Analisis Pormenorizado de Cronopios en Aleman
Analisis Pormenorizado de Cronopios en Aleman
Analisis Pormenorizado de Cronopios en Aleman
1.0. Einleitung
Der Hinweis auf den poetischen Charakter der Historias de cronopios y famas gehört
zu den Selbstverständlichkeiten der Cortázar-Forschung.1 Die Semiotik bietet für die-
ses in den meisten Fällen intuitiv gefällte Urteil eine wissenschaftliche Argumenta-
tionsbasis. Hierzu bedarf die linguistische Definition der poetischen SpracA-Funktion
bei Jakobson 2 allerdings der Ergänzung durch ihre Einbettung in einen Ansatz der
allgemeinen Semiotik im Sinne der Trans-Linguistik.3 Wenn es richtig ist, die Er-
richtung eines Galgens in einem Vorgarten der Calle Humboldt (CF 33ff.) 4 , die Ver-
wendung bunter, in Stücke geschnittener Gartenschläuche zum Seilchenspringen (CF
130f.), die Einführung des Rumänischen als allgemeiner Verkehrssprache des argen-
tinischen Staatsrundfunks {CF 139f.) oder den Handel mit »gritos y palabras« (CF
103) poetisch zu nennen, so nicht, weil diesen Geschichten Texte entsprechen, die auf
der materiellen Ebene der Sprachverwendung dominant »poetische« Strukturen auf-
weisen, sondern weil die Welt der Cronopien selbst - nicht nur die Sprache, mit der
sie bzw. ihr Autor über ihre Welt zu sprechen pflegen - sich als eine Welt von Zei-
chen präsentiert. Poetisch ist das Tun und Treiben der Cronopien deshalb, weil sie die
Wirklichkeit - allerdings in Analogie zur 'Sprache' - als provisorische, arbiträre Zei-
chen-Welt erfahren, als eine Welt mithin, deren scheinbare Objektivität nur im Hin-
blick auf die spezifischen Fähigkeiten der menschlichen Subjektivität zur Schaffung,
Bewahrung und Veränderung von Zeichensystemen jedweder Art5 zu bestimmen ist.
Das schmale Bändchen der Historias de cronopios y famas6 besteht aus einer Viel-
zahl kurzer Prosatexte, unterteilt in vier Kapitel. Schon das Inhaltsverzeichnis bzw.
1 Vgl. Coulson 1981 (1976); Filer 1970: 121ff.; Pagés Larraya 1972: 277ff.; Durfn 1972 (1965).
2 Vgl. Jakobson 1972.
3 Die Forderung nach Transzendiemng und Öffnung des linguistischen Instrumentariums in Richtung auf den Ge-
samtbereich der Kultur - u.a. eine Folge der Bachtin-Rezeption der 70er Jahre - ist mittlerweile Gemeingut der
»Literatursemiotik«. Vgl. Kristeva 1969: 143ff.; Kloepfer 1975; Todorov 1981.
4 Wir zitieren die folgende Ausgabe: J. Cortázar Historias de cronopios y famas. Ediciones Minotauro, Buenos Ai-
res, 10. Auflage 1976.
5 Zum Begriff der »Semiosefähigkeit« vgl. Kloepfer 1975: 30.
6 An philologischen Versuchen, das arbiträre Eigenleben der Neologismen, die die Protagonisten der Historias be-
zeichnen, zu »erklären«, hat es natürlich nicht gefehlt So weist J. Foicat darauf hin, daß »la correcta interpretación
de 'cronopio', desde el punto de vista etimológico, [es] 'opio del tiempo', mediante la descomposición de 'cronos',
tiempo, y 'opio', en su acepción argentina, aburrimiento, cansancio« (zitiert nach Filer 1970: 133). Daß die
»significación de este personaje de ficción« auf die Konnotierung von »Erschlaffung« und »Müdigkeit« hinauslau-
fen solle, ist nun allerdings eine Deutung, der auch die oberflächlichste Lektüre der Texte widerspricht Näherlie-
gend scheint uns, beim Anagramm »cronos« und »opio« in /cronopio/, der Gedanke an die die gewöhnliche Wahr-
nehmung der Zeit außer Funktion setzenden »paradis artificiéis« von Baudelaire. - Leichter scheint die Deutung
der beiden anderen Titelfiguren: So realisieren die »Famen« ikonisch die ihr Verhallen charakterisierende Hörig-
keit gegenüber den Codes des gesellschaftlichen Lebens, während der Titel »esperanza« umgekehrt im ironischen
Kontrast steht zur Hoffnungslosigkeit der durch Konformität gegenüber den Codes ausgezeichneten sozialen Phy-
siognomie der »Esperanzen«.
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die Titel der einzelnen Kapitel deuten auf die 'semiotische' Inspiration der Sammlung:
»Este libro contiene el surtido siguiente [...]« (CF 7) Das Buch präsentiert die Welt
der Cronopien - d.h. die phantastische Welt der Poetik1 Cortäzars - in der Tat als
»Sortiment«, als jedermann frei verfügbare, nach Lust, Belieben und Bedürfnis mani-
pulierbare Datenbank von Zeichen. Die List der kreativen Poetik beginnt jedoch be-
reits bei den Titeln. Der durch den Ausdruck »surtido« sowie die klare thematische
Gliederung der Texte hervorgerufenen Erwartung von Ordnung entspricht in den
Texten in Wirklichkeit ein verwirrendes Sortiment von Unordnung: Während die Ti-
tel nur einen einzigen Aspekt der Zeichenwelt beleuchten - Manual de instrucciones
den der Kodifiziertheit, Ocupaciones raras den kreativen Umgang mit den Zeichen,
Material plästico den Primat des Zeichenkörpers -, erscheinen in den den einzelnen
Kapiteln zugeordneten Texten zugleich auch die anderen Aspekte nach wechselnder
Dominanz. So besteht Manual de instrucciones in der Hauptsache gerade aus norm-
brechenden Anti-Instruktionen, ist insofern ein beständiger Prozeß der Deautomati-
sierung des Zeichenkörpers als solchem, und erscheint die normbrechende Funktion
der Ocupaciones raras nur vor dem Hintergrund der in den Texten mit ebensoviel
Gewicht repräsentierten semiotischen Norm. Ahnlich läßt sich auch im Hinblick auf
die Protagonisten der Texte argumentieren: Cronopien, »esos objetos verdes y hüme-
dos« (CF 114) - Verkörperung des dem sozialen Code gegenüber sich Geltung ver-
schaffenden individuellen Lustprinzips - erscheinen nicht nur im kurzen letzten Ka-
pitel, das ihren Namen trägt, sondern sind gegenwärtig ebenso im Subjekt des Verfas-
sers des Manual wie in den Mitgliedern der famosen, sich den Ocupaciones raras
hingebenden Familie der Calle Humboldt.
Ordnung zu schaffen im chaotischen Reich der Erscheinungen bleibt indessen die
(prekäre) Aufgabe der Wissenschaft. Versuchen wir deshalb - anhand exemplarischer
Texte -, die Welt der Cronopien systematisch zu beschreiben.
7 Kloepfer hebt den kreativen Aspekt der Poetik durch die provokativ etymologische Ubersetzung »Mache« hervor;
vgl. Kloepfer 1975: 30.
8 Der Begriff des Unbewußten ist vielfältig und schillernd. So gehört die These vom unbewußten Funktionieren der
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»langue« zu den Fundamenten des Saussureschen SprachbegrifTs (vgl. Saussure 1985: 38, 178ff.). Der Begriff des
Unbewußten selbst dagegen wird von Saussure nicht weiter problematisiert Das Unbewußte hat seine Entspre-
chung im Uberindividuellen, »kollektiven« Charakter der übrigen »Institutionen« des gesellschaftlichen Lebens.
Der orthodoxe Freudianismus seinerseits bestimmt das Unbewußte durch die Topik spezifischer Inhalte - »Trieb-
repräsentanzen«, die »nach Überwindung von Widerständen dem Bewußtsein zugänglich werden« (La-
planche/Pontalis 1973: 563). Das Unbewußte wird von Freud also nach wie vor gedacht im Schematismus einer
»métaphysique de la présence«. Demgegenüber heißt es bei Deirida: »[...] l'inconscient n'est pas, comme on sait,
une présence à soi cachée, virtuelle, potentielle. Il se diffère, cela veut dire sans doute qu'il se tisse de différences
et aussi qu'il envoie, qu'il délègue des représentants, des mandataires; mais il n'y a aucune chance pour que le
mandant 'existe', moins devienne conscient En ce sens, contrairement aux termes d'un vieux débat, fort de tous les
investissements métaphysiques qu'il a toujours engagés, l'inconscient' n'est pas plus une 'chose' qu'autre chose, pas
plus une chose qu'une conscience virtuelle ou masquée.« (Deirida 1972c: 21) Als »altérité radicale« (ebd.) ist das
Unbewußte vielmehr »un passé qui n'a jamais été présent« - »la trace et l'énigme de l'altérité absolue: autrui« (ebd:
22) mithin im Sinne von E. Lévinas. (Vgl. auch Derrida 1967: 99f.) Desgleichen verbietet es sich, den Begriff
eines »Unbewußten der Sprache« im Sinne eines Strukturalismus Lévi-Strausscher Prägung zu denken, wenn uns
auch eine Kritik an Lévi-Strauss überspitzt scheint, die in der Verwendung des Ausdrucks 'unbewußt' »nichts
anderes« sieht als die Applikation eines (axiomatischen) »Grundsatz(es), der, einmal erkannt und damit präsent
gemacht, den Ausgangspunkt für ein System bildet, das dem Kalkül in toto zugänglich ist«, wie H. Lang aus der
Sicht der Psychoanalyse J. Lacans heraus formuliert (Lang 1973: 277).
9 Zur Bedeutung des Begriffs im Rahmen der Linguistik, vgl. Weinrich 1976: 113 u.ö.; im Rahmen der Literaturse-
miotik vgl. Cervenka 1978: 168.
10 Vgl. die ausführliche Erörterung dieses Zentralbegriffs des Russischen Formalismus bei Kloepfer 1975: 46ff. u.ö.
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als auch - der Gefahr der Homonymie mit dem Lächeln wegen - in syntaktischer Hin-
sicht.
Der zweite Abschnitt versucht die Dissoziierung von Zeichenkörper und Bedeu-
tung folglich auf dem genau entgegengesetzten Weg zu vollziehen. Während das
Weinen im allgemeinen nämlich als fraglos hingenommene Manifestation eines be-
sonderen, durch das Zeichen der Tränen indizierten Inhalts - etwa eines tiefen per-
sönlichen Schmerzes oder einer individuell empfundenen Notsituation - gilt, geht der
Text nun umgekehrt von diesem, durch den Begriff des Weinens vorausgesetzten In-
halt aus und fragt nach der äußeren Manifestation dieses Inhalts durch das korrekte
Zeichen des Weinens:
»Para llorar, dirija la imaginación hacia usted mismo, y si esto le resulta imposi-
ble por haber contraído el hábito de creer en el mundo exterior, piense en un pato
cubierto de hormigas o en esos golfos del estrecho de Magallanes en los que no
entra nadie, nunca.« (Ebd.)
Die metatextuelle Instruktion dieses, durch die soziale Konvention nicht länger
vorgegebenen Weinens weist jedoch ins Leere. Es entspricht ihr kein (textuelles)
'Objekt': Gibt es ein »Weinen«, das der reductio ad mortem - bzw. der reductio ad in-
dividuum - des sozialen Charakters des Zeichens adäquat 'Ausdruck' zu verleihen
vermöchte?
Der dritte Abschnitt insistiert infolgedessen auf der - im Sinne der vorausgegange-
nen Entwicklung nurmehr ironisch zu verstehenden - konventionellen Instruktion des
Weinens:
»Liegado el llanto, se tapará con decoro el rostro usando ambas manos con la
palma hacia adentro. Los niños llorarán con la manga del saco contra la cira, y de
preferencia en un rincón del cuarto. Duración media del llanto, tres ir.inutos.«
(Ebd.)
dritten Mal liest und auf dem Heimweg »medio kilo de acelgas« (ebd.) drin ein-
schlägt, aktualisiert auf diese Weise eine weitere - latente - Bedeutung des Signifiant
/hojas impresas/, und zwar als »Packpapier«.
Die Dissoziierung von Bedeutung und Bedeutungsträger mittels der deautomatisie-
renden pragmatischen Dimension der Zeichen ist auch das Prinzip des folgenden
Textes.
Das Schauergerüst, das sie aufzustellen beschließen, ist mit allen Stereotypen ein-
schlägiger Westem- und Horrorromantik überstrukturiert:
- der Vollmond:
»'Empezaremos con la luna llena', mandó mi padre.« (CF 34)
- das Heulen der Wölfe:
»[...] mis hermanas se quedaban en la sala practicando el aullido le los lobos [...)«
(Ebd.)
- die Requisiten des Gruselkabinetts:
»[...] mi tío el mayor [...] discutía con mi madre y mi tío segundo la variedad y
calidad de los instrumentos de suplicio. Recuerdo el final de la discusión: se de-
cidieron adustamente por una plataforma bastante alta, sobre la cual se alzarían
una horca y una rueda, con un espacio libre destinado a dar tormento o decapitar
según los casos.« (CF 35)
- das Ritual des geistlichen Beistandes:
»[...] dejamos terminada la plataforma y las dos escalerillas (para el sacerdote y el
condenado, que no deben subir juntos)« (ebd.);
- als »Totale« das Galgenprofil im Abendschein:
»[...] entre el solferino y el malva del atardecer ascendía el perfil de la horca [...]«
(CF 36);
- Indizien des Schreckens: die balancierende Schlinge, das Quietschen des Rades, das
Krächzen der Raben:
»Una brisa del norte balanceaba suavemente la cuerda de la horca; una o dos
veces chirrió la rueda, como si ya los cuervos se hubieran posado para comer«
(CF 37);
- und schließlich - als Krönung des Werkes - die Perspektive des den Schrecken in
wohlige Plüsch-Romantik aufhebenden Genusses:
»Después del café apagamos la lámpara para dar paso a la luna que subía por los
balaústres de la terraza [...] En el silencio que siguió, la luna vino a ponerse a la
altura del nudo corredizo, y en la rueda pareció tenderse una nube de bordes pla-
teados.« (Ebd.)
Während die Erbauer nach vollbrachter Tat sich in stiller Kontemplation dem äs-
thetischen Genuß ergeben, rotten sich jenseits des Gartenzauns Gruppen von Nach-
barn und Anwohner zusammen, lassen ihrer moralischen Entrüstung freien Lauf und
rufen die Hüter von Sitte und Ordnung herbei. Die Aufregung ist verständlich: Die
Funktion des 'Werkes' im Hinblick sowohl auf den realen als auch den fiktiven Signi-
fiant des »code pénal« ist der der Ent-pragmatisierung. Auf der Grenzscheide gelegen
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zwischen privater und Öffentlichkeitssphäre, ist der friedliche Vorgarten der Calle
Humboldt ebensoweit entfernt von der öffentlichen Privatheit der Gefängnismauern
wie von der privaten Öffentlichkeit des Vorstadtkinos. Durch die Transposition des
bloßen Signifiant in einen inadäquaten pragmatischen Kontext verwandelt sich der
Vorgarten in die potentielle Schaubühne (»plataforma«) kleinbürgerlicher Hypokri-
sie. Der Signifiant vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit bzw. harmloser Abendunter-
haltung offenbart den entsetzten Bürgern den - in beiden Systemen - verdrängten Si-
gnifié der Gewalt. Nur die geschickte Berufung auf das unwiderlegbare Fiktionali-
tätsprivileg der Kunst,12 verbunden mit dem diskreten Hinweis auf das Prinzip des
Privateigentums, das die Schwester des Erzählers dem Polizisten entgegenhält, rettet
die Situation:
»[...] no le fue difícil convencerlo de que trabajábamos dentro de nuestra proprie-
dad, en una obra que sólo el uso podía revestir de un carácter anticonstitucional, y
que las murmuraciones del vecindario eran hijas del odio y fruto de la envidia.«
(CF 36)
12 Zum Begriff der Fiktion vgl. die textwissenschaftliche Grundlegung bei Landwehr 1973; zum geistesgeschichtli-
chen Rahmen des Begriffs vgl. Assmann 1980.
13 Vgl. die an Peirce anschließende Erörterung des Begriffs bei Eco 1972: 76ff.; zur Verwendung des Begriffs bei J.
Lacan (1966: 502) vgl. H. Lang 1973: 234ff.
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Rolle. Der Text scheint von der kulturellen Bedeutung des Treppensteigens zu ab-
strahieren und erhebt die durch die aufsteigende Stufenfolge einer Treppe bedingte
physische Bewegung des Treppensteigens zum Gegenstand der Beschreibung.
Gewiß sind Glanz- bzw. Wildlederschuhe oder die genau auf die Normalgröße ei-
nes menschlichen Fußes zugeschnittene Tiefe des Treppenabsatzes kulturelle Indi-
zien: Wir ersteigen offenbar eine Treppe des 20. Jahrhunderts. Ihre Benutzer sind
keine Maya-Priester, sondern Angehörige der sogenannten westlichen Kultur. Aber
diese Indizien sind nicht Thema des Textes. Dieses ist vielmehr von Anfang an das
sprachliche Problem der Beschreibung als solcher: Die Verknüpfung von Signifiant
/subir una escalera/ mit dem Signifié einer entsprechenden Körperfunktion ist im
Rahmen einer gegebenen Kultur normalerweise durch die Motorik des Ablaufs der
physischen Bewegung automatisiert. Wie der Tanz durch Verzögerung und Stilisie-
rung bzw. der Film durch Naheinstellung und Zeitlupe den physischen Signifiant der
Bewegung, so versucht der vorliegende Text den Wortkörper /subir una escalera/ zu
deautomatisieren. Das Problem besteht dann darin, die automatisch durch den Wort-
körper hervorgerufene Vorstellung sprachlich zu verfremden, d.h. den scheinbar evi-
denten Begriff neu zu definieren. Der Text beginnt folglich mit der Definition der er-
sten semiotischen Ebene des Treppensteigens (s.o.!) - der Definition der Architekto-
nik einer Treppenstufe:
»Nadie habrá dejado de observar que con frecuencia el suelo se pliega de manera
tal que una parte sube en ángulo recto con el plano del suelo, y luego la parte si-
guiente se coloca paralela a este plano, para dar paso a una nueva peipendicular,
conducta que se repite en espiral o en línea quebrada hasta alturas sumamente va-
riables.« (CF 25)
Folgt im zweiten Abschnitt die Definition der eigentlichen Bewegung:
»Para subir una escalera se comienza por levantar esa parte del cuerpo situada a
la derecha abajo, envuelta casi siempre en cuero o gamuza, y que salvo excepcio-
nes cabe exactamente en el escalón.« (CF 26)
Das eigentliche sprachliche Problem der Verfremdung des Wortkörpers - im vor-
liegenden Fall seine Definition - besteht in der Konstituierung einer vom
»definiendum« unabhängigen Metasprache - oder einfacher: in der Vermeidung von
Tautologien. Das Problem ist dadurch verschärft, daß der Wortkörper einen Prozeß
bezeichnet, besteht doch Treppensteigen gerade in der Wiederholung gleicher Bewe-
gungen mit gleichen Körperteilen. Der Versuch der Verfremdung fällt mithin 'auto-
matisch' zurück in den Fehler, den es zu vermeiden galt - die automatische Subsump-
tion prozeßhafter, mithin heterogener Bewegungen (bzw. Vorstellungen) unter einen
einzigen Begriff (bzw. Wortkörper):
»Puesta en el primer peldaño dicha parte, que para abreviar llamaremos pie, se
recoge la parte equivalente de la izquierda (también llamada pie, pero que no ha
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de confundirse con el pie antes citado), y llevándola a la altura del pie, se la hace
seguir hasta colocarla en el segundo peldaño, con lo cual en éste descansará el
pie, y en el primero descansará el pie. (Los primeros peldaños son siempre los
más difíciles, hasta adquirir la coordinación necesaria. La coincidencia de nom-
bres entre el pie y el pie hace difícil la explicación. Cuídese especialmente de no
levantar al mismo tiempo el pie y el pie).« (Ebd.)
Der Versuch der verfremdenden Beschreibung des Treppensteigens konfrontiert
deshalb unversehens mit einem neuen Problem - der der Sprache eigenen Tendenz
zur Abstraktion, zur Kodifizierung des Einzelnen durch den (allgemeinen) Begriff.
Die Auffassung der Wirklichkeit als semiotisches System, als Inbegriff einer Viel-
zahl von »Instruktionen« - jene Grundthese der Welt der Cronopien - ist mithin keine
unmittelbare. Die Zeichen der Welt sind für das rezipierende Subjekt nicht frei ver-
fügbar. Ihre Vergegenwärtigung im Bewußtsein ist vielmehr gleichbedeutend mit ih-
rer (Re-)Produktion durch ein sekundäres Zeichensystem - dasjenige der (im vorlie-
genden Falle: 'abstrahierenden') Sprache. Das Verhältnis der Sprache der Welt ge-
genüber ist also kein passiv-abbildendes, sondern ein 'produktives'. Diesen Aspekt
der Sprache unterstreichen auch die folgenden Texte.
16 M. Vargas Llosa, die große Altemativfigur zu Cortázar im Bereich der lateinamerikanischen Gegenwartsliteratur,
hat diesen Aspekt in seinen literauirtheoretischen Arbeiten unter dem Stichwort des »elemento añadido« immer
wieder betont. Vgl. Cano Gavina 1972:47; vgl. auch W.B. Berg 1986c.
17 Weinrich 1963: 325ff.
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»No hablaré aquí de la obtención del primer tigre: fue un trabajo sutil y penoso,
un correr por consulados y droguerías, una complicada urdimbre de billetes, car-
tas por avión y trabajo de diccionario.« (CF 49f.)
Die Schwierigkeiten der Familie - wenngleich ihr Tun im Detail betrachtet ebenso
'real' ist, wie die Elemente des Neologismus "kodifiziert' sind - sind denjenigen lingui-
stischer Neuschöpfungen weitgehend analog:
»Posar el tigre no es demasiado difícil, aunque puede ocurrir que la operación
fracase y haya que repetirla; la verdadera dificultad empieza en el momento en
que, ya posado, el tigre recobra la libertad y opta - de múltiples maneras posibles
- por ejercitarla.« (CF 50)
Der Tiger verhält sich mithin wie eines der beiden Elemente des sprachlichen
Kompositums: Das eigentliche Problem besteht nicht in der arbiträren Zusammenfü-
gung der Lexeme, sondern in der Verhinderung ihres erneuten Auseinanderstrebens.
»Posar el tigre« - zu verhindern, »[que] el tigre recobra la libertad« - ist mithin
gleichbedeutend mit dem Problem, den Neologismus zu lexikalisieren:
»Es preciso que el tigre acepte ser posado, o que lo sea de manera tal que su
aceptación o su rechazo carezcan de importancia« (CF 51)
Die Exaltation der Familie angesichts des gelungenen Experimentes hat zur Vor-
aussetzung das Wittgensteinsche Prinzip, demzufolge - wenn die Grenze unserer
Sprache die Grenze unserer Welt markiert - die kreative Überschreitung der kodifi-
zierten Grenzen der Sprache einem kreativen Akt der Erweiterung unserer Welt ent-
spricht:
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gleichgesetzten - Prozeß der Kommunikation (»las palabras y los gritos eran cosas
que en rigor pueden venderse pero no comprarse«) als auch dem Versuch der ideolo-
gischen Inanspruchnahme ihres Signifié durch die Tyrannen (»lo torturaron para que
revelase cuáles hubieran podido ser las últimas palabras del tiranuelo«). Die Sprache
gibt ihre "moraleja" nicht preis. Als Signifiant erweist sie sich der physischen Gewalt
der Generäle überlegen:
»Y se fueron pudriendo todos, el tiranuelo, el hombre, y los generales y secreta-
rios, pero los gritos resonaban de cuando en cuando en las esquinas.« (Ebd.)
24 Wir zitieren die folgende Ausgabe: J. Cortázar: Rayuelo, Editorial Sudamericana, 18. Auflage 1975. Buenos Aires.
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scheint das Thema der kodierten Welt insofern unter ethischem Aspekt. Mehrere
Texte der Sammlung behandeln das Thema in expliziter Form.
Nun hält das Oberhaupt des Clans - »mi tío el mayor« 27 - den Zeitpunkt für gekom-
men, daß die Familie das Publikum bedient, jedoch »con arreglo a sus principios y
predilecciones« (ebd.): Jeder Briefmarkenkäufer erhält einen bunter. Globus ge-
schenkt. Die Geldiiberweiser werden mit Grappa und Fleischpasteten traktiert, und
die Kunden am Paketschalter sehen mit Verwunderung, daß die Beamten die Pakete
vor der Abfertigung teeren und federn. Gaffer und Polizei bleiben schließlich nicht
aus und werden von einer Wolke bunter, aus Telegramm- und Überweisungsformula-
ren und Einschreibebriefen gefertigten Papierschwalben empfangen, die die Mutter
über ihnen ausgießt.
Die semiotische Formel dieses Happenings läßt sich nach folgendem Schema tran-
skribieren:
Signifiant:
Institution »Correos (dto.) (dto.)
y Telecomunicaciones«
pragmatische Ebene:
- Pfichterfüllung - Nepotismus; - Elemente aus A (z.B.
Unbestechlichkeit; Korruption; Pflichterfüllung,
Patriotismus Faulheit Patriotismus)
-Elemente aus B (z.B.
Nepotismus)
plus:
-neue Elemente:
Schnelligkeit;
Selbstverwirklichung
(vgl. »con arreglo a sus
principios y predilec-
ciones«);
Uneigennützigkeit
(vgl. die Geschenke!);
Betonung der appella-
tiven Funktionen des
Zeichensystems (»mi
padre [...] además reci-
27 Zur Funktion des Avunkulats im Rahmen eines »elementaren Verwandtschaftssystems« - dessen karikaturales
Modell die Familie der Calle Humboldt darstellt - vgl. Lévi-Strauss 1974 (1958): 47ff.
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Signifié:
Dienst am Bürger, Bewirtschaftung priva- neue (d.h. lustigere bzw.
an der Allgemeinheit; ter Taschen; (teilweise) lustvolle) Formen
Ziel: soziale Verhinderung sozialer sozialer Kommunikation
Kommunikation Kommunikation;
Resultat: Unlust, Ärger
28 Vgl. Jean Molino: »Fail musical et sémiologie de la musique«, in: Musique en jeu, N* 17 (Jan. 1975). Paris: Ed. du
Seuil; Jean-Jacques Nattiez: »De la sémiologie à la sémantique musicale«, in: Musique en jeu, a.a.O.
29 Nach diesem Schema funktioniert die traditionelle Filmmusik. Vgl. Adorno 1969: 56f.; vgl. auch Th.W. Ador-
no/H. Eisler: Komposition für den Film, 1969.
174
Die Kette der konnotativen Indizien erlaubt in diesem Fall eiie weitgehend präzise
Rekonstruktion der mutmaßlich zugrundeliegenden musikaliscien Syntax: 'Gemeint'
ist offenbar die steinerweichende (»Glas zum Zerspringen bringende«), durch die tra-
ditionellen Gesten der Hoffnungslosigkeit und Verlassenheit üihnengerecht darge-
stellte Sentimentalität spätromantischer Opemmusik.
Weniger eindeutig ist demgegenüber der folgende Satz:
»Si oye (pero esto ocurrirá mucho después) algo como ur paisaje sumido en el
miedo, con hogueras entre las piedras, con siluetas semiiesnudas en cuclillas,
creo que estará bien encaminado, y lo mismo si oye un río p r donde bajan barcas
pintadas de amarillo y negro, si oye un sabor de pan, un taco de dedos, una som-
bra de caballo.« (Ebd.)
Die Rekonstruktion dieses Klangkörpers, der in Gefühle venunkene Landschaften,
bewegte Farben, Geschmacks- und Tastempfindungen sovie vorbeihuschende
Schatten zu hören erlaubt, führt hinein in die synästhetische W:lt impressionistischer
Klanggebilde, bei welchen - der Eindeutigkeit und Konkrethet mancher ihrer Titel
zum Trotz - (vgl. Debussys »La cathédrale engloutie«, »La M;r« etc.) - das Prinzip
der polyvalenten Semantik konstitutives Kompositionselemeit der musikalischen
Syntax geworden ist.
Der letzte, durch eine Leerzeile vom übrigen Text getrennte Satz läßt jedoch auch
diese Phase der Musikgeschichte hinter sich und scheint die inarchistisch-kameva-
leske De- bzw. Rekonstruktion überkommener Formen schle:hthin zum Komposi-
tionsprinzip einer »neuen« (?) Musik zu erheben:
»Después compre solfeos y un frac, y por favor no cante jor la nariz y deje en
paz a Schumann.« (Ebd.)
1.4.4. Destruktion ikonischer Codes (»Instrucciones para enteider tres pinturas fa-
mosas: 'El amor sagrado y el amor profano' por Tziano«)
Die Werke der großen Renaissancemaler haben für die Gesclichte der Neuzeit die
Funktion kultureller Ikone: Der Begriff des »Humanen« - eüu neue Sichtweise des
Menschen, der Natur, der Religion und des gesellschaftlichen Lebens - eThält durch
die Bindung an spezifische Ausdrucksformen (Sujet, Farbe und Perspektive) die
Funktion eines - in der Folge mit der Darstellung der humaren 'Natur' schlechthin
gleichgesetzten - Codes, der bis spät ins 19. Jahrhundert hineii Geltung besitzt. Die
Verfestigung des Codes - als Produkt einer spezifischen Rezeption und Lesart 30 -
steht indessen in seltsamem Widerspruch zur Ratlosigkeit dei Kunstgeschichte, die
genaue Bedeutung einzelner Gemälde zu entschlüsseln. So heiße es in einer populären
30 Zur Bedeutung der Allegorie in Literatur und Kunst vgl. J. BurckhardL Die Cultui der Renaissance in Italien, 2.
Auflage 1869: 322ff.
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Sammlung, die eine Abbildung des Gemäldes enthält, das den Anlaß für den vorlie-
genden Text gebildet hat:
»Die Kunstgeschichtsschreibung hat lange Zeit versucht, den Inhalt dieses Ge-
mäldes, das von Licolö Aurelio in Auftrag gegeben und in den Jahren 1515-1516
ausgeführt wurde, zu deuten.«31
Mit anderen Worten: Es ist der Kunstgeschichte bis heute nicht gelungen, eine ein-
deutige Bedeutung des Bildes zu ermitteln. Hiermit ist der Kunsthistoriker natürlich
nicht am Ende seines Lateins. Er verlegt sich auf die Methodik der Archäologie und
beschreibt die angeblich objektive Struktur seines Fundes, d.h. den Signifiant:
»Tizians klassische Farbskala wird jetzt durch die offene und weite Landschaft
und die auf die ruhende Natur abgestimmten Farben außerordentlich lebendig.«
Cortázars Text destniiert nicht nur die sterile Sophistik einer gewissen Kunstge-
schichte, sondern stellt darüberhinaus ein allgemeines semiotisches Prinzip in Frage,
demgemäß sich das ikonische Zeichen gegenüber dem (symbolischen) Sprach-Zei-
chen durch die Eigenschaft »geringerer Kodebedingtheit«, mithin »größeren Wahr-
heitsgehalt(es) und größere(r) Verständlichkeit«32 auszeichnet. Im Vorgriff auf die
Skepsis Oliveiras gegenüber dem Maler Etienne - »Tus colores no son más seguros
que mis palabras, viejo« (R 191) - durchbricht der Text den kodifizierten Schematis-
mus der traditionellen Deutung und unterlegt dem Gebäude einen neuen - arbiträren -
Sinn. Doch auch die neue Deutung hat als solche 'Struktur'. Einerseits respektiert sie
weitgehend - auch im Detail - die Materialität des ikonischen Signifiant, andererseits
funktioniert sie als Um-Schreibung der Paradigmen des traditionellen Signifié:
1. Auch für Cortázar hat das Gemälde symbolisch-allegorische Bedeutung. Figuren
und Szenerie bedeuten nicht sie selber, sondern sind Ausdruck - 'Darstellung' - eines
Inhaltes, der sich den Augen des Betrachters entzieht:
»Esta detestable pintura representa un velorio a orillas del Jordán. Pocas veces la
torpeza de un pintor pudo aludir (Hervorh. W.B.B.) con más abyección a las espe-
ranzas del mundo en un Mesías que brilla por su ausencia (Hervorh. im Origi-
nal); ausente del cuadro que es el mundo, brilla horriblemente en el obsceno bos-
tezo del sarcófago de mármol, mientras el ángel encargado de proclamar la re-
surrección de su carne patibularia espera inobjetable que se cumplan los signos.
No será necesario explicar que el ángel es la figura desnuda [...] El niño que
mete la mano en el sarcófago es Lulero, o sea el Diablo. De la figura vestida se
ha dicho que representa la Gloria [...]«. (CF 18f. - Hervorh. W.B.B.)
2. Auch auf einer zweiten Ebene ist der Text weniger willkürlich als es zunächst den
Anschein hat: Isolierte Elemente der pikturalen Signifikanten - die rechteckige Form
der Ebene der Unvereinbarkeit zweier logischer Größen (»singulare« vs. »scientia«) -
ein Paradox, das jeder wissenschaftliche Ansatz für sich zu bewältigen hat - als viel-
mehr in der Konfrontation mit einer Ebene menschlicher Wirklichkeit, die, wenn
überhaupt, zu allerletzt mit den Kriterien physiognomischer Deskription zu erfassen
ist: Der auf Objektivierung und rationelle Verallgemeinerung erpichten wissenschaft-
lichen Methode steht auf seiten der menschlichen Spezies, die das Modell zu be-
schreiben versucht, die irrationale Wirklichkeit einer individuellen Bedürfnisstruktur
gegenüber:
»Así fue como se le disolvió el subgrupo, y del resto no hablemos porque los de-
más sujetos habían pasado del mazagrán a la caña quemada, y en lo único que se
parecían a esa altura de las cosas era en su firme voluntad de seguir bebiendo a
expensas de la esperanza.« (CF 141)
der Wissenschaftstheorie (bzw. ihrer Kritik) jedoch kaum hinaus. Der verlorengegan-
gene Glaube an die Operabilität des Physiognomiemodells sowie das demonstrative
Desinteresse des höhlenforschenden Cronopiums am Ergebnis der Expedition betref-
fen 'Wissenschaft' vielmehr auf der Ebene einer allgemeinen Zeichentheorie. Die bei-
den Texten gemeinsame Position der Wissenschaftskritik ist auf semiotische Systeme
überhaupt übertragbar. Zum einen: Wie der wissenschaftliche Begriff ist die Seman-
tik des Zeichens aufgrund der Zugehörigkeit zum Code grundsätzlich auf ein Allge-
meines bezogen und kollidiert insofern mit der den Zeichensystemen zugeschriebe-
nen Funktion der Mimesis (auch) individueller Realität. Zum anderen: Semiotische
Systeme sind keinesfalls - ebensowenig wie der spezielle Fall der Wissenschaft - zu-
reichend gekennzeichnet durch das Merkmal der Interesselosigkeit bzw. der inter-
subjektiven Verbindlichkeit. Ihre Konstitution ist vielmehr bedingt durch einen spe-
ziellen Akt subjektiver énonciation.34 Ihre Verbindlichkeit ist - wie die von Zeichen
überhaupt - 'arbiträrer' Natur.
34 Vgl. E. Benveniste: »L'appareil formel de l'énonciation« (Bd. 2 1974: 79f.) sowie - neuerdings - O. Ducrot Es-
quisse d'une théorie polyphonique de l'énociation (1984: 171ff.).
33 Zur Kritik des untergründigen Cartesianismus der modernen Wissenschaftstheorie vgl. Derridas programmatische
Auseinandersetzung mit Husserl, in: La voix et le phénomène (Derrida 1976).
36 Dieser Vorwurf trifft das »Rahmenkonzept zur (Re-) Konstruktion und Evaluation von Vorschlägen zur wissen-
schaftlichen Fundierung der Literaturwissenschaft«, das L. Danneberg und H.-H. Millier vorgelegt haben
(Eschenbach/Rader 1980: 17ff.) nicht. Die Frage allerdings, wie die Distanz, die den Theorie-Himmel, wie ihn
Danneberg/Müller ausmalen, von der konkreten literaturwissenschaftlichen Forschung eiTeicht werden kann - wie
mithin der von den Verfassern selbst beklagten »mangelnden Durchschaubaikeil und [...] Praxisferne der Vor-
schläge zur wissenschaftlichen Fundierung der Literaturwissenschaft« (18) in concreto Abhilfe geschaffen werden
könne -, gehört in die Liste jener Desiderata, die die Verfasser bedauerlicherweise in ihrem interessanten Rahmen-
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monde«. 37 In diesem verschafft sich ein Subjekt Geltung, das sich gegenüber der
texttranszendenten, im Absoluten des Geistes, der Wissenschaft oder der Materie ver-
ankerten Rede von 'Welt' - wir nennen sie in der Arbeit die 'logozentrische' - als un-
überschreitbare Grenze erfährt. Das Subjekt des modernen Textes ist keine selbst-
identische, außerhalb des Textes (der Welt) gelegene Substanz. Es erfährt sich viel-
mehr selber als Text, als jene grundlegende, jeder Rede vom Subjektiven oder Objek-
tiven immer schon vorausgehende »Bewegung der Differenz«. 38 Nicht das Subjekt
konstituiert die Differenz, sondern - umgekehrt - diese das Subjekt. Letzteres findet
sich mithin der Differenz ursprünglich »unterworfen« (»subjectum«). Die Differenz
ist andererseits das Generationsprinzip jedweder Struktur, sofern wir diese - semio-
tisch - bestimmen als System von Differenzen. Die von J. Derrida eingeführte
Schreibweise »différence« vs. »différence« weist darauf hin, daß die - auf phoneti-
scher Ebene neutralisierte - Unterscheidung der Ordnung der »écriture« angehört.
Das in die Bewegung einer ursprünglichen »différance« eingeschriebene Subjekt ist
insofern vom Standpunkt einer logozentrischen statischen Struktur her gesehen ein
Nicht-Seiendes. Umgekehrt - wenn es stimmt, »(que) les différences sont [...]
'produites' - différées - par la différence« 39 - ist das Subjekt als Differenz nicht nur
Anfang, sondern vielmehr auch Ende jedweden logozentrischen Systems:
44 Kommunikationswissenschaftler werden argumentieren, die Schrift nur bilde im strengen Sinne die Nachricht,
während Papier, Umschlag und Briefmarke eher auf den Kanal der Nachrichtenübermittlung zu beziehen seien.
Die Unterscheidung ist hier jedoch nur von theoretischem Interesse, bilden im Normalfall moderner Korrespon-
denz doch alle genannten Elemente eine Einheit. Beschriftetes Papier, Umschlag und Marke also sind zusammen
die 'Nachricht', welche mittels des Bolen - und die durch diesen repräsentierte, als 'Kanal' fungierende Institution
Post' - vom Absender zum Empfänger befördert wird.
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45 Es ist dies jene Aktivität, die J. Mukarovsky der »ästhetischen Funktion« zuweist, wenn er - in einer möglichen
Mißverständnissen gegenüber nicht gefeiten Formulierung - diese dadurch charakterisiert, daß sie »in sich das
Ganze widerspiegelt«. (Mukarovsky 1974: 129ff.)