 —
des Antiquaires (Paris 1893): 'Les notes pour l'enlumineur dans les
manuscrits du moyen äge'.
S. 20 ff. Uebcr das Lumen animae hat jetzt Keuffer im Centrai-
blatt für Bibliothekswesen 9, 249 ff. Nachweisungen und Vermuthungen
gegeben, die mir mehr zu verwirren als zu klären scheinen. Ohne hier die
an das interessante Werk sich knüpfenden Fragen lösen zu wollen, möchte
ich Folgendes betonen. 1) Der von v. Murr abgedruckte Prolog muss
die Grundlage aller Untersuchung sein. Er berichtet, dass die Com-
pilation zur Zeit Johanns XXII. in Avignon verfasst ist mit Unterstützung
von drei Hilfsarbeitern im Laufe von 29 Jahren. Er erzählt ferner,
dass die Arbeit bereits vor ihrer Vollendung an die Oeffentlichkeit ge-
langt und in dieser unfertigen Gestalt von Johann XXII. gesehen worden
sei, dass Andere ihr einen anderen Titel beigelegt, auch sich die Autor-
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- 132 —
Verbindung zweier selbständiger Theile. Ich mos« wiederholen der erste
:
Theil von 75 Titeln' ist nach einem andern Princip geordnet als
der zweite von 267 'Capitel n\ Die beiden Theile sind ursprünglich
selbständige Werke. Der erste Theil, den im Wesentlichen (mit einigen
Umstellungen und Auslassungen) die Hallische Handschrift wiedergiebt,
ist aber offenbar auch aus verschiedenartigen Bestandtheilen zusammen-
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— 133 —
Ich wies nun daraufhin, dass „Ulrich Putsch den Prolog des Ursprung
liehen Werkes in seinem 'Licht der Seele' mitübersetzt hat." Daraus
ergiebt sich, dass ich jetzt vielmehr annahm, er habe jenen ersten
Theil der von Farinator redigirten Compilation, den die Hallische
Handschrift bietet, übertragen. 6) Das ursprüngliche Werk ist wichtig
für die Geschichte der griechischen Studien an der Schwelle der
Renaissance die drei Hilfsarbeiter des Verfassers (Leo, Amadeus, Seve-
:
rinus) haben nach der Angabe des Prologs bisher noch nicht ins
Lateinische übersetzte Bücher aus dem Griechischen übertragen.
S. 31. Die Entstehung und handschriftliche Verbreitung der
Summa canccllariae Cacoli IV. hat Lulves, Die Summa cancellariae des
Johann von Neumarkt, Berlin 1891, kritisch untersucht (vgl. meine An-
zeige im Literar. Centraiblatt 1892, S. 240). Er unterscheidet vier
Redactionen. Die erste (nur in einer Görlitzer Handschrift erhalten)
besteht aus drei nach einander entstandenen Theilen. 1) Den Grund-
stock bildet eine Zusammenstellung von Privatbriefen mit Angabe des
Empfängers und Absenders, urspünglich nicht für die Oeffentlichkeit
bestimmt, etwa 1375 angelegt. 2) Hiermit verband Johann später Ab-
schriften kaiserlicher Urkunden, die er zu Formularen zustutzte, indem
er alles Persönliche (Datum, Namen der Adressaten, Intitulatio etc.)
tilgte, und denen er als Einleitung ein Titulaturen verzeichniss vorsetzte.
In dieser Gestalt ward die Sammlung zuerst weiter verbreitet, wahr-
scheinlich unter befreundeten jungen Clerikern, die in der Kanzlei an-
gestellt waren. 3) Bald danach fügte der Hofkanzter als dritten Theil
einen Nachtrag von Privatbriefen hinzu. Später arbeitete er sein Werk
in einer vermehrten zweiten Redaction um, die, ohne die alte Disposition
ganz aufzugeben, den Stoff nach sachlichen Kategorien umordnete und
in sieben Handschriften auf uns gekommen ist, von denen mehrere
wahrscheinlich in der Prag er Hofkanzlei hergestellt sind. Diente
schon die zweite Ausgabe den Zwecken des Kanzleigebrauches,
so suchte diesen eine dritte Bearbeitung, die nicht vom Kanzler selbst
herrührt und in fünf Handschriften erhalten ist, durch systematische
Anordnung noch mehr nachzukommen. Nachdem so für die kaiserliehe
Kanzlei gesorgt war, stellte auf Anregung Johanns einer seiner Notare,
nicht Johann von Gelnhausen, vielleicht aber sein Officiant Sander, für
die in Olmütz ein ähnliches Werk her, das aus
bischöfliche Kanzlei
der zweiten und dritten Redaction schöpfte, daneben Urkunden und
Briefe Johanns aus dem Olmützer Archiv und schon benutzte Ab-
schriften der kaiserlichen Kanzlei heranzog, wahrscheinlich erst nach
Johanns Tod (1380) vollendet ward und in zwei Handschriftep über-
liefert ist: die vierte Redaction. Diese letztere liegt in der oben
wiederholt herangezogenen Klagenfurter Handschrift vor, welche Lulves
a. a. 0. S. 109 im Gegensatz zu Tadra nicht für eine von Johann selbst
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— 134 —
von Johanns äusserem Leben. Die universelle geschichtliche Bedeutung
des Hofkanzlers für die Wandlungen de9 geistigen Lebens seiner Zeit
hat der Verfasser nicht erkannt.
8. 34, Z. 26 lies 's. die Anmerkung 2\
S. 41 und Anm. 2 (vgl. S. 50 f.). lieber Matthaeusvon Krakau
hat Sommerlad eine Monographie geschrieben (Hallische Inaugural-
dissertation 1891), die sich leider auf Darstellung des äusseren Lebens-
ganges und ein Verzeichnis« der ihm beigelegten Schriften und ihrer
handschriftlichen Ueberlieferung beschränkt. Die anziehende und höchst
lohnende Aufgabe, durch eindringende kritisch -philologische Unter-
suchung von Inhalt, Stil und Sprache das sicher echte Eigenthum
aus den unter seinem Namen gehenden Werken zu ermitteln und auf
Grund desselben ein abgerundetes Gesammtbild seiner litterarischen
Leistungen wie seiner Stellung innerhalb der Reformationsbestrebungen
des Zeitalters aufzustellen, hat der Verfasser kaum angerührt. — Für
des Matthaeus Biographie verwerthet Sommerlad auch die oben heran-
gezogene Angabe in der Supplik Karls IV. (S. 8. 13). Er fasst in
'Matthaeo notario de Cracovia' das 'notario' als Familiennamen und ver-
weist auf eine Krakauer Urkunde von 1380, in der Matthäus vorkommt
als 'dictus notarii'. Dadurch wird meine oben geäusserte Annahme,
Matthäus habe bereits in Prag der Kanzlei angehört, hinfällig. Sommer-
lad irrt übrigens, wenn er S. 26 sagt; 'Thatsache bleibt, dass wir seit
1391 nichts mehr von Matthäus in Prag hören. Die von mir oben
benutzte Urkunde zeigt ihn noch am 7. October 1392 in Prag. — Zu den
von Sommerlad verzeichneten Handschriften ist nachzutragen was sich
in ehemals böhmischen Handschriftensammlungen befindet, die später
nach Schweden und Italien gekommen sind. So zu S. 69 eine Hand-
schrift in Lund (14. Jahrhundert): 'Libellus bonus de puritate consciencie
et mundicia cordis' etc. (Dudik, Forschungen in Schweden für Mährens
Geschichte. Brünn 1852, S. 367, Nr. 8); ferner in der Vaticana eine
ans Nicolsburg stammende. 1434. 1435 in Mähren geschriebene Mis-
cellanhandschrift mit einem anonymen 'Tractatus de arte moriendi'
(Dudik, Iter Komanum 1, 193); endlich ein von Sommerlad nicht
erwähntes Werk in einer Handschrift (15. Jahrhundert) der Universi-
tätsbibliothek zu Upsala: 'Leetura Mag. Matthic de Caracovia (so!)
Episcopi Wormaciensis super Beati imaculati' etc. (Dudik, Forschungen
in Schweden S. 319, Nr. 6). Dazu kommen mehrere Handschriften
der Braunschweiger Stadtbibliothek, die in Nentwig's Katalog (Wolfen-
büttel 1893) als Nr. 48, 13. 82. 85, 2. 86, 9. 107, 38 verzeichnet und
im Register falschlich auf drei Verfassernamen vertheilt sind.
S. 45 stehen die Anmerkungsziffern falsch.
S. 48 ff. Meine Darstellung lässt nicht klar genug erkennen, dass
die Verwandlung der Reichskanzlei in ein königliches Hofamt und die
wachsende Bedeutung des Hofkanzlers bez. Protonotars bereits unter
Friedrich I. ihren Ursprung hat und dass unter Karl IV. dieser längst
entschiedene Proccss nur legalisiert und codificirt wurde (s. R. Schröder,
D. Reehtsgesch. S. 471 ff.).
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— 135 —
S. 50.Bei der Niederschrift der obigen Bemerkungen über die
Ars moriendi kannte ich noch nicht die Untersuchung von Falk: 'Die
deutschen Sterbebüchlein'. Köln 1890 (vgl. auch Centralbl. f. Bibl. 7,
308 ff.) Er hat zuerst scharf das ursprüngliche anonyme Werk gesondert
von der umfänglichen Schrift 'Speculum artis bene moriendi', die mit
Benutzung der alten Ars entstanden ist, dem Cardinal Capranica zuge-
schrieben wird und nach dem Zeugniss der italienischen Ausgaben 1452
publicirt sein soll. Der Kölner Druck des Ulrich Zell von 1470 sowohl
als die Handschrift der Breslauer Universitätsbibliothek, welche als
Autor Matthäus von Krakau anführen, enthalten das Speculum artis
bene moriendi und nicht die Ars (s. Falk a. a. 0. S. 83, Sommerlad
Matthäus von Krakau S. 66). Wenn nun Sommerlad für diese Schrift
die Verfasserschaft des Matthäus fallen lässt, aber 'gar keinen Grund
des Zweifels' daran sieht, dass der 'unbekannte Verfasser der alten
berühmten ars moriendi eben Matthäus' ist (a. a. 0. S. 67), so macht
er einen wunderlichen Trugschluss. Für die alte Ars wird ja der Name
des Matthäus nirgends bezeugt und dass er für das Speculum moriendi
fälschlich bezeugt ist, kann doch nimmermehr eine Veranlassung
sein, ihm das ältere Buch zuzuschreiben. Sommerlads Versuch, aus
den Gedanken und der Darstellungsform der Ars Uebereinstimmungen
mit Schriften des Matthäus und darauf hin ihn als Verfasser nachzu-
weisen, erscheint mir viel zu flüehtig. Anderseits möchte ich aber die
Frage aufwerfen steht es denn wirklich fest, dass der Cardinal Capranica
:
jenes Speculum verfasst und nicht etwa bloss redigirt hat? Ebensogut
wie nachweislich im 15. Jahrhundert deutsche Kupferstiche von italie-
nischen Künstlern nachgebildet worden sind (Lehrs, Jahrb. der kgl.
preussischen Kunstsammlungen 12,125 ff.), könnte auch der italienische
Cardinal ein deutsches Opus bloss bearbeitet haben. Falks Datirung
des alten Werks: nicht vor 1408 hat viel für sich, da die Beziehung
zu dem 'Opusculum de praeeeptis decalogi, de confessione et de arte
moriendi' von Johann Gerson (um 1408) und auch ein Zusammenhang
zwischen der lllustriiung der Ars moriendi und der Aufforderung Gersons,
seine Lehre auf Tafeln anzuheften, eine gewisse Wahrscheinlichkeit
beanspruchen darf. Ausgemacht ist sie keineswegs und nur philologische
Untersuchung kann über das Verhältniss der Ars zu Gersons Tractat
Klarheit verschaffen. —Als das Original der Illustrationen der Ars
moriendi hat Lehrs (Jahrbuch der kgl. preussischen Kunstsammlungen
11, 161 ff.) zweifellos die Oxforder 11 Kupferstiche aus der Frühzeit
des Meister E. S. nachgewiesen, jenes oberrheinischen, vielleicht Breis-
gauer Künstlers, der als ein Vorläufer von Schongauer erscheint und im
Anfang seiner Laufbahn stark von niederländischen Einflüssen berührt
ist (vgl. über ihn Lützow, Geschichte des deutschen Kupferstichs und
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xylographischen Ars moriendi (im Britischen Museum zu London)
in den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts, welche für alle an-
dern xylographischen und typographischen Ausgaben als Vorbild
.
gedient hat.
S. 58. Die Miniaturen in den Handschriften König Wenzels
bespricht eine lehrreiche, mit prachtvollen Reproductionen ausgestattete
Abhandlung Julius v. Schlossers in dem Jahrbuch der kunsthistorischen
Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses. Band 14, 214 ff. Wien 1893.
Vgl. auch Neuwirth. Repertorium für Kunstwissenschaft 16, 76 ff.
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— 137 —
varum contra procacem et ignarura papae medicum libri quattuor 3) Liber
;
cas, die sonst gewöhnlich 'De contemptu mundi' genannt wird (s. Körting
Petrarca S. 649), ist in diesem Zusammenhang sehr am Platze. Auch
die auf die Summa cancellariae folgende, von abweichender Hand ge-
schriebene 'Epistola ad dementem papam sextum Rom. pont. fugiendam
medicorum superbiam' hat Petrarca zum Verfasser: es ist der Brief
Epist. fam. V, 19 (Fracassetti 1, 8. 299 ff.) aus dem Jahr 1352 (s.
Körting Petrarca 626, Fracassetti Adnotationes S. 104 ff.). Die Hand-
schrift der Summa cancellariae der Leipziger Stadtbibliothek lässt auf
sie eine ganze Reihe humanistischer Schriften folgen (a. a. 0. S. 31):
Hymnus Aeneae Sylvii Senensis poetae laureati ad emendationem humanae
vitae de passione domini; Leonardi Aretini ad Colucium Salutatum;
Basilii libellus ad adolescentes, quomodo possint ex gentilium libris
fructum capere, in latinum sennonem traductus per Leonardum Aretinum
Aeneae Sylvii [ad cancellarium Caspar. Slick, magistrum Franciscum
de Fuste, de Ladislao rege, scr. anno 1443 etc.], Poggii, Juliani Cardinalis
S. Angeli et Francisci Petarchae epistolae; Aeneae Sylvii Historia
amorum Sigismundi [De amore Lucretiae et Eariali] anno 1444 conscripta.
Die Niederschrift der Summa cancellariae in diesem Codex setzt Lulves mit
grosser Bestimmtheit aus paläographischen Gründen noch in das 'letzte
Viertel des 14. Jahrhunderts, aber eher früher als später' (a. a. 0. S. 106)
und vermuthet als Entstehungsort die Kanzlei des Olmützer Bischofs
(a. a. 0. S. 108). Die übrigen Theile der Handschrift stammen, wie ihr
Inhalt und ihre Datirungen zeigen, frühestens ans der Mitte des
15. Jahrhunderts. Die Einzeichnung auf Bl. 5 'e bibliotheca Georgii
Bartholdi Putani a Braitenberg, praepositi Pragensis' (Aemil. G. Rob.
Naumann, Prodromus et specimen catalogi librornm manuscr. qui in
bibliotheca senatoria civitatis Lipsiensis asservantur. Grimmae 1837,
S. 205) weist nach Prag. Johanns Cancellaria blieb das Lehrbuch
in den humanistisch gesinnten Kreisen böhmischer Kanzleibeamten noch
zwei Menschenalter nach seinem Tode. Der Geist Petrarcas hatte
seine und seiner Schüler Epistolographie bestimmt und so konnte sie
an der späteren Einführung der neuen Eloquenz eines Coluccio Salutati,
Enea Silvio, Leonardo von Arezzo, Poggio noch mitarbeiten.
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