Der Ring Der Kraft

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Mit d i e s e m B u c h s e t z t d e r a m e r i k a n i s c h e A n t h r o p o l o g e Castaneda seine lange Reise in die Welt des b e r n a t r l i c h e n u n d d e r Z a u b e r e i fort - eine R e i s e , a n d e r e n A n f a n g die B e g e g n u n g m i t d e m b e r e i t s z u r L e g e n d e gewordenen Yaqui-Zauberer Don Juan

an s t a n d . In d e m v o r l i e g e n d e n B a n d erzhlt d e r A u t o r , w i e er d i e l e t z t e L e k t i o n e r h i e l t . W h r e n d D o n J u a n bislang d i e B e w e i s e s e i n e r Kraft in s e i n e r G e b u r t s r e g i o n , d e n W s t e n u n d M e z a s - in e i n e m L a n d s t r i c h m i t h i n , z u d e m e r s o n a t r l i c h g e h r t w i e S t r a u c h w e r k u n d G e s t e i n -. z e l e b r i e r t h a t t e , so k o m m t e s jetzt z u einer B e g e g n u n g in e i n e r u n g e w o h n t e n U m g e b u n g : A u c h in d e r Stadtwelt, in d e n b e r f l l t e n , g e s c h f t i g e n S t r a e n , v e r m a g D o n J u a n seine Kraft z u beweisen u n d d i e W a h r n e h m u n g des Autors auf magische Weise i n s U n e r m e l i c h e zu s t e i g e r n . Carlos C a s t a n e d a starb 1998. Weitere Bcher von Carlos Castaneda im Fischer T a s c h e n b u c h V e r l a g : > D i e L e h r e n d e s D o n J u a n . Ein Y a q u i - W e g d e s W i s s e n s ( B d . 1 4 5 7 ) : > E in e a n d e r e W i r k l i c h k e i t . N e u e G e s p r c h e m i t D o n J u a n - ( B d . 1616); > R e i s e n a c h I x t l a n . Die Lehre d e s D o n J u a n - ( B d . 1809): > D e r z w e i t e Ring d e r Kraft< ( B d . 3035): > D i e K u n s t d e s P i r s c h e n s . ( B d . 3390); > D a s Feuer von i n n e n ( B d . 5082); D i e Kraft d e r S t i l l e . N e u e L e h r e n d e s D o n J u a n < ( B d . 1 0 9 2 6 ) : D i e K u n s t d e s T r u m e n s - ( B d . 14166). Im S . F i s c h e r V e r l a g sind e r s c h i e n e n : > T e n s e g r i t y . Die magischen B e w e g u n g e n der Zauberer< (1998) sowie >Das Wirken der U n e n d l i c h k e i t - ( 1 9 9 8 ) .
Unsere Adresse im Interner: www.fischer-tb.de

Der Bedingungen eines einsamen Vogels sind f n f : Die erste, da er zum hchsten Punkt fliegt; die zweite, da er sich nicht nach Gesellen sehnt, nicht einmal seiner eigenen Art; die dritte, da sein Schnabel gen Himmel zielt; die vierte, da er keine bestimmte Farbe hat; die fnfte, da er sehr leise singt. San Juan de la Cruz. Dichos de Luzy Amor

1 .Teil Zeuge von Taten der Kraft

Eine Verabredung mit der Kraft

Seit Monaten hatte ich Don Juan nicht gesehen. Es war j e t z t Herbst 1971. Ich war berzeugt, da er sich bei Don Genaro in Zentralmexiko a u f h i e l t , und so traf ich die ntigen Vorbereitungen fr eine sechs- oder siebentgige Fahrt, um ihn zu besuchen. Doch am zweiten Tag meiner Reise, am Sptnachmittag, machte ich, einer Eingebung folgend, an Don Juans Wohnort im Staat Sonora halt. Ich parkte das Auto und ging die kurze Entfernung bis zu seinem Haus zu Fu. Zu meiner berraschung traf ich ihn dort an. Don Juan! Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu treffen, sagte ich. Er lachte; meine berraschung schien im Spa zu machen. Er sa auf einer leeren Milchbtte vor der Haustr. Er schien auf mich gewartet zu haben. Die Ungezwungenheit, mit der er mich begrte, war irgendwie vollendet. Er nahm den Hut ab und schwenkte ihn mit einer komischen Gebrde. Dann setzte er ihn wieder auf und grte militrisch. Er lehnte sich an die Wand und sa dabei auf der Btte, als wre es ein Sattel. Setz dich, setz dich, sagte er in j o v i a l e m Tonfall. Wie gut, dich wiederzusehen. Fast wre ich umsonst den ganzen Weg nach Zentralmexiko gefahren, sagte ich. Und dann htte ich nach Los Angeles zurckfahren mssen. Da ich dich hier antreffe, erspart mir viele Tage Autofahrt. Irgendwie httest du mich schon gefunden, sagte er mit geheimnisvoller Stimme, aber nehmen wir an, du schuldest mir nun sechs Tage, die du gebraucht httest, um hinzufahren Tage, die du nutzen solltest, um etwas Interessanteres zu tun, als das Gaspedal deines Autos zu drcken. Don Juans Lcheln war irgendwie gewinnend. Seine Herzlichkeit war ansteckend. Wo ist dein Schreibzeug? fragte er. Ich sagte ihm, ich htte es im Auto gelassen; er meinte, ohne es she ich unnatrlich aus, und so hie er mich gehen und es holen.

Ich habe gerade ein Buch abgeschlossen, sagte ich. Er warf mir e i n e n langen, seltsamen Blick zu, der mir ein Kribbeln in der Magengrube verursachte. Es war. als ob er e i n e n weichen Gegenstand gegen meinen Bauch p r e t e . Ich glaubte, ich msse mich bergeben, aber dann wandte er den Kopf zur Seite, und ich gewann mein ursprngliches Wohlbefinden wieder. Ich wollte ber mein Buch sprechen, aber er machte eine Geste, die mir bedeutete, er wolle nicht, da ich etwas darber sagte. Er l c h e l t e . Seine Stimmung war unbeschwert und bezaubernd, und er verwickelte mich sofort in ein zwangloses Gesprch ber Leute und aktuelle Ereignisse. Schlielich gelang es mir, die Unterhaltung auf das Thema zu lenken, das mich interessierte. Ich fing an, indem ich erwhnte, ich htte meine frheren Notizen noch einmal durchgesehen und festgestellt, da er mir schon v o n Anfang unserer Beziehung an eine detaillierte Beschreibung der Welt eines Zauberers gegeben habe. Im Lichte dessen, was er mir in _ jenem ersten Stadium gesagt habe, sei ich dahin gelangt, die Bedeutung der halluzinogenen Pflanzen in Frage zu stellen. Warum hast du mich diese Pflanzen so viele Male einnehmen lassen? fragte ich. Er lachte und murmelte ganz leise: Weil du ein Tlpel bist. Ich hatte ihn wohl verstanden, aber ich w o l l t e mich vergewissern und tat so, als h t t e ich nicht recht gehrt. Wie bitte' 1 fragte ich. D u weit sehr gut, was ich gesagt h a b e , a n t w o r t e t e er und stand auf. Im Vorbeigehen t t s c h e l t e er mir d e n Kopf. D u bist ziemlich schwer von B e g r i f f , sagte er. Und es gab k e i n e andere Mglichkeit, dich a u f z u r t t e l n . Also war das a l l e s nicht absolut notwendig? fragte ich. Doch, das war es. in deinem Fall. Es gibt aber andere Menschentypen, die dies anscheinend nicht brauchen. Er stand neben mir und blickte unverwandt auf die Wipfel der Bsche an der linken Seite seines Hauses; dann setzte er sich und sprach ber Eligio, s e i n e n anderen Lehrling. Eligio, sagte er, habe nur einmal psychotrope Pflanzen genommen, seit er

sein Lehrling geworden sei, und doch habe er vielleicht mehr Fortschritte gemacht als ich. Sensibel zu sein ist fr manche Menschen ein natrlicher Zustand, sagte er. Du bist es n i c h t . Aber ich auch nicht. Letzten Endes kommt es auf die Sensibilitt berhaupt nicht an. Was ist es denn, worauf es ankommt? fragte ich. Er schien nach einer passenden Antwort zu suchen. Es kommt nur darauf an, da ein Krieger makellos ist, sagte er schlielich. Aber das ist blo eine Redeweise, eine ungefhre Annherung. Du hast bereits einige Aufgaben der Zauberei vollbracht, und ich glaube, es ist an der Zeit, die Ursache all dessen, worauf es ankommt, beim Namen zu nennen. I c h mchte also sagen, fr einen Krieger kommt es darauf an, die Ganzheit seiner selbst zu erreichen. Was ist die Ganzheit des Selbst, Don J u a n ? Ich sagte _ j a, da ich der Sache nur einen Namen geben wollte. Es gibt immer noch eine Menge loser Enden in deinem Leben, die du zusammenknpfen mut, bevor wir ber die Ganzheit deines Selbst sprechen knnen. Hier endete unser Gesprch. Er machte eine Gebrde mit den Hnden, um mir anzuzeigen, da er wnschte, ich solle aufhren zu sprechen. Anscheinend war irgend etwas oder irgend jemand in der Nhe. Er neigte den Kopf nach links, als lausche er. Ich konnte das Weie seiner Augen sehen, whrend er den B l i c k auf die Bsche l i n k s neben dem Haus konzentrierte. Einen Augenblick lauschte er aufmerksam, und dann s t a n d er a u f , kam zu mir und flsterte mir i n s Ohr, wir mten das Haus verlassen und e i n e n Spaziergang machen. Ist etwas nicht in Ordnung? fragte ich, e b e n f a l l s flsternd. Nein. Alles klar, sagte er. Alles ist ganz in Ordnung. Er fhrte mich in den Wstenchaparral. Wir wanderten vielleicht eine halbe Stunde und kamen dann zu e i n e r kleinen, kreisfrmigen Flche, die frei von Vegetation war, ein Flecken von etwa vier Metern Durchmesser, wo der rtliche Sand eine f e s t e , vollkommen flache Ebene bildete. Es gab jedoch keine Anzeichen dafr, da die Flche mit Maschinen gerodet und eingeebnet worden war. Don Juan setzte sich in die Mitte,

nach Sdosten gewandt. Er deutete auf e i n e Stelle etwa zwei Meter von ihm entfernt und forderte mich auf. mich dort, i h m gegenber, hinzusetzen. Was werden wir hier t u n ? fragte ich. Wir haben heute abend eine Verabredung h i e r , antwortete er. Mit einem raschen B l i c k erforschte er die Umgebung, wobei er sich auf der Stelle drehte, bis er das Gesicht wieder nach Sdosten wandte. Seine Bewegungen beunruhigten mich. I c h fragte i h n . m i t wem wir die Verabredung h t t e n . Mit dem Wissen, sagte er. Nehmen wir an. das Wissen schleicht hier u m h e r . Er lie mich nicht bei dieser rtselhaften Antwort verweilen. Rasch wechselte er das Thema und forderte mich in _ j o v i a l e m Ton auf, ich solle mich ganz n a t r l i c h geben, das h e i t . Notizen machen und sprechen, als ob w i r bei i h m zu Hause wren. Was meine Gedanken in d i e s e m Augenblick am m e i s t e n beschftigte, das war die lebhafte Empfindung, die ich vor sechs Monaten gehabt h a t t e , als ich mit e i n e m Koyoten sprach. Fr mich bedeutete d i e s e r Vorgang, da ich z u m erstenmal fhig gewesen war. m i t meinen S i n n e n und bei klarem Bewutsein die Welt-Beschreibung des Zauberers zu erkennen oder zu erahnen, e i n e Darstellung, in d e r e n Rahmen die Verstndigung mit Tieren durch die Sprache etwas Selbstverstndliches war. Wir werden uns n i c h t damit a u f h a l t e n , ber d e r g l e i c h e n Erfahrungen nachzudenken, sagte Don J u a n , k a u m da er meine Frage gehrt h a t t e . Es ist f r dich n i c h t ratsam, in der Beschftigung mit vergangenen E r e i g n i s s e n zu schwelgen. Wir knnen zwar darber sprechen, aber nur in A n s p i e l u n gen. Warum ist dies so, Don J u a n ? Du hast noch nicht genug persnliche Kraft, um n a c h der Erklrung der Zauberer zu s u c h e n . Dann gibt es also e i n e Erklrung der Zauberer! Gewi. Zauberer sind nur Menschen. Wir sind denkbegabte Geschpfe. Wir suchen nach Erklrungen.

Und ich hatte den Eindruck, es sei es meine groe Schwche, nach Erklrungen zu suchen. Nein, deine Schwche ist, da du bequeme Erklrungen suchst. Erklrungen, die fr dich und d e i n e Welt von praktischem Nutzen sind. Was ich beanstande, ist d e i n e Vernnftigkeit. Auch ein Zauberer erklrt in seiner Welt die Dinge, aber er ist nicht so starrkpfig wie d u . Wie kann ich die Erklrung der Zauberer finden? Indem du persnliche Kraft ansammelst. D i e persnliche Kraft wird bewirken, da du mit Leichtigkeit in die Erklrung der Zauberer h i n e i n g l e i t e s t . Die Erklrung ist nicht das. was du Erklrung n e n n s t ; trotzdem macht sie die Welt und i h r e Geheimnisse wenn nicht klar, so doch zumindest weniger ehrfurchtgebietend. Dies ist doch das Wesen einer Erklrung. Aber das ist es nicht, was du s u c h s t . Dir geht es um die Reflexion deiner Ideen. Mir verging die Lust. Fragen zu s t e l l e n . Aber s e i n Lcheln forderte mich auf weiterzusprechen. E i n anderes, mir sehr bedeutsames Problem war sein Freund Don Genaro - und die auerordentliche Wirkung, die sein Tun auf mich gehabt hatte. Jedesmal wenn ich mit ihm in Kontakt gekommen war. hatte ich die seltsamsten Sinnestuschungen e r l e b t . Als ich meine Frage vorbrachte, l a c h t e Don J u a n . Genaro ist erstaunlich, sagte er. Aber im Augenblick hat es keinen Sinn, ber ihn zu sprechen, oder ber das. w a s er m i t dir tut. Wieder mu ich sagen, du hast nicht genug persnliche Kraft, um diesen Sachverhalt zu e n t r t s e l n . Warte, bis du sie hast, dann wollen wir sprechen. Und was ist, wenn ich sie nie haben werde'? Dann werden wir nie darber sprechen. Werde ich j e genug davon haben, bei dem Tempo, m i t dem ich vorankomme? fragte ich. Das hngt von dir ab, entgegnete er. I c h habe d i r a l l e ntigen Informationen gegeben. J e t z t ist es d e i n e Aufgabe, gengend persnliche Kraft zu erlangen, um Gewicht zu bekommen. Du sprichst in Metaphern, sagte ich. Drck dich k l a r aus. Sag mir genau, was ich t u n soll. Falls du es mir schon gesagt hast, nehmen wir an, ich habe es v e r g e s s e n .

Don Juan kicherte und legte sich hin, die Arme hinter dem Kopf verschrnkt. Du weit genau, was du brauchst, sagte er. Ich sagte ihm, da ich dies manchmal wisse, da ich aber meistens kein Selbstvertrauen htte. Ich frchte, du bringst die Dinge durcheinander, sagte er. Das Selbstvertrauen des Kriegers ist nicht das Selbstvertrauen des Durchschnittsmenschen. Der Durchschnittsmensch strebt nach Besttigung in den Augen des auenstehenden Betrachters und nennt dies Selbstvertrauen. Der Krieger strebt nach Makellosigkeit in seinen eigenen Augen und nennt dies Bescheidenheit. Der Durchschnittsmensch ist auf seine Mitmenschen angewiesen, whrend der Krieger nur auf sich selbst angewiesen ist. Vielleicht jagst du nach Luftschlssern. Du suchst nach dem Selbstvertrauen des Durchschnittsmenschen, wo du nach der Demut eines Kriegers suchen solltest. Zwischen beiden besteht ein groer Unterschied. Selbstvertrauen setzt voraus, da man etwas mit Sicherheit wei; Demut setzt voraus, da man in seinen Taten und Gefhlen makellos ist. Ich habe versucht, nach deinen Vorschriften zu leben, sagte ich. Vielleicht schaffe ich nicht alles, aber ich gebe mein Bestes. Ist das Makellosigkeit? Nein. Du mut mehr als das tun. Du mut dich zwingen. deine Grenzen zu berschreiten - immer. Aber das wre verrckt, Don Juan. Das kann niemand. Es gibt viele Dinge, die du heute tust und die dir vor zehn Jahren verrckt erschienen wren. Die Dinge selbst haben sich nicht verndert, aber deine Vorstellung von dir selbst hat sich gendert; was vorher unmglich war, ist j e t z t ohne weiteres mglich, und vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, wann es dir gelingt, dich vollkommen zu ndern. In diesen Dingen hat ein Krieger nur die eine Mglichkeit, konsequent und ohne Vorbehalte zu handeln. Du weit genug ber den W e g des Kriegers, um dementsprechend handeln zu knnen, aber deine alten Gewohnheiten und Routinen stehen dir im Weg. Ich verstand, was er meinte. Meinst du, das Schreiben sei eine meiner a l t e n Gewohnhei-

ten, die ich ndern sollte? fragte ich. Sollte ich mein neues Manuskript vernichten? Er antwortete nicht. Er stand auf und lie den Blick ber den Rand des Chaparral schweifen. Ich erzhlte ihm, da ich von verschiedenen Leuten Briefe erhalten htte, die meinten, es sei falsch, ber meine Lehrzeit zu schreiben. Sie verwiesen auf die Meister der esoterischen Lehren des Ostens, die absolutes Schweigen ber ihre Unterweisungen verlangten. Vielleicht schwelgen diese Meister in dem Gefhl. Meister zu sein, meinte Don Juan, ohne mich anzusehen. Ich bin kein Meister, ich bin nur ein Krieger. Daher wei ich w i r k l i c h nicht, wie ein Meister sich fhlen mag. Aber v i e l l e i c h t e n t h l l e ich Dinge, die ich nicht verraten sollte, Don Juan. Es kommt nicht darauf an, was man verrt oder was man fr sich behlt, sagte er. Alles, was wir tun. alles, was wir sind, beruht auf unserer persnlichen Kraft. Haben wir genug davon, dann gengt vielleicht ein einziges Wort, das uns gesagt wird, um unser ganzes Leben zu ndern. Haben wir aber nicht genug persnliche Kraft, dann mag es sein, da uns die wunderbarste Weisheit offenbart wird, und diese Offenbarung wrde nicht das geringste bewirken. Dann senkte er die Stimme, als wollte er mir ein Geheimnis verraten. Ich werde dir das womglich grte Wissen m i t t e i l e n , das man berhaupt in Worte fassen k a n n , sagte er. Wir wollen sehen, was du damit anfangen k a n n s t . Weit du. da dich genau in diesem Moment die Ewigkeit umgibt? Und weit du. da du diese Ewigkeit benutzen kannst, wenn du es willst'? Nach einer l a n g e n Pause, in deren Verlauf er mich mit einer l e i c h t e n Bewegung der Augen aufforderte, mich zu uern, sagte ich. da ich nicht verstnde, wovon er spreche. Hier! Hier ist Ewigkeit! sagte er und d e u t e t e zum Horizont. Dann wies er zum Zenit hinauf. Oder dort, oder v i e l l e i c h t knnen wir sagen, die Ewigkeit ist dies. Er streckte beide Arme aus und zeigte nach Osten und nach Westen.

Wir sahen einander an. In seinen Augen stand eine Frage. Was sagst du dazu? fragte er und forderte mich auf, ber seine Worte nachzudenken. Ich wute nicht, was ich sagen sollte. Weit du, da du dich in jede der Richtungen, in die ich gezeigt habe, auf ewig ausdehnen kannst? fuhr er fort. Weit du, da ein Augenblick die Ewigkeit sein kann? Dies ist kein Rtsel, es ist eine Tatsache, aber nur, f a l l s du auf der Hhe dieses Augenblicks bist und ihn nutzt, um die Ganzheit deiner selbst in jeder Richtung zu erfassen. Er blickte mich an. Dieses Wissen kanntest du vorhin noch nicht, sagte er lchelnd. Nun kennst du es. Ich habe es dir offenbart, aber es bewirkt berhaupt nichts, weil du nicht genug persnliche Kraft hast, dir meine Offenbarung zunutze zu machen. Httest du aber genug Kraft, dann wrden meine Worte allein dir als Mittel dienen, um die Ganzheit deiner selbst zu erfassen und um den wesentlichen Teil davon aus den Fesseln, in die sie gebunden ist, zu befreien. Er trat neben mich und stie mich mit den Fingern in die Rippen; es war eine ganz leichte Berhrung. Dies sind die Fesseln, von denen ich spreche, sagte er. Man kann sich daraus befreien. Wir sind ein Gefhl, ein Bewutsein, das hier eingeschlossen ist. Mit beiden Hnden schlug er mir auf die Schultern. Mein Schreibblock und der Bleistift fielen zu Boden. Don Juan stellte den Fu auf den Block und starrte mich an, und dann lachte er. Ich fragte ihn, ob er etwas dagegen habe, wenn ich mir Notizen machte. Nein, sagte er in beschwichtigendem Ton und zog den Fu zurck. Wir sind leuchtende Wesen, sagte er und schttelte rhythmisch den Kopf. Und fr leuchtende Wesen zhlt allein die persnliche Kraft. Aber wenn du mich fragst, was persnliche Kraft ist, dann mu ich dir sagen, da meine Erklrung sie nicht erklren wird. Don Juan blickte zum Horizont im Westen und meinte, es blieben uns noch ein paar Stunden Tageslicht. Wir werden lange hierbleiben mssen, erklrte er. Darum

la uns entweder ruhig dasitzen oder sprechen. Zu schweigen, das ist nicht natrlich bei dir, daher la uns weitersprechen. Diese Stelle ist ein Platz der Kraft, und sie mu sich vor Einbruch der Nacht an uns gewhnen. Du mut mglichst natrlich dasitzen, ohne Furcht oder Ungeduld. Anscheinend ist es fr dich am leichtesten, dich zu entspannen, wenn du Notizen machst, darum schreib nach Herzenslust. Und nun erzhl mir, zum Beispiel, von deinem Trumen.. Seine pltzliche Wendung traf mich unvorbereitet. Er wiederholte seine Frage. Dazu mu ich nun einiges sagen. Trumen hie fr Don Juan, da man eine eigenartige Kontrolle ber seine Trume entwickelt, und zwar so, da die in ihnen gewonnenen Erfahrungen und die Erlebnisse im Wachzustand die gleiche praktische Bedeutung gewinnen. Die Auffassung der Zauberer besagte, da unter dem Einflu von Trumen die blichen Kriterien der Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit auer Kraft gesetzt werden. Don Juans Praxis des Trumens war eine bung, die darin besteht, da man in einem Traum seine Hnde sucht. Mit anderen Worten, man mu absichtlich trumen, da man im Traum seine Hnde sucht und findet, indem man einfach trumt, da man die Hnde vor die Augen hebt. Nach jahrelangen erfolglosen Versuchen war mir dies schlielich gelungen. Rckblickend betrachtet, war mir klargeworden, da es mir erst gelungen war, nachdem ich ein gewisses Ma an Kontrolle ber meine Alltagswelt gewonnen hatte. Don Juan erkundigte sich nach den wesentlichen Punkten. Ich fing an und erzhlte ihm, da es mir oft unberwindbar schwierig erschienen war, mir den Befehl zu erteilen, meine Hnde anzusehen. Er hatte mich gewarnt, da die erste Phase der Vorbereitung, die er als Planen des Trumens bezeichnete, ein tdliches Spiel darstelle, das der Geist des Betreffenden mit sich selbst spiele, und da ein Teil meiner selbst alles t u n werde, um die Erfllung meiner Aufgabe zu verhindern. Dazu konnte nach den Worten von Don Juan gehren, da ich in Hoffnungslosigkeit, Melancholie oder sogar eine selbstmrderische Depression verfiel. Aber so weit war es nicht gekommen. Meine Erlebnisse waren eher harmlos, sogar komisch; trotzdem war das Ergebnis ebenso frustrierend. Jedesmal,

wenn ich im Traum im Begriff stand, meine Hnde anzusehen, geschah etwas Auergewhnliches; ich fing an zu fliegen, oder mein Traum schlug in einen Alptraum um, oder er verwandelte sich lediglich in eine sehr angenehme krperliche Erregung; in solchen Trumen ging, was die Lebhaftigkeit betrifft, alles weit ber das Normale hinaus und war daher uerst spannend. Angesichts der immer neuen Situationen verga ich stets die ursprngliche Absicht, meine Hnde zu beobachten. Einmal aber, ganz unerwartet, fand ich im Traum meine Hnde. Ich trumte, ich ging durch eine unbekannte Strae in einer fremden Stadt, und pltzlich hob ich die Hnde und hielt sie vors Gesicht. Es war, als habe irgend etwas in mir nachgegeben und mir erlaubt, meine Handrcken zu betrachten. Don Juan hatte mich angewiesen, ich solle, sobald der Anblick meiner Hnde sich auflste oder sich zu etwas anderem verwandelte, den B l i c k von den Hnden fortnehmen und auf irgendeinen anderen B e s t a n d t e i l der Umgebung meines Traums richten. In diesem e i n e n Traum r i c h t e t e ich den Blick auf e i n Gebude am Ende der Strae. Als das Bild des Gebudes sich aufzulsen begann, konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf die brigen Dinge der Umgebung meines Traums. Das Ergebnis war ein unglaublich klares, zusammenhngendes Bild e i n e r verlassenen Strae in einer unbekannten, fremden Stadt. Don Juan hie mich fortfahren und von anderen E r l e b n i s s e n b e i m Trumen berichten. Wir sprachen noch l a n g e . A l s ich meinen Bericht beendet h a t t e , stand er auf u n d ging ins Gebsch. Ich stand e b e n f a l l s auf. Ich war nervs. Dieses Gefhl war ungerechtfertigt, denn es gab nichts, was zu Angst oder Besorgnis Anla gegeben h t t e . Don Juan k e h r t e binnen kurzem zurck. Er bemerkte meine Erregung. Beruhige d i c h , sagte er und fate mich sanft am Arm. Er h i e mich niedersitzen und l e g t e mir mein Notizbuch in den Scho. Er berredete mich zu schreiben. Er meinte, ich solle den Platz der Kraft nicht mit unntigen Gefhlen wie Angst oder Zaudern aufstren. Warum werde ich so nervs? fragte ich. Das ist ganz n a t r l i c h , sagte er. Irgend etwas in dir ist

durch deine Aktivitten beim Trumen bedroht. Solange du nicht an diese Aktivitten dachtest, war alles in Ordnung. Aber jetzt, da du von deinem Tun gesprochen hast, f l l s t du fast in Ohnmacht. Jeder Krieger hat seine eigene Art zu trumen. Jede Art ist anders. Das einzige, was wir gemeinsam haben, ist die Tatsache, da wir Tricks versuchen, um die Suche aufzugeben. Das Gegenmittel besteht darin, trotz aller Schranken und Enttuschungen beharrlich weiterzumachen. Dann fragte er mich, ob ich fhig sei, die Themen des Trumens auszuwhlen. Ich meinte, ich htte nicht die blasseste Ahnung, wie man das machte. Die Erklrung der Zauberer, wie man ein Thema zum Trumen auswhlt, sagte er, besagt, da ein Krieger das Thema whlt, indem er absichtlich vor seinem inneren Auge ein Bild festhlt, whrend er seinen inneren Dialog abstellt. Mit anderen Worten, wenn er einen Augenblick aufhren kann, mit sich selbst zu sprechen, und wenn er dann, sei es nur fr einen Moment, das Bild oder die Vorstellung von dem, was er beim Trumen sehen will, f e s t h a l t e n kann, dann wird ihm der gewnschte Gegenstand erscheinen. Ich bin sicher, da du dies getan hast, auch wenn es dir nicht bewut geworden ist. Es entstand eine lange Pause, und dann begann Don Juan in der Luft zu schnuppern. Es war. als reinigte er sich die Nase; drei oder vier Male atmete er gewaltig durch die Nasenlcher aus. Seine Bauchmuskeln verkrampften sich, was er zu kont r o l l i e r e n suchte, indem er mit kurzen, keuchenden Atemzgen Luft holte. Wir wollen nicht mehr ber das Trumen sprechen, sagte er. Du knntest davon besessen werden. Wenn einem etwas gelingen soll, dann mu der Erfolg allmhlich kommen, unter groen Anstrengungen, aber ohne Stre oder Besessenheit. Er stand auf und ging an den Rand des Gebschs. Er beugte sich vor und sphte durch das Laub. Er schien etwas an den Blttern zu untersuchen, ohne sich ihnen allzusehr zu nhern. Was tust du d a ? fragte ich. unfhig, meine Neugier zu zgeln.

Er drehte sich zu mir um. l c h e l t e und hob die Augenbrauen. Die Bsche sind voll von seltsamen Dingen, sagte er, als er sich wieder hinsetzte. Er sagte dies in so b e i l u f i g e m Ton, da es mich mehr erschreckte, als wenn er einen pltzlichen Schrei ausgestoen htte. Notizbuch und Bleistift f i e l e n mir aus der Hand. Er lachte und ahmte mich nach, dann meinte er, solche bertriebenen Reaktionen seien eines der losen Enden, die es immer noch in meinem Leben gebe. Ich wollte etwas einwenden, aber er lie mich nicht zu Wort kommen. Wir haben nur noch ein Weilchen T a g e s l i c h t , sagte er. Und es gibt noch andere Dinge, ber die w i r reden sollten. bevor die Dmmerung hereinbricht. Nach meinen Erfolgen beim Trumen zu urteilen, fgte er hinzu, htte ich wohl gelernt, meinen inneren Dialog willentlich abzustellen. Dies sei der Fall, sagte ich ihm. Am Anfang unserer Verbindung hatte Don Juan mir noch eine weitere Technik geschildert: Sie bestand darin, lange Strecken zu wandern, ohne den B l i c k auf irgend etwas zu konzentrieren. Er hatte mir empfohlen, nichts d i r e k t anzusehen, sondern mit den Augen leicht einwrts zu schielen, um alles, was sich dem Blick darbot, peripher im Auge zu behalten. Er hatte behauptet - auch wenn ich es damals n i c h t verstand -, da es mglich sei, beinahe alles g l e i c h z e i t i g wahrzunehmen, was in einem Winkel von 180 Grad vor einem liegt, wenn man den Blick, ohne zu zentrieren, auf einen Punkt knapp ber dem Horizont richtet. Er hatte mir beteuert, diese bung sei das einzige Mittel, um den inneren Dialog abzustellen. Er lie mich regelmig ber meine Fortschritte berichten, und irgendwann fragte er nicht mehr danach. Ich erzhlte Don Juan, ich htte diese Technik j a h r e l a n g praktiziert, ohne eine Vernderung zu bemerken, doch ich hatte ohnehin keine erwartet. Eines Tages aber war mir berraschend bewut geworden, da ich soeben etwa zehn Minuten gegangen war, ohne ein einziges Wort mit mir selbst zu sprechen. Ich erwhnte auch, ich htte bei dieser Gelegenheit e r k a n n t .

da das Anhalten des inneren Dialogs mehr bedeutete als ein bloes Zurckhalten der Worte, die ich zu mir selbst sprach. Mein ganzer Denkproze hatte ausgesetzt, und ich hatte praktisch das Gefhl, zu schweben, dahinzutreiben. Auf diese Erkenntnis war ein Gefhl der Panik gefolgt, und ich mute, sozusagen als Gegenmittel, meinen inneren Dialog wiederaufnehmen. Ich sagte dir j a , der innere Dialog ist das. was uns begrndet, meinte Don Juan. Die Welt ist so oder anders beschaffen, nur w e i l wir uns vorsagen, da sie so oder anders beschaffen ist. Don Juan erklrte nun, da der Weg in die Welt der Zauberer sich erst ffne, nachdem der Krieger gelernt habe, s e i n e n inneren Dialog abzustellen. Unsere Vorstellung, unsere Ansicht von der Welt zu ndern, das ist der springende Punkt bei der Zauberei, sagte er. Und das Anhalten des inneren Dialogs ist die einzige M g l i c h k e i t , dies zu erreichen. Der Rest ist nur Beiwerk. Du bist j e t z t in der Lage zu erkennen, da nichts von alledem, was du gesehen oder getan hast, ausgenommen das Anhalten des inneren Dialogs, von sich aus irgend etwas an dir oder an d e i n e r Vorstellung von der Welt htte ndern knnen. Voraussetzung ist natrlich, da diese Vernderung nicht gestrt wird. Jetzt verstehst du. warum ein Lehrer s e i n e n Schler nicht hart anfat. Dies wrde nur Zwangsvorstellungen und Krankheit erzeugen. Er fragte nach weiteren Einzelheiten ber die Erfahrungen, die ich beim Abstellen des inneren Dialogs gemacht hatte. Ich berichtete alles, woran ich mich erinnern konnte. Wir sprachen, bis es dunkel wurde und ich nicht mehr m i t schreiben k o n n t e ; das Schreiben verlangte zuviel Aufmerksamkeit, und dies beeintrchtigte meine Konzentration. Don Juan erkannte es und fing an zu lachen. Er behauptete, ich htte noch eine weitere Aufgabe der Zauberei vollbracht, nmlich zu schreiben, ohne mich zu konzentrieren. In dem Augenblick, als er dies sagte, wurde mir klar, da das Notizenmachen mir tatschlich kaum Aufmerksamkeit abverlangte. Es schien eine automatische Ttigkeit zu sein, mit der ich nichts zu tun hatte. Ich kam mir komisch vor. Don Juan

forderte mich auf, mich neben ihn, in den Mittelpunkt des Kreises zu setzen. Er meinte, es sei schon zu dunkel und ich sei jetzt in Gefahr, wenn ich zu nah am Chaparral se. Mir lief ein Frsteln ber den Rcken, und ich sprang zu ihm hinber. Er hie mich nach Sdosten blicken und verlangte, ich solle mir befehlen, zu schweigen und k e i n e r l e i Gedanken zu haben. Zuerst gelang es mir nicht, und ich wurde einen Augenblick ungeduldig. Don Juan wandte mir den Rcken zu und sagte, ich solle mich gegen seine Schulter sttzen. Sobald ich einmal meine Gedanken beruhigt htte, meinte er. solle ich die Augen offenhalten und den Blick auf das Gebsch im Sdosten richten. Mit geheimnisvoller Stimme fgte er hinzu, er wolle mir eine Aufgabe stellen, und wenn es mir gelnge, sie zu lsen, dann wre ich bereit fr einen weiteren Ausschnitt der Welt der Zauberer. Ich fragte kleinlaut, welcher Art diese Aufgabe sei. Er kicherte leise. Ich wartete auf seine Antwort, und dann schaltete irgend etwas in mir ab. Ich sprte, da ich schwebte. Meine Ohren schienen sich zu ffnen, und Tausende von Geruschen des Chaparral wurden hrbar. Es waren so viele, da ich sie im einzelnen nicht unterscheiden konnte. Ich glaubte einzuschlafen, und dann fesselte pltzlich etwas meine Aufmerksamkeit. Es war nichts, woran mein Denken beteiligt gewesen wre; es war kein visuelles Bild, auch kein Gebilde der ueren Umwelt, sondern mein Bewutsein wurde durch etwas Unbestimmtes eingenommen. Ich war vllig wach. Meine Augen konzentrierten sich auf eine Stelle im Chaparral, aber ich schaute weder hin. noch dachte ich, noch sprach ich zu mir. Meine Gefhle waren klare Krperempfindungen; sie bedurften keiner Worte. Ich hatte das Gefhl, als raste ich durch etwas Unbestimmtes hindurch. Was da raste, wren normalerweise vielleicht meine Gedanken gewesen; j e d e n f a l l s hatte ich die Empfindung, mich mitten in einem Erdrutsch zu befinden, so etwas wie eine Lawine strzte zu Tal. und ich steckte mittendrin. Ich sprte den Sturz im Magen. Irgend etwas zog mich in den Chaparral. Ich konnte die dunklen Massen der Bsche vor mir nicht unterscheiden. Es handelte sich aber nicht um eine unterschiedslose Dunkelheit, wie es

normalerweise der Fall gewesen wre. Ich konnte j e d e n einzelnen Busch sehen, als betrachtete ich sie im Zwielicht. Sie schienen sich zu bewegen: i h r e Blttermassen sahen aus wie schwarze Frauenrcke, die mir entgegenwallten, als wrden sie vom Wind hochgeweht, aber es gab keinen Wind. I h r e hypnotisierenden Bewegungen nahmen mich ganz gefangen; es war e i n e pulsierende Wellenbewegung, die sie immer nher zu mir heranzufhren schien. Und dann nahm ich e i n e h e l l e r e Silhouette wahr, die sich von den dunklen Umrissen der Bsche abzuheben schien. Ich richtete den Blick auf eine Stelle neben der h e l l e r e n Silhouette und entdeckte dort ein hellgrnes Leuchten. Dann sah ich h i n . ohne meinen B l i c k scharf einzustellen, und ich war sicher, da die hellere S i l h o u e t t e ein Mann war. der sich im Unterholz verbarg. In diesem Augenblick befand ich mich in e i n e m hchst seltsamen Zustand der Bewutheit. Ich war mir der Umgebung und der seelischen Prozesse bewut, die diese Umgebung in mir auslste, und doch dachte ich n i c h t , w i e ich fr gewhnlich denke. Als ich zum Beispiel erkannte, da die S i l h o u e t t e , die sich vom Gebsch abhob, ein Mann war. e r i n n e r t e ich mich an einen anderen Vorfall in der Wste; damals bemerkte ich. whrend Don Genaro und ich eines Nachts durch den Chaparral wanderten, da sich in den Bschen h i n t e r uns ein Mann verbarg, aber in dem Augenblick, als ich versuchte, das Phnomen rational zu e r k l r e n , h a t t e ich den Mann aus den Augen v e r l o r e n . Diesmal j e d o c h w o l l t e ich den berblick behalten und weigerte mich, berhaupt etwas zu denken. E i n e n Augenblick h a t t e ich den Eindruck, i c h knne den Mann f e s t h a l t e n und ihn zwingen, zu bleiben, wo er war. Dann sprte ich e i n e n s e l t s a m e n Schmerz in der Magengrube. Irgend etwas schien mich inwendig aufzureien, und ich konnte die Bauchmuskeln n i c h t mehr anspannen. Genau in dem Augenblick, als ich mich dieser Empfindung berlie, t a u m e l t e der d u n k l e Schatten eines riesigen Vogels oder irgendeines fliegenden Tieres aus dem Chaparral auf mich zu. Es war, als habe die Gestalt des Mannes sich in die Gestalt eines Vogels verwandelt. I c h hatte die k l a r e , bewute Empfindung von Angst. Ich schnappte nach Luft, und dann s t i e ich einen lauten Schrei aus und fiel auf den Rcken.

Don Juan half mir auf. Sein Gesicht war ganz nah an meinem. Er lachte. W as war das? rief ich. Er gebot mir Schweigen und legte mir die Hand auf den Mund. Er brachte seine Lippen an mein Ohr und flsterte, wir mten dieses Gebiet in ruhiger, gesammelter Verfassung verlassen, so als sei nichts geschehen. Wir gingen nebeneinander. Sein Schritt war entspannt und gleichmig. Etliche Male wandte er sich rasch um. Ich tat es ihm gleich, und zweimal ersphte ich eine dunkle Masse, die uns zu folgen schien. Ich hrte einen lauten, unheimlichen Schrei hinter mir. Einen Augenblick erlebte ich die reine Panik; wellenfrmige Bewegungen liefen durch meine Bauchmuskeln; sie traten krampfartig auf und nahmen an Heftigkeit zu, bis sie meinen Krper einfach zwangen zu laufen. ber meine Reaktion zu sprechen ist mir nur in Don Juans Terminologie mglich; so kann ich sagen, da mein Krper aufgrund der Furcht, die ich erlebte, etwas auszufhren vermochte, was Don Juan als Gangart der Kraft bezeichnete eine Technik, die er mich vor Jahren gelehrt hatte und die darin bestand, in der Dunkelheit zu rennen, ohne zu stolpern oder sich zu verletzen. Mir war nicht gnzlich bewut, was ich getan hatte oder wie ich es getan hatte. Pltzlich fand ich mich in Don Juans Haus wieder. Anscheinend war er ebenfalls gerannt, und wir waren zur gleichen Zeit angekommen. Er zndete seine Petroleumlampe an, hngte sie an einen Balken an der Decke und forderte mich beilufig auf, Platz zu nehmen und mich zu entspannen. Eine Weile trabte ich auf der Stelle, bis ich meine Nervositt besser beherrschen konnte. Dann setzte ich mich. Er befahl mir nachdrcklich, so zu tun, als sei nichts geschehen, und reichte mir mein Notizbuch. Ich hatte nicht bemerkt, da ich es in meiner Hast, das Gebsch zu verlassen, verloren hatte. Was ist dort drauen geschehen, Don Juan? fragte ich schlielich. Du hattest eine Verabredung mit dem Wissen, sagte er und wies mit einer Kopfbewegung zum dunklen Rand des Wstenchaparral hinber. Ich fhrte dich dorthin, weil ich vorhin

mit einem flchtigen Blick ersphte, wie das Wissen um das Haus schlich. Man knnte sagen, das Wissen wute, da du kommen wrdest, und erwartete dich. Statt i h m hier zu begegnen, fand ich es richtiger, i h m an einem Platz der Kraft zu begegnen. Dann stellte ich dich auf die Probe, um zu sehen, ob du gengend persnliche Kraft httest, um es von den brigen Dingen um uns her zu unterscheiden. Du hast es gut gemacht. Augenblick m a l ! protestierte ich. Ich sah die Silhouette e i n e s Mannes, der sich hinter einem Busch verbarg, und dann sah ich einen riesigen Vogel. Du hast keinen Mann g e s e h e n ! sagte er mit Nachdruck. Auch hast du keinen Vogel gesehen. Die Silhouette im Gebsch, die dann auf uns zuflog, war ein Nachtfalter. W e n n du es in der Sprache der Zauberer genau, in deiner eigenen Sprache aber vllig lcherlich ausdrcken willst, dann knntest du sagen, da du heute abend eine Verabredung mit einem Nachtfalter h a t t e s t . Das Wissen ist ein Nachtfalter. Er sah mich durchdringend an. Das Licht der Laterne warf auf seinem Gesicht seltsame Schatten. Ich wandte die Augen ab. Vielleicht hast du persnliche Kraft genug, um dieses Geheimnis heute abend zu e n t r t s e l n , sagte er. Wenn nicht heute abend, dann v i e l l e i c h t morgen. Vergi nicht, du schuldest mir sechs Tage. Don Juan stand auf u n d ging in die Kche an der Hinterseite des Hauses. Er nahm d i e Laterne und s t e l l t e sie, an die Wand g e l e h n t , auf den kurzen, runden Baumstrunk, der i h m als Bank d i e n t e . Wir setzten uns einander gegenber auf den Boden und aen Bohnen mit Fleisch aus einem Topf, d e n er zwischen uns gestellt hatte. Wir aen schweigend. Von Zeit zu Zeit warf er mir verstohlene B l i c k e zu und schien j e d e n Augenblick in Gelchter auszubrechen. Seine Augen waren w i e zwei Schlitze. Wenn er mich ansah, weiteten sie sich etwas, u n d das Licht der Laterne spiegelte sich in seinen feuchten Pupillen. Es war. als ob er sich das Licht zunutze machte, um diese Reflexe zu erzeugen. Er spielte mit ihnen, indem er j e d e s m a l . wenn er die Augen auf mich richtete, fast unmerklich den Kopf schttelte. Die Wirkung war ein faszi-

nierendes Lichtflimmern. Erst nach e t l i c h e n Malen bemerkte ich, da er dies absichtlich tat. Ich war davon berzeugt, da er damit einen bestimmten Zweck verfolgte. Ich f h l t e mich geradezu gezwungen, ihn danach zu fragen. Ich habe einen tieferen Grund, versicherte er. Ich besnftige dich mit meinen Augen. Offenbar bist du n i c h t mehr so nervs, nicht wahr? Ich mute zugeben, da i c h mich recht wohl f h l t e . Das stetige Flimmern in seinen Augen war n i c h t bedrohlich, und es hatte mich keineswegs erschreckt oder beunruhigt. Wie kannst du mich mit den Augen besnftigen? f r a g t e ich. Er wiederholte sein unmerkliches Kopfschtteln. T a t s c h l i c h spiegelte sich das Licht der Petroleumlampe in s e i n e n Pupillen. Versuch es doch selbst e i n m a l , sagte er wie nebenbei, als er noch mal nach dem Essen griff. Du kannst dich selbst beruhigen. Ich versuchte den Kopf zu s c h t t e l n ; meine Bewegung f i e l unbeholfen aus. Du wirst dich nicht beruhigen, wenn du derart mit dem Kopf wackelst, sagte er lachend. Statt dessen w i r s t du dir Kopfschmerzen einhandeln. Das Geheimnis liegt n i c h t im Kopfschtteln, sondern in dem Gefhl, das aus der Gegend u n t e r h a l b des Magens in die Augen strmt. Das ist es. was das Kopfschtteln verursacht. Er rieb sich die Nabelgegend. Als ich mit dem Essen f e r t i g war. l e h n t e ich mich bequem gegen e i n e n Stapel Holz und ein paar Rupfenscke. Ich versuchte sein Kopfschtteln nachzuahmen. Don Juan fand das anscheinend ungemein komisch. Er l a c h t e und schlug sich auf die Schenkel. Dann unterbrach p l t z l i c h ein Gerusch sein Gelchter. Ich hrte einen seltsamen, t i e f e n Klang, wie ein Pochen auf Holz, das aus dem Chaparral kam. Don Juan hob das Kinn, um m i r zu bedeuten, ich solle wachsam bleiben. Das ist der k l e i n e Nachtfalter, der d i c h r u f t , sagte er mit tonloser Stimme. Ich sprang auf die Fe. Augenblicklich hrte das Gerusch auf. Ich sah Don J u a n an und erwartete e i n e

Erklrung. Er machte eine komische Gebrde der Hilflosigkeit und hob die Schultern. Du hast deine Verabredung noch nicht eingehalten, fgte er hinzu. Ich sagte ihm, ich fhlte mich wertlos und sollte vielleicht nach Hause fahren, um wiederzukommen, wenn ich mich strker fhlte. Du redest Unsinn, fuhr er mich an. Ein Krieger nimmt sein Los auf sich, was es auch sei, und akzeptiert es in uerster Demut. Er akzeptiert demtig, was er ist, und dies ist ihm kein Anla zu bedauern, sondern eine starke Herausforderung. Jeder von uns braucht Zeit, um diesen Punkt zu verstehen und ihn voll zu erleben. Ich zum Beispiel hate frher die bloe Erwhnung des Wortes >Demut<. Ich bin ein Indianer, und wir Indianer sind seit j e h e r demtig und haben nie etwas anderes getan, als den Kopf zu beugen. Ich meinte, Demut sei nichts fr einen Krieger. Ich irrte mich! Heute wei ich, da die Demut eines Kriegers nicht die Demut eines Bettlers ist. Der Krieger beugte den Kopf vor niemandem, aber gleichzeitig erlaubt er es keinem anderen, seinen Kopf vor ihm zu beugen. Der Bettler hingegen f l l t bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf die Knie und leckt jedem, den er fr hher erachtet als sich selbst, die Stiefel: zugleich aber erwartet er. da ein Geringerer als er ihm die Stiefel leckt. Deshalb sagte ich dir heute auch schon, da ich nicht verstehe, wie die Meister des Ostens, die Gurus, sich fhlen. Ich kenne nur die Demut eines Kriegers, und diese wird mir nie erlauben, der Meister eines anderen zu sein. Wir schwiegen einen Augenblick. Seine Worte hatten mich tief angerhrt. Ich f h l t e mich betroffen, und gleichzeitig beschftigte mich das, was ich im Chaparral erlebt hatte. Mein bewutes Urteil l a u t e t e , da Don Juan mir etwas verheimlichte und offenbar wute, was wirklich geschehen war. Ich hing solchen berlegungen nach, als das gleiche seltsame, pochende Gerusch mich aus meinen Gedanken aufschreckte. Don Juan lchelte und fing an zu kichern.

Du hltst dich an die Demut des Bettlers, sagte er sanft. Du beugst den Kopf vor der Vernunft. Ich glaube immer, da mich jemand h e r e i n l e g t , sagte ich. Das ist der Kern meines Problems. Da magst du recht haben. Du wirst hereingelegt, erwiderte er mit entwaffnendem Lcheln. Dies kann aber nicht dein Problem sein. Der eigentliche Kern der Sache ist, da du glaubst, ich lge dich absichtlich an. Habe ich recht? Ja. Da ist etwas in mir, das mich nicht glauben lt, da das. was geschieht, wirklich ist. Du hast wieder recht. Nichts von alledem, was geschieht, ist wirklich. Was meinst du damit, Don Juan? Die Dinge sind erst dann wirklich, wenn man sich auf ihre Wirklichkeit geeinigt hat. Was zum Beispiel heute abend passiert ist, kann fr dich unmglich wirklich sein, weil sich niemand mit dir darber einigen knnte. Willst du damit sagen, du httest nicht gesehen, was geschah? Natrlich sah ich es. Aber ich kmmere mich nicht darum. Ich bin es doch, der dich anschwindelt, weit du noch? Don Juan lachte, bis er hustete und keuchte. Obwohl er sich ber mich lustig machte, war sein Lachen freundlich. Gib nicht allzu viel auf meinen Unsinn, beruhigte er mich. Ich versuche dir nur zu helfen, dich zu entspannen, und ich wei, da dir nur wohl ist, wenn du vllig durcheinander bist. Sein Gesichtsausdruck war gewollt komisch, und wir lachten beide. Was er eben gesagt hatte, meinte ich zu ihm, mache mir mehr Angst als alles andere. Hast du Angst vor mir? fragte er. Nicht vor dir, aber vor dem, wofr du eintrittst. Ich trete fr die Freiheit eines Kriegers ein. Hast du davor Angst? Nein. Aber ich habe Angst vor der furchtbaren Entrcktheit deines Wissens. Darin ist kein Trost fr mich, kein sicherer Hafen, in den ich mich flchten knnte. Schon wieder bringst du die Dinge durcheinander. Trost, sicherer Hafen, Furcht, all dies sind Stimmungen, die du

gelernt hast, ohne _ j e m a l s ihren Wert in Frage zu stellen. Wie man sieht, hast du dich schon ganz den Schwarzen Magiern verschrieben. Wer sind die Schwarzen Magier. Don J u a n ? Die Schwarzen Magier sind unsere Mitmenschen. Und da du zu ihnen gehrst, bist auch du ein Schwarzer Magier. Denk mal einen Augenblick nach! Kannst du von dem Weg abweichen, den sie dir vorschreiben? Nein. Dein Denken und dein Handeln sind auf ewig nach i h r e n Bedingungen f e s t g e l e g t . Das ist S k l a v e r e i . Ich dagegen habe dir Freiheit gebracht. Freiheit ist teuer, aber der Preis ist nicht unerschwinglich. Darum frchte deine Gefngniswrter, deine Meister! Vergeude nicht deine Zeit und deine Kraft, indem du Angst vor mir hast! Ich wute, da er recht hatte, und doch, trotz meiner e h r l i chen Zustimmung, wute ich auch, da meine lebenslangen Gewohnheiten mich unausweichlich auf meinem a l t e n Weg f e s t h a l t e n wrden. Tatschlich, ich kam mir wie ein Sklave vor. Nach langem Schweigen fragte mich Don Juan, ob ich mich stark genug fr eine weitere Begegnung mit dem Wissen fhlte. Du meinst, mit dem Nachtfalter? fragte ich halb im Scherz. Sein Krper krmmte sich vor Lachen. Es war. als h t t e ich i h m eben den besten Witz der Welt e r z h l t . Was meist du w i r k l i c h , wenn du sagst, das Wissen sei ein Nachtfalter? fragte ich. Ich habe nichts anderes im Sinn, erwiderte er. Ein Nachtfalter ist ein Nachtfalter. Ich hatte geglaubt, da du jetzt, nach allem, was du vollbracht hast, gengend Kraft httest, um zu sehen. Statt dessen hast du e i n e n Mann wahrgenommen, und das war nicht das wirkliche Sehen. Vom Anfang meiner Lehrzeit an h a t t e Don Juan mir das S e h e n als eine besondere Fhigkeit geschildert, die man entwickeln knne und die e i n e m e r l a u b t e , das i n n e r s t e Wesen der Dinge zu erfassen. In den Jahren unserer Verbindung h a t t e ich die Vorstellung gewonnen, da das. was er unter S e h e n verstand, ein intui-

tives Begreifen der Dinge ist, oder die Fhigkeit, etwas unmittelbar zu verstehen, oder die Eigenschaft, menschliche Interaktionen zu durchschauen und verborgene Bedeutungen und Motive zu entdecken. Ich knnte es so beschreiben, da du heute abend, als du den Nachtfalter erblicktest, halb schautest und halb sahst, fuhr Don Juan fort. Obgleich du in diesem Zustand nicht gnzlich dein gewohntes Selbst warst, warst du doch in der Lage, voll bewut zu sein, um dich deiner Kenntnis der Welt zu bedienen. Don Juan machte eine Pause und schaute mich an. Zuerst wute ich nicht, was ich sagen sollte. Dann fragte ich: Wie bediente ich mich meiner Kenntnis der Welt? Deine Kenntnis der Welt sagte dir, da sich im Gebsch nur umherschleichende Tiere oder Menschen verstecken knnen. An diesem Gedanken hieltst du fest, und natrlich mutest du eine Mglichkeit finden, die Welt in bereinstimmung mit diesem Gedanken zu bringen. Aber ich dachte berhaupt nichts. Don J u a n . Nun, nennen wir es nicht Denken. Es ist eher die Gewohnheit, die Welt stets in bereinstimmung mit unseren Gedanken zu sehen. Wenn sie dies nicht ist. sorgen wir einfach dafr, da sie bereinstimmt. Nachtfalter, gro wie ein Mann, kann man sich nicht einmal in Gedanken ausmalen, daher mute das, was sich im Gebsch bewegte, fr dich ein Mann sein. Dasselbe geschah mit dem Koyoten. Deine alten Gewohnheiten bestimmten auch den Charakter dieser Begegnung. Irgend etwas ereignete sich zwischen dir und dem Koyoten, aber es war kein Gesprch. Ich selbst war einmal in einem gleichen Dilemma. Ich habe dir erzhlt, da ich einmal mit e i n e m Reh sprach; und du hast nun mit einem Koyoten gesprochen, aber weder du noch ich werden jemals wissen, was bei diesen Gelegenheiten wirklich geschah. Was erzhlst du mir da, Don J u a n ? Als ich die Erklrung der Zauberer begriff, da war es zu spt, um zu erkennen, was das Reh mit mir anstellte. Ich sagte, da wir miteinander sprachen, aber so war es nicht. Wenn ich sage, da wir ein Gesprch hatten, dann ist dies nur eine bildliche Redeweise, die mir hilft, da ich darber sprechen kann. Das

Reh und ich taten irgend etwas, aber damals, als dies geschah, mute ich die Welt in bereinstimmung mit meinen Gedanken bringen, genau wie du es tust. Mein Leben lang habe ich geredet, genau wie du. deshalb beherrschten meine Gewohnheiten mich weiter und erstreckten sich auch auf das Reh. Als das Reh zu mir kam und etwas tat. was es auch sein mochte, war ich gezwungen, dies als Reden zu verstehen. Ist dies die Erklrung der Zauberer1 Nein. Dies ist meine Erklrung, die ich dir gebe. Aber sie widerspricht nicht der Erklrung der Z a u b e r e r . Diese Feststellung versetzte mich in eine starke seelische Erregung. Einen Augenblick lang verga ich den umherschleichenden Nachtfalter und sogar mein Mitschreiben. Ich versuchte, seine uerungen mit meinen eigenen Worten wiederzugeben, und wir v e r t i e f t e n uns in eine lange Diskussion ber den r e f l e x i v e n Charakter unserer Welt. Die Welt mute. wie Don J u a n meinte, mit ihrer Beschreibung bereinstimmen; das heit, die Beschreibung reflektierte sich selbst. Ein weiterer Punkt seiner Erluterungen war. da wir g e l e r n t htten, uns zu unserer Beschreibung der Welt mittels dessen zu verhalten, was er als Gewohnheiten bezeichnete. Ich fhrte einen, wie ich glaubte, umfassenderen Begriff ein, nmlich Intentionalitt. die Eigenschaft menschlichen Bewutseins. mit deren H i l f e man sich auf ein O b j e k t bezieht oder es intendiert. Unser Gesprch f h r t e zu einer sehr interessanten Spekulation. Betrachtete man mein R e d e n mit dem Koyoten im Licht von Don J u a n s Erklrung, dann nahm es einen n e u e n Charakter an. Tatsachlich hatte ich den Dialog intendiert, da ich nie ein anderes Mittel der i n t e n t i o n a l e n Kommunikation gekannt habe. Ich hatte mich auch e r f o l g r e i c h an die Beschreibung a n g e p a t , da Kommunikation durch den Dialog s t a t t f i n d e t , und so hatte ich es dahin gebracht, da die Beschreibung sich selbst reflektierte. Einen Augenblick geriet ich vllig in Verzckung. Don J u a n lachte und meinte, die Tatsache, da ich mich derart von Worten beeindrucken lasse, sei ein weiteres Zeichen meiner Dummheit. Er machte eine komische Grimasse lautlosen Sprechens.

Alle f a l l e n wir auf den gleichen Quatsch herein, sagte er nach langer Pause. Die einzige Mglichkeit, dies zu berwinden, besteht darin, beharrlich wie ein Krieger zu handeln. Das brige kommt von selbst und durch sich selbst. Was ist das brige, Don Juan? Wissen und Kraft. Die Wissenden haben beides. Und doch knnte keiner von ihnen sagen, wie er dahin gelangt ist, es zu besitzen, auer da er stets wie ein Krieger handelte und da in einem bestimmten Augenblick sich alles nderte. Er sah mich an. Er schien unentschlossen, dann stand er auf und sagte, es bleibe mir nichts anderes brig, als meine Verabredung mit dem Wissen einzuhalten. Ein Frsteln berkam mich; mein Herz schlug schneller. Ich stand auf. Don Juan umkreiste mich, als wolle er meinen Krper von allen Seiten untersuchen. Er gab mir ein Zeichen, ich solle mich setzen und weiterschreiben. Wenn du zuviel Angst hast, wirst du deine Verabredung nicht einhalten knnen, sagte er. Ein Krieger mu ruhig und gesammelt sein, und er darf niemals die Nerven verlieren. Ich frchte mich wirklich, sagte ich. Nachtfalter oder was sonst, da drauen schleicht etwas durch die Bsche. Natrlich ist da etwas! rief er. Ich beanstande nur, da du beharrlich glaubst, es sei ein Mann, genau wie du beharrlich denkst, du httest mit einem Koyoten geredet. Ein Teil von mir verstand vollkommen, was er sagte; da war jedoch noch ein anderer Teil meiner selbst, der nicht aufgeben wollte und sich, dem Augenschein zum Trotz, an die Vernunft klammerte. Ich sagte Don Juan, da seine Erklrung meine S i n n e nicht zufriedenstelle, wenngleich ich ihr intellektuell vllig zustimmte. Das ist ja der Fehler an den Worten, sagte er in berzeugendem Ton. Sie zwingen uns stets, uns aufgeklrt zu fhlen, aber kaum drehen wir uns um und betrachten die Welt, wie sie ist, lassen sie uns im Stich, und wir betrachten die Welt schlielich, wie wir es immer taten, ohne _ jede Aufklrung. Aus diesem Grund ist ein Zauberer bestrebt, lieber zu handeln, statt zu sprechen, und zu diesem Zweck bernimmt er

eine neue Beschreibung der Welt - eine neue Beschreibung, wo Reden nicht so wichtig ist und wo neue Taten neue Reflexion nach sich ziehen. Er setzte sich neben mich, starrte mir in die Augen und forderte mich auf, auszusprechen, was ich wirklich im Chaparral gesehen htte. Ich stand vor einem beunruhigenden Widerspruch; Ich hatte die dunkle Gestalt eines Mannes gesehen, aber ich hatte auch gesehen, wie diese Gestalt sich in einen Vogel verwandelte. Ich hatte also mehr erlebt, als meine Vernunft mir fr mglich zu halten gestattete. Statt aber meine Vernunft berhaupt aus dem Spiel zu lassen, hatte ein Teil meiner selbst gewisse Elemente meiner Erfahrung - etwa die Gre und die groben Umrissen der dunklen Gestalt - herausgegriffen und sie als vernnftige Mglichkeiten in Betracht gezogen, wobei ich andere Elemente auer acht lie, so etwa den Umstand, da die dunkle Gestalt sich in einen Vogel verwandelt hatte. Folglich war ich zu der berzeugung gelangt, da ich einen Mann gesehen hatte. Als ich meine Verlegenheit in Worte fate, schttelte Don Juan sich vor Lachen. Er meinte, frher oder spter werde die Erklrung der Zauberer mir behilflich sein, und dann werde alles vollkommen klarwerden, ohne deshalb notwendig vernnftig oder unvernnftig zu sein. Inzwischen kann ich nur eines fr dich tun, nmlich dir versichern, da es kein Mann war, sagte er. Don Juans wachsamer Blick entnervte mich. Unwillkrlich zitterte ich am ganzen Leib. Er machte mich verlegen und nervs. Ich suche nach irgendwelchen Zeichen an deinem Krper, erklrte er. V i e l l e i c h t weit du es nicht, aber heute abend hattest du dort drauen eine ziemliche Kraftprobe zu bestehen. Nach was fr Zeichen suchst du denn? Keine wirklichen physischen Zeichen an deinem Krper, sondern Male, Anzeichen deiner leuchtenden Fasern, glnzende Flecken. Wir sind leuchtende Wesen, und alles, was wir sind, oder alles, was wir fhlen, zeigt sich an unseren Fasern. Die Menschen zeigen ein fr sie eigentmliches Leuchten.

Dies ist die einzige Mglichkeit, sie von anderen lebenden leuchtenden Wesen zu unterscheiden. Httest du heute abend gesehen, dann httest du bemerkt, da die Gestalt im Gebsch kein lebendes leuchtendes Wesen war. Ich wollte noch weiterfragen, aber er legte mir die Hand auf den Mund und gebot mir Schweigen. Dann nherte er sich meinem Ohr und flsterte mir zu, ich solle horchen und versuchen, ein leises Rascheln zu hren, die sanften, gedmpften Schritte eines Nachtfalters auf dem trockenen Laub und auf den Zweigen am Boden. Ich hrte nichts. Pltzlich stand Don Juan auf, nahm die Laterne und sagte, wir sollten uns auf die Veranda vor seiner Haustr setzen. Er fhrte mich zur Hintertr hinaus und. am Rande des Chaparral entlang, ums Haus herum statt durch den Innenraum und die Vordertr. Er erklrte, es sei wichtig, da wir unsere Anwesenheit zu erkennen gben. Wir gingen im Halbkreis links um das Haus. Don Juans Gang war qulend langsam. Seine Schritte waren tapsig und schwankend. Seine Hand mit der Laterne zitterte. Ich fragte, ob ihm etwas fehle. Er winkte mich heran und flsterte mir zu, der groe Nachtfalter, der hier umherschleiche, habe eine Verabredung mit einem _ jungen Mann, und der langsame Gang eines schwachen, alten Mannes sei das geeignete Mittel um anzuzeigen, wem die Verabredung gelte. Nachdem wir schlielich die Vorderfront des Hauses erreicht hatten, hngte Don Juan die Laterne an e i n e n B a l k e n und hie mich, mit dem Rcken gegen die Wand zu sitzen. Er setzte sich rechts neben mich. Hier werden wir sitzenbleiben, sagte er, und du wirst schreiben und dich ganz normal mit mir u n t e r h a l t e n . Der Nachtfalter, der dich heute a n g e f a l l e n hat, ist dort drauen im Gebsch. Nach einiger Zeit wird er nher kommen, um nach dir zu schauen. Darum habe ich auch die Laterne d i r e k t ber dir aufgehngt. Das Licht wird den Nachtfalter leiten, damit er dich finde. Wenn er den Rand des Gebschs erreicht, wird er dich rufen. Es ist ein ganz besonderes Gerusch. Schon das Gerusch allein kann dir vielleicht helfen. Was ist das fr ein Gerusch, Don Juan?

Es ist ein Gesang. Ein beschwrender Lockruf, den Nachtfalter ausstoen. Gewhnlich kann man ihn nicht hren, aber der Falter dort drauen ist ein ungewhnlicher Nachtfalter; du wirst seinen Ruf ganz klar hren, und vorausgesetzt, da du makellos bist, wird er den Rest deines Lebens bei dir bleiben. Wobei wird er mir h e l f e n ? Heute nacht wirst du versuchen, etwas zu vollenden, was du bereits begonnen hast. Das Sehen geschieht nur, wenn es dem Krieger gelingt, seinen inneren Dialog anzuhalten. Heute hast du, dort drauen im Gebsch, willentlich dein Selbstgesprch angehalten. Und du hast gesehen. Was du sahst, war nicht klar. Du glaubtest, es sei ein Mann. Ich sage, es war ein Nachtfalter. Keiner von uns hat recht, aber nur deshalb, weil wir sprechen, uns mit Worten verstndigen mssen. Trotzdem bin ich im Vorteil, weil ich besser sehe als du und weil ich mit der Erklrung der Zauberer vertraut bin; daher wei ich, auch wenn es nicht ganz r i c h t i g ist, da die Gestalt, die du heute abend sahst, ein Nachtfalter war. Und jetzt wirst du schweigend und ohne Gedanken hier abwarten und diesen k l e i n e n Nachtfalter wieder zu dir kommen lassen. Ich konnte kaum mitschreiben. Don Juan lachte und drngte mich, weiterzuschreiben, als ob nichts mich beunruhigte. Er fate mich am Arm und meinte, das Schreiben sei der beste Schutzschild, den ich htte. Wir haben noch nie ber die Nachtfalter gesprochen, fuhr er fort. Bis j e t z t war der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen. Wie du weit, war dein Geist nicht im Gleichgewicht. Um dem entgegenzuwirken, habe ich dich gelehrt, wie ein Krieger zu leben. Du weit, ein Krieger geht von der Gewiheit aus, da sein Geist aus dem Gleichgewicht geraten ist; dadurch, da er in vollkommener Selbstkontrolle und Bewutheit. aber ohne Eile oder Zwang lebt, tut er sein uerstes und Bestes, um sein Gleichgewicht zu erlangen. In deinem Fall, wie im Fall eines jeden Menschen, war dein Ungleichgewicht durch die Summe aller deiner Handlungen bedingt. Aber jetzt scheint dein Geist im richtigen Zustand zu sein, um ber die Nachtfalter zu sprechen.

Woher wutest du, da dies der richtige Zeitpunkt ist, um ber die Nachtfalter zu sprechen? Als du ankamst, konnte ich einen kurzen Blick auf den umherschleichenden Nachtfalter werfen. Dies war das erste Mal, da er sich freundlich und offen zeigte. Ich hatte ihn schon vorher, in den Bergen bei Genaros Haus, gesehen, aber nur als eine bedrohliche Gestalt, die deinen Mangel an Ordnung widerspiegelte. In diesem Augenblick hrte ich ein seltsames Gerusch. Es war wie das gedmpfte Knarren eines Astes, der sich an einem anderen reibt, oder wie das aus der Ferne gehrte Tuckern eines kleinen Motors. Seine Tonhhe vernderte sich, beinah musikalisch, und schuf einen unheimlichen Rhythmus. Dann hrte es auf. Das war der Nachtfalter, sagte Don Juan. Vielleicht hast du schon bemerkt, da hier, obwohl das Licht der Laterne hell genug wre, um Nachtfalter anzuziehen, kein einziger umherfliegt. Dies war mir nicht aufgefallen, aber kaum hatte Don Juan mich darauf aufmerksam gemacht, bemerkte ich ebenfalls die unglaubliche Stille in der Wste und vor dem Haus. Werde nicht nervs, sagte er ruhig. In dieser Welt gibt es nichts, was ein Krieger sich nicht erklren knnte. Siehst du, ein Krieger betrachtet sich als bereits gestorben, daher hat er nichts zu verlieren. Das Schlimmste ist ihm schon widerfahren, daher bleibt er klar und ruhig; nach seinen Taten oder Worten zu urteilen, kme niemand auf den Verdacht, da er etwas Besonderes beobachtet hat. Don Juans Worte, und vor allem seine Stimme, wirkten sehr beruhigend auf mich. Ich erzhlte ihm, da ich in meinem tglichen Leben nicht mehr wie einst j e n e zwanghafte Angst versprte, da aber mein Krper bei dem Gedanken an das, was dort drauen in der Dunkelheit lauerte, sich vor Angst in Krmpfen wand. Dort drauen ist nur das Wissen, stellte er sachlich f e s t . Das Wissen jagt Furcht ein, das ist wahr. Aber wenn der Krieger die bengstigende Natur des Wissens akzeptiert, dann durchkreuzt er seine Furchtbarkeit. Das seltsame pochende Gerusch setzte wieder ein. Es kam

mir jetzt nher und lauter vor. Ich horchte aufmerksam. Je mehr ich darauf achtete, desto schwerer konnte ich bestimmen, was es war. Offenbar war es kein Vogelruf, auch nicht der Schrei eines Landtieres. Jeder einzelne Ton war voll und tief; einige hielten sich in einer t i e f e n Tonlage, andere in einer hohen. Sie hatten einen eigenen Rhythmus und eine bestimmte Dauer; einige waren lang, ich hrte sie wie eine einzige Klangeinheit; andere waren kurz und gehuft, wie das Stakkato eines Maschinengewehrs. Die Nachtfalter sind die Boten oder besser gesagt, die Wchter der Ewigkeit, sagte Don Juan, nachdem das Gerusch aufgehrt hatte. Aus irgendeinem Grund, oder aus gar keinem Grund, sind sie die Bewahrer des Goldstaubs der Ewigkeit. Diese Metapher war mir fremd. Ich bat ihn, sie zu erklren. Die Nachtfalter haben einen Staub auf den Flgeln, sagte er. Einen dunkel-goldenen Staub. Dieser Staub ist der Staub des Wissens. Seine Erklrung machte die Metapher noch unverstndlicher. Ich schwankte einen Augenblick, whrend ich berlegte, wie ich meine Frage am besten in Worte fassen knnte. Aber er hob wieder an zu sprechen. Das Wissen ist eine hchst eigenartige Sache, sagte er, besonders fr einen Krieger. Fr den Krieger ist das Wissen etwas, das pltzlich kommt, ihn berwltigt und mitreit. Was hat das Wissen mit dem Staub auf den Flgeln der Nachtfalter zu tun? fragte ich nach langer Pause. Das Wissen schwebt heran wie Flocken von Goldstaub, vom gleichen Staub, der die Flgel der Nachtfalter bedeckt. Daher wirkt das Wissen auf den Krieger, als nhme er eine Dusche, als liee er sich von den dunkel-goldenen Staubflocken beregnen. Ich suchte mich hflich auszudrcken, aber ich mute ihm doch sagen, da seine Erklrungen mich einigermaen verwirrt htten. Er lachte und versicherte mir, er rede vllig klar, nur gestatte meine Vernunft mir nicht, dies zuzugeben. Die Nachtfalter sind seit undenklichen Zeiten die vertrauten Freunde und Helfer der Zauberer, sagte er. Ich habe dieses Thema bisher nicht erwhnt, weil du nicht bereit warst.

Aber wieso kann der Staub auf ihren Flgeln Wissen sein? Du wirst es sehen. Er legte die Hand auf mein Notizbuch und befahl mir, die Augen zu schlieen und ruhig zu werden, ohne jeden Gedanken. Der Ruf des Nachtfalters im Chaparral, meinte er, werde mir helfen. Wenn ich darauf achte, werde er mir von bevorstehenden Ereignissen erzhlen. Er rumte ein, da er weder wisse, wie sich die Kommunikation zwischen dem Nachtfalter und mir herstellen, noch um was es bei dieser Kommunikation gehen werde. Er forderte mich auf, unbefangen und zuversichtlich zu sein und auf meine persnliche Kraft zu vertrauen. Nach einer anfnglichen Phase der Ungeduld und Nervositt gelang es mir, mich zu beruhigen. Meine Gedanken wurden immer weniger, bis mein Geist vllig leer war. Die Gerusche des W stenchaparral schienen im gleichen Ma lauter zu werden, wie ich ruhiger wurde. Das seltsame Gerusch, das, wie Don Juan meinte, von einem Nachtfalter herrhrte, war wieder da. Ich registrierte es als ein Gefhl im Krper, nicht als einen Gedanken in meinem Kopf. Ich stellte fest, da es berhaupt nicht bedrohlich oder feindselig war. Es war lieblich und einfach. Wie der Ruf eines Kindes. Es rief die Erinnerung an einen kleinen Jungen wach, den ich einst gekannt hatte. Die langen Tne erinnerten mich an seinen runden, blonden Kopf, die kurzen Stakkato-Klnge an sein Lachen. Ein schmerzliches Gefhl bedrckte mich, und doch war mein Geist leer von Gedanken; ich sprte den Schmerz krperlich. Ich konnte nicht mehr aufrecht sitzen und glitt nach der Seite zu Boden. Meine Trauer wurde so heftig, da mein Denken wieder einsetze. Ich berlegte, was es mit meinem Schmerz und meinem Kummer auf sich haben mochte, und pltzlich fand ich mich mitten in einem Selbstgesprch ber den kleinen Jungen. Das pochende Gerusch hatte aufgehrt. Meine Augen waren geschlossen. Ich hrte, wie Don Juan aufstand, und dann sprte ich, wie er mir half, mich aufrecht zu setzen. Ich wollte nicht sprechen. Auch er sagte kein Wort. Ich hrte seine Schritte. Dann ffnete ich die Augen. Er kniete vor mir und betrachtete aufm erksam m ein

Gesicht, wobei er mich mit der Laterne anleuchtete. Er befahl mir, die Hnde ber den Magen zu legen. Er stand auf. ging in die Kche und brachte mir Wasser. Einen Teil davon spritzte er mir ins Gesicht, den Rest gab er mir zu trinken. Er setzte sich neben mich und reichte mir mein Notizbuch. Jenes Gerusch, erzhlte ich ihm, habe mich in eine ungemein peinigende Trumerei versetzt. Du lt dich grenzenlos gehen, sagte er scharf. Er schien tief in Gedanken versunken, als wollte er e i n e n Vorschlag machen, ohne die rechten Worte zu finden. Heute abend geht es darum, Menschen zu sehen, meinte er schlielich. Zuerst mu du deinen inneren Dialog anhalten. dann mut du dir das Bild der Person vorstellen, die du sehen mchtest; jeder Gedanke, den man im Zustand schweigender Ruhe denkt, ist strenggenommen ein Befehl, denn es sind keine anderen Gedanken vorhanden, die i h m Konkurrenz machen knnten. Heute nacht will der Nachtfalter im Gebsch dir helfen, darum wird er fr dich singen. Sein Gesang wird die goldenen Staubflocken rieseln lassen, und dann wirst du den Menschen sehen, fr den du dich entschieden hast. Ich wollte noch weitere Einzelheiten wissen, aber er vollfhrte eine jhe Geste und bedeutete mir, ich solle anfangen. Nachdem ich einige Minuten darum ringen mute, meinen inneren Dialog anzuhalten, wurde ich vollkommen ruhig. Dann bemhte ich mich, an einen Freund von mir zu denken. Ich schlo die Augen fr einen, wie ich meinte, kurzen Augenblick, und dann wurde mir bewut. da jemand mich an den Schultern schttelte. Es war wie ein langsames Erwachen. Ich ffnete die Augen und stellte fest, da ich auf der l i n k e n Seite lag. Offenbar war ich in einen so t i e f e n Schlaf gefallen, da ich mich nicht erinnern konnte, wann und ob ich zu Boden gesunken war. Don Juan half mir, mich wieder aufrecht zu setzen. Er lachte. Er i m i t i e r t e mein Schnarchen und meinte. wenn er es nicht selbst gesehen htte, wrde er nicht glauben. da jemand so schnell einschlafen knne. Jedesmal, wenn er mit mir zusammen sei und ich etwas tun solle, was meine Vernunft nicht wahrhaben wolle, habe er einen Riesenspa mit mir, meinte er. Er schob mein Notizbuch beiseite und erklrte, wir mten von vorn beginnen.

Ich traf die notwendigen Vorbereitungen. Das seltsame, pochende Gerusch setzte wieder ein. Diesmal aber kam es nicht aus dem Chaparral; vielmehr schien es in mir selbst zu sein, als brchten meine Lippen, meine Beine oder Arme es hervor. Bald hllte das Gerusch mich ganz ein. Mir war, als ob weiche Kugeln aus mir heraussprudelten oder auf mich niederregneten; ich hatte das besnftigende, angenehme Gefhl, von schweren Baumwollbllchen bombardiert zu werden. Pltzlich hrte ich etwas, wie wenn eine Tr von einem Windsto aufgesprengt wird, und mein Denken setzte wieder ein. Ich glaubte, ich htte abermals eine Gelegenheit vertan. Ich ffnete die Augen und fand mich zu Hause in meinem Zimmer wieder. Die Dinge auf meinem Schreibtisch lagen da, wie ich sie verlassen hatte. Die Tr stand offen; drauen wehte ein starker Wind. Mir kam der Gedanke, ich sollte vielleicht den Warmwasserbereiter kontrollieren. Ich hrte, wie an den Schiebefenstern gerttelt wurde, die ich selbst eingebaut hatte und die im Rahmen ein wenig klemmten. Es war ein heftiges Rtteln, als ob jemand einsteigen wollte. Schlagartig berkam mich Angst. Ich stand von meinem Stuhl auf. Ich sprte, wie mich etwas mitzog. Ich schrie. Don Juan schttelte mich an den Schultern. Aufgeregt berichtete ich ihm von meiner Vision. Sie war so lebhaft gewesen, da ich davon noch zitterte. Ich meinte, eben noch an meinem Schreibtisch gesessen zu haben, in voller Krperlichkeit. Don Juan schttelte unglubig den Kopf und meinte, ich sei ein Genie darin, mich selber hereinzulegen. Er schien durch meinen Bericht nicht sonderlich beeindruckt. Er schob ihn einfach beiseite und befahl mir, von neuem zu beginnen. Dann hrte ich wieder das geheimnisvolle Gerusch. Es erreichte mich, wie Don Juan vermutet hatte, in Form eines Regens goldener Flocken. Ich sprte sie nicht wie Flocken oder flache Scheiben, als die Don Juan sie beschrieben hatte, sondern eher als sphrische Blasen. Sie schwebten mir entgegen. Eine platzte auf und enthllte mir ein Bild. Es war, als habe sie vor meinen Augen angehalten und sich geffnet, um einen seltsamen Gegenstand preiszugeben. Er sah aus wie ein Pilz. Ich konnte es eindeutig sehen, und was ich erlebte, war

kein Traum. Das pilzhnliche Objekt blieb unverndert in meinem Gesichts-Feld, und dann zerbarst es, wie wenn das Licht, das es beschienen hatte, ausgeschaltet worden sei. Darauf folgte eine endlose Dunkelheit. Ich sprte ein Beben, ein sehr beunruhigendes Rtteln, und dann wurde mir pltzlich bewut, da mich jemand schttelte. Pltzlich waren meine Sinne wieder hell wach. Don Juan schttelte mich heftig, und ich sah ihn an. Offenbar hatte ich gerade in diesem Augenblick die Augen geffnet. Er spritzte mir Wasser ins Gesicht. Die Klte war sehr angenehm. Nach kurzer Pause wollte er wissen, was mir diesmal begegnet sei. Ich berichtete i h m ausfhrlich von meiner Vision. Aber was war das, was ich da sah, Don Juan? Dein Freund, antwortete er. Ich lachte und erklrte ihm geduldig, ich htte eine pilzhnliche Figur gesehen. Obwohl mir ein Vergleichsmastab fehlte, sagte ich, htte ich sie rein nach Gefhl etwa auf einen Fu Lnge geschtzt. Das Gefhl, beteuerte Don Juan, sei das einzige, worauf es ankomme. Meine Gefhle, meinte er, seien der Mastab, der ber den Zustand der von mir gesehenen Objekte entscheide. Deiner Beschreibung und deinen Gefhlen mu ich wohl entnehmen, sagte er, da dein Freund ein feiner Kerl ist. Seine Worte verblfften mich. Die pilzhnliche Gestalt, erklrte er mir, sei das typische Kennzeichen der Menschen, solange der Zauberer sie aus groer Entfernung sieht; stehe der Zauberer dem Betreffenden aber unmittelbar gegenber, dann zeige sich dessen menschliche Eigenschaft in Form eines eifrmigen Gebildes aus leuchtenden Fasern. Du hast deinem Freund nicht unmittelbar gegenbergestanden, sagte er. Darum sah er aus wie ein Pilz. Aber warum ist dies so, Don Juan? Das wei niemand. Dies ist halt einfach das Aussehen der Menschen bei dieser besonderen Art des Sehens. Alle Merkmale der pilzhnlichen Gestalt htten eine besonde-

re Bedeutung, fuhr er fort, aber ein Anfnger knne diese Bedeutung noch nicht richtig interpretieren. Jetzt kam mir eine verblffende Erinnerung. Vor ein paar Jahren hatte ich, in einem durch die Einnahme psychotroper Pflanzen hervorgerufenen Zustand der anderen Realitt, erlebt oder wahrgenommen, da whrend ich in einen Wassergraben blickte, eine Traube von Blasen auf mich zuschwebte und mich e i n h l l t e . Die goldenen Blasen, die ich soeben gesehen hatte, waren genauso herangeschwebt und hatten mich eingehllt. Ich konnte sogar feststellen, da die Trauben jedesmal die gleiche Struktur und das gleiche Muster aufwiesen. Don J u a n hrte meinen Ausfhrungen uninteressiert zu. Verschwende deine Zeit nicht auf Lappalien, sagte er. D u hast es mit der Unendlichkeit dort drauen zu t u n . Mit einer Handbewegung deutete er zum Chaparral. Du gewinnst nichts dabei, wenn du all diese Herrlichkeit als etwas Vernnftiges erklrst. Hier umgibt uns die Ewigkeit selbst. Das Bemhen, sie auf e i n e n handlichen Unfug zu reduzieren, ist kleinlich und geradezu v e r h n g n i s v o l l . Dann bestand er darauf, ich solle versuchen, _ jemand anderen aus meinem Bekanntenkreis zu s e h e n . Sobald die Vision vorber sei, fgte er hinzu, solle ich mich bemhen, aus eigener Kraft die Augen zu ffnen und zum v o l l e n Bewutsein meiner unmittelbaren Umgebung aufzutauchen. Es gelang mir, den Anblick e i n e r anderen p i l z h n l i c h e n Gestalt festzuhalten, aber whrend die erste g e l b l i c h und k l e i n gewesen war, war die zweite w e i l i c h , grer und verschwommen. Als wir schlielich unser Gesprch ber die zwei Gestalten, die ich gesehen hatte, beendeten, h a t t e i c h den Nachtfalter im Gebsch, der mich erst zuvor so beeindruckt hatte, ganz vergessen. Ich erzhlte Don Juan, wie sehr es mich verwunderte, da ich mich mit solcher Leichtigkeit ber etwas so wahrhaft Unheimliches hinwegsetzen konnte. Mir schien, als sei ich nicht mehr derselbe, als den ich mich k a n n t e . Ich sehe nicht ein, warum du soviel Wesens davon machst, sagte Don Juan. Sobald der Dialog aufhrt, bricht die Welt zusammen, und auerordentliche Seiten unseres Selbst wer-

den sichtbar, als wren sie bis dahin durch unsere Worte streng bewacht worden. Du bist, wie du bist, weil du dir sagst, da du so bist. Nach kurzer Pause drngte mich Don Juan, weitere Freunde von mir zu rufen. Es komme darauf an, meinte er, da man so oft wie mglich, versuche zu sehen, um eine Richtschnur des Fhlens zu gewinnen. Nacheinander rief ich zweiunddreiig Personen an. Nach jedem Versuch verlangte er von mir eine sorgfltige, ausfhrliche Schilderung all dessen, was ich in meiner Vision wahrgenommen hatte. Dieses Verfahren nderte er jedoch in dem Ma ab, wie mein Bemhen erfolgreicher wurde - jedenfalls danach zu urteilen, wie es mir gelang, den inneren Dialog binnen Sekunden abzustellen, am Ende einer jeden Erfahrung aus eigener Kraft die Augen zu ffnen und ohne bergang wieder zu normalen Beschftigungen zurckzukehren. Diese Vernderung bemerkte ich, whrend wir die Frbung der pilzfrmigen Gestalten diskutierten. Er hatte gerade festgestellt, da das, was ich Frbung nannte, keine Farbnuance sei, sondern ein Leuchten von unterschiedlicher I n t e n s i t t . Ich wollte eben ein gelbliches Leuchten schildern, das ich wahrgenommen hatte, als er mich unterbrach und genau beschrieb, was ich gesehen hatte. Von diesem Augenblick an diskutierte er den Inhalt einer jeden Vision n i c h t so, als verstnde er, was ich sagte, sondern als htte er sie selbst gesehen. Als ich ihn um eine Erklrung dafr bat, weigerte er sich einfach. darber zu sprechen. Als ich schlielich alle zweiunddreiig Personen angerufen hatte, war mir klargeworden, da ich eine Vielzahl pilzfrmiger Gestalten von unterschiedlicher Leuchtkraft gesehen hatte und da ich ihnen gegenber die unterschiedlichsten Gefhle hegte, von gelindem Entzcken bis zu schierem Abscheu. Die Menschen, e r k l r t e Don Juan, seien von Strukturen erfllt, die Wnsche, Probleme, Leiden, Sorgen usw. darstellen knnten. Nur ein wirklich starker Zauberer, behauptete er, knne die Bedeutung dieser Strukturen entrtseln, und so msse ich mich damit abfinden, nur die allgemeine Gestalt der Menschen zu erkennen.

Ich war sehr mde. Irgendwie hatten diese seltsamen Gestalten mich wirklich erschpft. Mein allgemeiner Eindruck ihnen gegenber war - Abneigung. Sie waren mir unangenehm gewesen. Sie hatten bewirkt, da ich mich gefangen und verurteilt fhlte. Don Juan verlangte, ich solle schreiben, um dieses schwermtige Gefhl zu vertreiben. Nach einer lngeren Pause, whrend welcher ich nichts notieren konnte, forderte er mich auf. Leute anzurufen, die er selbst auswhlen wollte. Nun traten eine Reihe anderer Gestalten auf. Sie waren nicht pilzfrmig, sondern sahen eher wie umgestlpte japanische Sake-Schalen aus. Einige wiesen ein kopffrmiges Gebilde auf, hnlich dem Fu einer Sake-Schale. Andere waren eher rund. Ihre Erscheinung war angenehm und friedlich. Ich sprte, da ein eigentmliches Glcksgefhl von ihnen ausging. Sie federten auf und ab, im Gegensatz zu der erdgebundenen Schwere, die der vorhergehenden Gruppe eigen gewesen war. Die bloe Tatsache, da sie da waren, linderte irgendwie meine Erschpfung. Zu den Personen, die Don Juan auswhlte, gehrte sein Lehrling Eligio. Als ich das Bild Eligios herbeibeschwor, erlitt ich einen Schock, der mich aus meinem visionren Zustand aufrttelte. Eligio zeigte sich in einer langen, weien Gestalt, die emporschnellte und sich auf mich strzen zu wollen schien. Don Juan erklrte, Eligio sei ein sehr begabter Lehrling und habe zweifellos bemerkt, da jemand ihn s a h . Eine weitere, von Don Juan ausgewhlte Person war Pablito. Don Genaros Lehrling. Der Schock, den die Vision Pablitos mir versetzte, war noch heftiger als bei Eligios Anblick. Don Juan lachte, bis ihm die Trnen ber die Wangen rollten. Warum sind diese Menschen anders geformt? Sie haben mehr persnliche Kraft, erwiderte er. Wie du vielleicht bemerkt hast, haften sie nicht am Boden. Was gibt ihnen diese Leichtigkeit? Ist sie ihnen angeboren? Wir sind alle mit dieser federnden Leichtigkeit geboren, aber mit der Zeit werden wir erdschwer und s t e i f . Wir selbst machen uns dazu. Vielleicht kann man daher sagen, da diese

Menschen eine andere Gestalt haben, weil sie wie Krieger leben. Doch das ist unwesentlich. Entscheidend ist, da du jetzt an der Schwelle stehst. Du hast siebenundvierzig Menschen angerufen, und du brauchst nur noch einen einzigen zu rufen, um die ursprnglichen achtundvierzig vollzumachen. In diesem Augenblick erinnerte ich mich, da er mir vor Jahren, als wir ber Maiszauber und Wahrsagerei sprachen, erzhlt hatte, da die Anzahl der Maiskrner, die ein Zauberer besitze, achtundvierzig sei. Warum, das h a t t e er mir nie erklrt. So fragte ich ihn wieder: Warum achtundvierzig? Die Achtundvierzig ist unsere Zahl, sagte er. Das ist es. was uns zu Menschen macht. Ich wei nicht warum. Verschwende deine Kraft nicht auf trichte Fragen. Er stand auf und streckte seine Glieder. Er forderte mich auf, es ihm gleichzutun. Ich beobachtete, da sich am Himmel im Osten schon ein Lichtschimmer zeigte. Wir setzten uns wieder. Er beugte sich vor und brachte seinen Mund an mein Ohr. Der letzte, den du rufen wirst, ist Genaro, der wahre McCoy, flsterte er. Neugier und Erregung bestrmten mich. Blitzartig ging ich die erforderlichen Schritte durch. Das seltsame Gerusch vom Rand des Chaparral wurde lebhafter und nahm erneut an Lautstrke zu. Ich hatte es schon beinah vergessen gehabt. Die goldenen Blasen hllten mich ein, und dann erblickte ich in einer von ihnen Don Genaro selbst. Er stand vor mir und hielt den Hut in der Hand. Er lchelte. Rasch schlug ich die Augen auf und wollte zu Don Juan gerade etwas sagen, doch bevor ich noch ein Wort herausbrachte, versteifte mein Krper sich wie ein B r e t t ; meine Haare standen zu Berge, und einen langen Augenblick wute ich nicht, was ich tun oder sagen sollte. Don Genaro stand unmittelbar vor mir - leibhaftig! Ich wandte mich zu Don Juan um; er lchelte. Dann brachen die beiden in ein gewaltiges Gelchter aus. Auch ich versuchte zu lachen. Es gelang mir nicht. Ich stand auf. Don Juan reichte mir einen Becher Wasser. Mechanisch trank

ich. Ich erwartete, er werde mein Gesicht mit Wasser bespritzen. Statt dessen f l l t e er meinen Becher erneut. Don Genaro kratzte sich am Kopf und verbarg ein Grinsen. Mchtest du nicht Genaro begren? fragte Don Juan. Es kostete mich eine ungeheure Anstrengung, meine Gedanken und Gefhle zu ordnen. Schlielich murmelte ich Don Genaro irgendeinen Gru zu. Er machte eine Verbeugung. Du hast mich gerufen, nicht wahr? fragte er lchelnd. Stotternd drckte ich meine Verwunderung darber aus, i h n leibhaftig vor mir zu sehen. Er hat dich gerufen, warf Don Juan ein. Gut, hier bin ich, sagte Don Genaro zu mir. Was kann ich fr dich tun? Allmhlich schien mein Verstand wieder zu arbeiten, und schlielich hatte ich eine pltzliche Einsicht. Meine Gedanken waren glasklar, und ich wute, was wirklich geschehen war. Don Genaro, so dachte ich mir, war bei Don Juan zu Besuch, und als sie mein Auto nherkommen hrten, war Don Genaro ins Gebsch geschlichen und h a t t e sich dort bis zum Einbruch der Dunkelheit versteckt. Alle Anzeichen sprachen fr diese These, meinte ich. Da Don Juan zweifellos die ganze Sache geplant hatte, gab er mir von Zeit zu Zeit Stichworte und lenkte damit den Gang der Dinge. Zum rechten Zeitpunkt hatte Don Genaro mich dann auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht, und als Don Juan und ich zum Haus zurckkehrten, war er uns a u f f l l i g gefolgt, um mich in Angst und Schrecken zu versetzen. Dann h a t t e er im Chaparral gewartet und, jedesmal wenn Don Juan i h m ein Zeichen gab, j e n e s seltsame Gerusch von sich gegeben. Den Wink, aus dem Gebsch hervorzukommen, mute Don Juan i h m schlielich gegeben haben, whrend ich die Augen geschlossen hatte, nachdem er mich aufgefordert h a t t e , Don Genaro zu rufen. Dann war Don Genaro offenbar zur Veranda gekommen und h a t t e gewartet, bis ich die Augen ffnete, und hatte mir diesen Schrecken eingej agt. Die einzigen Unstimmigkeiten in meiner logischen Theorie waren, da ich tatschlich gesehen hatte, wie der im Gebsch versteckte Mann sich in e i n e n Vogel verwandelte, und da ich Don Genaro zuerst als ein Bild in einer goldenen Blase

gesehen hatte. In meiner Vision war er genauso gekleidet wie nunmehr in leibhaftiger Gestalt. Da ich keine logische Erklrung fr diese Unstimmigkeiten finden konnte, nahm ich an, wie ich es unter hnlichen Umstnden stets zu t u n geneigt bin, da der emotionale Stre wohl e i n e wichtige Rolle bei der Bestimmung dessen gespielt haben mochte, was ich zu sehen geglaubt hatte. Als ich mir in Gedanken diesen grotesken Trick ausmalte, begann ich unwillkrlich zu lachen. Ich berichtete ihnen von meinen Schlufolgerungen. Sie stimmten ein schallendes Gelchter an. Ich war ehrlich berzeugt, da i h r Lachen ein Eingestndnis war. Du hattest dich im Gebsch versteckt, nicht wahr? fragte ich Don Genaro. Don Juan setzte sich wieder und schlug die Hnde ber dem Kopf zusammen. Nein. Ich habe mich nicht versteckt, sagte Don Genaro nachsichtig. I c h war weit weg von hier, und dann hast du mich gerufen, also b i n ich zu dir gekommen. Wo warst du denn, Don Genaro? Weit weg. Wie weit? Don Juan unterbrach mich und sagte, wenn Don Genaro gekommen sei, so habe er mir damit einen Gefallen getan, und ich solle n i c h t fragen, wo er gewesen sei. denn er sei nirgends gewesen. Don Genaro nahm mich in Schutz und m e i n t e , es sei ganz in Ordnung, wenn ich ihn alles mgliche frage. Wenn du dich nicht hier beim Haus versteckt hast. Don Genaro, wo warst du denn 1 ? fragte ich. Ich war bei mir zu Hause, sagte er ganz a u f r i c h t i g . In Zentralmexiko1? Ja! Es ist das einzige Zuhause, das ich habe. Sie schauten sich an und brachen wieder in Lachen aus. Ich wute, da sie sich ber mich lustig machten, aber ich beschlo, bei diesem Thema nicht lnger zu verweilen. Anscheinend hatten sie einen Grund, eine so komplizierte Inszenierung auszuhecken. Ich setzte mich. Ich f h l t e mich wirklich entzweigerissen; ein Teil von mir war

gar nicht schockiert und konnte alle Taten Don Juans und Don Genaros unbesehen akzeptieren. Aber ein anderer Teil meiner selbst weigerte sich einfach, und dieser war strker. Mein bewutes Urteil lautete, da ich Don Juans Beschreibung der Welt lediglich auf intellektueller Ebene akzeptiert hatte, whrend mein Krper insgesamt sich ihr widersetzte; daher mein Dilemma. Aber andererseits hatte ich all die Jahre, die ich mit Don Juan und Don Genaro zusammen war, auerordentliche Phnomene erlebt, und diese waren krperliche, nicht intellektuelle Erfahrungen. Gerade an diesem Abend hatte ich die Gangart der Kraft gebt, die mir, intellektuell betrachtet, als unvorstellbare Leistung erschien; hinzu kam, da ich unglaubliche Visionen gehabt hatte, und zwar durch kein anderes Mittel als meinen eigenen Willen. Ich erklrte ihnen meine schmerzliche und zugleich aufrichtige Verwirrung. Der Junge ist ein Genie, sagte Don Juan zu Don Genaro und schttelte unglubig den Kopf. Du bist ein gewaltiges Genie, Carlitos, sagte Don Genaro in einem Ton, als halte er eine Ansprache. Sie setzten sich neben mich, Don Juan zu meiner Rechten und Don Genaro zu meiner Linken. Don Juan erklrte, da es wohl bald Tag werden wrde. In diesem Augenblick hrte ich wieder den Ruf des Nachtfalters; er hatte seinen Platz gewechselt. Das Gerusch kam nun aus der entgegengesetzten Richtung. Ich schaute die beiden an und versuchte ihren Blicken standzuhalten. Mein logisches Schema begann sich aufzulsen. Das Gerusch war von faszinierender Flle und Tiefe. Dann hrte ich gedmpfte Schritte wie von leichten Fen, die durch das drre Unterholz schlichen. Das pochende Gerusch kam nher, und ich schmiegte mich an Don Juan. Tonlos befahl er mir, es zu s e h e n . Ich machte eine uerste Anstrengung, weniger ihm zuliebe als um meinetwillen. Vorhin war ich sicher gewesen, da Don Genaro der Nachfalter war. Aber Don Genaro sa neben mir; was also war dort im Gebsch? Ein Nachtfalter? Das pochende Gerusch klang in meinen Ohren nach. Meinen inneren Dialog konnte ich ganz und gar nicht abstellen. Ich hrte das Gerusch, aber ich konnte es nicht mehr, wie vorhin,

in meinem Krper spren. Eindeutig hrte ich Schritte. Irgend etwas schlich durch die Dunkelheit. Dann ertnte ein lautes knackendes Gerusch, als ob ein Ast entzweibrche, und pltzlich erfate mich eine furchtbare Erinnerung. Vor Jahren hatte ich eine schreckliche Nacht in der Wildnis verbracht und war von einem Wesen belstigt worden, einem ganz leichten und weichen Etwas, das immer wieder ber meinen Nacken l i e f , whrend ich am Boden kauerte. Don Juan hatte mir erklrt, dieses Ereignis sei eine Begegnung mit dem Verbnd e t e n gewesen, mit einer geheimnisvollen Kraft, die ein Zauberer, wie er sagte, als Wesenheit wahrzunehmen lerne. Ich beugte mich nher zu Don Juan und berichtete ihm flsternd von meiner Erinnerung. Don Genaro kroch auf allen v i e r e n nher zu uns her. Was hat er gesagt? fragte er Don Juan flsternd. Er sagt, dort drauen ist ein Verbndeter, antwortete Don Juan leise. Don Genaro kroch zurck und setzte sich: Dann wandte er sich an mich und sagte, laut flsternd: Du bist ein Genie. Sie lachten gedmpft. Don Genaro wies mit einer Kopfbewegung zum Chaparral hinber. Geh hin und pack i h n , sagte er. Zieh dich nackt aus, und jage dem Verbndeten e i n e n Schreck e i n ! Sie schttelten sich vor Lachen. Das Gerusch hatte inzwischen aufgehrt. Don Juan befahl mir, meine Gedanken anzuhalten, aber die Augen offenzuhalten und mich auf den Rand des Chaparral vor mir zu konzentrieren. Er sagte, der N a c h t f a l t e r habe s e i n e n P l a t z gewechselt, weil Don Genaro da sei, und wenn er sich mir zeigen w o l l e , dann werde er es vorziehen, von vorn zu kommen. Ich mute e i n e n Augenblick darum ringen, meine Gedanken zu beruhigen, u n d dann nahm ich das Gerusch wieder wahr. Es war j e t z t v o l l e r denn zuvor. Zuerst hrte ich die gedmpften Schritte auf trockenem Laub, und dann sprte ich sie auf meinem Krper. In diesem Moment entdeckte ich direkt vor mir, am Rand des Chaparral, eine dunkle Masse. Ich fhlte, wie ich gerttelt wurde. Ich schlug die Augen auf. Don J u a n und Don Genaro standen ber mich gebeugt, und ich k n i e t e , als sei ich in kauernder Haltung eingeschlafen. Don

Juan gab mir Wasser zu trinken, und ich s e t z t e mich wieder mit dem Rcken zur Wand. Bald darauf dmmerte es. Der Chaparral schien zu erwachen. Die Morgenkhle war scharf und belebend. Der Nachtfalter war nicht Don Genaro gewesen. Mein rationales Gebude f i e l auseinander. Ich wollte keine Fragen mehr stellen, aber ich wollte auch n i c h t schweigen. Ich mute endlich sprechen. Aber wenn du doch in Zentralmexiko w a r s t . Don Genaro, wie bist du dann hierhergekommen? fragte ich. Don Genaro machte komische, sehr belustigende Bewegungen mit dem Mund. Tut mir leid, sagte er, mein Mund will nicht sprechen. Dann wandte er sich an Don Juan und sagte grinsend: Warum sagst du es ihm nicht? Don Juan schien unschlssig. Dann meinte er, da Don Genaro, als vollendeter Knstler der Zauberei, zu erstaunlichen Taten imstande sei. Don Genaros Brust wlbte sich, als ob Don J u a n s Worte sie aufblhten. Er hatte anscheinend so viel Luft eingeatmet, da sein Brustkorb das Doppelte seines normalen Umfangs zu haben schien. Jeden Moment schien er davonzuschweben. Er sprang in die Luft. Ich hatte den Eindruck, da die Luft in seinen Lungen ihn gezwungen h a t t e zu springen. Er raste ber dem Boden hin und her, bis er anscheinend die Kontrolle ber seinen Brustkorb wieder gewann; er klopfte i h n ab und strich krftig mit den Handflchen von den Brustmuskeln zum Bauch hinab, als ob er die Luft aus e i n e m Autoreifen pressen wollte. Schlielich setzte er sich. Don Juan grinste. Seine Augen leuchteten vor Begeisterung. Schreib an deinen Notizen, befahl er mir leise. S c h r e i b , schreib, sonst mut du sterben. Dann erklrte er, da selbst Don Genaro es nicht mehr so komisch finde, wenn ich mir Notizen machte. Das stimmt! erwiderte Don Genaro. Ich habe selbst schon daran gedacht, mit dem Schreiben anzufangen. Genaro ist ein Wissender, sagte Don Juan wie b e i l u f i g . Und als Wissender ist er ohne weiteres imstande, sich ber groe Entfernungen hinweg zu befrdern.

Er erinnerte mich daran, wie wir drei einmal vor Jahren im Gebirge gewesen waren und Don Genaro, im Bemhen, mir bei der berwindung meiner trichten Vernunft zu helfen, einen gewaltigen Satz hinauf zu den Gipfeln der Sierra getan hatte - zehn Meilen weit. Ich erinnerte mich an das Ereignis, aber mir fiel auch ein, da ich damals nicht einmal begriffen hatte, da er gesprungen war. Don Juan fgte hinzu, da Don Genaro zu gewissen Zeiten im stande sei, auerordentliche Taten zu vollbringen. Zu gewissen Zeiten ist Genaro nicht Genaro, sondern sein Doppelgnger, sagte er. Dies wiederholte er drei oder viermal. Dann beobachteten mich die beiden, als warteten sie auf meine unmittelbare Reaktion. Ich hatte nicht verstanden, was er mit seinem Doppelgnger meinte. Er hatte nie zuvor dergleichen erwhnt. Ich bat um eine Erklrung. Es gibt noch e i n e n anderen Genaro, erluterte er. Alle drei blickten wir uns an. Mir wurde ganz ungem tlich. Durch einen Augenwink drngte mich Don Juan, ich solle weitersprechen. Hast du einen Zwillingsbruder? fragte ich zu Don Genaro gewandt. Natrlich, sagte er. Ich habe einen Zwilling. Ich war unschlssig, ob sie mich an der Nase herumfhrten oder nicht. Die beiden kicherten mit der Ausgelassenheit von Kindern, die jemandem einen Streich spielen. Man knnte sagen, fuhr Don Juan fort, da Genaro in diesem Augenblick sein eigener Zwilling ist. Auf diese Feststellung hin f i e l e n die beiden fast um vor Lachen. Aber ich konnte i h r e r Heiterkeit nichts abgewinnen. Mein Krper zitterte unwillkrlich. Don Juan sagte in strengem Ton, ich sei zu schwerfllig und nhme mich selbst zu wichtig. Sei locker! befahl er mir scharf. Du weit, da Genaro ein Zauberer und ein makelloser Krieger ist. Daher kann er Taten vollbringen, die fr den normalen M enschen undenkbar sind. Sein Doppelgnger, der andere Genaro, ist eine dieser Taten.

Ich war sprachlos. Ich konnte mir nicht vorstellen, da sie mich einfach an der Nase rumfhrten. Fr einen Krieger wie Genaro, fuhr er fort, ist es kein gar so ungewhnliches Unterfangen, den Anderen hervorzubringen. Lange berlegte ich, was ich noch sagen sollte, dann fragte ich: Ist der Andere wie das Selbst? Der Andere ist das Selbst, erwiderte Don Juan. Seine Erklrung hatte eine unglaubliche Wendung genommen, doch war sie eigentlich nicht unglaublicher als alles andere, was sie taten. Woraus besteht der Andere? fragte ich Don Juan nach Minuten der Unentschlossenheit. Das zu wissen ist unmglich, sagte er. Ist er real oder blo eine Illusion? Natrlich ist er real. Knnte man dann sagen, da er aus Fleisch und Blut i s t ? fragte ich. Nein, das kann man nicht, antwortete Don Genaro. Aber wenn er so wirklich ist wie ich . . . So wirklich wie du? unterbrachen mich Don Juan und Don Genaro wie aus einem Mund. Sie schauten einander an und lachten, bis ich meinte, sie mten sich gleich bergeben. Don Genaro warf s e i n e n Hut auf den Boden und tanzte um i h n herum. Sein Tanz war gewandt und anmutig und aus irgendeinem unerklrlichen Grund uerst spaig. V i e l l e i c h t lag der Witz in den hchst professionellen Schritten, die er ausfhrte. Diese Unstimmigkeit war so subtil und gleichzeitig so a u f f l l i g , da ich in ihr Gelchter einstimmen mute. Die Schwierigkeit mit dir, Carlitos. meinte er. als er wieder sa, besteht darin, da du ein Genie b i s t . Ich mu mehr ber den Doppelgnger w i s s e n , sagte ich. Es ist unmglich zu wissen, ob er aus Fleisch und B l u t ist, sagte Don Juan. Denn er ist nicht so wirklich wie du. Genaros Doppelgnger ist so wirklich wie Genaro. Verstehst du, was ich meine? Aber du mut zugeben, Don Juan, da es doch mglich sein mu, dies zu wissen.

Der Doppelgnger ist das Selbst. Diese Erklrung sollte gengen. Aber wenn du sehen knntest, dann wtest du, da ein groer Unterschied zwischen Genaro und seinem Doppelgnger besteht. Fr e i n e n Zauberer, der sieht, leuchtet der Doppelgnger heller. Ich fhlte mich zu schwach, um noch weitere Fragen zu stellen. Ich legte mein Schreibzeug weg, und einen Augenblick war mir, als wrde ich ohnmchtig. Ich hatte die Vision eines Tunnels; alles um mich her war dunkel, ausgenommen ein runder Fleck vor meinen Augen, der ein klares Bild zeigte. Don Juan sagte, ich msse etwas essen. Ich war nicht hungrig. Don Genaro verkndete, er sei ganz ausgehungert, dann stand er auf und ging in den rckwrtigen Teil des Hauses. Don Juan stand ebenfalls auf und bedeutete mir, ihm zu folgen. In der Kche f l l t e Don Genaro sich einen Teller und ahmte dann uerst komisch einen Menschen nach, der essen will, aber nicht schlucken kann. Mir kam es so vor, als w o l l e Don Genaro gleich seinen Geist aufgeben; er brllte, strampelte, schrie, keuchte und wrgte vor Lachen. Auch ich mute mir den Bauch h a l t e n . Don Genaros Possen waren unvergleichlich. Schlielich hielt er inne und b l i c k t e Don Juan und mich nacheinander an; seine Augen leuchteten und er l c h e l t e strahlend. Es geht nicht, sagte er achselzuckend. Ich a eine gewaltige Portion. Don Juan e b e n f a l l s ; dann kehrten wir alle drei zum Vorplatz des Hauses zurck. Die Sonne s t r a h l t e , der Himmel war klar, und die Morgenbrise erfrischte die Atmosphre. Ich f h l t e mich glcklich und gestrkt. Wir saen im Dreieck einander gegenber. Nach einem h f l i chen Schweigen beschlo ich, sie zu bitten, m i r bei der Klrung meines Dilemmas zu h e l f e n . Ich f h l t e mich wieder in bester Form und wollte meine Strke erproben. Erzhl mir mehr ber den Doppelgnger, Don J u a n , sagte ich. Don Juan deutete auf Don Genaro, und Don Genaro verbeugte sich.

Das ist er, sagte Don Juan. Mehr gibt es nicht zu sagen. Er ist hier, damit du dich selbst von seiner Existenz berzeugen kannst. Aber das ist doch Don Genaro, sagte ich in einem schwachen Versuch, das Gesprch zu steuern. Gewi bin ich Genaro, sagte er und hob die Schultern. Was ist also ein Doppelgnger, Don Genaro? fragte ich. Frag ihn doch, fuhr er mich an und wies auf Don Juan. Er ist es, der spricht. Ich bin stumm. Ein Doppelgnger ist der Zauberer selbst, in einer durch sein Trumen hervorgebrachten Gestalt, erluterte Don Juan. Fr den Zauberer ist ein Doppelgnger ein Akt seiner Kraft, fr dich aber nur eine Erzhlung der Kraft. Im Falle Genaros ist sein Doppelgnger vom Original nicht zu unterscheiden. Und zwar deshalb, weil seine Makellosigkeit als Krieger unbertroffen ist; daher hast du selbst nie den Unterschied bemerkt. Aber in all den Jahren, die du ihn kennst, bist du nur zweimal mit dem eigentlichen Genaro zusammen gewesen; alle anderen Male warst du mit seinem Doppelgnger zusammen. Aber das ist doch absurd! rief ich. Ich sprte, wie Beklemmung meine Brust erfate. Ich war so erregt, da ich mein Schreibzeug f a l l e n lie, und mein Bleistift rollte davon. Don Juan und Don Genaro strzten sich kopfber auf den Boden und fingen an, in einer ganz nrrischen Pantomime nach dem Bleistift zu suchen. Nie hatte ich eine erstaunlichere Darbietung von Bhnenmagie und Taschenspielerei gesehen. Nur, da es keine Bhne, keine Kulissen und keinerlei technische Apparate gab und da die Darsteller hchstwahrscheinlich keine Taschenspielertricks einsetzten. Don Genaro, der Oberzauberer, und sein Assistent, Don Juan, brachten binnen Minuten die erstaunlichste, bizarrste und seltsamste Kollektion von Gegenstnden zusammen, die sie unter, hinter oder auf jedem greren Gegenstand im Umkreis der Veranda fanden. Im Stil der Bhnenmagie stellte der Assistent die Requisiten auf, in diesem Fall etliche Gegenstnde - Steine, Rupfenskke, Holzscheite, eine Milchbtte, eine Laterne und meine Jacke -, die sich auf der Erde fanden; dann zauberte der

Magier, Don Genaro, einen Gegenstand hervor, den er beiseite warf, sobald er sich vergewissert hatte, da es nicht mein Bleistift war. Zu den so gefundenen Gegenstnden gehrten Kleidungsstcke, Percken, Brillen, Spielzeug. Haushaltsgerte, Maschinenteile, Damenunterwsche, menschliche Gebisse, Butterstullen und religise Kultgegenstnde. Ein Stck war geradezu ekelerregend. Es war ein fester Klumpen menschlichen Kots, den Don Genaro unter meiner Jacke hervorzauberte. Schlielich fand Don Genaro meinen B l e i s t i f t und berreichte ihn mir. nachdem er mit seinem Hemdzipfel den Staub abgewischt hatte. Die beiden zelebrierten ihre Possen unter Schreien und Gelchter. Ich stand starr vor Staunen dabei, unfhig, mich ihnen anzuschlieen. Nimm die Dinge nicht so ernst, Carlitos. sagte Don Genaro mit besorgter Stimme. Sonst fngst du dir noch ein . . . Er machte eine drollige Gebrde, die alles und nichts bedeuten konnte. Nachdem ihr Gelchter sich gelegt hatte, wollte ich von Don Genaro wissen, was ein Doppelgnger mache oder was ein Zauberer mit dem Doppelgnger mache. Don Juan gab die Antwort. Der Doppelgnger, sagte er. verfge ber Kraft und werde benutzt, um Taten zu vollbringen, die unter gewhnlichen Umstnden unvorstellbar seien. Ich habe dir immer wieder gesagt, da die Welt unergrndlich ist, sagte er zu mir. Und auch wir sind es, und jedes Ding, das auf dieser Welt existiert. Daher ist es unmglich, dem Doppelgnger mit der Vernunft beizukommen. Doch du hattest Gelegenheit, dich von seiner Existenz zu berzeugen, und das sollte mehr als genug sein. Aber es mu doch mglich sein, darber zu sprechen, sagte ich. Du selbst hast mir gesagt, da du ber dein Gesprch mit dem magischen Reh berichtet hast, um darber zu sprechen. Kannst du es mit dem Doppelgnger nicht ebenso halten'' Er schwieg eine W eile. Ich drngte ihn. Die Beklemmung, die ich versprte, berstieg alles, was ich je erlebt hatte. Nun, ein Zauberer kann sich verdoppeln, sagte Don Juan. M ehr gibt's darber nicht zu sagen. Aber ist er sich dessen bewut, da er doppelt ist?

Natrlich ist er sich dessen bewut. W ei er, da er an zwei Orten gleichzeitig ist? Die beiden schauten mich an und wechselten dann einen Blick. Wo ist der andere Don Genaro? fragte ich. Don Genaro beugte sich vor und starrte mir in die Augen. Ich wei es nicht, sagte er. Kein Zauberer wei, wo sein Anderer ist. Genaro hat recht, sagte Don Juan. Ein Zauberer hat keine Vorstellung davon, da er an zwei Orten zugleich ist. Sich dessen bewut zu sein hiee soviel, wie seinem Doppelgnger zu begegnen, und der Zauberer, der seinem Doppelgnger von Angesicht zu Angesicht gegenbersteht, ist ein toter Zauberer. Das ist die Regel. So hat die Kraft die Dinge eingerichtet. Niemand wei, warum. Sobald ein Krieger die Fhigkeit des Trumens und Sehens erreicht und einen Doppelgnger hervorgebracht habe, msse es ihm, erklrte Don Juan, auch gelingen, sein persnliche Geschichte, sein Gefhl der eigenen Wichtigkeit und seine Routineverhalten auszulschen. Alle die Techniken, die er mich gelehrt habe und die ich als leeres Gerede betrachtet htte, seien im Grunde Mittel zur Aufhebung der Unmglichkeit, in der gewhnlichen Welt einen Doppelgnger zu besitzen; und zwar indem man das Selbst und die Welt in Bewegung bringe und sie beide auerhalb der Grenzen des Vorhersagbaren stelle. Ein beweglich gewordener Krieger kann die Welt nicht mehr chronologisch anordnen, erklrte Don Juan. Und fr ihn sind die Welt und er selbst keine Objekte mehr. Er ist ein leuchtendes Wesen, das in einer leuchtenden Welt existiert. Der Doppelgnger ist fr den Zauberer eine einfache Sache, denn er wei, was er tut. Das Notizenanlegen ist fr dich eine einfache Sache, aber dennoch machst du Genaro mit deinem Bleistift Angst. Kann ein Auenstehender, der den Zauberer beobachtet, feststellen, da er an zwei Orten gleichzeitig ist? fragte ich Don Juan. Gewi. Das wre die einzige Mglichkeit, es zu erkennen. Aber knnte man nicht logischerweise annehmen, da auch

der Zauberer nachtrglich f e s t s t e l l t , da er an zwei Orten gleichzeitig gewesen ist? Aha! rief Don Juan. Diesmal hast du es getroffen. Sicher mag ein Zauberer nachtrglich f e s t s t e l l e n , da er an zwei Orten zugleich gewesen ist. Aber dies ist nur Buchhalterei und hat keinerlei Bedeutung fr die Tatsache, da er, whrend er handelt, keine Ahnung von seiner Dualitt hat. Mein Verstand stockte. Wenn ich j e t z t nicht wie wild weiterschriebe, das f h l t e ich. mte ich explodieren. Denk daran, fuhr er fort, die Welt erschliet sich uns nicht unmittelbar! Dazwischen steht die Beschreibung der Welt. Genaugenommen sind wir also stets einen Schritt weit von ihr entfernt, und unsere Erfahrung der Welt ist stets eine Erinnerung an die Erfahrung. Immerfort erinnern wir uns an den Augenblick, der soeben geschehen und vorber ist. Wir erinnern, erinnern, erinnern uns. Er drehte seine Hand auf und ab, um mir zu veranschaulichen, was er meinte. Wenn unsere ganze Erfahrung der Welt Erinnerung ist. dann ist der Schlu gar nicht so abwegig, da ein Zauberer an zwei Orten gleichzeitig sein kann. Fr seine eigene Wahrnehmung gilt dies nicht, denn um die Welt zu erfahren, mu der Zauberer, wie j e d e r andere Mensch, sich an die Handlung, die er eben ausgefhrt hat, an das Ereignis, dem er eben beigewohnt hat. an die Erfahrung, die er eben gemacht hat, wieder erinnern. In seinem Bewutsein gibt es nur eine einzige Erinnerung. Aber fr e i n e n Auenstehenden, der den Zauberer beobachtet, mag es so aussehen, als agiere er in zwei verschiedenen Episoden gleichzeitig. Doch der Zauberer erinnert sich an zwei einzelne unzusammenhngende Augenblicke, denn der Leim der ZeitBeschreibung bindet ihn nicht mehr. Als Don Juan geendet h a t t e , war mir, als htte ich Fieber. Don Genaro beobachtete mich neugierig. Er hat r e c h t , sagte er. Wir sind immer einen Schritt hinterher. Er bewegte seine Hand, wie Don Juan es getan h a t t e ; sein Krper fing an zu zittern, und er sprang in sitzender Haltung zurck. Es war so, als habe er einen Schluckauf und als lasse der Schluckauf seinen Krper zurckschnellen. Jetzt bewegte

er sich, auf dem Ges hpfend, nach rckwrts bis ans Ende der Veranda - und wieder vor. Statt da der Anblick Don Genaros, wie er da auf s e i n e m Hinterteil hin- und hersprang, mich - wie man meinen sollte belustigt htte, strzte er mich in e i n e n solchen Anfall von Angst, da Don Juan mich mehrmals mit den Fingerkncheln auf den Kopf schlagen mute. um mich wieder zu ernchtern. Ich begreife das alles nicht. Don J u a n , sagte ich. Ich auch nicht, entgegnete Don Juan und hob die Achseln. Und ich auch nicht, lieber Carlitos. schlo Don Genaro sich an. Meine Erschpfung, der Ansturm der Sinneswahrnehmungen, die leichte, humorvolle Stimmung, die bei alledem vorherrschte, und Don Genaros Possen - das war zuviel f r meine Nerven. Ich konnte die Erregung meiner Bauchmuskeln nicht mehr beherrschen. Auf Don Juans Gehei wlzte ich mich am Boden, bis ich mich wieder beruhigt hatte, und dann nahm ich ihnen gegenber wieder Platz. Ist der Doppelgnger aus f e s t e r M a t e r i e 1 ? fragte ich Don Juan nach langem Schweigen. Sie sahen mich an. Ist der Doppelgnger krperlich? fragte ich. Gewi, sagte Don Juan. Festigkeit. Krperlichkeit, das sind Erinnerungen. Daher sind sie, wie alles, was w i r ber die Welt wissen, Erinnerungen, die w i r ansammeln. Erinnerungen an die Beschreibung. Du hast eine Erinnerung an meine Festigkeit, genau wie du eine Erinnerung an die V e r s t n d i g u n g mit Worten hast. Daher sprachst du mit e i n e m Kojoten und empfindest mich als f e s t . Don Juan rckte nher und stie mich leicht m i t der S c h u l t e r an. Fa mich a n ! sagte er. Ich berhrte ihn, und dann f i e l ich i h m in die Arme. Ich war den Trnen nahe. Don Genaro stand auf und kam nher. Er sah aus wie e i n kleines Kind mit leuchtenden, schelmischen Augen. Er spitzte die Lippen und schaute mich eindringlich an.

Und was ist mit mir? fragte er und versuchte ein Lcheln zu verbergen. W i l l s t du nicht auch mich umarmen? Ich stand auf und streckte die Arme aus, um ihn anzufassen; mein Krper erstarrte auf der Stelle. Ich hatte keine Kraft, mich zu bewegen. Mit aller Gewalt versuchte ich, den Arm nach ihm auszustrecken, aber meine Mhe war vergeblich. Don Juan und Don Genaro standen da und beobachteten mich. Ich sprte, wie mein Krper sich unter einem unheimlichen Druck krmmte. Don Genaro setzte sich und tat so, als sei er gekrnkt, weil ich ihn nicht umarmt h a t t e ; er schmollte und stampfte mit dem Fu auf den Boden - und abermals brachen die beiden in brllendes Gelchter aus. Meine Bauchmuskeln bebten, und ich z i t t e r t e am ganzen Krper. Don Juan beschwor mich, meinen Kopf so zu bewegen, wie er es mir frher einmal empfohlen hatte, und meinte, dies sei die einzige Mglichkeit, mich zu beruhigen, indem ich nmlich einen Lichtstrahl in der Hornhaut meiner Augen sich spiegeln lie. Mit Gewalt zerrte er mich unter dem Vordach heraus aufs offene Feld. Nun brachte er meinen Krper in eine Haltung, bei der die stliche Sonne in meine Augen f i e l . Aber als er mich schlielich in die richtige Stellung gebracht hatte, z i t t e r t e ich nicht mehr. Erst als Don Genaro meinte, da mein Zittern wohl vom Gewicht des Papiers herrhren msse, bemerkte ich. da ich meinen Notizblock fest umklammert hielt. Ich sagte Don J u a n , da mein Krper mich zum Fortgehen drngte. Ich winkte Don Genaro zu. Ich w o l l t e i h n e n keine Zeit lassen, mich umzustimmen. Lebe wohl. Don Genaro, rief ich. Ich mu j e t z t gehen. Er winkte zurck. Don Juan b e g l e i t e t e mich ein paar S c h r i t t e bis zu meinem Auto. Hast du auch einen Doppelgnger, Don J u a n ? fragte ich. Natrlich! rief er. In diesem Augenblick kam mir eine bengstigende Idee. Ich wollte sie abschtteln und eilig aufbrechen, aber irgend etwas in mir machte mich stutzig. In all den Jahren unserer Verbindung hatte ich mich daran gewhnt, da ich jedesmal, wenn

ich Don Juan sehen wollte, nur nach Sonora oder Zentralmexiko zu fahren brauchte, um ihn anzutreffen - stets mich erwartend. Ich hatte gelernt, dies als selbstverstndlich hinzunehmen, und bis dahin war mir nie eingefallen, etwas Besonderes dabei zu finden. Sag mir etwas, Don Juan, sagte ich halb im Scherz. Bist du es selbst oder bist du dein Doppelgnger? Er beugte sich zu mir herber. Er grinste. Mein Doppelgnger, flsterte er. Mein Krper schnellte in die Luft, wie von einer unheimlichen Kraft getrieben. Ich rannte zu meinem Auto. Ich habe blo Spa gem acht, rief Don Juan mit erhobener Stimme. Du darfst noch nicht fort. Du schuldest mir immer noch fnf Tage. Die beiden rannten auf mein Auto zu, whrend ich einstieg. Sie lachten und hpften auf und ab. Carlitos, ruf mich, wann immer du willst! schrie Don Genaro.

Der Trumer und der Getrumte

Ich fuhr zu Don Juan und traf am frhen Morgen bei ihm ein. Die Nacht hatte ich unterwegs in einem Motel verbracht, damit ich noch vormittags bei ihm e i n t r f e . Don Juan war im Haus und trat heraus, als ich ihn r i e f . Er begrte mich herzlich, und ich hatte den Eindruck, da er sich freute, mich zu sehen. Er machte eine Bemerkung, die mich offenbar aufheitern s o l l t e , die aber die gegenteilige Wirkung auf mich hatte. Ich habe dich kommen g e h r t , sagte er lachend, und bin ins Haus gelaufen. Ich frchtete, wenn ich hier drauen geblieben wre, httest du Angst g e k r i e g t . Beilufig meinte er. ich sei in dsterer und bedrckter Stimmung. Er sagte, ich erinnerte ihn an Eligio, der schwermtig genug sei, um ein guter Zauberer zu sein, aber zu schwermtig, um ein Wissender zu werden, und er fgte hinzu, um den verheerenden Folgen einer Begegnung mit der Welt der Zauberer entgegenzuwirken, bleibe einem n u r die Mglichkeit, darber zu lachen. Mit seinem Urteil ber meine Stimmung hatte er recht. Tatschlich plagten mich Sorgen und ngste. Wir unternahmen einen langen Spaziergang. Es brauchte Stunden, bis ich mich unbeschwerter f h l t e . Einfach neben ihm dahinzugehen tat mir wohler, als wenn ich versucht h t t e , mich aus meiner Trbseligkeit herauszureden. Am Sptnachmittag kehrten wir zum Haus zurck. Ich war ausgehungert. Nachdem wir gegessen h a t t e n , setzten wir uns auf die Veranda. Der Himmel war heiter. Das milde Licht des Nachmittags stimmte mich behaglich. Ich wollte sprechen. Seit Monaten fhle ich mich unwohl, sagte ich. Was du und Don Genaro beim letzten Mal, als ich hier war. gesagt und getan habt, war wirklich furchtbar. Don Juan sagte nichts. Er stand auf und schritt um die Veranda herum. Ich mu darber sprechen, sagte ich. Es verfolgt mich, und ich mu dauernd darber nachdenken.

Hast du Angst? fragte er. Ich hatte keine Angst, sondern war verwirrt und berwltigt durch das, was ich gehrt und gesehen hatte. Die Lcken meiner Vernunft waren so gewaltig, da ich sie entweder auffllen oder meine Vernunft berhaupt aufgeben mute. Meine Ausfhrungen brachten ihn zum Lachen. Wirf deine Vernunft noch nicht f o r t ! sagte er. Es ist noch nicht Zeit dafr. Es wird ohnehin geschehen, aber ich glaube nicht, da dies schon der richtige Augenblick ist. Sollte ich also versuchen, fr das Geschehene eine Erklrung zu finden? fragte ich. Gewi! erwiderte er. Es ist deine Pflicht, deinen Verstand in Ordnung zu bringen. Krieger erringen ihre Siege nicht, indem sie mit dem Kopf gegen die Wand strmen, sondern indem sie die Wand berwinden. Krieger berspringen die Wand; sie reien sie nicht n i e d e r . Aber wie kann ich diese hier berspringen? frage ich. Vor allem halte ich es fr grundfalsch, da du alles dermaen ernst nimmst, sagte er und setzte sich neben mich. Es gibt dreierlei schlechte Gewohnheiten, in die wir immer wieder verfallen, sobald wir im Leben mit ungewhnlichen Situationen konfrontiert sind. Erstens knnen wir das, was geschieht oder geschehen ist, leugnen und so tun, als sei es nie geschehen. So machen es die Bigotten. Zweitens knnen wir alles unbesehen akzeptieren und so tun, als wten wir, was geschieht. So machen es die Frommen. Drittens kann ein Ereignis uns zwanghaft beschftigen, weil wir es weder leugnen noch rckhaltlos akzeptieren knnen. So machen es die Narren. Du etwa auch? Doch es gibt noch eine vierte Mglichkeit, die richtige nmlich, die des Kriegers. Ein Krieger handelt so, als sei berhaupt nichts geschehen, weil er an gar nichts glaubt, und doch akzeptiert er alles unbesehen. Er akzeptiert, ohne zu akzeptieren, und leugnet, ohne zu leugnen. Nie tut er so, als wisse er, noch tut er so, als sei nichts geschehen. Er handelt so, als ob er die Situation in der Hand h t t e , auch wenn ihm v i e l l e i c h t die Hosen schlottern. Diese Art zu handeln vertreibt die zwanghafte Beschftigung mit den Dingen. Lange schwiegen wir. Don Juans Worte wirkten wie Balsam auf mich.

Darf ich e t w a s ber Don Genaro und s e i n e n Doppelgnger s a g e n ? fragte ich. Es hngt davon ab. was du ber ihn sagen w i l l s t , antwortete er. W i l l s t du dich mit deinen Zwangsvorstellungen beschftigen? Ich will mich mit Erklrungen beschftigen, sagte ich. Ich beschftige mich zwanghaft damit, weil ich nicht wagte, d i c h zu besuchen, und nicht imstande war. mit i r g e n d j e m a n d e m ber meine Skrupel und Zweifel zu s p r e c h e n . Redest du denn nicht mit deinen Freunden? Das wohl, aber wie knnten sie mir h e l f e n ' 1 Ich habe nie daran gedacht, da du H i l f e bentigst. Du mut das Gefhl e n t w i c k e l n , da ein Krieger nichts b e n t i g t . Du sagst, du brauchst Hilfe. H i l f e wofr'? Du hast alles, was du f r diese groartige Reise brauchst, die d e i n Leben ist. Ich habe versucht, dich zu l e h r e n , da die w i r k l i c h e Erfahrung darin besteht, ein Mensch zu sein, und da es nur darauf ankommt zu l e b e n ; das Leben ist der k l e i n e Umweg, den wir h e u t e machen. Das Leben ist ein zureichender Grund, es e r k l r t sich aus sich selbst und ist vollkommen. E i n Krieger wei dies und l e b t dementsprechend. Daher knnte man ohne berheblichkeit sagen, da es die Erfahrung der Erfahrungen ist. ein Krieger zu s e i n . Er s c h i e n darauf zu w a r t e n , da ich etwas sagte. I c h zgerte. Ich w o l l t e mir meine Worte sorgfltig b e r l e g e n . Wenn ein Krieger Trost b r a u c h t , fuhr er f o r t , dann wendet er sich e i n f a c h an den Nchstbesten und e r k l r t diesem a u s f h r l i c h , was ihn bedrckt. J e d e n f a l l s sucht der Krieger nicht Hilfe oder Verstndnis; i n d e m er spricht, b e f r e i t er sich lediglich von dem Druck, der auf i h m lastet. Vorausgesetzt allerdings, da es dem Krieger gegeben ist zu sprechen: wenn n i c h t , erzhlt er niemandem etwas von s i c h . Du aber l e b s t berhaupt n i c h t wie ein Krieger. J e d e n f a l l s noch n i c h t . Und die Fallstricke, in die du tappst, mssen wahrhaft gewaltig sein. Du kannst auf mein ganzes M i t l e i d z h l e n . Er meinte es nicht scherzhaft. Nach der Anteilnahme in seinem Blick zu u r t e i l e n , schien er zu wissen, wovon er sprach. Er stand auf und streichelte mir den Kopf. Er schritt die v o l l e Lnge der Veranda auf und ab und b l i c k t e g l e i c h g l t i g zum

Chaparral hinter dem Haus hinber. Seine Bewegungen lsten bei mir ein Gefhl der Rastlosigkeit aus. Um mich zu entspannen, fing ich an. ber mein Dilemma zu sprechen. Ich hatte den Eindruck, da es im Grunde zu spt war, so zu tun, als sei ich ein harmloser Auenstehender. Unter Don Juans Leitung hatte ich mich gebt, bis ich zu seltsamen Wahrnehmungen fhig war, wie etwa das Anhalten des inneren Dialogs oder das Kontrollieren meiner Trume. Das waren Dinge, die man nicht vortuschen konnte. Ich h a t t e seine Anweisungen befolgt, wenn auch nie buchstblich, und es war mir zum Teil gelungen, meine Alltagsroutine zu unterbrechen, die Verantwortung fr meine Handlungen zu bernehmen und meine persnliche Geschichte auszulschen, und schlielich hatte ich einen Punkt erreicht, vor dem ich mich vor Jahren noch gefrchtet h t t e : ich konnte jetzt a l l e i n sein, ohne da dies meinem krperlichen oder emotionalen Wohlbefinden Abbruch tat. Dies war vielleicht mein allererstaunlichster Sieg. In Anbetracht meiner frheren Hoffnungen und Stimmungen war der Zustand, a l l e i n und dabei nicht wie von Sinnen zu sein, ganz unvorstellbar. Ich war mir all der Vernderungen, die in meinem Leben und in meiner Weltauffassung stattgefunden hatten, wohl bewut, und mir war klar, da es irgendwie berflssig war, sich von Don Juans und Don Genaros Enthllungen ber den Doppelgnger so tief aufwhlen zu lassen. Was mache ich denn falsch, Don J u a n ? fragte ich. Du lt dich gehen, fuhr er mich an. Du meinst, es sei ein Zeichen von Sensibilitt, in Zweifeln und Klagen zu schwelgen. Nun, wenn du die Wahrheit hren w i l l s t , du bist alles andere als sensibel. Warum gibst du es also vor? Irgendwann habe ich dir einmal gesagt, ein Krieger akzeptiert in Demut, was er ist. Du stellst es so dar, als brchte ich mich a b s i c h t l i c h in Verlegenheit, sagte ich. Allerdings bringen wir uns a b s i c h t l i c h in Verlegenheit, sagte er. Wir sind uns stets unserer Taten bewut. Unsere kmmerliche Vernunft blht sich absichtlich zu dem Monstrum auf, das sie zu sein vorgibt. Sie ist aber zu klein fr eine so groe Schale.

Ich erklrte ihm, da mein Dilemma wohl komplizierter sei. als er es nun d a r s t e l l e . Denn solange er selbst und Don Genaro Menschen wie ich waren, machte ihre eindrucksvolle berlegenheit sie zu Vorbildern fr mein eigenes Verhalten. Waren sie aber im Grunde vllig andere Menschen als ich. dann konnte ich sie nicht mehr als Vorbilder akzeptieren, sondern mute sie fr wunderliche Originale h a l t e n , denen ich unmglich nacheifern mochte. Genaro ist ein Mensch, sagte Don Juan mit Bestimmtheit. Gewi. er ist nicht mehr Mensch als du. Aber das ist sein Verdienst, und es sollte dir keine Angst machen. Wenn er anders ist - um so mehr Grund, i h n zu bewundern. Aber sein Anderssein ist kein m e n s c h l i c h e s A n d e r s s e i n , sagte ich. Und was. glaubst du wohl, ist es? Etwa wie der U n t e r s c h i e d zwischen einem Menschen und einem Pferd'!* Ich wei es nicht. Aber er ist nicht wie ich. Doch, das war er einmal. Aber kann denn ich seine Vernderung begreifen? Gewi. Denn du selbst vernderst dich. W i l l s t du damit sagen, da auch ich einen Doppelgnger hervorbringen werde? N i e m a n d bringt einen Doppelgnger hervor. Das ist nur eine bildliche Redeweise. Und du. bei all d e i n e m v i e l e n Reden. bist doch den Wrtern h i l f l o s a u s g e l i e f e r t . Du gehst ihrer Bedeutung auf den Leim. J e t z t meinst du. man bringe den Doppelgnger durch u n r e d l i c h e Tricks hervor, nehme ich an. Aber wir leuchtenden Wesen haben alle einen Doppelgnger. Wir alle! Ein Krieger l e r n t l e d i g l i c h , sich dessen bewut zu sein, das ist alles. Es gibt anscheinend unberwindliche Schranken, die dieses Bewutsein v e r s p e r r e n . Aber das kann nicht anders sein. Gerade diese Schranken machen das E r r e i chen eines solchen Bewutseins zu einer so einzigartigen Herausforderung. Warum habe ich soviel Angst davor. Don J u a n ? Weil du g l a u b s t , der Doppelgnger sei das. was das Wort besagt, ein Doppelgnger oder ein anderes Ich. Ich gebrauche diese Wrter n u r , um den Sachverhalt zu beschreiben. Der

Doppelgnger - das bist du selbst. Anders darfst du es nicht betrachten. Und wie, wenn ich ihn nicht haben will? Der Doppelgnger ist keine Sache der persnlichen Entscheidung. Auch ist es keine Sache der persnlichen Entscheidung, wer auserwhlt wird, um das Wissen der Zauberer zu lernen, das zu jenem Bewutsein fhrt. Hast du dich jemals gefragt, warum ausgerechnet du es bist? Das habe ich immer. Ich habe dir hundertmal diese Frage gestellt, aber du hast sie nie beantwortet. Ich meinte nicht, da du es als Frage stellen solltest, die eine Antwort verlangt, sondern in dem Sinn, wie ein Krieger ber sein groes Glck nachdenkt - das Glck, eine lohnende Herausforderung gefunden zu haben. Diesen Sachverhalt als gewhnliche Frage zu formulieren, darauf verfallen eingebildete Leute, die dafr bewundert oder bemitleidet werden wollen. Eine solche Frage interessiert mich nicht, weil es unmglich ist, sie zu beantworten. Die Entscheidung, dich auszuwhlen, war eine Absicht der Kraft. Niemand kann die Absichten der Kraft entschlsseln. Jetzt, da du einmal ausgewhlt bist, gibt es nichts, was du tun knntest, um die Erfllung dieser Absicht aufzuhalten. Aber du selbst sagtest mir doch. Don Juan, da man stets scheitern kann. Das ist richtig. Man kann stets scheitern. Aber mir scheint, dir geht es um etwas anderes. Du suchst nach einer A u s f l u c h t . Du mchtest die Freiheit haben, nach eigenem Belieben zu scheitern und dich aus dem Staub zu machen. Zu spt dafr! Ein Krieger ist in der Hand der Kraft, und er hat nur noch die Freiheit, sich fr ein Leben der Makellosigkeit zu entscheiden. Es ist unmglich, Sieg oder Niederlage vorzutuschen. Vielleicht will deine Vernunft, da du berhaupt scheiterst, um die Ganzheit deines Selbst auszulschen. Aber es gibt ein Gegenmittel, das es dir nicht erlauben wird, einen falschen Sieg oder eine falsche Niederlage zu bekennen. Falls du glaubst, du knntest dich in den sicheren Hafen des Scheiterns flchten, dann bist du von Sinnen. Dein Krper wird wachsam sein und dir weder das eine noch das andere erlauben. Er lachte leise vor sich hin.

Warum lachst du? fragte ich. Du steckst furchtbar in der Klemme, sagte er. Es ist fr dich zu spt, einen Rckzieher zu machen, aber es ist noch zu frh, um zu handeln. Du kannst nichts anderes t u n als miterleben und beobachten. Du bist in der scheulichen Situation eines Kindes, das nicht mehr in den Mutterleib zurckkehren, aber auch noch nicht fortlaufen und selbst handeln kann. Das Kind kann nichts anderes tun als beobachten und den erstaunlichen Geschichten von Taten zuhren, die ihm erzhlt werden. Genau an diesem Punkt stehst du j e t z t . Du kannst nicht in den Mutterleib deiner alten Welt zurckkehren, aber du kannst auch noch nicht durch die Kraft handeln. Fr dich gibt es nur eines: die Taten der Kraft beobachten und den Erzhlungen - den Erzhlungen der Kraft - zuhren. Der Doppelgnger ist eine dieser Erzhlungen. Das weit du. und das ist auch der Grund, warum deine Vernunft dadurch so sehr erschttert ist. Wenn du vorgibst zu verstehen, dann rennst du mit dem Kopf gegen eine Wand. Alles, was ich im Sinn einer Erklrung darber sagen kann, ist, da ein Doppelgnger, obgleich man durch das Trumen zu ihm gelangt, so wirklich ist, wie er nur sein k n n t e . Nach allem, was du mir gesagt hast. Don Juan, kann der Doppelgnger handeln. Kann er also auch . . . Er lie mich meine berlegungen nicht fortsetzen. Es sei doch unpassend, ermahnte er mich, davon zu sprechen, er habe mir vom Doppelgnger erzhlt, whrend ich doch behaupten drfe, ihn selbst erlebt zu haben. Offensichtlich kann der Doppelgnger handeln, sagte ich. Offensichtlich! erwiderte er. Aber kann der Doppelgnger anstelle des Selbst handeln? Verdammt, er ist das Selbst! Ich hatte groe Mhe, mich verstndlich zu machen. Ich hatte die Vorstellung, da - wenn ein Zauberer zwei Handlungen gleichzeitig ausfhren konnte - seine Fhigkeit, ntzliche Dinge zu tun. sich verdoppeln mute. Demnach konnte er gleichzeitig zwei Arbeiten verrichten, an zwei Orten sein, zwei Besuche machen usw. Don Juan hrte geduldig zu. Darf ich es mal folgendermaen ausdrcken? sagte ich.

Man knnte doch hypothetisch behaupten, da Don Genaro Hunderte von Kilometern entfernt jemanden tten kann, indem er seinen Doppelgnger dies ausfhren lt, nicht wahr? Don Juan sah mich an. Er schttelte den Kopf und wandte sich ab. Du bist voll von gewaltttigen Geschichten, sagte er. Genaro kann niemanden tten, weil er kein Interesse mehr an seinen Mitmenschen hat. Wenn ein Krieger einmal das Sehen und das Trumen beherrscht und sich seiner leuchtenden Gestalt bewut ist, dann hat er fr derlei kein Interesse mehr. Ich wandte ein, er habe doch zu Beginn meiner Lehrzeit geuert, da ein Zauberer sich mit Hilfe seines Verbndeten ber viele hundert Kilometer hinwegsetzen knne, um einen Schlag gegen seine Feinde zu fhren. Ich bin verantwortlich fr deine Verwirrung, sagte er. Aber erinnere dich: bei einer anderen Gelegenheit sagte ich dir, da ich bei dir nicht jene Schritte eingehalten habe, die mein eigener Lehrer mir vorschrieb. Er war ein Zauberer, und ich htte dich regelrecht in diese Welt hineinstrzen sollen. Ich tat es nicht, weil ich mich nicht mehr um das Auf und Ab meiner Mitmenschen kmmere. Dennoch hafteten die Worte meines Lehrers mir an. Viele Male habe ich zu dir gesprochen, genau wie er selbst zu sprechen pflegte. Aber Genaro ist ein Wissender. Der vollkommenste von allen. Seine Taten sind unfehlbar. Er steht ber den gewhnlichen Menschen, auch ber den Zauberern. Sein Doppelgnger ist ein Ausdruck seiner Freude und seines Humors. Daher kann er ihn unmglich einsetzen, um alltgliche Situationen zu schaffen oder zu lsen. Soviel ich wei, ist der Doppelgnger das Bewutsein von unserem Zustand als leuchtende Wesen. Ich mag tun, was ich will, und doch zieht er es vor, unauffllig und freundlich zu sein. Es war mein Fehler, da ich dich mit entlehnten Worten in die Irre fhrte. Mein Lehrer war nicht fhig, solche Dinge zu bewirken wie Genaro. Unglcklicherweise blieben fr meinen Lehrer - genau wie fr dich - gewisse Dinge lediglich Erzhlungen der Kraft.

Ich fhlte mich gezwungen, meinen Standpunkt zu verteidigen. Ich sagte, ich sprche doch nur in hypothetischem Sinne. Es gibt keinen hypothetischen Sinn, sobald man ber die Welt der Wissenden spricht, sagte er. Ein Wissender kann seinen Mitmenschen niemals Schaden zufgen, ob hypothetisch oder sonst wie. Aber wie, wenn seine Mitmenschen einen Anschlag auf seine Sicherheit und sein Wohl planen? Kann er dann seinen Doppelgnger einsetzen, um sich zu schtzen? Er schnalzte mibilligend mit der Zunge. Welch unglaubliche Gewaltttigkeit steckt in deinen Gedanken, sagte er. Niemand kann einen Anschlag auf die Sicherheit und das Wohl eines Wissenden planen. Er sieht, daher wird er Vorkehrungen treffen, um dergleichen zu verhindern. Genaro zum Beispiel nimmt ein kalkuliertes Risiko auf sich, wenn er sich mit dir abgibt. Aber du knntest gar nichts tun, um seine Sicherheit zu gefhrden. Falls es dergleichen gbe, wrde sein Sehen es ihn wissen lassen. Wenn nun irgend etwas an dir ist, das von Natur aus schdlich fr ihn ist, und sein Sehen dies nicht erfassen kann, dann ist es eben sein Schicksal, und diesem kann weder Genaro noch sonst jemand entgehen. Du siehst also, ein Wissender hat die Kontrolle, ohne irgend etwas zu kontrollieren. Wir schwiegen. Die Sonne berhrte schon die hohen Bsche an der westlichen Seite des Hauses. Somit blieben noch zwei Stunden Tageslicht. Warum rufst du nicht Genaro? fragte Don Juan b e i l u f i g . Mein Krper schnellte empor. Meine erste Reaktion war, alles fallenzulassen und zum Auto zu rennen. Don Juan lachte aus vollem Hals. Ich sagte ihm, ich htte es nicht ntig, mir irgend etwas zu beweisen, und es genge mir v o l l a u f , mit ihm zu sprechen. Don Juan konnte sich nicht halten vor Lachen. Es sei eine Schande, meinte er schlielich, da Don Genaro nicht hier sei, um dieses tolle Spektakel mitzuerleben. Hr mal, wenn du schon keine Lust hast, Genaro zu rufen, dann will ich es tun, sagte er entschlossen. Ich liebe seine Gesellschaft. Ich sprte einen scheulich bitteren Geschmack unter dem Gaumen. Schweiperlen l i e f e n mir ber die Stirn und ber die

Oberlippe. Ich wollte etwas einwenden, aber es gab wirklich nichts zu sagen. Don Juan musterte mich mit einem langen, prfenden Blick. Komm schon! sagte er. Ein Krieger ist immer bereit. Um ein Krieger zu sein, ist es nicht einfach damit getan, da man einer sein mchte. Vielmehr ist es ein endloser Kampf, der bis zum allerletzten Augenblick unseres Lebens whrt. Niemand ist als Krieger geboren, genau wie niemand als vernunftbegabtes Wesen geboren wird. Wir machen das eine oder das andere aus uns. Rei dich zusammen! Ich will nicht, da Genaro sieht, wie du zitterst. Er stand auf und schritt auf dem sauber gefegten Vorplatz auf und ab. Ich konnte nicht gelassen bleiben. Meine Nervositt wurde so heftig, da ich nicht mehr schreiben konnte, und ich sprang auf die Fe. Don Juan hie mich, mit dem Gesicht nach Westen auf der Stelle traben. Schon vorher hatte er mich bei verschiedenen Gelegenheiten dieselbe Bewegung ausfhren lassen. Dabei ging es darum, aus der anbrechenden Dmmerung Kraft zu ziehen, indem man die Arme mit fcherfrmig gespreizten Fingern zum Himmel streckte und dann, wenn die Arme sich in der Mitte zwischen Horizont und Zenit befanden, die Hnde kraftvoll zu Fusten ballte. Diese bung tat ihre Wirkung, und fast augenblicklich wurde ich ruhig und gefat. Ich konnte jedoch nicht umhin, mich zu fragen, was mit meinem alten Ich geschehen sein mochte, das sich durch das Ausfhren so einfacher und trichter Bewegungen niemals so vollkommen htte entspannen knnen. Nun wollte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf das Verfahren konzentrieren, das Don Juan zweifellos befolgen wrde, um Don Genaro zu rufen. Ich erwartete irgendwelche grotesken Vorkehrungen. Don Juan aber stand, nach Sdosten gewandt, auf der Veranda, legte die Hnde trichterfrmig um den Mund und rief: Genaro! Komm her! Im nchsten Augenblick tauchte Don Genaro aus dem Chaparral auf. Die beiden strahlten. Sie tanzten buchstblich vor mir hin und her.

Don Genaro begrte mich berschwnglich und setzte sich dann auf die Milchbtte. Irgend etwas stimmte ganz und gar n i c h t mit mir. Ich war ruhig, gelassen. Eine unglaubliche G l e i c h g l t i g k e i t und Entrcktheit hatten mein ganzes Wesen erfat. Fast war es so, als beobachtete ich mich selbst aus einem Versteck. Ganz unbekmmert berichtete ich Don Genaro, da er mich bei meinem letzten Besuch beinahe zu Tode erschreckt habe und ich nicht einmal bei meinen Erlebnissen mit psychotropen Pflanzen in einem so vllig chaotischen Zustand gewesen sei. Die beiden bejubelten meine uerungen, als htte ich einen guten Witz gemacht. Ich fiel in ihr Lachen ein. Offensichtlich wuten sie um meine emotionale Betubung. Sie beobachteten mich und hnselten mich, als ob ich betrunken wre. Irgend etwas in mir kmpfte verzweifelt, um die Situation in den Griff zu bekommen. Ich htte mich lieber betroffen und verngstigt gefhlt. Schlielich spritzte Don J u a n mir Wasser ins Gesicht und ntigte mich, ruhig sitzen zu bleiben und mir Notizen zu machen. Er sagte, wie schon vorhin, ich msse entweder schreiben, oder ich wrde sterben. Der bloe Akt. ein paar Worte niederzuschreiben, brachte mir meine v e r t r a u t e Stimmung wieder. Es war, als wrde irgend etwas wieder g l a s k l a r etwas, das einen Augenblick zuvor noch stumpf und taub war. Das Wiederauftauchen meines gewohnten Selbst bedeutete auch das Wiederauftauchen meiner gewohnten ngste. Seltsamerweise hatte ich weniger Angst davor, Angst zu haben, als keine Angst zu haben. Die Vertrautheit meiner a l t e n Gewohnheiten, ganz gleich, wie unangenehm sie sein mochten, brachte mir eine wunderbare Erleichterung. Dann erst wurde mir voll bewut, da Don Genaro gerade aus dem Chaparral aufgetaucht war. Meine gewohnten Denkprozesse begannen wieder zu arbeiten. Von Anfang an weigerte ich mich, ber den ganzen Vorgang nachzudenken oder zu spekulieren. Ich fate den Entschlu. ihn nichts zu fragen. Diesmal wollte ich ein stummer Zeuge bleiben. Genaro ist wiedergekommen, ausschlielich fr dich, sagte Don Juan.

Don Genaro lehnte an der Hauswand, gegen die er, auf der umgestrzten Milchbtte hockend, seinen Rcken sttzte. Er sah aus, als reite er auf einem Pferd. Die Hnde hielt er nach vorn gestreckt, so da man den Eindruck hatte, er halte die Zgel fest. Stimmt, Carlitos, sagte er und stie die Milchbtte gegen den Boden. Er stieg ab, wobei er das rechte Bein ber einen imaginren Pferdehals schwang, und sprang auf den Boden. Seine Bewegungen waren so perfekt, da sie mir das unzweifelhafte Gefhl eingaben, er sei hoch zu Pferde angekommen. Er kam zu mir herber und setzte sich zu meiner Linken. Genaro ist gekommen, weil er dir von dem Anderen erzhlen will, sagte Don Juan. Er machte eine Gebrde, als ob er Don Genaro das Wort erteilte. Don Genaro verbeugte sich. Er drehte sich nher zu mir. Was mchtest du wissen, Carlitos? fragte er mit berzogener Stimme. Nun, wenn du mir etwas ber den Doppelgnger erzhlen willst, dann erzhl mir bitte alles, sagte ich, Gelassenheit vortuschend. Die beiden schttelten die Kpfe und schauten sich an. Genaro wird dir etwas ber den Trumer und den Getrumten erzhlen, sagte Don Juan. Wie du weit, Carlitos, sagte Don Genaro mit der Miene eines sich in Eifer redenden Volksredners, beginnt der Doppelgnger im Trumen. Er warf mir einen Blick zu und lchelte. Seine Augen glitten von meinem Gesicht zu meinem Schreibzeug hinab. Der Doppelgnger ist ein Traum, sagte er, kratzte sich unter dem Arm und stand auf. Er ging zum Rand des Vorplatzes und trat in den Chaparral hinaus. Er stand neben einem Busch, wobei er uns sein Profil zu drei Vierteln zeigte; anscheinend urinierte er. Im nchsten Augenblick bemerkte ich, da mit ihm etwas nicht in Ordnung war. Offenbar versuchte er verzweifelt, zu urinieren, konnte aber nicht. Don Juans Lachen zeigte mir, da Don Genaro wieder seine Possen trieb. Don Genaro wand und drehte sich

so komisch, da er Don J u a n und mich zu hysterischem Gelchter reizte. Don Genaro kehrte zur Veranda zurck und setzte sich. Sein Lcheln strahlte eine seltsame Wrme aus. Wenn's nicht geht, dann geht's halt nicht, sagte er achselzuckend. Nach kurzer Pause fgte er seufzend hinzu: Ja. Carlitos. der Doppelgnger ist ein Traum. Du meinst, er ist nicht real? fragte ich. N e i n . Ich meine, er ist ein Traum, erwiderte er. Don Juan mischte sich ein und erklrte. Don Genaro beziehe sich auf das erste Anzeichen der E r k e n n t n i s , da wir leuchtende Wesen seien. W i r alle sind verschieden, und daher sind die Einzelheiten unserer Kmpfe verschieden, sagte Don J u a n . Gleichwohl sind die Schritte, die wir tun mssen, um den Doppelgnger zu gewinnen, die gleichen. Besonders die ersten Schritte, die stets verworren und unsicher sind. Don Genaro p f l i c h t e t e ihm bei und sagte etwas ber die Unsicherheit, die ein Zauberer auf dieser Stufe habe. Als es mir zum erstenmal passierte, wute ich nicht, da es geschehen war, erklrte er. Eines Tages sammelte ich Kruter im Gebirge. Ich war zu einer Stelle gegangen, die bereits von anderen Krutersammlern abgesucht worden war. Ich hatte zwei groe Scke voll Kruter bei mir. Ich war bereit, nach Hause zu gehen, aber vorher wollte ich noch eine kurze Rast machen. Ich legte mich am Wegrand in den Schatten eines Baumes und schlief ein. Ich hrte die Stimmen von Menschen, die den Berg herabkamen, und wachte a u f . Schnell r a n n t e ich in Deckung und versteckte mich h i n t e r ein paar Bschen, nicht weit von der Strae e n t f e r n t , wo ich eingeschlafen war. Dort versteckt, hatte ich das peinigende G e f h l , ich htte etwas vergessen. Ich s c h a u t e nach, ob ich meine beiden Kruterscke bei m i r hatte. Sie waren nicht da. Ich sphte ber die Strae zu dem Platz hinber, wo ich geschlafen hatte, und da verlor ich vor Schreck fast die Hosen: Dort lag ich immer noch und schlief! Ich war es! Ich fate meinen Krper an. Das war ich auch selbst! Inzwischen hatten die Leute, die den Berg herabkamen, mich, den Schlafenden.

erreicht, whrend ich. der Hellwache, h i l f l o s aus meinem Versteck hervorsphte. Zum Teufel! Gleich wrden sie mich entdecken und mir meine Scke wegnehmen. Aber sie gingen vorber, als sei ich gar nicht dagewesen. Meine Vision war so lebhaft, da ich ganz auer mir g e r i e t . Ich schrie, und dann wachte ich noch einmal auf. V e r f l u c h t ! Es war ein Traum gewesen! Don Genaro unterbrach seine Erzhlung und schaute mich an. als warte er auf eine Frage oder einen Kommentar. Sag ihm, wo du das zweite Mal aufgewacht b i s t , sagte Don Juan. Ich wachte neben der Strae auf, sagte Don Genaro, wo ich eingeschlafen war. Aber eine Weile wute ich nicht recht, wo ich wirklich war. Fast mchte ich sagen, da ich mir immer noch zuschaute, wie ich dort aufwachte. Dann zog irgend etwas mich an den Straenrand, und ich sa da und rieb mir die Augen. Es entstand eine lange Pause. Ich wute nicht, was ich sagen sollte. Und was hast du dann g e t a n ? fragte Don J u a n . Als die beiden zu lachen anfingen, e r k a n n t e ich. da er mich verulkte. Er imitierte meine Art, Fragen zu s t e l l e n . Don Genaro sprach weiter. Er sagte, er sei e i n e n Augenblick verblfft gewesen, und dann habe er sich darangemacht, alles zu berprfen. Die Stelle, wo ich mich versteckt hatte, war genauso, wie ich sie gesehen hatte, sagte er. Und die Leute, die auf der Strae an mir vorbeigegangen waren, befanden sich ganz in der Nhe. Das wei ich, weil ich ihnen hinterherlief. Es waren die gleichen Leute, die ich gesehen hatte. Ich folgte i h n e n , bis sie ins Dorf kamen. Sie mssen mich fr verrckt g e h a l t e n haben. Ich fragte sie, ob sie meinen Freund am Straenrand schlafen gesehen htten. Alle v e r n e i n t e n dies. Du siehst, sagte Don Juan, wir alle machen die g l e i c h e n Zweifel durch. Wir frchten uns. verrckt zu werden. Zu unserem Unglck sind wir natrlich alle bereits verrckt. Immerhin bist du ein bichen verrckter als w i r , sagte Don Genaro und zwinkerte mir zu. Und m i t r a u i s c h e r .

Sie h n s e l t e n mich wegen meines Mitrauens. Und dann sprach Don Genaro weiter. Wir alle sind etwas schwer von Begriff, sagte er. Du bist nicht der einzige, Carlitos. E i n paar Tage lang war ich ber meinen Traum erschrocken, aber dann mute ich fr meinen Lebensunterhalt arbeiten und mich um zu viele Dinge kmmern und hatte wirklich keine Zeit, ber das Geheimnis meiner Trume nachzugrbeln. Daher verga ich es binnen kurzem. Darin war ich ganz wie du. Aber eines Tages, ein paar Monate spter, nach einem furchtbar anstrengenden Tag, schlief ich am Nachmittag tief wie ein Br. Es hatte gerade angefangen zu regnen, und ein Loch im Dach weckte mich auf. Ich sprang aus dem Bett und kletterte aufs Dach, um das Loch zuzustopfen, bevor es hereinregnete. Ich fhlte mich so wohl und stark, da ich augenblicklich mit dieser Arbeit fertig war und nicht einmal na wurde. Mein kurzes Nickerchen h a t t e mir, dachte ich, sehr gutgetan. Als ich fertig war, kehrte ich ins Haus zurck, um mir etwas zu essen zu holen, und da erkannte ich, da ich nicht schlucken konnte. Ich glaubte, ich sei krank. Ich zerstampfte ein paar Wurzeln und Bltter, strich mir diese Paste um den Hals und ging zu meinem Bett. Und als ich vor dem Bett stand - da verlor ich beinahe wieder die Hosen. Ich lag im Bett und schlief, ich wollte mich wachrtteln, aber i c h wute, da dies nicht das Richtige war. Also rannte ich aus dem Haus. Mich hatte die Panik gepackt. Z i e l l o s s t r e i f t e ich durch die Berge. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich l i e f , und obgleich ich mein ganzes Leben dort verbracht h a t t e , verirrte ich mich. Ich l i e f durch den Regen und sprte ihn nicht e i n m a l . Mir war. als knne ich nicht denken. Dann wurden B l i t z und Donner so heftig, da ich davon abermals erwachte. Er machte eine Pause. Mchtest du wissen, wo ich aufwachte' 1 fragte er mich. N a t r l i c h , antwortete Don Juan. Ich erwachte in den Bergen, im Regen, sagte er. Aber wieso wutest du, da du aufgewacht warst? fragte ich. M e i n Krper wute es, erwiderte er. Das war eine dumme Frage, warf Don Juan ein. Du weit

doch selbst, da irgend etwas in einem Krieger sich stets jeder Vernderung bewut ist. Es ist ja gerade das Ziel der Lebensweise des Kriegers, dieses Bewutsein zu entwickeln und zu erhalten. Der Krieger pflegt es, poliert es und hlt es in Schu. Er hatte recht. Ich mute ihnen zugestehen, da ich wute, da es irgend etwas in mir gab, das alles registrierte und sich all dessen, was ich tat, bewut war. Und doch hatte dies nichts mit dem gewhnlichen Bewutsein meiner selbst zu tun. Es war etwas anderes, das ich nicht erfassen konnte. Vielleicht knnte Don Genaro es besser beschreiben als ich, meinte ich. Du schaffst es ganz gut allein, sagte Don Juan. Es ist eine innere Stimme, die dir sagt, was los ist. Und damals sagte sie mir, da ich zum zweitenmal erwacht war. Sobald ich aufwachte, war ich natrlich berzeugt, da ich getrumt haben mute. Offenbar war es kein gewhnlicher Traum gewesen, aber es war auch nicht eigentlich Trumen gewesen. Daher kam ich zu dem Schlu, da es etwas anderes gewesen sein mute: Schlafwandeln war es, im Halbschlaf, nehme ich an. Ich konnte es mir nicht anders erklren. Don Genaro erzhlte, sein Wohltter habe ihm erklrt, da das, was er erlebt hatte, alles andere als ein Traum war und da er sich nicht damit begngen drfe, es als Schlafwandeln aufzufassen. Was, meinte er, war es denn? fragte ich. Sie tauschten einen Blick aus. Er sagte mir, es war der Butzemann, antwortete Don Genaro, wobei er die Stimme eines kleinen Kindes nachahmte. Ich erklrte ihnen, ich wte gern, ob Don Genaros Wohltter es genauso erklrt habe, wie sie selbst es taten. Natrlich tat er das, sagte Don Juan. Mein Wohltter e r k l r t e , fuhr Don Genaro fort, da der Traum, in dem man sich selbst im Schlaf beobachtet, die Zeit des Doppelgngers sei. Er empfahl mir, ich solle, statt meine Kraft auf Grbeleien und Zweifel zu verschwenden, die Gelegenheit zum Handeln nutzen, und f a l l s ich noch einmal eine Gelegenheit bekme, darauf vorbereitet sein. Meine nchste Chance ergab sich im Hause meines Wohlt-

ters. Ich hatte ihm bei der Hausarbeit geholfen. Nun legte ich mich zur Ruhe und f i e l wie gewhnlich in einen gesunden Schlaf. Sein Haus war fr mich eindeutig ein Ort der Kraft und half mir. Pltzlich beunruhigte mich ein lautes Gerusch, von dem ich erwachte. Das Haus meines Wohltters war gro. Er war ein wohlhabender Mann und lie viele fr sich arbeiten. Der Lrm schien von einer im Kies scharrenden Schaufel herzurhren. Ich setzte mich auf, um zu horchen, und dann stand ich auf. Das Gerusch beunruhigte mich sehr, aber ich konnte nicht feststellen, warum. Ich berlegte, ob ich nachschauen sollte, als ich bemerkte, da ich am Boden lag und s c h l i e f . Diesmal wute ich. was ich zu erwarten und zu tun hatte, und folgte dem Gerusch. Ich ging in den hinteren Teil des Hauses. Dort war niemand. Das Gerusch schien von drauen zu kommen. Ich ging ihm nach. Je lnger ich ihm folgte, desto schneller konnte ich mich bewegen. Schlielich gelangte ich an eine entfernte Stelle, wo ich Zeuge unglaublicher Vorgnge wurde. Zur Zeit j e n e r Ereignisse, erklrte er, sei er noch in den Anfngen seiner Lehrzeit gewesen und habe auf dem Gebiet des Trumens noch wenig Erfahrung gehabt, aber er habe ber eine unheimliche Gabe verfgt, sich selbst im Traum zu sehen. Wohin bist du gegangen. Don Genaro? fragte ich. Dies war das erste Mal, da ich mich wirklich beim Trumen fortbewegt habe, sagte er. Aber ich wute genug darber, um mich richtig zu v e r h a l t e n . Ich achtete darauf, nichts direkt anzuschauen, und fand mich schlielich in einer tiefen Schlucht wieder, wo mein Wohltter einen Teil seiner Kraft-Pflanzen stehen hatte. Meinst du, es funktioniert besser, wenn man nur wenig ber das Trumen wei?, fragte ich. N e i n ! warf Don Juan ein. Jeder von uns hat die Gabe zu etwas Besonderem. Genaros Begabung ist das Trumen. W as hast du dort in der Schlucht gesehen, Don Genaro? fragte ich. Ich sah meinen Wohltter, der gefhrliche Dinge mit anderen Leuten anstellte. Ich glaubte, ich sei dort, um ihm zu helfen, und versteckte mich hinter den Bumen. Doch ich

konnte nicht wissen, wie ich ihm helfen sollte. Immerhin war ich nicht dumm, und ich erkannte, da diese Szene nur dazu bestimmt war, da ich beobachtete, nicht aber selbst an ihr mitwirkte. Wann und wie und wo bist du aufgewacht? Ich wei nicht, wann ich aufwachte. Es mu Stunden spter gewesen sein. Ich wei nur, da ich meinem Wohltter und den anderen Mnnern folgte, und als sie beinahe das Haus meines Wohltters erreicht hatten, wurde ich durch den Lrm, den sie machten - denn sie stritten miteinander -, aufgeweckt. Ich war an der Stelle, wo ich mich schlafend liegen gesehen hatte. Beim Erwachen erkannte ich, da, was immer ich gesehen oder getan haben mochte, kein Traum gewesen war. Ich war wirklich, durch das Gerusch gefhrt, ein Stck weit gegangen. Wute dein Wohltter, was du tatst? Aber sicher. Er hatte dieses Gerusch mit der Schaufel gemacht, um mir zu helfen, meine Aufgabe zu erfllen. Als er ins Haus trat, gab er vor, mich auszuschelten, weil ich eingeschlafen war. Ich wute aber, da er mich gesehen hatte. Spter, als seine Freunde gegangen waren, erzhlte er mir, er habe mein Leuchten hinter den Bumen bemerkt. Diese drei Episoden, sagte Don Genaro, htten ihn auf den Weg des Trumens gebracht, und es habe fnfzehn Jahre gedauert, bis er seine nchste Gelegenheit bekommen habe. Das vierte Mal war eine phantastischere und vollkommenere Vision, sagte er. Ich fand mich schlafend inmitten bebauter Felder. Dort sah ich mich, wie ich in tiefem Schlaf auf der Seite lag. Ich wute, da dies das Trumen war, denn ich hatte mich jeden Abend darauf vorbereitet zu trumen. In der Regel hatte ich mich jedesmal, wenn ich mich im Schlaf sah, an der Stelle befunden, wo ich eingeschlafen war. Diesmal aber war ich nicht in meinem Bett, und ich wute, da ich an diesem Abend zu Bett gegangen war. Bei diesem Trumen war es Tag. Also wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich verlie die Stelle, wo ich lag, und versuchte mich zu orientieren. Ich wute, wo ich mich befand. Tatschlich war ich nicht allzu weit, vielleicht ein paar Meilen, von meinem

Haus entfernt. Ich ging umher und sah mir alle Einzelheiten dieses Platzes an. Ich stand im Schatten eines groen Baumes und sphte ber einen flachen Landstrich zu den Maisfeldern am Hang eines Hgels hinber. Dann berraschte mich etwas ganz Ungewhnliches. Die Details der Umgebung vernderten sich nicht und verschwanden auch nicht, wie lange ich sie auch anstarrte. Ich bekam es mit der Angst zu tun und lief dorthin zurck, wo ich s c h l i e f . Ich lag noch genau an der Stelle, wo ich vorher gewesen war. Ich" fing an. mich zu beobachten. Ich empfand eine unheimliche Gleichgltigkeit gegenber diesem Krper, den ich beobachtete. Dann hrte ich die Schritte von nherkommenden Menschen. Anscheinend waren immer irgendwelche Leute hinter mir her. Ich lief einen kleinen Hgel hinauf und beobachtete vorsichtig von dort oben, was geschah. Es kamen etwa zehn Menschen zu dem Feld, wo ich schlafend lag. Lauter junge Mnner. Ich rannte zurck zu der Stelle, wo ich lag, und nun e r l e b t e ich einen der verzweifeltsten Augenblicke meines Lebens, whrend ich mich dort liegen sah - schnarchend wie ein Schwein. Ich wute, da ich mich aufwecken mute, aber ich h a t t e keine Ahnung, wie ich es anfangen sollte. Auch wute ich. da es fr mich tdlich ausgehen konnte, wenn ich mich selbst weckte. Aber f a l l s diese jungen Mnner mich dort fnden, wrde es fr sie sehr unangenehm sein. Alle diese berlegungen, die mir durch den Kopf schssen, waren nicht eigentlich Gedanken. Besser gesagt, es waren Szenen, die sich vor meinen Augen abspielten. Meine Besorgnis zum Beispiel war eine Szene, bei der ich mich sah. whrend ich das Gefhl hatte, in der Falle zu sitzen. Ich nenne das Besorgnis. Nach diesem ersten Mal ist es mir noch viele Male passiert. Nun gut, da ich nicht wute, was ich t u n sollte, s t a n d ich da und schaute mich an, auf das Schlimmste gefat. Eine Reihe flchtiger Bilder zog vor meinen Augen vorbei. Besonders an eines klammerte ich mich: den Anblick von meinem Haus, meinem Bett. Das Bild wurde ganz klar. Ach, wie wnschte ich, daheim im Bett zu sein! Dann rttelte mich jemand; es fhlte sich an, als ob mich jemand schlge, und ich erwachte. Ich lag auf dem Bett! Offenbar hatte ich getrumt. Ich sprang auf und lief zu der Stelle, wo mein Trumen stattgefunden

hatte. Sie war genauso, wie ich sie gesehen hatte. Die jungen Mnner waren da und arbeiteten. Lange schaute ich ihnen zu. Es waren dieselben, die ich gesehen hatte. Gegen Ende des Tages, als alle gegangen waren, kehrte ich zu der gleichen Stelle zurck und stand genau an dem Fleck, wo ich mich im Schlaf gesehen hatte. Ja, dort hatte jemand gelegen. Das Gras war niedergedrckt. Don Juan und Don Genaro beobachteten mich. Sie sahen aus wie zwei seltsame Tiere. Ein Frsteln lief mir ber den Rcken. Ich stand im Begriff, mich der ganz begrndeten Angst hinzugeben, sie knnten keine wirklichen Menschen sein wie ich, aber Don Genaro lachte. Zu jener Zeit, sagte er, war ich genau wie du, Carlitos. Ich wollte alles herausfinden. Ich war genauso mitrauisch wie du. Er machte eine Pause, dann hob er drohend den Finger. Anschlieend schaute er Don Juan an. Warst du nicht ebenso mitrauisch wie d i e s e r Kerl h i e r ? fragte er. Keine Spur, sagte Don Juan. Er ist unbestrittener Meister. Don Genaro wandte sich zu mir und machte eine Geste des Bedauerns. Ich glaube, ich habe mich geirrt, sagte er. I c h war nicht ganz so mitrauisch wie du. Sie kicherten leise, als wollten sie keinen Lrm machen. Don Juans Krper wand sich in unterdrcktem Lachen. Dies ist fr dich ein Ort der K r a f t , f l s t e r t e Don Genaro. Du hast dir j a die Finger wund geschrieben, h i e r , wo du hockst. Hast du h i e r jemals wilde Trume gehabt? Nein, das nicht, sagte Don Juan leise. Aber er hat wie w i l d geschrieben. Sie konnten kaum noch an sich h a l t e n . Anscheinend wollten sie nicht laut lachen. Es schttelte sie frmlich. Ihr unterdrcktes Lachen klang wie ein rhythmisches Gackern. Don Genaro setzte sich aufrecht und rckte nher. Er klopfte mir mehrmals auf die Schulter und sagte, ich sei ein Halunke, und dann ri er pltzlich meinen linken Arm heftig zu sich. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorn. Fast schlug ich

mit dem Gesicht auf dem harten Boden auf. Automatisch hielt ich meinen rechten Arm nach vorn und suchte meinen Sturz zu dmpfen. Einer von ihnen hielt mich fest, indem er mein Genick nach unten drckte. Ich war nicht sicher, wer von beiden es war. Die Hand, die mich festhielt, fhlte sich nach Don Genaro an. Ich e r l e b t e einen Augenblick verheerender Panik. Mir war. als ob ich in Ohnmacht fiele, vielleicht tat ich es auch. Auf meinem Magen lastete ein solcher Druck, da ich mich bergeben mute. Meine nchste klare Wahrnehmung war, da _ jemand mir half, mich aufrecht zu setzen. Don Genaro hockte vor mir. Ich wandte mich um und suchte Don J u a n . Er war nirgends zu sehen. Don Genaro zeigte mir ein strahlendes Lcheln. Seine Augen leuchteten. Sie blickten starr in die meinen. Ich fragte ihn, was er denn mit mir angestellt htte, und er sagte, ich sei in Stcke gegangen. Seine Stimme klang vorwurfsvoll, und er schien verrgert oder unzufrieden mit mir. Mehrmals wiederholte er, ich sei in Stcke gegangen und msse wieder ganz und heil werden. Er versuchte einen strengen Ton vorzutuschen, aber mitten in seiner Rede mute er lachen. Er erzhlte mir, wie furchtbar es sei. da ich ber den ganzen Platz verstreut sei. und da er wohl e i n e n Besen holen msse, um alle meine Teile auf einen Haufen zu kehren. Schlielich meinte er. ich wrde die Teile womglich falsch zusammensetzen, und endlich wrde mein Penis noch dort sitzen, wo mein Daumen sein sollte. An d i e s e m Punkt p l a t z t e er heraus. Ich wollte lachen, und dann h a t t e ich eine hchst ungewhnliche Empfindung. Mein Krper fiel auseinander. Es war, als sei ich ein mechanisches Spielzeug, das sich einfach in seine Bestandteile auflste. Ich hatte keinerlei krperliche Empfindungen mehr und versprte auch weder Angst noch Sorge. Das Auseinanderfallen war eine Szene, die ich aus dem Blickwinkel eines unbeteiligten Beobachters erlebte, und doch gewahrte ich nichts, was e i n e r Sinneswahrnehmung gleichgekommen wre. Das nchste, was mir bewut wurde, war. da Don Genaro sich an meinem Krper zu schaffen machte. Dann hatte ich eine krperliche Empfindung, ein so heftiges Beben, da ich alles um mich her aus den Augen verlor. Abermals hatte ich das Gefhl, da jemand mir behilflich war.

mich aufrecht zu setzen. Wieder sah ich Don Genaro vor mir hocken. Er zog mich an den Schultern hoch und half mir umherzugehen. Ich konnte nicht feststellen, wo ich war. Ich hatte das Gefhl, in einem Traum zu sein, und doch h a t t e ich ein exaktes Gefhl fr den Zeitablauf. Ich war mir genau bewut, da ich soeben mit Don Genaro und Don Juan auf der Veranda von Don Juans Haus gewesen war. Don Genaro ging neben mir her und sttzte mich unter der linken Achsel. Die Szene, die ich beobachtete, vernderte sich dauernd. Doch ich konnte nicht f e s t s t e l l e n , was ich da eigentlich beobachtete. Was ich vor mir sah, war eher wie ein Gefhl oder eine Stimmung; und der Mittelpunkt, von dem all diese Vernderungen ausgingen, war eindeutig mein Bauch. Dieser Zusammenhang wurde mir nicht als Gedanke oder Erkenntnis k l a r , sondern als krperliche Empfindung, die ganz d e u t l i c h wurde und alles beherrschte. Die Schwankungen kamen aus meinem Bauch. Ich schuf eine Welt, e i n e n endlosen Ablauf von Gefhlen und Bildern. Alles, was ich wute, war sichtbar da. Dies war selbst ein Gefhl, nicht aber ein Gedanke oder eine bewute Feststellung. Einige Zeit versuchte ich mir Rechenschaft zu geben, was eigentlich vor sich ging; meine Gewohnheit, mir ber alles ein Urteil zu bilden, war anscheinend nicht kleinzukriegen. Irgendwann aber setzte meine innere Buchhaltung aus, und ein namenloses Etwas h l l t e mich ein - Gefhle und Bilder aller Art. An einem gewissen Punkt setzte das innere Registrieren bei mir wieder ein, und ich bemerkte, da ein Bild sich dauernd wiederholte: Es waren Don Juan und Don Genaro, die mich zu fassen versuchten. Das Bild war f l c h t i g , es glitt schnell an mir vorbei. Es war so hnlich, als she ich sie aus dem Fenster eines schnellen Fahrzeugs. Offenbar versuchten sie, mich zu fangen, whrend ich vorbeischwebte. Das Bild wurde klarer und hielt lnger an, j e fter es sich wiederholte. Irgendwann gewahrte ich bewut, da ich es w i l l k r l i c h aus Tausenden anderer Bilder isolieren konnte. Die brigen berflog i c h sozusagen, um zu dieser besonderen Szene zu gelangen. Schlielich konnte ich sie festhalten, indem ich an sie dachte. Kaum hatte ich angefangen zu denken, setzten meine gewohn-

ten Prozesse wieder ein. Sie waren nicht so deutlich wie meine gewohnten Aktivitten, aber k l a r genug, um zu erkennen, da die Szene oder das Gefhl, das ich isoliert hatte, darin bestand, da Don Juan und Don Genaro auf Don Juans Veranda waren und mich unter den Armen festhielten. Ich wollte weiter durch andere Bilder und Gefhle fliehen, aber sie lieen mich nicht los. Einen Augenblick wehrte ich mich. Ich fhlte mich beschwingt und glcklich. Ich wute, da ich die beiden gern hatte, und dann wute ich auch, da ich keine Angst vor ihnen hatte. Ich wollte mit ihnen scherzen, doch ich wute nicht wie, und ich lachte dauernd und schlug sie auf die Schultern. Noch etwas war mir bewut. Ich war sicher, da ich trumte. Sobald ich meinen Blick auf irgend etwas konzentrierte, wurde es sofort verschwommen. Don Juan und Don Genaro sprachen zu mir. I c h konnte ihre Worte nicht recht f e s t h a l t e n , und ich konnte nicht unterscheiden, wer von beiden sprach. Dann drehte Don Juan meinen Krper um und wies auf ein am Boden liegendes Etwas. Don Genaro zog mich nher heran und fhrte mich um es herum. Das Etwas war ein Mann, der am Boden lag. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht nach rechts gewandt. Whrend sie sprachen, zeigten sie immer wieder auf den Mann. Sie zogen und zerrten mich im Kreis um i h n herum. Ich konnte meinen Blick nicht auf ihn f i x i e r e n , aber schlielich hatte ich ein Gefhl der Ruhe und Nchternheit, und ich schaute den Mann an. Ganz langsam dmmerte mir die Erkenntnis, da der Mann dort am Boden ich selbst war. Diese Erkenntnis bereitete mir keinerlei Angst oder Unbehagen. Ich akzeptierte es einfach ohne Gefhlsbeteiligung. In diesem Augenblick s c h l i e f ich nicht ganz, aber ich war auch nicht v l l i g wach oder bei klarem Bewutsein. Auch erkannte ich Don Juan und Don Genaro _ j etzt besser und konnte sie auseinanderhalten, wenn sie mit mir sprachen. Don Juan sagte, wir wrden nun zu dem kreisrunden P l a t z der Kraft im Chaparral gehen. Kaum hatte er es ausgesprochen, da tauchte in meinem Kopf schlagartig das Bild j e n e s Ortes auf. Ich sah die dunkle Masse der i h n umgebenden Bsche. Ich wandte mich nach rechts; auch Don Juan und Don Genaro waren da. Ich sprte einen Schlag und h a t t e das Gefhl, da ich mich vor ihnen frchtete. Vielleicht

deshalb, weil sie wie zwei bedrohliche Schatten aussahen. Sie kamen nher. Sobald ich ihre Gesichter erkannte, verschwanden meine ngste. Ich hatte sie wieder gern. Es war, als sei ich betrunken und knne meine Gedanken nirgends festmachen. Sie packten mich an den Schultern und schttelten mich mit vereinten Krften. Sie befahlen mir aufzuwachen. Ich konnte ihre Stimmen deutlich hren und unterscheiden. Dann kam ein einzigartiger Augenblick. Ich hatte zwei Bilder vor meinem inneren Auge, zwei Trume. Mir war, als ob irgend etwas in mir fest schlief und nun erwachte, und ich fand mich auf dem Fuboden der Veranda liegend wieder, whrend Don Juan und Don Genaro mich schttelten. Aber ich war auch an dem Ort der Kraft, und Don Juan und Don Genaro schttelten mich ebenfalls. Es gab einen entscheidenden Moment, wo ich weder an der einen noch an der anderen Stelle war, sondern an zwei Orten als Beobachter zwei Szenen gleichzeitig sah. Ich hatte die unglaubliche Empfindung, als knne ich mich in diesem Augenblick fr das eine oder das andere entscheiden. Ich brauchte nur den Gesichtswinkel zu wechseln und eine der beiden Szenen, statt sie von auen zu beobachten, aus der Perspektive des Subjekts zu erfhlen. Von Don Juans Haus ging irgendwie eine starke Wrme aus. Diese Szene bevorzugte ich. Sodann sprte ich einen frchterlichen Schauder, so schrecklich, da mein volles, normales Bewutsein augenblicklich zu mir zurckkehrte. Don Juan und Don Genaro gssen aus Eimern Wasser ber mich. Ich war auf der Veranda vor Don Juans Haus. Ein paar Stunden spter saen wir in der Kche. Don Juan hatte darauf bestanden, da ich mich so benhme, als sei nichts geschehen. Er gab mir etwas zu essen und sagte, ich solle ordentlich zugreifen, um meine verausgabte Energie wieder aufzufrischen. Nachdem wir uns zu Tisch gesetzt hatten, schaute ich auf die Uhr; es war halb neun abends. Mein Erlebnis hatte mehrere Stunden gedauert. Was aber meine Erinnerung betraf, so schien es mir, als htte ich nur eine kurze Weile geschlafen. Obgleich ich jetzt ganz ich selbst war, war ich immer noch wie

betubt. Erst nachdem ich angefangen hatte, in meinem Notizbuch zu schreiben, erlangte ich mein normales Bewutsein wieder. Es war eine berraschung fr mich, da das Schreiben eine sofortige Ernchterung bewirken konnte. In dem Augenblick, als ich wieder ich selbst war, strmte sogleich ein Trommelfeuer von vernnftigen Gedanken auf mich ein; sie drehten sich um die Erklrung des Phnomens, das ich soeben erlebt hatte. Ich wute auf der Stelle, da Don Genaro mich in dem Moment hypnotisiert hatte, als er mich auf den Boden drckte, aber ich versuchte n i c h t , herauszufinden, wie er es angestellt hatte. Als ich meine Gedanken vortrug, lachten die beiden fast hysterisch. Don Genaro untersuchte meinen B l e i s t i f t und meinte, dieser Bleistift sei der Schlssel, mit dem man mein Uhrwerk aufziehen knne. Ich war streitlustig, war mde und reizbar. Schlielich schrie ich sie f r m l i c h an. whrend sie sich vor Lachen schttelten. Dann sagte Don Juan, es sei wohl verzeihlich, einmal daneben zu treffen, aber nicht mit so weitem Abstand; und Don Genaro sei schlielich nur gekommen, um mir zu helfen und mir das Geheimnis des Trumenden und Getrumten zu zeigen. Meine Gereiztheit erreichte einen Hhepunkt. Don Juan gab Don Genaro mit einer Kopfbewegung ein Zeichen. Beide standen auf und fhrten mich hinter das Haus. Dort demonstrierte Don Genaro sein groes Repertoire von Tierstimmen und - s c h r e i e n . Er forderte mich auf, mich fr eine davon zu entscheiden, und l e h r t e mich, sie nachzuahmen. Nach stundenlanger bung gelang es mir. sie einigermaen gut zu i m i t i e r e n . Zu guter Letzt h a t t e n sie selbst an meinen unbeholfenen Versuchen Spa gefunden und l a c h t e n , bis ihnen frmlich die Trnen kamen, und ich hatte durch das Nachahmen eines lauten Tierschreis die Spannung in mir gemildert. Diese meine Imitation, so sagte ich ihnen, war mir wirklich irgendwie unheimlich. Meine krperliche Entspanntheit war unvergleichlich. Wenn ich diesen Schrei vervollkommnete, meinte Don Juan, dann knnte ich ihn zu einem Medium der Kraft machen, oder ich knnte ihn auch einfach benutzen, um meine Spannung zu lindern, wann immer es

ntig sein sollte. Dann schlug er vor, ich solle schlafen gehen. Aber ich frchtete mich vor dem Einschlafen. Einige Zeit sa ich noch bei ihnen am Herdfeuer, und dann fiel ich ganz von selbst in einen tiefen Schlaf. Bei Tagesanbruch erwachte ich. Don Genaro schlief neben der Tr. Anscheinend erwachte er zur gleichen Zeit wie ich. Sie hatten mich zugedeckt und mir meine Jacke als Kissen unter den Kopf geschoben. Ich war sehr ruhig und fhlte mich ausgeruht. Ich bemerkte zu Don Genaro, ich sei am Vorabend wohl recht erschpft gewesen. Er ebenfalls, meinte er. Er flsterte, als wolle er mir etwas anvertrauen, und erzhlte mir, da Don Juan noch erschpfter gewesen sei, weil er immerhin lter sei als wir. Du und ich, wir sind jung, sagte er, und seine Augen funkelten. Er aber ist alt. Er mu j e t z t an die dreihundert Jahre alt sein. Ich setzte mich rasch auf. Don Genaro zog sich die Decke bers Gesicht und lachte drhnend. In diesem Augenblick kam Don Juan herein. Ich sprte so etwas wie Vollkommenheit und Frieden. Im Augenblick wenigstens konnte mir gar nichts etwas anhaben. Ich fhlte mich so wohl, da mir nach Weinen zumute war. In der vergangenen Nacht, meinte Don Juan, htte ich angefangen, mir meiner leuchtenden Gestalt bewut zu werden. Er empfahl mir, nicht in dem Wohlgefhl zu schwelgen, das ich empfand, denn es knnte sich in Selbstgeflligkeit verwandeln. Im Augenblick, meinte ich, will ich nichts erklrt haben. Es ist ganz egal, was Don Genaro gestern abend mit mir gemacht hat. Ich habe nichts mit dir gemacht, erwiderte Don Genaro. Schau, ich bin es, Genaro! Dein Genaro! Fa mich doch an! Ich umarmte Don Genaro, und wir lachten beide wie Kinder. Er fragte mich, ob es mir nicht seltsam erscheine, da ich ihn jetzt umarmen knne, whrend ich ihn das letzte Mal, als ich ihn hier traf, nicht htte anrhren knnen. Ich versicherte ihm, derlei Fragen interessierten mich nicht mehr. Don Juan bemerkte, ich schwelgte jetzt wohl ganz im Gefhl, grozgig und gut zu sein.

Pa a u f ! sagte er. Ein Krieger legt seine Wachsamkeit nie ab. Wenn du weiterhin so g l c k l i c h bist, dann wirst du das bichen Kraft, das dir geblieben ist, bald aufgezehrt h a b e n . Was soll ich denn t u n ? fragte ich. Sei du selbst, sagte er. Zweifle an allem! Sei m i t r a u i s c h ! Aber es gefllt mir nicht, so zu sein. Don J u a n . Es kommt nicht darauf an, was dir gefllt oder nicht. Worauf es einzig ankommt, ist: Was kannst du als Schild benutzen? Ein Krieger mu a l l e s ihm Verfgbare benutzen, um seine tdliche Lcke zu schlieen, sobald sie sich ffnet. Es ist also ganz unerheblich, da es dir nicht g e f l l t , mitrauisch zu sein oder Fragen zu stellen. Die ist j e t z t dein einziger Schild. Schreib, schreib! Sonst s t i r b s t du. An freudiger Erregung zu sterben, das ist ein klglicher Tod. Wie sollte ein Krieger denn sterben? fragte Don Genaro genau in meinem Tonfall. Ein Krieger stirbt schwer, sagte Don Juan. Sein Tod mu mit ihm kmpfen, wenn er i h n h o l e n will. E i n Krieger wirft sich i h m nicht in die Arme. Don Genaro ri die Augen gewaltig auf, dann b l i n z e l t e er. Was Genaro dir gestern gezeigt hat. ist von grter Wichtigk e i t , fuhr Don Juan fort. Du kannst es j e t z t nicht durch frommen Eifer von dir abwehren. Gestern sagtest du mir, du interessiertest dich nur fr den Doppelgnger. Aber sieh, was du j e t z t machst! Du kmmerst dich gar nicht mehr um i h n . Das ist das Problem mit den bereifrigen, sie sind nach beiden Seiten bereifrig. Gestern n i c h t s als Fragen, heute nichts als Einverstndnis. Ich wandte ein. er finde doch an allem, was ich tat, e i n e n Makel, ganz gleich, wie ich es a n s t e l l t e . Das ist nicht w a h r ! r i e f er. An der Lebensweise e i n e s Kriegers gibt es keinen Makel. Befolge sie, und niemand wird deine Handlungen kritisieren knnen. Wie war es zum Beispiel gestern? Es wre der Art eines Kriegers gem gewesen, wenn du zuerst ohne Furcht und Mitrauen Fragen gestellt httest und dir dann von Genaro das Geheimnis des Trumers httest zeigen lassen, ohne dich gegen ihn aufzulehnen und ohne dich zu erschpfen. Heute entsprche es der Art eines Kriegers, wenn du aus dem, was du gelernt h a s t , die Summe

zgest - ohne berheblichkeit und ohne frommen Eifer. Tu das, und niemand wird einen Makel daran f i n d e n . Nach dem Ton seiner Stimme zu urteilen, mute Don Juan ber meine Stmperei sehr verrgert sein. Aber er lchelte mir zu, und dann kicherte er, als msse er ber seine eigenen Worte lachen. Ich sagte ihm, ich hielte mich blo zurck, da ich sie nicht mit meinen Grbeleien langweilen wolle. Tatschlich war ich ganz berwltigt von dem, was Don Genaro getan h a t t e . Ich war berzeugt gewesen - obgleich es mir _ j e t z t nicht mehr darauf ankam -, da Don Genaro im Gebsch gewartet hatte, bis Don Juan ihn r i e f . Spter hatte er dann meine Furcht mibraucht und sie ausgenutzt, um mich zu betuben. Zweifellos war ich, als ich gewaltsam zu Boden gedrckt wurde, ohnmchtig geworden, und dann h a t t e Don Genaro mich wohl hypnotisiert. Don Juan wandte ein, ich sei zu stark, mich so leicht berwltigen zu lassen. Was geschah also w i r k l i c h ? fragte ich ihn. Genaro kam zu dir, um d i r etwas ganz Auerordentliches mitzuteilen, sagte er. Als er aus dem Gebsch kam, da war es Genaro, der Doppelgnger. Man knnte es noch anders ausdrcken, und dies wrde es noch besser e r k l r e n , aber das kann ichjetzt noch n i c h t . Warum nicht, Don J u a n ? Weil du noch n i c h t bereit bist, ber die Ganzheit des Selbst zu sprechen. Im Augenblick kann ich dir nur sagen, da dieser Genaro hier nicht der Doppelgnger ist. Mit einer Kopfbewegung wies er auf Don Genaro. Dieser blinzelte ein paarmal. Der Genaro von gestern abend war der Doppelgnger. Und wie ich dir schon sagte, hat der Doppelgnger unvorstellbare Kraft. Er hat d i r etwas ganz Wichtiges gezeigt. Zu d i e s e m Zweck mute er dich berhren. Der Doppelgnger berhrte dich einfach im Genick, an derselben Stelle, wo vor Jahren der Verbndete auf dich getreten ist. Natrlich warst du weg wie eine ausgeblasene Kerze. Und natrlich hast du dich auch wie ein Hanswurst gehenlassen. Wir brauchten Stunden, um dich wieder auf die Beine zu bringen. Dadurch hast du deine Kraft

v e r t a n , und als es fr dich Zeit war, die Tat eines Kriegers zu vollbringen, hattest du nicht mehr genug Mumm. Was wre diese Tat eines Kriegers gewesen. Don J u a n 0 I c h sagte dir doch, da Genaro zu dir kam. um dir etwas zu zeigen, nmlich das Geheimnis der leuchtenden Wesen als Trumer. Du wolltest etwas ber den Doppelgnger erfahren. Nun. er beginnt in den Trumen. Aber dann fragtest du: >Was ist der Doppelgnger?<. und ich sagte dir. der Doppelgnger ist das Selbst. Das Selbst trumt den Doppelgnger. Ganz einfach, nicht wahr? Nur da an uns Menschen berhaupt nichts e i n f a c h ist. V i e l l e i c h t sind die gewhnlichen Trume des Selbst einfach, aber das h e i t nicht, da das Selbst einfach w r e . Sobald das Selbst gelernt hat. den Doppelgnger zu trumen, erreicht es diesen unheimlichen Scheideweg, und es kommt der Augenblick, da man erkennt, da es der Doppelgnger ist. der das Selbst t r u m t . Ich hatte alles aufgeschrieben, was er gesagt h a t t e . Ich h a t t e auch versucht, auf das Gesagte zu achten, aber ich hatte ihn nicht verstanden. Don J u a n wiederholte seine Ausfhrungen. D i e Lehre von gestern abend h a n d e l t e , w i e gesagt, vom Trumer und vom Getrumten oder davon, wer wen trumt. Wie bitte? fragte ich. Die beiden lachten lauthals. Gestern abend. fuhr Don Juan f o r t , httest du dich beinahe dafr e n t s c h i e d e n , am Ort der Kraft aufzuwachen. Was meinst du damit. Don Juan? Das wre die Tat gewesen. Hattest du nicht in deinen blds i n n i g e n Gewohnheiten geschwelgt, dann httest du genug Kraft g e h a b t , die Grenze zu berspringen, und du h t t e s t dich zweifellos zu Tode erschreckt. Glcklicherweise oder unglcklicherweise, wie man's nimmt, hattest du nicht genug Kraft. Durch dem sinnloses Durcheinander hast du deine Kraft sogar in dem Ma vertan, da du beinah nicht mehr genug zum berleben hattest. Du verstehst also, da es nicht nur dumm und verschwenderisch ist. dich gehenzulassen und deinen kleinen Marotten zu frnen. Ein Krieger, der sich erschpft, kann nicht berleben.

Der Krper ist nicht unzerstrbar. Du httest schwer krank werden knnen. Du wurdest es nicht, nur weil Genaro und ich deinen Leichtsinn etwas aufgefangen haben. Die volle Wucht seiner Worte begann auf mich einzuwirken. Gestern abend fhrte Genaro dich durch die Schwierigkeiten des Doppelgngers hindurch, fuhr Don Juan fort. Nur er kann dies fr dich tun. Und es war keine Vision oder Halluzination, als du dich am Boden liegen sahst. Du httest dies mit unendlicher Klarheit erkennen knnen, wenn du dich nicht in einer Schwelgerei verloren httest, und dann httest du erkennen knnen, da du selbst wie ein Traum bist, da dein Doppelgnger dich trumt, genau wie du i h n gestern abend getrumt hast. Aber wie kann das sein, Don J u a n 9 Niemand wei, wie es geschieht. Wir w i s s e n n u r , da es geschieht. Dies ist das Geheimnis von uns Menschen als leuchtenden Wesen. Gestern abend h a t t e s t du zwei Trume, und du httest in j e d e m von i h n e n erwachen knnen, aber du hattest nicht genug Kraft, das zu begreifen. Sie schauten mich eine Weile eindringlich an. Ich glaube, er begreift, sagte Don Genaro.

Das Geheimnis der leuchtenden Wesen

Stundenlang unterhielt mich Don Genaro mit absurden Instruktionen, wie ich mich im tglichen Leben verhalten sollte. Don Juan meinte, ich solle mir Don Genaros Empfehlungen ernstlich zu Herzen nehmen, denn sie seien, obzwar scherzhaft vorgetragen, keineswegs spaig gemeint. Gegen Mittag stand Don Genaro auf und ging ohne ein Wort der Erklrung ins Gebsch. Ich wollte ebenfalls aufstehen, aber Don Juan hielt mich sanft zurck und verkndete mit feierlicher Stimme, da Don Genaro wieder etwas mit mir vorhabe. Was wird er t u n ? fragte ich. Was will er diesmal mit mir anstellen? Don Juan versicherte mir. ich htte keinen Grund, mich zu beunruhigen. Du nherst dich einem Scheideweg, sagte er. Einem gewissen Scheideweg, den jeder Krieger einmal erreicht. Mir kam in den Sinn, er spreche vielleicht von meinem Tod. Er schien meine Frage zu ahnen und bedeutete mir, nichts zu sagen. Darber wollen wir nicht d i s k u t i e r e n , sagte er. Es mu dir gengen, wenn ich dir sage, da der Scheideweg, den ich meine, die Erklrung der Zauberer ist. Genaro glaubt, du bist bereit dafr. Wann wirst du mir etwas darber sagen? Ich wei nicht, wann. Du bist der Empfnger, daher hngt es von dir ab. Du wirst entscheiden mssen, wann es an der Zeit ist. Und warum nicht j e t z t gleich? Entscheiden heit nicht, einen willkrlichen Zeitpunkt bestimmen, sagte er. Entscheiden heit, da du deinen Geist makellos gesthlt und alles getan haben mut, um des Wissens und der Kraft wrdig zu sein. Heute aber wird Genaro dir ein kleines Rtsel aufgeben. Er ist vorausgegangen und wird irgendwo im Chaparral auf uns warten. Niemand wei die Stelle, wo er sein wird, oder den

genauen Zeitpunkt, zu dem wir ihn treffen. Gelingt es dir. die richtige Zeit zu bestimmen, das Haus zu verlassen, dann wird es dir auch gelingen, dich dorthin zu lenken, wo er ist. Ich sagte Don Juan, ich knne mir nicht v o r s t e l l e n , da jemand imstande sei, ein solches Rtsel zu lsen. Wie kann der Umstand, da ich zu einer bestimmten Zeit das Haus verlasse, mich dorthin fhren, wo Don Genaro sich aufhlt? fragte ich. Don Juan lchelte und fing an, ein Lied zu summen. Meine Aufregung schien ihn zu belustigen. Das ist j a das Problem, das Genaro dir a u f g i b t , sagte er. Falls du gengend persnliche Kraft hast, wirst du mit absoluter Gewiheit den richtigen Zeitpunkt bestimmen, zu dem du das Haus verlassen mut. Warum die Tatsache, da du zur richtigen Zeit aufbrichst, dich fhren wird, das ist etwas, was niemand wei. Und doch, wenn du genug Kraft hast, d a n n wirst du selbst feststellen, da es so ist. Aber auf welche Weise werde ich gefhrt werden, Don Juan? Auch das wei niemand. Ich glaube, Don Genaro spielt mir einen Streich. Dann sei lieber vorsichtig, sagte er. Falls Genaro dir e i n e n Streich spielt, dann knnte es sein, da du v o n diesem Streich nicht mehr aufstehst. Don Juan lachte ber sein Wortspiel. Ich konnte nicht e i n stimmen. Meine Angst vor der Gefahr, die von Don Genaros Machenschaften ausging, war zu real. Kannst du mir nicht wenigstens ein paar Tipps g e b e n ? fragte ich. Da gibt es keine Tipps! sagte er scharf. Warum will Don Genaro so etwas t u n ? Er will dich auf die Probe stellen, antwortete er. Nehmen wir an, es ist f r ihn sehr wichtig zu wissen, ob du die Erklrung der Zauberer erfassen k a n n s t . Wenn du das Rtsel lst, dann zeigt dies, da du gengend persnliche Kraft gespeichert hast und bereit bist. Wenn es dir aber nicht gelingt, dann deshalb, weil du nicht genug Kraft hast, und in diesem Fall wre die Erklrung der Zauberer fr dich s i n n l o s . Ich meine, wir sollten dir die Erklrung geben, ganz gleich, ob

du sie verstehst oder nicht. Das ist meine Auffassung. Genaro ist ein eher konservativer Krieger, er will die richtige Reihenfolge der Dinge einhalten, und er wird sich nicht zufriedengeben, bis er glaubt, da du bereit bist. W arum erzhlst du mir nicht selbst von der Erklrung der Zauberer? Genaro mu derjenige sein, der dir hilft. Warum ist dies so, Don Juan? Genaro will nicht, da ich dir sage, warum, sagte er, noch nicht. Wrde es mir denn schaden, die Erklrung der Zauberer zu kennen? fragte ich. Das glaube ich nicht. Bitte. Don Juan, dann sag sie mir. Du machst wohl Witze. Genaro hat ber diese Sache genaue Vorstellungen, und wir mssen ihm Ehre erweisen und ihn respektieren. Mit einer gebieterischen Geste brachte er mich zum Schweigen. Nach einer langen, entnervenden Pause wagte ich eine Frage zu stellen. Aber wie kann ich dieses Rtsel lsen, Don J u a n ? Wirklich, das wei ich nicht. Darum kann ich dir auch nicht raten, was du tun sollst, sagte er. Genaro wei, was er will. Er hat dieses Rtsel fr dich ausgedacht. Da er dies zu deinem Besten tut. ist er einzig auf dich eingestimmt, und daher kannst nur du den richtigen Zeitpunkt des Aufbruchs finden. Er selbst wird dich rufen und dich mit H i l f e seines Rufs fhren. Was ist das fr ein Ruf? Ich wei nicht. Sein Ruf gilt dir, nicht mir. Genaro wird unmittelbar deinen Willen ansprechen. Mit anderen Worten, du mut deinen Willen benutzen, um den Ruf zu erkennen. Genaro m e i n t , er mu sich nunmehr davon berzeugen, da du gengend persnliche Kraft angesammelt hast, imstande zu sein, deinen Willen zu etwas Funktionsfhigem zu machen. Wille war ein Begriff, den Don Juan ebenfalls sehr sorgfltig umschrieben hatte, ohne ihn _ jedoch zu erklren. Aus seinen Erluterungen konnte ich entnehmen, da W i l l e

eine Kraft sei, die vom Unterleib ausging, und zwar durch eine unsichtbare ffnung unterhalb des Nabels, eine ffnung, die er als Lcke bezeichnete. Wille war etwas, das angeblich nur Zauberer entwickelten. Er wird demjenigen, der die Zauberei praktiziert, als Mysterium zuteil und verleiht ihm angeblich die Fhigkeit, unglaubliche Taten zu vollbringen. Es sei wohl aussichtslos, bemerkte ich zu Don Juan, da etwas so Unbestimmtes in meinem Leben jemals zu einer funktionierenden Einheit werden knnte. Da irrst du dich, sagte er. Der Wille entwickelt sich beim Krieger entgegen allen Widerstnden der Vernunft. Kann Don Genaro, da er doch ein Zauberer ist, denn nicht, ohne mich auf die Probe zu stellen, wissen, ob ich bereit bin oder nicht"1, fragte ich. Gewi kann er das, sagte er. Aber dieses Wissen b l i e b e ohne Wert und ohne Folgen, denn es h t t e nichts mit dir zu tun. Du bist der Lernende, daher mut du selbst dir Wissen als Kraft erwerben, nicht aber Genaro. Genaro kommt es weniger auf sein Wissen als auf d e i n Wissen an. Du mut herausfinden, ob dein Wille funktioniert oder nicht. Dies festzustellen ist sehr schwierig. Unabhngig davon, was Genaro oder ich ber dich wissen, mut du dir selbst beweisen, da du in der Lage bist, Wissen als Kraft zu beanspruchen. Mit anderen Worten, du mut dich selbst davon berzeugen, da du deinen Willen bettigen kannst. Wenn du es noch nicht bist, dann mut du heute davon berzeugt werden. Kannst du diese Aufgabe nicht lsen, dann wird Genaro, unabhngig davon, was er vielleicht an dir sieh:, daraus schlieen, da du noch nicht bereit bist. Mich befiel eine unwiderstehliche Furcht. Ist all dies denn notwendig? fragte ich. Es ist Genaros Wunsch, und du mut i h m nachkommen, sagte er bestimmt, aber freundlich. Aber was hat Don Genaro mit mir im Sinn' 1 Das wirst du heute vielleicht herausfinden, sagte er lchelnd. Ich bedrngte Don Juan, mir aus dieser unertrglichen Situation herauszuhelfen und mir all diese geheimnisvollen Reden zu erklren. Er lachte und klopfte mir auf die Brust, wobei

er ber einen mexikanischen Gewichtheber witzelte, der gewaltig entwickelte Brustmuskeln hatte, aber keine schwere Arbeit leisten konnte, weil sein Rcken zu schwach war. Schau diese Muskeln an! sagte er. Sie sollten nicht nur zum Vorzeigen da sein. Meine Muskeln haben gar nichts mit dem zu tun, wovon du sprichst, sagte ich streitlustig. Doch, antwortete er. Der Krper mu vollkommen sein, bevor der Wille eine funktionierende E i n h e i t wird. Don Juan w a r es gelungen, meine berlegungen in eine andere Richtung zu lenken. Ich war unruhig und frustriert. Ich stand auf. ging in die Kche und trank etwas Wasser. Don Juan f o l g t e mir und schlug vor. ich solle mich in dem Tierschrei ben, den Don Genaro m i r beigebracht h a t t e . Wir gingen neben das Haus: ich setzte mich auf einen Holzstapel und versenkte mich ganz in die Nachahmung dieses Schreies. Don Juan korrigierte mich und gab mir ein paar Hinweise f r meine Atmung. Das Ergebnis war ein Zustand vollkommener physischer Entspannung. Wir kehrten auf die Veranda zurck und setzten uns w i e d e r . Ich sagte ihm. wie sehr ich mich manchmal ber mich rgerte. weil ich so hilflos sei. Es ist nichts Schlechtes an dem Gefhl, hilflos zu sein, sagte er. Wir alle kennen es nur zu gut. Denk daran, da wir eine Ewigkeit als hilflose Kinder leben! Ich sagte dir ja schon, da du im Augenblick wie ein kleines Kind bist, das noch nicht allein aus der Wiege k l e t t e r n , geschweige denn selbstndig handeln kann. Genaro h i l f t dir sozusagen aus der Wiege heraus, indem er dich a u f h e b t . Aber ein Kind will handeln. und da es das nicht kann, jammert es eben. Dies ist an sich nicht schlecht, aber etwas anderes ist es, sich gehenzulassen und in Grbeln und Jammern zu schwelgen. Er verlangte, ich solle mich entspannen. Er forderte mich auf. ihm noch eine Weile Fragen zu stellen, bis ich in einer besseren seelischen Verfassung wre. Einen Moment war ich ratlos und konnte mich nicht entschlieen, was ich fragen sollte. Don Juan breitete eine Strohmatte aus und m e in te, ich solle

mich daraufsetzen. Dann f l l t e er eine groe Kalebasse mit Wasser und tat sie in ein Tragenetz. Anscheinend traf er Vorbereitungen fr einen Ausflug. Dann setzte er sich wieder und forderte mich augenzwinkernd auf. mit meinen Fragen zu beginnen. Ich bat ihn. mir mehr ber den Nachtfalter zu erzhlen. Er warf mir e i n e n langen, prfenden B l i c k zu und lachte in sich hinein. Das war ein Verbndeter, sagte er. Du weit es selbst. Aber was ist ein Verbndeter eigentlich. Don J u a n ? Es ist ganz unmglich zu sagen, was ein Verbndeter w i r k l i c h ist. genauso wie es unmglich ist zu sagen, was ein Baum eigentlich ist. Ein Baum ist ein lebender Organismus, sagte ich. Das will nichts besagen, meinte er. Ich kann auch sagen, da ein Verbndeter eine Kraft, eine Spannung ist. Das habe ich dir b e r e i t s gesagt, aber dies besagt nicht viel ber den Verbndeten. Genau wie im Fall des Baumes kann man auch den Verbndeten nur erkennen, i n d e m man ihn erfhrt. All die Jahre habe ich mich bemht, dich auf die folgenschwere Begegnung mit einem Verbndeten vorzubereiten. V i e l l e i c h t bist du dir n i c h t im klaren darber, aber du brauchtest ja auch Jahre der Vorbereitung, um einem Baum zu begegnen. Nichts anderes ist es. einem Verbndeten zu begegnen. Der Lehrer mu seinen Schler nach und nach. Stck um Stck mit dem Verbndeten vertraut machen. Im Lauf der Jahre hast du eine Menge Wissen ber ihn angesammelt, und j e t z t bist du fhig, dieses Wissen zusammenzusetzen, um den Verbndeten geradeso zu erfahren, wie du einen Baum e r f h r s t . Ich habe k e i n e Vorstellung davon, da ich dies tue. Don Juan. D e i n e Vernunft ist sich dessen n i c h t bewut, weil sie die Mglichkeit des Verbndeten von vornherein n i c h t akzeptieren kann. Zum Glck ist es nicht die Vernunft, die den Verbndeten zusammensetzt. Der Krper ist es. Du hast den Verbndeten in verschiedenen Graden und bei verschiedenen Gelegenheiten wahrgenommen. Jede dieser Wahrnehmungen wurde in deinem Krper gespeichert. Die Summe dieser Teile

ist der Verbndete. Ich kenne keine andere Mglichkeit, ihn zu beschreiben. Ich wandte ein, ich knne mir nicht vorstellen, da mein Krper von sich aus handele, als sei er eine von meiner Vernunft unabhngige Einheit. Das ist er nicht, aber dahin haben wir ihn gebracht, sagte er. Unsere Vernunft ist rechthaberisch, und sie liegt dauernd im Streit mit unserem Krper. Dies ist natrlich nur eine bildliche Redeweise, aber der Sieg eines Wissenden besteht darin, da er die beiden miteinander vershnt. Da du kein Wissender bist, t u t dein Krper heute noch Dinge, die deine Vernunft nicht begreift. Eines dieser Dinge ist der Verbndete. Du warst weder verrckt, noch hast du getrumt, als du den Verbndeten gestern nacht, genau hier an dieser Stelle, wahrgenommen hast. Ich fragte ihn nach der bengstigenden Vorstellung, die er und Don Genaro mir eingegeben hatten, da nmlich der Verbndete ein Wesen sei, das mich am Rande einer kleinen Schlucht in den Bergen Nordmexikos erwarte. Frher oder spter, hatten sie gesagt, msse ich meine Verabredung mit dem Verbndeten einhalten und m i t ihm ringen. A l l dies ist nur eine b i l d l i c h e Art, ber Geheimnisse zu sprechen, fr die es keine Worte g i b t , sagte er. Genaro und ich sagten, da der Verbndete dich am Rand der Ebene erwarten wird. Dieser Satz, war r i c h t i g , aber er hat nicht die Bedeutung, die du ihm beilegst. Der Verbndete wartet auf dich, das steht fest, aber er hlt sich nicht am Rand irgendeiner Ebene auf. Er ist hier oder dort oder an jedem anderen Ort. Der Verbndete wartet auf dich, gerade wie der Tod auf dich wartet, berall und nirgends. Warum wartet der Verbndete auf mich? Aus dem gleichen Grund, warum der Tod auf dich wartet, sagte er, weil du geboren worden bist. Im Augenblick gibt es keine Mglichkeit zu erklren, was damit gemeint ist. Zuerst mut du den Verbndeten erfahren. Du mut ihn in all seiner Macht wahrnehmen, dann kann die Erklrung der Zauberer i h n v i e l l e i c h t begreiflich machen. Bislang hattest du nicht gengend Kraft, dir auch nur eines zu erklren, da nmlich der Verbndete ein Nachtfalter ist.

Vor ein paar Jahren gingen wir beide ins Gebirge, und du mutest e i n e n Kampf mit irgend etwas bestehen. Damals war es mir unmglich, dir zu sagen, was dabei vor sich ging. Du sahst einen seltsamen Schatten vor dem Feuer hin- und herhuschen. Du kamst selbst darauf, da er wie ein Nachtfalter aussah. Obwohl du nicht wutest, was du da sagtest, hattest du absolut recht, denn der Schatten war ein Nachtfalter. Dann, bei einer anderen Gelegenheit, brachte irgend etwas dich vor Angst fast von Sinnen, nachdem du eingeschlafen warst, und wieder war es in der Nhe eines Feuers. Ich h a t t e d i c h gewarnt, nicht einzuschlafen, aber du hast meine Warnung in den Wind geschlagen. Dies l i e f e r t e dich dem Verbndeten aus, und der Nachtfalter trat dir ins Genick. Wieso du das berlebt hast, wird mir immer ein Rtsel b l e i b e n . Du wutest es nicht, aber damals h a t t e ich d i c h schon aufgegeben. So schwerwiegend war dieser Schnitzer. Seit damals, auch wenn du es nicht bemerkt h a s t , f o l g t e der Nachtfalter uns immer, wenn wir uns im Gebirge oder in der Wste aufhielten. Alles in a l l e m knnen wir also sagen, da der Verbndete fr dich ein Nachtfalter ist. Aber ich kann nicht sagen, da er wirklich ein Nachtfalter ist. so wie w i r Nachtfalter kennen. Den Verbndeten als N a c h t f a l t e r zu bezeichnen ist abermals nur eine bildliche Redeweise, eine Mgl i c h k e i t , die Unermelichkeit dort drauen v e r s t n d l i c h zu machen. Ist der Verbndete auch f r dich ein N a c h t f a l t e r 1 ' f r a g t e ich. Nein. Die Art, wie man den Verbndeten b e g r e i f t , ist eine Frage des Temperaments, sagte er. Ich hielt i h m vor. da wir wieder am Ausgangspunkt seien: denn er hatte mir nicht gesagt, was e i n Verbndeter w i r k l i c h ist. Es ist nicht ntig, sich verwirren zu l a s s e n , sagte er. D i e Verwirrung ist eine Stimmung, in die man h i n e i n s t r z t , aber man kann auch wieder aus ihr herausgelangen. Im Augenblick ist es unmglich, irgend etwas zu erklren. Vielleicht werden wir heute noch, spter, Gelegenheit haben, diese Fragen ausfhrlich zu errtern. Das hngt ganz von dir ab. Oder besser, es hngt von deiner persnlichen Kraft a b .

Er weigerte sich, noch ein weiteres Wort zu sagen. Ich war ganz durcheinander, aus Furcht, ich knnte die Probe nicht bestehen. Don Juan fhrte mich hinter das Haus und hie mich auf einer Strohmatte am Rand eines Wassergrabens niedersitzen. Das Wasser fl so langsam, da es fast stillzustehen schien. Er befahl mir, ruhig sitzen zu bleiben, meinen inneren Dialog abzustellen und ins Wasser zu schauen. Er erinnerte mich daran, da ich vor Jahren an mir eine gewisse Affinitt zu Gewssern entdeckt htte, ein Gefhl, das fr mein jetziges Bemhen hchst frderlich sei. Ich entgegnete. da ich keine besondere Vorliebe fr Gewsser htte, aber auch keine Abneigung. Dies sei gerade der Grund, meinte er. warum Wasser so gut fr mich sei, denn ich sei ihm gegenber indifferent. Unter schwierigen Bedingungen knne das Wasser mich nicht gefangenhalten, aber es knne mich auch nicht abstoen. Er sa knapp hinter mir zu meiner Rechten und empfahl mir. mich zu entspannen und keine Angst zu haben, denn er sei ja da, um mir zu helfen, f a l l s es irgend ntig werden sollte. Einen Augenblick lang hatte ich Angst. Ich schaute ihn an und wartete auf weitere Anweisungen. Gewaltsam drehte er meinen Kopf zum Wasser und befahl mir weiterzumachen. Ich hatte keine Ahnung, was er von mir wollte, daher entspannte ich mich einfach. Whrend ich so bers Wasser schaute, f i e l mein Blick auf das Schilf am anderen Ufer. Unbewut lie ich meinen unkonzentrierten Blick darauf ruhen. Es bebte unter der langsamen Strmung. Das Wasser hatte die Farbe von Wstensand. Mir f i e l a u f , da die Wellen an den Schilfhalmen wie kleine Rillen oder Spalten in einer weichen Oberflche aussahen. Pltzlich wurden die Schilfhalme ganz riesig, das Wasser war eine weiche, g l a t t e , ockerfarbene Flche, und dann befand ich mich binnen Sekunden im tiefem Schlaf; oder besser, ich v e r f i e l in einen Wahrnehmungszustand, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Die angemessenste Umschreibung wre zu sagen, da ich einschlief und einen absurden Traum hatte. Diesen Traum meinte ich unendlich fortsetzen zu knnen, wenn ich nur wollte, aber ich beendete ihn absichtlich, indem ich ein bewutes Selbstgesprch anfing. Ich ffnete die Au-

gen. Ich lag auf der Strohmatte. Don Juan befand sich ein paar Meter entfernt. Mein Traum war so wundervoll gewesen, da ich ihm davon erzhlen wollte. Er gebot mir Schweigen. Mit einem langen Zweig wies er auf zwei lange Schatten, die die ste des Wstenchaparral auf die Erde warfen. Die Spitze seines Zweiges folgte den Umrissen des einen Schattens, als wollte sie ihn nachzeichnen, dann sprang sie zum anderen hinber und tat dort dasselbe. Die Schatten waren etwa einen halben Meter lang und fast fnf Zentimeter breit; sie lagen zwanzig bis dreiig Zentimeter von einander entfernt. Meine Augen, die den Bewegungen des Zweiges folgten, gerieten dadurch auer Kontrolle, und schlielich sah ich mit schielenden Augen vier Schatten; auf einmal verschmolzen die zwei mittleren Schatten zu einem einzigen und r i e f e n eine auerordentlich tiefenscharfe Wahrnehmung hervor. Der so gebildete Schatten wies eine unerklrliche Flle und Rumlichkeit auf; er war beinah wie ein durchsichtiges Rohr, eine runde Stange aus irgendeiner unbekannten Substanz. Ich wute, da meine Augen schielten, und doch schienen sie auf eine Stelle zentriert zu sein; was ich dort sah, war g l a s k l a r . Ich konnte die Augen bewegen, ohne da das Bild sich auflste. Ich schaute dauernd hin, ohne _ jedoch meine Wachsamkeit abzulegen. Ich versprte einen komischen Zwang, mich zu entspannen und mich ganz in die Szene zu vertiefen. Irgendwie schien das, was ich beobachtete, mich anzuziehen; aber etwas anderes in mir drngte sich in den Vordergrund, und ich fing ein halbbewutes Selbstgesprch an. Fast augenblicklich kam mir die Umgebung meiner alltglichen Welt zu Bewut-sein. Don Juan beobachtete mich. Er schien beunruhigt. Ich fragte ihn, was denn los sei. Er antwortete nicht. Er war mir behilflich, mich aufzusetzen. Erst dann erkannte ich, da ich auf dem Rcken gelegen und in den Himmel geschaut hatte, whrend Don Juan sich ber mein Gesicht beugte. Mein erster Impuls war, ihm zu sagen, da ich tatschlich die Schatten am Boden gesehen hatte, whrend ich in den Himmel schaute, aber er legte mir die Hand auf den Mund. Einige Zeit saen wir schweigend da. Ich hatte keinerlei Gedanken. Ich empfand einen kstlichen Frieden, und dann sprte

ich ganz pltzlich einen unwiderstehlichen Drang, aufzustehen und in den Chaparral zu gehen, um Don Genaro zu suchen. Ich machte einen Versuch, mit Don Juan zu sprechen. Er hob das Kinn und prete die Lippen zusammen - es war ein wortloser Befehl, j e t z t nichts zu sagen. Ich versuchte mir ein vernnftiges Bild von meiner merkwrdigen Situation zu machen; aber mein Schweigen machte mich so glcklich, da ich mich nicht mit logischen Spitzfindigkeiten herumschlagen wollte. Nach kurzer Pause versprte ich abermals das zwingende Bedrfnis, ins Gebsch hineinzugehen. Ich folgte einem schmalen Pfad. Don Juan t r o t t e t e h i n t e r h e r , als sei ich der Fhrer. Wir gingen ungefhr eine Stunde. Es g e l a n g mir, frei von irgendwelchen Gedanken zu bleiben. Dann kamen wir an einen Hgel. Dort war Don Genaro; er sa in der Nhe des Gipfels auf einer Felsmauer. Er begrte mich berschwenglich, wobei er laut schreien mute; er befand sich an die dreiig Meter ber dem Boden. Don Juan befahl mir, mich zu setzen, und nahm neben mir Platz. Don Genaro erklrte, ich htte den Platz gefunden, wo er mich erwartet htte, denn er habe mich durch ein Gerusch geleitet, das er hervorgebracht habe. Kaum hatte er dies gesagt, da wurde mir klar, da ich tatschlich ein seltsames Gerusch gehrt hatte, das mir wie Ohrensausen erschienen war; ich hatte es eher als ein inneres Phnomen aufgefat, e i n e n krperlichen Zustand, eine so unbestimmte Klangempfindung, da es sich jeder bewuten Beurteilung und Deutung entzog. Ich glaubte zu sehen, da Don Genaro ein kleines Instrument in der linken Hand hielt. Von dort, wo ich sa, konnte ich es nicht genau erkennen. Es sah aus wie eine Maultrommel; damit brachte er einen weichen, u n h e i m l i c h e n Klang hervor, der praktisch kaum wahrnehmbar war. Er spielte noch einen Augenblick weiter, als wolle er mir Zeit lassen, ganz zu ermessen, was er eben gesagt hatte. Dann zeigte er mir seine linke Hand. Sie war leer; keine Spur von einem Instrument. Durch die Art, wie er die Hand an den Mund hielt, hatte ich den Eindruck gehabt, als ob er ein Instrument spielte. In

Wirklichkeit brachte er diesen Klang mit den Lippen und mit der linken Handkante, zwischen Daumen und Zeigefinger, hervor. Ich wandte mich an Don Juan, um ihm zu erklren, da ich mich durch Don Genaros Gebrden htte tuschen lassen. Er machte eine rasche Handbewegung und sagte, ich solle nicht sprechen und gut achtgeben, was Don Genaro tun werde. Ich schaute mich wieder nach Don Genaro um, aber er war nicht mehr da. Ich meinte, er sei wohl herabgeklettert. Einige Zeit wartete ich darauf, da er aus dem Gebsch auftauchte. Der Felsen, auf dem er gestanden hatte, war eine eigentmliche Gesteinsformation; er sah eher wie ein riesiger Vorsprung an der Flanke einer noch hheren Felswand aus. Ich hatte doch nur fr ein paar Sekunden weggeschaut. Falls er hinaufgeklettert war, htte ich ihn bestimmt gesehen, bevor er den Gipfel der Felswand erreichte, und f a l l s er herabgeklettert war, htte ich ihn von dort, wo ich sa ebenfalls sehen mssen. Ich fragte Don Juan, wo Don Genaro sein mochte. Er antwortete, er stehe immer noch auf dem Felsvorsprung. Soviel ich erkennen konnte, war dort niemand, aber Don Juan behauptete immer wieder, Don Genaro stehe immer noch oben auf dem Felsen. Offenbar scherzte er nicht. Seine Augen blickten fest und wild. In scharfem Ton sagte er, meine Sinne seien nicht das geeignete Mittel, um zu ermessen, was Don Genaro tue. Er befahl mir, meinen inneren Dialog abzustellen. Ich lehnte mich auf und wollte eben meine Augen schlieen. Da sprang Don Juan herbei und rttelte mich an den Schultern. Er flsterte, ich msse die Augen auf den Felsvorsprung richten. Ich war schlfrig und hrte Don Juans Worte wie aus weiter Ferne. Automatisch schaute ich zum Vorsprung hinauf. Don Genaro war wieder da. Das interessierte mich nicht mehr. Halb bewut stellte ich f e s t , da mir das Atmen schwerfiel, aber bevor ich noch einen Gedanken daran wenden konnte, sprang Don Genaro herab. Auch dieser Vorgang weckte nicht mein Interesse. Er kam herbei und half mir, aufrecht zu stehen, indem er mich am Arm f e s t h i e l t ; Don Juan hielt meinen anderen Arm. So sttzten die beiden mich von links und rechts. Dann war es nur noch Don Genaro, der mir beim

Gehen half. Er flsterte mir etwas ins Ohr, das ich nicht verstand, und pltzlich hatte ich das Gefhl, als ob er meinen Krper auf ganz komische Art vorwrtszog. Er packte mich buchstblich an der Haut ber meinem Bauch und zog mich auf den Felsvorsprung oder vielleicht auf einen anderen Felsen hinauf. Ich wute, da ich mich e i n e n Augenblick l a n g auf einem Felsen befand. Ich htte schwren knnen, da es _ j e n e r Felsvorsprung war; das Bild war _ jedoch so f l c h t i g , da ich es nicht im einzelnen erkennen konnte. Dann sprte ich. wie irgend etwas in mir aussetzte und ich strzte rcklings hinab. Ganz schwach empfand ich so etwas wie Angst oder k r p e r l i c h e s Unbehagen. Als nchstes merkte ich. da Don Juan mit mir sprach. Ich konnte ihn nicht verstehen. Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf seine Lippen. Ich f h l t e mich wie im Traum und versuchte e i n e folienartige H l l e , die mich einschlo. von innen aufzureien, whrend Don J u a n sich bemhte, sie von auen aufzureien. S c h l i e l i c h platzte sie t a t s c h l i c h auf. und Don Juans Worte wurden hrbar - und ihre Bedeutung glasklar. Er befahl mir. aus eigener Kraft wiederaufzutauchen. Verzweifelt mhte ich mich, mein klares Bewutsein wiederzugewinnen: doch ohne Erfolg. Ganz bewut fragte ich mich, wieso es mir nur so schwerfiel. I c h kmpfte darum, mit mir selbst zu sprechen. Anscheinend wute Don Juan um meine Schwierigkeiten. Er forderte mich auf, mich noch mehr anzustrengen. Irgend etwas da drauen hinderte mich daran, in meinen vertrauten inneren Dialog zu v e r f a l l e n . Es war. als ob eine eigentmliche Macht mich schlfrig und gleichgltig machte. Ich kmpfte dagegen an, bis ich auer Atem war. Ich hrte, wie Don Juan auf mich e i n r e d e t e . U n w i l l k r l i c h krmmte mein Krper sich unter der Anspannung. Mir war. als kmpfte ich eng umschlungen einen tdlichen Kampf gegen irgend etwas, das mich am Atmen h i n d e r t e . I c h hatte keine Angst, eher war ich von e i n e r unkontrollierbaren Wut besessen. Mein Zorn nahm solche Formen an, da ich wie ein Tier knurrte und b r l l t e . Dann wurde mein Krper von einem Frsteln geschttelt. Ich versprte e i n e n Schock, der mich auf der Stelle stoppte. I c h konnte wieder normal atmen, und dann wurde mir k l a r , da Don Juan seinen Wasserbehlter ber

meinen Bauch und mein Genick geleert hatte und ich tropfna war. Er half mir aufrecht zu sitzen. Don Genaro stand auf dem Felsvorsprung. Er rief mich beim Namen, und dann sprang er in die Tiefe. Ich sah ihn aus e i n e r Hhe von etwa zwanzig Metern herabstrzen und sprte ein unertrgliches Gefhl im Unterleib. Ich kannte dieses Gefhl aus Trumen, in denen ich abstrzte. Don Genaro t r a t herzu und fragte lchelnd, ob mir sein Sprung gefallen habe. Vergeblich versuchte ich etwas zu sagen. Wieder rief Don Genaro mich beim Namen. Carlitos! Schau her! sagte er. Er schwenkte die Arme vier- oder fnfmal hin und her. wie um Anlauf zu nehmen, und dann sprang er auer Sichtweite, oder wenigstens glaubte ich dies. Oder v i e l l e i c h t tat er noch etwas anderes, f r das ich keine Worte hatte. Er war zwei, drei Meter von mir e n t f e r n t , und dann verschwand er. als ob eine unkontrollierbare Macht ihn verschluckt htte. Ich fhlte mich gleichgltig und mde. Irgendwie war mir alles egal, und ich wollte weder denken noch mein Selbstgesprch fhren. Ich versprte keine Angst, nur eine u n e r k l r l i c h e Traurigkeit. Mir war nach Weinen zumute. Don Juan s c h l u g mich mehrmals mit den Fingerkncheln auf den Kopf und l a c h t e , als sei alles, was geschehen war, nur ein Spa. Dann verlangte er, ich solle mit mir selbst reden, denn dies sei der Augenblick, da ich den inneren Dialog verzweifelt ntig htte. Ich hrte, wie er mir b e f a h l : Rede, rede! Ich sprte, wie die Muskeln meiner Lippen sich u n w i l l k r l i c h verkrampften. Mein Mund bewegte sich, ohne e i n e n Ton hervorzubringen. Ich e r i n n e r t e mich daran, wie Don Genaro seinen Mund ganz h n l i c h bewegt hatte, als er seine Spae machte, und ich wnschte mir. ich knnte, wie er damals, sagen: Mein Mund will n i c h t sprechen. Ich versuchte die Worte auszustoen, und meine Lippen verzerrten sich schmerzhaft. Don Juan schien sich vor Lachen ausschtten zu wollen. Seine Lustigkeit war so ansteckend, da ich ebenfalls lachen mute. Schlielich half er mir auf die Beine. Ich fragte ihn, ob Don Genaro denn nicht zurckkme. Er meinte. Don Genaro habe fr heute genug von mir.

Beinah hast du es geschafft, sagte Don Juan. Wir saen neben der Feuerstelle. Er hatte darauf bestanden, da ich etwas e. I c h war weder hungrig noch mde. Eine ungewohnte Traurigkeit hatte mich befallen: alle Ereignisse dieses Tages s c h i e n e n mir so f e r n . Don Juan reichte mir mein Schreibzeug. Ich machte eine gewaltige Anstrengung, um meinen Normalzustand wiederzugewinnen. Ich k r i t z e l t e e i n paar S t z e unseres Gesprchs h i n . Nach und nach kehrte meine a l t e Form wieder. Es war. als wrde e i n Schleier weggezogen: auf einmal fand ich wieder zu meiner vertrauten Haltung von Interesse u n d Staunen zurck. Brav, brav, sagte Don Juan und s t r e i c h e l t e mir den Kopf. Ich sagte d i r schon, da die wahre Kunst des Kriegers darin besteht. Erschrecken und Erstaunen im Gleichgewicht zu halten. Don J u a n war in e i n e r merkwrdigen Stimmung. Beinahe kam er mir nervs und besorgt vor. Er schien bereit, von sich aus das Wort an mich zu r i c h t e n . Ich g l a u b t e , er habe vor. mich auf die Erklrung der Zauberer vorzubereiten, und ich wurde selbst ganz unruhig. Seine Augen zeigten ein s e l t s a m e s G l i t z e r n , das i c h nur e i n i g e Male vorher bei i h m gesehen hatte. Nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, was ich von seinem ungewhnlichen Benehmen hielt, meinte er, er f r e u e sich f r mich, denn ein Krieger knne ber die Triumphe s e i n e r Mitmenschen frohlocken, f a l l s es Triumphe des Geistes seien. U n g l c k l i c h e r w e i s e , f g t e er hinzu, sei ich noch nicht fr die Erklrung der Zauberer b e r e i t , und das trotz der Tatsache, da ich Don Genaros Rtsel e r f o l g r e i c h gelst h a t t e . Er b e a n s t a n d e t e , da ich. a l s er meinen Krper mit Wasser begossen h a t t e , b e i n a h e gestorben wre: meine ganze Leistung sei durch meine U n f h i g k e i t . Don Genaros letzten Angriff abzuwehren, z u n i c h t e geworden. Genaros Kraft war wie eine Flut, die dich w e g s p l t e , sagte er. Wollte Don Genaro mir denn Schaden zufgen? fragte ich. Nein, sagte er. Genaro will dir helfen. Aber Kraft ist nur durch Kraft aufzuwiegen. Er hat dich auf die Probe g e s t e l l t , und du hast v e r s a g t . Aber ich habe doch sein Rtsel gelst, nicht wahr?

Das hast du gut gemacht, sagte er. So gut, da Genaro annehmen mute, du seist imstande, die Tat eines Kriegers zu vollbringen. Du hast es beinahe geschafft. Was dich diesmal zurckwarf, war aber nicht deine Neigung, dich gehenzulassen. W as war es denn? Du warst zu ungeduldig und heftig; statt dich zu entspannen und Genaro zu folgen, hast du angefangen, ihn zu bekmpfen. Gegen ihn kannst du nicht gewinnen; er ist strker als du. Dann gab Don Juan mir etliche Ratschlge und Empfehlungen fr meine persnlichen Beziehungen mit anderen Menschen. Seine Bemerkungen waren ein ernstes Nachspiel zu dem, was Don Genaro mir zuvor im Scherz gesagt hatte. Er war in gesprchiger Stimmung, und ohne jede berredung meinerseits fing er an, mir zu erklren, was die beiden letzten Male, als ich bei ihm gewesen, wirklich vorgegangen war. Wie du weit, sagte er, ist die Crux der Zauberei der innere Dialog. Dies ist der Schlssel zu allem anderen. Wenn ein Krieger ihn anzuhalten lernt, wird alles fr ihn mglich, die ausgefallensten Vorstze werden erreichbar. Das Tor zu all den seltsamen, unheimlichen Erfahrungen, die du in l e t z t e r Zeit gemacht hast, war die Tatsache, da du aufhren konntest, mit dir selbst zu reden. In vollkommener Nchternheit hast du den Verbndeten gesehen. Genaros Doppelgnger, den Trumer und Getrumten, und heute h t t e s t du beinahe die Ganzheit deiner selbst erfahren. Dies war' die Tat des Kriegers gewesen, die Genaro von dir erwartete. All dies war mglich wegen der Summe persnlicher Kraft, die du gespeichert hast. Es begann, als du das letzte Mal hier warst und als ich ein sehr vielversprechendes Omen entdeckte. Als du eintrafst, hrte ich den Verbndeten umherschleichen. Zuerst hrte ich seine leisen Schritte, und dann sah ich den Nachtfalter, wie er dich anschaute, als du aus dem Auto stiegst. Der Verbndete verharrte reglos und beobachtete dich. Das war fr mich das beste Omen. Wre der Verbndete unruhig gewesen, wre er herumgelaufen, als sei ihm deine Anwesenheit unangenehm, wie es bisher stets der Fall war. dann wre

der Verlauf der Ereignisse ein anderer gewesen. Viele Male habe ich den Verbndeten in einer dir unfreundlichen Verfassung gesehen, aber diesmal war es das richtige Omen, und ich wute, da der Verbndete ein Stck Wissen fr dich bereithielt. Das war auch der Grund, warum ich dir sagte, du habest eine Verabredung mit dem Wissen, eine Verabredung mit einem Nachtfalter, die seit langem f l l i g war. Aus uns unerfindlichen Grnden whlte der Verbndete die Gestalt eines Nachtfalters, um sich dir zu offenbaren. Aber du sagtest doch, der Verbndete sei gestaltlos, und man knne ihn nur an seinen Wirkungen erkennen, sagte ich. Das ist wahr, sagte er. Aber fr auenstehende Betrachter, die mit dir in Verbindung stehen - fr Genaro und mich -, ist der Verbndete ein Nachtfalter. Fr dich ist er nur ein Effekt, eine Empfindung in deinem Krper oder ein Gerusch oder die goldenen Flecken des Wissens. Tatsache ist aber, da der Verbndete, indem er die Gestalt eines Nachtfalters annimmt, Genaro und mir etwas sehr Wichtiges mitteilt. Nachtfalter sind Boten des Wissens und Freunde und Helfer der Zauberer. Gerade weil es dem Verbndeten g e f a l l e n hat, in deiner Gegenwart ein Nachtfalter zu sein, nimmt Genaro es bei dir so genau. Jene Nacht, als du, wie ich vorhergesehen hatte, dem Nachtfalter begegnet bist, da war es fr dich eine echte Verabredung mit dem Wissen. Du lerntest den Ruf des Nachtfalters kennen, sprtest den Goldstaub seiner Flgel, aber vor allem warst du dir in dieser Nacht zum erstenmal bewut, da du sahst, und dein Krper erfuhr, da wir leuchtende Wesen sind. Bisher hast du dir noch keinen rechten Begriff von diesem folgenschweren Ereignis in deinem Leben gemacht. Genaro bewies dir mit ungeheurer Eindringlichkeit und Klarheit, da wir ein Gefhl sind und da das. was wir unseren Krper nennen, ein Bndel leuchtender Fasern ist, die Bewutsein haben. Und als du gestern abend herkamst, standst du wieder unter der freundlichen Obhut des Verbndeten. Als du eintrafst, kam ich und schaute dich an, und da wute ich, da ich Genaro rufen mute, damit er dir das Geheimnis vom Trumer und dem Getrumten erklre. Wie immer glaubtest du, ich spielte dir einen Streich. Aber Genaro war nicht im

Gebsch versteckt, wie du annehmen mochtest. Er kam eigens fr dich herbei, auch wenn deine Vernunft sich weigert, es zu glauben. Diesen Teil von Don Juans Erluterungen konnte ich allerdings am wenigsten glauben. Ich konnte es einfach nicht zugeben. Genaro, sagte ich, sei doch real und von dieser Welt gewesen. Alles, was du bisher erlebt hast, war real und von dieser Welt, sagte er. Es gibt keine andere Welt. Dein Stolperstein ist deine merkwrdige Halsstarrigkeit, und diese deine Eigenheit wird sich nicht durch Erklrungen kurieren lassen. Daher hat Genaro heute deinen Krper direkt angesprochen. Untersuchst du einmal sorgfltig, was du heute getan hast, dann wirst du erkennen, da dein Krper gewisse Dinge auf hchst lobenswerte Art zusammengesetzt hat. Irgendwie hast du darauf verzichtet, dich in deinen Visionen am Wassergraben gehenzulassen. Du hast eine ungewhnliche Beherrschtheit und Distanziertheit bewahrt, wie sie einem Krieger a n s t e h t . Du hast nichts geglaubt, aber du hast dennoch rasch gehandelt, und dadurch warst du fhig, Genaros Ruf zu folgen. Du hast ihn tatschlich ohne meine Hilfe gefunden. Als wir bei _ jenem Felsvorsprung ankamen, warst du von Kraft erfllt, und du sahst Genaro dort stehen, wo schon andere Zauberer aus hnlichen Grnden gestanden sind. Nachdem er von dem Vorsprung herabgesprungen war, ging er auf dich zu. Er selbst war durch und durch Kraft. Httest du dich verhalten, wie du es vorher am Wassergraben getan hast, dann httest du ihn als das gesehen, was er wirklich ist. ein leuchtendes Wesen. Statt dessen bekamst du es mit der Angst, als Genaro dir springen half. Dieser Sprung an sich htte ausreichen mssen, um dich ber deine Grenzen hinauszutragen. Aber du warst nicht stark genug, du fielst in die Welt deiner Vernunft zurck. Dann gerietst du natrlich in e i n e n Kampf auf Leben und Tod mit dir selbst. Etwas in dir, dein Wille. wollte mit Genaro gehen, whrend deine Vernunft sich i h m widersetzte. Htte ich dir nicht geholfen, dann lgst du j e t z t an diesem Platz der Kraft tot und begraben. Aber sogar mit meiner Hilfe war das Ergebnis einen Augenblick z w e i f e l h a f t . Minutenlang schwiegen wir. Ich wollte, da er weitersprche.

Schlielich fragte ich: Hat Don Genaro mich auf den Felsvorsprung hinaufspringen lassen? Betrachte diesen Sprung nicht als dasselbe, was du normalerweise unter einem Sprung verstehst, sagt er. Dies ist wiederum nur eine bildliche Redeweise. Solange du glaubst, du seist ein fester Krper, wirst du nicht begreifen, wovon ich spreche. Dann streute er neben der Laterne etwas Asche auf den Boden, auf eine Flche von etwa fnfzig mal fnfzig Zentimeter, und zeichnete mit dem Finger ein Diagramm - ein Diagramm, das acht miteinander durch Linien verbundene Punkte aufwies. Es war eine geometrische Figur. Schon vor Jahren hatte er einmal ein hnliches gezeichnet, als er mir zu erklren versuchte, da es keine I l l u s i o n gewesen sei, als ich das gleiche Blatt viermal vom gleichen Baum herabfallen sah. Das in die Asche gezeichnete Diagramm h a t t e zwei Epizentren; das eine nannte er Vernunft, das andere Wille. Vernunft war direkt mit einem Punkt verbunden, den er Sprechen nannte; durch Sprechen war Vernunft indirekt mit drei anderen Punkten verbunden, nmlich Fhlen. Trumen und Sehen. Das andere Epizentrum, W i l l e , war direkt mit Fhlen, Trumen und Sehen verbunden; aber auch indirekt mit Vernunft und Sprechen. Ich wandte ein, da das Diagramm sich von demjenigen unterschied, das er vor Jahren aufgezeichnet hatte. Die uere Form ist bedeutungslos, sagte er. Diese Punkte stellen einen Menschen dar und knnen gezeichnet werden. wie es einem beliebt. Stellen sie den Krper eines Menschen dar'? fragte ich. Nenne es nicht den Krper, sagte er. Dies sind acht Punkte auf den Fasern eines leuchtenden Wesens. Der Zauberer sagt nun, da ein Mensch, wie du aus dem Diagramm ersiehst, vor allem Wille ist, denn Wille ist direkt mit den drei Punkten Fhlen, Trumen und Sehen verbunden; sodann ist der Mensch Vernunft. Die ist, genaugenommen, ein kleineres Zentrum als Wille; es ist nur mit Sprechen verbunden. Was sind die zwei anderen Punkte, Don J u a n ? Er sah mich an und lchelte.

Heute bist du viel strker als damals, als wir zum erstenmal ber dieses Diagramm sprachen, sagte er. Aber du bist noch nicht stark genug, um alle acht Punkte zu kennen. Eines Tages wird Genaro dir die beiden anderen zeigen. Hat jeder Mensch diese acht Punkte oder nur die Zauberer? Man kann wohl sagen, da _ jeder acht Punkte mit auf die Welt bringt. Zwei von ihnen, Vernunft und Sprechen, kennt ein jeder. Fhlen ist immer unbestimmt, aber irgendwie bekannt. Doch nur in der Welt der Zauberer wird man mit Trumen, Sehen und Wille gnzlich vertraut. Und schlielich findet man am uersten Rand dieser Welt die anderen zwei. Diese acht Punkte bilden die Ganzheit des Selbst. Er zeigte mir auf dem Diagramm, da im Grunde alle Punkte indirekt miteinander verbunden werden knnten. Ich fragte ihn nach den beiden brigen geheimnisvollen Punkten. Er zeigte mir, da sie nur mit Wille verbunden waren, da sie von Fhlen, Trumen und Sehen entfernt lagen und noch viel ferner von Sprechen und Vernunft. Er zeigte mit dem Finger darauf, um mir zu zeigen, da sie von den anderen und auch voneinander getrennt waren. Diese zwei Punkte werden sich niemals dem Sprechen oder der Vernunft unterordnen, sagte er. Nur der Wille kann sie beeinflussen. Vernunft ist so weit von ihnen entfernt, da es vllig nutzlos ist, sie vernnftig ergrnden zu wollen. Dies ist eines der am schwersten verstehbaren Dinge. Immerhin ist es das Privileg der Vernunft, da sie alles vernnftelnd ergrnden will. Ich fragte ihn. ob die acht Punkte gewissen Krperregionen oder Organen des Menschen entsprchen. Allerdings, erwiderte er und verwischte das Diagramm. Er berhrte meinen Kopf und sagte, dies sei das Zentrum von Vernunft und Sprechen. Die Spitze meines Brustbeins sei das Zentrum von Fhlen. Die Region unterhalb des Nabels sei Wille. Trumen sei auf der rechten Seite des Brustkorbs. Sehen auf der linken. Manchmal, bei gewissen Kriegern, sagte er, seien Sehen und Trumen beide auf der rechten Seite. Wo sind die zwei anderen Punkte? fragte ich.

Er antwortete mit einer derben Obsznitt und lachte schallend. Du bist aber listig, sagte er. Du glaubst wohl, ich bin ein verschlafenes altes Schaf, nicht wahr? Ich erklrte ihm. da meine Fragen i h r e eigene Richtung entwickelten. Du brauchst dich nicht zu beeilen, sagte er. Du wirst es rechtzeitig erfahren, und dann wirst du allein sein, ganz auf dich gestellt. Du meinst, ich werde dich dann nicht Wiedersehen. Don Juan? Niemals wieder, sagte er. Genaro und ich werden dann sein, was wir immer gewesen sind, Staub auf dem Weg. Ich sprte einen Schock in der Magengrube. Was sagst du da. Don Juan11 Ich sage, da wir alle unergrndliche Wesen sind, leuchtend und grenzenlos. Du. Genaro und ich sind durch eine Absicht vereint, die auerhalb unserer Entscheidung liegt. Von welcher Absicht sprichst d u 9 Die Lebensart des Kriegers zu lernen. Du kommst nicht mehr davon los. aber auch wir beide nicht. Solange unsere Vollendung noch aussteht, wirst du mich oder Genaro immer wiederfinden, aber sobald sie vollbracht ist. wirst du frei fliegen, und niemand wei, wohin die Kraft deines Lebens dich fhren wird. Welche Rolle spielt Genaro dabei? Dieses Thema ist dir jetzt noch nicht zugnglich, sagte er. Heute habe ich nur die Aufgabe, den Nagel einzutreiben, den Genaro abgesteckt hat - nmlich die Tatsache, da wir leuchtende Wesen sind. Wir sind Wahrnehmung. Wir sind Bewutsein. Wir sind keine Objekte, wir haben keine feste Konsistenz, wir sind grenzenlos. Die Welt der festen Objekte ist ein Mittel, unsere Wanderschaft auf Erden angenehm zu machen. Sie ist nur eine Beschreibung, geschaffen, um uns zu h e l f e n . Wir - oder besser: unsere Vernunft- vergessen gern, da die Beschreibung nur eine Beschreibung ist. und so schlieen wir die Ganzheit unseres Selbst in einen Teufelskreis ein. dem wir, solange wir leben, kaum e n t r i n n e n knnen.

Im Augenblick bist du zum Beispiel dabei, dich aus dem Chaos der Vernunft zu befreien. Es erscheint dir grotesk und undenkbar, da Genaro einfach am Rand des Chaparral erschienen ist, und doch kannst du nicht leugnen, da du es mit eigenen Augen gesehen hast. So und nicht anders hast du es wahrgenommen. Don Juan lachte leise. Sorgfltig zeichnete er ein anderes Diagramm in die Asche und bedeckte es mit seinem Hut, bevor ich es kopieren konnte. Wir sind wahrnehmende Wesen, fuhr er fort. Die Welt, die wir wahrnehmen, ist jedoch eine I l l u s i o n . Sie ist entstanden durch eine Beschreibung, die man uns seit dem Augenblick unserer Geburt erzhlt hat. Wir sind leuchtende Wesen, sind mit zwei Ringen der Kraft geboren, aber wir benutzen nur einen davon, um die Welt zu erschaffen. Dieser Ring, der sich schliet, bald nachdem wir geboren sind, ist die Vernunft - und ihr Begleiter das Sprechen. Gemeinsam hecken die beiden die Welt aus und halten sie in Schwung. Die Welt, die deine Vernunft erhalten mchte, ist also im Grunde eine Welt, geschaffen durch eine Beschreibung und ihre dogmatischen, unumstlichen Regeln, welche die Vernunft zu akzeptieren und zu verteidigen lernt. Das Geheimnis der leuchtenden Wesen ist, da sie noch einen weiteren Ring der Kraft haben, der gewhnlich nie benutzt wird, den Willen. Der Trick der Zauberer ist der gleiche Trick, wie ihn die normalen Menschen anwenden. Beide haben sie eine Beschreibung. Der eine, der normale Mensch, e r h l t sie mit Hilfe seiner Vernunft aufrecht, der andere, der Zauberer, erhlt sie mit seinem Willen aufrecht. Beide Beschreibungen haben ihre Regeln, und die Regeln sind wahrnehmbar, doch der Vorteil des Zauberers liegt darin, da der Wlle umfassender ist als die Vernunft. Was ich dir j e t z t vorschlagen mchte, ist, da du von nun an deine Wahrnehmung entscheiden lassen sollst, ob die Beschreibung der Welt durch deine Vernunft oder durch deinen Willen aufrechterhalten wird. Ich glaube, dies ist deine einzige Mglichkeit, deine alltgliche Welt als Herausforderung und als Vehikel zu nutzen, um gengend persnliche Kraft

anzusammeln, damit du die Ganzheit deiner selbst erreichst. Vielleicht schon das nchste Mal, wenn du kommst, wirst du genug davon haben. Jedenfalls, warte bis du fhlst, wie du es heute am Wassergraben gefhlt hast, da eine innere Stimme es dir befiehlt. Kommst du in einem anderen Geist, dann wird es eine Zeitverschwendung und zudem gefhrlich fr dich sein. Falls ich auf diese innere Stimme warten sollte, wandte ich ein, wrde ich die beiden nie Wiedersehen. Du wirst dich wundern, was man alles kann, wenn man mit dem Rcken zur Wand steht, sagte er. Er stand auf und griff nach einem Bndel Feuerholz. Er legte ein paar trockene Scheiter auf das Herdfeuer. Die Flammen warfen einen gelblichen Schimmer auf den Boden. Dann lschte er die Lampe und hockte sich vor seinen Hut, der die in die Asche gezeichnete Skizze bedeckte. Er befahl mir. ruhig sitzen zu bleiben, meinen inneren Dialog abzustellen und unverwandt seinen Hut anzuschauen. Ich gab mir eine Weile Mhe, und dann hatte ich das Gefhl zu schweben, von einer Klippe zu strzen. Es war. wie wenn mich nichts mehr sttzte, ich nicht mehr auf festem Boden se, keinen Krper mehr htte. Don J u a n hob den Hut auf. Darunter wurde eine in die Asche eingezeichnete Spirale sichtbar. Ich betrachtete sie. ohne mir etwas zu denken. Dann sprte ich, da die Spirale sich bewegte. Ich sprte sie frmlich in meinem Bauch. Die Asche schien sich aufzuhufen. Dann kreiselte sie und stob empor, und pltzlich sa Don Genaro vor mir. Dieser Anblick zwang mich augenblicklich, meinen inneren Dialog wiederaufzunehmen. Ich m e i n t e , ich msse wohl eingeschlafen sein. Ich fing an. kurz und keuchend zu atmen, und versuchte die Augen zu ffnen, aber meine Augen waren bereits offen. Ich hrte, wie Don Juan zu mir sagte, ich solle aufstehen und mich bewegen. Ich sprang auf und lief auf die Veranda. Don Juan und Don Genaro rannten hinter mir her. Don Juan brachte seine Laterne mit. Ich war ganz auer Atem. Ich versuchte mich zu beruhigen, wie ich es schon vorher getan hatte, indem ich, nach Westen schauend, auf der Stelle trabte.

Ich hob die Arme und atmete tief. Don Juan trat neben mich und sagte, diese Bewegung sei nur in der Dmmerung auszufhren. Don Genaro schrie, fr mich sei wohl gerade Dmmerung, und die beiden lachten herzlich. Don Genaro lief bis zum Saum des Chaparral und hpfte wieder zur Veranda zurck, als ob er an einem langen Gummiband hinge, das ihn zurckschnellen lie. Diese Bewegungen wiederholte er drei- oder viermal, dann kam er zu mir. Derweil hatte Don Juan mich unverwandt angeschaut, lachend wie ein Kind. Sie wechselten einen verstohlenen Blick. Mit l a u t e r Stimme sagte Don Juan zu Don Genaro, meine Vernunft sei eine gefhrliche Sache und knne mich tten, f a l l s sie nicht beschwichtigt werde. Um Himmels willen! schrie Don Genaro mit drhnender Stimme. Beschwichtige einer seine V e r n u n f t ! Sie hpften auf und ab und lachten wie die Kinder. Don Juan veranlate mich, unter der Laterne niederzusitzen. und reichte mir mein Notizbuch. Heute abend spielen wir dir wirklich bel m i t , sagte er vershnlich. Hab keine Angst. Genaro war unter meinem Hut versteckt.

2.Teil Das Tonal und Nagual

Man mu glauben

Ich wanderte den Paseo de la Reforma hinab stadteinwrts. Ich war mde; zweifellos war die Hhenluft von Mexico City schuld daran. Ich htte auch den Bus oder ein Taxi nehmen knnen, aber irgendwie wollte ich, trotz meiner Erschpfung, zu Fu gehen. Es war am Sonntagnachmittag. Der Verkehr war gering, und doch verwandelten die Auspuffgase der Busse und Lastwagen mit ihren Dieselmotoren die engen Straen der Innenstadt in Schluchten voller Smog. Ich kam am Zocalo vorbei und stellte fest, da die Kathedrale von Mexico City diesmal noch schiefer stand als beim letzten Mal, als ich sie sah. Ich schlenderte ein paar Schritte durch die riesigen Gewlbe. Ein zynischer Gedanke kam mir in den Sinn. Von dort machte ich mich zum Lagunilla-Markt auf. Ich hatte eigentlich keine bestimmte Absicht. Ziellos, aber mit schnellem Tempo lief ich drauflos, ohne mir etwas Besonderes anzusehen. Schlielich landete ich bei den Stnden mit alten Mnzen und antiquarischen Bchern. Hallo, hallo! Sieh mal an, wer da ist! sagte jemand und klopfte mir leicht auf die Schulter. Diese Stimme und die Berhrung lieen mich auffahren. Rasch drehte ich mich nach rechts. Vor berraschung blieb mir der Mund offenstehen. Wer mich da angesprochen hatte -war Don Juan. Mein Gott, Don J u a n ! rief ich, und ein Schauder lief mir ber den Krper, vom Scheitel bis zur Sohle. Was machst du denn hier? Was machst du denn hier? echote er. Ich sagte ihm, ich sei auf ein paar Tage in der Stadt geblieben, bevor ich in die Berge von Zentralmexiko aufbrechen wollte, um ihn aufzusuchen. Na schn, sagte er lchelnd, dann bin ich eben von den Bergen heruntergekommen, um dich aufzusuchen. Er klopfte mir stndig auf die Schulter. Offenbar freute er sich, mich zu sehen. Er stemmte die Fuste in die Hften,

blhte die Brust vor und fragte mich, was ich zu seinem Aussehen sagte. Jetzt erst f i e l mir auf. da er e i n e n Anzug trug. Diese Unstimmigkeit machte mich ganz betroffen. Ich war verblfft. Wie gefllt dir mein tacuche'l. fragte er strahlend. Er gebrauchte das Dialektwort tacuche statt des hochspanischen t r a j e fr Anzug. Heute habe ich einen Anzug an, sagte er, als ob dies noch einer Erluterung bedurfte. Dann deutete er auf meinen Mund und meinte: Mach ihn zu, mach ihn zu! Ich lachte zerstreut. Er bemerkte meine Verwirrung und schttelte sich vor Lachen, whrend er sich einmal im Kreis drehte, damit ich ihn von allen Seiten bewundern konnte. Sein Aufzug war unglaublich. Er trug einen hellbraunen Nadel-Streifen-Anzug, braune Schuhe, ein weies Hemd. Und eine Krawatte! Und dies brachte mich auf die Frage, ob er berhaupt Socken anhatte oder ob seine Fe am Ende barfu in den Schuhen steckten. Meine Verwirrung wurde noch durch den seltsamen Eindruck gesteigert, da ich nmlich, als Don Juan mich auf die Schulter klopfte und ich mich umdrehte, gemeint hatte, ihn in seinen Khakihosen, seinem Khakihemd, seinen Sandalen und seinem Strohhut zu sehen und da dann erst, als er mich auf seine Kleidung aufmerksam gemacht und ich sie berhaupt erst in allen Einzelheiten wahrgenommen hatte, die Gesamtheit seiner Erscheinung zu einem festen Bild gerann, so als htte ich sie erst durch meine Gedanken geschaffen. Mein Mund war anscheinend der am strksten von meiner berraschung betroffene Krperteil. Er ffnete sich u n w i l l k r l i c h . Don Juan fate mich sanft am Kinn, als ob er mir helfen w o l l t e , den Mund zu schlieen. Du kriegst bestimmt noch ein Doppelkinn, sagte er und lachte rhythmisch. Jetzt bemerkte ich auch, da er keinen Hut trug und da sein kurzes weies Haar auf der rechten Seite gescheitelt war. Er sah aus wie ein mexikanischer alter Herr, ein makellos gekleideter Stdter. Ihn hier anzutreffen, sagte ich ihm, bringe mich so durcheinander, da ich mich erst mal hinsetzen msse. Er schien zu

verstehen und schlug vor, wir sollten in einen nahegelegenen Park gehen. Schweigend gingen wir ein paar Straen weit, dann erreichten wir die Plaza Garribaldi, einen Platz, wo Musiker ihre Dienste anboten, eine Art Arbeitsamt f r Musikanten. Don Juan und ich tauchten in die Menge der Zuschauer und Touristen ein und wanderten durch den Park. Nach einer Weile blieb er stehen, l e h n t e sich an eine Mauer und zog die Hosen bis zu den Knien hoch: er trug hellbraune Socken. Ich bat ihn. mir die Bedeutung seines wunderlichen Aufzugs zu erklren. Seine reichlich unbestimmte Antwort war, er msse heute eben einen Anzug tragen, aus Grnden, die mir spter klarwerden wrden. Da ich Don Juan in einem Anzug begegnet war. w a r mir so unheimlich, da ich meine Erregung kaum beherrschen konnte. Zwar hatte ich ihn monatelang n i c h t gesehen und wnschte mir mehr als alles andere auf der Welt, mit ihm zu sprechen, aber irgendwie war dies nicht die richtige Situation, und meine Aufmerksamkeit wanderte hierhin und dorthin. Offenbar hatte Don Juan meine Verlegenheit bemerkt, denn er schlug vor, wir sollten nach La Alameda gehen, einem ein paar Straenzeilen entfernten, ruhigeren Park. Hier waren nur wenige Menschen, und wir fanden ohne Mhe eine leere Bank. Wir setzten uns. Meine Nervositt war einem unbehaglichen Gefhl gewichen. Ich wagte es nicht, Don Juan anzusehen. Nun entstand eine l a n g e , entnervende Pause; immer noch ohne in anzuschauen, sagte ich. da die innere Stimme mich schlielich getrieben habe, ihn aufzusuchen, da die erschtternden Ereignisse, die ich in seinem Haus erlebt hatte, mein Leben tiefgreifend verndert htten und da ich ganz einfach darber sprechen msse. Er machte eine ungeduldige Handbewegung und meinte, es sei sein Grundsatz, sich niemals mit Vergangenem aufzuhalten. Worauf es j e t z t einzig ankommt, ist, da du dich an meinen Vorschlag gehalten hast, sagte er. Du hast deine alltgliche Welt als Herausforderung angenommen, und der Beweis, da du gengend persnliche Kraft gespeichert hast, ist die unbe-

streitbare Tatsache, da du mich ganz mhelos gefunden hast, genau an der Stelle, wo du es solltest. Diesen Zusammenhang mchte ich doch sehr bezweifeln, sagte ich. Ich habe auf dich gewartet, und jetzt bist du da, sagte er. Das ist alles, was ich wei. Das ist alles, was ein Krieger zu wissen braucht. Und was geschieht j e t z t , da ich dich gefunden habe? fragte ich. Eines zumindest, sagte er. Wir werden nicht die Probleme deiner Vernunft diskutieren; diese Erfahrungen gehren zu einer anderen Zeit und zu einer anderen Stimmung. Genaugenommen sind sie nur Stufen auf e i n e r endlosen Leiter. Sich mit ihnen aufzuhalten, wrde heien, die Bedeutung dessen zu schmlern, was hier und j e t z t geschieht. Und das kann ein Krieger sich nicht leisten. Ich sprte einen unwiderstehlichen Drang, mich zu beklagen. Nicht da ich irgend etwas bereut htte, das mir widerfahren war, aber ich sehnte mich nach Trost und Mitleid. Don Juan schien meine Stimmung zu erkennen, und er sprach jetzt so, als htte ich tatschlich meine Gedanken geuert. Nur als Krieger kann man den Weg des Wissens ertragen, sagte er. Ein Krieger darf nichts bereuen und sich ber nichts beklagen. Sein Leben ist eine immerwhrende Herausforderung, und Herausforderungen sind niemals gut oder schlecht. Herausforderungen sind einfach Herausforderungen. Er sprach mit knappen, e r n s t e n Worten, aber sein Lcheln war herzlich und entwaffnend. Jetzt, wo du hier bist, wollen wir auf ein Omen warten, sagte er. Was fr ein Omen?? fragte ich. Wir mssen herausfinden, ob deine Kraft allein fr sich bestehen kann, sagte er. Beim letzten Mal hat sie j a klglich versagt. Diesmal scheinen die Umstnde deines persnlichen Lebens dir - zumindest oberflchlich betrachtet - alles zu geben, was du brauchst, um die Erklrung der Zauberer auszuhalten. Ist es denn nicht mglich, da du mir etwas darber erzhlst? fragte ich.

Das hngt von deiner persnlichen Kraft ab, sagte er. Wie stets b e i m Tun und Nichttun von Kriegern der Fall, ist die persnliche Kraft das einzige, worauf es ankommt. Bislang, meine ich, machst du es ganz gut. Er lie eine kurze Pause entstehen, wie um das Thema zu w e c h s e l n , dann stand er auf und deutete auf seinen Anzug. Ich habe meinen Anzug fr dich angelegt, sagte er geheimnisvoll. Dieser Anzug ist meine Herausforderung. Schau nur, wie gut ich d a r i n aussehe! Wie gut er sitzt! Na? Da fehlt nichts! Tatschlich stand der Anzug Don Juan auerordentlich gut. Der einzige Vergleich, der mir einfiel, war die Art, wie mein Grovater in seinem schweren englischen Flanell-Anzug auszusehen pflegte. Er machte mir stets den Eindruck, als fhle er sich in einem Anzug unnatrlich, fremd. Don Juan dagegen w a r so unbefangen. Glaubst du. es f l l t mir leicht, in einem Anzug natrlich zu w i r k e n ' ? fragte Don Juan. Ich wute nicht, was ich sagen sollte. Nach seinem Aussehen und Auftreten zu urteilen, so dachte ich bei mir, war es fr ihn wohl das Leichteste von der Welt. E i n e n Anzug zu tragen ist eine Herausforderung fr mich, sagte er. Eine Herausforderung, so schwierig, wie es fr dich wre. Sandalen und e i n e n Poncho zu tragen. Doch du hast es nie ntig gehabt, derlei als Herausforderung anzunehmen. In meinem Fall ist es anders. Ich bin ein Indianer. Wir schauten uns an. Als stumme Frage zog er die Brauen hoch, als w o l l e er meine Meinung hren. Der grundlegende Unterschied zwischen e i n e m normalen Menschen u n d e i n e m Krieger ist, da der Krieger alles als Herausforderung annimmt, fuhr er f o r t , whrend der normale Mensch alles entweder als Segen oder als Fluch auffat. Die Tatsache, da du heute h i e r bist, zeigt mir, da du die Gewichte zugunsten der Lebensweise eines Kriegers verschoben hast. Sein Blick machte mich nervs. Ich wollte aufstehen und weitergehen, aber er hie mich, sitzen zu bleiben. Hier bleibst du sitzen, ohne Ausflchte, bis wir fertig sind, sagte er gebieterisch. Wir warten auf ein Omen. Ohne dies

knnen wir nicht weitermachen, denn es gengt nicht, da du mich gefunden hast, wie es auch nicht gengte, da du damals Genaro in der Wste gefunden hast. Deine Kraft mu sich sammeln und ein Zeichen geben. Ich ahne nicht, was du willst, sagte ich. Ich habe etwas durch diesen Park schleichen sehen, sagte er. War es der Verbndete? Nein, der war es nicht. Wir mssen also hier sitzen bleiben und herausfinden, was f r ein Omen deine Kraft herbeiziehen wird. Dann forderte er mich auf, i h m ausfhrlich zu berichten, wie ich die Empfehlungen ausgefhrt htte, die Don Genaro und er mir fr meine alltgliche Welt und meine Beziehungen mit anderen Menschen gegeben hatten. Ich wurde etwas verlegen. Er zerstreute meine Bedenken mit dem Argument, da meine persnlichen Angelegenheiten nichts Privates seien, weil sie eine Obliegenheit der Zauberei d a r s t e l l t e n , in der er selbst und Don Genaro mich frderten. Ich bemerkte scherzhaft, da diese Obliegenheit der Zauberei mein Leben ruiniert habe, und berichtete dann von meinen Schwierigkeiten, meine alltgliche Welt beisammenzuhalten. Ich sprach sehr lange. Don Juan lachte ber meinen Bericht, bis ihm Trnen ber die Wangen rollten. Immer wieder schlug er sich auf die Schenkel; diese Geste, die ich Hunderte Male bei ihm gesehen hatte, wirkte eindeutig fehl am Platz, wenn es auf den Bgelfalten eines Anzugs geschah. Ich war v o l l e r Befrchtungen, die ich loswerden mute. Dein Anzug erschreckt mich mehr als alles andere, was du mit mir angestellt hast, sagte ich. Du wirst dich dran gewhnen, sagte er. E i n Krieger mu beweglich sein und sich harmonisch mit der i h n umgebenden Welt verndern, sei es d i e Welt der Vernunft oder die Welt des Willens. Der gefhrlichste Moment dieser Vernderung tritt immer dann ein, wenn der Krieger feststellt, da die Welt weder das eine noch das andere ist. Ich mute lernen, da die e i n z i g e Mglichkeit, diesen entscheidenden Wechsel zu berstehen. darin besteht, da man bei seinen Handlungen so tut. als

glaubte man. Mit anderen Worten, das Geheimnis eines Kriegers ist, da er glaubt, ohne zu glauben. Aber natrlich kann der Krieger nicht einfach sagen, er glaubt, und es damit bewenden lassen. Das wre zu leicht. Einfach glauben, das wrde ihn von der Verpflichtung entbinden, seine Situation zu berprfen. Immer wenn ein Krieger sich darauf einlassen mu, zu glauben, dann tut er es als freie Entscheidung, als Ausdruck seiner innersten Wahl. Ein Krieger glaubt nicht, ein Krieger mu glauben. Er starrte mich sekundenlang an, whrend ich in meinem Notizbuch schrieb. Ich schwieg still. Ich konnte nicht sagen, da ich den Unterschied verstanden htte, aber ich wollte nicht argumentieren oder Fragen stellen. Ich wollte darber nachdenken, was er gesagt hatte, aber meine Gedanken wurden abgelenkt, als ich mich umschaute. Auf der Strae hinter uns b i l d e t e n hupende Autos und Busse eine lange Schlange. Am Rande des Parks, etwa zwanzig Meter entfernt, seitlich von der Bank, auf der wir saen, stand eine Gruppe von etwa sieben Leuten, einschlielich dreier Polizisten in hellgrauen Uniformen, ber einen Mann gebeugt, der reglos im Gras lag. Anscheinend war er betrunken oder ernstlich krank. Ich warf Don Juan einen Blick zu. Auch er hatte zu dem Mann hinbergeschaut. Ich sagte ihm, da ich aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sei, mir klarzumachen, was er eben gesagt hatte. Ich mchte keine Fragen mehr stellen, sagte ich. Aber wenn ich dich nicht um Erklrungen bitte, dann verstehe ich nichts. Keine Fragen zu stellen, das ist ganz unnormal fr mich. Bitte, sei normal, um alles in der Welt! sagte er mit gespieltem Ernst. Ich sagte, ich verstnde nicht den Unterschied zwischen glauben und glauben mssen. Fr mich sei es dasselbe. Die Unterscheidung zwischen den beiden Aussagen erschiene mir als Haarspalterei. Erinnerst du dich an die Geschichte von deiner Freundin und ihrer Katze, die du mir einmal erzhlt hast? fragte er beilufig. Er sah zum Himmel hinauf, lehnte sich auf der Bank zurck

und streckte die Beine. Er legte die Hnde hinter den Kopf und spannte am ganzen Krper seine Muskeln an. Wie immer gaben seine Knochen laute, knackende Gerusche von sich. Worauf er angespielt hatte, das war eine Geschichte, die ich ihm einmal ber eine Freundin erzhlt hatte, die zwei kleine Ktzchen halbtot in der Trockentrommel einer Automatenwscherei gefunden hatte. Sie brachte sie wieder zum Leben und pppelte sie durch vorzgliche Nahrung und Pflege zu zwei stattlichen Katzen heran, die eine schwarz, die andere rtlich. Zwei Jahre spter verkaufte sie ihre Wohnung. Sie konnte die Katzen nicht mitnehmen und fand auch kein anderes Heim fr sie; unter diesen Umstnden blieb ihr nichts anders brig, als sie in die Tierklinik zu bringen und einschlfern zu lassen. Ich half ihr, sie hinzubringen. Die Katzen waren noch nie in einem Auto gefahren. Die Freundin versuchte sie zu beruhigen. Sie kratzten und bissen sie, besonders die rtliche, der sie den Namen Max gegeben hatte. Als wir schlielich die Tierklinik erreichten, griff sie zuerst nach der schwarzen Katze. Sie nahm sie auf den Arm und stieg wortlos aus dem Auto. Die Katze spielte mit ihr und haschte mit dem Pftchen nach ihr. whrend sie die Glastr zur Tierklinik aufstie. Ich schaute mich nach Max um. Er hockte auf der Hinterbank. Meine Kopfbewegung mute ihn erschreckt haben, denn er scho unter den Fahrersitz. Ich lie den Sitz nach hinten gleiten. Ich wollte nicht hinuntergreifen, denn ich frchtete, er wrde mich kratzen oder beien. Der Kater lag in einer Vertiefung im Boden des Wagens. Er schien sehr aufgeregt. Sein Atem ging stoweise. Er sah mich an. Unsere B l i c k e trafen sich, und mich berwltigte ein starkes Gefhl. Irgend etwas bemchtigte sich meines Krpers, eine Art Angst, Verzweiflung oder vielleicht auch ein schlechtes Gewissen, da ich an dem, was hier gespielt wurde, beteiligt war. Ich versprte das Bedrfnis, Max zu erklren, da es doch die Entscheidung meiner Freundin war und da ich ihr nur dabei half. Der Kater schaute mich an, als verstnde er meine Worte. Ich schaute hinaus, ob sie schon zurckkme. Ich sah sie

hinter der Glastr. Sie ging zur Pfrtnerloge. Mein Krper versprte einen seltsamen Schock, und ganz automatisch ffnete ich den Wagenschlag. Lauf, Max, lauf! sagte ich zu dem Kater. Er sprang hinaus und scho - flach am Boden geduckt, wie eine echte Raubkatze - ber die Strae. Die Straenseite gegenber war leer. Dort parkten keine Autos, und so konnte ich Max sehen, wie er am Rinnstein entlang die Strae entlang raste. Er erreichte die Kreuzung mit einer breiten Allee und tauchte durch ein Gully in die Kanalisation hinab. Meine Freundin kam zurck. Ich sagte ihr, Max sei fort. Sie stieg ein und wir fuhren davon, ohne ein einziges Wort. In den darauffolgenden Monaten gewann der Zwischenfall fr mich eine symbolische Bedeutung. Hatte ich es mir eingebildet oder sah ich wirklich ein unheimliches Flackern in Max' Augen, als er mich anstarrte, bevor er aus dem Auto sprang? Und ich glaubte, da dieses kastrierte, berftterte und nutzlose Haustier fr einen Augenblick ein Kater geworden war. Ich sei davon berzeugt, erzhlte ich Don Juan, da, als Max ber die Strae gerannt und in der Kanalisation verschwunden war, sein Katzengeist makellos gewesen und da vielleicht zu keinem anderen Zeitpunkt seines Lebens seine Katzenhaftigkeit so offenbar gewesen sei. Der Eindruck, den dieser Zwischenfall bei mir hinterlie, war unvergelich. Damals hatte ich die Geschichte allen meinen Freunden erzhlt. Nachdem ich sie immer wieder zum besten gegeben hatte, gefiel ich mir sehr darin, mich mit dem Kater zu identifizieren. Ich stellte mir vor, ich sei wie Max, bermig verwhnt, in j e d e r Hinsicht domestiziert, und doch konnte ich nicht anders als glauben, da es stets die Mglichkeit eines Augenblicks gab, da der Geist eines freien Menschen mein ganzes Sein erfassen wrde, genau wie der Geist der Katzen-haftigkeit Max' aufgeschwemmten und nutzlosen Krper erfat hatte. Don Juan hatte diese Geschichte gefallen, und er hatte ein paar Anmerkungen dazu gemacht. Es sei nicht schwer, meinte er, den Geist eines freien Menschen zu wecken und sich von ihm erfassen zu lassen; doch ihn festzuhalten, das sei etwas, was nur ein Krieger knne.

Was soll die Geschichte von den Katzen? fragte ich. Du sagtest mir doch, da du meintest, du wrdest deine Chance nutzen, genau wie Max, sagte er. Das glaube ich allerdings. Was wir dir beizubringen versuchten, ist, da ein Krieger dies nicht einfach glauben und es dabei bewenden lassen darf. Im Falle von Max bedeutet glauben mssen, da du auch die Tatsache akzeptierst, da seine Flucht vielleicht ein sinnloser Ausbruch gewesen ist. Vielleicht ist er in die Kanalisation gesprungen und auf der Stelle verreckt. Vielleicht ist er ersoffen oder verhungert oder v i e l l e i c h t sogar von den Ratten aufgefressen worden. Ein Krieger zieht alle diese Mglichkeiten in Betracht, und dann entscheidet er sich dafr, im Einklang mit seiner innersten Wahl zu glauben. Als Krieger mut du glauben, da Max es geschafft hat, da er nicht nur ausgerissen ist, sondern da er seine Kraft behalten hat. Du mut es glauben. Sagen wir, ohne diesen Glauben hast du gar nichts. Jetzt wurde mit der Unterschied ganz k l a r . Ich hatte mich wohl wirklich dafr entschieden zu glauben, da Max am Leben geblieben war, obwohl ich wute, da er durch eine lebenslange Verweichlichung und Htschelei benachteiligt war. Glauben - das ist ein klarer Fall, fuhr Don Juan fort. Glauben mssen ist etwas anderes. In diesem Fall zum Beispiel erteilte die Kraft dir eine hervorragende Lehre, aber du hast dich damit begngt, nur einen Teil davon zu nutzen. Wenn du glauben mut, dann mut du jedoch den ganzen Vorgang nutzen. Ich verstehe, was du m e i n s t , sagte ich. Ich befand mich in einem Zustand geistiger K l a r h e i t und meinte, ich knne seine Begriffe ganz mhelos erfassen. Ich frchte, du verstehst immer noch nicht, sagte er beinahe flsternd. Er starrte mich an. Eine W eile hielt ich seinem Blick stand. Und was ist mit der anderen Katze? fragte er. Ach? Die andere Katze? wiederholte ich unwillkrlich. Ich hatte sie ganz vergessen. Mein Symbol drehte sich nur um Max. Die andere Katze hatte keinerlei Bedeutung fr mich.

Aber das hat sie doch! rief Don Juan, nachdem ich ihm meine Gedanken vorgetragen hatte. Glauben mssen bedeutet, da du auch die andere Katze in Betracht ziehen mut. D i e j e n i g e , die verspielt die Hnde leckte, die sie in ihr Verderben trugen. Dies war die Katze, die voll Vertrauen in ihren Tod ging, e r f l l t von ihren KatzenEinsichten. Du glaubst, du seist wie Max. darum hast du die andere Katze vergessen. Du weit nicht einmal i h r e n Namen. Glauben mssen bedeutet, da du alles in Betracht ziehen mut. und bevor du beschliet, da du wie Max bist, mut du erwgen, da du auch wie die andere Katze sein knntest. Statt um dein Leben zu laufen und deine Chance zu nutzen, knntest du auch glcklich in dein Verderben gehen, e r f l l t von deinen Einsichten. In seinen Worten lag eine durchdringende Traurigkeit, oder vielleicht war es auch meine eigene Traurigkeit. Lange schwiegen wir. Es war mir nie in den Sinn gekommen, da ich auch wie die andere Katze sein knnte. Dieser Gedanke war sehr beunruhigend fr mich. Pltzlich wurde ich durch einen g e l i n d e n Aufruhr und gedmpftes Stimmengewirr aus meinen berlegungen gerissen. Polizisten vertrieben die Leute, die sich um den im Gras liegenden Mann gesammelt h a t t e n . Irgendwer hatte den Kopf des Mannes auf ein zusammengerolltes J a c k e t t gesttzt. Der Mann lag p a r a l l e l zur S t r a e . Er b l i c k t e nach Osten. Von meinem Platz aus konnte ich b e i n a h e f e s t s t e l l e n , da er die Augen offen hatte. Don Juan seufzte. Was fr ein wunderbarer N a c h m i t t a g , sagte er und schaute zum Himmel auf. Ich liebe Mexico City nicht, sagte ich. Warum nicht? Ich hasse den Smog. Er nickte rhythmisch mit dem Kopf, so als p f l i c h t e er mir bei. Lieber wre ich mit dir in der Wste oder in den Bergen, sagte ich. Ich an deiner Stelle wrde so etwas nie sagen, sagte er.

Ich habe mir nichts Bses dabei gedacht, Don Juan. Das wissen wir beide. Es kommt aber nicht darauf an, was du denkst. Ein Krieger, und in diesem Fall auch jeder andere, darf niemals wnschen, er wre woanders. Ein Krieger, weil er gem der Herausforderung lebt - ein gewhnlicher Mensch, weil er nicht wei, wo sein Tod ihn finden wird. Schau dir den Mann da drben im Gras an! Was, meinst du, fehlt ihm? Er ist betrunken oder krank, sagte ich. Er stirbt! sagte Don Juan mit absoluter Gewiheit. Als wir uns hier auf die Bank setzten, habe ich seinen Tod erspht, wie er ihn umkreiste. Deshalb befahl ich dir auch, nicht aufzustehen. Mach, was du willst, du kommst von dieser Bank nicht los, bis es zu Ende ist! Dies ist das Omen, auf das wir gewartet haben. Es ist schon spt. Gleich wird die Sonne untergehen. Das ist deine Stunde der Kraft. Schau! Der Anblick dieses Mannes ist nur fr uns da. Er machte mich auf den Umstand aufmerksam, da wir von unserem Platz aus eine unverstellte Sicht auf den Mann hatten. Auf der anderen Seite, uns gegenber, sammelte sich eine Gruppe von Neugierigen im Halbkreis. Der Anblick dieses Menschen, der da im Gras lag, beunruhigte mich stark. Er war schlank und von dunklem Teint, noch ziemlich j u n g . Sein schwarzes Haar war kurz und lockig. Sein Hemd stand offen, und die Brust war entblt. Er trug eine orangefarbene Strickjacke, die an den Ellbogen Lcher hatte, und eine abgewetzte graue Hose. Seine Schuhe, von einer undefinierbaren, verblichenen Farbe, waren aufgenestelt. Er lag reglos. Ich konnte nicht feststellen, ob er atmete. Ich fragte mich, ob er sterben wrde, wie Don Juan gesagt hatte. Oder benutzte Don Juan den Vorgang etwa nur, um mir etwas zu erlutern? Meine bisherigen Erfahrungen mit ihm hatten mich berzeugt, da es ihm irgendwie gelang, alles in sein mysterises System einzubauen. Nach langem Schweigen wandte ich mich i h m wieder zu. Er hatte die Augen geschlossen. Ohne sie zu ffnen, fing er an zu sprechen. Der Mann wird gleich s t e r b e n , sagte er. Du willst es aber nicht glauben, nicht wahr?

Er schlug die Augen auf und sah mich eine Weile an. Sein Blick war so durchdringend, da er mich betubte. Nein. Ich glaube es nicht, sagte ich. Ich meinte wirklich, da dies alles zu einfach sei. Wir hatten uns in den Park gesetzt, und schon - als sei alles inszeniert -lag da ein Mann im Sterben. Die Welt pat sich an sich selbst a n , sagte Don Juan, nachdem er meine Zweifel angehrt hatte. Dies ist keine abgekartete Sache. Dies ist ein Omen, ein Akt der Kraft. Die von der Vernunft aufrechterhaltene Welt macht aus all dem ein Ereignis, das wir einen Augenblick beobachten knnen, whrend wir unterwegs zu wichtigeren Dingen sind. Das einzige, was wir darber sagen knnen, ist, da dort ein Mann im Gras liegt - vielleicht betrunken. Die vom Willen aufrechterhaltene Welt macht es zu einem Akt der Kraft, den wir sehen knnen. Wir knnen sehen, wie der Tod um diesen Mann herumwirbelt und seinen Haken immer t i e f e r in seine leuchtenden Fasern senkt. Wir knnen sehen, wie die leuchtenden Fden ihre Spannung verlieren und einer um den anderen verschwinden. Dies sind die zwei Mglichkeiten, die uns als leuchtenden Wesen offenstehen. Du stehst j e t z t irgendwo in der Mitte, denn du willst immer noch alles unter die Rubrik Vernunft einordnen. Und doch, wie kannst du die Tatsache leugnen, da deine persnliche Kraft ein Omen angezogen hat? Wir sind in diesen Park gekommen, nachdem du mich an der Stelle gefunden hattest, wo ich auf dich wartete - du fandst mich, indem du mir e i n f a c h ber den Weg liefst, ohne zu denken, zu planen oder a b s i c h t l i c h deine Vernunft zu gebrauchen - und nachdem wir uns hierher gesetzt hatten, um auf ein Omen zu warten, entdeckten wir diesen Mann. Jeder von uns nahm ihn auf seine Weise w a h r , du mit deiner Vernunft und ich mit meinem Willen. Dieser Sterbende ist einer j e n e r Kubikzentimeter Chance, die die Kraft fr e i n e n Krieger stets b e r e i t h l t . Die Kunst des Kriegers ist es, dauernd beweglich zu sein, um ihn zu packen. Ich habe ihn gepackt. Aber hast du es auch? Ich konnte nicht antworten. Mir war ein gewaltiger Ri in meinem Innern bewut geworden, und einen Moment

w u t e ich irgendwie u m die zwei Welten, v o n denen er sprach. Welch ein groartiges O m e n ! f u h r er fort. Und das alles fr dich. Die Kraft zeigt dir, da der Tod e i n unentbehrlicher Bestandteil des Glaubenmssens ist. O h n e das Bewutsein v o m T o d e ist alles gewhnlich, banal. Nur deshalb, weil der Tod uns umschleicht, ist die Welt ein unergrndliches Mysterium. Dies hat die Kraft dir gezeigt. Ich habe nichts anderes getan, als die Details dieses O m e n s z u s a m m e n z u f g e n , damit dir die Richtung klar werde. Aber indem ich die Details z u s a m m e n f g t e , h a b e ich dir auch gezeigt, da ich alles, w a s ich dir heute sagte, selbst glauben mu, denn dies ist die innere W a h l meiner Seele. W i r blickten uns eine W e i l e in die Augen. Ich erinnere mich an ein Gedicht, das du mir immer vorgelesen hast, sagte er und wandte die Augen ab. E s handelt v o n einem Mann, der sich geschworen hat, in Paris zu sterben. W i e geht es nur gleich? Es handelte sich um Cesar V a l l e j o s Schwarzer Stein auf w e i e m Stein. Die ersten beiden V e r s e hatte ich D o n Juan auf seinen W u n s c h unzhlige Male vorgelesen und aufgesagt. Ich will in Paris sterben, wenn es regnet. An einem Tag, an den ich mich bereits erinnere. Ich will in Paris sterben - und ich laufe nicht weg -Vielleicht im Herbst, an einem Donnerstag, wie h e u t e . Ein Donnerstag wird es sein, denn heute Am Donnerstag, da ich diese Z e i l e n schreibe Spren meine Knochen die Wende, Und nie war ich wie h e u t e , auf meinem langen Weg. Mit mir so allein. Dieses Gedicht enthielt fr m i c h eine unbeschreibliche Traurigkeit. D o n Juan flsterte mir zu, er msse glauben, da der s t e r b e n d e M a n n g e n u g persnliche Kraft hatte, die ihn befhigte. die Straen v o n M e x i c o City als Ort seines Sterbens zu whlen. Damit sind wir wieder bei der Geschichte v o n den zwei Katzen, sagte er. Wir mssen glauben, da M a x wute, was

ihm bevorstand, und da er. w i e der M a n n dort drben, genug Kraft hatte, u m wenigstens den Platz seines Endes zu whlen. Aber dann war da noch die andere Katze, genau wie es n o c h a n d e r e M e n s c h e n gibt, deren Tod sie einkreisen wird, w h r e n d sie allein sind, bewutlos, und an die W n d e und die D e c k e eines hlichen, den Z i m m e r s starren. Dieser M a n n hingegen stirbt dort, w o er immer gelebt hat, in den Straen der Stadt. Drei Polizisten sind seine Ehrenwache. Und w h r e n d er verlscht, w e r d e n seine A u g e n e i n letztes Bild von den Lichtern der Geschfte auf der anderen Straenseite auffangen, v o n den Autos, den Bumen, den umherirrenden M e n s c h e n t r a u b e n , und seine Ohren w e r d e n z u m letztenmal v o m V e r k e h r s l r m und den Stimmen der vorbereilenden M n n e r und Frauen erfllt sein. Du siehst also, ohne ein Bewutsein v o n der Gegenwart unseres T o d e s gibt es k e i n e Kraft, kein Mysterium. Lange starrte ich den M a n n an. Er lag reglos da. Vielleicht war er tot. Aber meine Zweifel zhlten nicht mehr. D o n Juan hatte recht. Glauben zu mssen, da die W e l t geheimnisvoll und unergrndlich ist, das w a r ein A u s d r u c k der innersten W a h l e i n e s Kriegers. Ohne dies bese er nichts.

Die Insel des Tonal

Anderntags, gegen Mittag, trafen Don Juan und ich uns wieder im gleichen Park. Er trug immer noch seinen braunen Anzug. Wir setzten uns auf eine Bank; er zog seinen Rock aus, faltete ihn sehr sorgfltig, aber mit berlegener Gleichgltigkeit zusammen und legte ihn auf die Bank. Seine Gleichgltigkeit wirkte sehr einstudiert und dennoch vollkommen natrlich. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn unverwandt anschaute. Er schien zu wissen, welch ein Paradox er mir aufgab, und lchelte. Er rckte seine Krawatte zurecht. Er trug ein beigefarbenes, langrmeliges Hemd. Es kleidete ihn sehr gut. Ich habe immer noch meinen Anzug an, weil ich dir etwas sehr Wichtiges sagen will, meinte er und klopfte mir auf die Schulter. Gestern hast du dich sehr gut gehalten. Jetzt ist es Zeit, da wir uns ber ein paar abschlieende Dinge einigen. Er machte eine lange Pause. Anscheinend berdachte er seine Worte. Ich hatte ein seltsames Gefhl im Magen. Meine erste Vermutung war, er wrde mir die Erklrung der Zauberer mitteilen. Etliche Male stand er auf und ging vor mir auf und ab, als ob es ihm schwerfiele, seine Gedanken in Worte zu fassen. La uns doch in das Restaurant da drben gehen und e i n e Kleinigkeit essen! sagte er schlielich. Er faltete sein Jackett auseinander, und bevor er es anzog, zeigte er mir, da es ganz gefttert war. Es ist tadellos gearbeitet, sagte er und l c h e l t e , als sei er stolz darauf, als sei ihm viel daran gelegen. Ich mu dich darauf aufmerksam machen, sonst wrdest du es nicht bemerken, und es ist sehr wichtig, da du es merkst. Du merkst nur dann etwas, wenn du glaubst, du solltest es. Die Bedingung eines Kriegers ist aber, da er zu j e d e r Zeit alles merkt. Mein Anzug und das ganze Drum und Dran sind wichtig, weil es meine Bedingung im Leben darstellt. Oder besser, die Bedingung eines der zwei Teile meiner Ganzheit. Diese Diskussion war schon lange fllig. Ich glaube, _ j e t z t ist die rechte

Zeit dafr. Sie mu j e d o c h korrekt gefhrt werden, sonst htte sie gar keinen Sinn. Ich wollte, da mein Anzug dir das erste Stichwort gibt. Das hat er, glaube ich. getan. Jetzt ist es Zeit zu sprechen, denn was dieses Thema betrifft, so gibt es ohne Sprechen kein vlliges Verstehen. Welches Thema denn, Don Juan? D i e Ganzheit des Selbst, sagte er. Er stand abrupt auf und fhrte mich in den Speisesaal eines groen Hotels auf der anderen Straenseite. Eine ziemlich unfreundliche Kellnerin wies uns e i n e n Tisch in einer rckwrtigen Nische an. Die bevorzugten Pltze waren offensichtlich an den Fenstern. Ich erzhlte Don Juan, da diese Frau mich an eine andere Kellnerin in einem Restaurant in Arizona erinnerte, wo Don Juan und ich einmal gegessen hatten, an eine Frau, die uns fragte, bevor sie uns die Speisekarte reichte, ob wir auch genug Geld zum Bezahlen h t t e n . Auch dieser armen Frau will ich keinen Vorwurf machen, sagte Don Juan, als habe er Mitleid mit ihr. Auch sie, wie j e n e andere, hat Angst vor Mexikanern. Er l a c h t e leise. E i n paar Menschen an den Nachbartischen drehten die Kpfe und schauten uns an. Don Juan meinte, die Kellnerin habe uns unwissentlich oder vielleicht sogar entgegen ihrer Absicht den besten Tisch des Hauses gegeben, einen Tisch, wo ich nach Herzenslust schreiben und wir miteinander reden knnten. Ich hatte gerade mein Schreibzeug aus der Tasche geholt und auf den Tisch gelegt, als der Kellner sich p l t z l i c h vor uns aufbaute. Er schien genauso schlechter Laune zu s e i n . Mit herausfordernder Miene schaute er auf uns herab. Don Juan bestellte sich ein sehr a u s g e f a l l e n e s Gericht. E r g a b seine Bestellung auf, ohne auf die Speisekarte zu schauen, als wisse er sie auswendig. Ich war im N a c h t e i l . Der Kellner war unerwartet aufgetaucht, und ich h a t t e keine Zeit gehabt, die Speisekarte zu lesen, daher sagte ich ihm, ich wolle das gleiche. Don Juan flsterte mir ins Ohr: Ich wette, sie haben nicht, was ich bestellt habe. Er reckte seine Arme und Beine und forderte mich auf, es mir

bequem zu machen und mich zu entspannen, denn die Zubereitung des Mens werde eine Ewigkeit dauern. Du befindest dich an einem ganz vertrackten Scheideweg, sagte er. Vielleicht ist es der letzte und vielleicht auch der am schwersten verstehbare. Einige Dinge, die ich dir heute erklren will, werden dir wahrscheinlich nie klarwerden. Sie brauchen dir ohnehin nicht klarzuwerden. La dich also nicht verwirren oder entmutigen! Wir alle sind dumme Toren, sobald wir die Welt der Zauberer betreten, und sie zu betreten versichert uns in keiner Weise, da wir uns ndern werden. Manche von uns bleiben dumm bis ans Ende. Mir g e f i e l es, da er sich selbst zu den Toren rechnete. Ich wute allerdings, da er das nicht aus Bescheidenheit tat. sondern es als didaktisches Hilfsmittel einsetzte. Mach dir nichts draus, wenn du nicht den Sinn dessen verstehst, was ich dir sagen w e r d e ! fuhr er fort. In Anbetracht deines Temperaments frchte ich, du wirst dich halb umbringen, um es v i e l l e i c h t doch zu verstehen. Tu das nicht! Was ich dir sagen will, soll dir lediglich eine Richtung zeigen. Pltzlich beschlich mich Angst. Don Juans Ermahnungen zwangen mich zu endlosen Spekulationen. Ganz hnlich hatte er mich schon bei anderen Gelegenheiten gewarnt, und jedes-mal, wenn er dies tat, hatte sich das, wovor er mich warnte, als eine verheerende Sache erwiesen. Es macht mich ganz nervs, wenn du so zu mir sprichst, sagte ich. Das wei i c h , entgegnete er ruhig. I c h versuche absichtlich, d i r auf die Sprnge zu helfen. Ich brauche deine Aufmerksamkeit, deine ungeteilte Aufmerksamkeit. Er machte eine Pause und sah mich an. Unwillkrlich mute ich nervs lachen. I c h wute, da er die dramatische Spannung des Augenblicks hinauszgerte, so gut es ging. Dies sage ich dir nicht aus Effekthascherei, sagte er, als habe er meine Gedanken gelesen. Ich will dir nur Zeit geben, dich richtig darauf e i n z u s t e l l e n . In diesem Augenblick b l i e b der Kellner vor unserem Tisch stehen, um zu verknden, da es das, was wir bestellt hatten, nicht gab. Don Juan lachte laut heraus und bestellte Tortillas und Bohnen. Der Kellner lachte verchtlich und meinte, so

etwas wrde hier nicht serviert. Er schlug statt dessen Steaks oder Hhnchen vor. Wir einigten uns auf eine Suppe. Wir aen schweigend. Die Suppe schmeckte mir nicht, und ich konnte sie nicht aufessen, aber Don Juan a seinen Teller leer. Ich habe einen Anzug angezogen, sagte er unvermittelt, um dir etwas zu verstehen zu geben, etwas, was du bereits weit, was aber einer Klrung bedarf, wenn es fr dich wirksam werden soll. Ich habe bis j e t z t gewartet, weil Genaro meint, da du nicht nur gewillt sein mut, den Weg des Wissens auf dich zu nehmen, sondern da deine Bemhungen selbst makellos genug sein mssen, um dich dieses Wissens wrdig zu erweisen. Du hast es gut gemacht. Jetzt will ich dir die Erklrung der Zauberer sagen. Wieder machte er eine Pause, rieb sich die Wangen und bewegte die Zunge im Mund, als ob er seine Zhne befhlte. Ich werde dir jetzt etwas ber das Tonal und das Nagual erzhlen, sagte er und sah mich e i n d r i n g l i c h an. Dies war das erste Mal, seit wir uns kannten, da er diese beiden Begriffe erwhnte. Aus der anthropologischen Literatur ber die Kulturen Zentralmexikos war ich ungefhr mit ihnen vertraut. Ich wute, da das Tonal (gesprochen t o h - n a ' h l ) als eine Art Schutzgeist - in der Regel ein Tier -vorgestellt wurde, den ein Kind bei der Geburt erhielt und mit dem es sein Leben lang eine enge Bindung unterhielt. Nagual (gesprochen: n a h ' w a ' h l ) war der Name des Tieres, in das ein Zauberer sich a n g e b l i c h verwandeln konnte, oder des Zauberers, der eine solche Verwandlung vornahm. Dies ist mein Tonal. sagte Don Juan und strich sich m it den Hnden ber die Brust. Dein Anzug? Nein, meine Person. Er klopfte sich auf die Brust, die Schenkel und die Rippen. All dies ist mein Tonal. Er erklrte, da jeder Mensch zwei Seiten habe, zwei getrennte Wesenheiten, zwei Gegenstcke, die im Augenblick der Geburt ihr Dasein aufnehmen: das e i n e h e i e das Tonal, das andere das Nagual. Ich erzhlte ihm , was die Anthropologen ber die beiden

Begriffe wten. Er lie mich reden, ohne mich zu unterbrechen. Meinetwegen. Was du auch darber zu wissen glaubst, es ist barer Unsinn, sagte er. Diese Behauptung grnde ich auf die Tatsache, da alles, was ich dir ber das Tonal und das Nagual sage, dir unmglich vorher htte gesagt werden knnen. Jeder Idiot wte, da du nichts darber weit, denn um mit diesen Begriffen vertraut zu sein, mtest du ein Zauberer sein, und das bist du nicht. Oder du httest darber mit einem Zauberer sprechen mssen, und das hast du nicht. Vergi also alles, was du bisher darber gehrt hast, denn es trifft nicht zu! Es war doch nur als Kommentar gemeint, sagte ich. Er hob die Brauen und schnitt ein komisches Gesicht. Deine Kommentare sind fehl am Platz, sagte er. Diesmal brauche ich deine ungeteilte Aufmerksamkeit, denn ich werde dich mit dem Tonal und dem Nagual vertraut machen. Die Zauberer haben ein besonderes, einzigartiges Interesse an diesem Wissen. Ich mchte sagen, Tonal und Nagual sind ausschlielich den Wissenden zugnglich. In deinem Fall ist dies sozusagen der Deckel, der alles abschliet, was ich dich bisher gelehrt habe. Darum habe ich bis _ j etzt gewartet, um dir davon zu erzhlen. Das Tonal ist nicht ein Tier, das ber einem Menschen wacht. Eher knnte man sagen, es ist ein Wchter, den man sich als ein Tier vorstellen kann. Aber dies ist nicht die entscheidende Frage. Er lchelte und zwinkerte mir zu. Ich will jetzt mal deine eigenen Worte gebrauchen, sagte er. Das Tonal ist die soziale Person. Er lachte, wie ich annahm, ber mein bestrztes Gesicht. Das Tonal gilt, mit Recht, als ein Beschtzer, ein Wchter -ein Wchter, der sich meistens in einen Wrter verwandelt. Ich fummelte an meinem Notizbuch herum. Ich versuchte mitzubekommen, was er sagte. Er lachte und ffte meine nervsen Bewegungen nach. Das Tonal ist der Organisator der W e l t , fuhr er fort. V i e l l e i c h t kann man seine gewaltige Arbeit am besten beschreiben, wenn man sagt, da auf s e i n e n Schultern die Auf-

gbe ruht, das Chaos der Welt zu ordnen. Es ist nicht zu weit hergeholt, wenn man - wie die Zauberer - behauptet, da alles, was wir als Menschen wissen und t u n , das Werk des Tonal ist. Im Augenblick zum Beispiel ist es dein Tonal, das versucht, unser Gesprch zu verstehen. Ohne dieses gbe es nur komische Gerusche und Grimassen, und du wrdest nichts von alledem verstehen, was ich sage. Ich sage also, das Tonal ist ein Wchter, der etwas Kostbares bewacht, unser ganzes Sein. Daher ist es eine wesentliche Eigenschaft des Tonal, da es bei seinem Tun vorsichtig und bedachtsam ist. Und da seine Taten der bei weitem wichtigste Teil unseres Lebens sind, ist es kein Wunder, da es sich schlielich bei j e d e m von uns aus einem Wchter in einen W rter verwandelt. Er h i e l t inne und fragte mich, ob ich verstanden htte. Automatisch nickte ich besttigend, und er lchelte mit unglubiger Miene. Ein Wchter ist grozgig und verstndnisvoll, erklrte er. Ein Wrter dagegen ist ein Sicherheitsorgan, engherzig und meistens despotisch. Ich behaupte also, da das Tonal bei uns allen zu einem kleinlichen, despotischen Wrter gemacht wird, whrend es doch ein grozgiger Wchter sein sollte. Zweifellos konnte ich dem Gang seiner Erluterung nicht folgen. Ich hrte zwar jedes Wort und schrieb es mit, und doch hing ich irgendwie einem eigenen inneren Dialog nach. Es f l l t mir sehr schwer, dir zu folgen, sagte ich. W rdest du dich nicht an dein Selbstgesprch klammern, dann httest du keine Schwierigkeiten, sagte er scharf. Diese Bemerkung v e r a n l a t e mich zu einer langen, weitschweifigen Erklrung. Schlielich f i n g ich mich wieder und entschuldigte mich fr meine beharrliche Selbstrechtfertigung. Er lchelte und machte eine Gebrde, die anzudeuten schien, da er sich nicht wirklich ber mein Verhalten gergert hatte. Das Tonal, das ist alles, was wir sind, fuhr er fort. Schau dich um! Alles, wofr wir Wrter haben, ist das Tonal. Und da das Tonal nichts anderes ist als sein eigenes Tun, mu folglich alles in seine Sphre fallen.

Ich erinnerte ihn daran, da er gesagt hatte, das Tonal sei die soziale Person - ein Begriff, den ich selbst ihm gegenber verwendet hatte, um den Menschen als Endresultat von Sozialisierungsprozessen zu bezeichnen. Falls das Tonal dieses Produkt sei, fhrte ich aus, knne es nicht alles sein, wie er gesagt hatte, denn die uns umgebende Welt sei nicht das Produkt einer Sozialisation. Don Juan verwies mich darauf, da mein Einwand fr ihn gegenstandslos sei, denn er habe mir schon vor langem erklrt, da es keine Welt schlechthin gebe, sondern nur eine Beschreibung der Welt, die wir uns vorzustellen und als gesichert hinzunehmen gelernt htten. Das Tonal ist alles, was wir kennen, sagte er. Ich meine, dies allein ist ein zureichender Grund, warum das Tonal eine so berragende Bedeutung h a t . Er lie eine Pause entstehen. Zweifellos wartete er auf eine Bemerkung oder Frage von mir, aber mir f i e l nichts ein. Dennoch fhlte ich mich v e r p f l i c h t e t , eine Frage zu stellen. und so bemhte ich mich, etwas Passendes zu formulieren. Es gelang mir nicht. Vielleicht, so meinte ich, wirkten die Warnungen, mit denen er unser Gesprch erffnet hatte, als Abschreckung gegen jegliches Nachfragen meinerseits. Ich war seltsam betubt. Ich konnte meine Gedanken nicht sammeln noch ordnen. Tatschlich sprte und wute ich ohne den leisesten Zweifel, da ich nicht zu denken vermochte, und doch wute ich dies, ohne es zu denken, wenn so etwas berhaupt mglich war. Ich blickte Don Juan an. Er starrte auf meine Krpermitte. Dann hob er den Blick, und sofort kehrte mein klares Denken wieder. Das Tonal ist alles, was wir kennen, wiederholte er l a n g sam. Und dies schliet nicht nur uns als Personen ein, sondern alles in unserer Welt. Man kann sagen, das Tonal ist alles, worauf unser Auge fllt. Bereits im Augenblick unserer Geburt beginnen wir es zu hegen und zu pflegen. In dem Moment, da wir den ersten Atemzug tun, atmen wir auch Kraft fr das Tonal ein: es t r i f f t also zu, da das Tonal eines Menschen eng mit seiner Geburt verbunden ist.

Dieses Faktum mut du im Sinn behalten. Es ist sehr wichtig, um all dies zu verstehen. Das Tonal beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Ich wollte alle seine Behauptungen gern noch einmal zusammenfassen. Ich war sogar schon so weit, da ich meinen Mund aufmachte, um ihn zu bitten, mir die wesentlichen Punkte unseres Gesprchs zu wiederholen, aber zu meiner Verwunderung konnte ich k e i n Wort hervorbringen. Ich erlebte eine ganz eigenartige Lhmung, meine Zunge war schwer, und ich hatte keinerlei Kontrolle ber diese Empfindung. Ich schaute Don Juan an, um ihm zu verstehen zu geben, da ich nicht sprechen konnte. Wieder starrte er auf meine Magengegend. Er hob den Blick und fragte, wie ich mich f h l t e . Die Wrter sprudelten nur so aus mir heraus, als sei ein Riegel fortgeschoben worden. Ich erzhlte ihm, da ich gerade das eigenartige Gefhl gehabt htte, nicht sprechen noch denken zu knnen, dennoch seien meine Gedanken kristallklar gewesen. Deine Gedanken waren also k r i s t a l l k l a r ? fragte er. Nun erkannte ich. da diese K l a r h e i t sich nicht auf meine Gedanken, sondern auf meine Wahrnehmung der Welt bezog. Machst du eigentlich irgend etwas mit mir. Don J u a n ? fragte ich. Ich versuche, dich davon zu berzeugen, da deine Einwnde unntig sind, sagte er und lachte. Du meinst, du mchtest nicht, da ich Fragen s t e l l e ? Nein. nein. Frag nur alles, was du willst, aber la nicht in deiner Aufmerksamkeit nach. Ich mute zugeben, da ich durch die Ungeheuerlichkeit des Themas zerstreut gewesen war. Ich verstehe immer noch nicht, Don J u a n , was du mit der Feststellung meinst, da das Tonal Alles sein soll, meinte ich nach kurzer Pause. Das Tonal ist das, was die Welt s c h a f f t . Ist das Tonal der Schpfer der Welt? Don Juan kratzte sich am Kopf. Das Tonal schafft die Welt - das ist nur eine b i l d l i c h e Redeweise. Es kann nichts erschaffen oder verndern, und

doch schafft es die Welt, denn es ist seine Funktion, zu urteilen, zu bewerten und zu bezeugen. Ich sage, das Tonal schafft die Welt, denn es bezeugt und bewertet sie gem den Regeln des Tonal. Auf ganz seltsame Weise ist das Tonal ein Schpfer, der nichts erschaffen kann. Mit anderen Worten, das Tonal stellt die Regeln auf, nach denen es die Welt begreift. Also erschafft es sozusagen die Welt. Er summte ein volkstmliches Lied, wobei er den Rhythmus mit den Fingern auf der Stuhllehne trommelte. Seine Augen leuchteten; sie schienen Funken zu sprhen. Er lachte und schttelte den Kopf. Du kannst mir nicht folgen, sagte er lachend. Aber doch! Es macht mir keine Mhe, sagte ich, aber es klang nicht sehr berzeugend. Das Tonal K\ eine Insel, erklrte er. Am besten kann man es beschreiben, wenn man sagt, dies hier ist das Tonal. Er strich mit der Hand ber die Tischplatte. Man kann sagen, das Tonal ist wie diese Tischplatte. Eine Insel. Und auf dieser Insel haben wir alles mgliche. Diese Insel ist also die Welt. Hier gibt es ein persnliches Tonal fr jeden von uns. und da ist zu _ jedem gegebenen Zeitpunkt ein kollektives fr uns alle, das wir als das Tonal der Zeiten bezeichnen knnen. Er deutete auf die Tischreihen im Restaurant. Schau! Jeder Tisch zeigt das gleiche Bild. Auf a l l e n gibt es gewisse Gegenstnde. Doch sie unterscheiden sich im einzelnen von einander. Auf manchen Tischen findet sich mehr als auf anderen. Verschiedene Speisen stehen auf ihnen, verschiedene Teller, da ist eine unterschiedliche Atmosphre, und doch mssen wir zugeben, da alle Tische in diesem Restaurant sich sehr hnlich sind. Das gleiche gilt fr das Tonal. Man kann sagen, es ist das Tonal der Zeiten, was uns einander hnlich macht, genau wie es alle Tische in diesem Restaurant sich gleichen lt. Dennoch ist jeder Tisch fr sich ein Einzelfall, genau wie das persnliche Tonal eines j e d e n von uns. Doch das entscheidende Faktum, das wir nicht vergessen drfen, ist, da alles, was wir ber uns selbst und ber unsere Welt wissen, sich auf der Insel des Tonal befindet. Siehst du. was ich meine?

Wenn das Tonal all das ist, was wir ber uns und unsere Welt wissen, was ist dann das Nagual? Das Nagual ist derjenige Teil von uns, der uns ganz unzugnglich ist. Wie bitte? Das Nagual ist der Teil von uns, f r den es keine Beschreibung gibt - keine Wrter, keine Namen, keine Gefhle, kein Wissen. Das ist ein Widerspruch, Don Juan. Wenn es nicht gefhlt oder beschrieben oder benannt werden kann, dann kann es meiner Meinung nach nicht existieren. Nur deiner Meinung nach ist es ein Widerspruch. Ich habe dich schon gewarnt, bring dich nicht um im Bemhen, dies zu verstehen. W rdest du sagen, das das Nagual der Geist ist? Nein. Der Geist ist nur ein Gegenstand auf dem Tisch. Der Geist ist Teil des Tonal. Sagen wir einmal, der Geist ist diese Chiliflasche. Er nahm eine Gewrzflasche und stellte sie vor mir auf den Tisch. Ist das Nagual die Seele? Nein. Auch die Seele gibt es auf dem Tisch. Nehmen wir einmal an, die Seele sei der Aschenbecher. Sind es die Gedanken der Menschen? Nein. Auch die Gedanken sind auf dem Tisch. Die Gedanken sind das Besteck hier. Er nahm eine Gabel und legte sie neben die Chiliflasche und den Aschenbecher. Ist es ein Zustand der Gnade? Der Himmel? Nein, das auch nicht. Das. was es auch sein mag. ist ebenfalls Teil des Tonal. Sagen wir, es sei die Serviette. Ich fuhr fort und zhlte alle Mglichkeiten der Beschreibung auf fr das, was er meinen mochte: Intellekt, Psyche, Energie, Lebenskraft, Unsterblichkeit. Lebensprinzip. Fr j e d e n Begriff, den ich nannte, fand er auf dem Tisch einen Gegenstand, den er als Gegenstck benutzte und vor mir aufbaute, bis er alle auf dem Tisch befindlichen Objekte auf einem Haufen versammelt hatte. Don Juan schien die ganze Sache ungeheuren Spa zu ma-

chen. Er kicherte und rieb sich die Hnde, sooft ich eine weitere Mglichkeit erwhnte. Ist das Nagual das hchste Wesen? Der Allmchtige, Gott? Nein. Auch Gott gibt es auf dem Tisch. Nehmen wir an, Gott sei das Tischtuch. Er machte eine spaige Gebrde, als wolle er das Tischtuch an den Zipfeln hochheben, um es ber die anderen Gegenstnde zu breiten, die er vor mir aufgestellt hatte. Aber sagtest du nicht, da Gott nicht existiert? Nein. Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte nur, da das Nagual nicht Gott ist, denn Gott ist ein Gegenstand unseres persnlichen Tonal und des Tonal der Zeiten. Wie schon gesagt, das Tonal ist alles, woraus die Welt sich, wie wir glauben, zusammensetzt - einschlielich Gott, natrlich. Gott hat nicht mehr Bedeutung, als da er ein Teil des Tonal unserer Zeit ist. In meinem Verstndnis, Don Juan, ist Gott alles. Sprechen wir berhaupt ber dasselbe? Nein. Gott ist nur all das, was du zu denken vermagst, daher ist er, genaugenommen, nur einer unter den Gegenstnden auf der Insel. Man kann Gott nicht willentlich erleben, man kann nur ber ihn sprechen. Das Nagual hingegen steht dem Krieger zu Gebot. Man kann es erleben, aber man kann nicht darber sprechen. Wenn das Nagual keines der Dinge ist. die ich genannt habe, kannst du mir dann v i e l l e i c h t etwas ber seinen Aufenthaltsort sagen? Wo ist es? Don Juan fegte mit der Hand durch die Luft und wies auf den Raum auerhalb der Tischkanten. Er bewegte die Hand, als wollte er eine imaginre Oberflche subern, die ber die Kanten des Tisches hinausreichte. Das Nagual ist dort, sagte er. Dort, es umgibt die Insel. Das Nagual ist dort, wo die Kraft schwebt. Vom Augenblick unserer Geburt an fhlen wir, da wir aus zwei Teilen bestehen. Zum Zeitpunkt der Geburt und noch kurz danach sind wir nur Nagual. Dann fhlen wir, da wir. um zu funktionieren, ein Gegenstck zu dem brauchen, was wir haben. Was fehlt, ist das Tonal, und dies gibt uns von

Anfang an ein Gefhl der Unvollkommenheit. Dann fngt das Tonal an zu wachsen, und es wird ungemein wichtig, so wichtig, da es den Glanz des Nagual verdunkelt, es zurckdrngt. Von dem Augenblick an, da wir ganz Tonal sind, tun wir nichts anderes, als _ jenes alte Gefhl der Unvollkommenheit zu verstrken, das uns seit dem Augenblick unserer Geburt begleitet und das uns bestndig sagt, da es noch einen anderen Teil braucht, um u n s zu vervollstndigen. Von dem Augenblick an. da wir ganz Tonal werden, fangen wir an, Paare zu bilden. Wir fhlen unsere zwei Seiten, aber wir s t e l l e n sie uns immer nur anhand von Gegenstnden des Tonal vor. So sagen wir. da unsere zwei Teile Krper und Seele sind. Oder Geist und Materie. Oder Gut und Bse. Gott und Satan. Aber nie erkennen wir. da wir nur Gegenstnde unserer Insel zu Paaren zusammenfassen, ganz h n l i c h wie wenn wir Kaffee u n d Tee. Brot und Tortillas, Chili und Senf paarweise bezeichnen. Wir sind komische Wesen, sage ich dir. Wir tappen im Dunkel, und in unserer Torheit machen wir uns vor, alles zu verstehen. Don Juan stand auf und sprach mich an, als sei er ein Volksredner. Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich und lie seinen Kopf zittern. Der Mensch bewegt sich nicht zwischen Gut und Bse, sagte er in einem frhlich rhetorischen Tonfall und griff mit beiden Hnden nach Pfeffer und Salz. I n Wirklichkeit bewegt er sich zwischen Negativitt und Positivitt. Er lie die Salzund Pfefferstreuer f a l l e n und griff nach Messer und Gabel. Du irrst! Es gibt keine Bewegung, fuhr er fort, als ob er sich selbst widersprche. Der Mensch ist nur Geist! Er griff zur Chiliflasche hob sie hoch. Dann stellte er sie hin. Wie du siehst, sagte er leise, k n n e n w i r ohne weiteres Chiliflasche fr Geist einsetzen und schlielich f e s t s t e l l e n : Der Mensch ist nur Chilisoe! Wenn wir dies t u n , machen wir uns nur noch verrckter, als wir schon sind. Ich frchte, ich habe nicht die richtige Frage g e s t e l l t , sagte ich. V i e l l e i c h t verstnden w i r uns besser, wenn ich fragte, was sich im e i n z e l n e n in diesem Raum auerhalb der Insel befindet?

Das zu beantworten ist unmglich. Wrde ich sagen: Nichts, dann wrde ich das Nagual nur zu einem Teil des Tonal machen. Man kann nichts anderes sagen, als da man dort, jenseits der Insel, das Nagual findet. Aber wenn du es das Nagual nennst, bringst du es dann nicht ebenfalls auf der Insel unter? Nein. Ich habe ihm nur einen Namen gegeben, weil ich dich darauf aufmerksam machen wollte. Na schn! Aber indem ich darauf aufmerksam werde, tue ich doch den Schritt, der das Nagual zu einem weiteren Gegenstand meines Tonal macht. Ich frchte, du verstehst nicht. Ich habe das Tonal und das Nagual als ein echtes Paar benannt. Etwas anderes habe ich nicht getan. Er erinnerte mich daran, da ich einmal, als ich ihm erklren wollte, warum mir so viel am Sinn der Wrter gelegen sei, die Vorstellung errtert hatte, da Kinder vielleicht nicht imstande sind, den Unterschied zwischen Vater und Mutter zu verstehen, bevor sie nicht eine Entwicklungsstufe erreicht haben, auf der sie mit Sinn umgehen knnen, und da sie vielleicht glauben konnten, Vater bedeute, >Hosen tragen<, und Mutter bedeute, >Rcke trgem - oder andere Unterschiede hinsichtlich Haartracht, Krpergre oder Kleidung. Sicher tun wir dasselbe mit unseren zwei Teilen, sagte er. Wir fhlen, da es noch eine andere Seite von uns gibt. Aber sobald wir versuchen, diese andere Seite festzumachen, gelangt das Tonal ans Ruder, und als Kommandant ist es ziemlich kleinlich und eiferschtig. Es blendet uns mit seiner List und zwingt uns, auch noch die leiseste Ahnung von dem anderen Teil des echten Paares, dem Nagual. auszutilgen.

Der Tag des Nagual

Als wir das Restaurant verlieen, sagte ich zu Don Juan, da er recht gehabt habe, mich vor der Schwierigkeit des Themas zu warnen, und da meine i n t e l l e k t u e l l e n Fhigkeiten nicht ausreichten, um seine Begriffe und Erklrungen zu verstehen. Ich schlug vor. ich sollte v i e l l e i c h t in mein Hotel gehen und meine Aufzeichnungen noch einmal durchlesen, um ein besseres Verstndnis des Themas zu gewinnen. Er suchte mich zu beruhigen. Er meinte, ich regte mich ber Wrter auf. Whrend er sprach, versprte ich ein Frsteln, und einen Augenblick fhlte ich. da es tatschlich einen anderen Bereich in mir gab. Ich berichtete Don Juan, ich htte gewisse, unerklrliche Empfindungen. Meine uerung weckte anscheinend seine Neugier. Ich e r z h l t e ihm, ich htte diese Empfindungen schon vorher gehabt, und anscheinend seien es momentane Entgleisungen, ein Aussetzen meiner Bewutseinsvorgnge. Sie manifestierten sich stets als krperlicher Schock, gefolgt von dem Gefhl, da irgend etwas mich in der Schwebe hielt. Wir gingen gemchlich stadteinwrts. Don Juan bat mich, ihm diese Entgleisungen ausfhrlich zu beschreiben. Es fiel mir schwer, sie zu schildern, auer da ich sie als momentane Vergelichkeit, geistige Abwesenheit oder als Nichtwissen um mein Tun bezeichnen konnte. Geduldig wehrte er ab. Er wies darauf hin, ich sei ein sehr anspruchsvoller Mensch, htte ein hervorragendes Gedchtnis und sei in meinem Handeln sehr umsichtig. Zuerst hatte ich gemeint, da diese eigenartigen Entgleisungen mit dem Abstellen des inneren Dialogs verbunden seien, doch ich erlebte sie auch, whrend ich extensive Selbstgesprche fhrte. Sie schienen aus e i n e r Region meines Inneren herzurhren, die ganz unabhngig von allen bewuten Vorgngen war. Don Juan klopfte mir auf den Rcken. Er lchelte mit sichtlichem Vergngen. Endlich beginnst du die richtigen Zusammenhnge zu erkennen, sage er.

Ich bat ihn, diese geheimnisvolle Feststellung zu erlutern, aber er brach das Gesprch abrupt ab und forderte mich auf. ihn in einen kleinen Park neben e i n e r Kirche zu begleiten. Dies ist das Ende unseres Spaziergangs durch die S t a d t , sagte er und setzte sich auf eine Bank. H i e r haben wir einen ganz idealen Platz, um die Leute zu beobachten. Die e i n e n gehen auf der Strae vorber, und andere kommen aus der Kirche. Von hier aus knnen wir jeden sehen. Er deutete auf eine breite Geschftsstrae und auf e i n e n Kiesweg, der zur Treppe vor der Kirche fhrte. Unsere Bank stand halbwegs zwischen Kirche und Strae. Das ist meine Lieblingsbank, sagte er und streichelte das Holz. Er zwinkerte mir zu und fuhr grinsend f o r t : Sie liebt mich. Deshalb sa auch kein anderer hier. Sie wute, da ich kommen wrde. Das wute die Bank? Nein! Nicht die Bank. Mein Nagual. Hat das Nagual ein Bewutsein? Ist es sich der Dinge bewut? Selbstverstndlich. Es wei alles. Daher f i n d e ich auch deinen Bericht so interessant. Was du Entgleisungen und Gefhle nanntest, ist das Nagual. Wollten wir darber sprechen, dann mten wir bei der Insel des Tonal Anleihen machen, darum ist es praktischer, es nicht zu erklren, sondern n u r von seinen Auswirkungen zu berichten. Ich wollte noch etwas ber diese eigenartigen Empfindungen sagen, aber er gebot mir Schweigen. Genug! Heute ist nicht der Tag des .Nagual. heute ist der Tag des Tonal, sagte er. Ich habe meinen Anzug angelegt, weil ich heute ganz Tonal bin. Er lie seinen Blick auf mir ruhen. Ich w o l l t e ihm gerade sagen, da unser Thema mir schwieriger erschien als alles andere, was er mir je erklrt h a t t e : er s c h i e n meine Worte erahnt zu haben. Es ist schwierig, fuhr er f o r t . Ich wei. Aber wenn du bedenkst, da dies der abschlieende Deckel, die letzte Stufe dessen ist, was ich dich gelehrt habe, dann ist es nicht bertrie-

ben zu behaupten, da es alles umfat. was ich seit dem ersten Tag. als w i r uns begegneten, gesagt habe. Lange Zeit schwiegen wir. Ich meinte, ich msse warten, bis er seine Erklrung noch einmal zusammenfate. aber pltzlich berfiel mich eine Ahnung, und ich fragte schnell: Sind das Nagual und das Tonalm uns selbst 0 Er sah mich eindringlich an. Eine sehr schwierige Frage, sagte er. Du wrdest sagen, sie sind in uns. Ich wrde sagen, sie sind es nicht, aber keiner von uns htte r e c h t . Das Tonal deiner Zeit verlangt, da du behauptest, alles, was mit deinen Gefhlen und Gedanken zu tun hat, finde in dir statt. Das Tonal der Zauberer sagt, im Gegenteil, alles ist drauen. Wer hat nun recht? Keiner von beiden. Drinnen oder drauen - darauf kommt es wirklich nicht an. Ich erhob einen Einwand. Als er ber das Tonal und das Nagual gesprochen hatte, sagte ich, da habe es so geklungen, als gebe es noch einen dritten Teil. Er hatte gesagt, das Tonal zwinge uns, Handlungen zu tun. Ich bat ihn nun, mir zu sagen, wer f r ihn derjenige sei. der gezwungen werde. Er antwortete mir nicht d i r e k t . Dies l t sich nicht so einfach e r k l r e n , sagte er. Ganz gleich, wie schlau die Kontrollen des Tonal sind -Tatsache ist, da das Nagual dennoch auftaucht. Sein Auftauchen geschieht jedoch immer unabsichtlich. Es ist die groe Kunst des Tonal, jegliche Bekundung des Nagual so weitgehend zu unterdrkken, da es. selbst wenn sein Dasein das Offenkundigste von der Welt wre, unbemerkbar bleibt. Fr wen ist es unbemerkba r'1 Er lachte und nickte mit dem Kopf. Ich bedrngte ihn um eine Antwort. Fr das Tonal. sagte er. Ich spreche ausschlielich vom Tonal. V i e l l e i c h t bewege ich mich im Kreis, aber das darf dich nicht berraschen oder stren. Ich habe dich bereits gewarnt, wie schwierig es ist. was ich dir zu sagen habe. Ich nehme all diese Verrenkungen auf mich, weil mein Tonal sich dessen bewut ist. da es ber sich selbst spricht. Mit anderen Worten, mein Tonal benutzt sich selbst, um die Information zu verstehen, ber die dein Tonal sich klarwerden soll. Man kann

sagen, da das Tonal, da es genau wei, wie strapazis es ist. von sich selbst zu sprechen, zum Ausgleich die Begriffe >ich<, >mich< usw. geschaffen hat, und mit deren Hilfe kann es mit anderen Tonais oder mit sich selbst ber sich selbst sprechen. Wenn ich nun sage, da das Tonal uns zwingt, etwas zu tun. dann meine ich nicht, da es noch ein Drittes gbe. Offensichtlich zwingt es sich selbst, seine eigenen Einsichten zu befolgen. Doch bei bestimmten Gelegenheiten oder unter gewissen, besonderen Umstnden wird etwas im Tonal sich dessen bewut, da es in uns noch etwas anderes gibt. Es ist wie eine Stimme, die von tief innen kommt, die Stimme des Nagual. Du siehst, die Ganzheit unseres Selbst ist ein natrlicher Zustand, den das Tonal nicht gnzlich austilgen kann, und es gibt Augenblicke, besonders im Leben eines Kriegers, da die Ganzheit in Erscheinung tritt. In solchen Augenblicken knnen wir mutmaen und anschtzen. was wir wirklich sind. Jene Schocks, die du versprt hast, haben mich besonders interessiert, denn dies ist die Art, wie das Nagual auftaucht. In solchen Augenblicken wird das Tonal sich der Ganzheit unseres Selbst bewut. Dies ist stets ein Schock, denn dieses Bewutsein unterbricht die Windstille. Dieses Bewutsein nenne ich die Ganzheit des Wesens, das wei, da es sterben wird. Man kann es sich so vorstellen, da im Augenblick des Todes der andere Partner des echten Paares, das Nagual, voll in Funktion tritt und das in unseren Waden und Schenkeln, im Rcken, in den Schultern und im Hals gespeicherte Bewutsein - unsere Erinnerungen und Wahrnehmungen - sich auszudehnen und aufzulsen beginnt. Wie die Perlen einer endlosen, zerrissenen Halskette f a l l e n sie, ohne die bindende Kraft des Lebens, auseinander. Er blickte mich an. Seine Augen waren v o l l e r Frieden. Ich fhlte mich unwohl, blde. Die Ganzheit unseres Selbst ist eine sehr dehnbare Sache, sagte er. Wir brauchen nur einen sehr geringen Teil davon, um die kompliziertesten Aufgaben des Lebens zu bewltigen. Doch wenn wir sterben, dann sterben wir mit der Ganzheit

unseres Selbst. Ein Zauberer stellt sich die Frage: Wenn wir schon mit der Ganzheit unseres Selbst sterben, warum dann nicht mit dieser Ganzheit leben? Durch eine Kopfbewegung forderte er mich auf, die vielen vorbeigehenden Menschen zu beobachten. Sie alle sind Tonal-, sagte er. Ich werde j e t z t etliche von ihnen herausgreifen, damit dein Tonal sie beurteilt, und indem es sie beurteilt, wird es sich selbst beurteilen. Er lenkte meine Aufmerksamkeit auf zwei alte Damen, die eben aus der Kirche kamen. Sie standen einen Moment oben auf der Steintreppe und schickten sich nun an, mit unendlicher Vorsicht herabzusteigen, wobei sie auf jeder Stufe stehenblieben. Schau dir diese zwei Frauen sehr genau an, sagte er. Aber betrachte sie nicht als Personen oder als Gestalten, die etwas mit uns gemeinsam haben. >Betrachte sie als Tonais.< Die beiden Frauen erreichten den Fu der Treppe. Sie bewegten sich ber den groben Kies, als seien es lauter Murmeln, auf denen sie auszugleiten und hinzufallen frchteten. Sie gingen Arm in Arm und sttzten sich mit ihrem ganzen Gewicht auf einander. Schau sie an! sagte Don Juan leise. Diese Frauen sind das beste Beispiel fr das erbrmlichste Tonal, das man finden kann. Die beiden Frauen waren, wie ich feststellte, zartgliedrig. aber fett. Sie waren vielleicht Anfang Fnfzig. Ihre Gesichter zeigten einen schmerzlichen Ausdruck, als habe der Weg ber die Kirchentreppe hinunter all ihre Krfte berfordert. Nun w a r e n sie vor uns, sie schwankten einen Augenblick und blieben dann stehen. Vor ihnen lag nur noch ein Schritt auf dem Kiesweg. Seien Sie vorsichtig, meine Damen! r i e f Don Juan und sprang mit gespieltem Eifer auf. Die Frauen sahen ihn an - offensichtlich verwirrt durch seinen pltzlichen Ausbruch. Genau an dieser Stelle hat meine Mutter sich einmal das Hftgelenk gebrochen, fgte er hinzu und scho hinber, um ihnen behilflich zu sein. Sie dankten ihm berschwnglich, und er riet ihnen, sie m-

ten, f a l l s sie einmal das Gleichgewicht verlieren und h i n f a l l e n sollten, reglos auf dem Fleck liegenbleiben, bis der Krankenwagen kme. Dies sagte er in vllig ernstem, berzeugendem Ton. Die Frauen bekreuzigten sich. Don Juan setzte sich wieder. Seine Augen strahlten. Er sprach leise weiter. Diese Frauen sind gar nicht so alt, und ihre Krper sind nicht so schwach, und doch sind sie hinfllig. Alles an ihnen ist trostlos, ihre Kleidung, ihr Geruch, ihr Verhalten. Warum, glaubst du. sind sie so? Vielleicht wurden sie so geboren, meinte ich. Niemand wird so geboren. Wir machen uns selbst dazu. Das Tonal dieser Frauen ist schwach und verzagt. Ich sagte dir _ ja, heute ist der Tag des Tonal. Ich meinte damit, da ich mich heute ausschlielich mit diesem befassen will. Ich sagte dir auch, da ich zu diesem besonderen Zweck meinen Anzug angezogen habe. Damit wollte ich dir zeigen, da ein Krieger mit seinem Tonal auf ganz bestimmte, sorgsame Weise umgeht. Ich habe dich auch darauf aufmerksam gemacht, da mein Anzug tadellos gearbeitet ist und da alles, was ich heute trage, mich perfekt kleidet. Nicht meine Eitelkeit wollte ich dir damit beweisen, sondern meinen Krieger-Geist, mein Krieger- Tonal. Diese beiden Frauen haben dir heute deinen erster, Eindruck vom Tonal gegeben. Das Leben kann mit dir ebenso erbarmungslos sein wie mit ihnen, wenn du sorglos mit deinem Tonal umgehst. Mich selbst mchte ich einmal als Gegenbeispiel anfhren. Falls du mich recht verstehst. brauche ich dies nicht nher zu erlutern. Pltzlich wurde ich unsicher und bat ihn. mir genauer zu sagen, was ich verstanden haben sollte. Wahrscheinlich k l a n g meine Stimme hoffnungslos. Er lachte laut heraus. Schau dir diesen jungen Mann in grnen Hosen und e i n e m rosa Hemd an! f l s t e r t e Don Juan und deutete auf einen sehr mageren, sehr dunkelhutigen jungen Mann mit scharfen Gesichtszgen, der beinahe vor uns stand. Er schien unentschlossen, ob er sich zur Strae oder zur Kirche wenden sollte. Zweimal hob er die Hand in Richtung Kirche, als spreche er

mit sich selbst und sei im Begriff, dorthin zu gehen. Dann starrte er mich mit ausdruckslosem Gesicht an. Schau nur. wie er angezogen ist! flsterte Don J u a n . Schau dir diese Schuhe an! Die Kleidung des jungen Mannes war zerlumpt und z e r k n i t t e r t und seine Schuhe hingen in Fetzen. Er ist offenbar sehr arm, sagte ich. Ist das alles, was du ber ihn zu sagen w e i t ? fragte er. Ich z h l t e eine Reihe von Grnden auf, die das schbige Aussehen des _ jungen Mannes e r k l r e n mochten: Krankheit. Unglck, Nachlssigkeit. Gleichgltigkeit gegenber s e i n e m ueren oder auch die Mglichkeit, da er gerade aus dem Gefngnis entlassen worden war. Don Juan meinte, ich s p e k u l i e r t e blo drauflos und er habe kein Interesse, irgend etwas durch den Hinweis zu r e c h t f e r t i gen, da der Mann ein Opfer unberwindlicher Schwierigkeiten sei. Vielleicht ist er ein Geheimagent, der sich w i e ein Strolch ausstaffiert hat, scherzte ich. Der junge Mann bewegte sich mit fahrigen S c h r i t t e n auf die Strae zu. Er ist nicht wie ein Strolch a u s s t a f f i e r t , er ist ein Strolch, sagte Don Juan. Schau nur. wie schwchlich sein Krper ist! Seine Arme und Beine sind ausgemergelt. Er kann kaum gehen. Niemand kann vortuschen, so auszusehen. Irgend etwas an ihm ist von Grund auf falsch, aber es sind nicht seine ueren Umstnde. Ich betone noch e i n m a l , ich mchte, da du diesen Mann als Tonal betrachtest. Was folgt daraus, wenn man einen Mann als Tonal betrachtet? Daraus folgt, da man aufhrt, ihn moralisch zu b e u r t e i l e n oder ihn mit der Begrndung zu entschuldigen, er sei wie ein hilfloses Blatt im Wind. Mit anderen Worten, es folgt daraus. da man einen Mann ansieht, ohne i h n dabei f r verzweifelt oder hilflos zu halten. Du weit genau, wovon ich spreche. Du kannst diesen jungen Mann beurteilen, ohne in zu v e r u r t e i l e n oder zu e n t s c h u l digen. Er trinkt zuviel, sagte ich.

Diese Feststellung hatte ich nicht willentlich getroffen. Ich hatte es einfach gesagt, ohne eigentlich zu wissen, warum. Einen Moment hatte ich sogar gemeint, es stehe jemand hinter mir und sagte diese W orte. Ich fhlte mich verpflichtet zu erklren, da meine Behauptung doch wieder nur eine meiner Spekulationen gewesen sei. Das ist nicht wahr, sagte Don Juan. Deine Stimme besa eine Festigkeit, die ihr vorher fehlte. Du hast nicht gesagt: Vielleicht ist er ein Trinker. Ich war verwirrt, wenngleich ich nicht genau zu sagen wute, warum. Don Juan lachte. Du hast durch den Mann hindurch gesehen, sagte er. Das war Sehen. So etwa ist das Sehen. Man uert sein Urteil mit groer Gewiheit, und man wei nicht, wie es dazu kam. Du weit, da das Tonal des jungen Mannes kaputt ist, aber du weit nicht, wieso du es weit. Irgendwie, mute ich zugeben, hatte ich diesen Eindruck gehabt. Du hast recht, sagte Don Juan. Es will gar nichts besagen, da er jung ist, er ist genauso hinfllig wie die zwei Frauen. Die Jugend ist keineswegs eine Schranke gegen den Verfall des Tonal. Du glaubtest, es gebe v i e l l e i c h t eine Menge Grnde fr den Zustand dieses Mannes. Ich meine, es gibt nur einen: sein Tonal. Doch es ist nicht so, da sein Tonal etwa schwach wre, weil er trinkt. Vielmehr umgekehrt, er t r i n k t , weil sein Tonal schwach ist. Diese Schwche zwingt i h n zu sein, was er ist. Aber dasselbe geschieht in der e i n e n oder anderen Form mit uns allen. Aber rechtfertigst du nicht e b e n f a l l s sein Verhalten, sobald du sagst, es sei sein Tonal?Ich gebe dir eine Erklrung, auf die du vorher nie gekommen wrest. Das ist aber keine Rechtfertigung oder Verurteilung. Das Tonal dieses jungen Mannes ist schwach und verzagt. Aber er steht nicht einzig da. Wir alle sitzen mehr oder minder im gleichen Boot. In diesem Augenblick ging ein sehr dicker Mann an uns vorber, in Richtung Kirche. Er trug einen teuren dunkel-

grauen Einreiher und hatte eine Aktentasche in der Hand. Sein Hemdkragen war aufgeknpft, und der Schlips hing locker herab. Er schwitzte bermig. Seine Haut war sehr hell, was die Schweiperlen noch sichtbarer machte. Beobachte ihn! befahl mir Don Juan. Der Mann ging mit kurzen, schweren Schritten. Sein Gang hatte etwas Plumpsendes an sich. Er ging nicht zur Kirche h i n a u f ; er ging auen herum und verschwand hinter ihr. Es ist doch nicht ntig, den Krper so schrecklich zu mihandeln, sagte Don Juan mit einem Anflug von Verachtung. Aber es ist eine traurige Tatsache, da wir alle es bis zur Perfektion gelernt haben, unser Tonal zu schwchen. Dies nenne ich Sichgehenlassen. Er legte die Hand auf mein Notizbuch und lie mich nicht weiterschreiben. Seine Begrndung l a u t e t e , ich knne mich nicht konzentrieren, solange ich mir dauernd Notizen machte. Er empfahl mir, mich zu entspannen, den inneren Dialog abzustellen und mich frei flieen zu lassen, um mit der beobachteten Person zu verschmelzen. Ich bat ihn zu erklren, was er mit Verschmelzen meinte. Er sagte, dies knne man nicht erklren, es sei vielmehr etwas, das der Krper fhlt oder tut, wenn er in beobachtenden Kontakt mit anderen Krpern tritt. Dann verdeutlichte er das Gesagte, indem er feststellte, er habe diesen Vorgang sonst als Sehen bezeichnet und es handle sich dabei um eine Pause echten Schweigens im Innern, gefolgt von einer ueren Verlngerung irgendeines Teils des Selbst - eine Verlngerung, die auf den anderen Krper treffe und mit i h m verschmelze oder mit allem, was sich in unserem Wahrnehmungsfeld finde. An diesem Punkt wollte ich mein Schreibzeug wieder aufnehmen, aber er gebot mir Einhalt und f i n g an, verschiedene Menschen aus der vorberziehenden Menge herauszugreifen. So machte er mich auf Dutzende von Personen aufmerksam, die den verschiedensten Typen von Mnnern, Frauen und Kindern aller Altersgruppen angehrten. Don Juan sagte, er habe absichtlich Menschen ausgewhlt, deren schwaches Tonal sich in ein Kategorienschema einordnen lasse, um mir dadurch die verschiedenen vorstellbaren Spielarten des Sich-gehenlassens vorzufhren.

Ich konnte mich nicht an all die Leute e r i n n e r n , die er mir gezeigt und ber die er gesprochen hatte. Ich beschwerte mich, da ich, h t t e ich mir Notizen gemacht, zumindest in Umrissen seine schematische Darstellung des Sichgehenlassens begriffen htte. Wie dem auch sei. er wollte es nicht wiederholen, oder vielleicht erinnerte er sich auch nicht mehr. Lachend meinte er. er entsinne sich nicht mehr, denn im Leben eines Zauberers sei nur das N a g u a l f r schpferische Hinfalle zustndig. Er sah zum Himmel auf und meinte, es sei schon spt und wir mten von nun an anders vorgehen. Statt uns mit schwachen Tonais zu befassen, wollten w i r jetzt auf das Erscheinen eines korrekten Tonal w a r t e n . Nur ein Krieger, fgte er hinzu, habe ein korrektes Tonal. u n d der normale Mensch knne bestenfalls ein richtiges Tonal haben. Nach etlichen Minuten des Wartens schlug er sich lachend auf die Schenkel. Schau, wer da kommt! sagte er und d e u t e t e mit e i n e r Kopfbewegung auf die Strae. Ganz, als ob sie . . . Ich sah drei Indianer nherkommen. Sie trugen braune Ponchos, weie Hosen, die bis zur halben Wade reichten, langrmelige Jacken, schmutzige, ausgetretene Sandalen und alte Strohhte. Jeder von ihnen trug ein Bndel auf dem R c k e n . Don Juan stand auf und ging i h n e n entgegen. Er sprach mit ihnen. Sie schienen berrascht und umringten ihn. Sie lchelten ihn an. Anscheinend e r z h l t e er i h n e n etwas ber mich; die drei drehten sich um und lchelten mir zu. Sie standen etwa drei bis vier Meter e n t f e r n t . Ich horchte aufmerksam, aber ich konnte nicht hren, was sie sagten. Don Juan g r i f f in die Tasche und reichte i h n e n ein paar Geldscheine. Sie schienen sich zu f r e u e n : sie scharrten nervs mit den Fen. Ich hatte sie sehr gern. Sie sahen aus w i e Kinder. Alle hatten sie kleine weie Zhne u n d sehr ansprechende, sanfte Gesichtszge. Einer, a l l e m Anschein nach der lteste, hatte e i n e n Schnurrbart. Seine Augen waren mde, aber freundlich. Er nahm den Hut ab und nherte sich der Bank. Die anderen folgten ihm. Die drei begrten mich einstimmig. Wir schttelten uns die Hand. Don J u a n bat mich, i h n e n etwas Geld zu geben. Sie bedankten sich, und nach

e i n e m hflichen Schweigen sagten sie Lebewohl. Don Juan setzte sich wieder, und wir sahen ihnen nach, wie sie in der Menge verschwanden. Ich sagte zu Don Juan, ich htte sie aus irgendeinem seltsamen Grund sehr gern gehabt. Das ist gar nicht so seltsam, sagte er. Du mut gefhlt haben, da ihr Tonal ganz richtig ist. Es ist richtig, aber nicht f r unsere Zeit. Wahrscheinlich sprtest du, da sie wie Kinder sind. Das sind sie. Und das ist sehr schwer fr sie. Ich verstehe sie besser als du, darum konnte ich nicht anders als eine Spur traurig sein. Die Indianer sind wie Hunde, sie haben nichts. Aber dies ist eben i h r Schicksal, und ich sollte nicht traurig darber sein. Meine Traurigkeit ist natrlich meine eigene Art, mich gehenzulassen. Woher kommen sie. Don J u a n ? Aus den Sierras. Sie sind hergekommen, um ihr Glck zu machen. Sie wollen Hndler werden. Sie sind Brder. Ich sagte ihnen, da ich ebenfalls aus der Sierra komme und selbst ein Hndler sei. Ich sagte i h n e n , du seist mein Partner. Das Geld, das wir i h n e n gaben, war ein Andenken. Solche Andenken sollte ein Krieger immer verschenken. Zweifellos brauchen sie das Geld, aber ihre Bedrftigkeit sollte kein entscheidender Grund sein, wenn man ein Andenken schenkt. Was man suchen mu. ist das Gefhl. Ich persnlich war v o n den dreien gerhrt. Die Indianer sind die Verlierer unserer Zeit. Ihr Niedergang fing mit den Spaniern an. und j e t z t , u n t e r der Herrschaft der Nachfahren _ j e n e r Spanier, haben die Indianer alles verloren. Es ist nicht bertrieben, wenn man sagt, da die I n d i a n e r ihr Tonalverloren haben. Ist das eine Metapher, Don Juan'? Nein! Es ist eine Tatsache. Das Tonal ist sehr v e r l e t z l i c h . Mihandlung ertrgt es nicht. Seit dem Tag. da der weie Mann seinen Fu auf dieses Land gesetzt hat. hat er systematisch nicht nur das indianische Tonal der Zeit, sondern auch das persnliche Tonal_ jedes einzelnen Indianers zerstrt. Man kann sich leicht vorstellen, da die Herrschaft der Weien fr den durchschnittlichen armen Indianer die reine Hlle ist.

Und doch ist es eine Ironie, da sie fr andere Indianer der reine Segen war. Von wem sprichst du? Welche anderen Indianer meinst du? Die Zauberer. Fr die Zauberer war die Conquista die Herausforderung ihres Lebens. Sie waren die einzigen, die nicht durch sie zerstrt wurden, sondern sich ihr anpaten und sie zu ihrem besten Vorteil nutzten. Wie war das mglich, Don Juan? Ich hatte stets den Eindruck, da die Spanier keinen Stein auf dem anderen gelassen haben. Nun, vielleicht strzten sie alle Steine um, die in Reichweite ihres eigenen Tonal lagen. Im Leben der Indianer aber gab es Dinge, die fr den weien Mann unbegreiflich waren. Diese Dinge bemerkte er nicht einmal. Vielleicht hatten die Zauberer einfach Glck, oder vielleicht war es ihr Wissen, das sie rettete. Nachdem das Tonal der Zeit und das persnliche Tonal jedes einzelnen Indianers ausgetilgt waren, hielten die Zauberer sich an das einzige, was unangefochten geblieben war, das Nagual. Mit anderen Worten, ihr Tonal nahm Zuflucht bei ihrem Nagual. Dies htte nicht geschehen knnen, es sei denn unter den qualvollen Lebensbedingungen eines unterworfenen Volkes. Die heutigen Wissenden sind das Produkt dieser Bedingungen, und sie sind die besten Kenner des Nagual, da sie ganz allein auf dieses angewiesen waren. Bis dahin ist der weie Mann niemals vorgedrungen. Tatschlich hat er nicht mal eine Ahnung, da es existiert. An diesem Punkt drngte es mich, einen Einwand vorzubringen. Ich behauptete allen Ernstes, da wir im europischen Denken eine Erklrung fr das h t t e n , was er das Nagual nannte. Ich verwies auf den Begriff des transzendentalen Ich oder den in allen unseren Gedanken, Wahrnehmungen und Gefhlen anwesenden unsichtbaren Beobachter. Ich erklrte Don Juan, das Individuum knne sich durch das transzendentale Ich als ein Selbst wahrnehmen oder i n t u i t i v erfahren, denn dieses sei die einzige Instanz, die Urteile f l l e n knne, die im Bereich seines Bewutseins Realitt bezeuge. Don Juan war wenig beeindruckt. Er lachte. Realitt bezeugen, ffte er mich nach. Das ist das Tonal. Das Tonal, wandte ich ein, knne man als das empirische

Ich bezeichnen, das sich im flieenden Strom unseres Bewutseins oder unserer Erfahrung zeige, whrend das transzendentale Ich hinter diesem Strom stehe. Beobachtend . . .. vermute ich, sagte er spttisch. Ganz richtig! Sich selbst beobachtend, sagte ich. Ich hre dich reden sagte er, aber du sagst nichts. Das Nagual ist weder Erfahrung noch Intuition, noch Bewutsein. Diese Begriffe und alles andere, was du ins Feld fhren magst, sind nur Gegenstnde auf der Insel des Tonal. Das Nagual hingegen ist nur Wirkung. Das Tonal beginnt bei der Geburt und endet mit dem Tod, aber das Nagual endet niemals. Das Nagual ist grenzenlos. Ich habe gesagt, das Nagual sei dort, wo die Kraft schwebt. Das war nur eine Benennung. Aufgrund seiner Wirkung lt das Nagual sich vielleicht am besten als Kraft verstehen. Als du dich zum Beispiel heute nachmittag wie betubt fhltest und nicht sprechen konntest, da habe ich dich allerdings beschwichtigt, das heit, mein Nagual wirkte auf dich ein. Wie war das mglich, Don Juan? Du wirst es nicht glauben, aber das wei niemand. Ich wei nur, da ich deine ungeteilte Aufmerksamkeit wollte, und dann fing mein Nagual an, auf dich einzuwirken. Und dies wei ich auch nur. weil ich seine Wirkung sehen kann, aber ich wei nicht, wie es w i r k t . Er schwieg eine Weile. Ich wollte noch weiter auf das Thema eingehen. Ich versuchte, e i n e Frage zu stellen: er gebot mir Schweigen. Man kann sagen, da das Nagual fr die Kreativitt verantwortlich ist, sagte er schlielich und sah mich durchdringend an. Das Nagual ist der einzige Teil in uns, der etwas schaffen kann. Er schwieg und sah mich an. Ich hatte den Eindruck, da er mich eindeutig auf ein Gebiet fhrte, ber das ich mir schon frher Aufklrung von ihm gewnscht htte. Er sagte, da das Tonalnichts, schaffe, sondern nur beobachte und beurteile. Ich fragte ihn, wie er sich die Tatsache erklre, da wir groartige Strukturen und Apparate konstruieren knnen. Das ist keine Kreativitt, sagte er. Das ist nur Formung. Wir knnen mit unseren Hnden alles formen, allein oder in

Verbindung mit den Hnden anderer Tonais. Eine Gruppe von Tonais kann alles mgliche formen, groartige Strukturen, wie du sagtest. Aber was ist dann Kreativitt, Don Juan? Er starrte mich an und blinzelte. Er lachte leise, hob die rechte Hand ber den Kopf und bog das Handgelenk ruckartig nach unten, als ob er eine Trklinke niederdrckte. Dies ist Kreativitt, sagte er und brachte seine hohle Hand auf die Hhe meiner Augen. Ich brauchte unheimlich lange, um meine Augen auf seine Hand einzustellen. Ich hatte das Gefhl, als halte eine durchsichtige Folie meinen ganzen Krper in einer starren Haltung f e s t und als msse ich diese durchbrechen, um meinen Blick auf seine Hand richten zu knnen. Ich kmpfte, bis mir der Schwei in die Augen rann. Schlielich hrte oder sprte ich e i n e n Knall, und meine Augen und mein Kopf waren frei. Auf seiner rechten Handflche hockte das s e l t s a m s t e Nagetier, das ich _ je gesehen hatte. Es sah aus wie ein Eichhrnchen mit buschigem Schweif. Der Schweif glich jedoch eher dem eines Stachelschweins. Er hatte starre Stacheln. Fa es an! sagte Don Juan leise. Automatisch gehorchte ich und streichelte mit dem Finger den zarten Rcken des Tierchens. Don Juan h i e l t mir seine Hand noch nher vor die Augen, und dann sah ich etwas, das nervse Zuckungen bei mir auslste. Das Eichhrnchen trug eine Brille und hatte groe, breite Zhne. Es sieht aus wie ein Japaner, sagte ich und f i n g hysterisch an zu lachen. Dann fing das Nagetier in Don Juans Hand an zu wachsen. Und whrend in meinen Augen immer noch Lachtrnen standen, wurde das Nagetier so riesig, da es aus meinem Blick verschwand. Es wuchs buchstblich ber meinen Gesichtskreis hinaus. Dies geschah so rasch, da es mich m i t t e n in einem Lachkrampf berraschte. Als ich wieder hinschaute, vielmehr als ich mir die Augen wischte, um schrfer zu sehen, erblickte ich vor mir Don Juan. Er sa auf der Bank, und ich stand vor ihm, obwohl ich mich nicht entsann, aufgestanden zu sein.

Einen Augenblick wurde meine Nervositt unkontrollierbar. Don Juan stand ruhig auf, zwang mich niederzusitzen. s t t z t e mein Kinn in seine Armbeuge u n d schlug mir mit den Kncheln seiner rechten Hand oben auf die Schdeldecke. Die Wirkung war wie ein e l e k t r i s c h e r Schlag. Sie beruhigte mich augenblicklich. Es gab so vieles, was ich fragen w o l l t e . Aber meine Worte konnten sich nicht durch das Gewirr meiner Gedanken h i n durchkmpfen. Dann wurde mir scharf bewut. da ich die Kontrolle ber meine Stimmbnder v e r l o r e n hatte. Ich wollte mich aber nicht anstrengen, um zu sprechen, und so lehnte ich mich einfach auf der Bank z u r c k . Don J u a n sagte eindringlich, ich msse mich zusammenreien und aufhren, mich gehenzulassen. Mir war ein wenig schwindlig. Nachdrcklich empfahl er m i r . an meinen Notizen weiterzuschreiben, und reichte mir Block und B l e i s t i f t , die er vom Boden u n t e r der Bank aufgehoben hatte. Ich machte eine ungeheure Anstrengung, um etwas zu sagen. und wieder h a t t e ich das eindeutige Gefhl, da eine Folie mich einhllte. So keuchte und sthnte ich eine Weile, whrend Don Juan sich vor Lachen krmmte, bis ich wieder e i n e n Knall hrte. Ich f i n g sofort an zu schreiben. Don J u a n sprach, als gebe er mir ein Diktat. Eine der Taten eines Kriegers ist. nie etwas auf sich einwirken zu lassen. So knnte ein Krieger den Teufel l e i b h a f t i g vor sich sehen, aber er wrde sich nichts anmerken lassen. Die Selbstbeherrschung eines Kriegers mu makellos sein. Er wartete, bis ich mit dem Aufschreiben f e r t i g war. und dann fragte er mich lachend: Hast du alles? Ich s c h l u g vor. wir sollten in ein Restaurant gehen und zu Abend essen. I c h war wie ausgehungert. Er sagte aber, w i r mten bleiben, bis das korrekte Tonal erscheinen w r d e . Mit ernster Stimme setzte er hinzu, da wir. w e n n das korrekte Tonal n i c h t erschiene, auf dieser Bank s i t z e n b l e i b e n mten, bis es ihm gefiel zu erscheinen. Was ist ein korrektes Tonal? fragte ich. E i n Tonal, das einfach in Ordnung ist. ausgeglichen und harmonisch. Heute wirst du eines finden, oder v i e l m e h r , deine Kraft wird es zu uns f h r e n .

Aber wie werde ich es von anderen Tonais unterscheiden? Mach dir darum keine Sorgen! Ich werde es dir zeigen. Wie ist es denn beschaffen, Don Juan? Schwer zu sagen. Es hngt von dir ab. Dies ist deine Schau, daher wirst du die Bedingungen selbst bestimmen. Wie? Das wei ich nicht. Deine Kraft, dein Nagual wird es tun. Jedes Tonal hat, grob gesagt, zwei Seiten. Die eine ist der uere Teil, der Saum, die Oberflche der Insel. Dies ist der mit Handeln und Tun verbundene Teil, die grobe Seite. Der andere Teil ist Entscheidung und Urteil, es ist das innere Tonal und feiner, zarter und komplexer. Das korrekte Tonal ist ein Tonal, bei dem die beiden Ebenen sich in vollkommener Harmonie und Balance befinden. Don Juan war still. Es war schon ziemlich dunkel, und ich hatte Mhe mitzuschreiben. Er empfahl mir, mich zu strecken und zu entspannen. Dies sei, meinte er, ein recht anstrengender, aber fruchtbarer Tag gewesen, und er sei sicher, da das korrekte Tonal sich noch einstellen werde. Dutzende Menschen gingen vorbei. Wir saen zehn oder fnfzehn Minuten in entspanntem Schweigen. Pltzlich stand Don Juan unvermittelt auf. Meine Gte, du hast es geschafft! Schau nur, wer da kommt! Ein Mdchen! Mit einer Kopfbewegung deutete er auf eine junge Frau, die den Park durchquerte und sich unserer Bank nherte. Don Juan sagte, diese junge Frau sei das korrekte Tonal, und f a l l s sie stehenbliebe, um an e i n e n von uns das Wort zu richten, dann sei dies ein auerordentliches Omen, und wir mten tun, was immer sie verlangen werde. Ich konnte das Gesicht der _ jungen Frau nur undeutlich erkennen, obgleich das Tageslicht noch hell genug war. Sie nherte sich bis auf ein paar Meter, ging aber vorbei, ohne uns anzusehen. Don Juan befahl mir flsternd, aufzustehen und mit ihr zu sprechen. Ich lief hinter ihr her und fragte sie nach dem Weg. Nun sah ich sie aus nchster Nhe. Sie war jung, vielleicht Mitte Zwanzig, von mittlerer Statur, sehr attraktiv und gepflegt. Ihre Augen waren k l a r und friedlich. Sie lchelte mich an,

whrend ich sprach. Sie hatte irgend etwas Gewinnendes an sich. Ich mochte sie ebenso gern wie vorhin die drei Indianer. Ich kehrte zu unserer Bank zurck und setzte mich. Ist sie ein Krieger? fragte ich. Nicht ganz, sagte Don Juan. Deine Kraft ist noch nicht ausgeprgt genug, um einen Krieger herbeizuholen. Aber sie ist ein ganz richtiges Tonal. Eines, das zu einem korrekten Tonal werden knnte. Aus diesem Holz sind Krieger geschnitzt. Seine Worte machten mich neugierig. Ich fragte ihn, ob denn auch Frauen Krieger sein knnten. Er schaute mich an offensichtlich verwundert ber meine Frage. Selbstverstndlich knnen sie das, sagte er, und sie sind sogar besser ausgestattet fr den Weg des Wissens als Mnner. Mnner andererseits sind etwas ausdauernder. Trotzdem mchte ich meinen, da die Frauen, alles in allem, einen leichten Vorsprung haben. Ich erklrte, ich sei verblfft, denn wir htten im Zusammenhang mit seinem Wissen nie ber Frauen gesprochen. D u bist ein Mann, sagte er. daher gebrauche ich das Maskulinum. wenn ich mit dir spreche. Das ist alles. Im brigen sind sich beide gleich. Ich wollte ihn noch weiter ausfragen, aber er machte eine Geste, die das Thema abschlo. Ich blickte auf. Der Himmel war fast schwarz. Die Wolkenbnke wirkten bedrohlich dunkel. Dennoch gab es ein paar Stellen, wo das Gewlk leicht orange gefrbt war. Das Ende des Tages ist deine beste Zeit, sagte Don J u a n . Das Erscheinen dieser jungen Frau genau am Rande des Tages ist ein gutes Omen. Wir sprachen ber das Tonal, deshalb gilt das Omen deinem Tonal. W as besagt das Omen, Don Juan 9 Es besagt, da du nur noch sehr wenig Zeit hast, um deine Vorbereitungen zu treffen. Alle Vorbereitungen, die du etwa getroffen hast, mssen zuverlssige Vorbereitungen sein, denn du hast keine Zeit, andere zu treffen. Deine Vorbereitungen mssen sich jetzt bewhren, sonst sind es berhaupt keine Vorbereitungen. Ich empfehle dir. da du. wenn du nach Hause kommst, deine

Verteidigungslinien berprfst und dich versicherst, da sie halten. Du wirst sie brauchen. Was steht mir denn bevor. Don J u a n ? Vor Jahren suchtest du nach der Kraft. Du hast die Mhen des Lernens getreulich auf dich genommen, ohne Struben und ohne Eile. Jetzt stehst du am Ende des Tages. Was bedeutet das? Fr ein korrektes Tonal ist alles, was sich auf der Insel des Tonal findet, eine Herausforderung. Anders gesagt, fr e i n e n Krieger ist alles in dieser Welt eine Herausforderung. Die grte Herausforderung von allen ist natrlich sein Ansuchen um Kraft. Aber Kraft kommt von Nagual, und wenn ein Krieger am Rande des Tages steht, dann bedeutet dies, da die Stunde des Nagual nherrckt - des Kriegers Stunde der Kraft. Ich verstehe immer noch nicht die Bedeutung von alledem. Don Juan. Bedeutet es. da ich bald sterben werde 9 Wenn du dich tricht anstellst, dann j a , erwiderte er scharf. Aber gelinder ausgedrckt, bedeutet es, da dir wohl die Hosen schlottern werden. Du hast einst um Kraft angesucht, und dieses Ansuchen ist nicht rckgngig zu machen. Ich will nicht sagen, da dein Schicksal sich e r f l l e n wird, denn es gibt kein Schicksal. Das einzige, was man also sagen kann, ist, da deine Kraft sich erfllen wird. Das Omen war eindeutig. Diese _ junge Frau kam zu dir am Rande des Tages. Du hast nur noch wenig Zeit, und schon gar keine Zeit fr Dummheiten. E i n wunderbarer Zustand. Ich mchte sagen, das Beste in uns kommt immer dann heraus, wenn wir mit dem Rcken zur Wand stehen, wenn wir das Schwert ber u n s hngen f h l e n . Ich selbst wnsche es mir nicht anders.

Das Tonal schrumpfen lassen

Am Mittwoch verlie ich gegen neun Uhr fnfundvierzig das Hotel. Ich ging langsam und gnnte mir fnfzehn Minuten, um die Stelle zu erreichen, wo Don Juan und ich uns treffen wollten. Er hatte eine Kreuzung am Paseo de la Reforma bestimmt, fnf oder sechs Straen entfernt, vor dem Stadtbro einer Fluggesellschaft. Ich hatte soeben mit einem Freund zusammen gefrhstckt. Er hatte mich begleiten wollen, aber ich lie durchblicken, da ich ein Mdchen treffen wolle. Absichtlich ging ich auf der anderen Straenseite als der, an der das Bro der Fluggesellschaft lag. Mich plagte der Verdacht, da mein Freund, der immer schon gewnscht hatte, ich solle i h n mit Don Juan bekannt machen, wute, da ich mit diesem verabredet war. und mir vielleicht folgte. Ich frchtete, ich brauchte mich nur umzudrehen, um i h n hinter mir zu sehen. Ich sah Don Juan an einem Zeitungskiosk auf der anderen Straenseite stehen. Ich schickte mich an, die Strae zu berqueren, mute aber auf dem Mittelstreifen warten, bis ich sicheren Fues den breiten Boulevard berqueren konnte. Ich drehte mich unauffllig um, um zu sehen, ob mein Freund mir folgte. Er stand an der Straenecke hinter mir. Er grinste blde und winkte mir zu. als wolle er mir zu verstehen geben, da er sich nicht hatte beherrschen knnen. Ich scho ber die Strae, ohne ihm Zeit zu lassen, mich einzuholen. Don Juan schien meine miliche Lage zu erkennen. Als ich ihn erreichte, warf er einen verstohlenen Blick ber meine Schulter. Er kommt, sagte er. La uns lieber in die Seitenstrae einbiegen! Er wies auf eine Strae, die den Paseo de la Reforma an der Stelle, wo wir standen, im spitzen Winkel kreuzte. Rasch orientierte ich mich. Ich war nie zuvor in dieser Strae gewesen, aber vor zwei Tagen war ich in dem Bro der Fluggesellschaft gewesen. Seine eigenartige Lage war mir vertraut. Das Bro lag nmlich im spitzen Winkel zwischen den beiden

Straen. Auf j e d e der beiden Straen fhrte eine Tr, und der Abstand zwischen den zwei Tren betrug etwa vier bis fnf Meter. Von Tr zu Tr fhrte eine Passage durch das Bro, und man konnte ohne weiteres von einer Strae zur anderen wechseln. Auf einer Seite dieses Durchgangs standen Schreibtische, und auf der anderen eine groe, runde Schaltertheke, hinter der Hostessen und Kassierer standen. Damals, als ich hier gewesen war, hatten sich viele Leute in den Raum gedrngt. Ich wollte schneller ausschreiten, vielleicht sogar rennen, aber Don Juan behielt sein gemchliches Tempo bei. Als wir die Tr des Bros - auf der Querstrae - passierten, wute ich, ohne mich umdrehen zu mssen, da mein Freund ebenfalls den Boulevard berquert hatte und sich anschickte, in die Strae einzubiegen, in der wir gingen. Ich sah Don Juan an. da ich hoffte, er wisse eine Lsung. Er hob die Schultern. Ich war rgerlich, und mir selbst fiel nichts ein, auer vielleicht, meinen Freund in die Fresse zu hauen. Genau in diesem Augenblick mute ich wohl geseufzt oder tief ausgeatmet haben, denn das nchste, was ich sprte, war eine pltzliche Atemnot, bedingt durch einen gewaltigen Sto, den Don Juan mir versetzt hatte und der mich durch die Tr des Luftfahrtbros wirbelte. Von diesem ungeheuren Sto getrieben, segelte ich buchstblich in den Raum. Don Juan hatte mich so unvorbereitet erwischt, da mein Krper keinerlei Widerstand geboten hatte; mein Schrecken vermischte sich mit dem tatschlichen Schock seines Remplers. Automatisch hob ich die Arme vors Gesicht, um mich zu schtzen. Der Schubs, den Don Juan mir gegeben hatte, war so heftig gewesen, da mir die Spucke aus dem Mund spritzte und ich einen leichten Schwindel versprte, als ich in die Halle stolperte. Ich verlor fast das Gleichgewicht und mute mich gewaltig anstrengen, um nicht zu strzen. Ich drehte mich ein paarmal um meine eigene Achse. Der Schwung meiner Drehung lie die Szene verschwommen erscheinen. Wie durch einen Schleier nahm ich die Menge der Kunden wahr, die ihren Geschften nachgingen. Ich war sehr verlegen. Ich wute, da alle mich anstarrten, wie ich so durch die Halle taumelte. Die Vorstellung, da ich mich ffentlich blamierte, war mir mehr als

unangenehm. Eine Reihe von berlegungen scho mir durch den Kopf. Ich war ganz sicher, da ich auf die Nase f a l l e n wrde. Oder ich wrde mit einem Kunden zusammenstoen, vielleicht einer alten Dame, die sich durch den Zusammenprall eine Verletzung zuziehen wrde. Oder, noch schlimmer, die Glastr am anderen Ende mochte geschlossen sein, und ich wrde dagegen fallen. Ganz betubt erreichte ich die Tr, die auf den Paseo de la Reforma fhrte. Sie war offen - und ich stand drauen. Meine einzige Sorge war j e t z t , ganz ruhig zu bleiben, mich nach rechts zu wenden und auf dem Boulevard stadteinwrts zu schlendern, als sei nichts geschehen. Ich war sicher, da Don Juan mich einholen wrde und da mein Freund vielleicht auf der Querstrae weitergegangen war. Ich ffnete die Augen, oder genauer gesagt, ich konzentrierte meinen Blick auf den Schauplatz vor mir. Ich war lngere Zeit benommen, bevor mir ganz klar wurde, was los war. Ich befand mich nicht auf dem Paseo de la Reforma, auf dem ich htte sein sollen, sondern auf dem Lagunilla-Markt, mehr als zwei Kilometer entfernt. Was ich in dem Augenblick empfand, als mir dies klar wurde, war ein so heftiges Erstaunen, da ich nur noch verdutzt vor mich hinstarren konnte. Ich schaute in die Runde, um mich zu orientieren. Ich stellte fest, da ich tatschlich ganz nahe der Stelle stand, wo ich an meinem ersten Tag in Mexico City Don Juan getroffen hatte. Vielleicht war es sogar genau dieselbe Stelle. Die Marktstnde, an denen alte Mnzen verkauft wurden, waren nur drei Meter entfernt. Ich mute mich gewaltig anstrengen, um meine Fassung zu bewahren. Was ich hier erlebte, mute doch eine Halluzination sein! Es gab keine andere Mglichkeit. Rasch drehte ich mich um und wollte wieder durch die Tr in das Flugbro zurck, aber hinter mir war nur eine Reihe von Stnden, an denen antiquarische Bcher und Zeitschriften verkauft wurden. Don Juan stand rechts neben mir. Sein Gesicht zeigte ein breites Grinsen. Ich sprte einen Druck im Kopf, ein Kitzeln, als ob Kohlensure durch meine Nase sprudelte. Ich war sprachlos. Ich wollte etwas sagen, aber es gelang mir nicht.

Ganz deutlich hrte ich Don Juan sagen, ich solle nicht versuchen, zu sprechen oder zu denken, aber dennoch wollte ich etwas sagen, irgend etwas. Eine furchtbare Nervositt zog mir die Brust zusammen. Ich sprte Trnen ber meine Wangen rollen. Diesmal schttelte Don Juan mich nicht, wie er es zu tun pflegte, wenn ich von unkontrollierbarer Angst besessen war. Statt dessen streichelte er mir freundlich den Kopf. Aber. aber, kleiner Carlos, sagte er. Mach dir nicht in die Hose! Einen Augenblick hielt er mein Gesicht zwischen seinen Hnden. Versuche nicht, zu sprechen! sagte er. Er lie meinen Kopf los und deutete auf das Geschehen um uns her. Dies ist nicht zum Reden da, sagte er. Nur zum Beobachten. Beobachte! Beobachte alles! Ich weinte wirklich. Doch meine Reaktion auf den Umstand, da ich weinte, war sehr merkwrdig. Ich weinte, ohne mir etwas daraus zu machen. In diesem Moment war es mir egal, ob ich mich blamierte oder nicht. Ich sah mich um. Genau vor mir stand ein Mann in mittleren Jahren, der ein rosafarbenes, kurzrmeliges Hemd und dunkelgraue Hosen trug. Anscheinend ein Amerikaner. Eine rundliche Frau, offenbar seine Gattin, hielt seinen Arm. Der Mann befingerte ein paar Mnzen, whrend ein dreizehn-oder vierzehnjhriger Junge, vermutlich der Sohn des Besitzers, ihn nicht aus den Augen lie. Der Junge beobachtete jede Bewegung, die der ltere Mann machte. Schlielich legte der Mann die Mnzen auf den Tisch zurck, und sofort entspannte sich der Junge. Beobachte alles! verlangte Don Juan wieder. Hier gab es nichts Ungewhnliches zu beobachten. Nach allen Richtungen gingen Leute vorbei. Ich drehte mich um. Ein Mann, offensichtlich der Besitzer des Zeitungskiosks, starrte mich unverwandt an. Er blinzelte stndig, als sei er im Begriff einzuschlafen. Er schien mde oder krank zu sein und machte einen heruntergekommenen Eindruck. Ich meinte, hier gebe es nichts zu beobachten, zumindest nichts wirklich Bedeutsames. Ich starrte auf den Schauplatz.

Es war mir unmglich, mich aufmerksam auf irgend etwas zu konzentrieren. Don Juan umkreiste mich. Er benahm sich, als wolle er mich irgendwie abschtzen. Er s c h t t e l t e den Kopf und schrzte die Lippen. Komm schon! befahl er und ergriff sanft meinen Arm. Zeit, da wir weitergehen! Kaum setzten wir uns in Bewegung, da bemerkte ich, da mein Krper sehr leicht war. Tatschlich, mir war, als fhlten meine Fusohlen sich schwammig an. Sie vermittelten ein seltsames gummiartiges, federndes Gefhl. Don Juan wute anscheinend, was in mir vorging. Er h i e l t mich fest, als wolle er mich nicht entkommen lassen; er zog mich herab, als ob er frchtete, ich knnte w i e ein Luftballon in die Lfte entweichen. Das Gehen tat mir wohl. Meine Nervositt wich e i n e r angenehmen Leichtigkeit. Wieder bestand Don Juan darauf, ich solle a l l e s beobachten. Ich sagte ihm, da es hier f r mich nichts zu beobachten gebe, da es mir egal sei, was die Leute auf dem Markt t a t e n , und da ich ungern einen Narren aus mir machen wollte, indem ich gehorsam irgendwelche schwachsinnige Geschftigkeit von Leuten beobachtete, die a l t e Mnzen und Bcher kauften. whrend das Eigentliche mir durch die Finger g l i t t . Was ist das Eigentliche? fragte er. Ich blieb stehen und sagte i h m h e f t i g meine Meinung: Das Wichtigste sei doch wohl das. was er mit mir angestellt hatte, um mich glauben zu machen, i c h h t t e die Entfernung zwischen dem Luftfahrtbro und dem Markt in Sekunden zurckgelegt. In diesem Augenblick fing ich an zu z i t t e r n und g l a u b t e , mich bergeben zu mssen. Don Juan h i e mich meine Hnde gegen den Leib pressen. Er deutete mit der Hand im Kreise und sagte abermals in energischem Ton, das e i n z i g Wichtige sei j e n e profane Geschftigkeit um uns her. Ich war verrgert. Ich h a t t e d e u t l i c h das krperliche Gefhl. mich im Kreis zu drehen. Ich h o l t e tief Luft. Was hast du mir getan, Don J u a n ? fragte ich mit gezwungener Gleichgltigkeit.

Darber knne er mir jederzeit Auskunft geben, beteuerte er, aber das, was j e t z t und hier um uns her geschehe, werde sich nie mehr wiederholen. Das focht mich nicht an. Gewi wrde die Geschftigkeit, die ich hier erlebte, sich nicht in all ihrer Vielfalt und allen Einzelheiten wiederholen. Mein Einwand war aber, da ich ganz hnliche Aktivitten jederzeit und berall beobachten konnte. Hingegen waren die Konsequenzen der Tatsache, da ich, in welcher Form auch immer, ber diese weite Entfernung hinweg versetzt worden war. von unermelicher Bedeutung. Als ich diese berzeugung geuert hatte, lie Don Juan seinen Kopf zittern, als ob das Gehrte ihm regelrecht weh tte. Wir gingen eine Weile schweigend weiter. Mein Krper f i e berte. Ich stellte f e s t , da meine Handflchen und Fusohlen glhend hei waren. Die gleiche ungewhnliche Hitze schien auch meine Nasenflgel und Augenlider zu e r f l l e n . Was hast du gemacht, Don Juan? beschwor ich ihn. Er antwortete nicht, sondern klopfte mir auf die Brust und lachte. Wir Menschen, meinte er, seien sehr schwache Geschpfe, die sich durch ihr Sichgehenlassen noch mehr schwchten. Mit ernster Stimme forderte er mich auf, mich nicht gehenzulassen und in dem Gefhl zu schwelgen, ich wrde gleich sterben, sondern meine Grenzen zu berwinden und ganz einfach m eine Aufmerksamkeit auf die Welt um mich her zu richten. Ganz langsam gingen wir weiter. Meine Beklemmung nahm berhand. Ich konnte auf nichts mehr achten. Don Juan blieb stehen und schien zu berlegen, ob er etwas sagen wollte. Er ffnete den Mund, aber dann berlegte er es sich anscheinend anders, und wir gingen weiter. Es ist nichts anderes passiert, als da du hergekommen bist, sagte er unvermittelt, indem er sich umdrehte und mich anstarrte. Aber wie ist das passiert? Dies wisse er nicht, sagte er. Er wisse lediglich, da ich den Platz selbst ausgewhlt htte. Je lnger wir sprachen, desto hoffnungsloser drehten wir uns im Kreis. Ich wollte von ihm wissen, wie es dazu gekommen

sei, und er beharrte darauf, da die Wahl des Platzes das einzige sei. worber wir diskutieren knnten, und da aber ich nicht wute, warum ich ihn gewhlt hatte, gab es eigentlich nichts zu besprechen. Ohne rgerlich zu werden, kritisierte er meine zwanghafte Besessenheit, alles mit Vernunft zu ergrnden, als berflssiges Sichgehenlassen. Er meinte, da es doch einfacher und effektiver sei, nur zu handeln, ohne nach Erklrungen zu suchen, und da ich meine Erfahrung nur v e r z e t t e l t e , indem ich darber sprach und nachdachte. Nach einer Weile meinte er, wir mten diesen Ort verlassen, denn ich htte ihn verdorben, und er wrde jetzt immer gefhrlicher fr mich. Wir verlieen den Markt und gingen zum La-Alameda-Park. Ich war erschpft. Ich lie mich auf eine Bank f a l l e n . Erst j e t z t fiel mir ein, auf die Uhr zu sehen. Es war zehn Uhr zwanzig, vormittags. Ich mute mich sehr zusammennehmen, um mich zu konzentrieren. Ich erinnerte mich nicht mehr, um welche Zeit genau ich Don Juan getroffen hatte. Ich schtzte, es mochte gegen zehn Uhr gewesen sein. Und wir hatten kaum lnger als zehn Minuten gebraucht, um vom Markt bis zum Park zu gehen; mithin b l i e b e n nur zehn Minuten brig. Ich berichtete Don Juan von meinen Berechnungen. Er lchelte. Ich war mir sicher, da er h i n t e r diesem Lcheln seine Geringschtzung f r mich verbarg, und doch verriet nichts in seinem Gesicht ein solches Gefhl. Du glaubst wohl, ich bin ein hoffnungsloser Trottel, n i c h t wahr, Don J u a n ? Ach was! rief er und sprang auf die Fe. Seine Reaktion kam so unerwartet, da ich g l e i c h z e i t i g aufsprang. Sag mir genau, was du ber meine Gefhle d e n k s t ! forderte er mit Nachdruck. Ich glaubte, seine Gefhle zu kennen. Es war, als ob ich sie selbst empfnde. Aber als ich zu sagen versuchte, was ich empfand, merkte ich, da ich nicht darber sprechen konnte. Das Sprechen erforderte eine ungeheure Anstrengung. Don Juan sagte, ich htte noch nicht gengend Kraft, um ihn zu sehen. Aber ich knne sicherlich genug sehen, um

selbst eine passende Erklrung fr das Geschehen zu finden. Sei nicht schchtern! sagte er. Sag mir genau, was du siehst*. Pltzlich kam mir ein seltsamer Gedanke in den Sinn, ganz hnlich j e n e n Gedanken, die ich in der Regel kurz vor dem Einschlafen habe. Es war mehr als ein Gedanke. Es war ein vollkommenes Bild - das wre eine bessere Beschreibung. Ich sah ein Gemlde, das verschiedene Personen zeigte. Die eine unmittelbar mir gegenber war ein Mann, der an e i n e m offenen Fenster sa. Die Flche vor dem Fensterrahmen war verschwommen, doch der Rahmen selbst und der Mann waren glasklar zu erkennen. Er schaute mich an; sein Kopf war leicht nach links geneigt, so da er mich buchstblich schief a n schaute. Ich sah, wie seine Augen sich bewegten, um mich im Blick zu behalten. Er sttzte sich mit dem rechten Ellbogen auf die Fensterbank. Seine Hand war zur Faust geballt, seine Muskeln waren angespannt. Links von dem Mann war auf dem Gemlde eine andere Figur zu sehen. Es war ein fliegender Lwe. Das heit, Kopf und Mhne waren die eines Lwen, aber der untere Teil seines Rumpfes war der eines lockigen weien Pudels. Ich wollte ihn mir genauer ansehen, als der Mann mit den Lippen schnalzte und Kopf und Oberkrper aus dem Fenster reckte. Dann kam sein ganzer Krper zum Vorschein, als ob er von jemandem geschoben wrde. Einen Moment hing er in der Luft und klammerte sich mit den Fingerspitzen an d e n Fensterrahmen, wobei er wie ein Pendel h i n und her schwang. Dann lie er los. Ich empfand am eigenen Leib das Gefhl des Fallens. Es war kein regelrechter Sturz, sondern eher ein weiches H i n a b g l e i t e n und dann ein federndes Schweben. Der Mann war schwerelos. Er blieb e i n e n Augenblick in der Schwebe, und dann verschwand er. als ob ihn eine unwiderstehliche Kraft durch einen Spalt im Gemlde aufgesaugt htte. Im nchsten Moment war er wieder am Fenster und sah mich schief an. Sein rechter Unterarm ruhte auf der Fensterbank, doch diesmal winkte die Hand mir Lebewohl. Don Juan beanstandete, mein Sehen sei zu kompliziert.

Du kannst es besser, sagte er. Du willst, da ich dir erklre, was geschehen ist. Nun, ich will, da du dich dazu des Sehens bedienst. Du hast gesehen, aber du hast Quatsch gesehen. Solche Informationen sind fr e i n e n Krieger unbrauchbar. Es wrde zu lange dauern, um herauszufinden, was eigentlich was ist. Das Sehen mu unmittelbar sein, denn ein Krieger kann seine Zeit nicht damit vertrdeln, zu entrtseln, was er selbst sieht. Sehen ist Sehen, weil es durch all diesen Unsinn hindurchgeht. Ich fragte ihn, ob er meinte, da meine Vision lediglich eine Halluzination und nicht wirklich Sehen gewesen sei. Er war berzeugt, da es sich wohl um Sehen gehandelt habe, und zwar wegen der komplizierten Einzelheiten, aber er bezeichnete es als unzulnglich fr diesen Anla. Glaubst du, da meine Visionen irgend etwas e r k l r e n ? fragte ich. Gewi tun sie das. Aber ich an deiner Stelle wrde nicht versuchen, sie zu entrtseln. Am Anfang ist das Sehen sehr verwirrend, man kann sich leicht darin verlieren. In dem Ma aber, wie der Krieger sein Leben festigt, wird sein Sehen das. was es sein sollte, ein unmittelbares Wissen. Whrend Don Juan sprach, hatte ich eine jener merkwrdigen Gefhlsentgleisungen, und ich empfand ganz deutlich, da ich im Begriff stand, etwas zu entschleiern - etwas, das ich bereits wute und das mir dauernd e n t g l i t t , i n d e m es sich in etwas ganz Verschwommenes verwandelte. Mir wurde bewut, da ich in einen Kampf verstrickt war. Je mehr ich versuchte, dieses flchtige Wissen zu d e f i n i e r e n oder zu erhaschen, desto tiefer versank es. Dieses Sehen war zu . . . zu visionr, sagte Don Juan. Der Klang seiner Stimme erschreckte mich. Ein Krieger stellt eine Frage, und durch sein Sehen erhlt er eine Antwort, aber die Antwort ist klar und einfach, sie ist nie derart ausgeschmckt, da lockige weie Pudel durch die Lfte fliegen. Wir lachten ber dieses Bild. Und ich sagte ihm halb im Scherz, da er es mit mir zu genau nehme, da _ jemand, der so viel durchgemacht htte wie ich heute morgen, wohl ein wenig Nachsicht verdiene.

Du machst es dir zu leicht, sagte er. Du lt dich wieder mal gehen. Du grndest die Welt auf die Vorstellung, da alles deine Krfte berfordert. Du lebst nicht wie ein Krieger. Ich sagte ihm, da das, was er die Lebensart des Kriegers nannte, so viele Aspekte habe, da es unmglich sei, ihnen allen gerecht zu werden, und da die Bedeutung des Ganzen mir nur klar wrde, wenn ich weitere Gelegenheiten fnde, sie anzuwenden. Als Faustregel fr den Krieger gilt, sagte er, da er seine Entscheidungen so sorgfltig treffen mu, da nichts, was sich aus ihnen ergeben mag, ihn berraschen, und erst recht nicht seine Kraft erschpfen kann. Ein Krieger sein heit, bescheiden und wachsam zu sein. Heute httest du die Szene beobachten sollen, die sich vor deinen Augen abspielte, nicht aber darber nachgrbeln, wie all dies mglich sei. Du hast deine Aufmerksamkeit auf das falsche Ziel gerichtet. Wollte ich nachsichtig mit dir sein, dann knnte ich leicht sagen, da du, da dir dies zum erstenmal widerfuhr, nicht vorbereitet warst. Aber dies ist nicht zulssig, denn du warst als Krieger hergekommen, bereit zu sterben. Was dir heute widerfuhr, htte dich daher nicht mit schlotternden Hosen antreffen drfen. Ich gab zu, da ich die Neigung htte, mich in Angst und Verwirrung gehenzulassen. Es sollte als Faustregel fr dich gelten, da du. immer wenn du zu mir kommst, bereit sein solltest zu sterben, sagte er. Wenn du herkommst, bereit zu sterben, dann drfte es keinerlei Fallstricke oder unwillkommene berraschungen oder unntige Taten geben. Alles sollte sich zwanglos zusammenfgen, weil du nichts erwartest. Das ist leicht gesagt, Don Juan. Aber ich bin der Empfnger. Ich bin es doch, der mit alldem leben mu. Nicht, da du mit alldem leben mtest. Du bist all dies. Nur. du ertrgst es im Augenblick noch nicht. Deine Entscheidung, dich dieser bsen Welt der Zauberei anzuschlieen, htte alle mitgeschleppten Gefhle ausbrennen und dir den Mumm geben sollen, all dies als deine Welt zu beanspruchen. Ich war verlegen und traurig. Don Juans Taten, ganz egal, wie

gut ich darauf vorbereitet war, belasteten mich so sehr, da mir jedesmal, wenn ich mit ihm in Kontakt kam, nichts anderes brigblieb, als mich wie ein halbirrer Nrgler zu benehmen und zu fhlen. Eine Woge des Zorns strmte auf mich ein, und ich weigerte mich, weiter mitzuschreiben. In diesem Augenblick war mir danach, meine Notizen zu zerreien und alles auf den Mll zu schmeien. Ich htte es auch getan, wre da nicht Don Juan gewesen, der mir lachend in den Arm fiel, um mich zurckzuhalten. Spttisch meinte er, mein Tonal sei wieder im Begriff, mir einen schlechten Streich zu spielen. Er empfahl mir. zum Brunnen zu gehen und meinen Nacken und meine Ohren mit Wasser zu benetzen. Das Wasser beruhigte mich. Lange schwiegen wir. Schreib, schreib! drngte Don Juan mich in freundlichem Ton. Man knnte sagen, dein Notizbuch ist der einzige Zauber, den du hast. Es zu zerreien hiee nur, dich deinem Tod zu ffnen. Es wre nur wieder eine von deinen Flausen, bestenfalls eine pompse Laune, aber keine nderung. Ein Krieger verlt nie die Insel des Tonal. Er benutzt sie. Mit einer raschen Handbewegung deutete er ringsumher und berhrte dann mein Notizbuch. Dies ist deine Welt. Du kannst nicht auf sie verzichten. Es ist sinnlos, sich ber sich selbst zu rgern und enttuscht von sich zu sein. All dies beweist nur, da das Tonal des Menschen in einem inneren Kampf steht. Ein Kampf im Tonal selbst ist eines der sinnlosesten Gefechte, die ich mir vorstellen kann. Das gefestigte Leben eines Kriegers ist dazu bestimmt, dieses Gefecht zu verndern. Von Anfang an habe ich dich gelehrt, berflssige Kraftvergeudung zu vermeiden. Jetzt herrscht nicht mehr Krieg in deinem Innern, j e d e n f a l l s nicht mehr so, wie es war, denn die Lebensart des Kriegers ist Harmonie erstens die Harmonie zwischen Handlungen und Entscheidungen, sodann die Harmonie zwischen Tonal und Nagual. Seit ich dich kenne, habe ich stets sowohl zu deinem Tonal wie zu deinem Nagual gesprochen. So mu die Unterweisung stattfinden. Am Anfang mu man zum Tonal sprechen. Aber das Tonal

mu die Herrschaft abtreten. Man mu ihm jedoch Gelegenheit geben, dies mit Freuden zu tun. Dein Tonal zum Beispiel hat einige Kontrollen beinahe kampflos aufgegeben, weil ihm klar wurde, da, wre es so geblieben, wie es war, die Ganzheit deines Selbst jetzt tot wre. Mit anderen Worten, das Tonal wird veranlat, unntige Dinge wie Wichtigtuerei und Sichgehenlassen aufzugeben, die es nur zum Stumpfsinn verdammen. Die Schwierigkeit ist nur, da das Tonal sich an diese Dinge klammert, whrend es doch froh sein sollte, diesen Quatsch loszuwerden. Die Aufgabe besteht also darin, das Tonal zu berzeugen, da es frei und beweglich sein soll. Das ist's, was ein Zauberer vor allem anderen braucht - ein starkes, freies Tonal. Je strker es wird, desto weniger klammert es sich an sein Tun und desto leichter ist's, es schrumpfen zu lassen. Heute morgen geschah also nichts anderes, als da ich die Mglichkeit sah, dein Tonal schrumpfen zu lassen. Fr einen Moment warst du unachtsam, gehetzt, gedankenlos, und ich nutzte den Augenblick, um dir einen Schubs zu geben. Das Tonal schrumpft bei bestimmten Gelegenheiten, besonders wenn es in Verlegenheit gert. Ja wirklich, eines der Merkmale des Tonal ist seine Scheu. Auf seine Scheu selbst kommt es eigentlich nicht an. Aber es gibt gewisse Gelegenheiten, da das Tonal berrascht ist, und dann lt seine Scheu es unvermeidlich schrumpfen. Heute morgen ergriff ich mein Quentchen Chance. Ich sah die offene Tr j e n e s Flugbros und gab dir einen Schubs. Ein Schubs - das ist also die richtige Technik, um das Tonal schrumpfen zu lassen. Man mu es genau im richtigen Moment schubsen, und dazu mu man natrlich sehen knnen. Sobald der Mann geschubst wird und sein Tonal geschrumpft ist, wird sein Nagual, f a l l s es bereits in Bewegung ist - und ganz gleich wie gering diese Bewegung sein mag - die Fhrung bernehmen und auerordentliche Taten vollbringen. Heute morgen bernahm dein Nagual die Fhrung, und du bist auf diesem Markt gelandet. Er schwieg einige Zeit. Er schien auf meine Fragen zu warten. Wir sahen einander an. Ich wei wirklich nicht, wie es geschieht, sagte er, als habe

er meine Gedanken gelesen. Ich wei nur, da das Nagual unvorstellbare Dinge tun kann. Heute morgen habe ich dich aufgefordert zu beobachten. Diese Szene vor deinen Augen, was immer sie sein mochte, war von unsagbarem Wert fr dich. Aber statt meinem Rat zu folgen, hast du dich in Selbstmitleid und Verwirrung gehenlassen und nicht beobachtet. Eine Zeitlang warst du ganz Nagual und konntest nicht sprechen. Dies war die Zeit, um zu beobachten. Dann bernahm dein Tonal wieder nach und nach die Fhrung, und statt dich in einen tdlichen Kampf zwischen deinem Tonal und deinem Nagual strzen zu lassen, fhrte ich dich h i e r h e r . Was hatte es denn mit dieser Szene auf sich. Don J u a n ? Was war daran so wichtig? Ich wei nicht. Ich war's j a nicht, dem es w i d e r f u h r . Was meinst du damit? Es war dein Erlebnis, nicht meines. Aber du warst doch bei mir, nicht wahr? Nein! Das war ich nicht. Du warst allein. Ich habe dir immer wieder gesagt, du solltest alles beobachten, denn diese Szene war nur fr dich bestimmt. Aber du warst doch neben mir. Don J u a n ? Nein, das war ich nicht. Aber es hat keinen Zweck, darber zu reden. Was ich auch sagen mag, es ergibt keinen Sinn, denn in diesem Augenblick waren wir in der Zeit des Nagual. Die Dinge des Nagual knnen nur mit dem Krper, n i c h t mit der Vernunft erfahren werden. Aber wenn du nicht bei m i r warst. Don J u a n , wer oder was war die Person, die ich als du e r l e b t e ? Das war ich. und doch war ich nicht da. Wo warst du d e n n ? Ich war bei dir. aber nicht da. Sagen wir, ich war in deiner Nhe, aber n i c h t genau an der Stelle, wo d e i n Nagual dich ergriff. Du meinst, du wutest nicht, da wir auf dem Marktwaren 1 ' Nein, ich wute es nicht. Ich bin einfach hinterhergelaufen. um dich nicht zu verlieren. Das ist wirklich furchtbar. Don J u a n . Wir waren in der Zeit des Nagual, und daran ist nichts

Furchtbares. Wir sind noch zu viel mehr befhigt. Dies liegt in unserer Natur als leuchtende Wesen. Doch wir haben die Neigung, beharrlich auf unserer monotonen, ermdenden, aber bequemen Insel zu verweilen. Das Tonal ist der Bsewicht, und der sollte es nicht sein. Ich schilderte ihm das wenige, dessen ich mich erinnerte. Er wollte wissen, ob ich irgend etwas am Himmel wahrgenommen htte, etwa das Licht, die Wolken, die Sonne, oder ob ich irgend welche Gerusche gehrt htte. Oder ob mir ungewhnliche Menschen oder Vorgnge aufgefallen seien. Er wollte wissen, ob irgendwelche Auseinandersetzungen stattgefunden htten. Ob irgendwelche Leute geschrien htten, und wenn j a , was sie sagten. Keine seiner Fragen konnte ich beantworten. Die nackte Wahrheit war, da ich den ganzen Vorgang scheinbar unbesehen akzeptiert und wie selbstverstndlich angenommen hatte, da ich eine betrchtliche Entfernung in ein oder zwei Sekunden im Flug zurckgelegt hatte und da ich. dank Don Juans Wissen, was dies auch immer sein mochte, in all meiner materiellen Krperlichkeit auf dem Marktplatz gelandet war. Meine Reaktion entsprach ganz und gar einer solchen I n t e r pretation. Was ich wissen wollte, waren die Verfahrensweisen, das Geheimnis der Eingeweihten, die Kunstregeln. Daher kmmerte ich mich nicht darum, die - wie ich glaubte a l l t g l i c h e n Vorgnge eines profanen Schauspiels zu beobachten. Meinst du. da die Leute mich auf dem Markt stehen sahen? fragte ich. Don Juan antwortete nicht. Er lachte und boxte mich sanft in die Rippen. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich tatschlich physischen Kontakt mit irgendwelchen Leuten gehabt h a t t e . Mein Gedchtnis lie mich im Stich. Was sahen die Leute im Luftfahrtbro, als ich hereingestolpert kam? fragte ich. Sie sahen vermutlich einen Mann von einer Tr zur anderen torkeln. Aber sahen sie. wie ich mich in Luft auflste und v e r schwand?

Dafr ist das Nagual zustndig. Ich wei es nicht. Ich kann dir nur sagen, da wir bewegliche, leuchtende Wesen sind, die aus Fasern bestehen. Die bereinkunft, da wir f e s t e Objekte seien, ist die Tat des Tonal. Wenn das Nagual die Fhrung bernimmt, sind ungewhnliche Dinge mglich. Aber ungewhnlich sind sie nur fr das Tonal. Fr das Nagual ist es eine Kleinigkeit, sich so fortzubewegen, wie du es heute morgen getan hast. Besonders fr dein Nagual, das bereits die schwierigsten Tricks beherrscht. Tatschlich hat es dich heute in eine ganz unheimliche Situation gestrzt. Sprst du, was es ist? Eine M i l l i o n Fragen und Empfindungen bestrmten mich gleichzeitig. Es war, als ob ein Windsto meinen ueren Firnis der Gelassenheit weggefegt htte. Ich z i t t e r t e . Mein Krper sprte, da er am Rand eines Abgrunds stand. Ich kmpfte um ein mysterises, aber konkretes Wissen. Es war, als sollte mir j e d e n Augenblick etwas offenbart werden, und doch zog irgendein hartnckiger Teil meiner selbst dauernd einen Schleier davor. Dieser Kampf betubte mich immer mehr, bis ich meinen Krper nicht mehr sprte. Ich h a t t e den Eindruck, sehen zu knnen, wie mein Gesicht immer hagerer wurde, bis es das Gesicht einer verdorrten Leiche mit g e l b l i cher, straff ber den Schdel gespannter Haut war. Als nchstes sprte ich e i n e n Schock. Don Juan stand neben mir und hielt einen leeren Wassereimer in der Hand. Ich war tropfna. Ich h u s t e t e und wischte mir das Wasser aus dem Gesicht, und wieder lief mir ein Schauder ber den Rcken. Ich sprang a u f . Don J u a n h a t t e m i r Wasser in den Kragen gegossen. Nicht weit e n t f e r n t stand eine Gruppe Kinder, die lachend zu mir herber schauten. Don Juan l c h e l t e mir zu. Er hielt meinen Notizblock in der Hand und meinte, wir sollten lieber ins Hotel gehen, damit ich die Kleidung wechseln knne. Er fhrte mich aus dem Park. Wir standen e i n e Weile auf dem Trottoir, bis ein Taxi vorbeikam. Ein paar Stunden spter, nachdem wir zu Mittag gegessen und uns ausgeruht hatten, saen Don Juan und ich wieder auf seiner Lieblingsbank im Park neben der Kirche. Auf Um-

wegen kamen wir wieder auf das Thema meiner eigenartigen Reaktion zu sprechen. Er ging sehr behutsam vor. Anscheinend wollte er mich nicht direkt darauf ansprechen. Man wei, da solche Dinge geschehen, sagte er. Das Nagual, sobald es gelernt hat aufzutauchen, kann dem Tonal groen Schaden zufgen, indem es ganz unkontrolliert auftaucht. Doch dein Fall ist ein besonderer. Du neigst dazu, dich in so bertriebenem Ma gehenzulassen, da du sterben und dir gar nichts daraus machen k n n t e s t , oder noch schlimmer, nicht einmal bemerken wrdest, da du s t i r b s t . Meine Reaktion hatte eingesetzt, sagte ich ihm, als er mich fragte, ob ich fhlte, was mein Nagual getan hatte; da glaubte ich genau zu wissen, worauf er anspielte, aber als ich zu beschreiben versuchte, was es war, stellte ich fest, da ich nicht klar denken konnte. Ich erlebte einen gewissen Leichtsinn, j a Gleichgltigkeit, als sei mir wirklich alles egal. Dann wuchs diese Empfindung sich zu einer hypnotischen Konzentration aus. Es war, als ob mein ganzes Sein langsam ausgesaugt wrde. Was meine Aufmerksamkeit anzog und fesselte, war das deutliche Gefhl, da mir gleich ein ungeheuerliches Geheimnis offenbart werden sollte, und ich w o l l t e diese Offenbarung durch nichts stren lassen. Was dir offenbart werden sollte, war dein Tod, sagte Don Juan. Dies ist die Gefahr beim Sichgehenlassen. Besonders bei dir, da du von Natur aus so exaltiert bist. Dein Tonal KI so begabt zum Sichgehenlassen. da es die G a n z h e i t deines Selbst bedroht. Dies ist ein furchtbarer Z u s t a n d . Was kann ich tun? Dein Tonal mu mit Grnden berzeugt werden, d e i n Nagual mit Taten, bis eines das andere sttzt. Das Tonal h e r r s c h t , wie ich dir sagte, und doch ist es sehr v e r l e t z l i c h . Das Nagual hingegen geht nie aus sich heraus oder fast nie; aber wenn es das tut, dann jagt es dem Tonal einen Schrecken ein. Heute morgen geriet dein Tonal in Panik und f i n g von selbst an zu schrumpfen, und dann bernahm dein Nagual die Fhrung. Ich mute mir von einem der Fotografen im Park e i n e n Wassereimer borgen, um dein Nagual wie e i n e n Hund auf seinen Platz zurckzuscheuchen. Das Tonal mu um j e d e n

Preis geschtzt werden. Man mu ihm das Zepter entreien, aber es mu als behteter Hter b l e i b e n . Jegliche Bedrohung des Tonal fhrt stets zu seinem Tod. Und wenn das Tonal stirbt, dann stirbt der ganze Mensch. Wegen der ihm eigenen Schwche kann das Tonal leicht vernichtet werden, und daher ist es die ausgleichende Kunst des Kriegers, das Nagual auftauchen zu lassen, damit es das Tonal sttzt. Ich sage, es ist eine Kunst, denn die Zauberer wissen, da das Nagual nur auftauchen kann, wenn das Tonal verstrkt wird. Siehst du, was ich meine? Diese Verstrkung nennt man persnliche K r a f t . Don Juan stand auf, reckte die Arme und krmmte den Rcken. Ich machte Anstalten e b e n f a l l s a u f z u s t e h e n , aber er drckte mich sanft auf die Bank zurck. Du mut bis zur Dmmerung auf dieser Bank bleiben, sagte er. Ich mu g l e i c h gehen. Genaro e r w a r t e t mich in den Bergen. Komm also in drei Tagen zu seinem Haus, dort werden wir uns t r e f f e n ! Was werden wir bei Don Genaro t u n ? fragte ich. Das hngt davon ab. ob du genug Kraft h a s t , sagte er. Vielleicht zeigt Genaro dir das Nagual. Da war noch etwas, das ich hier und j e t z t uern mute. Ich mute wissen, ob sein Anzug nur ein schockierendes Requisit eigens fr mich war oder ob er w i r k l i c h zu s e i n e m Leben gehrte. Nie hatte eine seiner Handlungen m i r so zu schaffen gemacht wie sein Erscheinen in e i n e m Anzug. Nicht der Umstand als solcher brachte mich so durcheinander, sondern die Tatsache, da Don Juan elegant war. Seine Beine h a t t e n eine jugendliche Elastizitt. Es war. als ob die Schuhe, die er trug, seinen Krperschwerpunkt verlagert h t t e n ; seine Schritte waren lnger und fester als gewhnlich. Trgst du immer e i n e n Anzug? fragte ich. Ja, antwortete er mit gewinnendem Lcheln. Ich habe noch mehrere von der Sorte, aber ich wollte heute k e i n e n anderen anziehen, weil dich das nur noch mehr erschreckt htte. Ich wute nicht, was ich davon halten s o l l t e . Mir war. als sei ich am Ende meines Weges angelangt. Wenn Don Juan e i n e n Anzug tragen und darin elegant sein konnte, dann war alles mglich.

Er schien sich ber meine Verwirrung zu belustigen und lachte. Ich bin Aktionr, sagte er geheimnisvoll, aber wie selbstverstndlich, und ging davon. Am nchsten Morgen, Donnerstag, bat ich einen Freund, mit mir von dem Luftfahrtbro, wo Don Juan mich durch die Tr gestoen hatte, bis zum Lagunilla-Markt zu gehen. Wir nahmen den direktesten Weg. Wir brauchten dazu fnfunddreiig Minuten. Dort angelangt, versuchte ich mich zu orientieren. Es gelang mir nicht. Ich betrat ein Konfektionsgeschft gleich an der Ecke der breiten Allee, auf der wir standen. Entschuldigen Sie bitte, sagte ich zu einer jungen Frau, die bedchtig einen Hut mit der Kleiderbrste abstaubte. Wo sind die Stnde mit den alten Mnzen und antiquarischen Bchern? Haben wir nicht, sagte sie mrrisch. Aber ich habe sie doch gesehen, gestern, irgendwo auf diesem Marktplatz. Quatschen Sie nicht rum! sagte sie und verschwand hinter der Ladentheke. Ich rannte ihr nach und beschwor sie, mir zu sagen, wo die Stnde seien. Sie musterte mich von oben bis unten. Gestern konnten Sie sie gar nicht gesehen haben, sagte sie. Diese Stnde werden nur am Sonntag aufgebaut, gleich hier an der Mauer. Den Rest der Woche gibt es keine. Nur am Sonntag? wiederholte ich mechanisch. Ja. Nur am Sonntag. So ist es. Den Rest der Woche wrden sie den Verkehr stren. Sie deutete auf den Boulevard, auf dem die Autos sich stauten.

In der Zeit des Nagual

Ich rannte den Abhang vor Don Genaros Haus hinauf und sah Don Juan und Don Genaro auf der gerodeten Flche vor der Haustr sitzen. Sie l c h e l t e n mir zu. In ihrem Lcheln lag so viel Herzlichkeit und Unschuld, da mein Krper sofort alarmiert war. Automatisch fiel ich in eine langsamere Gangart zurck. Ich begrte sie. Wie geht's dir? fragte Don Genaro mich mit so geknstelter Stimme, da wir alle lachen muten. Er ist in bester Form, warf Don Juan ein. bevor ich antworten konnte. Das sehe ich, erwiderte Don Genaro. Schau nur, dieses Doppelkinn! Und schau, diese Speckpolster auf den Wangen! Don Juan hielt sich den Bauch vor Lachen. Dein Gesicht ist f e i s t , fuhr Don Genaro fort. Was hast du die ganze Zeit ber gemacht? Gefressen? Don Juan erklrte ihm scherzhaft, meine Lebensweise verlange von mir, viel zu essen. Im freundlichsten Ton hnselten sie mich wegen meiner Lebensweise, und dann forderte Don J u a n mich auf, zwischen i h n e n Platz zu nehmen. Die Sonne war bereits hinter einer hohen Bergkette im Westen untergegangen. Wo ist dein famoses Notizbuch? fragte Don Genaro mich. und als ich es aus der Tasche zog, schrie er Jippiie! und ri es mir aus der Hand. Anscheinend hatte er mich aufmerksam beobachtet und kannte meine Angewohnheiten in- und auswendig. Er h i e l t das Notizbuch mit beiden Hnden und spielte nervs damit herum, als ob er nichts Rechtes damit anzufangen wte. Zweimal sah es so aus. als wollte er es wegwerfen, aber anscheinend vermochte er sich zu beherrschen. Dann legte er es auf die Knie und tat so. als schreibe er fieberhaft, wie es meine Art war. Don Juan lachte, bis er husten mute. Was hast du damals gemacht, nachdem ich dich verlassen

h a t t e ? fragte Don Juan, nachdem die beiden sich wieder beruhigt hatten. Am Donnerstag ging ich auf den Markt, sagte ich. Was wolltest du dort? Den Weg ausmessen? erwiderte er. Don Genaro lie sich rckwrts f a l l e n und imitierte mit den Lippen j e n e s trockene Gerusch, wie wenn man mit dem Kopf auf den Boden bumst. Er sah mich schief an und zwinkerte. Ich mute es tun, sagte ich. Und ich habe festgestellt, da es dort werktags keine Stnde mit alten Mnzen und Bchern gibt. Die beiden lachten. Dann meinte Don Juan, da man durch Fragenstellen wohl selten etwas Neues erfahre. Was geschah nun wirklich, Don Juan? fragte ich. Glaube mir, das zu wissen ist unmglich, sagte er knapp. In diesen Dingen stehen du und ich auf gleicher Stufe. Mein Vorteil vor dir ist im Augenblick nur, da ich wei, wie man zum Nagual gelangt, und du es nicht weit. Aber sobald ich einmal dort bin, habe ich keinen Vorteil, keinen Wissensvorsprung vor dir. Bin ich wirklich auf dem Markt gelandet. Don J u a n ? fragte ich. Selbstverstndlich. Ich sagte dir doch, das Nagual s t e h t dem Krieger zu Gebot. Ist es nicht so. Genaro' 1 R i c h t i g ! rief Don Juan mit drhnender Stimme und stand mit einer einzigen Bewegung auf. Es war. als habe seine Stimme ihn aus der liegenden S t e l l u n g in eine aufrechte gerissen. Vor Lachen kugelte Don Juan sich buchstblich am Boden. Don Genaro machte mit nonchalanter Miene eine komische Verbeugung und verabschiedete sich. Genaro wird morgen wiederkommen, sagte Don Juan. Jetzt mut du in vlligem Schweigen hier sitzen bleiben. Wir sprachen kein Wort mehr. Nach stundenlangem Schweigen schlief ich ein. Ich schaute auf die Uhr. Es war beinah sechs Uhr frh. Don Juan warf einen prfenden Blick auf die schweren weien Wolkenberge am westlichen Horizont und meinte, heute sei ein bedeckter Tag. Don Genaro schnupperte in die Luft und fgte hinzu, es werde wohl auch hei und windstill sein.

W erden wir weit gehen? fragte ich. Bis zu den Eukalyptusbumen dort drben, antwortete Don Genaro und wies auf ein etwa zwei Kilometer entferntes Gehlz. Als wird die Bume erreichten, erkannte ich, da es kein natrliches Wldchen war. Die Eukalyptusbume waren vielmehr in schnurgeraden Reihen gepflanzt worden, um die Grenzen zwischen einzelnen Feldern zu markieren, die mit verschiedenen Getreidesorten bepflanzt waren. Wir gingen am Rand eines Maisfeldes entlang, unter einer Reihe riesiger Bume - sie waren schlank und gerade und ber dreiig Meter hoch, - und gelangten zu einem Stoppelfeld. Ich bemerkte, da es offenbar erst vor kurzem abgeerntet worden war. Es waren nur noch trockene Halme und Bltter von irgendwelchen Pflanzen da, die ich nicht kannte. Ich bckte mich, um ein Blatt aufzuheben, aber Don Genaro hinderte mich daran. Mit groer Kraft hielt er meinen Arm f e s t . Ich fuhr zurck, und dann stellte ich fest, da er meinen Arm nur ganz leicht mit dem Finger berhrt hatte. Kein Zweifel, er wute, was er getan und was ich dabei empfunden hatte. Rasch zog er seinen Finger von meinem Arm zurck, und dann berhrte er ihn wieder leicht. Dies wiederholte er noch einmal und lachte wie ein frhliches Kind, als ich zusammenzuckte. Dann wandte er mir sein Profil zu. Seine Adlernase verlieh ihm das Aussehen eines Vogels, eines Vogels mit merkwrdigen langen, weien Zhnen. Mit leiser Stimme befahl Don Juan mir, nichts anzufassen. Ich fragte ihn, ob er wisse, welche Feldfrucht hier angebaut worden sei. Er schien es mir schon sagen zu wollen, aber Don Genaro mischte sich ein und meinte, dies sei ein Feld von Wrmern. Don Genaro sah mich fest an, ohne ein Lcheln zu riskieren. Ich hielt Don Genaros sinnlose Antwort fr einen Witz. Ich wartete auf ein Stichwort, um loszulachen, aber sie schauten mich blo unverwandt an. Ein Feld voller prchtiger Wrmer, sagte Don Genaro. Ja, was hier angepflanzt wurde, das waren die kstlichsten Wrmer, die du je gesehen hast. Er drehte sich zu Don Juan um. Sie warfen sich einen Blick zu.

Ist es nicht so? fragte er. Vllig richtig! sagte Don Juan, und zu mir gewandt, fgte er leise hinzu: Genaro fhrt heute Regie. Nur er kann sagen, was los ist. tu also genau, was er sagt! Die Vorstellung, da Don Genaro die Fhrung hatte, erfllte mich mit Schrecken. Ich wandte mich an Don Juan, um ihm dies zu sagen. Aber noch bevor ich ein Wort sagen konnte, stie Don Genaro einen unheimlichen Schrei aus. einen so l a u t e n und furchterregenden Schrei, da mein Genick sich versteifte und mir die Haare zu Berge standen, als ob der Wind sie zauste. Eine Sekunde lang verfiel ich in eine k o m p l e t t e Bewutseinsspaltung, und ich wre wie angewurzelt stehengeblieben, wre nicht Don Juan dagewesen. der mit unglaublicher Schnelligkeit und Selbstbeherrschung meinen Krper umdrehte, so da meine Augen eine unglaubliche Leistung erblicken konnten. Don Genaro stand waagerecht etwa dreiig Meter ber dem Boden auf dem Stamm eines etwa fnfzig Meter entfernten Eukalyptus. Das heit, er stand mit leicht gespreizten Beinen im rechten Winkel zum Stamm. Es sah aus, als habe er Steighaken an den Fen, mit deren Hilfe er der Schwerkraft trotzte. Er hatte die Arme ber der Brust verschrnkt und wandte mir den Rcken zu. Ich blickte starr zu ihm hin. Ich wollte nicht blinzeln, denn ich frchtete, ihn aus dem Blick zu verlieren. Ich berlegte rasch und kam zu dem Schlu, da ich, falls ich ihn im Auge behielt, v i e l l e i c h t e i n e n Hinweis, eine Bewegung, eine Gebrde oder irgend etwas entdecken knnte, das mir helfen wrde zu verstehen, was hier vorging. Ich sprte Don Juans Kopf neben meinem rechten Ohr und hrte, wie er mir zuflsterte, da j e d e r Versuch einer Erklrung sinnlos und idiotisch sei. Ich hrte i h n wiederholt sagen: Pre deinen Bauch runter, r u n t e r ! Es handelte sich dabei um e i n e Technik, die er mich vor Jahren gelehrt hatte und die in Augenblicken groer Gefahr. Angst oder Belastung einzusetzen ist. Sie besteht darin, da man das Zwerchfell hinabdrckt, whrend man vier rasche Atemzge durch den Mund t u t , gefolgt von viermaligem tiefem Ein- und Ausatmen durch die Nase. Er h a t t e mir erklrt, man msse die raschen Atemzge wie Schlge in die

Krpermitte empfinden und dabei die Hnde, fest zu Fusten g e b a l l t , gegen den Nabel drcken, was die Krpermitte strken und mithelfen wrde, die Atemzge und das t i e f e Luftholen zu kontrollieren, wobei man bei hinuntergepretem Zwerchfell die Luft anhalten und bis acht zhlen msse. Das Ausatmen hatte zweimal durch die Nase und zweimal durch den Mund zu geschehen, und zwar s c h n e l l oder langsam, j e nach Belieben. Ich gehorchte ganz automatisch. Ich wagte es aber nicht, den B l i c k von Don Genaro abzuwenden. Whrend ich weiter atmete, entspannte sich mein Krper, und ich bemerkte, da Don J u a n sich an meinen Beinen zu schaffen machte. Als er mich v o r h i n umgedreht hatte, war mein rechter Fu anscheinend an e i n e m Erdklumpen hngengeblieben, und mein Bein war in unbequemer Haltung abgewinkelt. Nachdem er es gerade g e s t e l l t h a t t e , wurde mir k l a r , da der Schock. Don Genaro in dieser Haltung am Baumstamm zu sehen, mich unempfindlich gegen meine unbequeme Lage gemacht h a t t e . Don Juan f l s t e r t e mir ins Ohr. ich solle nicht starr auf Don Genaro blicken. Ich hrte ihn sagen: Blinzle, blinzle! Ich zgerte e i n e n Moment. Wieder befahl Don Juan es mir. Ich war davon berzeugt, da die ganze Angelegenheit irgendwie mit mir als Betrachter in Verbindung stand und da Don Genaro, f a l l s ich. der einzige Zeuge seiner Tat, wegschauen sollte, h e r u n t e r f a l l e n - oder die ganze Szene sogar verschwinden wrde. Nach einer u n e r t r g l i c h l a n g e n Pause der Reglosigkeit drehte sich Don Genaro a u f den Fersen um fnfundvierzig Grad nach rechts und f i n g an, d e n Baumstamm hinaufzugehen. Sein Krper bebte. Ich sah. wie er ein Schrittchen nach dem anderen machte, bis er acht zurckgelegt h a t t e . Er wich sogar einem Ast aus. Dann, immer noch mit ber der Brust verschrnkten Armen, setzt er sich mit dem Rcken zu mir auf den Stamm. S e i n e Fe baumelten in der Luft, als ob er auf einem Stuhl se, als ob die Schwerkraft keine Wirkung auf ihn htte. Dann rutschte er irgendwie auf dem Ges abwrts. Er erreichte e i n e n Ast. der p a r a l l e l zu seinem Krper herausragte, und l e h n t e sich ein paar Sekunden mit dem l i n k e n Arm und dem Kopf dagegen. Dies tat er offenbar mehr wegen der

dramatischen Wirkung, als um sich zu sttzen. Dann rutschte er auf dem Ges weiter. Zentimeter fr Zentimeter vom Stamm auf den Ast. bis er seine S t e l l u n g gewechselt h a t t e und nun dort sa. wie man wohl normalerweise auf e i n e m Ast sitzen wrde. Don Juan kicherte. Ich hatte e i n e n scheulichen Geschmack im Mund. Ich wollte mich nach Don J u a n umdrehen, der zu meiner Rechten knapp hinter mir stand, aber ich wagte nicht, eine von Don Genaros Taten zu versumen. Eine Weile lie er die Fe baumeln, dann s c h l u g er sie bereinander und wippte ein wenig, s c h l i e l i c h glitt er wieder auf den Stamm hinauf. Don Juan nahm behutsam meinen Kopf in beide Hnde und bog meinen Hals nach links, bis mein Gesichtswinkel parallel statt senkrecht zu dem Baum v e r l i e f . Wenn ich Don Genaro aus d i e s e r Perspektive sah, schien er n i c h t mehr der Schwerkraft zu trotzen. Er sa einfach auf e i n e m Baumstamm. Dann stellte ich fest, da, wenn ich starr geradeaus blickte und nicht b l i n z e l t e , der Hintergrund verschwamm und Don Genaros Krper sich um so klarer abzeichnete; seine Gestalt trat in den Vordergrund, als ob nichts anderes e x i s t i e r t e . Nun glitt Don Genaro rasch auf den Ast zurck. Er hockte m i t baumelnden Fen wie auf e i n e m Trapez. Wenn i c h i h n aus dieser verzerrten P e r s p e k t i v e sah. dann e r s c h i e n e n beide Stellungen mglich, besonders das S i t z e n auf dem Baumstamm. Don Juan beugte nun meinen Kopf nach rechts, bis er auf meiner Schulter r u h t e . Don Genaros Haltung auf dem Ast erschien mir vllig normal, aber als er wieder auf d e n Stamm rutschte, konnte ich meine Wahrnehmung nicht entsprechend anpassen und sah i h n . als se er verkehrt herum, mit dem Kopf nach unten. Don Genaro bewegte sich etliche Male vor und z u r c k , und jedesmal, wenn Don Genaro sich bewegte, bog Don J u a n meinen Kopf nach der anderen Seite. Die Folge d i e s e r beiden Verschiebungen war. da ich meine normale Perspektive vllig verlor, und ohne diese w a r e n Don Genaros Taten weniger erschreckend. Nun blieb Don Genaro lngere Zeit auf dem Ast s i t z e n . Don Juan richtete meinen Kopf gerade und f l s t e r t e m i r zu. Don

Genaro sei im Begriff herunterzukommen. Ich hrte, wie er eindringlich flsterte: Nach unten pressen, nach unten! Ich war mitten im s c h n e l l e n Ausatmen, als Don Genaros Krper sich unter einer Art Spannung zu versteifen schien. Er leuchtete auf. dann erschlaffte er. schwang rckwrts und hing einen Augenblick mit den Kniekehlen am Ast. Seine Beine schienen aber so kraftlos zu sein, da er sie nicht abgebeugt halten konnte, und er fiel herab. In der Sekunde, als sein Sturz begann, h a t t e auch ich das Gefhl, durch den l e e r e n Raum zu strzen. Mein ganzer Krper empfand einen qulenden, gleichzeitig aber sehr angenehmen Schmerz, e i n e n Schmerz von solcher Heftigkeit und Dauer, da meine Beine nicht mehr mein Gewicht zu tragen vermochten und ich auf die weiche Erde fiel. Ich konnte kaum die Arme bewegen, um meinen Sturz abzufangen. Ich atmete so heftig, da ein wenig Sand in m e i n e Nase g e r i e t und ein Jucken verursachte. Ich v e r s u c h t e aufzustehen: meine Muskeln schienen alle Kraft v e r l o r e n zu haben. Don Juan und Don Genaro kamen und beugten sich ber mich. Ich hrte ihre Stimmen, als ob sie in einiger Entfernung von mir wren, und doch sprte ich. wie sie mich hochzogen. Anscheinend hoben sie mich auf. wobei j e d e r mich an e i n e m Arm und e i n e m Bein packte, und trugen mich ein Stck w e i t . Ich war mir der unbequemen Haltung meines Kopfes b e w u t , der schlaff herabbaumelte. Meine Augen waren offen. Ich sah die Erde und Grasbschel u n t e r mir weggleiten. Schlielich sprte ich e i n e n k a l t e n Schauer. Wasser drang m i r in Mund und Nase, und ich mute h u s t e n . Meine Arme u n d Beine strampelten wie w i l d . Ich v e r s u c h t e zu schwimmen, aber das Wasser war nicht tief genug, und s c h l i e l i c h stand ich aufrecht in dem seichten Bach, in den sie mich e i n g e t a u c h t h a t t e n . Don Juan und Don Genaro w o l l t e n sich k a p u t t l a c h e n . Don Juan krempelte s e i n e Hosen auf und kam zu mir h e r a n : er sphte mir in die Augen, dann meinte er. i c h sei noch n i c h t wieder ganz und heil, und stie mich ins Wasser zurck. Mein Krper bot keinerlei Widerstand. Ich wollte n i c h t noch einmal eingetunkt werden, aber es w a r mir unmglich, meinen W i l l e n auf meine Muskeln zu bertragen, und so s t o l p e r t e ich rcklings. Diesmal empfand ich die Klte noch strker. Rasch

sprang ich auf und hastete versehentlich auf das gegenberliegende Ufer. Don Juan und Don Genaro schrien und pfiffen und warfen Steine ins Gebsch hinter mir, als versuchten sie. einen ausgebrochenen Ochsen zu dirigieren. Ich watete durch den Bach zurck und setzte mich neben sie auf einen Stein. Don Genaro reichte mir meine Kleider, und erst jetzt f i e l mir auf, da ich nackt war, obwohl ich mich nicht daran erinnerte, wann oder wie sie mich ausgezogen hatten. Don Juan wandte sich an Don Genaro und sagte mit drhnender Stimme: Um Himmelswillen, geb' einer dem Mann doch ein Handtuch! Ich brauchte ein paar Sekunden, um die Absurditt in dieser Situation zu erkennen. Ich fhlte mich sehr wohl. Ich war sogar so glcklich, da ich nicht einmal sprechen wollte. Ich war mir aber sicher, da sie. f a l l s ich meine Euphorie zeigte, mich wieder ins Wasser tunken wrden. Don Genaro beobachtete mich. Seine Augen funkelten wie die eines wilden Tieres. Sein Blick drang durch mich hindurch. Gut fr dich! sagte Don Juan pltzlich zu mir. Jetzt bist du beherrscht, aber drben bei den Eukalyptusbumen hast du dich gehenlassen wie ein Hanswurst. Schon wollte ich hysterisch loslachen. Don Juans Worte kamen mir so wahnsinnig komisch vor. da ich mich gewaltig anstrengen mute, um mich zu zgeln. Und dann e r t e i l t e mir irgend etwas in mir blitzartig einen Befehl. Ein unkontrollierbares Jucken in der Krpermitte veranlate mich, meine Kleider abzuwerfen und wieder ins Wasser zu springen. Ich blieb etwa fnf Minuten im Bach. Die Klte machte mich wieder nchtern. Als i c h ans Ufer stieg, war ich wieder ich selbst. Gut gemacht! sagte Don J u a n und klopfte mir die Schulter. Sie fhrten mich zu den Eukalyptusbumen zurck. Im Gehen erklrte Don Juan, mein Tonal sei in gefhrlichem Ma verletzlich gewesen, und o f f e n s i c h t l i c h habe die Widersinnigkeit von Don Genaros Taten es berfordert. Er sagte, sie htten bereits beschlossen gehabt, es keinen neuen Belastungen auszusetzen und zu Don Genaro nach Hause zu gehen, aber die Tatsache, da ich selbst erkannt htte, ich msse noch einmal im Bach untertauchen, habe nun alles gendert. Er

sagte jedoch nicht, was sie im Sinn hatten. Wir standen mitten auf dem Feld, an der gleichen Stelle, wo wir zuvor gewesen waren. Don Juan stand rechts von mir, Don Genaro l i n k s . Beide standen mit angespannten Muskeln da, in einem Zustand uerster Wachsamkeit. Diese Anspannung h i e l t e n sie etwa zehn Minuten durch. Mein Blick wechselte vom einen zum anderen. Ich hoffte, Don Juan werde mir ein Stichwort geben, was ich tun sollte. Ich h a t t e recht. Irgendwann entspannte er s e i n e n Krper und stie mit dem Fu ein paar f e s t e Erdklumpen fort. Ohne mich anzusehen, sagte er: Wir sollten lieber gehen. Unwillkrlich berlegte ich, Don Genaro habe wohl die Absicht gehabt, mir noch eine weitere Demonstration des Nagual zu e r t e i l e n , dann aber wohl beschlossen, es doch nicht zu t u n . Ich war erleichtert. Ich wartete noch einen Augenblick auf e i n e letzte Besttigung. Auch Don Genaro entspannte sich, und dann taten beide e i n e n Schritt nach vorn. Jetzt wute ich, da wir es hinter uns hatten. Aber genau in dem Augenblick, da ich mich ebenfalls entspannte, stie Don Genaro wieder seinen unglaublichen Schrei aus. Ich fing wie wild an zu atmen. Ich schaute mich um. Don Genaro war verschwunden. Don Juan stand vor mir. Er krmmte sich vor Lachen. Er kam einen Schritt nher. Tut mir leid, flsterte er. Es geht nicht a n d e r s . Ich wollte ihn nach Don Genaros Verbleib fragen, aber ich wute, da ich sterben wrde, wenn ich nicht weiter atmete und mein Zwerchfell nach unten prete. Don Juan wies mit dem Kinn auf eine S t e l l e hinter mir. Ohne meine Fe zu bewegen, w o l l t e ich mich nach l i n k s umdrehen. Aber noch bevor ich sehen konnte, was er mir zeigen wollte, sprang Don Juan herbei und hinderte mich daran. Durch seinen gewaltigen Satz und den Schwung, mit dem er mich packte, verlor ich das Gleichgewicht. Im Rckwrtsfallen hatte ich das Gefhl, da ich mich in meinem Schrecken an Don Juan festklammerte und i h n folglich mit mir zu Boden ri. Aber als ich aufschaute, mute ich einen vlligen Widerspruch zwischen meinen t a k t i l e n und v i s u e l l e n Sinneseindrcken f e s t s t e l l e n . Ich sah Don Juan ber mir stehen und lachen, whrend mein Krper unzweifelhaft das Gewicht und den Druck eines ande-

ren. auf mir liegenden Krpers sprte, der mich geradezu auf den Boden prete. Don Juan reichte mir die Hand und half mir auf. Meine krperliche Empfindung war, da er zwei Leiber emporzog. Er lchelte wissend und flsterte mir zu, man drfe sich nie nach links umdrehen, wenn man das Nagual sehen wolle. Das Nagual sei tdlich, und es sei nicht notwendig, die Risiken noch grer zu machen, als sie ohnehin schon seien. Dann drehte er mich behutsam um und lenkte meinen Blick auf einen riesigen Eukalyptus. Er war wohl der lteste Baum hier in der Gegend. Sein Stamm war fast zweimal so dick wie die aller anderen. Mit den Augen wies er zum Wipfel des Baumes hinauf. Don Genaro hockte auf einem Ast! Er schaute zu mir herab. Ich sah seine Augen wie zwei riesige, das Licht reflektierende Spiegel. Ich wollte nicht hinsehen, aber Don Juan bestand darauf, ich drfe den Blick nicht abwenden. Eindringlich flsternd, befahl er mir. mit den Augen zu blinzeln und nicht der Angst nachzugeben oder mich gehenzulassen. Ich bemerkte, da Don Genaros Augen, wenn ich regelmig blinzelte, nicht so furchterregend waren. Nur wenn ich starr hinschaute, wurde das Leuchten seiner Augen entsetzlich. Lange blieb er auf dem Ast hocken. Dann - ohne eine Krperbewegung - sprang er herab und landete in der gleichen hockenden Stellung ein paar Meter von meinem Standort entfernt. Ich konnte den ganzen Ablauf seines Sprungs verfolgen, und ich wute, da ich mehr gesehen hatte, als meine Augen aufnehmen konnten. Don Genaro war nicht eigentlich gesprungen. Irgend etwas hatte ihn sozusagen von hinten geschoben und ihn eine Parabel durch die Luft beschreiben lassen. Der Ast, auf dem er gesessen hatte, war an die dreiig Meter hoch, und der Baum war ungefhr fnfzig Meter von mir entfernt; folglich mute sein Krper eine gekrmmte Kurve beschreiben, um dort zu landen, wo er es tat. Aber die Kraft, die es brauchte, um eine solche Entfernung zu berwinden, war nicht das Produkt von Don Genaros Muskeln; sein Krper wurde vom Ast auf den Boden geblasen. Whrend sein Krper diese Parabel beschrieb, konnte ich einen Augenblick seine Schuhsohlen und sein Ges se-

hen. Dann vollfhrte er eine weiche Landung, wiewohl sein Gewicht Erdklumpen zerbrselte und Staub aufwirbelte. Hinter mir hrte ich Don Juan lachen. Don Genaro stand auf, als sei nichts geschehen, und zupfte mich am rmel, um mir zu bedeuten, da wir aufbrechen sollten. Niemand sprach ein Wort auf dem Weg zu Don Genaros Haus. Ich war klar und gefat. Etliche Male blieb Don J u a n stehen und starrte mir prfend in die Augen. Er s c h i e n zufrieden. Sobald w i r daheim waren, ging Don Genaro hinter das Haus. Es war immer noch frh am Morgen. Don Juan setzte sich neben der Tr auf den Boden und wies mir mit der Hand e i n e n Platz. Ich war erschpft. Ich legte mich hin und schlief wie ein Stein. Ich erwachte davon, da Don Juan mich schttelte. Ich wollte nachsehen, wie spt es war. Meine Uhr war weg. Don Juan zog sie aus seiner Hemdtasche und r e i c h t e sie mir. Es war gegen ein Uhr mittags. Ich schaute auf, und unsere Blicke begegneten sich. Nein! Es gibt keine Erklrung, sagte er und wandte sich ab. Das Nagual ist nur dazu da, erlebt zu werden. Ich ging um das Haus herum und suchte Don Genaro; er war nicht da. Dann kehrte ich zum Vorplatz zurck. Don Juan hatte mir etwas zu essen z u b e r e i t e t . Nachdem ich gegessen hatte, fing er an zu sprechen. Wenn man es mit dem Magnat zu t u n hat, soll man es nie direkt anschauen, sagte er. Heute morgen hast du es angestarrt, und deshalb v e r l i e e n dich die Krfte. Die einzig mgliche Art, das Nagual anzusehen, ist, so zu tun, als ob es etwas ganz Alltgliches sei. Und man mu b l i n z e l n , um die Fixierung zu lsen. Unsere Augen sind die Augen des Tonal oder genauer gesagt, unsere Augen sind durch das Tonal geschult, daher erhebt das Tonal Anspruch auf sie. Eine der Ursachen fr deine Verwirrung und d e i n e n Verdru ist, da dein Tonal deine Augen nicht loslassen will. An dem Tag, da es dies tut, wird dein Nagual eine groe Schlacht gewonnen haben. Du bist oder besser: w i r alle sind zwanghaft besessen von der Idee, die Welt nach den Gesetzen des Tonal zu arrangieren. Jedesmal. wenn wir dem Nagual gegenberste-

hen, strengen wir uns daher ungeheuer an. unsere Augen starr und unnachgiebig zu machen. Ich mu den Teil deines Tonal ansprechen, der dieses Dilemma versteht, und du mut dich bemhen, deine Augen frei zu machen. Es kommt darauf an, das Tonal davon zu berzeugen, da es noch andere Welten geben kann, die sich vor den gleichen Fenstern abspielen. Dies hat das Nagual dir heute morgen gezeigt. Also befrei deine Augen! La sie echte Fenster sein! Die Augen knnen Fenster sein, durch die man in den Stumpfsinn glotzt oder in diese Unendlichkeit spht. Don Juan wies mit einer kreisfrmigen Bewegung des linken Armes auf die Umgebung. In seinen Augen war ein Glitzern, und sein Lcheln war furchterregend und entwaffnend zugleich. Wie kann ich das? fragte ich. Ich sage dir, das ist ganz einfach. Vielleicht sage ich. es sei einfach, weil ich es schon so lange praktiziere. Du brauchst nichts anderes tun, als deinen Vorsatz wie einen Grenzschlagbaum einzusetzen. Immer wenn du in der Welt des Tonal/bist, dann sollst du ein makelloses Tonal sein. Keine Zeit fr irrationalen Quatsch! Aber immer, wenn du in der Welt des Nagual bist, dann sollst du ebenso makellos sein. Keine Zeit f r rationalen Quatsch! Fr den Krieger ist sein Vorsatz wie ein Schlagbaum zwischen beiden. Er schliet sich vollstndig hinter ihm, wenn er das eine oder das andere Reich betritt. Und noch etwas sollte man tun. sobald man dem Nagual gegenbertritt, nmlich von Zeit zu Zeit die Blickrichtung wechseln, um den Bann des Nagual zu brechen. Eine Vernderung der Augenstellung mildert stets den Ansturm auf das Tonal. Heute morgen stellte ich fest, da du extrem verletzlich warst, und ich vernderte deine Kopfhaltung. Wenn du wieder einmal in einer solchen Lage bist, dann solltest du selbst deine Kopfhaltung wechseln knnen. Dieser Wechsel sollte aber nur als Hilfsmittel dienen, nicht als eine weitere Mglichkeit, sich zu verbarrikadieren, um die Ordnung des Tonal zu wahren. Ich wette, du wrdest versuchen, diese Technik einzusetzen, um dahinter die Rationalitt deines Tonal zu verstecken, und dich dadurch im Glauben wiegen, du bewahrtest es vor der Vernichtung. Dein Denkfehler ist, da niemand die Vernich-

tung der Rationalitt des Tonal wnscht oder anstrebt. Diese Sorge ist unbegrndet. Ansonsten kann ich dir nichts sagen, auer da du jede Bewegung, die Genaro macht, verfolgen mut, ohne dich zu verausgaben. Du kannst dich jetzt auf die Probe stellen, ob dein Tonal mit Unwesentlichem vollgestopft ist oder nicht. Wenn es zu viele unntige Dinge auf deiner Insel gibt, dann wirst du die Begegnung mit dem Nagual nicht aushallen. W as knnte mir passieren? Du knntest sterben. Niemand kann eine vorstzliche Begegnung mit dem Nagual ohne langes Training berleben. Es braucht Jahre, um das Tonal auf eine solche Begegnung vorzubereiten. Wenn ein normaler Mensch dem Nagual von Angesicht zu Angesicht entgegentrte, dann wre der Schock so stark, da er sterben knnte. Das Training eines Kriegers verfolgt also nicht das Ziel, ihn das Zaubern oder Hexen zu lehren, sondern sein Tonal vorzubereiten, damit es nicht stirbt. Ein sehr schwieriges Unterfangen! Der Krieger mu lernen, unfehlbar und vollkommen leer zu sein, bevor er auch nur daran denken kann, dem Nagual zu begegnen. In einem Fall zum Beispiel mut du aufhren zu kalkulieren. Was du heute morgen gemacht hast, war absurd. Du nennst es Erklren. Ich nenne es ein steriles, stumpfsinniges Beharren des Tonal, alles unter Kontrolle zu behalten. Immer wenn ihm dies nicht gelingt, gibt es einen Augenblick der Verwirrung, und dann ffnet das Tonal sich dem Tod. Was fr ein Bldsinn! Es wrde sich lieber umbringen, als die Herrschaft abzutreten. Und doch knnen wir nur wenig tun, um diesen Zustand zu ndern. Wie hast du ihn denn bei dir gendert. Don Juan? Man mu die Insel des Tonal leerfegen und leerhalten, das ist das einzige, was dem Krieger brigbleibt. Eine leere Insel bietet keinen Widerstand. Und es ist. als ob es dort nichts gbe. Er ging hinters Haus und setzte sich auf einen groen, flachen Stein. Von dort konnte man in eine tiefe Schlucht hinabsehen. Wortlos forderte er mich auf, mich neben ihn zu setzen. Kannst du mir sagen. Don Juan, was wir heute sonst noch tun werden? fragte ich.

Wir werden gar nichts tun. Das heit, du und ich werden nur Zuschauer sein. Dein Wohltter ist Genaro. Ich glaubte, ich htte ihn im Eifer des Mitschreibens miverstanden. In den Anfangsphasen meiner Lehrzeit hatte Don Juan selbst den Begriff Wohltter eingefhrt. Ich hatte stets den Eindruck gehabt, er selbst sei mein Wohltter. Don Juan hatte aufgehrt zu sprechen und starrte mich an. Rasch rekapitulierte ich das Gesagte und kam zu dem Schlu. er habe wohl gemeint, da Don Genaro bei dieser Gelegenheit wohl so etwas wie der Hauptdarsteller sei. Don Juan lachte, als ob er meine Gedanken gelesen htte. Genaro ist dein Wohltter, wiederholte er. Aber das bist doch du, oder n i c h t ? fragte ich mit berschnappender Stimme. Ich bin nur derjenige, der dir geholfen hat. die Insel des Tonal leerzufegen, sagte er. Genaro hat zwei Lehrlinge. Pablito und Nestor. Ihnen hilft er, die Insel leerzufegen. Aber ich bin es, der ihnen das Nagual zeigen wird. Ich werde i h r Wohltter sein. Genaro ist blo ihr Lehrer. Bei diesen Dingen kann man nur entweder sprechen oder handeln. Man kann nicht beides mit ein und derselben Person machen. Entweder man befat sich mit der Insel des Tonal oder man befat sich mit dem Nagual. In deinem Fall war es meine Aufgabe, d e i n Tonal zu bearbeiten. Whrend Don Juan sprach, hatte ich einen so heftigen Angstanfall, da ich mich fast bergeben mute. Ich hatte d e n Eindruck, er wolle mich mit Don Genaro a l l e i n lassen, und das war fr mich eine schreckliche Aussicht. Don Juan l a c h t e nur, als ich meine Befrchtungen uerte. Genauso ist es mit Pablito, sagte er. Kaum sieht er m i c h nur von weitem, da wird ihm schon schlecht. Eines Tages kam er ins Haus, whrend Genaro ausgegangen war. Ich war a l l e i n und hatte meinen Sombrero neben die Tr gehngt. P a b l i t o sah ihn, und sein Tonal bekam e i n e n solchen Schreck, da er sich buchstblich in die Hose schi. Ich konnte Pablitos Gefhle gut verstehen und mich in i h n hineinversetzen. Wenn ich mir die Sache genau berlegte, dann mute ich zugeben, da Don Juan furchterregend war. Aber ich hatte gelernt, mich bei ihm wohl zu fhlen. Ich

empfand i h m gegenber eine Vertrautheit, die aus unserer langen Bekanntschaft entstanden war. Ich werde dich nicht mit Genaro allein l a s s e n , sagte er, immer noch lachend. Ich bin es. der fr dein Tonal verantwortlich ist. Ohne dein Tonal wrst du tot. Hat _ j e d e r Lehrling einen Lehrer und e i n e n Wohltter? fragte ich, nur um meinen inneren Aufruhr zu besnftigen. Nein, nicht _ jeder. Aber einige. Warum haben manche sowohl e i n e n Lehrer als auch e i n e n Wohltter? Wenn ein normaler Mensch bereit ist, dann gibt die Kraft ihm einen Lehrer, und er wird ein Lehrling. Wenn der Lehrling bereit ist, gibt die Kraft ihm e i n e n Wohltter, und er wird ein Zauberer. Was macht den Mann bereit, so da die Kraft i h m e i n e n Lehrer geben kann? Das wei niemand. Wir sind nur Menschen. Einige von uns sind Menschen, die gelernt haben zu sehen und das Nagual zu nutzen, aber nichts von alledem, was wir v i e l l e i c h t im Lauf unseres Lebens gelernt haben, kann uns die Absichten der Kraft entrtseln. Daher findet nicht jeder Lehrling einen Wohltter. Nur die Kraft entscheidet dies. Ich fragte ihn, ob er selbst einen Lehrer und e i n e n Wohltter gehabt hatte, und zum erstenmal seit dreizehn Jahren erzhlte er bereitwillig von ihnen. Er sagte, sowohl sein Lehrer als auch sein Wohltter seien aus Zentralmexiko gewesen. Eine solche Information wre mir stets sehr wertvoll f r meine anthropologische Forschungsarbeit erschienen, aber j e t z t , da er sie mir mitteilte, war es mir irgendwie gleichgltig. Don Juan warf mir einen Blick zu. und ich meinte, es geschehe aus Besorgnis. Dann wechselte er abrupt das Thema und forderte mich auf, i h m in allen Einzelheiten zu schildern, was ich am Vormittag erlebt hatte. Ein pltzlicher Schreck lt das Tonal stets schrumpfen, lautete sein Kommentar zu meinem Bericht, wie ich mich gefhlt hatte, als Genaro schrie. Dabei besteht aber das Problem, das Tonal nicht so weit schrumpfen zu lassen, da es verschwindet. Es ist eine ernste Sache fr den Krieger, genau zu wissen, wann er sein Tonal schrumpfen lassen darf und

wann er dem Einhalt gebieten mu. Dies ist e i n e groe Kunst. Ein Krieger mu kmpfen wie der Teufel, um sein Tonal schrumpfen zu lassen, und doch mu der Krieger in dem Moment, da das Tonal schrumpft, diesen ganzen Kampf umkehren, um das Schrumpfen sofort zu bremsen. Aber kehrt er damit nicht zum Ausgangspunkt zurck? fragte ich. Nein. Sobald das Tonal geschrumpft ist, schliet der Krieger von der anderen Seite die Pforte. Solange sein Tonal nicht bedroht ist und seine Augen nur auf die Welt des Tonal eingestimmt sind, befindet der Krieger sich auf der sicheren Seite des Gatters. Er ist auf vertrautem Gelnde und kennt alle Regeln. Aber sobald sein Tonal schrumpft, steht er auf der strmischen Seite, und diese ffnung mu sofort fest geschlossen werden, sonst wrde er augenblicklich hinweggefegt. Und dies ist nicht blo eine bildliche Redeweise. Jenseits der Pforte, die die Augen des Tonal bilden, tobt der Sturm. Ich meine einen wirklichen Sturm, keine Metapher. Ein Wind, der jemandes Leben ausblasen kann. Wirklich, das ist der Wind, der alle Lebewesen auf dieser Welt umherweht. Vor Jahren einmal habe ich dich mit diesem Wind bekannt gemacht. Aber du hast es damals als Witz aufgefat. Er spielte auf eine Gelegenheit an, als er mich ins Gebirge mitgenommen hatte und mir gewisse Eigenschaften des Windes erklrte. Ich hatte es jedoch nie als Witz aufgefat. Es kommt nicht darauf an, ob du es ernst genommen hast oder nicht, sagte er, nachdem er sich meinen Protest angehrt hatte. Als Regel gilt, da das 7"oa/sich, immer wenn es bedroht ist, um jeden Preis verteidigen mu. Daher ist es eigentlich bedeutungslos, wie das Tonal reagiert, um seine Verteidigung zu bewerkstelligen. Das einzig Wichtige ist, da das Tonal eines Kriegers mit anderen Alternativen bekannt gemacht werden mu. Worauf es einem Lehrer in diesem Fall ankommt, das ist das absolute Gewicht dieser Mglichkeiten. Denn das Gewicht dieser neuen Mglichkeiten ist es, das hilft, das Tonal schrumpfen zu lassen. Aus demselben Grund ist es ebendieses Gewicht, das einem hilft, das Tonal daran zu hindern, zu schrumpfen, bis es verschwindet. Er forderte mich auf, mit meinem Bericht ber die Ereignisse

des Vormittags fortzufahren, dann aber unterbrach er mich, als ich zu der Stelle kam, wo Don Genaro zwischen dem Baumstamm und dem Ast hin- und hergerutscht war. Das Nagual kann auerordentliche Dinge vollbringen, sagte er. Dinge, die nicht mglich erscheinen, Dinge, die fr das Tonal unvorstellbar sind. Aber das Auerordentliche daran ist, da derjenige, der diese Dinge tut, niemals wissen kann, wie sie geschehen. Mit anderen Worten, Genaro wei nicht, wie er es macht, er wei nur, da er es macht. Das Geheimnis eines Zauberers ist, da er wei, wie er zum Nagual gelangen kann, aber sobald er dort ist, kann er, genau wie du, blo raten, was eigentlich geschieht. Aber wie fhlt man sich, whrend man solche Dinge t u t ? Man fhlt sich ebenso, wie wenn man irgend etwas t u t . Meinst du, Don Genaro fhlt sich wie einer, der einen Baumstamm hinauf l u f t ? Don Juan sah mich eine Weile an, dann wandte er den Kopf ab. Nein, flsterte er eindringlich. Nicht auf die Art, wie du es meinst. Er sagte nichts mehr. Ich hielt buchstblich den Atem an und wartete auf seine Erklrung. Schlielich mute ich die Frage stellen: Aber was fhlt er nun? Ich kann es nicht sagen, nicht weil es eine persnliche Angelegenheit wre, sondern weil es unmglich ist, das zu beschreiben. Ach, komm! bedrngte ich ihn. Es gibt nichts, was man nicht mit Worten erklren knnte. Ich glaube, sogar wenn es unmglich ist, etwas direkt zu beschreiben, kann man es doch umschreiben, irgendwie auf den Busch k l o p f e n . Don Juan lachte. Sein Lachen war sanft und freundlich. Und doch enthielt es einen Anflug von Spott und schierer Bosheit. Ich mu das Thema wechseln, sagte er. Begnge dich damit, da das Nagual heute morgen auf dich zielte! Was Genaro auch immer tat, es war eine Mischung zwischen dir und ihm. Sein Nagual wurde durch dein Tonal gedmpft. Ich wollte nicht aufgeben und forschte ihn weiter aus. Wenn du Pablito das Nagual zeigst, was fhlst du dann? Das kann ich nicht erklren, sagte er leise. Und zwar nicht,

weil ich nicht will, sondern einfach, weil ich nicht kann. Hier macht mein Tonal halt. Ich wollte nicht weiter in ihn dringen. Wir schwiegen eine Weile, dann sprach er weiter. Man kann sagen, ein Krieger lernt seinen Willen abzustimmen, ihn auf ein Punktziel zu richten, ihn auf irgend etwas zu konzentrieren, was immer er mag. Es ist, als ob sein Wille, der aus seiner Krpermitte kommt, eine einzige leuchtende Faser wre, eine Faser, die er auf _ jede mgliche Stelle richten kann. Diese Faser ist der Weg zum Nagual. Oder ich knnte auch sagen, der Krieger sinkt durch diese einzelne Faser in das Nagual ein. Sobald er eingesunken ist, ist die Ausdrucksform des Nagual eine Frage seines persnlichen Temperaments. Ist der Krieger lustig, dann ist das Nagual auch lustig. Ist der Krieger verdrossen, dann ist das Nagual auch verdrossen. Ist der Krieger bse, dann ist das Nagual auch bse. Genaro bringt mich immer zum Lachen, denn er ist einer der frhlichsten Menschen, die es gibt. Ich wei nie, was ihm als nchstes e i n f a l l e n wird. Fr mich ist dies die innerste Essenz der Zauberei. Genaro ist ein so beweglicher Krieger, da die geringste Konzentration seines Willens sein Nagual die unglaublichsten Dinge tun lt. Hast du selbst beobachtet, was Genaro auf den Bumen tat? fragte ich. Nein, ich wute nur - denn ich sah , da das Nagual in den Bumen war. Der Rest des Schauspiels galt nur dir a l l e i n . Willst du damit sagen, Don Juan, da du, wie damals, als du mich angestoen hast und ich mich auf dem Markt wiederfand, nicht bei mir warst? So war es wohl irgendwie. Wenn man dem Nagual von Angesicht zu Angesicht begegnet, mu man stets a l l e i n sein. Ich war in der Nhe, nur um dein Tonal zu schtzen. Das ist meine Aufgabe. Mein Tonal, sagte Don Juan, sei fast in Stcke gesprengt worden, als Don Genaro vom Baum herabsprang. Weniger aufgrund irgendeiner gefhrlichen Eigenschaft des Nagual. sondern weil mein Tonal sich in seiner Verwirrung gehenlie. Es sei eines der Ziele der Ausbildung eines Kriegers.

sagte er, die Verwirrung des Tonal zu stoppen, bis der Krieger so beweglich sei, da er alles t u n knne, ohne irgendwelche Zugestndnisse zu machen. Als ich schilderte, wie Don Genaro auf den Baum hinauf und dann hinab gesprungen war, sagte Don Juan, da der Schrei eines Kriegers eines der wichtigsten Dinge bei der Zauberei sei und da Don Genaro sich auf seinen Schrei konzentrieren knne, um ihn als Vehikel zu bentzen. Du hast ganz recht, sagte er. Genaro wurde zum Teil von seinem Schrei und zum Teil von dem Baum gezogen. Du hast wirklich gesehen. Dies war ein wirkliches Bild des Nagual. Genaros Wille konzentrierte sich auf seinen Schrei, und seine persnliche Art bewirkte, da der Baum das Nagual anzog. Die Fden fhrten in beide Richtungen, von Genaro zum Baum und vom Baum zu Genaro. Was du h t t e s t sehen mssen, als Genaro vom Baum herabsprang, war, da er sich auf einen Fleck von dir konzentrierte und der Baum ihn dann abstie. Aber es war nur scheinbar ein Sto. Im Grunde war es eher ein Loslassen auf seilen des Baumes. Der Baum lie das .Nagual los. und das Nagual kehrte in die Welt des Tonal zurck, an die Stelle, auf die er sich konzentriert hatte. Das zweite Mal, als Genaro vom Baum herunterkam, war d e i n Tonal nicht mehr so verwirrt. Du hast dich nicht mehr so sehr gehenlassen, und daher wurdest du nicht so geschwcht wie beim ersten Mal. Gegen vier Uhr nachmittags beendete Don Juan unser Gesprch. Wir gehen zurck zu den Eukalyptusbumen, sagte er. Das Nagual erwartet uns d o r t . Laufen wir nicht Gefahr, da uns Leute s e h e n ? fragte ich. Nein! Das Nagual setzt alles auer Kraft, sagte er.

Das Flstern des Nagual

Als wir uns den Eukalyptusbumen nherten, sah ich Don Genaro auf einem Baumstumpf sitzen. Er winkte uns zu und lachte. Dann waren wir bei ihm. In den Bumen hockte ein Schwrm Krhen. Sie krchzten, als ob etwas sie bengstigte. Don Genaro sagte, wir mten reglos und still sitzenbleiben, bis die Krhen sich beruhigt htten. Don Juan lehnte sich mit dem Rcken gegen einen Baum und forderte mich auf, es ihm gleichzutun - an einem Baum, etwa zwei Meter zu seiner Linken. So standen wir beide Don Genaro gegenber, der ungefhr drei bis vier Meter vor uns stand. Mit einem fast unmerklichen Augenwink bedeutete Don Juan mir, ich solle meine Fe in e i n e andere Lage bringen. Er stand mit leicht gespreizten Beinen fest am Boden und berhrte den Baumstamm nur mit dem oberen Teil seiner Schulterbltter und mit dem Hinterkopf. Seine Arme hingen seitlich herab. So standen wir etwa eine Stunde. Ich gab scharf acht auf die beiden, besonders auf Don Juan. In einem bestimmten Augenblick glitt er langsam am Baumstamm hinunter und setzte sich, wobei die g l e i c h e n Stellen seines Krpers immer noch mit dem Baum in Berhrung blieben. Seine Knie ragten in die Hhe, und er sttzte seine Arme darauf. Meine B e i n e waren inzwischen fast eingeschlafen, und der Stellungswechsel tat mir sehr gut. Nach und nach hatten die Krhen aufgehrt zu krchzen, bis man ber dem Feld kein Gerusch mehr hrte. Die Stille entnervte mich mehr als das Spektakel der Krhen. Don Juan sprach mich leise an. Er sagte, die Dmmerung sei meine beste Stunde. Er blickte zum Himmel auf. Es mochte nach sechs Uhr sein. Es war ein bewlkter Tag, und ich hatte keine Gelegenheit, den Stand der Sonne festzustellen. Aus der Ferne hrte ich Stimmen von Gnsen und v i e l l e i c h t Truthhnen. Aber hier auf dem Feld unter den Eukalyptusbumen

gab es keinen Laut. Lange hatten wir weder Vogelgezwitscher noch die Gerusche grerer Insekten gehrt. Don Juan und Don Genaro h i e l t e n ihren Krper, soviel ich sah, in vollkommener Reglosigkeit, abgesehen von einigen Sekunden, da sie ihr Gewicht verlagerten, um sich zu entspannen. Nachdem Don Juan und ich zu Boden geglitten waren, machte Don Genaro eine unverhoffte Bewegung. Er zog die Beine an und hockte sich auf den Baumstumpf. Dann drehte er sich um fnfundvierzig Grad, so da ich sein linkes Profil sah. In Erwartung eines Stichworts blickte ich zu Don Juan. Er hob das Kinn. Es war eine Aufforderung, Don Genaro anzusehen. Allmhlich befiel mich eine ungeheure Erregung. Ich konnte mich nicht beherrschen. Meine Eingeweide gerieten durcheinander. Ich konnte genau nachempfinden, was Pablito gefhlt haben mochte, als er Don Juans Sombrero sah. Meine Eingeweide waren in solchem Aufruhr, da ich aufstehen und ins Gebsch rennen mute. Hinter mir hrte ich ihr brllendes Gelchter. Ich wagte nicht, zu ihnen zurckzukehren. Lange zgerte ich; ich machte m i r klar, da ich durch meinen pltzlichen Ausbruch den Bann gebrochen haben mute. Ich brauchte aber nicht lange zu grbeln: Don Juan und Don Genaro kamen zu mir herber. Sie nahmen mich in die Mitte, und wir gingen zu einem anderen Feld. Dort b l i e b e n wir genau auf der Mitte stehen, und ich e r k a n n t e , da wir hier schon am Vormittag gewesen waren. Don Juan wandte sich an mich. Er sagte, ich msse beweglich und still sein und solle meinen inneren Dialog abstellen. Ich hrte aufmerksam zu. Don Genaro mute wohl erkannt haben, da meine ganze Aufmerksamkeit Don Juans Ermahnungen galt, denn er nutzte den Augenblick, um dasselbe zu tun wie in der Frhe; wieder stie er s e i n e n e n t s e t z l i c h e n Schrei aus. Er berraschte mich - aber diesmal nicht ganz unvorbereitet. Beinahe sofort gewann ich durch meine Atembung mein Gleichgewicht wieder. Es war ein furchtbarer Schock, und doch h a t t e er keine lngere Wirkung auf mich, und so konnte ich Don Genaros Bewegungen mit den Augen folgen. Ich sah, wie er auf den untersten Ast eines Baumes

sprang. Whrend ich ihn aus einer Entfernung von fnfundzwanzig bis dreiig Metern verfolgte, fielen meine Augen einer ungewhnlichen optischen Tuschung zum Opfer. Es war nicht so, als sei er mit Hilfe der Sprungkraft seiner Muskeln gehpft, vielmehr glitt er durch die Luft, teilweise emporegeschnellt durch seinen unheimlichen Schrei, und teilweise von irgendwelchen undeutlich erkennbaren Linien gezogen, die von dem Baum ausgingen. Es war so, als habe der Baum ihn durch diese Linien angesaugt. Don Genaro blieb eine Weile auf dem niedrigen Ast hocken. Er wandte mir sein linkes Profil zu. Nun vollfhrte er eine Reihe seltsamer Bewegungen. Sein Kopf wackelte, sein Krper zitterte. Mehrmals verbarg er den Kopf zwischen den Knien. Je mehr er sich bewegte und aufbumte, desto schwerer fiel es mir, meinen Blick auf seinen Krper zu konzentrieren. Er schien sich aufzulsen. Ich blinzelte verzweifelt, und dann wechselte ich die Perspektive, indem ich den Kopf nach rechts und nach links bog, wie Don Juan es mich gelehrt hatte. Aus dem linken Gesichtswinkel sah ich Don Genaros Krper, wie ich ihn nie zuvor gesehen hatte. Es war, als habe er eine Verkleidung angelegt. Er trug ein Pelzkostm; das Fell hatte die Frbung einer Siamkatze, von hellem Lederbraun und mit Flecken von dunklerem Schokoladebraun an den Beinen und auf dem Rcken. Das Kostm hatte einen langen dicken Schwanz. In diesem Aufzug sah Don Genaro aus wie ein pelziges, langbeiniges Krokodil, das auf einem Ast hockte. Seinen Kopf und seine Gesichtszge konnte ich nicht erkennen. Ich hob den Kopf in eine normale Position. Der A n b l i c k von Don Genaro in seiner Maskerade blieb unverndert. Don Genaros Arme zitterten. Er stand auf dem Ast a u f . beugte sich irgendwie vor und sprang zu Boden. Der Ast war etwa fnf bis sieben Meter hoch. Soweit ich beurteilen konnte. sah ich den Sprung eines kostmierten Mannes. Ich sah, wie Don Genaros Krper beinahe den Boden berhrte, aber dann vibrierte der dicke Schwanz seines Kostms, und s t a t t zu landen, hob er wieder ab, wie von einem lautlosen Dsentriebwerk angeschoben. Er flog ber die Bume hinweg, und dann schwebte er knapp ber dem Boden dahin. Dies tat er immer wieder. Manchmal hielt er sich an einem Ast fest oder

pendelte um einen Baum oder schlngelte sich wie ein Aal durch die Zweige. Und dann umschwebte er uns im Kreise oder schlug mit den Armen in der Luft, whrend sein Bauch die uersten Wipfel der Bume streifte. Don Genaros Kapriolen flten mir ehrfrchtiges Staunen ein. Ich folgte ihm mit den Augen, und zwei oder dreimal nahm ich deutlich wahr, da er irgendwelche leuchtenden Linien wie Seilzge benutzte, um von Ort zu Ort zu schweben. Dann berflog er die Baumwipfel im Sden und verschwand. Ich versuchte abzuschtzen, wo er wieder auftauchen mochte, aber er kam nicht mehr zum Vorschein. Dann bemerkte ich, da ich auf dem Rcken lag, und doch wute ich nichts davon, da sich meine Blickrichtung verndert hatte. Die ganze Zeit hatte ich gemeint, Don Genaro aus einer aufrechtstehenden Haltung zu beobachten. Don Juan half mir, mich aufzusetzen, und dann sah ich Don Genaro, der uns mit frhlichem Gesicht entgegenkam. Er lchelte bescheiden und fragte mich, wie sein Flug mir gefallen habe. Ich versuchte etwas zu antworten, aber ich war sprachlos. Don Genaro wechselte mit Don Juan einen vielsagenden Blick und nahm wieder eine hockende Haltung ein. Er beugte sich vor und flsterte mir etwas ins linke Ohr. Ich hrte ihn sagen: Warum kommst du nicht und fliegst mit mir? Dies wiederholte er fnf- oder sechsmal. Don Juan trat neben mich und flsterte mir ins rechte Ohr: Sag nichts, folge Genaro einfach! Don Genaro hie mich in die Hocke gehen und flsterte mir wieder etwas zu. Ich hrte ihn mit glasklarer Przision. Er wiederholte den Satz etwa zehnmal. Er sagte: Vertrau dem Nagual! Das Nagual wird dich tragen. Dann flsterte Don Juan einen anderen Satz in mein rechtes Ohr. Er sagte: ndere dein Fhlen! Ich hrte die beiden gleichzeitig zu mir sprechen, aber ich konnte auch j e d e n einzeln hren. Jeder von Don Genaros Stzen handelte ganz allgemein vom Durch-die-Luft-Schweben. Die Stze, die er dutzendemal wiederholte, schienen sich in mein Gedchtnis einzugraben. Don Juans Worte hingegen hatten etwas mit spezifischen Befehlen zu tun, die er zahllose

Male wiederholte. Die Wirkung dieser doppelten Einflsterung war ganz auerordentlich. Es war, als ob die einzelnen Klnge ihrer Worte mich entzweispalteten. Schlielich war der Abstand zwischen meinen beiden Ohren so weit, da ich jegliches Gefhl krperlicher Einheit verlor. Da gab es zwar irgend etwas, das zweifellos ich war, aber es war nichts Festes. Eher war es wie ein leuchtender Nebel, eine gelblich-dunkle Wolke, die Gefhle hatte. Don Juan sagte mir, er werde mich fr das Fliegen formen. Nun hatte ich die Empfindung, da diese Worte wie Zangen wirkten, die meine Gefhle bogen und formten. Don Genaros Worte waren eine Aufforderung, ihm zu folgen. Ich fhlte, da ich wollte, aber ich konnte nicht. Die Spaltung war so stark, da ich wie gelhmt war. Ich hrte, wie sie die gleichen kurzen Stze endlos wiederholten, Stze wie Schau. wunderbare fliegende Gestalt!, Spring, spring!, Deine Beine werden die Baumwipfel streifen, Die Eukalyptusbume sind wie grne Tupfen, Die Wrmer sind Lichter. Irgendwann setzte etwas in mir aus, vielleicht das Bewutsein. da auf mich eingeredet wurde. Ich sprte, da Genaro noch immer bei mir war, aber was meine Wahrnehmung betraf, so konnte ich nur eine ungeheure Masse ganz erstaunlicher Lichter erkennen. Manchmal nahm ihr Funkeln ab, und manchmal wurden die Lichter intensiver. Ich erlebte auch eine Art Bewegung. Der Effekt war, als ob ich von einem Vakuum angesaugt wrde, das mich nicht zur Ruhe kommen lie. Immer wenn meine Bewegung nachzulassen schien und ich endlich meine Aufmerksamkeit auf die Lichter richten konnte, zog das Vakuum mich wieder fort. Irgendwann, mitten im Hin- und Hergezogensein, erlebte ich die uerste Konfusion. Die Welt um mich her, wie immer sie beschaffen sein mochte, strebte mir entgegen und wich gleichzeitig von mir fort - daher der Vakuum-Effekt! Ich konnte zwei getrennte Welten sehen, eine, die sich von mir entfernte, und die andere, die sich mir nherte. Dies nahm ich nicht in der Weise wahr, wie man eigentlich meinen sollte, das heit, ich gewahrte es nicht als etwas mir bisher Verborgenes. Vielmehr hatte ich zwei Wahrnehmungen, ohne da ein logischer Schlu die Verbindung hergestellt htte.

Danach schwchten sich meine Wahrnehmungen ab. Entweder verloren sie an Przision, oder es waren ihrer zu viele, und ich konnte sie nicht mehr auseinanderhalten. Der nchste Schub unterscheidbarer Wahrnehmungen war eine Reihe von Geruschen, die am Ende eines langen schlauchartigen Gebildes entstanden. Der Schlauch war ich selbst, und die Gerusche machten Don Juan und Don Genaro, die wieder in meine beiden Ohren sprachen. Je lnger sie sprachen, desto krzer wurde der Schlauch, bis die Gerusche in einem erkennbaren Bereich lagen, das heit, die Klnge von Don Juan und Don Genaros Worten erreichten meinen normalen Wahrnehmungsbereich. Zuerst waren die Gerusche als Lrm erfahrbar, dann als geschriene Wrter und schlielich als mir ins Ohr geflsterte Wrter. Als nchstes nahm ich Dinge der vertrauten Umwelt wahr. Offensichtlich lag ich mit dem Gesicht nach unten am Boden. Ich konnte einzelne Erdklumpen, Steinchen, trockene Bltter unterscheiden. Und dann gewahrte ich das Feld mit den Eukalyptusbumen. Don Juan und Don Genaro standen neben mir. Es war noch immer hell. Ich sprte, da ich ins Wasser gehen mute, um mich wieder zu strken. Ich lief zum Bach, zog mich aus und blieb lange genug im Wasser, um das Gleichgewicht meiner W ahrnehmung wiederherzustellen. Sobald wir beim Haus anlangten, ging Don Genaro fort. Im Gehen klopfte er mir leicht auf die Schulter. Im Reflex sprang ich zur Seite. Ich erwartete, seine Berhrung werde schmerzhaft sein; zu meiner Verwunderung war es nur ein freundliches Schulterklopfen. Don Juan und Don Genaro lachten wie zwei Kinder, denen ein Streich gelungen war. Sei nicht so schreckhaft! sagte Don Genaro. Das Nagual hat es nicht immer auf dich abgesehen. Er schmatzte mit den Lippen, als mibilligte er meine bertriebene Reaktion, und breitete mit einer offenherzigen, kameradschaftlichen Geste die Arme aus. Ich umarmte ihn. Sehr freundlich und herzlich klopfte er mir den Rcken. Du mut nur in gewissen Augenblicken auf das Nagual

achten, sagte er. Die brige Zeit bist du wie alle anderen Menschen dieser Welt. Er schaute Don Juan an und lchelte ihm zu. Ist es nicht so, Juancho? fragte er, wobei er das Wort Juancho betonte - einen witzigen Spitznamen fr Juan. So ist's Gerancho, antwortete Don Juan, das Wort Gerancho erfindend. Die beiden brachen in schallendes Gelchter aus. Ich mu dich warnen, sagte Don Juan zu mir. Du mut dich in uerster Wachsamkeit ben, um sicher zu sein, wann ein Mensch ein Nagual ist und wann er einfach nur ein Mensch ist. Du knntest sterben, wenn du in direkten physischen Kontakt mit dem Nagual kmest. Don Juan wandte sich zu Don Genaro um und fragte mit strahlendem Lcheln: Ist's nicht so, Gerancho? Absolut, so ist es, Juancho, erwiderte Genaro, und wieder lachten die beiden. Ihre kindliche Ausgelassenheit berhrte mich stark. Die Ereignisse des Tages hatten mich erschpft, und ich war sehr gefhlsselig. Eine Welle des Selbstmitleids berflutete mich. Mir kamen die Trnen, whrend ich mir dauernd wiederholte, da das, was immer sie mit mir angestellt haben mochten, nicht wieder rckgngig zu machen und hchstwahrscheinlich schdlich fr mich sei. Don Juan schien meine Gedanken zu lesen und schttelte unglubig den Kopf. Er lachte. Ich strengte mich an, um meinen inneren Dialog abzustellen, und mein Selbstmitleid verschwand. Genaro ist sehr herzlich, bemerkte Don Juan, nachdem Don Genaro gegangen war. Es war die Absicht der Kraft, da du einen freundlichen Wohltter finden solltest. Ich wute nichts zu sagen. Die Vorstellung, da Don Genaro mein Wohltter war, beunruhigte mich ohne Unterla. Ich wollte, da Don Juan mir mehr darber sagte. Er schien nicht zum Sprechen aufgelegt. Er schaute zum Himmel hinauf, wo sich die dunkle Silhouette einiger Bume neben dem Haus abzeichnete. Er setzte sich mit dem Rcken gegen einen dicken, gegabelten Pfosten, der nicht weit vor der Tr eingelassen war, und forderte mich auf, links neben ihm Platz zu nehmen.

Ich setzte mich neben ihn. Er zog mich am rmel nher zu sich, bis ich seine Schulter berhrte. Er sagte, diese Nachtstunde sei gefhrlich fr mich, besonders bei einer solchen Gelegenheit. Mit ganz ruhiger Stimme gab er mir eine Reihe von Anweisungen: Wir drften uns nicht von der Stelle rhren, bis er die Zeit fr gekommen halte. Wir mten immer weitersprechen, gleichmig und ohne Unterbrechungen. Ich msse atmen und blinzeln, als ob ich das Nagual she. Ist das Nagualm der Nhe? fragte ich. Gewi, sagte er und lachte. Ich schmiegte mich buchstblich an Don Juan. Er fing an zu sprechen und drngte mich doch tatschlich, diesmal aus Herzenslust Fragen zu stellen. Er reichte mir sogar mein Schreibzeug, als ob ich in der Dunkelheit h t t e schreiben knnen. Er behauptete, ich msse unbedingt so gelassen und normal wie mglich sein, und es gebe kein besseres Mittel, mein Tonal zu strken, als das Notizenmachen. Er stellte die ganze Sache als sehr bedenklich dar. Er sagte, wenn das Notizenmachen meine innere Wahl sei, dann msse ich es auch in vlliger Dunkelheit tun knnen. Es lag eine leichte Drohung in seiner Stimme, als er sagte, ich knne das Notizenmachen in die Aufgabe eines Kriegers verwandeln, und in diesem Fall wre die Dunkelheit kein Hindernis. Irgendwie mochte er mich berzeugt haben, denn es gelang mir, Teile unseres Gesprchs mitzukritzeln. Es drehte sich hauptschlich um Don Genaro als meinen Wohltter. Ich war neugierig zu erfahren, wann Don Genaro mein Wohltter geworden war, und Don Juan forderte mich auf, mich an e i n e n angeblich auergewhnlichen Vorgang zu erinnern, der sich an _ jenem Tag ereignet habe, als ich Don Genaro t r a f , und der ein gutes Omen gewesen sei. Ich konnte mich an nichts dergleichen erinnern. Ich f i n g an, das damalige Erlebnis nachzuerzhlen. Soweit ich mich erinnern konnte, war es eine ganz alltgliche, beilufige Begegnung, die im Frhling 1968 stattgefunden hatte. Don Juan unterbrach mich. Wenn du dumm genug bist, dich nicht zu erinnern, lassen wir es lieber dabei bewenden. Ein Krieger folgt stets dem Diktum der Kraft. Es wird dir wieder einfallen, wenn es notwendig sein wird.

Don Juan sagte, es sei eine schwierige Sache, einen Wohltter zu finden. Als Beispiel fhrte er den Fall seines eigenen Lehrlings Eligio an, der viele Jahre bei ihm gewesen war. Eligio, sagte er, habe keinen Wohltter finden knnen. Ich fragte ihn, ob Eligio noch einmal einen finden werde; er antwortete, es sei ganz unmglich, die Launen der Kraft vorherzusagen. Er erinnerte mich daran, wie wir vor Jahren einer Gruppe von _ jungen Indianern begegnet waren, die durch die Wste Nordmexikos streiften. Er sagte, er habe gesehen, da keiner von ihnen einen Wohltter hatte und da die Umgebung insgesamt und die Stimmung des Augenblicks gerade richtig waren, damit er ihnen behilflich sein und ihnen das Nagual zeigen konnte. Er sprach von einer Nacht, als einmal vier junge Mnner und ich um ein Feuer saen, whrend Don Juan etwas tat, das mir als ein ungewhnliches Schauspiel vorkam und wobei er anscheinend j e d e m von uns in einer anderen Verkleidung erschienen war. Diese Burschen hatten eine Menge Ahnung, sagte er. Du warst das einzige Greenhorn unter ihnen. Was geschah spter mit ihnen? fragte ich. Einige von ihnen haben einen Wohltter gefunden. antwortete er. Don Juan sagte, da es die Pflicht eines Wohltters sei, seinen Schtzling der Kraft zuzufhren und da der Wohltter dem Novizen seine persnliche Art vermittle, und zwar ebensosehr, wenn nicht noch mehr als der Lehrer. Nach einer kurzen Gesprchspause hrte ich ein eigenartig kratzendes Gerusch hinter dem Haus. Don Juan packte mich an Arm. Fast wollte ich in einer Schreckreaktion aufspringen. Bevor das Gerusch ertnte, war unser Gesprch mir als Selbstverstndlichkeit vorgekommen. Aber als dann eine Pause eintrat und einen Moment Schweigen herrschte, war das merkwrdige Gerusch hereingeplatzt. In diesem Augenblick hatte ich die Gewiheit, da unsere Unterhaltung ein ganz auerordentliches Ereignis war. Ich hatte das Gefhl, da Don Juans und meine Worte wie eine Trennwand gewirkt hatten, die nun zerbrach, und da jenes kratzende Gerusch drauen herumgeschlichen war und auf eine Chance gewartet hatte, um sich hereinzudrngen.

Don Juan befahl mir, gesammelt sitzenzubleiben und nicht auf die Umgebung zu achten. Das kratzende Gerusch erinnerte mich an das Rascheln einer auf hartem Boden dahinkriechenden Schildkrtenschlange. Im selben Augenblick, als mir dieser Vergleich einfiel, hatte ich auch die visuelle Vision eines Nagetiers, wie jenes, das Don Juan mir auf seiner hohlen Hand gezeigt hatte. Mir war, als ob ich einschliefe und meine Gedanken sich in Bilder oder Trume verwandelten. Ich begann mit meiner Atembung und hielt mir mit geballten Fusten den Leib. Don Juan sprach weiter, aber ich hrte nicht zu. Meine Aufmerksamkeit galt dem leisen Rascheln des schlangenartigen Wesens, das ber trockenes Laub zu gleiten schien. Bei dem Gedanken, eine Schlange knnte ber mich hinweg kriechen, befiel mich Panik, und ich hatte eine heftige physische Reaktion. Unwillkrlich streckte ich meine Fe unter Don Juans Beine und atmete und blinzelte wie verrckt. Jetzt hrte ich das Gerusch so nah, da es nur noch ein paar Schritte entfernt zu sein schien. Meine Panik stieg. Don Juan sagte beruhigend, die einzige Mglichkeit, das Nagual abzuwehren, bestehe darin, sich nicht beeindrucken zu lassen. Er befahl mir, meine Beine auszustrecken und nicht auf das Gerusch zu achten. Nachdrcklich verlangte er, ich solle schreiben oder Fragen stellen und mich anstrengen, um nicht zu unterliegen. Nach einem heftigen inneren Kampf fragte ich ihn, ob etwa Don Genaro das Gerusch machte. Er sagte, es sei das Nagual und ich drfe die beiden nicht verwechseln. Genaro sei der Name des Tonal. Dann sagte er noch etwas, aber ich verstand ihn nicht. Irgend etwas umkreiste das Haus, und ich konnte mich nicht auf das Gesprch konzentrieren. Er befahl mir, eine uerste Anstrengung zu unternehmen. Irgendwann stellte ich fest, da ich dummes Zeug ber meine eigene Wertlosigkeit plapperte. Dann hatte ich einen Angstanfall, der in einen Zustand groer Klarheit umschlug. Nun sagte Don Juan mir, ich drfe ruhig in die Nacht horchen. Aber es war kein Gerusch mehr zu hren. Das Nagual ist weg, sagte Don Juan, stand auf und ging ins Haus. Er zndete Don Genaros Petroleumlampe an und bereitete

uns etwas zu essen. Wir aen schweigend. Ich fragte ihn, ob das Nagual zurckkommen werde. Nein, sagte er mit ernstem Gesicht. Es hat dich nur auf die Probe gestellt. Um diese Nachstunde, kurz nach der Dmmerung, solltest du dich immer mit irgend etwas beschftigen. Egal, womit. Es ist nur eine kurze Spanne, vielleicht eine Stunde, aber in deinem Fall eine tdliche Stunde. Heute abend versuchte das Nagual, dich zum Straucheln zu bringen, aber du warst stark genug, um seinen Angriff abzuwehren. Einmal bist du ihm unterlegen, und ich mute deinen Krper mit Wasser begieen, aber diesmal hast du es gut gemacht. Ich bemerkte, das Wort Angriff gebe dem Ganzen einen Anklang von Gefahr. Anklang von Gefahr? - Komische Ausdrucksweise! sagte er. Ich will dir keine Angst einjagen. Die Taten des Nagual sind tdlich. Das habe ich dir bereits gesagt. Und auch Genaro will dir keinen Schaden zufgen. Im Gegenteil, seine Sorge um dich ist makellos, aber wenn du nicht genug Kraft hast, um die Attacke des Nagual zu parieren, dann bist du tot, mit oder ohne meine Hilfe oder Genaros Frsorge. Nachdem wir gegessen hatten, setzte Don Juan sich neben mich und schaute mir ber die Schulter auf meine Aufzeichnungen. Ich sagte mir, ich werde wahrscheinlich Jahre brauchen, um mir ber alles klarzuwerden, was mir heute widerfahren war. Ich wute, da ich von Wahrnehmungen berflutet worden war, die ich nie hoffen durfte zu verstehen. Wenn du nichts verstehst, dann bist du gro in Form, sagte er. Nur wenn du verstehst, bist du in der Patsche. Dies gilt natrlich nur vom Standpunkt des Zauberers. Vom Standpunkt des normalen Menschen aus betrachtet, gehst du unter, wenn du etwas nicht verstehst. In deinem Fall, mchte ich meinen, wrde der normale Mensch sagen, da du bewutseinsgespalten bist oder da dein Bewutsein sich zu spalten beginnt. Ich lachte ber seine Wortwahl. Ich wute, da er es mir mit diesem Begriff der Bewutseinsspaltung heimzahlte. Ich hatte ihn vor einiger Zeit im Zusammenhang mit meinen Befrch-

tungen gebraucht. Ich versicherte ihm, da ich diesmal zu dem, was ich durchgemacht hatte, keine Fragen stellen wrde. Ich habe nie etwas gegen das Sprechen gehabt, sagte er. Wir knnen ber das Nagual sprechen, soviel du willst, solange du nicht versuchst, es zu erklren. Wenn du dich richtig erinnerst, so sagte ich dir. da das Nagual nur dazu da ist, um erlebt zu werden. Wir knnen also ohne weiteres darber sprechen, was wir erleben und wie wir es erleben. Du mchtest aber eine Erklrung darber hren, wie denn all dies mglich sei, und das ist ein Unding. Du mchtest das Nagual durch das Tonal erklren. Das ist tricht, besonders in deinem Fall, denn du kannst dich nicht mehr auf deine Unwissenheit berufen. Du weit sehr gut, da wir nur deshalb vernnftig reden, weil wir dabei gewisse Grenzen einhalten, und diese Grenzen gelten nicht fr das Nagual. Ich versuchte, diesen Punkt zu klren. Es war ja nicht einfach so, da ich alles unter rationalen Gesichtspunkten erklren wollte, sondern mein Verlangen nach Erklrung rhrte von meinem Bedrfnis her, bei all den furchtbaren Attacken chaotischer Reize und Wahrnehmungen, die mir zuteil geworden waren, eine innere Ordnung zu bewahren. Don Juan meinte, ich verteidigte einen Standpunkt, an den ich selbst nicht glaubte. Du weit verdammt gut, da du dich gehenlt, sagte er. Innere Ordnung bewahren heit, ein perfektes Tonal zu sein, aber ein perfektes Tonal sein bedeutet, alles zu wissen, was auf der Insel des Tonal s t a t t f i n d e t . Aber das weit du nicht. Dein Argument von der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung ist also unwahr. Du fhrst es nur an, um recht zu behalten. Darauf wute ich nichts zu sagen. Don Juan beruhigte mich ein wenig, indem er sagte, es bedrfe eines gewaltigen Kampfes, um die Insel des Tonal leerzufegen. Dann forderte er mich auf, ihm alles zu erzhlen, was ich bei meiner zweiten Sitzung mit dem Nagual wahrgenommen htte. Nachdem ich geendet hatte, meinte er, was ich als pelziges Krokodil wahrgenommen h t t e , sei eine kleine Probe von Don Genaros Humor.

Wie schade, da du so schwerfllig bist, sagte er. Du klammerst dich immer an deine Verwirrung, und dadurch entgeht dir Genaros wirkliche Kunst. Wutest du etwas von seinem Kostm, Don J u a n ? Nein! Das Schauspiel war nur fr dich. Was hast du gesehen? Heute sah ich nichts anderes als die Bewegung des Nagual, wie es durch die Bume schwebte und uns umkreiste. Jeder, der sieht, kann das erkennen. Aber wie ist es mit _ jemandem, der nicht sieht? Er wrde nichts erkennen, vielleicht nur Bume, durch die der Wind fhrt. Wir interpretieren jede unbekannte Ausdrucksform des Nagual als etwas Bekanntes. In diesem Fall knnte man das Nagual als Windsto interpretieren, der die Bltter schttelt, oder sogar als seltsames Licht, vielleicht als einen ungewhnlich groen Leuchtkfer. Drngt man jemanden, der nicht sieht, zu einer Antwort, dann sagt er vielleicht, da er etwas zu sehen glaubte, sich aber nicht recht erinnern kann, was es war. Das ist nur zu natrlich. Der Mann wrde ganz vernnftig reden. Immerhin, seine Augen htten j a nichts Ungewhnliches entdeckt. Da sie die Augen des Tonal sind, mssen sie sich auf die Welt des Tonal beschrnken, und in dieser Welt gibt es nichts umwerfend Neues, jedenfalls nichts, was nicht fr die Augen erkennbar und fr das Tonal erklrbar wre. Ich befragte ihn nach den ungeahnten Wahrnehmungen, die ihr Geflster in meine Ohren bewirkt hatte. Das war das Beste an der ganzen Sache, sagte er. Auf den Rest knnte man verzichten, aber dies war die Krnung des Tages. Die Regel verlangt, da der Wohltter und der Lehrer diesen letzten Eingriff vornehmen. Die allerschwierigste Tat! Der Lehrer wie der Wohltter mssen makellose Krieger sein, um das Unterfangen, einen Mann zu spalten, auch nur zu versuchen. Du weit nichts davon, denn dies ist dir noch nicht zugnglich, aber wiederum ist die Kraft nachsichtig mit dir gewesen. Genaro ist der makelloseste Krieger, den es gibt. Warum ist das Spalten eines Menschen eine groe Tat? Weil es gefhrlich ist. Du httest sterben knnen wie eine Fliege. Oder, noch schlimmer, vielleicht wre es uns nicht

gelungen, dich wieder zusammenzusetzen, und du wrst auf dieser Gefhlsebene geblieben. War es notwendig, das mit mir zu machen, Don Juan? Es gibt einen gewissen Zeitpunkt, wo das Nagual dem Lehrling ins Ohr flstern und ihn spalten mu. Was bedeutet das, Don Juan? Um ein normales Tonal zu sein, mu der Mensch eine Einheit sein. Sein ganzes Sein mu der Insel des Tonal angehren. Ohne diese Einheit wrde der Mann verrckt. Ein Zauberer hingegen mu diese Einheit aufbrechen, aber ohne sein eigenes Sein in Gefahr zu bringen. Das Ziel eines Zauberers ist es, zu berdauern. Das heit, er nimmt keine unntigen Risiken auf sich. Daher verbringt er Jahre damit, seine Insel leerzufegen, bis ein Augenblick kommt, da er sich, bildlich gesprochen, davonstehlen knnte. Das Entzweispalten eines Menschen ist die Pforte fr eine solche Flucht. Die Spaltung, das Gefhrlichste, was du je berstanden hast, war bei dir glatt und einfach. Das Nagual hat dich meisterhaft gefhrt. Glaube mir, nur ein makelloser Krieger vermag das zu tun. Ich habe mich sehr fr dich gefreut. Don Juan legte mir die Hand auf die Schulter, und ich sprte ein ungeheures Bedrfnis zu weinen. Nhere ich mich dem Punkt, da wir uns nicht mehr sehen werden? fragte ich. Er lachte und schttelte den Kopf. Du lt dich gehen wie ein Hanswurst, sagte er. Immerhin, das tun wir alle. Wir tun's blo in verschiedenen Formen. Manchmal lasse auch ich mich gehen. Bei mir ist es das Gefhl, da ich dich verhtschele und schwach mache. Ich wei, da Genaro bei Pablito dasselbe Gefhl hat. Er htschelt ihn wie ein Kind. Aber so hat es die Kraft nun einmal eingerichtet. Genaro gibt Pablito alles, was er zu geben hat, und man darf nicht wnschen, da er etwas anderes tte. Man darf einen Krieger nicht dafr kritisieren, da er sein makellos Bestes tut. Er schwieg eine Weile. Ich war zu nervs, um ruhig sitzen zu bleiben. Was, meinst du, geschah mit mir, als ich meinte, ich wrde von einem Vakuum aufgesaugt? fragte ich.

Du schwebtest, sagte er wie selbstverstndlich. Durch die Luft? Nein! Fr das Nagual gibt es nicht Land oder Luft oder Wasser. Das kannst du nun selbst besttigen. Zweimal warst du in dieser Vorhlle, und du warst erst an der Pforte des Nagual. Du hast mir gesagt, alles, was dir widerfuhr, sei ungeahnt neu gewesen. Also schwebt oder fliegt das Nagual oder was es auch tun mag - in der Zeit des Nagual, und diese hat nichts mit der Zeit des Tonal zu tun. Zwischen den beiden gibt es keine bereinstimmung. Whrend Don Juan sprach, lief ein Zittern durch meinen Krper. Mein Kinn fiel nach unten, und mein Mund ffnete sich unwillkrlich. Meine Ohren taten sich auf, und ich hrte ein kaum wahrnehmbares Flirren oder Vibrieren. Als ich Don Juan meine Empfindungen schilderte, merkte ich, da es. wenn ich sprach, so klang, als sprche jemand anders. Es war eine hchst eigenartige Sensation, die darin gipfelte, da ich hrte, was ich sagen wollte, noch bevor ich es gesagt hatte. Mein linkes Ohr war eine Quelle auerordentlicher Sinneswahrnehmungen. Ich hatte das Gefhl, als ob es besser und exakter hrte als mein rechtes Ohr. Es steckte irgend etwas in ihm, was zuvor nicht dagewesen war. Wenn ich Don Juan, der rechts von mir sa, das Gesicht zuwandte, dann wurde mir bewut, da ich rund um dieses Ohr einen Bereich ganz klarer akustischer Wahrnehmung hatte. Es war ein physikalischer Raum, ein Bereich, innerhalb dessen ich alles mit unglaublicher Klangschrfe hrte. Indem ich den Kopf drehte, konnte ich die Umgebung mit dem Ohr abtasten. Das hat das Flstern des Nagual bei dir bewirkt, sagte Don Juan, als ich ihm meine Sinneswahrnehmung schilderte. Dieses Phnomen wird von nun an manchmal kommen, und dann wieder verschwinden. Frchte dich nicht davor oder vor irgendwelchen ungewhnlichen Empfindungen, die du von nun an haben magst. Aber vor allem, la dich nicht gehen und beschftige dich nicht zwanghaft mit diesen Sensationen. Ich wei, es wird dir gelingen. Der Zeitpunkt deiner Spaltung war richtig. Die Kraft hat das alles eingerichtet. Jetzt hngt alles von dir ab. Wenn du stark genug bist, wirst du den Schock, gespalten zu sein, ertragen. Aber wenn du ihn nicht bestehen

kannst, dann wirst du zugrunde gehen. Du wirst verwelken, abmagern, bla, gedankenleer, reizbar, still werden. Httest du mir vor Jahren gesagt, meinte ich, was du und Don Genaro vorhabt, dann htte ich genug . . . Er hob die Hand und lie mich nicht ausreden. Das ist ein sinnloser Spruch, sagte er. Du hast mir vor Jahren einmal gesagt, da du schon lngst ein Zauberer wrst, wenn da nicht dein Starrsinn und deine Vorliebe fr rationale Erklrungen wren. Aber ein Zauberer zu sein bedeutet in deinem Fall, da du deinen Starrsinn und deine Sucht nach rationalen Erklrungen, die dir im Wege stehen, berwindest. Andererseits sind diese Fehler gerade dein Weg zur Kraft. Du kannst nicht behaupten, da die Kraft dir zuflieen wrde, wenn dein Leben anders wre. Genaro und ich mssen ebenso handeln wie du - innerhalb gewisser Grenzen. Diese Grenzen zieht die Kraft, und ein Krieger ist gewissermaen ein Gefangener der Kraft, ein Gefangener, dem eine Freiheit bleibt: die Freiheit, entweder wie ein makelloser Krieger zu handeln oder wie ein Esel zu handeln. Letzten Endes ist der Krieger vielleicht kein Gefangener, sondern ein Sklave der Kraft, denn diese Freiheit ist fr ihn keine Freiheit mehr. Genaro kann nicht anders handeln als makellos. Handelte er wie ein Esel, dann wrde es ihn auszehren und seinen Tod herbeifhren. Du frchtest dich deshalb vor Genaro, weil er das Mittel der Furcht benutzen mu, um dein Tonal schrumpfen zu lassen. Dein Krper wei das, wiewohl deine Vernunft v i e l l e i c h t nicht, und daher will dein Krper davonrennen, jedesmal wenn Genaro erscheint. Ich warf ein, da ich gern wissen wrde, ob Don Genaro mich absichtlich zu erschrecken versucht habe. Das Nagual, sagte er, mache seltsame Dinge - Dinge, die nicht vorhersehbar seien. Als Beispiel fhrte er an, was am Vormittag zwischen uns geschehen war, als er mich daran hinderte, ber die l i n k e Schulter nach dem auf dem Baum sitzenden Don Genaro zu schauen. Er wisse wohl, sagte er, was sein Nagual getan hatte, obwohl er dies unmglich im voraus habe wissen knnen. Er erklrte den Vorfall folgendermaen: Meine pltzliche Bewegung nach links sei ein Schritt hin zu meinem Tod

gewesen, den mein Tonal absichtlich als selbstmrderischen Sprung versuchte. Diese Bewegung habe sein Nagual auf den Plan gerufen, und die Folge sei gewesen, da ein Teil von ihm auf mich gefallen sei. Unwillkrlich uerte ich meine Bestrzung. Deine Vernunft sagt dir schon wieder, da du unsterblich bist, sagte er. Was meinst du damit, Don Juan? Ein unsterbliches Wesen hat alle Zeit auf Erden fr Zweifel und Verwirrung und Angst. Ein Krieger hingegen kann sich nicht an die nach der Ordnung des Tonal getroffenen Sinngebungen klammern, denn er wei gewi, da der Ganzheit seines Selbst nur kurze Zeit auf Erden beschieden ist. Ich erhob einen ernsthaften Einwand. Meine Zweifel und ngste und meine Verwirrung fanden nmlich nicht auf bewuter Ebene statt, und wie sehr ich auch versuchte, sie zu kontrollieren - jedesmal wenn ich es mit Don Juan und Don Genaro zu tun hatte, kam ich mir hilflos vor. Ein Krieger darf nicht hilflos sein, sagte er, oder verwirrt oder ngstlich unter keinen Umstnden. Ein Krieger hat nur Zeit fr seine Makellosigkeit. Alles andere zehrt seine Kraft auf. Makelloses Tun ldt sie wieder a u f . Damit sind wir wieder bei der alten Frage, Don Juan. Was ist Makellosigkeit? Ja, da sind wir wieder bei deiner alten Frage, und folglich sind wir wieder bei meiner alten Antwort: Makellos handeln heit, dein Bestes zu tun, ganz egal, was du tust. Aber, Don Juan, mir geht es doch darum, da ich stets den Eindruck habe, ich tte mein Bestes, und offensichtlich tue ich es doch nicht. Es ist nicht so kompliziert, wie du es darstellst. Der Schlssel zu all diesen Fragen nach der Makellosigkeit ist das Gefhl, Zeit zu haben oder keine Zeit zu haben. Als Faustregel mag gelten: Wenn du dich wie ein unsterbliches Wesen fhlst, das alle Zeit auf Erden hat und dementsprechend handelt, dann bist du nicht makellos. In solchen Momenten solltest du dich umdrehen, in die Runde schauen, und dann wirst du erkennen, da dein Gefhl, Zeit zu haben, tricht ist. Auf dieser Erde gibt es keine berlebenden!

Die Flgel der Wahrnehmung

Don Juan und ich verbrachten den ganzen Tag in den Bergen. Wir waren in der Dmmerung aufgebrochen. Er fhrte mich zu vier Orten der Kraft, und an jedem einzelnen gab er mir spezifische Instruktionen, wie ich der Erfllung einer besonderen Aufgabe nherkommen knne, die er mir vor Jahren als eine das ganze Leben whrende Situation dargestellt hatte. Am Sptnachmittag kehrten wir zurck. Nach dem Essen verlie Don Juan Don Genaros Haus. Er meinte, ich solle auf Pablito warten, der Petroleum fr die Lampe bringen wollte, und mich mit ihm unterhalten. Ich war ganz vertieft in die Ausarbeitung meiner Notizen und hrte Pablito erst, als er neben mir stand. Pablito erklrte, er habe den Gang der Kraft angewandt, und deshalb htte ich ihn unmglich hren knnen, solange ich nicht sehen knne. Ich hatte Pablito immer sehr gern gehabt. Bisher hatte ich aber wenig Gelegenheit gehabt, mit ihm allein zu sein, wenngleich wir gute Freunde waren. Pablito hatte mich immer als ein liebenswrdiger Mensch fr sich eingenommen. Er hie natrlich Pablo, aber die Koseform Pablito pate besser zu ihm. Er war zartgliedrig, aber drahtig. Wie Don Genaro war er schlank, aber berraschend muskuls und stark. Er war vielleicht Ende Zwanzig, aber er wirkte wie achtzehn. Er war von dunkler Hautfarbe und mittlerer Statur. Seine Augen blickten klar und strahlend, und wie Don Genaro hatte er stets ein gewinnendes Lcheln, mit einem Anflug von boshaftem Witz. Ich fragte ihn nach seinem Freund Nestor, Don Genaros anderem Lehrling. In der letzten Zeit hatte ich sie immer beisammen gesehen, und sie hatten auf mich stets den Eindruck gemacht, als htten sie ein ausgezeichnetes Verhltnis zueinander; doch in ihrem ueren wie in ihrem Charakter waren sie Gegenstze. Whrend Pablito leutselig und offen war, war Nestor verschlossen und in sich gekehrt. Auch war er grer, schwerflliger, dunkler und wesentlich lter.

Pablito erzhlte, da Nestor endlich ganz in seiner Arbeit mit Don Genaro aufgehe und da er, seit der Zeit, als ich ihn zum letztenmal gesehen hatte, berhaupt ein vllig anderer Mensch geworden sei. Er wollte aber nicht weiter auf Nestors Arbeit oder seinen Persnlichkeitswandel eingehen und wechselte unvermittelt das Thema. Ich hre, das Nagual hat dich am Kragen, sagte er. Ich war berrascht, da er dies wute, und fragte ihn, wie er es herausgefunden habe. Genaro erzhlt mir alles, sagte er. Mir f i e l auf, da er von Don Genaro nicht mit der gleichen Frmlichkeit sprach wie ich. Er nannte ihn einfach vertraulich Genaro. Er sagte, Don Genaro sei ihm wie ein Bruder, und sie verkehrten unbefangen miteinander, ganz wie in einer Familie. Er bekannte offen, da er Don Genaro herzlich l i e b h a t t e . Ich war tief gerhrt von seiner einfachen und offenen Art. Whrend ich mit ihm sprach, erkannte ich, wie sehr Don Juan und ich uns im Temperament glichen; unsere Beziehung war frmlich und korrekt im Vergleich zu Don Genaros und Pablitos Verhalten zueinander. Ich fragte Pablito, warum er sich vor Don Juan frchte. Seine Augen flackerten. Es war, als ob der bloe Gedanke an Don Juan ihn zusammenschrecken liee. Er antwortete nicht. Er musterte mich auf eine irgendwie seltsame Art. Hast du denn keine Angst vor i h m ? fragte er. Ich erzhlte ihm, da ich vor Don Genaro Angst htte, und er lachte, als habe er dies nun am a l l e r w e n i g s t e n erwartet. Don Juan und Don Genaro, sagte er, das sei wie der Unterschied zwischen Tag und Nacht. Don Genaro sei der Tag. Don Juan sei die Nacht, und insofern sei er der furchterregendste Mensch auf Erden. Von der Schilderung seiner Furcht vor Don Juan kam Pablito dann auf seine e i g e n e S i t u a t i o n als Lehrling zu sprechen. Ich bin in einem ganz elenden Zustand, sagte er. Knntest du sehen, wie es in mir aussieht, dann wre dir klar, da ich fr einen normalen Menschen zuviel wei, und doch, wenn du mich mit dem Nagual shest, dann wre dir klar, da ich nicht genug wei. Er wechselte rasch das Thema und fing an, sich ber mein

Mitschreiben lustig zu machen. Don Genaro, sagte er, habe stundenlang Heiterkeitsstrme hervorgerufen, indem er mich imitierte. Auch meinte er, da Don Genaro mich - trotz meiner Ticks und Schrullen - sehr gern habe und da er sich freue, mich als protegido zu haben. Diesen Ausdruck hrte ich zum erstenmal. Er entsprach einem anderen Begriff, den Don Juan zu Beginn unserer Verbindung eingefhrt hatte. Er hatte mir gesagt, ich sei sein escogido, sein Erwhlter. Das Wort protegido heit soviel wie Schtzling. Ich befragte Pablito nach seinen Begegnungen mit dem Nagual, und er erzhlte mir die Geschichte, wie er zum erstenmal mit i h m zusammengetroffen war. Einmal, sagte er, hatte Don Juan ihm einen Korb geschenkt, den er fr eine Freundschaftsgabe angesehen hatte. Er hatte i h n an e i n e n Haken ber seiner Zimmertr gehngt, und da er im Augenblick keine Verwendung dafr wute, verga er i h n fr den Rest des Tages. Er war der Meinung gewesen, der Korb sei ein Geschenk der Kraft und msse deshalb einen ganz besonderen Zweck finden. Am frhen Abend - wie Pablito sagte, war dies auch seine lebensgefhrliche Stunde - ging er dann in sein Zimmer, um seine Jacke zu holen. Er war allein im Haus, und wollte eben aufbrechen, einen Freund zu besuchen. Im Zimmer war es dunkel. Er griff nach der Jacke, und als er die Hand nach der Trklinke ausstreckte, f i e l der Korb herab und rollte ihm vor die Fe. Pablito lachte ber seinen Schrecken, sobald er sah, da blo der Korb von seinem Haken gefallen war. Er bckte sich, um ihn aufzuheben, und n u n erlebte er den Schock seines Lebens. Der Korb sprang vor i h m davon und f i n g an zu wackeln und zu knarren, als ob jemand i h n drckte und prete. Aus der Kche, erzhlte Pablito, f i e l gengend Licht herein, da man alles im Zimmer klar erkennen konnte. Eine Weile starrte er den Korb an, obwohl er irgendwie wute, da das falsch war. Nun begann der Korb sich unter tiefen, chzenden und mhsamen Atemzgen zu verformen. Pablito behauptete, da er tatschlich den Korb atmen gesehen und gehrt habe und da er lebendig gewesen sei und ihn im Zimmer herumgehetzt habe, wobei er ihm den Ausgang ver-

sperrt habe. Dann blhte der Korb sich auf, alle Bambusstreben lockerten sich, und er verwandelte sich in einen riesigen Ball, der Pablito wie eine Steppenhexe vor die Fe kollerte. Dieser fiel auf den Rcken, und der Ball rollte seine Beine herauf. Pablito war inzwischen, wie er sagte, vllig von Sinnen und schrie hysterisch. Der Ball hielt ihn gefangen und wlzte sich weiter ber seine Beine herauf, wobei er das Gefhl hatte, berall von Nadeln durchbohrt zu werden. Er versuchte ihn fortzustoen, und nun bemerkte er, da der Ball Don Juans Gesicht war, dessen Mund offenstand, bereit, ihn zu verschlingen. An diesem Punkt konnte er seine Panik nicht mehr meistern und wurde ohnmchtig. Pablito berichtete ganz ungefangen und frei ber eine Reihe von furchterweckenden Zusammenknften, die Mitglieder seiner Familie mit dem Nagual gehabt htten. So unterhielten wir uns stundenlang. Er schien im gleichen Dilemma zu stecken wie ich, schien sich aber entschieden geschickter im Bezugssystem der Zauberer zurechtzufinden. Irgendwann aber stand er pltzlich auf und meinte, er habe das Gefhl, Don Juan werde j e d e n Augenblick auftauchen, und er wolle ihm hier nicht begegnen. In grter Eile machte er sich davon. Es war, als habe ihn irgend etwas aus dem Zimmer gezogen. Ich hatte noch nicht einmal Aufwiedersehn gesagt - weg war er schon! Kurz darauf kamen Don Juan und Don Genaro nach Hause. Sie lachten. Pablito raste die Strae entlang wie die arme Seele vor dem Leibhaftigen, sagte Don Juan. Ich frage mich, warum blo? Ich glaube, er bekam es mit der Angst, als er sah, wie Carlitos sich die Finger wundschreibt, sagte Don Genaro und ffte meine Schreibbewegungen nach. Er trat neben mich. Heh! Ich habe eine I d e e , sagte er beinah flsternd. Da du so gern schreibst, warum lernst du nicht, mit dem Finger statt mit einem Bleistift zu schreiben. Das wre doch ein Ding! Don Juan und Don Genaro setzten sich neben mich und lachten sich kaputt, whrend sie ber die Mglichkeit speku-

lierten, mit dem Finger zu schreiben. Don Juan machte pltzlich mit ernster Stimme eine seltsame Bemerkung: Kein Zweifel, da er mit dem Finger schreiben knnte, aber wrde er es auch lesen knnen? Don Genaro lachte los und meinte dann: Ich bin berzeugt, er kann alles lesen. Und dann erzhlte er eine sehr merkwrdige Geschichte ber einen Bauerntlpel, der in einer Zeit des politischen Umsturzes in hohe mter aufgerckt war. Der Held der Geschichte, sagte Don Genaro, war Minister oder Gouverneur oder sogar Prsident - man konnte _ ja nie wissen, was die Leute in ihrer Tollheit anstellten. Aufgrund dieser hohen Ehren kam er zu der berzeugung, da er ein bedeutender Mensch sei, und er lernte, eine wichtige Rolle zu spielen. Don Genaro machte eine Pause und schaute mich mit der Miene eines seine Rolle berziehenden Schmierenkomdianten an. Er blinzelte und hob und senkte die Augenbrauen. Der Held der Geschichte, sagte er, war bei ffentlichen Auftritten sehr geschickt und konnte mhelos aus dem Stegreif eine Rede halten, doch seine amtliche Stellung erforderte, da er seine Reden vom Blatt ablas, und der Mann war Analphabet. Er lie sich also etwas einfallen, um alle hereinzulegen. Er besorgte sich ein beschriebenes Blatt Papier, und immer wenn er eine Rede halten mute, fuchtelte er damit herum. Und die anderen Bauerntlpel waren von seiner berlegenheit und seinen anderen guten Eigenschaften berzeugt. Doch eines Tages kam ein des Lesens kundiger Fremder und merkte, da unser Held das Blatt verkehrt herum hielt, whrend er vorgab, seine Rede abzulesen. Er lachte i h n aus und posaunte den Schwindel laut heraus. Wieder machte Don Genaro eine kurze Pause und sah mich an, kniff die Augen zusammen und fragte: Glaubst du, da unser Held nun ertappt war? Keine Spur! Er schaute ruhig in die Runde und sagte: >Verkehrt herum? Ist's nicht egal, wie ich das Papier halte? Hauptsache ich kann es lesen !< Und die anderen Bauerntlpel gaben i h m recht. Don Juan und Don Genaro explodierten vor Lachen. Don Genaro klopfte mir freundlich den Rcken, ganz so, als ob ich der Held der Geschichte gewesen wre. Ich war verlegen und

lachte nervs. Ich argwhnte irgendeine versteckte Bedeutung, aber ich getraute mich nicht, zu fragen. Don Juan rckte nher an mich heran. Er beugte sich vor und flsterte mir ins rechte Ohr: Findest du das nicht spaig? Auch Don Genaro beugte sich zu mir herber und flsterte mir ins linke Ohr: Was hat er gesagt? Ich reagierte ganz automatisch auf beide Fragen und antwortete mit einer unfreiwilligen Synthese: Ja. Ich fand, er fragte, 's ist spaig, sagte ich. Offenkundig war ihnen die Wirkung ihres Manvers bewut; sie lachten, bis ihnen die Trnen ber die Wangen liefen. Don Genaro war, wie immer, ausgelassener als Don Juan: er fiel um und wlzte sich, ein paar Meter von mir entfernt, auf dem Rcken. Dann lag er auf dem Bauch, streckte Arme und Beine aus und wirbelte ber den Boden, als ob er auf Rollen lge. So kreiselte er umher, bis er in meine Nhe kam und sein Fu den meinen s t r e i f t e . Dann setzte er sich auf und grinste tricht. Don Juan hielt sich den Leib. Anscheinend hatte er Bauchweh vor Lachen. Nach einer Weile beugten beide sich wieder vor und flsterten mir unablssig in die Ohren. Ich versuchte mir die Reihenfolge ihrer Sprche zu merken, aber nach einer vergeblichen Anstrengung gab ich es auf. Es waren zu viele. Sie flsterten mir in die Ohren, bis ich wieder das Gefhl hatte, zwiegespalten zu sein. Wie am Tag zuvor verwandelte ich mich wieder in einen Nebel, ein gelbliches Leuchten, das alles ganz unmittelbar empfand. Das heit, ich wute alles. was vorging. Dabei spielten keine Gedanken mit; es gab nur Gewiheiten. Und als ich mit einem weichen, schwammigen, elastischen Gefhl in Kontakt geriet, das sich auerhalb von mir befand und doch ein Teil von mir war, wute ich, da es ein Baum war. Ich f h l t e an seinem Duft, da es ein Baum sein mute. Es roch nicht wie ein bestimmter Baum, an den ich mich erinnert htte, und doch wute irgend etwas in mir, da dieser besondere Duft das Wesen von Baum war. Ich hatte nicht einfach das Gefhl, da ich wute, auch kontrollierte ich weder mein Wissen mit der Vernunft, noch kmmerte ich mich viel um uere Merkmale. Ich wute

einfach, da da irgend etwas in Kontakt mit mir war, mich berall umgab, ein freundlicher, warmer, zwingender Geruch, der von etwas ausging, das weder fest noch flssig, sondern ein undefinierbares anderes Etwas war. von dem ich wute, da es ein Baum war. Indem ich in dieser Form darum wute, meinte ich, sein Wesen zu erfassen. Ich f h l t e mich nicht von ihm abgestoen. Vielmehr lud er mich ein, mit i h m zu verschmelzen. Ich sank in i h n ein, oder er sank in mich ein. Zwischen uns bestand eine Verbindung, die weder besonders erquicklich noch unangenehm war. Die nchste Empfindung, an die ich mich k l a r erinnern konnte, war ein berwltigendes Gefhl des Staunens und Frohlockens. Alles an mir vibrierte. Es war, als ob Stromste durch mich hindurch gingen. Sie waren nicht schmerzhaft. Sie waren angenehm, aber auf so unbestimmte Weise, da es mir unmglich war, sie genauer zu definieren. I c h wute jedoch, da ich mit dem Boden in Kontakt war, wie dieser auch immer beschaffen sein mochte. E i n Teil von mir erkannte mit prgnanter Klarheit, da es der Boden war. Aber in dem Augenblick, als ich versuchte, die Unendlichkeit der unmittelbaren Wahrnehmungen, die ich hatte, kritisch zu durchdringen, verlor ich alle Fhigkeit, meine Wahrnehmungen zu unterscheiden. Dann war ich auf einmal wieder ich selbst. Ich dachte. Es war ein so unvermittelter bergang, da ich glaubte, aufgewacht zu sein. Und doch war da irgend etwas an meinen Empfindungen, das nicht ganz ich selbst war. Noch bevor ich die Augen aufschlug, wute ich, da e i g e n t l i c h etwas f e h l t e . Ich war immer noch in einem Traum oder in e i n e r Vision befangen. Meine Denkprozesse aber waren nicht nur unbeeintrchtigt, sondern ungewhnlich klar. Rasch o r i e n t i e r t e ich mich. Ich zweifelte nicht daran, da Don Juan und Don Genaro meinen traumartigen Zustand zu e i n e m bestimmten Zweck ausgelst hatten. I c h glaubte schon zu verstehen, welch ein Zweck damit verbunden war, als etwas mir Fremdes mich zwang, meine Aufmerksamkeit auf meine Umgebung zu richten. Ich brauchte lange, bis ich wute, wo ich war. Tatschlich, ich lag auf dem Bauch, und zwar auf e i n e m ganz sonderbaren Fuboden. Als ich ihn nher untersuchte, konnte ich mir ein

Gefhl der Ehrfurcht und des Staunens nicht versagen. Ich begriff nicht, woraus er gemacht war. Unregelmige Platten von irgendeiner unbekannten Substanz waren hchst kunstvoll und doch einfach zusammengesetzt. Sie waren zwar zusammengefgt, aber nicht am Boden oder aneinander befestigt. Sie waren elastisch und gaben nach, wenn ich versuchte, sie mit dem Finger auseinanderzuschieben, aber sobald ich loslie, schnellten sie wieder in ihre Ausgangslage zurck. Ich versuchte aufzustehen, unterlag aber der befremdlichsten Strung meiner Sinne. Ich hatte keinerlei Kontrolle ber meinen Krper; tatschlich schien mein Krper nicht einmal zu mir zu gehren. Er war schlaff, und ich hatte zu keinem seiner Teile eine Verbindung, und als ich aufzustehen versuchte, konnte ich die Arme nicht bewegen und plumpste hilflos auf den Bauch, wobei ich zur Seite rollte. Der Schwung des Sturzes lie mich beinahe eine komplette Drehung vollfhren und wieder auf dem Bauch landen. Aber meine ausgestreckten Arme und Beine bremsten die Drehung, und ich kam auf dem Rcken zu liegen. In dieser Position fiel mein Blick auf zwei seltsam geformte Beine und die formlosesten Fe, die ich je gesehen hatte. Das war mein Krper! Ich war anscheinend in eine Decke eingehllt. Mir kam der Gedanke in den Sinn, da ich mich vielleicht selbst in einer Szene als Krppel oder Invalide erlebte. Ich versuchte, mich aufzurichten und meine Beine anzuschauen, aber mein Krper ruckte nur matt. Ich schaute direkt in einen gelben Himmel, einen tiefen, strahlend zitronengelben Himmel. Er wies Rillen oder Vertiefungen von dunklerem Gelb auf, und eine Unzahl von Ausbuchtungen, die wie Wassertropfen herabhingen. Die Gesamtwirkung dieses unglaublichen Himmels war atemberaubend. Ich konnte nicht feststellen, ob jene Ausbuchtungen Wolken waren. Als ich meinen Kopf hin- und herdrehte, entdeckte ich auch Schatten und Flecken in anderen Gelbtnen. Dann zog etwas anderes meine Aufmerksamkeit an; eine Sonne, genau am Zenit des gelben Himmels, direkt ber meinem Kopf, eine milde Sonne - nach der Tatsache zu urteilen, da ich sie anstarren konnte -, die ein sanftes, gleichfrmiges, weiliches Licht ausstrahlte.

Noch bevor ich Zeit fand, ber all diese unirdischen Bilder nachzudenken, wurde ich heftig geschttelt. Mein Kopf ruckte und schaukelte hin und her. Ich wurde hochgehoben. Ich hrte eine schrille Stimme und Kichern - und ich war mit dem erstaunlichsten Anblick konfrontiert: einer gigantischen barfigen Frau. Ihr Gesicht war rund und riesig. Ihr Haar war zu einem Pagenkopf geschnitten. Ihre Arme und Beine waren monstrs. Sie hob mich auf und legte mich ber ihre Schulter, als wre ich eine Puppe. Mein Krper hing schlaff herab. Ich schaute ihren krftigen Rcken hinab. Um die Schultern und am Rckgrat entlang hatte sie einen feinen Flaum, Als ich ber ihre Schulter hinab schaute, sah ich wieder den wundervollen Boden. Ich hrte, wie er unter ihrem gewaltigen Gewicht elastisch nachgab, und ich sah die Fuabdrcke, die sie auf ihm hinterlie. Vor einem Gebilde, einer Art Bauwerk, legte sie mich auf den Bauch. Erst jetzt bemerkte ich, da mit meiner Tiefenwahrnehmung etwas nicht stimmte. Ich konnte die Gre des Gebudes nicht abschtzen. Einen Moment schien es lcherlich klein zu sein, aber dann wieder, nachdem ich anscheinend meinen Blick angepat hatte, mute ich mich ber seine monumentalen Ausmae wundern. Das gigantische Mdchen setzte sich neben mich und lie den Fuboden knarren. Ich berhrte ihr riesiges Knie. Sie roch nach Bonbons oder Erdbeeren. Sie sprach mit mir, und ich verstand alles, was sie sagte. Sie zeigte auf das Bauwerk und sagte mir, hier wohne ich. Als ich den Schock, mich hier zu befinden, allmhlich berwunden hatte, schien sich auch meine Beobachtungsfhigkeit wieder zu bessern. Jetzt bemerkte ich, da das Bauwerk vier groartige, aber funktionslose Sulen hatte. Sie hatten nichts zu tragen; sie befanden sich auf dem Dach des Gebudes. Ihre Form war die Schlichtheit selbst; es waren lange, zierliche Gebilde, die sich in j e n e m furchterregenden, unglaublich gelben Himmel zu v e r l i e r e n schienen. Diese nutzlosen Sulen erschienen mir als die reine Schnheit. Ich hatte einen Anfall von sthetischem berschwang. Die Sulen schienen aus einem Stck gemacht - wie, das konnte ich mir nicht vorstellen. Die beiden vorderen Sulen

waren durch einen dnnen Balken miteinander verbunden -eine riesige lange Latte, die vielleicht als Gelnder oder als Balustrade diente. Das gigantische Mdchen schob mich auf dem Rcken in das Bauwerk hinein. Die Decke war schwarz und niedrig, und sie war von symmetrisch angeordneten Lchern berst, die den gelblichen Glanz des Himmels hereinscheinen lieen und die erstaunlichsten Muster bildeten. Ich war wirklich ergriffen von der Schlichtheit und Schnheit dieses Bildes: diese Flecken gelben Himmels, die durch die exakt v e r t e i l t e n Lcher in der Decke hereinstrahlten, und die Schattenmuster, die sie auf diesem wundervollen, geheimnisvollen Boden erzeugten! Das ganze Gebilde war quadratisch, und abgesehen von seiner prgnanten Schnheit, war es fr mich unbegreiflich. Meine Beglckung war so heftig, da ich weinen - oder fr immer hierbleiben wollte. Aber irgendeine Kraft oder Spannung oder sonst etwas Undefinierbares zog an meinen Beinen. Pltzlich befand ich mich auerhalb des Bauwerks, immer noch auf dem Rcken liegend. Das gigantische Mdchen war da, aber bei ihr war noch ein anderes Wesen, eine Frau, die so gro war, da sie bis in den Himmel reichte und die Sonne verdunkelte. Verglichen mit ihr war das gigantische Mdchen nur eine Zwergin. Die groe Frau war bse. Sie packte das Bauwerk an einer seiner Sulen, hob es auf, drehte es um und stellte es auf den Boden. Es war - ein Schemel! Diese Erkenntnis wirkte wie ein Katalysator auf mich; sie lste einige berraschende Erkenntnisse aus. Ich durchlief eine Reihe von Bildern, die zwar nicht zusammenhingen, aber als Sequenz aufgefat werden konnten. Schlag auf Schlag erkannte ich, da der wundervolle, unbegreifliche Boden eine Strohmatte war; der gelbe Himmel war die Stuckdecke e i n e s Zimmers; die Sonne war eine Glhbirne; das Bauwerk, das einen solchen Begeisterungstaumel bei mir ausgelst hatte. war ein Stuhl, den ein Kind auf den Kopf gestellt hatte, um Huschen zu spielen. Noch einmal hatte ich eine zusammenhngende Vision e i n e r mysterisen architektonischen Struktur von gewaltigen Proportionen. Sie stand allein im Raum. Sie sah beinahe aus wie die spitze Muschel einer Schnecke mit aufgerichtetem

Schwanz. Die Wnde bestanden aus konkaven und konvexen Platten aus irgendeinem seltsamen purpurnen Material; jede Platte hatte Rillen, die wohl eher einem funktionalen als ornamentalen Zweck dienten. Ich untersuchte das Gebilde genau und in allen Einzelheiten und stellte fest, da es, genau wie das Bauwerk vorhin, durchaus unbegreiflich war. Ich erwartete, da meine Wahrnehmung sich anpassen und das wahre Wesen des Gebildes sich enthllen wrde. Aber nichts dergleichen geschah. Dann hatte ich eine bunte Reihe von fremdartigen, komplizierten Erkenntnissen oder Feststellungen zu dem Gebilde und seiner Funktion, die aber keinen Sinn ergaben, weil ich sie nicht in einen Bezugsrahmen einordnen konnte. Pltzlich erlangte ich wieder mein normales Bewutsein. Don Juan und Don Genaro standen neben mir. Ich war mde. Ich suchte nach meiner Uhr; sie war weg. Don Juan und Don Genaro lachten unbeschwert. Don Juan meinte, ich solle mich nicht um die Uhrzeit kmmern und mich lieber darauf konzentrieren, gewisse Ermahnungen zu befolgen, die Don Genaro mir gegeben hatte. Ich wandte mich an Don Genaro, aber der machte nur einen Witz. Er sagte, die wichtigste Ermahnung sei, da ich lernen msse, mit dem Finger zu schreiben, um Bleistifte zu sparen und um angeben zu knnen. Eine Weile hnselten sie mich noch wegen meinen Aufzeichnungen, und dann schlief ich ein. Don Juan und Don Genaro hrten sich den ausfhrlichen Bericht meiner Erlebnisse an, den ich ihnen am nchsten Morgen, auf Don Juans Aufforderung hin gab. Genaro meint, da du fr diesmal genug h a s t , sagte Don Juan, nachdem ich geendet hatte. Don Genaro nickte zustimmend. Welche Bedeutung hatte das, was ich gestern abend erlebt habe? fragte ich. Du hast einen Blick auf den Kern der Zauberei geworfen, sagte Don Juan. Gestern abend durftest du die Ganzheit deines Selbst ersphen. Aber im Augenblick ist dies fr dich natrlich eine sinnlose Feststellung. Das Erreichen der Ganz-

heit des Selbst ist offenbar nicht eine Frage des Wunsches nach Einsicht oder der Bereitschaft zu lernen. Genaro glaubt, da dein Krper Zeit braucht, um das Flstern des Nagual in dich einsinken zu lassen. Wieder nickte Don Genaro. Viel Zeit, sagte er und wackelte mit dem Kopf. Vielleicht zwanzig oder dreiig Jahre. Ich wute nicht, was ich davon halten sollte. Ich schaute Don Juan an und erwartete ein Stichwort. Beide zogen ein ernstes Gesicht. Habe ich wirklich noch zwanzig oder dreiig Jahre Zeit? fragte ich. Natrlich nicht! schrie Don Genaro, und beide brachen in schallendes Gelchter aus. Don Juan sagte, ich solle wiederkommen, sobald meine innere Stimme es mir befehlen werde, und in der Zwischenzeit solle ich versuchen, mich auf all die Empfehlungen zu besinnen, die sie mir gegeben hatten, whrend ich gespalten war. Wie soll ich das anstellen? fragte ich. Indem du deinen inneren Dialog abstellst und irgend etwas in dir herausflieen und sich ausdehnen lt, sagte Don Juan. Dieses Etwas ist deine Wahrnehmung, aber versuche nicht. herauszufinden, was ich damit meine! La dich einfach vom Flstern des Nagual leiten! Dann sagte er, ich htte am Abend zuvor zwei grundverschiedene Arten von Visionen gehabt. Die eine sei unerklrlich, die andere vollkommen klar, und die Reihenfolge, in der sie aufgetreten seien, deute auf eine Bedingung hin, die uns allen wesenseigen sei. Die eine Vision war das Nagual, die andere das Tonal, fgte Don Genaro hinzu. Ich bat ihn um weitere Aufklrung. Er sah mich an und klopfte mich auf den Rcken. Don Juan sprang ein und meinte, die ersten beiden Visionen seien das Nagual gewesen, und Don Genaro habe einen Baum und den Fuboden zur Verdeutlichung gewhlt. Die anderen beiden seien Visionen des Tonal gewesen, die er selbst ausgewhlt habe; eine davon sei meine Wahrnehmung als Kind. Sie erschien dir als eine fremde Welt, weil deine Wahrneh-

mung damals noch nicht darauf abgerichtet war, sich der gewnschten Form einzufgen, sagte er. War dies wirklich die Art, wie ich die Welt sah? fragte ich. Gewi! sagte er. Das war deine Erinnerung. Ich fragte Don Juan, ob jener sthetische berschwang, der mich erfat hatte, ebenfalls Teil meiner Erinnerung gewesen sei. Wir erleben solche Visionen mit unseren heutigen Augen, sagte er. Du hast diese Szene gesehen, wie du sie heute sehen wrdest. Doch es war nur eine Wahrnehmungsbung. Diese Szene entstammte einer Zeit, als die Welt fr dich zu dem wurde, was sie heute ist, aus einer Zeit, als ein Schemel zu einem Schemel wurde. Auf die andere Szene wollte er nicht nher eingehen. Das war keine Erinnerung aus meiner Kindheit, sagte ich. Ganz richtig! sagte er. Es war etwas anderes. War es etwas, was ich in Zukunft sehen werde? fragte ich. Es gibt keine Zukunft! rief er scharf. Die Zukunft - das ist nur eine bildliche Redeweise. Fr e i n e n Zauberer gibt es nur das Hier und Jetzt. Ansonsten gebe es im Grunde nichts darber zu sagen, meinte er, denn der Zweck dieser bung sei gewesen, die Flgel meiner Wahrnehmung zu entfalten, und obwohl ich nicht mit Hilfe dieser Flgel geflogen sei, htte ich doch vier Punkte berhrt, die aus dem Blickwinkel meiner alltglichen Wahrnehmung fr mich unerreichbar gewesen seien. Ich fing an, meine Sachen zu packen, um bald aufzubrechen. Don Genaro half mir, mein Notizbuch verstauen. Er legte es zuunterst in meine Tasche. Da wird's es warm und gemtlich haben, sagte er augenzwinkernd. Du kannst beruhigt sein, es wird sich k e i n e n Schnupfen holen. Dann aber schien Don Juan es sich mit meiner Abreise anders zu berlegen und fing an ber mein Erlebnis zu sprechen. Ganz automatisch versuchte ich, Don Genaro meine Aktentasche aus der Hand zu reien, aber er lie sie fallen, bevor ich sie berhrt hatte. Don Juan wandte mir, whrend er sprach,

den R c k e n z u . Ich s c h n a p p t e m i r die T a s c h e u n d s u c h t e hastig nach m e i n e m N o t i z b u c h . D o n G e n a r o hatte es wirklich so gut verstaut, d a ich es k a u m zu fassen kriegte; schlielich zog ich es h e r v o r u n d f i n g an m i t z u s c h r e i b e n . D o n J u a n u n d D o n G e n a r o starrten m i c h a n . Du bist m i s e r a b e l in F o r m , sagte D o n J u a n l a c h e n d . Du k l a m m e r s t dich an d e i n N o t i z b u c h w i e ein S u f e r an die Flasche. W i e eine l i e b e n d e M u t t e r an ihr K i n d , j a p s t e D o n Genaro. W i e ein Priester an das K r u z i f i x , steuerte D o n J u a n bei. W i e eine Frau an ihr H s c h e n , s c h r i e D o n G e n a r o . U n d so fiel ihnen ein V e r g l e i c h u m den anderen ein, w h r e n d sie mich unter schallendem Gelchter zu m e i n e m Auto geleiteten.

3.Teil Die Erklrung der Zauberer

Drei Zeugen des Nagual

Nach Hause zurckgekehrt, stand ich wieder einmal vor der Aufgabe, meine Feldnotizen zu ordnen. Je fter ich die Ereignisse rekapitulierte, desto eindringlicher wurde das, was Don Juan und Don Genaro mich h a t t e n erleben lassen. Ich stellte aber fest, da meine bliche Reaktion, nmlich mich in Bestrzung und Furcht ber das, was ich durchgemacht hatte, monatelang gehenzulassen, diesmal nicht so heftig war wie in der Vergangenheit. Verschiedene Male versuchte ich vorstzlich, wie ich es frher getan hatte, mich in Spekulationen und sogar in Selbstmitleid zu ergehen; aber irgend etwas fehlte diesmal. Ich hatte auch vorgehabt, mir eine Reihe von Fragen aufzuschreiben, die ich Don Juan, Don Genaro oder sogar Pablito vorlegen wollte. Das Projekt scheiterte aber, noch bevor ich damit begonnen hatte. Irgend etwas in mir selbst hinderte mich daran, mich auf Fragen und Grbeleien einzulassen. Ich hatte nicht gerade den Plan, Don Juan und Don Genaro wieder aufzusuchen, aber andererseits schreckte ich auch nicht vor dieser Mglichkeit zurck. Eines Tages aber, ohne da ich es mir lange berlegt htte, sprte ich einfach, da es Zeit war, sie wieder zu besuchen. Immer wenn ich mich in frheren Jahren bereit machte, nach Mexiko zu fahren, hatte ich das Gefhl gehabt, da es tausenderlei wichtige, dringende Fragen gab, die ich Don Juan stellen wollte; diesmal belastete mich nichts dergleichen. Es war, als ob die berarbeitung meiner Notizen die Vergangenheit fr mich abgeschlossen und mich fr das Hier und Jetzt der Welt von Don Juan und Don Genaro vorbereitet htte. Ich brauchte nur ein paar Stunden zu warten, bis Don Juan mich auf dem Marktplatz einer kleinen Stadt in den Bergen Zentralmexikos fand. Er begrte mich sehr herzlich und rckte dann mit einem Vorschlag heraus. Bevor wir zu Don Genaro fahren wrden, wolle er, meinte er, gern Don Genaros Lehrlingen, Pablito und Nestor, einen Besuch abstatten. Als ich vom Highway abbog, ermahnte er mich, besonders

sorgfltig auf irgendwelche ungewhnlichen Erscheinungen am Straenrand oder auf der Strae selbst zu achten. Ich bat ihn um genauere Anweisungen. Das geht nicht, sagte er. Das Nagual braucht keine genauen Anweisungen. Ich reagierte ganz automatisch und verlangsamte die Fahrt. Er lachte laut und bedeutete mir mit einer Handbewegung, ich solle weiterfahren. Als wir uns der Stadt nherten, wo Pablito und Nestor wohnten, sagte Don Juan, ich solle anhalten. Mit einer fast unmerklichen Kopfbewegung wies er mich auf eine Gruppe mig hoher Felsen am l i n k e n Straenrand hin. Dort ist das Nagual, flsterte er. Es war niemand zu sehen. Ich hatte erwartet. Don Genaro zu erblicken. Ich schaute noch einmal zu den Felsblcken hinber und suchte dann die Umgebung ab. Auch dort war niemand. Ich strengte meine Augen an, um irgend etwas zu entdecken, ein kleines Tier, ein Insekt, e i n e n Schatten oder eine sonderbare Gesteinsformation - irgend etwas Ungewhnliches. Nach einer Weile gab ich es auf und drehte mich zu Don Juan um. Ohne die Andeutung eines Lchelns hielt er meinem fragenden Blick stand und stie dann mit dem Handrcken meinen Arm an, um meine Aufmerksamkeit wieder auf die Felsblcke zu lenken. Ich starrte zu ihnen hinber, dann stieg Don Juan aus dem Wagen und forderte mich auf, i h m zu folgen und sie genauer zu untersuchen. Langsam stiegen wir etwa sechzig Meter weit einen sanft geneigten Abhang zum Fu der Felsen h i n a n . Dort blieb Don Juan stehen und flsterte mir ins rechte Ohr. da das Nagual mich genau an dieser Stelle erwarte. Ich sagte ihm. da ich. wie sehr ich mich auch anstrengte, l e d i g l i c h die Felsen, ein paar Grasbschel und Kakteen entdecken knne. Er beteuerte aber, das Nagual sei da und warte auf mich. Er befahl mir, mich hinzusetzen, meinen inneren Dialog abzustellen und den Blick, ohne mich zu konzentrieren, auf die Spitzen der Felsblcke zu richten. Er setzte sich neben mich, brachte seinen Mund an mein rechtes Ohr und flsterte mir zu, da das Nagual mich gesehen habe, da es da sei, auch wenn ich es nicht entdeckte, und da ich wohl nur die Schwie-

rigkeit htte, meinen inneren Dialog nicht abstellen zu knnen. Jedes Wort, das er sagte, nahm ich in einem Zustand inneren Schweigens auf. Ich verstand alles, und doch war ich unfhig zu antworten; es htte mich unglaubliche Mhe gekostet, zu sprechen und zu denken. Meine Reaktionen auf seine Worte waren nicht eigentlich Gedanken, sondern ganze Gefhlseinheiten, die aber alle Sinnbedeutung besaen, die ich in der Regel mit dem Denken in Verbindung bringe. Er flsterte, es sei sehr schwer, aus eigener Kraft den Weg zum Nagual zu beschreiten, und ich htte groes Glck gehabt, durch den Nachtfalter und sein Lied einen Ansto erhalten zu haben. Indem ich die Erinnerung an den Ruf des Nachtfalters f e s t h i e l t , sagte er, knne ich diesen zu Hilfe rufen. Entweder hatten seine Worte eine unwiderstehliche Suggestivkraft, oder vielleicht hatte ich mir auch das Wahrnehmungsphnomen, das er als Ruf des Nachtfalters bezeichnete, vergegenwrtigt, jedenfalls hatte er mir kaum seine Anweisung zugeflstert, als auch schon jenes eigenartige, pochende Gerusch hrbar wurde. Seine Klangflle gab mir das Gefhl, als befnde ich mich in einem Flstergewlbe. Wie das Gerusch lauter wurde und nherrckte, bemerkte ich auch - in einem irgendwie traumhnlichen Zustand-, da dort oben auf den Felsen sich etwas bewegte. Don Genaro hockte auf einem der Blcke. Seine Fe baumelten herab; und mit den Abstzen hmmerte er gegen den Fels und erzeugte ein rhythmisches Gerusch, das mit dem Ruf des Nachtfalters synchron zu sein schien. Er lchelte und winkte mir zu. Ich versuchte rational zu denken. Ich versprte den Wunsch, herauszufinden, wie er dorthin gelangt war und wieso ich ihn nun auf einmal sah, aber es wollte mir nicht gelingen, meinen Verstand in Gang zu setzen. Unter diesen Umstnden blieb mir nichts anderes brig, als ihn anzuschauen, wie er lchelnd dasa und mit der Hand winkte. Nach einer W eile schien er sich anzuschicken, den runden Felsblock herabzugleiten. Ich sah, wie er die Beine anspannte und die Fe in die richtige Stellung brachte, um auf dem harten Boden zu landen, wie er seinen Rcken bog, bis er beinah die Oberflche des Steins berhrte, um Schwung fr

das Herabgleiten zu bekommen. Aber pltzlich verharrte sein Krper auf halbem Weg. Ich hatte den Eindruck, da er irgendwo festhing. Er strampelte ein paarmal mit den Beinen, als wollte er schwimmen. Anscheinend versuchte er, sich von irgend etwas loszumachen, das ihn am Hosenboden festhielt. Wie wild rieb er sich mit beiden Hnden das Hinterteil. Tatschlich, es wirkte auf mich, als ob er sich von einem schmerzhaften Griff zu befreien suchte. Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, aber Don Juan hielt mich am Arm zurck. Ich hrte, wie er - beinahe keuchend vor Lachen - zu mir sagte: Beobachte ihn! Beobachte ihn! Don Genaro strampelte, bog den Rumpf durch und wand sich von einer Seite zur anderen, als wenn er einen Nagel herausreien wollte. Dann hrte ich einen lauten Knall, und er schwebte - oder vielmehr: wurde geschleudert - dorthin, wo Don Juan und ich standen. Er landete etwa zwei Meter vor mir auf den Fen. Er rieb sich den Hintern und tanzte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und ab, wobei er wste Flche ausstie. Der Stein wollte mich nicht loslassen und packte mich am Arsch, sagte er mit einfltiger Stimme. Ich wurde von unvergleichlicher Freude ergriffen. Ich lachte laut heraus. Ich stellte fest, da meine Ausgelassenheit meiner geistigen Klarheit die Waage hielt. In diesem Augenblick hatte ein umfassender Zustand gesteigerter Bewutheit von mir Besitz ergriffen. Alles um mich her war k r i s t a l l k l a r . Vorhin war ich, wegen meines inneren Schweigens, schlfrig und geistesabwesend gewesen. Aber dann hatte irgend etwas, das mit Don Genaros pltzlichem Erscheinen zusammenhing, bei mir eine groe Klarheit ausgelst. Don Genaro rieb sich immer noch den Hintern und hpfte auf und ab; dann sprang er auf mein Auto zu, ffnete die Tr und kroch auf den Rcksitz. Automatisch drehte ich mich um und wollte etwas zu Don Juan sagen. Er war nirgends zu sehen. Ich rief laut seinen Namen. Don Genaro sprang aus dem Auto, wobei er ebenfalls mit schriller, sich berschlagender Stimme nach Don Juan schrie. Erst jetzt, whrend ich ihm zuschaute, erkannte ich. da er mein Verhalten nachffte. Mich hatte nmlich, als ich

feststellte, da ich mit Don Genaro allein war, eine solche Angst gepackt, da ich ganz unbewut drei- oder viermal um den Wagen herumgelaufen war und nach Don Juan geschrien hatte. Don Genaro sagte, wir mten Pablito und Nestor abholen, Don Juan werde schon irgendwo unterwegs auf uns warten. Nachdem ich meine anfngliche Furcht berwunden hatte, sagte ich ihm , da ich mich freute, ihn zu sehen. Er hnselte mich wegen meiner bertriebenen Reaktion. Don Juan, meinte er, sei fr mich nicht so etwas wie ein Vater, sondern eher eine Mutter. Er gab ein paar unerhrt komische Sprche und Wortspiele ber Mtter zum besten. Vor Lachen bemerkte ich nicht einm al, da wir Pablitos Haus erreicht hatten. Don Genaro hie mich anhalten und stieg aus. Pablito stand in der Haustr. Er kam gelaufen, stieg ein und setzte sich neben mich auf den Beifahrersitz. Auf, jetzt zu Nestor. sagte er, als ob er in Eile sei. Ich drehte mich nach Don Genaro um. Er war nicht mehr da. Pablito bat mich mit beschwrender Stimme, mich zu beeilen. Wir fuhren an Nestors Haus vor. Auch er wartete schon vor der Tr. Wir stiegen aus. Ich hatte das Gefhl, als wten die beiden, was vor sich ging. Wohin fahren wir? fragte ich. Hat Genaro es dir nicht gesagt? fragte P a b l i t o mich mit unglubiger Stimme. Ich versicherte ihm, weder Don Juan noch Don Genaro htte dergleichen erwhnt. Wir gehen zu einem Ort der Kraft, sagte Pablito. Was werden wir dort tun? Wie aus einem Mund sagten die beiden, sie wten es nicht. Nestor fgte hinzu, Don Genaro habe ihm aufgetragen, mich an diesen Ort zu fhren. Warst du denn nicht bei Genaro? fragte Pablito. Ich erzhlte ihm, da ich mit Don Juan zusammengewesen sei, da wir unterwegs Don Genaro getroffen htten und da Don Juan mich mit ihm allein gelassen htte. Wohin ist Don Genaro verschwunden? fragte ich Pablito. Doch Pablito wute gar nicht, wovon ich sprach. Er hatte Don Genaro nicht in meinem Auto gesehen.

Er ist mit mir zu dir gefahren, sagte ich. Ich glaube gar, du hattest das Nagual im Auto, sagte Nestor erschrocken. Er wollte sich nicht auf die Rckbank setzen und drngte sich neben Pablito auf den Beifahrersitz. Auf der Fahrt herrschte Schweigen, nur von Nestors knappen Richtungsangaben unterbrochen. Ich wollte ber die Ereignisse des Vormittags nachdenken, aber irgendwie wute ich, da _ jeder Versuch, sie zu erklren, ein fruchtloses Sichgehenlassen meinerseits gewesen wre. Ich versuchte Nestor und Pablito in ein Gesprch zu verwickeln; sie sagten, sie seien zu nervs, solange sie im Auto sen, und wollten nicht sprechen. Ich freute mich ber ihre ehrliche Antwort und lie sie in Ruhe. Nachdem wir ber eine Stunde gefahren waren, parkten wir den Wagen auf einer Nebenstrae und kletterten einen steilen Berghang hinauf. Schweigend wanderten wir noch etwa eine Stunde unter Nestors Fhrung, und dann machten wir am Fu einer gewaltigen Felsklippe halt, die sich als beinahe senkrechte Wand etwa siebzig Meter hoch erhob. Mit halb geschlossenen Augen suchte Nestor den Boden ab, um einen geeigneten Platz zum Sitzen zu finden. Ich war mir peinlich bewut, wie unbeholfen er sich dabei bewegte. Pablito, der neben mir stand, schien mehrmals im Begriff zu sein, einzuschreiten und ihn zu korrigieren, doch er beherrschte sich und nahm eine lockere Haltung an. Dann entschied Nestor sich nach kurzem Zgern fr eine Stelle. Pablito seufzte erleichtert. Ich wute, da der Platz, den Nestor gewhlt hatte, der richtige war, aber ich hatte keine Ahnung, wieso ich das wute. Also beschftigte ich mich mit dem Scheinproblem, mir vorzustellen, welche Stelle ich gewhlt htte, f a l l s ich die Fhrung gehabt htte. Doch ich konnte mir nicht einmal ansatzweise ausmalen, wie ich dabei vorgegangen wre. Pablito erkannte offenbar, was mich beschftigte. Das darf man nicht, flsterte er mir zu. Ich lachte verlegen, als habe er mich bei etwas Unerlaubtem ertappt. Lachend erzhlte Pablito, da Don Genaro mit den beiden oft in den Bergen umhergewandert sei und jedem v o n ihnen von Zeit zu Zeit die Fhrung berlassen habe, damit sie

lernten, da es unmglich sei, sich vorzustellen, fr welchen Platz man selbst sich entscheiden wrde. Man kann das deshalb nicht, sagt Genaro, weil es nur richtige oder falsche Entscheidungen gibt, sagte er. Wenn du eine falsche Entscheidung triffst, dann wei dein Krper das, und auch der Krper jedes anderen wei es. Aber wenn du eine richtige Entscheidung triffst, wei der Krper es ebenfalls, und er entspannt sich und vergit auf der Stelle, da berhaupt eine Entscheidung getroffen worden ist. Du ldst deinen Krper wieder auf - wie ein Gewehr, weit du - fr die nchste Entscheidung. Wenn du deinen Krper noch einmal benutzen willst, um die gleiche Entscheidung zu treffen, dann funktioniert er nicht. Nestor schaute mich an; anscheinend kam es ihm merkwrdig vor, da ich mitschrieb. Jetzt nickte er zustimmend, als wolle er Pablito beipflichten, und dann l c h e l t e er zum erstenmal, seit ich ihn kannte. Zwei von s e i n e n oberen Zhnen waren verwachsen. Pablito erklrte, da Nestor keineswegs bsartig oder abweisend sei, sondern sich wegen seiner Zhne geniere und da dies der Grund sei, warum er nie l c h e l e . Nestor lachte und hielt sich die Hand vor den Mund. Ich sagte ihm, ich knne ihn zu einem guten Zahnarzt schicken, der seine Zhne richten werde. Sie hielten den Vorschlag fr e i n e n Witz und lachten wie zwei Kinder. Genaro sagt, er mu seine Scheu a l l e i n berwinden, sagte Pablito. Auerdem, sagt Genaro, soll er froh darber sein. Die meisten Leute knnen nur normal beien, aber Nestor kann mit seinen starken krummen Zhnen einen Knochen der Lnge nach spalten, und er kann dir ein Loch durch den Finger beien, wie mit einem Nagel. Nestor ffnete den Mund und zeigte mir sein Gebi. Der Schneidezahn und der Eckzahn oben waren einwrts gewachsen. Er klapperte mit den Zhnen, und dann schnappte und knurrte er wie ein Hund. Zwei- oder dreimal tat er so, als wolle er mich anfallen und beien. Pablito lachte. Nie zuvor hatte ich Nestor so unbeschwert erlebt. Die wenigen Male, die ich mit i h m zusammengewesen war, h a t t e er auf mich wie ein Mann in mittleren Jahren gewirkt. Wie er n u n vor mir sa und mit seinen schiefen Zhnen lchelte, staunte

ich ber seine Jugendlichkeit. Er sah aus wie ein junger Mann von Anfang Zwanzig. Wieder hatte Pablito meine Gedanken genau erraten. Er legt seine Wichtigtuerei ab, sagte er. Deshalb ist er jetzt jnger. Nestor nickte zustimmend und lie, ohne ein Wort zu sagen, einen lauten Furz fahren. Ich war entsetzt und lie meinen Bleistift fallen. Pablito und Nestor kugelten sich vor Lachen. Nachdem sie sich beruhigt hatten, rckte Nestor zu mir heran und zeigte mir einen selbstgebauten Apparat, der ein komisches Gerusch machte, wenn man ihn mit der Hand zusammendrckte. Genaro, sagte er, habe ihm gezeigt, wie man so etwas mache. Die Vorrichtung hatte einen winzigen Blasebalg, und als Zunge diente ein Blatt oder Gras, das man in einen Schlitz zwischen den zwei Holzleisten steckte, die als Lippen dienten. Das Ding machte, wie Nestor mir erklrte, verschiedene Gerusche, je nachdem, was fr ein Blatt man als Zunge verwendete. Er wollte, da ich es ausprobierte, und zeigte mir, wie man die Lippen zusammenpressen mute, um ein bestimmtes Gerusch hervorzubringen, und wie man sie auseinanderziehen mute, um ein anderes zu produzieren. Wozu ist das gut? fragte ich. Die beiden wechselten einen Blick. Das ist sein Geist-Fnger, du Esel, fuhr Pablito mich an. Sein Ton war grob, aber sein Lcheln freundlich. Die beiden waren eine eigenartig entnervende Mischung aus Don Genaro und Don Juan. Nun kam mir ein furchtbarer Verdacht. Spielten Don Juan und Don Genaro mir etwa einen Streich? Einen Augenblick lang packte mich die nackte Angst. Aber dann rastete irgend etwas in meinem Innern ein, und sofort wurde ich wieder ruhig. Ich wute ja, da Pablito und Nestor ihr Verhalten am Vorbild von Don Genaro und Don Juan ausrichteten. Ich selbst hatte schon festgestellt, da ich mich immer mehr wie die beiden benahm. Pablito sagte, da es ein Glck fr Nestor sei, einen GeistFnger zu haben, und da er selbst keinen besitze.

Was sollen wir hier t u n ? fragte ich Pablito. Nestor antwortete, als ob ich die Frage an ihn gerichtet htte. Genaro hat mir gesagt, wir mssen hier warten, und solange wir warten, sollen wir lachen und uns vergngen, sagte er. Wie lange, glaubst du. mssen wir noch warten? fragte ich. Er antwortete n i c h t , sondern schttelte den Kopf und schaute Pablito an, als wolle er die Frage an ihn weitergeben. Keine Ahnung, sagte Pablito. Dann verwickelten wir uns in ein lebhaftes Gesprch ber Pablitos Schwestern. Nestor zog ihn wegen seiner ltesten Schwester auf und meinte, sie habe einen so bsen Blick, da sie mit den Augen Luse knacken knnte. Er sagte, Pablito habe Angst vor ihr, denn sie sei so stark, da sie ihm einmal in einem Wutanfall ein Bschel Haare ausgerissen habe, als ob es Hhnerfedern wren. Pablito gab zu. da seine lteste Schwester wohl ein Biest gewesen sei, aber dann habe das Nagual i h r den Kopf zurechtgesetzt. Nachdem er mir die Geschichte erzhlt hatte, wie sie wieder zur Vernunft gebracht worden war, erkannte ich, da Pablito und Nestor niemals Don Juan beim Namen nannten, sondern ihn als das Nagual bezeichneten. Anscheinend hatte Don Juan in Pablitos Leben eingegriffen und alle seine Schwestern dazu gebracht, ein harmonischeres Familienleben zu fhren. Nachdem das Nagual sie sich vorgeknpft habe, sagte Pablito, seien sie wie Heilige geworden. Nestor w o l l t e wissen, was ich mit meinen Aufzeichnungen v o r h t t e . Ich e r k l r t e den beiden meine Arbeit. Ich hatte das seltsame Gefhl, da sie sich wirklich fr meine Ausfhrungen interessierten, und schlielich hielt ich ihnen einen gelehrten Vortrag ber Anthropologie und Philosophie. Ich kam mir komisch vor und wollte aufhren, aber irgendwie war ich so in Fahrt gekommen, da ich mich nicht kurz fassen konnte. Ich hatte den beunruhigenden Eindruck, da die beiden - wie auf Verabredung - mich zu dieser weitschweifigen Erklrung ntigten. Sie hielten die Augen starr auf mich gerichtet. Anscheinend wurde ihnen nicht langweilig dabei. Ich war gerade mitten im Dozieren, als ich wie von weitem

den Ruf des Nachtfalters hrte. Mein Krper erstarrte, und ich beendete meinen Satz nicht mehr. Das Nagual ist da, sagte ich mechanisch. Nestor und Pablito wechselten einen Blick, aus dem mir die nackte Angst zu sprechen schien, und sprangen neben mich, so da sie mich flankierten. Ihre Mnder standen offen. Sie sahen aus wie verngstigte Kinder. Dann hatte ich eine unbegreifliche Sinneswahrnehmung. Mein linkes Ohr fing an sich zu bewegen. Irgendwie wackelte es ganz von selbst. Es drehte meinen Kopf buchstblich um neunzig Grad, bis ich - wie mir schien - nach Osten schaute. Mein Kopf neigte sich leicht nach rechts. In dieser Haltung konnte ich das volle, pochende Gerusch des NachtfalterRufs deutlich hren. Es klang wie von weit her, aus nordstlicher Richtung. Sobald ich einmal die Richtung festgestellt hatte, nahm mein Ohr eine unglaubliche Flle von Geruschen auf. Ich konnte aber nicht erkennen, ob es Erinnerungen an Gerusche waren, die ich zuvor einmal gehrt hatte, oder tatschlich Gerusche, die im Augenblick entstanden. Die Stelle, wo wir uns befanden, lag am zerklfteten Westhang einer Gebirgskette. Nach Nordosten gab es Wlder und mit Gebirgsstruchern bestandene Flecken. Mein Ohr fing ein Gerusch auf, das aus dieser Richtung kam und sich anhrte, als ob eine schwere Masse ber das Gestein stapfte. Nestor und Pablito reagierten entweder auf mein Verhalten, oder auch sie hrten dieselben Gerusche. Ich htte sie gern gefragt, aber ich wagte nicht zu sprechen; vielleicht gelang es mir auch nur nicht, mein konzentriertes Lauschen zu unterbrechen. Als das Gerusch lauter wurde und nherkam, schmiegten Nestor und Pablito sich von beiden Seiten an mich. Nestor schien am strksten beeindruckt; sein Krper zitterte unkontrolliert. Irgendwann fing mein linker Arm an zu zappeln. Er hob sich ohne mein Zutun, bis er fast auf gleicher Hhe mit meinem Gesicht war, und zeigte auf eine mit Struchern bestandene Stelle. Ich hrte ein vibrierendes Klirren oder Drhnen. Es war ein mir vertrautes Gerusch; vor Jahren hatte ich es einmal unter dem Einflu einer psychotropen Pflanze vernommen. Nun entdeckte ich zwischen den Stru-

ehern eine riesige schwarze Gestalt. Es war, als ob die Strucher selbst allmhlich immer dunkler wrden, bis sie eine drohende Schwrze annahmen. Die Gestalt hatte keine klaren Umrisse, aber sie bewegte sich. Sie schien zu atmen. Ich hrte einen durch Mark und Bein gehenden Schrei - die vereinten Angstschreie von Pablito und Nestor; und dann flogen die Strucher - oder die schwarze Gestalt, in die sie sich verwandelt hatten - auf uns zu. Ich konnte meine Fassung nicht mehr bewahren. Irgendwie brach etwas in mir zusammen. Die Gestalt schwebte erst ber uns, und dann verschlang sie uns. Das Licht um uns her verdsterte sich. Es war, als sei die Sonne untergegangen. Oder als ob pltzlich die Dmmerung hereingebrochen wre. Ich sprte die Kpfe von Nestor und Pablito unter meinen Achseln; in einem unbewuten Schutzreflex breitete ich die Arme ber sie und dann strzte ich schlingernd nach hinten. Offenbar schlug ich aber nicht auf dem Felsboden auf, denn im nchsten Augenblick fand ich mich aufrechtstehend wieder, flankiert von Pablito und Nestor. Die beiden, obwohl grer als ich, schienen geschrumpft zu sein; indem sie die Beine und den Rcken krmmten, waren sie tatschlich kleiner als ich und paten unter meine Arme. Vor uns standen Don Juan und Don Genaro. Don Genaros Augen glitzerten wie Katzenaugen in der Nacht. Don Juans Augen zeigten denselben Glanz. So hatte ich Don Juan noch nie gesehen. Er war w i r k l i c h furchterregend. Noch mehr als Don Genaro! Er erschien jnger und strker als sonst. Wie ich die beiden anschaute, hatte ich das entsetzliche Gefhl, da sie nicht Menschen wie ich waren. Pablito und Nestor wimmerten leise vor sich hin. Dann sagte Don Genaro, wir gben ein Bild der Dreifaltigkeit ab. Ich sei der Vater, Pablito sei der Sohn und Nestor der Heilige Geist. Don Juan und Don Genaro lachten drhnend. Pablito und Nestor lchelten verlegen. Don Genaro meinte, wir mten uns voneinander trennen, denn Umarmungen seien nur zwischen Mann und Frau oder zwischen dem Bauern und seinem Esel statthaft. Jetzt erkannte ich, da ich immer noch an der gleichen Stelle

stand und da ich nicht, wie ich geglaubt hatte, nach rckwrts gestrzt war. Tatschlich standen auch Nestor und Pablito an der gleichen Stelle wie vorhin. Don Genaro gab Pablito und Nestor mit dem Kopf ein Zeichen. Don Genaro bedeutete mir, ihnen zu folgen. Nestor bernahm die Fhrung und wies mir, dann auch Pablito, einen Platz an. Wir setzten uns in gerader Linie, etwa fnfzig Meter von der Stelle entfernt, wo Don Juan und Don Genaro reglos am Fu der Klippe standen. Wie ich sie so anstarrte, gerieten meine Augen unwillkrlich auer Kontrolle. Ich wute genau, da ich schielte, denn ich sah vier Gestalten. Dann schob sich das Bild Don Juans in meinem linken Auge ber das Bild Don Genaros in meinem rechten Auge; das Ergebnis dieser Fusion war, da ich ein schillerndes Wesen zwischen Don Juan und Don Genaro stehen sah. Es war kein Mensch, _ jedenfalls anders, als ich normalerweise Menschen sehe. Eher war es ein weier Feuerball; es war von einer Art Lichtfasern umgeben. Ich schttelte den Kopf; das Doppelbild lste sich auf, und doch blieb der Anblick von Don Juan und Don Genaro als leuchtende Wesen bestehen. Ich sah zwei seltsame lngliche, leuchtende Objekte. Sie sahen aus wie weie schillernde Fublle mit langen Fasern - Fasern, die ein eigenes Licht ausstrahlten. Die beiden leuchtenden Wesen erbebten. Ich sah sogar, wie ihre Fasern zitterten, und dann schwirrten sie davon. Sie wurden von einem langen Faden emporgezogen, einem Spinnweben, das von der Spitze der Klippe herabzuschieen schien. Mein Eindruck war, da ein langer Lichtblitz oder ein leuchtender Faden vom Felsen herabgeschossen war und sie aufgehoben hatte. Diesen Ablauf nahm ich nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Krper wahr. Ich konnte mir sogar die gewaltigen Ungereimtheiten meiner Wahrnehmung klarmachen, vermochte aber keine Spekulation darber anzustellen, wie ich es normalerweise getan htte. So wute ich, da ich geradezu zum Fu der Klippe hinber schaute, und doch sah ich Don Juan und Don Genaro oben auf dem Gipfel, ganz so, als htte ich den Blick um fnfund vierzig Grad gehoben. Ich wollte schon meiner Angst nachgeben, vielleicht mein Gesicht in den Hnden vergraben

und weinen oder irgend etwas anderes tun, was meinen normalen Reaktionen entsprochen htte. Aber ich war wie blokkiert. Mein Wollen spielte sich nicht in der Form von Denken ab, so wie ich zu denken gewohnt war, daher konnte es auch keine emotionalen Reaktionen auslsen, wie sie zu haben ich gewohnt war. Don Juan und Don Genaro strzten herab. Da sie das taten, schlo ich aus dem unangenehmen Fallgefhl, das ich in der Magengrube versprte. Don Genaro blieb an der Stelle, wo er gelandet war, aber Don Juan kam zu uns und setzte sich hinter mich, zu meiner Rechten. Nestor kauerte am Boden, die Beine gegen den Leib angezogen; sein Kinn ruhte auf seinen Handflchen, und die Unterarme hatte er auf die Schenkel gesttzt. Pablito sa mit leicht vorgebeugtem Rumpf da und drckte die Hnde gegen seinen Bauch. Erst jetzt bemerkte ich, da ich die Unterarme ber dem Nabel gekreuzt hatte und meine Finge sich seitlich in die Haut krallten. Mein Griff war so fest, da mir die Seiten schmerzten. Don Juan sprach in einem abgehackten Murmeln, wobei er sich an uns alle wandte. Ihr mt euren Blick auf das Nagual fixieren, sagte er. Alle Gedanken und Wrter mssen weggefegt sein. Dies wiederholte er fnf- oder sechsmal. Seine Stimme war mir fremd und unbekannt; sie mutete mich buchstblich wie die Schuppen einer Schlangenhaut an. Dieser Vergleich war eher ein Gefhl, k e i n bewuter Gedanke. Jedes seiner Worte bltterte ab wie Schuppen. Sie hatten einen so unheimlichen Rhythmus; sie waren gedmpft, abgehackt, wie leises Husten, ein Befehl in Form eines rhythmischen Murmelns. Don Genaro stand reglos. Wie ich ihn anstarrte, konnte ich meine Augen nicht parallel h a l t e n und f i n g unwillkrlich an zu schielen. In diesem Zustand bemerkte ich abermals ein seltsames Leuchten an Don Genaros Krper. Meine Augen schlossen sich allmhlich oder fingen an zu trnen. Don Juan kam mir zu Hilfe. Ich hrte, wie er mir befahl, nicht die Augen zu schlieen. Ich sprte einen leichten Schlag auf den Kopf. Anscheinend hatte er ein Steinchen nach mir geworfen. Ich sah das Steinchen neben mir ber die Felsen springen. Er

mute wohl auch Nestor und Pablito getroffen haben; ich hrte das leise Gerusch von weiteren Steinchen, die ber die Felsen kollerten. Don Genaro nahm eine merkwrdige Tanzhaltung ein. Seine Knie waren gebeugt, die Arme seitlich ausgestreckt, die Finger gespreizt. Er schien im Begriff, herumzu wirbeln. Tatschlich machte er eine halbe Drehung, und dann zog es ihn nach oben. Ich hatte die deutliche Wahrnehmung, da er wie v o m Seil eines riesigen Krans emporgezogen wurde, das seinen Krper direkt zur Spitze der Klippe zog. Diese meine Wahrnehmung seiner Aufwrtsbewegung war eine ganz komische Mischung aus visuellen und krperlichen Eindrcken. Halb sah und halb fhlte ich seinen Flug zur Klippe hinauf. Da war etwas, es sah oder fhlte sich an wie ein Seil oder ein kaum erkennbarer Lichtfaden, der ihn emporzog. Ich sah sein Hochfliegen nicht in dem Sinne, wie ich den Flug eines Vogels mit den Augen verfolgt htte. Seine Bewegung hatte keinen linearen Ablauf. Ich brauchte nicht den Kopf zu heben, um ihn im Auge zu behalten. Ich sah, wie das Seil ihn zog, dann sprte ich seine Bewegung in meinem Krper oder mit meinem Krper, und im nchsten Augenblick stand er oben auf der Klippe, -zig Meter ber mir. Nach ein paar Minuten schwebte er herab. Ich sprte seinen Sturz und sthnte unwillkrlich. Dies wiederholte Don Genaro noch dreimal. Jedesmal war meine Wahrnehmung deutlicher. Bei seinem letzten Sprung nach oben konnte ich tatschlich etliche Fden erkennen, die von seiner Krpermitte ausgingen, und aufgrund der Richtung, in die diese Fden sich bewegten, konnte ich vorausahnen, wann er nach oben oder nach unten springen wrde. Wenn er sich anschickte hinaufzuspringen, bogen die Fden sich nach oben; das Gegenteil geschah, wenn er hinabspringen wollte; die Fden zeigten im Bogen nach unten. Nach seinem vierten Sprung kam Don Genaro zu uns und setzte sich hinter Pablito und Nestor. Dann trat Don Juan vor und stellte sich dorthin, wo Don Genaro gestanden hatte. Dort stand er eine Weile bewegungslos. Don Genaro gab Pablito und Nestor ein paar kurze Anweisungen. Ich verstand nicht, was er sagte. Ich sphte schnell zu ihnen hinber und

sah, da beide einen S t e i n in der Hand h i e l t e n , den sie sich gegen den Nabel preten. Ich berlegte, ob auch ich dies t u n sollte, aber da sagte er mir, da diese Vorsichtsmanahme zwar nicht fr mich gelte, da ich aber trotzdem einen Stein in Reichweite halten solle f r den Fall, da mir bel wrde. Don Genaro hob den Kopf, um mir zu sagen, ich solle Don Juan anschauen, und dann sagte er etwas Unverstndliches; er wiederholte es, und obgleich ich seine Worte nicht verstand, wute ich, da es mehr oder minder die gleiche Formel war. die Don Juan vorhin gesagt hatte. Mit den Wrtern h a t t e dies eigentlich nichts zu tun; vielmehr schlo ich es aus dem Rhythmus, dem abgehackten Tonfall, dem Beinahe-Husten. In welcher Sprache Don Genaro auch reden mochte, ich war berzeugt, da sie besser als das Spanische zu dem Stakkato dieses eigenartigen Rhythmus pate. Don Juan tat anfangs genau dasselbe, was Don Genaro vorhin getan hatte, aber dann, statt hinaufzuspringen, wirbelte er herum wie ein Turner am Reck. Halb bewut erwartete ich, er wrde wieder auf den Fen landen. Das tat er aber nicht. Sein Krper wirbelte immer weiter, ein paar Meter ber dem Boden. Zuerst k r e i s e l t e er ganz schnell, dann immer langsamer. Soviel ich sehen konnte, hing Don Juans Krper, genau wie vorhin Don Genaro, an irgendwelchen Lichtfden. Jetzt kreiselte er ganz langsam, als wollte er uns Gelegenheit geben, i h n ganz deutlich zu sehen. Dann schwebte er nach oben; er stieg immer hher, bis er den Grat der Klippe erreicht h a t t e . Don Juan schwebte tatschlich, als ob er k e i n Gewicht htte. Seine Drehungen waren sehr langsam und erinnerten an die Bilder von Astronauten, die sich im Weltraum schwerelos um ihre eigene Achse drehen. V o m Hinschauen schwindelte mir. Es war ganz so, als habe meine einsetzende belkeit i h n angespornt, und er wirbelte jetzt immer s c h n e l l e r . Er entfernte sich von der Klippe, und als er nun immer s c h n e l l e r wurde, wurde mir vollends bel. Ich packte den Stein und drckte ihn mir gegen den Bauch. Ich prete, so fest ich konnte. Die Berhrung half mir ein wenig. Der Griff nach dem Stein und das Anpressen hatten mir eine kurze Unterbrechung verschafft. Obwohl ich die Augen nicht von Don Juan abgewandt hatte, war meine

Konzentration doch zusammengebrochen. Bevor ich nach dem Stein griff, hatte ich den Eindruck gehabt, da das Tempo, mit dem sein schwebender Krper sich inzwischen drehte, seine Gestalt verwischte; er sah aus wie ein rotierender Diskus und dann wie ein wirbelndes Licht. Nachdem ich den Stein gegen meinen Leib gepret h a t t e , nahm seine Geschwindigkeit ab; er sah aus wie ein in der Luft schwebender Hut, wie e i n auf- und abtrudelnder Papierdrachen. Die Drachenbewegungen waren noch peinigender. Mir wurde unsglich bel. Ich hrte das Klatschen von Vogelschwingen und nach einer Weile der Ungewiheit wute ich, da der Vorgang zu Ende war. Mir war so s c h l e c h t , und ich war so erschpft, da ich mich zum Schlafen h i n l e g t e . Wahrscheinlich war ich e i n e Weile e i n g e n i c k t . I c h ffnete die Augen, als j e m a n d meinen Arm s c h t t e l t e . Es war Pablito. Er sprach mit gehetzter Stimme und sagte, ich drfe nicht einschlafen, denn wenn ich es t t e , wrden wir a l l e sterben. Er bestand darauf, wir mten sofort von hier weg. selbst wenn wir uns auf allen vieren fortschleppen mten. Auch er schien krperlich erschpft zu sein. Eigentlich h a t t e ich geglaubt, da wir hier die Nacht verbringen wrden. Die Aussicht, in der Dunkelheit bis zum Auto zu laufen, schreckte mich sehr. Ich versuchte Pablito umzustimmen, doch der benahm sich immer panischer. Nestor war es so bel, da ihm alles gleich war. Pablito setzte sich in vlliger Verzweiflung auf den Boden. Ich strengte mich an, meine Gedanken zu ordnen. Inzwischen war es ziemlich dunkel, obwohl es noch hell genug war, um die Felsen um uns her zu erkennen. Die Stille war k s t l i c h und wohltuend. Ich geno den Augenblick sehr, aber pltzlich fuhr mein Krper hoch; ich hrte in der Ferne das Gerusch von knackenden Zweigen. Automatisch fuhr ich zu Pablito herum. Er schien zu wissen, was mit mir los war. Wir packten Nestor unter den Achseln und zerrten ihn buchstblich hoch. Wir rannten und schleppten i h n m i t . Er war anscheinend der einzige, der den W e g wute. Von Zeit zu Zeit gab er uns knappe Anweisungen. Ich kmmerte mich nicht viel darum, was wir taten. Meine ganze Aufmerksamkeit galt meinem linken Ohr, das ein von

meinem brigen Krper unabhngiges Leben zu fhren schien. Irgendein Gefhl in meinem Innern zwang mich, immer wieder stehenzubleiben und mit meinem Ohr die Umgebung abzusuchen. Ich wute, da irgend etwas uns folgte. Es war e i n e schwere Masse; im Voranschreiten zermalmte es kleinere Steine. Nestor gewann halbwegs die Fassung wieder und konnte allein gehen, wobei er sich hin und wieder an Pablitos Arm festhielt. Wir erreichten ein kleines Gehlz. Pltzlich hrte ich ein extrem lautes Krachen. Es klang wie das Schnalzen einer gigantischen Peitsche, die auf die Wipfel der Bume nieders a u s t e . Ich sprte so etwas wie die Wellen eines Bebens ber uns. P a b l i t o und Nestor schrien und stolperten in hchster Eile davon. Ich w o l l t e sie aufhalten. Ich war nicht sicher, ob ich in der Dunkelheit wrde laufen knnen. Aber in diesem Moment hrte und sprte ich mehrere schwere Atemzge gleich hinter mir. Meine Angst war grenzenlos. A l l e drei rannten wir, bis wir das Auto erreichten. Nestor fhrte uns einen mir unbekannten Weg. Ich glaubte, ich sollte sie bei sich zu Hause absetzen und mir dann in der Stadt ein Hotel suchen. Um keinen Preis der Welt wollte ich zu Don Genaros Haus fahren. Aber weder Nestor noch Pablito und ich trauten uns aus dem Auto. Schlielich kamen wir zu Pablitos Haus. Er schickte Nestor nach Bier und Cola, whrend seine Mutter und seine Schwestern uns etwas zu essen machten. Nestor fragte im Scherz, ob Pablito ihm nicht seine lteste Schwester als Schutz mitgeben wolle, f a l l s er von Hunden oder Trunkenbolden angefallen wrde. Pablito lachte und erzhlte mir, da Nestor i h m als Schtzling anvertraut sei. Wer hat ihn dir anvertraut? fragte ich. D i e Kraft n a t r l i c h ! antwortete er. Einstmals war Nestor lter als ich, aber dann machte Genaro irgend etwas mit ihm, und _ jetzt ist er viel jnger. Das hast du doch gesehen, nicht wahr? Was hat Genaro mit ihm gemacht? fragte ich. Weit du, er hat wieder ein Kind aus ihm gemacht. Er nahm

sich zu wichtig und war zu verkrampft. Er wre gestorben, f a l l s er nicht jnger gemacht worden w r e . Pablito hatte etwas sehr Offenes und Gewinnendes an sich. Die Einfachheit seiner Erklrung beeindruckte mich. Nestor war wirklich jnger. Er sah nicht nur jnger aus, sondern er gab sich auch wie ein unschuldiges Kind. Ich wute zweifelsfrei, da er sich wirklich so fhlte. Ich pa auf ihn auf, fuhr Pablito fort. Genaro sagt, es ist eine Ehre, auf einen Krieger aufzupassen. Nestor ist ein guter Krieger. Seine Augen leuchteten wie die von Don Genaro. Er schlug mir krftig auf den Rcken und l a c h t e . Wnsch ihm Glck, Carlitos! sagte er. Wnsch ihm Glck! Ich war sehr mde. Eine merkwrdige, glckliche Traurigkeit berflutete mich. Ich sagte ihm, ich kme aus einer Stadt, wo die Leute einander s e l t e n einmal Glck wnschen. Ich wei, sagte er. Mir ging es genauso. Aber _ jetzt bin ich ein Krieger, und ich kann's mir l e i s t e n , i h m Glck zu wnschen.

Die Strategie eines Zauberers

Don Juan war in Don Genaros Haus, als ich dort spt am Vormittag eintraf. Ich begrte ihn. Heh, was war mit dir passiert? Genaro und ich haben den ganzen Abend auf dich gewartet, sagte er. Ich wute, da er Spa machte. Ich war unbeschwert und glcklich. Ich hatte mich systematisch geweigert, ber all das nachzugrbeln, was ich am Vortag erlebt hatte. Jetzt aber war meine Neugier unbezhmbar, und ich bestrmte ihn mit Fragen. Ach, das war eine einfache Demonstration all der Dinge, die du wissen solltest, bevor du die Erklrung der Zauberer vernimmst, sagte er. Wie du dich gestern verhalten hast, das hat Genaro berzeugt, da du genug persnliche Kraft gespeichert hast, um zur Hauptsache zu kommen. Anscheinend hast du seine Empfehlungen befolgt. Gestern hast du die Flgel deiner Wahrnehmung noch nicht ausgebreitet. Du warst steif, aber du hast doch das ganze Kommen und Gehen des Nagual wahrgenommen. Mit anderen Worten, du hast gesehen. Noch etwas hast du bewiesen, was im Augenblick noch wichtiger ist als das Sehen, und das war die Tatsache, da du j e t z t deine unerschtterliche Aufmerksamkeit auf das Nagual richten kannst. Und dies ist es, was ber den Ausgang der l e t z t e n Frage, der Erklrung der Zauberer, entscheiden wird. Pablito und du, ihr werdet sie gleichzeitig erhalten. Von einem so guten Krieger begleitet zu werden, das ist ein Geschenk der Kraft. Mehr wollte er anscheinend vorlufig nicht sagen. Nach einiger Zeit fragte ich ihn nach Don Genaro. Er ist da, sagte er. Er ist ins Gebsch gegangen, um die Berge erbeben zu lassen. In diesem Moment hrte ich in der Ferne ein Rumpeln, wie gedmpften Donner. Don Juan sah mich an und lachte. Er hie mich Platz nehmen und fragte, ob ich gegessen htte. Das hatte ich, also drckte er mir mein Notizbuch in die Hand

und fhrte mich zu Genaros Lieblingsplatz, einem groen Stein an der Westseite des Hauses, von wo aus man eine t i e f e Schlucht berblicken konnte. Jetzt aber brauche ich deine ganze Aufmerksamkeit, sagte Don Juan. Aufmerksamkeit in dem Sinn, wie die Krieger Aufmerksamkeit verstehen: eine echte innere Pause, um die Erklrung der Zauberer voll in dich eindringen zu lassen. Wir sind jetzt am Ende deiner Aufgabe angelangt. Du hast alle notwendigen Instruktionen erhalten, und j e t z t mut du innehalten, zurckblicken und deine Schritte berdenken. Die Zauberer sagen, dies ist das einzige Mittel, um die eigenen Siege zu festigen. Es wre mir entschieden lieber gewesen, dir all dies an deinem eigenen Platz der Kraft zu sagen, aber Genaro ist dein Wohltter, und sein Platz kann in diesem Fall noch wohlttiger fr dich sein. Was er meinen Platz der Kraft nannte, war ein Berggipfel in der Wste Nordmexikos, den er mir vor Jahren einmal gezeigt und mir geschenkt hatte. Soll ich dir nur zuhren, ohne mitzuschreiben? fragte ich. Das ist wirklich eine knifflige Frage, sagte er. Einerseits brauche ich deine ganze Aufmerksamkeit, und andererseits mut du ruhig und selbstsicher sein. Schreiben ist fr dich das einzige Mittel, um unbefangen zu bleiben, daher mut du diesmal all deine persnliche Kraft aufbringen und diese unmgliche Aufgabe vollbringen, du selbst zu sein, ohne du selbst zu sein. Lachend schlug er sich auf die Schenkel. Ich sagte dir j a schon, da ich fr dein Tonal verantwortlich bin und da Genaro fr dein Nagual verantwortlich ist, fuhr er fort. Es war meine Pflicht, dir bei allem zu helfen, was dein Tonal betrifft, und alles was ich mit dir getan oder dir angetan habe, geschah, um diese eine Aufgabe zu erfllen, die Aufgabe, deine Insel des Tonal leerzufegen und neu zu ordnen. Das war mein Job als dein Lehrer. Genaros Aufgabe als dein Wohltter ist es, dir unleugbare Demonstrationen des Nagual zu erteilen und dir zu zeigen, wie man zu ihm gelangt. Was meinst du mit Leerfegen und Neuordnen des Tonal? fragte ich. Ich meine die totale Vernderung, von der ich dir erzhle,

seit dem ersten Tag, als wir uns begegneten, sagte er. Unzhlige Male habe ich dir gesagt, da eine ganz grundlegende nderung notwendig ist, wenn du den Weg des Wissens bestehen willst. Diese Vernderung ist keine nderung der Stimmung, der Einstellung oder des ueren. Diese nderung erfordert die Transformation der Insel des Tonal. Diese Aufgabe hast du erfllt. Glaubst du, ich habe mich gendert? fragte ich. Er zgerte, dann lachte er auf. Du bist so verrckt wie eh und _ j e , sagte er. Und doch bist du nicht mehr derselbe. Siehst du, was ich meine? Er machte sich ber mein Mitschreiben lustig und meinte, wie schade es sei, da Don Genaro nicht da sei, der ber die Absurditt, da ich mich anschickte, die Erklrung der Zauberer niederzuschreiben, viel zu lachen haben wrde. Jetzt, an diesem Punkt, sagt der Lehrer normalerweise zu seinem Schler, da sie einen letzten Scheideweg erreicht haben, fuhr er fort. Derlei ist aber irrefhrend. Meiner Meinung nach gibt es keinen letzten Scheideweg, berhaupt keinen letzten Schritt, wohin auch immer. Und da es keinen solchen l e t z t e n Schritt gibt, sollte es eigentlich auch kein Geheimnis um irgendeinen Teil unseres Geschicks als leuchtende Wesen geben. Die persnliche Kraft entscheidet, wer von einer Offenbarung profitieren kann und wer nicht. Meine Erfahrungen mit meinen Mitmenschen haben mir gezeigt, da nur sehr, sehr wenige bereit sind zuzuhren, und von denen, die zuhren, sind noch weniger bereit, in ihrem Handeln zu befolgen, was sie gehrt haben. Und von denjenigen, die bereit sind, entsprechend zu handeln, haben noch weniger gengend persnliche Kraft, um von ihren Handlungen zu profitieren. Das Geheimnis um die Erklrung der Zauberer reduziert sich mithin auf eine Routine eine Routine, die vielleicht ebenso hohl und leer ist wie alle anderen auch. Jedenfalls weit du jetzt um das Tonal und das Nagual, sie sind der Kern der Erklrung der Zauberer. Dieses zu wissen, erscheint ganz harmlos. Wir sitzen hier, sprechen ganz harmlos darber, als sei es nur ein alltgliches Gesprchsthema. Du schreibst ruhig vor dich hin, wie du es Jahre getan hast. Die Szene um uns her ist ein Bild des Friedens. Es ist Nachmittag,

ein herrlicher Tag, die Berge um uns her scheinen einen schtzenden Kokon zu bilden. Man braucht nicht ein Zauberer zu sein, um zu erkennen, da dieser Platz, der von Genaros Kraft und Makellosigkeit kndet, der angemessene Hintergrund ist, um die Pforte zu ffnen, denn das ist's, was ich heute tun werde: dir die Pforte ffnen. Aber bevor wir den nchsten Schritt tun, ist eine faire Warnung angebracht. Der Lehrer ist gehalten, seinen Schler in allem Ernst zu warnen, da die Harmlosigkeit und der Friede dieses Augenblicks Tuschung sind, da sich vor ihm ein bodenloser Abgrund auftut und da, sobald die Pforte sich ffnet, keine Mglichkeit mehr besteht, sie zu schlieen. Er machte eine Pause. Ich fhlte mich unbeschwert und glcklich. Von hier, von Don Genaros Platz der inneren Wahl aus, hatte ich eine atemberaubende Aussicht. Don Juan hatte recht; der ganze Tag und die Szenerie waren mehr als schn. Ich wollte seine Ermahnungen und Warnungen bedenken, aber irgendwie vereitelte die Ruhe um mich her jeden Versuch in dieser Richtung, und ich gab mich der Hoffnung hin, da er vielleicht nur von metaphorischen Gefahren sprach. Pltzlich sprach Don Juan weiter. Die Jahre der harten Schulung sind nur eine Vorbereitung auf die vernichtende Begegnung des Kriegers mit . . . Wieder hielt er inne, sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und lachte leise. . . . mit dem, was da drauen liegt, j e n s e i t s dieses Punktes, sagte er. Ich bat ihn, seine dunklen Andeutungen zu erklren. Die Erklrung der Zauberer, die sich gar nicht wie eine Erklrung anhrt, ist tdlich, sagte er. Sie erscheint harmlos und nett, aber sobald der Krieger sich ihr ffnet, fhrt sie einen Schlag gegen ihn, den niemand parieren k a n n . Er brach in lautes Lachen aus. Sei also auf das Schlimmste gefat, aber werde nicht unruhig oder panisch! fuhr er fort. Du hast keine Zeit, und doch bist du von Ewigkeit umgeben. Welch ein Paradox fr deine Vernunft. Don Juan stand auf. Er wischte den Staub aus einer glatten,

schsselartigen Mulde und setzte sich dort bequem mit dem Rcken gegen den Fels, das Gesicht nach Nordwesten gewandt. Er deutete auf eine andere Stelle, wo auch ich bequem sitzen konnte. So sa ich links neben ihm und schaute ebenfalls nach Nordwesten. Der Fels war warm und vermittelte mir ein Gefhl der Gelassenheit, der Geborgenheit. Es war ein milder Tag; eine sanfte Brise linderte sehr angenehm die Hitze der Nachmittagssonne. Ich nahm den Hut ab. aber Don Juan bestand darauf, ich solle ihn aufbehalten. Du schaust _ jetzt in die Richtung deines eigenen Orts der Kraft, sagte er. Das ist eine Sttze, die dich v i e l l e i c h t schtzen wird. Heute brauchst du alle Sttzen, die du mobilisieren kannst. Dein Hut ist vielleicht auch eine. Warum warnst du mich denn, Don Juan' 1 Was soll denn eigentlich passieren? fragte ich. Was hier und heute passieren wird, hngt davon ab, ob du genug persnliche Kraft hast oder nicht, deine unerschtterliche Aufmerksamkeit auf die Flgel deiner Wahrnehmung zu konzentrieren, sagte er. Seine Augen funkelten. Er schien erregter, als ich ihn j e zuvor gesehen hatte. Ich fand, da in seiner Stimme etwas Besonderes lag, vielleicht eine ungewohnte Nervositt. Dieser Anla, sagte er. verlange von ihm. da er hier, genau auf dem Platz der inneren Wahl meines Wohltters, mir jeden Schritt rekapituliere, den er in seinem Bemhen getan habe, mir beim Leerfegen und Neuordnen meiner Insel des Tonal zu h e l f e n . Diese Zusammenfassung war uerst grndlich, und er brauchte dafr etwa fnf Stunden. In b r i l l a n t e r , k l a r e r Form legte er mir bndig Rechenschaft ber a l l e s ab, was er mit mir seit dem Tag, als wir uns begegneten, getan hatte. Es war, als sei ein Damm gebrochen. Seine Enthllungen berraschten mich gnzlich unvorbereitet. Ich h a t t e mich an die Rolle des aggressiven Fragers gewhnt; als daher Don Juan - der stets die Rolle des Zgernden gespielt h a t t e - mir eine so akademische Darstellung der wesentlichen Punkte seiner Lehren gab, da war dies ebenso erstaunlich fr mich wie die Tatsache, da er in Mexico City einen Anzug getragen hatte. Seine Sprachbeherrschung, seine dramatische Pointierung, seine Wortwahl waren so auerordentlich gekonnt, da ich

mir dies rational nicht erklren konnte. Er sagte, da der Lehrer an d i e s e m Punkt ausschlielich zum einzelnen Krieger sprechen msse, da die Art, wie er nun zu mir sprach, und die Klarheit seiner Erklrung Bestandteile seines letzten Tricks seien und da ich erst ganz am Schlu alles verstehen werde, was er mir entwickelte. Er sprach ohne Unterbrechung, bis er seine zusammenfassende D a r s t e l l u n g beendet hatte. Und ich schrieb alles mit, ohne mich irgend bewut anstrengen zu mssen. L a mich dir g l e i c h zu Anfang sagen, da ein Lehrer nie Lehrlinge sucht und da niemand um Unterweisung bitten k a n n ! sagte er. Es ist immer ein Omen, das einen Lehrling b e z e i c h n e t . Ein Krieger, der womglich im Begriff steht, ein Lehrer zu werden, mu wachsam sein, um sein Quentchen Chance zu f a s s e n . Ich sah dich, bevor w i r uns begegneten. Du hattest ein gutes Tonal, wie j e n e s Mdchen, das wir in Mexico City trafen. Nachdem ich dich gesehen hatte, wartete ich, ganz h n l i c h , wie wir an j e n e m Abend in Mexico City auf das Mdchen gewartet haben. Das Mdchen ging vorbei, ohne uns Beachtung zu schenken. Dich aber fhrte ein Mann zu mir, der davonlief, nachdem er dummes Zeug von sich gegeben h a t t e . Da standest du nun vor mir und redetest ebenfalls Bldsinn. Ich wute, da ich schnell handeln und dich einfangen mute. Etwas hnliches httest du selbst tun mssen, f a l l s das Mdchen mit dir gesprochen htte. Also, ich packte dich mit meinem Willen. Don Juan spielte auf die ungewhnliche Art und Weise an, wie er mich angeschaut hatte, als wir uns zum erstenmal begegneten. Er hatte den Blick auf mich f i x i e r t , und ich hatte ein unerklrliches Gefhl der Leere oder Betubung empfunden. Ich konnte keine logische Erklrung fr meine Reaktion finden, und ich war stets berzeugt gewesen, da ich ihn nach dieser ersten Begegnung nur deshalb wieder aufsuchte, weil dieser Blick mich verfolgte. Das w a r das beste M i t t e l , um dich einzufangen, sagte er. Es war ein d i r e k t e r Schlag gegen dein Tonal. Ich betubte es, indem ich meinen Willen darauf konzentrierte. Wie hast du das gemacht? fragte ich. Der B l i c k des Kriegers richtet sich auf das rechte Auge des

anderen, sagte er. Und zwar stoppt er dessen inneren Dialog. Dann bernimmt das Nagual die Fhrung. Daher die Gefhrlichkeit dieses Manvers! Sobald das Nagual vorherrscht, und sei es nur fr einen Moment, erlebt der Krper ein ganz unbeschreibliches Gefhl. Ich wei, da du endlose Stunden damit zugebracht hast, herauszufinden, was du empfunden hast, und da du bis heute nicht dahintergekommen bist. Immerhin, ich habe erreicht, was ich wollte. Ich habe dich eingefangen. Ich sagte ihm, ich knne mich immer noch gut daran erinnern, wie er mich angestarrt hatte. Der Blick ins rechte Auge ist k e i n Anstarren, sagte er. Eher ist es ein krftiges Zupacken, das durch das Auge des anderen hindurch geschieht. Mit anderen Worten, man packt etwas, das hinter dem Auge ist. Man hat wirklich die krperliche Empfindung, da man etwas mit dem Willen festhlt. Er kratzte sich am Kopf und schob sich den Hut ins Gesicht. Das ist n a t r l i c h nur eine bildliche Redeweise, fuhr er fort. Ein Hilfsmitte, diese komischen krperlichen Empfindungen zu erklren. Er befahl mir, nicht weiterzuschreiben und ihn anzusehen. Er sagte, er werde jetzt mein Tonal mit seinem Willen ganz leicht anfassen. Das Gefhl, das ich nun empfand, war eine Wiederholung dessen, was ich bei unserer ersten Begegnung und bei anderen Gelegenheiten gesprt hatte, wenn Don Juan mir das Gefhl gegeben hatte, als berhrte sein Blick mich tatschlich krperlich. Aber wie machst du es, da ich das Gefhl habe, als berhrtest du mich, Don Juan? Was machst du wirklich? fragte ich. Es lt sich nicht genau beschreiben, was man dabei tut, sagte er. Irgend etwas schiet von irgendwo unter dem Magen hervor. Dieses Etwas hat eine Richtung und kann auf alles mgliche ausgerichtet werden. Wieder hatte ich irgendwie das Gefhl, als fate mich eine Pinzette an einer nicht nher auszumachenden Stelle. Es funktioniert nur, wenn der Krieger gelernt hat, seinen Willen gezielt einzusetzen, erklrte Don Juan, nachdem er den Blick abgewandt hatte. Es ist unmglich, es zu ben, daher habe ich dir nicht empfohlen oder dich gar ermuntert, es

zu tun. Irgendwann im Leben eines Kriegers passiert es e i n fach. Niemand wei, wie es passiert. Er schwieg eine Weile. Mir wurde ganz unbehaglich zumute. Aber pltzlich sprach Don Juan weiter. Das Geheimnis liegt im linken Auge, sagte er. Wenn ein Krieger auf dem Wege des Wissens bewandert ist, kann sein linkes Auge alles fassen. Meist hat das l i n k e Auge eines Kriegers ein merkwrdiges Aussehen. Manchmal schielt er dauernd oder es wird kleiner als das andere, oder grer, oder irgendwie anders. Er schaute mich an und machte scherzhaft Anstalten, mein linkes Auge zu untersuchen. In gespielter Mibilligung schttelte er den Kopf und lachte. Sobald der Lehrling eingefangen ist, beginnt die Unterweisung, fuhr er f o r t . Die erste Handlung des Lehrers besteht darin, da er dem Schler die Vorstellung v e r m i t t e l t , da die Welt, die wir zu sehen glauben, nur eine Ansicht, eine Beschreibung der Welt ist. Alle Bemhungen des Lehrers zielen darauf ab, dem Schler dies zu beweisen. Aber es zu akzeptieren scheint uns schwerer zu f a l l e n als alles andere. Selbstgefllig sind wir in unserer partiellen Weltansicht befangen, die uns zwingt, so zu fhlen und zu handeln, als wten wir alles ber die Welt. Vom allerersten Augenblick an bezweckt der Lehrer mit all seinem Tun, diese Ansicht zu stren. Die Zauberer nennen es >den inneren Dialog anhalten<, und sie sind davon berzeugt, da dies die allerwichtigste Technik ist, die der Lehrling lernen kann. Um einer Weltansicht ein Ende zu setzen, der wir v o n der Wiege an gehorchen, gengt es nicht, dies nur zu wollen. Wir brauchen dazu eine praktische Aufgabe. Diese Aufgabe ist das >Richtige Gehen<. Das erscheint harmlos und unsinnig. Wie alles, was Kraft in sich trgt oder selbst Kraft ist, entgeht das >Richtige Gehen< unserer Aufmerksamkeit. Du hast es, zumindest viele Jahre lang, als eine komische Verhaltensweise verstanden und aufgefat. Erst l e t z t h i n dmmerte dir, da es das wirksamste Mittel ist, deinen inneren Dialog anzuhalten. Wie kann das >Richtige Gehen< den inneren Dialog anhalten? fragte ich. Diese besondere Art zu gehen berflutet das Tonal, sagte

er. Es durchstrmt es. Siehst du, die Aufmerksamkeit des Tonal mu auf seine Schpfungen gelenkt werden. Eigentlich schafft berhaupt erst diese Aufmerksamkeit die Ordnung der Welt. Das Tonal mu also aufmerksam auf die Elemente seiner Welt achten, um diese zu sttzen, und mu vor allem die Ansicht der Welt als innerer Dialog aufrechterhalten. Das >Richtige Gehern, sagte er, sei eine List. Dabei lenkt der Krieger, durch das Einkrmmen der Finger, seine Aufmerksamkeit zuerst auf seine Arme. Und dann, indem er - ohne seinen Blick zu zentrieren - auf irgendeinen Punkt geradeaus vor i h m auf einem an seinen Fuspitzen beginnenden und ber dem Horizont endenden Bogen schaut, berflutet er buchstblich sein Tonal mit Informationen. Das Tonal, sagt er, knne dann, ohne unmittelbaren Kontakt mit den Elementen seiner Beschreibung, nicht mehr mit sich selbst sprechen, und so entstehe das innere Schweigen. Es komme dabei gar nicht auf eine bestimmte Stellung der Finger an, erklrte Don Juan. Es gehe lediglich darum, durch das Anspannen der Finger in verschiedenen ungewohnten Haltungen die Aufmerksamkeit auf die Arme zu lenken; das einzig Wichtige sei, da die unkonzentriert blickenden Augen eine Unmenge Bilder von der Welt auffangen, ohne sie klar zu sehen. In diesem Zustand, fgte er hinzu, knnten die Augen Details aufnehmen, die zu flchtig fr die normale Beobachtung seien. Zusammen mit dem >Richtigen Gehen<, fuhr Don Juan fort, mu der Lehrer eine andere, noch schwierigere Fhigkeit lehren, nmlich die Fhigkeit, zu handeln, ohne zu glauben, ohne Belohnung zu erwarten - einfach drauflos zu handeln. Ich bertreibe wohl nicht, wenn ich dir sage, da der Erfolg eines Lehrers davon abhngt, wie gut und wie harmonisch er seinen Lehrling in dieser Hinsicht leitet. Ich sagte Don Juan, ich knne mich nicht daran erinnern, da er je das Draufloshandeln als besondere Technik behandelt htte; hchstens seien mir seine hufigen, aber unzusammenhngenden Bemerkungen darber prsent. Er lachte und meinte, dies sei ein so unaufflliger Kunstgriff gewesen, da er bis heute meiner Aufmerksamkeit entgangen sei. Nun erinnerte er mich an all die unsinnigen, beinahe

scherzhaften Aufgaben, die er mir stets gestellt hatte, wenn ich bei ihm war. Absurde Pflichten, bei denen ich Feuerholz in symmetrischen Mustern anordnete, rund um sein Haus eine Linie konzentrischer Kreise mit dem Finger in den Sand zeichnete, Staub von einer Stelle zur anderen fegte usw. Dazu gehrten auch Aufgaben, die ich zu Hause e r f l l e n mute: eine schwarze Kappe tragen, den linken Schuh zuerst zubinden, den Grtel von rechts nach links schnallen usw. All dies fate ich stets nur als Scherzaufgaben auf, denn immer wenn ich mir so etwas zur regelmigen Gewohnheit gemacht hatte, meinte Don Juan, ich drfe es ruhig wieder vergessen. Als er nun all die Pflichten rekapitulierte, die er mir autgegeben hatte, erkannte ich, da er, indem er mich zu so sinnlosen Routinehandlungen veranlate. mir tatschlich einen Begriff davon vermittelt hatte, einfach zu handeln, ohne einen Nutzen davon zu erwarten. Doch der Schlssel zur Welt der Zauberer ist das Anhalten des inneren Dialogs, sagte er. Alle brigen Manahmen sind nur Sttzen. Sie bewirken eigentlich nichts anderes, als das Anhalten des inneren Dialogs zu beschleunigen. Um das Anhalten des inneren Dialogs zu beschleunigen, gebe es zwei besonders wichtige Techniken: das Auslschen der persnlichen Geschichte und das Trumen. Er erinnerte daran, da er mir zu Beginn meiner Lehrzeit verschiedene spezifische Methoden zur Vernderung meiner Persnlichkeit empfohlen hatte. Ich hatte sie in meinen Aufzeichnungen festgehalten und dann jahrelang vergessen, bis ich ihre Bedeutung erkannte. Diese spezifischen Methoden erschienen mir zuerst als hchst idiosynkratische Manahmen, die mich zwingen sollten, mein Verhalten zu modifizieren. Die Kunst eines Lehrers bestehe darin, erklrte er, die Aufmerksamkeit des Lehrlings von den Hauptsachen abzulenken. Ein schlagendes Beispiel dafr sei die Tatsache, da ich bis heute nicht erkannt htte, da er mich tatschlich durch einen Trick zum Erlernen einer der wichtigsten Techniken gebracht hatte: zu handeln, ohne Belohnung zu erwarten. Gem dieser Regel, sagte er, habe er mein Interesse fr das Sehen geweckt, welches genaugenommen - ein Akt un-

mittelbaren Umgangs mit dem Nagual sei; ein Akt, der zwar ein unvermeidliches Resultat der Unterweisung, aber als Aufgabe per se unerreichbar sei. Warum war es denn wichtig, mich so auszutricksen? fragte ich. Die Zauberer sind berzeugt, da wir alle Toren sind, sagte er. Niemals knnen wir freiwillig unsere armselige Kontrolle aufgeben, darum mssen wir dazu getrickst werden. Indem er meine Aufmerksamkeit auf eine Scheinaufgabe, nmlich das Sehen lernen gelenkt habe, so seine Behauptung, habe er zwei Dinge erreicht. Erstens habe er die direkte Begegnung mit dem Nagual umschrieben, ohne sie direkt zu erwhnen, und zweitens habe er mich mit einem Trick dazu gebracht, die wesentlichen Punkte seiner Lehren als Nebenschlichkeiten zu betrachten. Tatschlich waren mir das Auslschen der persnlichen Geschichte und das Trumen nie so wichtig erschienen wie das Sehen. Ich hielt sie eher fr einen recht unterhaltsamen Zeitvertreib. Ich meinte sogar, da ich fr diese bungen die beste Begabung htte. Die beste Begabung . . . sagte er spttisch, nachdem er mich angehrt hatte. Ein Lehrer darf nichts dem Zufall berlassen. Ich sagte dir _ ja, da du recht hattest, als du glaubtest, ausgetrickst zu werden. Das Problem war nur, da du berzeugt warst, dieses Austricksen sei dazu bestimmt, deine Vernunft irrezufhren. Fr mich war das Austricksen nur ein Mittel, deine Aufmerksamkeit abzulenken oder einzufangen, _ je nachdem, wie es erforderlich war. Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und vollfhrte eine rasche kreisfrmige Handbewegung. Das Geheimnis von alledem ist unsere Aufmerksamkeit, sagte er. Was meinst du damit, Don Juan? All dies existiert nur aufgrund unserer Aufmerksamkeit. Dieser Stein, auf dem wir hier sitzen, ist ein Stein, weil wir gezwungen sind, ihm als Stein Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bat ihn, diese Vorstellung genauer zu erklren. Er lachte und drohte mir scherzhaft mit dem Finger. Dies ist eine Zusammenfassung, sagte er. Fr Fragen ist spter noch Zeit.

Nur weil er mich gekdert habe, sagte er, htte ich angefangen, mich fr das Auslschen der persnlichen Geschichte und das Trumen zu interessieren. Er sagte, da die Folgen dieser zwei Techniken ganz verheerend seien, wenn man sie ausschlielich bte, und da seine Sorge folglich die Sorge jedes Lehrers gewesen sei, nmlich den Lehrling nichts tun zu lassen, was ihn in geistige Verwirrung und Depression strzen knnte. Das Auslschen der persnlichen Geschichte und das Trumen sollten nur Hilfsmittel s e i n , sagte er. Worauf der Lehrling sich sttzen mu, das ist Migung und Strke. Deshalb fhrt der Lehrer ihn in die Lebensweise des Kriegers ein. Diese ist der Leim, der in der Welt der Zauberer alles miteinander verbindet. Stck um Stck mu der Lehrer sie schmieden und entwickeln. Ohne die Standhaftigkeit und Nchternheit der Lebensweise des Kriegers ist es unmglich, den Weg des Wissens zu bestehen. Das Erlernen der Lebensweise des Kriegers, sagte Don Juan, sei der Moment, da die Aufmerksamkeit des Lehrlings nicht abgelenkt, sondern im Gegenteil eingefangen werden msse; und er habe meine Aufmerksamkeit eingefangen, indem er mich, jedesmal wenn ich ihn besuchte, aus meinen gewohnten Lebensumstnden herausgerissen habe. Das Mittel dazu waren unsere Streifzge durch die Wste und die Berge. Dieser Kunstgriff, bei dem er den Zusammenhang meiner alltglichen Welt vernderte, indem er mich auf Wanderungen und auf die Jagd mitnahm, war ein weiteres Element seines Systems, das mir entgangen war. Die Auflsung des Zusammenhangs bedeutete, da ich den berblick verlor und meine Aufmerksamkeit ausschlielich auf das richten mute, was Don Juan tat. W as fr ein Trick! Eh? sagte er lachend. Ich lachte respektvoll. Ich hatte nie erkannt, da er sich all dessen so bewut war. Dann zhlte er alle Manahmen auf, durch die er meine Aufmerksamkeit eingefangen und gelenkt hatte. Am Ende seines Berichts fgte er hinzu, der Lehrer msse die Persnlichkeit des Lehrlings bercksichtigen, und in meinem Fall habe er besonders vorsichtig sein mssen, denn ich sei ein

heftiger Charakter und htte mich ohne weiteres aus Verzweiflung umbringen knnen. Was fr ein komischer Kauz du doch bist, Don J u a n , witzelte ich, und er brach in ein unbndiges Lachen aus. Um dem Schler zu helfen, seine persnliche Geschichte auszulschen, so erluterte er, werde dieser in drei weiteren Techniken unterwiesen. Diese bezeichnete er wie folgt: das Gefhl eigener Wichtigkeit verlieren, Verantwortung bernehmen und den Tod als Ratgeber benutzen. Ohne die frderl i c h e Wirkung dieser drei Techniken wrde das Auslschen der persnlichen Geschichte den S c h l e r nmlich unstet und wankelmtig machen und i h n in unntige Zweifel an sich selbst und seinen Handlungen strzen. Don Juan fragte mich, was denn meine n a t r l i c h s t e Reaktion in Augenblicken der Belastung, Frustration und Enttuschung gewesen sei, bevor ich sein Schler wurde. Seine eigene Reaktion, sagte er, sei heftige Wut gewesen. Die meinige sei Selbstmitleid gewesen, sagte ich ihm. Obwohl es dir nicht bewut wurde, mutest du dir ein Bein ausreien, um dieses Gefhl zu etwas fr dich Selbstverstndl i c h e m zu machen, sagte er. Heute erinnerst du dich wohl nicht mehr an die gewaltige Anstrengung, die es dich kostete, das Selbstmitleid als Merkmal deiner Insel zu begreifen. Das Selbstmitleid begleitete alles, was du tatest. Es stand dir immer zur Seite, bereit, dir Rat zu geben. Ein noch besserer Ratgeber ist fr den Krieger der Tod, den man ebenfalls dazubringen kann, alles, was man tut, zu begleiten, genau wie das Selbstmitleid oder den Zorn. Anscheinend hast du erst nach einem unsglichen Kampf gelernt, dir wirklich leid zu tun. Genauso kannst du aber auch lernen, dein drohendes Ende zu spren, und mithin kannst du lernen, mit dem Gedanken zu leben, da dein Tod dir stets zur Seite steht. Als Ratgeber ist das Selbstmitleid n i c h t s im Vergleich mit dem Tod. Dann ging Don Juan auf den scheinbaren Widerspruch im Begriff der Vernderung ein. Einerseits verlange die Welt der Zauberer eine tiefgreifende Vernderung, und andererseits behaupte die Erklrung der Zauberer, da die Insel des Tonal komplett sei und kein einziges Element aus ihr

entfernt werden knne. nderung bedeute also nicht, irgendeines dieser Elemente auszutilgen, sondern vielmehr, eine andere Verwendung davon zu machen. Nimm zum Beispiel das Selbstmitleid, sagte er. Es ist unmglich, es fr immer loszuwerden. Es hat einen bestimmten Platz und Charakter innerhalb deiner Insel, eine bestimmte, erkennbare Fassade. Immer wenn die Gelegenheit sich bietet, wird daher das Selbstmitleid aktiv. Es hat eine Geschichte. Wenn du also die Fassade des Selbstmitleids nderst, dann vernderst du damit nur seine Vorrangstellung. Ich bat ihn, mir die Bedeutung seiner Metaphern zu erklren, vor allem die Vorstellung einer nderung der Fassade. Soviel ich verstand, m e i n t e sie wohl das gleichzeitige Spielen mehrerer Rollen. Man verndert die Fassade, indem man die Verwendung der Elemente der Insel ndert, antwortete er. Nehmen wir wieder das Selbstmitleid als Beispiel! Es war fr dich ntzlich, weil du dir entweder wichtig vorkamst und meintest, bessere Bedingungen und eine bessere Behandlung zu verdienen, oder weil du nicht bereit warst, die Verantwortung fr Handlungen zu bernehmen, die dich in j e n e n Zustand gebracht hatten, der das S e l b s t m i t l e i d auslste, oder weil du es nicht fertigbrachtest, den Gedanken an deinen drohenden Tod deine Handlungen begleiten und dich von ihm beraten zu lassen. Das Auslschen der persnlichen Geschichte und die drei Hilfstechniken sind das Mittel, dessen die Zauberer sich bedienen, um die Fassade der Elemente der Insel zu ndern. Indem du zum Beispiel deine persnliche Geschichte auslschtest, weigertest du dich, zum Selbstmitleid Zuflucht zu nehmen. Damit dein Selbstmitleid funktionieren konnte, mutest du dich wichtig, unverantwortlich und unsterblich fhlen. Als diese Gefhle sich irgendwie nderten, war es dir nicht mehr mglich, dir leid zu tun. Dasselbe gilt fr alle anderen Elemente deiner Insel, die du gendert hast. Ohne den Einsatz dieser vier Techniken wre es dir nie gelungen, sie zu verndern. Aber das Verndern der Fassaden bedeutet nur, da man einem vorher wichtigen Element einen zweitrangigen Platz zuweist. Dein Selbstmitleid ist immer noch ein Merkmal deiner Insel. Dort wird es

jetzt im Hintergrund bleiben, genau wie der Gedanke an deinen drohenden Tod oder deine Bescheidenheit oder deine Verantwortung fr deine Taten da waren, ohne j e genutzt zu werden. Nachdem der Lehrling mit allen diesen Techniken bekannt gemacht worden sei, sagte Don Juan, komme er an einen Scheideweg. Je nach dem Grad seiner Sensibilitt entscheide er sich dann fr eine von zwei Mglichkeiten. Entweder nehme er die Empfehlungen und Vorschlge seines Lehrers unbesehen an und handele, ohne Belohnung zu erwarten, oder er fasse alles als Scherz oder als Verirrung auf. In meinem Fall, sagte ich, habe mich das Wort Techniken irregefhrt. Ich hatte nmlich stets przise Anweisungen erwartet, aber er hatte mir nur vage Empfehlungen gegeben; daher konnte ich sie nicht ernst nehmen oder gem seinen Magaben handeln. Das war dein Irrtum, sagte er. Darum mute ich auch entscheiden, ob wir Kraft-Pflanzen zu Hilfe nehmen sollten oder nicht. Ebensogut httest du nur diese vier Techniken anwenden und deine Insel des Tonal aufrumen und neu ordnen knnen. Sie htten dich zum Nagual gefhrt. Aber nicht allen Menschen ist es gegeben, auf einfache Empfehlungen zu reagieren. Du, und ich selbst brigens auch, wir brauchten etwas anderes, um uns wachrtteln zu lassen. Wir brauchten diese Kraft-Pflanzen. Es hatte bei mir tatschlich Jahre gedauert, bis ich die Bedeutung dieser ersten Empfehlungen Don Juans erkannte. Die auerordentliche Wirkung jener psychotropen Pflanzen hatte mir das Vorurteil eingegeben, da deren Gebrauch der Schlssel zur Lehre sei. An dieser berzeugung hielt ich lange fest, und erst in den spteren Jahren meiner Lehrzeit erkannte ich, da die bedeutsamen Vernderungen und Ergebnisse der Zauberei stets im Zustand nchternen Bewutseins erreicht werden. Was wre passiert, f a l l s ich deine Empfehlungen ernst genommen htte? fragte ich. Du wrst zum Nagual gelangt, antwortete er. Aber wre ich auch ohne einen Wohltter zum Nagual gelangt?

Dafr sorgt die Kraft entsprechend deiner Makellosigkeit, sagte er. Httest du diese vier Techniken ernsthaft gebt, dann httest du genug persnliche Kraft gespeichert, um einen Wohltter zu finden. Du wrst makellos geworden, und die Kraft htte dir alle ntigen Wege e r f f n e t . Das ist die Regel! Warum hast du mir denn nicht mehr Zeit gelassen? fragte ich. Du h a t t e s t soviel Zeit, wie du brauchtest, sagte er. Die Kraft wies mir den Weg. Eines Nachts gab ich dir ein Rtsel auf. Du solltest deinen dir wohlttigen Platz vor meinem Haus finden. In dieser Nacht hast du dich unter dem Druck der Situation hervorragend g e h a l t e n , und gegen Morgen bist du ber einem ganz bestimmten Stein eingeschlafen, den ich dorthin gelegt hatte. Die Kraft zeigte mir. da du unbarmherzig angetrieben werden mutest, sonst h t t e s t du berhaupt nichts getan. Haben die Kraft-Pflanzen mir g e h o l f e n ? fragte ich. Selbstverstndlich, sagte er. Sie ffneten dich, indem sie deine Ansicht von der Welt unterbrachen. In dieser Hinsicht haben Kraft-Pflanzen dieselbe Wirkung auf das Tonal wie das >Richtige Gehen. Beide berfluten es mit Informationen und gebieten dem inneren Dialog Einhalt. Die Pflanzen eignen sich hervorragend dazu, aber um einen hohen Preis. Sie fgen dem Krper unabsehbaren Schaden zu. Das ist ihr Nachteil, besonders beim Teufelskraut (Datura stramonium; Anm. des bers.). W enn du doch wutest, da sie so gefhrlich sind, warum hast du mir so viel - so oft - davon gegeben? fragte ich. Er beteuerte, die Einzelheiten des Verfahrens seien von der Kraft selbst vorgeschrieben worden. Obwohl die Unterweisung bei allen Lehrlingen dieselbe sein msse, sagte er, sei die Reihenfolge bei jedem verschieden, und auerdem habe er wiederholt Anzeichen dafr festgestellt, da ich viel Zwang brauchte, um berhaupt etwas ernst zu nehmen. Bei dir hatte ich es mit einem vorwitzigen Unsterblichen zu tun, der keinerlei Respekt vor seinem Leben oder seinem Tod hatte, sagte er lachend. Ich brachte die Tatsache zur Sprache, da er diese Pflanzen

stets im Rahmen anthropomorpher Eigenschaften beschrieben und diskutiert hatte. Er hatte immer so von ihnen gesprochen, als htten die Pflanzen eine eigene Persnlichkeit. Er erwiderte, dies sei ein vorgeschriebenes Mittel, um die Aufmerksamkeit des Lehrlings vom Eigentlichen abzulenken, nmlich dem Anhalten des inneren Dialogs. Wenn sie nur benutzt werden, um den inneren Dialog anzuhalten, in welcher Beziehung stehen sie dann zum Verbndeten? fragte ich. Das ist schwer zu erklren, sagte er. Diese Pflanzen fhren den Lehrling direkt zum Nagual, und der Verbndete ist ein Aspekt von diesem. Wir funktionieren ausschlielich mit dem Vernunft-Zentrum, ganz gleich wer wir sind und woher wir kommen. Die Vernunft kann natrlich alles, was innerhalb ihrer Weltsicht geschieht, auf die eine oder andere Weise e r k l r e n . Der Verbndete ist etwas, das auerhalb dieser Ansicht, auerhalb des Bereichs der Vernunft steht. Er kann nur mit dem Willens-Zentrum erlebt werden, in Augenblicken, wenn unsere normale Ansicht auer Kraft gesetzt ist. Daher ist er, genaugenommen, das Nagual. Doch die Zauberer lernen manchmal, den Verbndeten auf sehr problematische Weise wahrzunehmen, und dabei verstricken sie sich zu tief in eine neue Weltansicht. Um dich vor diesem Schicksal zu bewahren, habe ich dir daher den Verbndeten nicht so d a r g e s t e l l t , wie es die Zauberer in der Regel tun. Nach generationenlangem Gebrauch der Kraftpflanzen haben es die Zauberer gelernt, ihre Ansichten so weit zu erklren, wie sie berhaupt erklrbar sind. Ich mchte sagen, da die Zauberer, indem sie ihren Willen benutzten, ihre Ansichten der Welt erweitern konnten. Mein Lehrer und mein Wohltter waren die besten Beispiele dafr. Sie waren Mnner von groer Kraft, aber sie waren keine Wissenden. Sie berwanden nie die Fesseln ihrer enormen Einsichten, und daher erreichten sie nie die Ganzheit ihres Selbst, doch sie wuten darum. Es war nicht so, da sie ein zielloses Leben gefhrt und Dinge beansprucht htten, die ihnen nicht zugnglich waren. Sie wuten, da der Zug fr sie abgefahren war und da ihnen erst bei i h r e m Tod das ganze Geheimnis offenbart werden wrde. Die Zauberei hatte ihnen die Tr einen Spaltbreit

geffnet, aber ihnen nie wirklich ermglicht, jene unfabare Ganzheit des Selbst zu erreichen. Ich habe dir genug von der Ansicht der Zauberer vermittelt, ohne dich durch sie gefangennehmen zu lassen. Ich sagte, nur wenn man zwei Ansichten gegeneinander ausspielt, kann man zwischen ihnen hin- und herpendeln, um zur wirklichen Welt zu gelangen. Ich meinte damit, man kann die Ganzheit seines Selbst nur dann erreichen, wenn man vollkommen begreift, da die Welt lediglich eine Ansicht ist, ganz gleich, ob diese Ansicht von einem normalen Menschen oder einem Zauberer vertreten wird. In diesem Punkt weiche ich von der Tradition ab. Nach einem lebenslangen Kampf wei ich, da es nicht darauf ankommt, eine neue Beschreibung zu lernen, sondern die Ganzheit des Selbst zu erreichen. Man sollte das Nagual erreichen, ohne das Tonal zu schdigen, und vor allem, ohne seinen Krper zu verletzen. Als du j e n e Pflanzen einnahmst, vollfhrtest du genau dieselben Schritte wie ich damals. Der einzige Unterschied war, da ich, statt dich in diese Erfahrung hineinzustrzen, dich damit aufhren lie, als ich den Eindruck hatte, da du gengend Ansichten des Nagual gespeichert h a t t e s t . Das ist auch der Grund, warum ich deine Begegnungen mit den KraftPflanzen niemals diskutieren oder zulassen wollte, da du zwanghaft darber sprachst. Ich hielt es fr sinnlos, ber das Unaussprechliche zu debattieren. Dies waren echte Exkursionen in das Nagual, das Unbekannte. Ich wandte ein, da mein Bedrfnis, ber meine Wahrnehmungen unter dem Einflu psychotroper Pflanzen zu sprechen, durch mein Interesse bedingt gewesen sei, eine eigene Hypothese zu berprfen. Ich war nmlich davon berzeugt, da er mir mit Hilfe dieser Pflanzen Erinnerungen an unvorstellbare Wahrnehmungsweisen vermittelt hatte. Diese Erinnerungen, die mir zu der Zeit, als ich sie erlebte, wohl als idiosynkratisch und weit entfernt von jedem Sinn erschienen, setzten sich spter zu Sinn-Einheiten zusammen. Ich wute, da Don Juan mich jedesmal schlau und listig geleitet hatte und da jede Zusammenfgung von Sinn unter seiner Fhrung geschehen war. Ich mchte diese Ereignisse nicht berbewerten oder sie

erklren, sagte er trocken. Das Nachgrbeln ber Erklrungen wrde uns genau dahin zurckwerfen, wo wir nicht sein wollen, das heit, wir wrden wieder in eine Ansicht der Welt, diesmal allerdings in eine viel grere, zurckgeworfen. Nachdem der innere Dialog des Lehrlings durch die Wirkung der Kraft-Pflanzen angehalten sei, sagte Don Juan, entwickle sich fr diesen eine auswegslose Situation. Der Lehrling beginne seine ganze Lehrzeit zu bereuen. Wie Don Juan meinte, stelle sich auch beim bereitwilligsten Lehrling an diesem Punkt ein gefhrliches Nachlassen des Interesses ein. Die KraftPflanzen erschttern das Tonal und bedrohen den Zusammenhalt der ganzen I n s e l , sagte er. Dies ist der Augenblick, wo der Lehrling sich zurckzieht, und er tut gut daran. Er will sich aus diesem ganzen Chaos retten. Aber dies ist auch der Augenblick, wo der Lehrer seine listigste Falle stellt, und zwar mit Hilfe des wrdigen Gegners. Diese Falle dient zwei Zwecken. Erstens erlaubt sie dem Lehrer, seinen Lehrling zu behalten, und zweitens bietet sie dem Lehrling einen Bezugspunkt, der ihm spter nutzen wird. Die Falle ist ein Kunstgriff, der einen wrdigen Gegner ins Spiel bringt. Ohne die Hilfe eines wrdigen Gegners, der nicht eigentlich ein Feind, sondern ein sorgsam ausgewhlter Gegenspieler ist, gibt es fr den Lehrling keine Mglichkeit, auf dem Weg des Wissens fortzuschreiten. Auch der Beste wrde an diesem Punkt aufgeben, bliebe die Entscheidung darber ihm berlassen. Ich gab dir als wrdigen Gegner den besten Krieger, den man finden kann, die Catalina. Don Juan sprach von einer Zeit, sie lag Jahre zurck, als er mich in einen langwierigen Kampf mit einer indianischen Zauberin verwickelte. Ich brachte dich in krperlichen Kontakt mit ihr, fuhr er fort. Ich whlte eine Frau, weil du zu Frauen Vertrauen hast. Es war fr sie sehr schwer, dieses Vertrauen auseinanderzunehmen. Nach Jahren gestand sie mir ein, da sie lieber aufgegeben htte, denn sie mochte dich gern. Aber sie ist eine groe Kriegerin, und trotz ihrer Gefhle wischte sie dich fast von dieser Erde. Sie nahm dein Tonal so nachhaltig auseinander, da es niemals wieder so wurde wie zuvor. Ja, sie vern-

derte die Gesichtszge deiner Insel so tiefgreifend, da ihre Taten dich in eine andere Welt versetzten. Man mchte meinen, sie selbst htte deine Wohltterin werden knnen, wre es nicht so, da du nicht dazu geschaffen bist, ein Zauberer ihrer Art zu werden. Irgend etwas stimmte nicht zwischen euch beiden. Du konntest keine Angst vor ihr haben. In einer Nacht, als sie dich anfiel, verlorst du fast die Hosen, aber trotzdem fhltest du dich zu ihr hingezogen. Fr dich war sie eine begehrenswerte Frau, ganz gleich, wie sehr du dich frchtetest. Das wute sie. Ich habe dich einmal auf einem Marktplatz erlebt, wie du sie anschautest - du warst halb von Sinnen vor Angst, und doch versuchtest du, ihr zu schmeicheln. Durch die Taten eines wrdigen Gegners kann ein Lehrling also entweder in Fetzen zerrissen oder radikal verndert werden. Die Handlungen der Catalina dir gegenber - nachdem sie dich nicht umbrachten, und zwar nicht, weil sie sich nicht genug angestrengt htte, sondern weil du widerstandsfhig warst - hatten eine wohlttige Wirkung auf dich und ermglichten dir eine Entscheidung. Der Lehrer bedient sich des wrdigen Gegners, um den Lehrling zur Entscheidung seines Lebens zu zwingen. Der Lehrling mu sich zwischen der Welt des Kriegers und seiner alltglichen Welt entscheiden. Aber es kann keine Entscheidung geben, solange der Lehrling nicht die Entscheidung als solche begreift. Daher mu der Lehrer ein durchaus geduldiges und verstndnisvolles Verhalten zeigen und seinen Mann mit sicherer Hand zu dieser Entscheidung hinfhren, und vor allem mu er dafr sorgen, da sein Lehrling die Welt und das Leben eines Kriegers whlt. Ich habe das geschafft, indem ich dich bat, mir zu helfen, die Catalina zu besiegen. Ich sagte dir, da sie vorhabe, mich zu tten, und da ich deine Hilfe brauchte, um sie loszuwerden. Ich gab dir eine faire Warnung hinsichtlich der Konsequenzen deiner Entscheidung und Zeit genug, um zu whlen, ob du es t u n wolltest oder n i c h t . Ich erinnerte mich genau daran, da Don Juan mir an diesem Tag freie Wahl gegeben hatte. Falls ich i h m nicht helfen wolle, hatte er gesagt, stnde es mir f r e i , zu gehen und nie wiederzu-

kommen. Ich hatte es in diesem Augenblick so empfunden, da ich die Freiheit hatte, meiner Wege zu gehen, und ihm gegenber nicht weiter verpflichtet war. So verlie ich ihn und fuhr mit einer Mischung von traurigen und glcklichen Gefhlen fort. Ich war traurig, da ich Don Juan verlie, und doch war ich glcklich, all seine beunruhigenden Machenschaften hinter mir zu lassen. Ich dachte an Los Angeles und an meine Freunde und all die Routinegewohnheiten meines tglichen Lebens, die mich erwarteten, j e n e k l e i n e n Routinen, die mir immer so viel Vergngen gemacht hatten. Eine Weile f h l t e ich mich sogar euphorisch. Das Unheimliche an Don Juan und seinem Leben lag h i n t e r mir, und ich war f r e i . Meine g l c k l i c h e Stimmung hielt aber nicht lange an. Mein Wunsch, die Welt Don Juans zu verlassen, war unhaltbar. Meine Routinen hatten ihre Macht eingebt. Ich versuchte an irgend etwas zu denken, was ich in Los Angeles t u n wollte, aber da gab es nichts. Don Juan hatte mir einmal gesagt, da ich mich vor Menschen frchtete und gelernt htte, mich zu schtzen, indem ich nichts erwartete. Er sagte, das Nichts-Erwarten sei eine der besten Errungenschaften eines Kriegers. In meiner Dummheit hatte ich jedoch die Einstellung, nichts zu erwarten, verallgemeinert und es dahin gebracht, nichts mehr zu wollen. Dadurch war mein Leben langweilig und leer geworden. Er hatte recht, und whrend ich auf dem Highway nordwrts brauste, berfiel mich schlielich mit voller Wucht eine unverhoffte Traurigkeit. Ich begann die Reichweite meiner Entscheidung zu ermessen. Tatschlich war ich im Begriff, fr mein bequemes, langweiliges Leben in Los Angeles eine magische Welt der dauernden Erneuerung aufzugeben. Ich erinnerte mich an meine leeren Tage. Besonders an einen Sonntag erinnerte ich mich. Den ganzen Tag ber hatte ich mich unruhig gefhlt und nichts zu tun gehabt. Niemand von meinen Freunden war gekommen, mich zu besuchen. Niemand hatte mich zu einer Party eingeladen. Die Leute, die ich besuchen wollte, waren nicht zu Hause, und was das Schlimmste war, ich hatte alle Filme, die in der Stadt liefen, bereits gesehen. Am Sptnachmittag, in letzter Verzweiflung, durch-

stberte ich noch einmal den Veranstaltungskalender und fand schlielich e i n e n Film, der mich nie gereizt hatte. Er lief in einer Stadt, fnfunddreiig Meilen entfernt. Ich fuhr hin, und ich fand ihn scheulich, aber das war immer noch besser, als nichts zu t u n zu haben. Unter dem Einflu von Don Juans Welt hatte ich mich verndert. Eines zumindest stimmte: seit ich i h m begegnet war. hatte ich nie mehr Zeit gehabt, mich zu langweilen. Das allein gengte mir; Don Juan hatte tatschlich dafr gesorgt, da ich die Welt des Kriegers whlte. Ich kehrte um und fuhr zurck zu seinem Haus. Was wre geschehen, f a l l s ich mich entschieden htte, nach Los Angeles zurckzukehren? fragte ich. Das wre ganz unmglich gewesen, sagte er. Diese Wahl gab es nicht. Du brauchtest lediglich eines zu t u n - deinem Tonal erlauben, sich bewut zu werden, da es bereits gewhlt hatte, in die Welt der Zauberer einzutreten. Das Tonal wei nicht, da Entscheidungen dem Bereich des Nagual angehren. Wenn wir glauben, wir wrden uns entscheiden, t u n wir nichts anderes, als anzuerkennen, da irgend etwas, das sich unserem Verstndnis entzieht, den Rahmen unserer sogenannten Entscheidung bereits abgesteckt hat und wir dies nur noch stillschweigend hinnehmen knnen. Im Leben eines Kriegers gibt es nur eines, nur eine Frage, die wirklich unentschieden ist: Wie weit kann einer auf dem Weg des Wissens und der Kraft fortschreiten? Dies ist eine offene Frage, und niemand kann ihr Ergebnis voraussagen. Ich habe dir einmal gesagt, da ein Krieger nur die Freiheit hat, entweder makellos zu handeln oder wie ein Narr zu handeln. Makellosigkeit ist wirklich die einzige Tat, die frei ist, und mithin das wahre Ma fr den Geist eines Kriegers. Don Juan sagte, nachdem der Lehrling seine Entscheidung getroffen habe, sich der Welt der Zauberer anzuschlieen, stelle der Lehrer i h m eine praktische Aufgabe, er lege ihm eine Pflicht auf. die er in seinem alltglichen Leben erfllen msse. Diese Aufgabe, erklrte er, die stets auf die Persnlichkeit des Lehrlings abgestimmt sein msse, sei in der Regel irgendeine ungewhnliche Lebenssituation, in die der Lehr-

ling sich versetzen msse - als Mittel, um seine Ansicht der Welt nachhaltig zu beeinflussen. Ich selbst hatte diese Aufgabe mehr als einen vergnglichen Scherz denn als ernste Lebenssituation aufgefat. Im Lauf der Zeit aber dmmerte mir, da ich sie ernst nehmen mute. Nachdem der Lehrling seine Zauber-Aufgabe erhalten hat, ist er bereit, fr eine andere Form der Unterweisung, fuhr er fort. Er ist nun ein Krieger. In deinem Fall, damals, als du nicht mehr Lehrling warst, lehrte ich dich die drei Techniken, die beim Trumen h e l f e n : das Unterbrechen der Lebensroutinen, die Gangart der Kraft und das Nicht-Tun. Du warst sehr konsequent, schwer von Begriff als Lehrling und schwer von Begriff als Krieger. Pflichteifrig schriebst du alles auf, was ich sagte und was dir widerfuhr, aber du handeltest nicht genauso, wie ich es d i r aufgetragen hatte. Darum mute ich dich trotzdem mit Hilfe der Kraftpflanzen erschttern. Nun zeichnete Don Juan Schritt um Schritt nach, wie er meine Aufmerksamkeit vom Trumen abgelenkt und mich glauben gemacht hatte, das eigentlich wichtige Problem sei eine sehr schwierige Aktivitt, die er als Nicht-Tun bezeichnete und die aus einem Wahrnehmungsspiel bestand, bei dem ich meine Aufmerksamkeit auf Merkmale der Welt richten mute, die fr gewhnlich bersehen werden, so etwa die Schatten der Dinge. Don Juan sagte, es sei seine Strategie gewesen, das Nicht-Tun hervorzuheben, indem er es mit dem striktesten Geheimnis umhllte. Wie alles andere auch, ist das Nicht-Tun eine sehr wichtige Technik, aber es war nicht das Eigentliche, sagte er. Du bist auf die Geheimnistuerei hereingefallen. Du - ein Schwatzmaul - mutest ein Geheimnis fr dich behalten! Lachend meinte er. er knne sich gut vorstellen, welche Qualen es mir bereitet haben mute, meinen Mund zu halten. Das Unterbrechen der Routine, die Gangart der Kraft und das Nicht-Tun, sagte er, seien Mittel, um neue Wahrnehmungsweisen der Welt zu lernen, und sie gben dem Krieger eine Ahnung von ungeahnten Mglichkeiten des Handelns. Durch die Anwendung dieser drei Techniken, so Don Juans Vorstellung, werde das Wissen um eine separate und pragmatische Welt des Trumens ermglicht.

Das Trumen ist ein praktisches Hilfsmittel, das die Zauberer ersonnen haben, sagte er. Sie waren keine Narren, sie wuten, was sie taten, und suchten nach Mglichkeiten, das Nagual zu nutzen, indem sie ihr Tonal trainierten, sozusagen einen Moment loszulassen und dann wieder zuzupacken. Dieser Satz wird dir kaum verstndlich erscheinen. Aber das war es, was du die ganze Zeit getan hast: du btest dich, loszulassen, ohne gleich den Kopf zu v e r l i e r e n . Das Trumen ist n a t r l i c h die Krone der Bemhungen der Zauberer, die hchste Mglichkeit, das Nagual zu n u t z e n . Er z h l t e all die bungen des Nichts-Tuns auf, die er mich hatte durchfhren lassen, die Routinegewohnheiten meines tglichen Lebens, auf die er mich hingewiesen hatte, damit ich sie unterbrche, und all die Gelegenheiten, da er mich zwang, mich in der Gangart der Kraft zu ben. Wir kommen jetzt zum Ende meiner Zusammenfassung, sagte er. Und jetzt mssen wir ber Genaro s p r e c h e n . Don Juan sagte, es habe an dem Tag, als ich Don Genaro z u m ersten Mal t r a f , ein sehr bedeutsames Omen gegeben. Ich sagte ihm, ich knne mich an nichts Ungewhnliches entsinnen. Er erinnerte mich daran, wie wir an jenem Tag auf einer Bank im Park gesessen hatten. Davor habe er erwhnt, sagte er, da er auf einen Freund warte, den ich noch nie gesehen htte, und da ich dann, als dieser Freund auftauchte, ihn inmitten einer groen Menschenmenge ohne Zgern erkannt htte. Das sei das Omen gewesen, das i h n hatte erkennen lassen, da Don Genaro mein Wohltter sei. Jetzt, da er es sagte, erinnerte ich mich daran, da ich, whrend wir dasaen und uns unterhielten, mich pltzlich umgedreht und einen kleinen, schlanken Mann gesehen hatte, der eine ungewhnliche Vitalitt oder Grazie oder einfach gute Laune ausstrahlte. Er war gerade um die Ecke in den Park gebogen. Scherzhaft aufgelegt, hatte ich zu Don Juan gesagt, sein Freund sei im Anmarsch, und nach seinem Aussehen zu urteilen, sei er hchstwahrscheinlich ein Zauberer. Von diesem Tag an hat Genaro stets geraten, was mit dir geschehen sollte, fuhr Don Juan fort. Als dein Fhrer zum Nagual gab er dir makellose Demonstrationen, und jedesmal, wenn er als Nagual eine Tat vollbrachte, warst du um ein

Wissen bereichert, das deine Vernunft herausforderte und ihr entzogen war. Er nahm deine Ansicht der Welt auseinander, obwohl du das immer noch nicht weit. Auch in diesem Fall hast du dich genauso verhalten wie im Falle der Kraft-Pflanzen, die du mehr als notwendig brauchtest. Nur wenige Ansriffe des Nagual sollten gengen, um die Ansicht eines Menschen zu demontieren. Aber sogar heute noch, nach all diesem Trommelfeuer des Nagual, scheint deine Ansicht unverletzlich zu sein. Seltsamerweise ist dies deine beste Eigenschaft. A l l e s in a l l e m war es also Genaros Aufgabe, dich in das Nagual einzufhren. Aber jetzt kommt eine komische Frage: Was wurde da eigentlich in das Nagual eingefhrt? Augenzwinkernd drngte er mich, die Frage zu beantworten. Meine Vernunft? N e i n , die Vernunft ist hier belanglos, antwortete er. Die Vernunft bricht in dem Augenblick zusammen, da sie sich auerhalb ihrer engen, sicheren Grenzen befindet. Dann war es wohl mein Tonal? sagte ich. Nein, das Tonal und das Nagual sind die zwei zusammengehrigen Teile unseres Selbst, sagte er scharf. Sie knnen nicht ineinander bergefhrt werden. Meine Wahrnehmung?, fragte ich. Du hast es! schrie er, als sei ich ein Kind, das die richtige Antwort getroffen hat. Jetzt kommen wir zur Erklrung der Zauberer. Ich habe dich ja schon gewarnt, da sie nichts erklren wird, und doch . . . Er machte eine Pause und sah mich mit strahlenden Augen an. Dies ist noch einer von den Tricks der Zauberer, sagte er. Was meinst du? Was ist der Trick? fragte ich, leicht beunruhigt. Die Erklrung der Zauberer, natrlich, erwiderte er. Das wirst du gleich selbst sehen. Aber la mich fortfahren! Die Zauberer behaupten, da wir in einer Blase stecken. In einer Blase, in die wir im Augenblick unserer Geburt gesteckt werden. Zuerst ist die Blase offen, aber dann beginnt sie sich zu schlieen, bis sie uns ganz eingeschlossen hat. Diese Blase ist unsere Wahrnehmung. Unser Leben lang leben wir in

dieser Blase. Und was wir an ihren gewlbten Wnden sehen, ist unser eigenes Spiegelbild. Er senkte den Kopf und sah mich schief an. Er kicherte. Du kneifst, sagte er. Hier solltest du einen Einwand machen. Ich lachte. Irgendwie hatten seine Warnungen vor der Erklrung der Zauberer, zusammen mit der Erkenntnis des staunenswerten Grades seiner Bewutheit, angefangen, bei mir Wirkung zu zeigen. Welchen Einwand sollte ich denn machen? fragte ich. Wenn das, was wir an den Wnden sehen, unser eigenes Spiegelbild ist, dann mu das, was gespiegelt wird, das Eigentliche sein, sagte er lchelnd. Das ist ein guter Einwand, sagte ich in scherzendem Ton. Diesem Argument konnte meine Vernunft folgen. Das, was da reflektiert wird, ist unsere Ansicht der Welt, sagte er. D i e s e Ansicht ist zuerst eine Beschreibung, die uns im Augenblick unserer Geburt gegeben wird, bis unsere ganze Aufmerksamkeit von ihr gefangengenommen wird und die Beschreibung eine Ansicht wird. Die Aufgabe des Lehrers ist nun, diese Ansicht umzuordnen, das leuchtende Wesen auf den Zeitpunkt vorzubereiten, da der Wohltter die Blase von auen her ffnet. Wieder machte er eine effektvolle Pause und beschwerte sich ber meine mangelnde Aufmerksamkeit, da ich offenbar nicht in der Lage sei, eine passende Bemerkung zu machen oder Fragen zu stellen. Welche Frage htte ich denn s t e l l e n sollen? fragte ich. Warum sollte die Blase geffnet werden? antwortete er. Er lachte laut auf und klopfte mir den Rcken, als ich sagte: Das ist eine gute Frage. Natrlich! Sie mu dir j a gut vorkommen, denn sie ist j a eine von deinen Fragen. Die Blase wird geffnet, um dem leuchtenden Wesen den Anblick seiner Ganzheit zu gestatten, fuhr er fort. Natrlich ist das Ganze, die Bezeichnung als Blase, nur eine bildliche Redeweise, aber in diesem Fall trifft sie buchstblich zu. Das schwierige Manver, ein leuchtendes Wesen zur Ganzheit seines Selbst zu fhren, verlangt, da der Lehrer von inner-

halb der Blase und der Wohltter von auerhalb arbeitet. Der Lehrer ordnet die Ansicht der Welt neu. Diese Ansicht habe ich die Insel des Tonal genannt. Ich sagte dir, da alles, was wir sind, sich auf dieser Insel befindet. Die Erklrung der Zauberer sagt nun, da die Insel des Tonal durch unsere Wahrnehmung entsteht, die geschult ist, sich auf gewisse Elemente zu konzentrieren. Jedes dieser Elemente und alle zusammen bilden unsere Ansicht der Welt. Die Aufgabe eines Lehrers, was die Wahrnehmung des Lehrlings betrifft, besteht d a r i n , alle Elemente der Insel auf der einen Hlfte der Blase zu versammeln. Du mut inzwischen erkannt haben, da das Aufrumen und Neuordnen der Insel des Tonal nichts anderes bedeutet, als ihre Elemente auf die Seite der Vernunft umzugruppieren. Meine Aufgabe war es, deine alltgliche Ansicht umzuordnen, nicht sie zu zerstren, sondern sie zu zwingen, sich auf der Seite der Vernunft zu sammeln. Dies hast du besser geschafft als irgend jemand, den ich kenne. Er zeichnete einen imaginren Kreis auf den Fels und teilte ihn mittels eines vertikalen Durchmessers in zwei Hlften. Er sagte, es sei die Kunst eines Lehrers, seinen Schler zu zwingen, seine Ansicht der Welt auf der rechten Hlfte der Blase zu gruppieren. Warum die rechte Hlfte? fragte ich. Das ist die Seite des Tonal, sagte er. Der Lehrer wendet sich immer an diese Seite, und indem er seinen Lehrling einerseits mit der Lebensweise des Kriegers bekannt macht, zwingt er ihn zur Vernunftlosigkeit und Nchternheit, zu charakterlicher und krperlicher Strke. Und indem er ihn andererseits vor unausdenkbare, aber reale Situationen stellt, die der Lehrling sich nicht erklren kann, zwingt er ihn zu erkennen, da seine Vernunft, obwohl sie etwas ganz Wunderbares ist, nur einen kleinen Bereich erfassen kann. Sobald der Krieger mit seiner Unfhigkeit konfrontiert ist, alles vernnftig zu ergrnden, wird er jede Anstrengung machen, seine besiegte Vernunft zu sttzen und zu verteidigen, und zu diesem Zweck wird er alles, was er hat, um sie versammeln. Dafr sorgt der Lehrer, indem er ihn unnachsichtig bearbeitet, bis seine Ansicht der Welt sich insgesamt auf der einen Hlfte der Blase befindet. Die andere, die freigehaltene Hlfte der

Blase kann dann von etwas beansprucht werden, das die Zauberer Wille nennen. Dies lt sich besser erklren, wenn wir sagen, da die Aufgabe des Lehrers darin besteht, die eine Hlfte der Blase reinzufegen und alles auf der anderen Hlfte neu zu ordnen. Die Aufgabe des Wohltters ist es dann, die Blase auf der leergefegten Seite zu ffnen. Sobald das Siegel gebrochen ist, ist der Krieger nicht mehr der gleiche. Dann steht ihm seine Ganzheit zu Gebot. Die Hlfte der Blase ist ganz und gar Zentrum der Vernunft, das Tonal. Die andere Hlfte ist ganz und gar Zentrum des Willens, das Nagual. Dies ist die Ordnung, die vorherrschen sollte. Jede andere Verteilung ist unsinnig und schbig, weil sie gegen unsere Natur verstt. Sie raubt uns unser magisches Erbe und reduziert uns auf ein Nichts. Don Juan stand auf, reckte Arme und Rcken, und lief umher, um seine Muskeln zu lockern. Inzwischen war es etwas khl geworden,. Ich fragte ihn, ob wir fertig seien. Wieso? Die Schau hat noch nicht einmal angefangen! rief er lachend. Das war erst der Anfang! Er schaute zum Himmel und wies mit einer nachlssigen Handbewegung nach Westen. Etwa in einer Stunde wird das Nagual hier sein, sagte er. Er setzte sich wieder. Eine Frage haben wir bisher ausgelassen, fuhr er fort. Die Zauberer nennen sie das Geheimnis der leuchtenden Wesen, und dieses ist die Tatsache, da wir wahrnehmende Wesen sind. Wir Menschen und alle anderen leuchtenden Wesen auf Erden sind Wahrnehmende. Das ist unsere Blase, die Blase der Wahrnehmung. Unser Irrtum ist, da wir glauben, die einzig anerkennenswerte Wahrnehmung sei das, was durch unsere Vernunft gefiltert ist. Die Zauberer glauben, da die Vernunft nur ein Zentrum ist und da man nicht gar so fest mit ihr rechnen sollte. Genaro und ich haben dich die Sache mit den acht Punkten gelehrt, welche die Ganzheit unserer Blase der Wahrnehmung ausmachen. Sechs Punkte kennst du bereits. Heute werden Genaro und ich deine Blase der Wahrnehmung noch weiter leerfegen, und danach wirst du die zwei restlichen Punkte erkennen.

Unvermittelt wechselte er das Thema und bat mich, ihm einen ausfhrlichen Bericht ber meine Wahrnehmungen am Vortag zu geben, ausgehend von dem Augenblick, da ich Don Genaro auf e i n e m Felsen neben der Strae hatte sitzen sehen. Er gab keinerlei Kommentar von sich und unterbrach mich nicht. Als ich geendet hatte, fgte ich noch eine eigene Beobachtung an. Am anderen Morgen hatte ich nmlich mit Nestor und Pablito gesprochen, und sie hatten mir von ihren Wahrnehmungen berichtet, die den meinen ganz hnlich waren. Ich meinte nun, da er selbst mir gesagt habe, das Nagual sei eine i n d i v i d u e l l e Erfahrung, die nur der Beobachter allein e r l e b e n knne. Am Vortag waren wir drei Beobachter gewesen, und alle hatten wir mehr oder minder dasselbe erlebt. Die Unterschiede drckten sich nur in der Art aus, wie jeder von uns auf spezifische Einzelheiten des ganzen Phnomens reag i e r t e oder was er dabei empfand. Was gestern geschah, war eine Demonstration des Nagual fr dich und fr Nestor und Pablito. Ich bin ihr Wohltter. Genaro und ich haben zusammen bei euch allen dreien das Zentrum der Vernunft ausgeschaltet. Genaro und ich hatten gengend Kraft, um euch zur bereinstimmung ber das zu bringen, was ihr erlebtet. Vor einigen Jahren waren du und ich eines Nachts mit einer Gruppe von Lehrlingen zusammen, aber ich allein hatte nicht genug Kraft, um euch alle dasselbe erleben zu lassen. Er sagte, da er aufgrund dessen, was ich i h m ber meine Wahrnehmungen am Vortag berichtet und was er an mir gesehen hatte, zu dem Schlu gekommen sei, da ich fr die Erklrung der Zauberer bereit sei. Pablito ebenfalls, setzte er hinzu, doch bei Nestor sei er sich nicht sicher. Fr die Erklrung der Zauberer bereit sein, das ist eine sehr schwierige Errungenschaft, sagte er. Das sollte es nicht sein, aber wir lassen uns gehen und gefallen uns in unserer lebenslangen Ansicht der Welt. In dieser Hinsicht seid ihr, du. Nestor und Pablito, euch hnlich. Nestor versteckt sich hinter seiner Scheu und Schwermut, Pablito hinter seinem entwaffnenden Charme. Du versteckst dich hinter deinem Vorwitz und hinter Worten. All dies sind Ansichten, die scheinbar nicht in Frage zu stellen sind. Und solange ihr drei darauf

beharrt, euch ihrer zu bedienen, so lange sind eure Blasen der Wahrnehmung nicht leergefegt, und die Erklrung der Zauberer hat fr euch keinen S i n n . Witzig aufgelegt, meinte ich, diese berhmte Erklrung der Zauberer habe mir lange genug zu schaffen gemacht, aber je nher ich ihr kme, desto ferner erscheine sie mir. Wre es nicht ein Ding, wenn die Erklrung der Zauberer sich als eine Niete herausstellte? fragte er unter lautem Gelchter. Er klopfte mir den Rcken und schien vergngt wie ein Kind, das sich ber einen gelungenen Streich freut. Genaro ist ein pedantischer Verfechter der Regel, meinte er in vertraulichem Ton. Es hat nicht viel auf sich mit dieser verflixten Erklrung. Wre es nach mir gegangen, dann htte ich sie dir schon vor Jahren gegeben. Erwarte dir also nicht zu viel davon! Er blickte prfend zum Himmel auf. Jetzt bist du b e r e i t , sagte er in dramatischem, feierlichem Ton. Es ist Zeit, da wir gehen. Aber bevor wir diesen Ort verlassen, mu ich dir noch ein letztes sagen: Das Mysterium oder das Geheimnis der Erklrung der Zauberer ist, da es dabei um das Ausbreiten der Flgel der Wahrnehmung geht. Er legte die Hand auf meinen Schreibblock und meinte, ich solle jetzt ins Gebsch gehen und meine krperlichen Funktionen verrichten, und danach sollte ich meine Kleider ausziehen und sie als Bndel hier, wo wir waren, zurcklassen. Ich schaute i h n fragend an, und er erklrte, ich msse nackt sein, aber ich drfe die Schuhe an und den Hut aufbehalten. Ich wollte wissen, warum ich nackt sein msse. Lachend sagte Don Juan, der Grund dafr sei eher ein persnlicher, und es gehe dabei um meine eigene Bequemlichkeit. Ich selbst htte ihm gesagt, da ich es so haben wolle. Diese Erklrung verblffte mich. Ich glaubte, da er sich ber mich lustig machte oder, in bereinstimmung mit seinen vorangegangenen Erffnungen, einfach meine Aufmerksamkeit ablenken wollte. Ich wollte wissen, warum er dies tat. Er erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich vor Jahren gehabt hatte, als wir mit Don Genaro in den Bergen Nordmexikos waren. Bei dieser Gelegenheit hatten sie mir auseinandergesetzt, da die Vernunft unmglich alles erklren knne, was

in der Welt geschieht. Um mir eine unabweisbare Demonstrat i o n dessen zu geben, fhrte Don Genaro - als Nagual e i n e n ungeheuren Sprung vor und dehnte sich aus, bis er die Spitzen der etwa zwanzig Kilometer entfernten Berge err e i c h t e . Daraufhin hatte Don Juan mir erklrt, da ich das Wesentliche verpat htte und da Don Genaros Demonstrat i o n , was meine Vernunft betraf, ein Fehlschlag gewesen sei; doch im Hinblick auf meine krperliche Reaktion habe sie j a e i n e n wahren Aufruhr ausgelst. Die Krperreaktion, auf die Don Juan anspielte, war etwas, woran ich noch immer eine lebhafte Erinnerung bewahrte. Ich sah damals Don Genaro vor meinen Augen verschwinden, als habe ein Windsto i h n fortgeweht. Sein Sprung, oder was es auch sein mochte, hatte eine so t i e f e Wirkung auf mich ausgebt, da ich glaubte, seine Bewegung habe mir die Gedrme zerrissen. Mir widerfuhr ein Unglck, und ich mute mein Hemd und meine Hose wegwerfen. Meine Verlegenheit und Peinlichkeit waren grenzenlos; ich mute nackt, nur den Hut auf dem Kopf, auf einem verkehrsreichen Highway bis zu meinem Auto gehen. Don Juan erinnerte mich daran, da ich ihn damals gebeten hatte, nicht zuzulassen, da ich mir noch einmal meine Sachen ruinierte. Nachdem ich mich ausgezogen h a t t e , gingen wir einige hundert Schritt zu einem sehr hohen Felsen, der die gleiche Schlucht berragte. Er hie mich hinabsehen. Die Wnde s t r z t e n f a s t senkrecht an die fnfzig Meter hinab. Dann befahl er mir, meinen inneren Dialog abzustellen und auf die Gerusche um uns her zu lauschen. Nach e i n e r Weile hrte ich das Gerusch eines von Fels zu Fels in die Schlucht kollernden Kiesels. Jeden einzelnen Aufprall des Steinchens hrte ich mit unvorstellbarer Klarheit. Dann hrte ich noch einen Stein f a l l e n und dann noch einen. Ich hob den Kopf und brachte mein linkes Ohr in die Richtung, aus der das Gerusch kam. und da sah ich Don Genaro auf der Spitze des Felsens sitzen, vier bis fnf Meter von unserer Stelle entfernt. Gleichmtig warf er kleine Steine in die Schlucht hinab. Als ich ihn entdeckte, schrie und lachte er und meinte, er habe sich dort versteckt und darauf gewartet, da ich ihn entdeckte.

Einen Augenblick war ich bestrzt. Don Juan f l s t e r t e m i r immer wieder ins Ohr, da meine Vernunft zu diesem Ereignis nicht eingeladen sei und da ich den bohrenden Wunsch, alles unter Kontrolle zu h a l t e n , aufgeben solle. Er sagte, das Nagual sei eine nur f r mich bestimmte Wahrnehmung, und dies sei auch der Grund, warum Pablito das Nagual in meinem Auto nicht gesehen habe. A l s knne er meine unausgesprochenen Gedanken lesen, fgte er h i n z u , da das N a g u a l , obgleich nur a l l e i n fr mich zu sehen, doch Don Genaro selbst sei. Don Juan nahm mich am Arm und f h r t e mich mit gespielter Behutsamkeit dorthin, wo Don Genaro sa. Don Genaro stand auf und kam nher. Sein Krper s t r a h l t e e i n e Wrme a u s , die ich frmlich s e h e n konnte, ein Leuchten, das mich blendete. Er t r a t neben mich, und ohne mich zu berhren, brachte er s e i n e n Mund ganz nah an mein linkes Ohr und f i n g an zu flstern. Auch Don Juan fing an, in mein anderes Ohr zu f l s t e r n . I h r e Stimmen waren synchron. Beide wiederholten sie immer die gleichen Stze. Sie sagten, da ich mich nicht frchten solle, da ich lange, kraftvolle Fasern h t t e , die nicht dazu da seien, mich zu schtzen, denn es gebe n i c h t s zu beschtzen oder nichts, vor dem ich beschtzt werden msse; vielmehr seien sie dazu da. meine Wahrnehmung des Nagual ganz hnlich zu steuern, wie meine Augen meine normale Wahrnehmung des Tonal steuerten. Sie sagten, da meine Fasern mich berall umgben, da ich durch sie alles gleichzeitig wahrnehmen knne und da eine einzige Faser e i n e n Sprung vom Felsen hinab in die Schlucht oder aus der Schlucht wieder auf den Felsen hinauf ermglichen wrde. Ich hatte alles aufgenommen, was sie mir z u f l s t e r t e n . Jedes Wort schien eine einzigartige Bedeutung f r mich zu haben; ich konnte j e d e i h r e r uerungen behalten und mir wieder abspielen, als sei ich ein Tonbandgert. Beide drngten mich, auf den Grund der Schlucht hinabzuspringen. Sie sagten, ich solle zuerst meine Fasern spren und dann eine davon isolieren, die bis hinab zum Grund der Schlucht reiche, und dieser folgen. Whrend sie ihre Kommandos flsterten, waren i h r e Worte bei mir sogar von den entsprechenden Gefhlen begleitet. Ich sprte ein Jucken am ganzen Leib, besonders eine

ganz eigenartige Empfindung, die an sich unbestimmbar war, aber dem Gefhl eines anhaltenden Juckens gleichkam. Mein Krper konnte tatschlich den Grund der Schlucht fhlen, und ich sprte dieses Gefhl als ein Jucken an einer unbestimmten Stelle meines Krpers. Don Juan und Don Genaro redeten weiter auf mich ein, ich solle an diesem Gefhl hinabgleiten, aber ich wute nicht, wie. Dann hrte ich nur noch Don Genaros Stimme. Er sagte, er werde mit mir zusammen springen; er packte mich oder stie mich oder umarmte mich und strzte sich mit mir in den Abgrund. Ich empfand die uerste physische Pein. Es war, als ob mein Magen mir bis zum Hals aufstie. Es war eine Mischung aus Schmerz und Lust und von solcher Heftigkeit und Dauer, da ich nur mit a l l e r Lungenkraft schreien und s c h r e i e n konnte. Als diese Empfindung nachlie, sah ich ein unerklrliches Bndel von Funken und dunklen Massen, Lichtstrahlen und wolkenhnlichen Gebilden. Ich wute j e doch n i c h t , ob meine Augen offen oder geschlossen waren oder wo meine Augen waren oder wo berhaupt mein Krper war. Dann empfand ich noch einmal die gleiche physische Pein, wenn auch nicht so ausgeprgt wie das erste Mal, und dann hatte ich den Eindruck, als sei ich eben erwacht, und ich fand mich zusammen mit Don Juan und Don Genaro auf dem Felsen wieder. Don Juan sagte, ich htte wieder versagt, denn es sei zwecklos zu springen, wenn die Wahrnehmung des Sprungs so chaotisch sei. Beide wiederholten mir zahllose Male in meine Ohren, da das Nagual an sich nutzlos sei, da es durch das Tonal bezhmt werden msse. Sie sagten, ich msse bereitwillig springen und mir meines Tuns bewut sein. Ich zgerte, weniger weil ich Angst hatte, sondern weil ich widerwillig war. Ich sprte mein inneres Schwanken ganz so. als ob mein Krper wie ein Pendel hin- und herschwankte. Dann ergriff mich eine seltsame Stimmung, und ich sprang -in aller Krperlichkeit. Whrend ich diesen Satz tat, versuchte ich zu denken, aber ich konnte n i c h t . Wie durch einen Nebel sah ich die Wnde der engen Schlucht und die hervorspringenden Felsen am Boden des Grabens. Meine Wahrnehmung des Sturzes bildete keine Reihenfolge, vielmehr hatte ich das

Gefhl, sofort unten am Boden zu sein; ich konnte alle Eigentmlichkeiten der Felsen im engeren Umkreis unterscheiden. Ich bemerkte, da meine Sicht nicht u n l i n e a r und auch nicht stereoskopisch war, sondern da ich alles im Kreise um mich her sah. und zwar fotografisch flach. Im nchsten Augenblick geriet ich in Panik, und irgend etwas zog mich wie ein Jo-Jo hinauf. Don Juan und Don Genaro l i e e n mich immer wieder springen. Nach j e d e m Sprung bedrngte Don Juan mich, ich solle weniger zurckhaltend und u n w i l l i g sein. Immer wieder sagte er, da das Geheimnis der Zauberer bei der Nutzung des Nagual in unserer Wahrnehmung liege, da das Springen nur e i n e Wahrnehmungsbung sei und da ich erst dann aufhren drfe, wenn es mir gelungen sei, ganz als Tonal wahrzunehmen, was sich am Boden der Schlucht befand. Irgendwann hatte ich dann eine unglaubliche Empfindung. Ich war mir vllig nchtern bewut, da ich an der Felskante stand, whrend Don Juan und Don Genaro mir in die Ohren f l s t e r t e n , und dann, im nchsten Augenblick, sah ich den Grund der Schlucht. Alles war vllig normal. Es war inzwischen fast dunkel, doch es gab immer noch gengend Licht, um alles exakt zu erkennen - wie in der Welt meines alltglichen Lebens. Ich betrachtete gerade ein paar Bsche, als ich pltzlich ein Gerusch hrte, einen herabkollernden Felsbrocken. Im gleichen Augenblick sah ich einen ziemlich groen Stein ber die Wand der Schlucht auf mich strzen. Blitzartig sah ich auch, da Don Genaro ihn geworfen hatte. Ich hatte einen Anfall von Panik, und im nchsten Augenblick wurde ich wieder an den a l t e n Platz oben auf dem Felsen gehievt. Ich schaute mich um; Don Genaro war nicht mehr da. Don Juan fing an zu lachen und meinte, Don Genaro sei gegangen, weil er meinen Gestank nicht habe ertragen knnen. Erst jetzt wurde mir peinlich bewut, da ich mich t a t s c h l i c h besudelt hatte. Don Juan hatte recht gehabt, mich meine Kleider ausziehen zu lassen. Er fhrte mich zu einem Bach in der Nhe und wusch mich wie ein Pferd in der Schwemme, wobei er mit meinem Hut Wasser schpfte und mich bego, und lie sich bermtig ber die Tatsache aus, da wir immerhin meine Hosen gerettet hatten.

Die Blase der Wahrnehmung

Den Tag verbrachte ich allein in Don Genaros Haus. Die meiste Zeit schlief ich. Am Sptnachmittag kehrte Don Juan zurck, und wir wanderten in tiefem Schweigen zu einer nahegelegenen Bergkette. Bei Einbruch der Dmmerung machten wir halt und setzten uns am Rand einer tiefen Schlucht, bis es beinahe dunkel war. Dann fhrte Don Juan mich an eine andere Stelle in der Nhe, zu einer gigantischen Klippe mit einer schier senkrechten Felswand. Die Klippe war von dem W e g aus, der zu i h r hinfhrte, nicht zu sehen. Aber Don Juan hatte sie mir schon einige Male zuvor gezeigt. Er hatte mich ber den Rand hinuntersphen lassen und mir gesagt, da die ganze Klippe ein Ort der Kraft sei, besonders aber ihre Basis, die in einem mehrere hundert Fu t i e f e n Canon lag. Jedesmal, wenn ich hinabschaute, hatte ich ein unangenehmes Frsteln empfunden. Der Canon wirkte immer dunkel und bedrohlich. Bevor wir die Stelle erreichten, sagte Don Juan, ich msse nun a l l e i n weitergehen und wrde am Rand der Klippe Pablito treffen. Er empfahl mir, mich zu entspannen und die Gangart der Kraft anzuwenden, um meine nervse Mdigkeit abzuschtteln. Don Juan trat zur Seite, l i n k s vom Weg, und die Dunkelheit verschluckte ihn einfach. Ich wollte stehen bleiben und nachschauen, wohin er gegangen war, aber mein Krper gehorchte mir nicht. Ich fing an zu traben, obwohl ich so mde war, da ich mich kaum auf den Fen halten konnte. Als ich die Klippe erreichte, konnte ich nichts mehr sehen, und so trabte ich weiter auf der Stelle und atmete t i e f . Nach einer Weile fhlte ich mich entspannter; ich stand reglos mit dem Rcken gegen einen Felsen gelehnt, und dann entdeckte ich einige Meter vor mir die Gestalt eines Mannes. Er hockte dort und barg den Kopf in den Armen. Einen Augenblick hatte ich furchtbare Angst und fuhr zurck, aber dann erklrte ich mir, da der Mann Pablito sein mute, und ich nherte mich ihm, ohne zu zgern. Ich rief laut seinen Namen. Ich

berlegte, vielleicht war er sich nicht sicher gewesen, wer ich sei, und war so erschrocken, da er seinen Kopf bedeckt hatte, um nicht hinschauen zu mssen. Aber bevor ich bei ihm war, ergriff mich eine unerklrliche Furcht. Mein Krper erstarrte auf der Stelle - mit ausgestrecktem Arm, bereit, i h n zu berhren. Der Mann hob den Kopf. Es war nicht Pablito! Seine Augen waren zwei riesige Spiegel, wie die Augen eines Tigers. Mein Krper s c h n e l l t e rckwrts. Meine Muskeln spannten sich und lockerten wieder ihre Spannung, ohne die geringste Beteiligung meines Willens, und ich tat einen Satz nach hinten, so schnell und so weit, da ich unter normalen Umstnden a l l e r l e i Spekulationen darber angestellt htte, wie das nur mglich sei. In diesem Fall aber war meine Angst so berwltigend, da ich keine Neigung zu Grbeleien versprte, und ich wre davongerannt, h t t e nicht j e m a n d mich gewaltsam am Arm festgehalten. Das Gefhl, da jemand meinen Arm gepackt hatte, strzte mich gnzlich in Panik; ich schrie. Mein Ausbruch war aber nicht der Aufschrei, den ich erwartet htte, sondern ein langes, grauenerregendes Kreischen. Ich wandte mich zu meinem Angreifer um. Es war Pablito, der noch heftiger zitterte als ich. Meine Nervositt erreichte i h r e n Gipfel. Ich konnte nicht sprechen, meine Zhne klapperten, und ber meinen Rcken l i e f e n Wellenbewegungen, die mich unfreiwillig auf- und abspringen lieen. Ich mute durch den Mund atmen. Zhneklappernd sagte Pablito, da das Nagual ihn erwartet habe. Er sei ihm kaum entronnen, als er auf mich gestoen sei, und ich htte ihn dann mit meinem Schrei fast umgebracht. Ich wollte lachen und brachte die unheimlichsten Gerusche heraus, die man sich vorstellen kann. Als ich meine Ruhe wiedergefunden hatte, sagte ich Pablito, da mir anscheinend dasselbe widerfahren sei. Auf mich hatte das Ganze schlielich die Wirkung, da meine Mdigkeit verschwunden war; statt dessen empfand ich einen unbezhmbaren Ansturm von Kraft und Wohlgefhl. Pablito schien die gleichen Gefhle zu erleben. Wir fingen an. nervs und albern zu kichern. Ich hrte die Laute von leisen, behutsamen Schritten in der Ferne. Ich bemerkte das Gerusch noch vor Pablito. Er schien

auf meine Erstarrung zu reagieren. Ich hatte die Gewiheit, da irgend jemand sich der Stelle nherte, wo wir waren. Wir drehten uns in die Richtung, aus der das Gerusch kam; einen Augenblick spter wurden die Umrisse von Don Juan und Don Genaro sichtbar. Sie gingen gemchlich und blieben zwei, drei Meter vor uns stehen. Don Juan schaute mich an, und Don Genaro schaute Pablito an. Ich wollte Don Juan erzhlen, da irgend etwas mich halb zu Tode erschreckt habe, aber Pablito kniff mich in den Arm. Ich wute, was er meinte. Es war irgend etwas Merkwrdiges um Don Juan und Don Genaro. Als ich sie anschaute, geriet mein Blick auer Kontrolle. Don Genaro stie ein scharfes Kommando hervor. Ich verstand nicht, was er sagte, aber ich wute, da er gemeint hatte, wir sollten nicht schielen. Die Dunkelheit hat sich ber die Welt g e s e n k t , sagte Don Juan und sah zum Himmel. Don Genaro zeichnete einen Halbmond auf den harten Steinboden. Einen Augenblick kam es mir so vor, als habe er dazu eine Leuchtkreide benutzt, aber dann erkannte ich, da er nichts in der Hand hatte; und doch nahm ich den imaginren Halbmond deutlich wahr, den er mit dem Finger gezeichnet hatte. Er lie Pablito und mich am inneren Rand des nach auen gewlbten Bogens Platz nehmen, whrend er und Don Juan sich mit untergeschlagenen Beinen an die ueren Spitzen des Halbmonds setzten, zwei bis drei Meter von uns entfernt. Zuerst sprach Don J u a n ; er sagte, sie wollten uns nun ihre Verbndeten zeigen; er sagte, wir sollten auf ihre linke Krperseite schauen, etwa zwischen dem Hftknochen und den Rippen, dort wrden wir so etwas wie einen Lappen oder ein Taschentuch von ihren Grteln hngen s e h e n . Don Genaro fgte hinzu, da an ihren Grteln, neben den Lappen, zwei runde, knopfartige Dinger hingen und da wir ihre Grtel unverwandt anschauen sollten, bis wir die Lappen und die Knpfe sehen wrden. Noch bevor Don Genaro gesprochen hatte, bemerkte ich bereits einen flachen Gegenstand, etwas wie ein Stck Stoff, und einen runden Kiesel, die an ihren Grteln hingen. Don

Juans Verbndete waren dunkler und bedrohlicher als die Don Genaros. Meine Reaktion war eine Mischung aus Neugier und Furcht. Dabei fhlte ich meine Reaktionen im Bauch und stellte keinerlei rationale berlegungen an. Don Juan und Don Genaro griffen nach ihren Grteln und schienen die dunklen Stoffetzen abzunesteln. Sie nahmen sie in die linke Hand; Don Juan warf seinen ber sich in die Luft, doch Don Genaro lie seinen sacht zu Boden f a l l e n . Die Stoffetzen streckten sich, als htte das Emporschleudern und Fallenlassen bewirkt, da sie sich wie sorgfltig gebgelte Taschentcher e n t f a l t e t e n : sie sanken langsam herab, wobei sie wie Papierdrachen hin- und herschaukelten. Die Bewegungen, die Don Juans Verbndeter ausfhrte, waren die exakte Wiederholung dessen, was ich ihn selbst hatte t u n sehen, als er vor e i n paar Tagen durch die Luft gekreiselt war. Die Stoffetzen nherten sich dem Boden, sie wurden f e s t , rund und massiv. Don Juans Verbndeter wuchs zu einem voluminsen Schatten an. Er setzte sich an die Spitze und bewegte sich auf uns zu, wobei er kleinere Steine und feste Erdklumpen zerquetschte. Er nherte sich uns bis auf ein, zwei Meter und verharrte genau an der inneren Krmmung des Halbmonds, zwischen Don Juan und Don Genaro. Einen Moment meinte ich, er werde uns sogleich berrollen und pulverisieren. Mein Entsetzen loderte wie Feuer. Der Schatten vor mir war gigantisch, vielleicht fnf Meter hoch und zwei Meter breit. Er bewegte sich, als msse er sich blind seinen W e g ertasten. Er ruckte und taumelte hin und her. Ich wute, da er mich suchte. In diesem Augenblick barg Pablito seinen Kopf an meiner Brust. Das Gefhl, das seine Berhrung in mir hervorrief, zerstreute ein wenig die furchtsame Aufmerksamkeit, mit der ich mich auf den Schatten konzentriert hatte. Der Schatten schien sich aufzulsen, jedenfalls nach seinen ziellosen Zuckungen zu urteilen, und dann machte er sich davon und verschmolz mit der uns umgebenden Dunkelheit. Ich rttelte Pablito. Er hob den Kopf und stie einen gedmpften Schrei aus. Ich b l i c k t e auf. Ein seltsamer Mann starrte mich an. Er schien direkt hinter dem Schatten gestanden, vielleicht sich hinter ihm versteckt zu haben. Er war ziemlich gro und schlank, hatte ein lngliches Gesicht, keine

Haare, und die linke Seite seines Kopfes war von einer Art Ausschlag oder Ekzem bedeckt. Seine Augen leuchteten wild. Sein Mund stand halb offen. Bekleidet war er mit einem eigenartigen Pyjama. Die Hosen waren i h m zu kurz. Ich konnte nicht feststellen, ob er Schuhe trug oder nicht. So stand er da und schaute uns, wie mir schien, lange Zeit an, als ob er auf eine Erffnung wartete, um sich auf uns zu strzen und uns zu zerreien. In seinen Augen lag eine solche Intensitt! Es war nicht Ha oder Gewalt, sondern irgendein tierisches Mitrauen. Ich konnte die Spannung nicht lnger ertragen. I c h wollte eine Kampfstellung einnehmen, die Don Juan mich vor Jahren gelehrt hatte, und das htte ich auch getan, wre da nicht Pablito gewesen, der mir zuflsterte, da der Verbndete nicht die Linie berschreiten knne, die Don Genaro auf den Boden gezeichnet hatte. Jetzt erkannte ich auch, da dort eine helle Linie war, die das Unwesen vor uns zurckzuhalten schien. Nach einer Weile wandte der Mann sich nach links ab, genau wie vorhin der Schatten. Ich hatte den Eindruck, da Don Juan und Don Genaro beide zurckgerufen hatten. Nun entstand eine kurze, stille Pause. Ich konnte Don Juan oder Don Genaro nicht mehr sehen; sie saen nicht mehr auf den Spitzen des Halbmonds. Pltzlich hrte ich ein Gerusch, als ob an der Stelle, wo wir saen, zwei Steinchen auf den f e s t e n Fuboden fielen, und blitzartig war die Flche vor uns e r l e u c h t e t , als sei ein mildes, gelbliches Licht eingeschaltet worden. Vor uns stand eine raubgierige Bestie, ein riesiger, ekeleregend aussehender Kojote oder Wolf. Sein ganzer Krper war mit einem weien Sekret bedeckt, vielleicht Schwei oder Speichel. Sein Haar war zottig und feucht. Seine Augen blickten wild. Er knurrte in blinder Wut, und mich durchfuhr ein Schauer. Seine Kiefer zitterten und Speichelflocken flogen umher. Er scharrte den Boden wie ein auer Rand und Band geratener Hund, der sich von einer Kette zu befreien sucht. Dann richtete er sich auf den Hinterbeinen auf und bewegte wie rasend seine Vorderpfoten und das Gebi. Seine ganze Wut schien darauf gerichtet, irgendeine Schranke vor uns zu durchbrechen. Mir wurde bewut, da meine Angst vor dem rasenden Tier

von anderer Art war als die Angst vor den zwei Erscheinungen, die ich vorhin gesehen hatte. Meine Furcht vor dieser Bestie war ein physischer Abscheu und Horror. In uerster Ohnmacht beobachtete ich ihr Toben. P l t z l i c h schien i h r e Wildheit nachzulassen, und sie t r o t t e t e davon. Dann hrte ich, wie etwas anderes sich uns n h e r t e , oder vielleicht sprte ich es: pltzlich erhob sich drohend vor uns die Gestalt einer kolossalen Raubkatze. Zuerst sah ich ihre Augen in der Dunkelheit. Sie waren riesig und starr, w i e zwei das Licht spiegelnde Wasserpftzen. Sie schnaubte und knurrte leise. Sie atmete schwer und glitt vor uns h i n und her. ohne den B l i c k von uns zu lassen. Sie h a t t e nicht j e n e s elektrische Leuchten, das der Kojote gehabt hatte. Ich k o n n t e i h r e Umrisse nicht k l a r erkennen, und doch war i h r e Anwesenheit u n e n d l i c h v i e l unheildrohender als die der anderen Bestie. Sie schien ihre Krfte zu sammeln; ich sprte, sie war so w i l d e n t s c h l o s s e n , da sie a l l e Grenzen sprengen wrde. Pablito mute die gleiche Empfindung haben, denn er f l s t e r t e mir zu, ich solle meinen Kopf e i n z i e h e n und mich flach auf den Boden werfen. In der nchsten Sekunde sprang die Katze los. Sie raste auf uns zu - und dann sprang sie mit vorgestreckten Klauen. Ich schlo die Augen und verbarg den Kopf zwischen den Armen am Boden. Ich sprte, da die Bestie die schtzende Linie, die Don Genaro um uns gezogen h a t t e , durchbrach und j e t z t tatschlich ber uns war. Ich sprte, wie ihr Gewicht mich niederdrckte. Das Fell ihres Bauches scheuerte an meinem Hals. Es schien, als s t e c k t e n ihre Vorderpranken irgendwo f e s t ; sie wand sich, um freizukommen. Ich sprte ihr Rucken und Stoen und hrte i h r t e u f l i s c h e s Keuchen und Zischen. Jetzt wute ich, da ich v e r l o r e n war. Ganz schwach empfand ich so etwas wie eine r a t i o n a l e Entscheidung, und ich beschie, mich ruhig in mein Schicksal zu fgen und h i e r zu sterben, aber ich f r c h t e t e mich vor dem krperlichen Schmerz eines Todes u n t e r so s c h r e c k l i c h e n Umstnden. Dann stieg in meinem Krper irgendeine seltsame Kraft auf: es war, als ob mein Krper sich weigerte zu sterben und all seine Strke an einem einzigen Punkt zusammenzog, nmlich in meinem l i n k e n Arm und der Hand. Ich sprte, w i e eine unbezhmbare Aufwallung sie erfate. Irgend

etwas Unkontrollierbares nahm von meinem Krper Besitz, etwas, das mich zwang, die massive, bedrohliche Last dieser Bestie von uns zu stoen. Pablito hatte offenbar ganz hnlich reagiert, und wir standen beide gleichzeitig auf; wir mobilisierten dabei so viel Energie, da die Bestie wie eine Stoffpuppe durch die Luft flog. Es war eine bermige Anstrengung gewesen. Ich brach am Boden zusammen und japste nach Luft. Meine Bauchmuskeln waren so hart gespannt, da ich nicht Atem holen konnte. Ich achtete nicht darauf, was mit Pablito geschah. Schlielich merkte ich, da Don Juan und Don Genaro mir halfen, mich aufzusetzen. Jetzt sah ich Pablito, der buchlings, mit ausgeb r e i t e t e n Armen, am Boden lag. Anscheinend war er ohnmchtig geworden. Nachdem Don Juan und Don Genaro mir aufgeholfen hatten, kmmerten sie sich um Pablito. Beide rieben sie seinen Bauch und seinen Rcken ab. Sie stellten ihn auf die Fe, und nach e i n e r Weile konnte er wieder aus eigner Kraft aufrecht sitzen. Don Juan und Don Genaro setzten sich auf die Spitzen des Halbmonds, und nun begannen sie vor uns h i n und her zu gleiten, als ob zwischen den beiden Punkten eine Schiene v e r l i e f - eine Schiene, die sie benutzten, um von einer Seite zur anderen zu gleiten. Vom Hinschauen wurde mir schwindlig. Schlielich machten sie neben Pablito halt und fingen an, i h m ins Ohr zu flstern. Nach einer Weile standen sie auf, alle drei gleichzeitig, und gingen zum Rand der Klippe. Don Genaro hob Pablito hoch, als sei er ein kleines Kind. Pablitos Krper war brettsteif; Don Juan packte Pablito an den Fersen. Er wirbelte ihn herum, offenbar um Kraft und Schwung zu sammeln, und schlielich lie er seine Beine los und schleuderte seinen Krper in weitem Bogen ber den Rand der Klippe in den Abgrund hinaus. Ich sah Pablitos Krper vor dem dunklen Westhimmel sich abheben. Er beschrieb Kreise, genau wie Don Juans Krper es vor Tagen getan hatte; die Kreisbewegungen waren langsam. Pablito schien Hhe zu gewinnen, statt hinabzustrzen. Dann wurde das Kreisen schneller. Pablitos Krper wirbelte einen Augenblick herum wie ein Diskus, und dann zerfiel er. Ich nahm wahr, wie er sich frmlich in Luft auflste.

Don Juan und Don Genaro kamen zu mir, hockten sich neben mich und fingen an, mir in die Ohren zu flstern. Jeder sagte etwas anderes, und doch fiel es mir nicht schwer, ihre Befehle zu befolgen. Es war, als wrde ich gespalten, kaum da sie die ersten Worte sagten. Ich sprte, da sie mit mir dasselbe machten wie vorhin mit Pablito. Don Genaro wirbelte mich herum, und dann hatte ich einen Moment das ganz bewute Gefhl, zu kreiseln oder zu schweben. Als nchstes sauste ich durch die Luft, strzte ich mit ungeheurer Geschwindigkeit in den Abgrund. Im Fallen sprte ich, da meine Kleider heruntergerissen wurden, dann fiel mein Fleisch von mir, und schlielich blieb nur noch mein Kopf brig. Ich h a t t e die ganz k l a r e Empfindung, da ich, als mein Krper sich in Stcke auflste, berflssiges Gewicht verlor, und da daher der Schwung meines Sturzes nachlie und meine Geschwindigkeit abnahm. Es war nun nicht mehr ein Sturz ins Bodenlose. Ich begann hin- und herzuschaukeln wie ein fallendes Blatt. Dann verlor auch mein Kopf sein Gewicht, und alles, was von m i r brigblieb, war ein Kubikzentimeter, ein Klmpchen, e i n winziger, krnchengroer Rest. In ihm konzentrierte sich all mein Fhlen. Dann schien das Krnchen zu zerspringen, und ich ging in tausend Stcke. I c h wute, oder irgend etwas irgendwo wute, da ich mir der tausend Stcke gleichzeitig bewut war. Ich war dieses Bewutsein selbst. Dann fing ein Teil dieses Bewutseins an, sich zu regen, er stieg auf und wuchs. Ich konnte mich lokalisieren, und nach und nach gewann ich wieder das Gefhl von Grenzen, von wachen Empfindungen oder dergleichen, und pltzlich ergo sich das Ich, das ich kannte und mit dem ich vertraut war, in den spektakulrsten Anblick aller vorstellbaren Kombinationen von schnen Szenen; es war, als ob ich Tausende von Bildern der Welt, von Menschen, von Dingen betrachtete. Dann verwischten sich diese Szenen. Ich hatte den Eindruck, da sie immer schneller vor meinen Augen vorbeihuschten, bis ich sie nicht mehr einzeln wahrnehmen und untersuchen konnte. Schlielich war es, als ob ich den Aufbau der ganzen Welt in einer ununterbrochenen, endlosen Kette vor meinen Augen ablaufen she. Pltzlich fand ich mich neben Don Juan und Don Genaro auf

der Klippe wieder. Sie flsterten mir zu, da sie mich zurckgeholt htten und da ich das Unbekannte gesehen htte, ber das man nicht sprechen knne. Sie sagten, da sie mich noch einmal in dieses Unbekannte schleudern wrden und da ich die Flgel meiner Wahrnehmung sich entfalten lassen und das Tonal und das Nagual gleichzeitig berhren solle, ohne mir bewut zu sein, da ich zwischen dem einen und dem anderen hin- und herpendelte. Wieder hatte ich das Gefhl, durch die Luft geschleudert zu werden, zu kreiseln und mit ungeheurer Geschwindigkeit zu f a l l e n . Dann explodierte ich. Ich lste mich auf. Irgend etwas in mir verteilte sich. Es setzte etwas f r e i , was ich mein Leben lang verschlossen gehalten hatte. Ich war mir deutlich bewut, da mein innerstes Reservoir angezapft war und da es ungehemmt verstrmte. Es gab nicht lnger diese mir liebe Einheit, die ich ich nannte. Da war nichts, und doch war dieses Nichts e r f l l t . Es war weder l i c h t noch dunkel, weder hei noch kalt, weder angenehm noch unangenehm. Nicht da ich mich bewegt oder stillgestanden htte oder geschwebt wre, auch war ich keine vereinzelte Einheit, kein Selbst, wie ich mich zu erleben gewohnt bin. Ich war eine Myriade von Selbsten, die alle ich waren, eine Kolonie separater Einheiten, zwischen denen ein besonderer Zusammenhalt bestand und die unaufhaltsam zusammenstrebten, um ein einzelnes Bewutsein, mein menschliches Bewutsein zu bilden. Nicht da ich jenseits aller Zweifel gewut htte - denn es gab nichts, womit ich htte wissen knnen, sondern alle meine einzelnen Bewutseine wuten -, da das Ich, das Selbst meiner vertrauten Welt eine Kolonie, ein Konglomerat von isolierten, unabhngigen Gefhlen war, die einander in unauflsbarer Solidaritt verbunden waren. Die unauflsbar Solidaritt meiner zahllosen Bewutseine, der Zusammenhalt dieser Teile untereinander, das war meine Lebenskraft. Um diese einheitliche Empfindung irgendwie zu beschreiben, knnte man sagen, da diese Krnchen Bewutsein verstreut waren; jedes war seiner selbst bewut, und keines berwog vor den anderen. Dann rhrte irgend etwas sie auf, und sie vereinigten sich und strmten in eine Region, wo sie sich alle

auf einem Haufen versammeln muten, dem Ich, das ich kenne. Und als ich, als ich selbst beobachtete ich dann eine zusammenhngende Szene irdischer Aktivitt oder eine Szene, die anderen Welten angehrte und die ich fr r e i n e Imagination halten mute, oder eine Szene, die dem reinen Denken zugehrte, das heit, ich hatte Visionen von intellektuellen Systemen oder von Ideen, die zu Verbalisierungen gebndelt waren. In manchen Szenen sprach ich nach Herzenslust mit mir selbst. Nach _ jeder dieser zusammenhngenden Visionen lste das Ich sich auf und war wieder nichts. Bei einer dieser Exkursionen in eine zusammenhngende Vision erlebte ich mich oben auf der Klippe neben Don Juan. Augenblicklich erkannte ich, da ich nun das ganze, mir vertraute Ich war. Ich empfand meine Physis als real. Ich war in der Welt, statt sie nur anzuschauen. Don Juan herzte mich wie ein Kind. Sein Gesicht war ganz nah. I c h konnte seine Augen in der Dunkelheit sehen. Sie waren freundlich. Sie schienen eine Frage aussprechen zu wollen. Ich wute, was es war. Das Unaussprechliche war wirklich unaussprechlich. Gut? fragte er leise, als bedrfe er meiner Besttigung. Ich war sprachlos. Die Wrter betubt, bestrzt, verwirrt usw. konnten keineswegs meine Gefhle in diesem Augenblick angemessen beschreiben. Ich war nicht aus festem Stoff. Ich wute, da Don Juan mich packen und mit Gewalt am Boden festhalten mute, sonst wre ich in die Luft geschwebt und verschwunden. Ich frchtete mich nicht davor zu verschwinden. Ich sehnte mich nach dem Unbekannten, wo mein Bewutsein nicht geeint war. Langsam fhrte Don Juan mich, wobei er meine beiden Schultern fest nach unten drckte, zu einem Ort nicht weit von Genaros Haus. Hier hie er mich niederliegen und bedeckte mich dann mit weicher Erde von einem Haufen, der zu diesem Zweck vorbereitet zu sein schien. Er bedeckte mich bis zum Hals hinauf. Aus Laub machte er mir eine Art Kopfkissen und befahl mir, mich nicht zu bewegen und keinesfalls einzuschlafen. Er sagte, er wolle sich neben mich setzen und mir Gesellschaft leisten, bis die Erde meine Form wieder gefestigt htte. Ich fhlte mich sehr wohl und hatte ein unwiderstehliches

Schlafbedrfnis, aber Don Juan lie es nicht zu. Er verlangte, ich solle ber alles unter der Sonne sprechen, ausgenommen ber das, was ich soeben erlebt hatte. Zuerst wute ich nicht, worber reden, dann fragte ich ihn nach Don Genaro. Don Juan sagte, Don Genaro habe Pablito mitgenommen und i h n irgendwo in der Gegend eingegraben, und er kmmere sich um ihn, genau wie er, Don Juan, sich um mich kmmerte. Ich wollte gern das Gesprch fortsetzen, aber irgend etwas in mir war unvollstndig; ich versprte eine ungewohnte Gleichgltigkeit, eine Mdigkeit, die fast wie Langeweile war. Don Juan schien zu wissen, wie ich mich f h l t e . Er fing an ber Pablito zu sprechen und darber, wie unsere Schicksale miteinander verwoben seien. Er sagte, da er zur gleichen Zeit Pablitos Wohltter geworden sei, als Don Genaro sein Lehrer wurde, und da die Kraft Pablito und mich Schritt um Schritt zusammengefhrt habe. Der einzige Unterschied zwischen Pablito und mir, s t e l l t e er nachdrcklich fest, sei der, da Pablitos Welt als Krieger von Zwang und Furcht beherrscht sei, whrend meine von Zuneigung und Freiheit regiert werde. Dieser Unterschied, erklrte Don Juan, sei durch die wesensverschiedenen Persnlichkeiten der Wohltter bedingt: Don Genaro sei herzlich und liebevoll und lustig, whrend er selbst streng, autoritr und direkt sei. Meine Persnlichkeit habe einen starken Lehrer, aber einen sanften Wohltter verlangt, whrend es bei Pablito umgekehrt sei: er brauche einen freundlichen Lehrer und einen strengen Wohltter. Wir sprachen noch lange weiter, und dann brach der Morgen an. Als die Sonne ber den Bergen am stlichen Horizont aufging, half er mir, aus dem Erdhaufen aufzustehen. Nachdem ich am frhen Nachmittag erwacht war, setzten Don Juan und ich uns neben die Tr von Don Genaros Haus. Don Juan sagte, Don Genaro sei immer noch mit Pablito zusammen und bereite ihn auf die letzte Begegnung vor. Morgen werden du und Pablito in das Unbekannte gehen, sagte er. Ich mu dich j e t z t darauf vorbereiten. Du wirst allein hineingehen. Gestern abend wart ihr beide wie zwei hin - und hergezogene JoJos. Morgen wirst du auf dich allein gestellt sein.

Dann hatte ich einen regelrechten Anfall von Neugier, und die Fragen hinsichtlich meiner Erfahrungen vom letzten Abend sprudelten nur so aus mir heraus. Er lie sich durch mein Trommelfeuer nicht aus der Ruhe bringen. Heute mu mir ein ganz entscheidendes Manver gelingen, sagte er. Ich mu zum letztenmal einen Trick mit dir anstellen. Und du mut auf meinen Trick hereinfallen. Er lachte und schlug sich auf die Schenkel. Was Genaro dir gestern abend mit der ersten bung zeigen wollte, das war. wie die Zauberer das Nagual nutzen, fuhr er fort. Man gelangt unmglich zur Erklrung der Zauberer, solange man nicht willig das Nagual benutzt hat, oder besser, solange man nicht willig das Tonal genutzt hat, um seine Handlungen im Nagual zu verstehen. Um es v i e l l e i c h t verstndlicher auszudrcken, knnte man sagen, da die Ansicht des Tonal vorherrschen mu, wenn man das Nagual nutzen will, wie die Zauberer es t u n . Ich sagte ihm, ich fnde in dem, was er eben gesagt hatte, einen eklatanten Widerspruch. Einerseits hatte er mir erst vor zwei Tagen eine unglaubliche Zusammenfassung all seiner wohlberlegten Taten in einem Zeitraum von Jahren gegeben Taten, die meine Weltsicht verndern sollten. Und andererseits wolle er nun, da diese gleiche Ansicht vorherrsche. Das eine hat nichts mit dem ndern zu tun, sagte er. Die Ordnung unserer Wahrnehmung gehrt ausschlielich zum Bereich des Tonal. Nur dort knnen unsere Handlungen eine Reihenfolge haben, nur dort sind sie wie Leitern, auf denen man die Sprossen zhlen kann. Im Nagual gibt es nichts dergleichen. Die Anschauung des Tonal ist also ein Werkzeug, und als solches ist es nicht nur das beste, sondern auch das einzige Werkzeug, das wir haben. Gestern abend ffnete sich die Blase deiner Wahrnehmung, und ihre Flgel breiteten sich aus. Mehr kann man darber nicht sagen. Es ist unmglich zu erklren, was dir widerfuhr, darum werde ich es nicht versuchen, und auch du solltest es nicht versuchen. Es mu gengen, wenn ich sage, da die Flgel deiner Wahrnehmung dazu bestimmt waren, deine Ganzheit zu berhren. Gestern abend schwanktest du immer und immer wieder zwischen dem Nagual und dem Tonal hin

und her. Du wurdest zweimal hineingeschleudert, um jeden Irrtum auszuschlieen. Das zweite Mal erlebtest du die volle Wirkung der Reise ins Unbekannte. Und deine Wahrnehmung breitete ihre Flgel aus, als irgend etwas in dir deine wahre Natur erkannte. Du bist ein Bndel. Dies ist die Erklrung der Zauberer. Das Nagual ist das Unaussprechliche. In ihm schwimmen all die mglichen Gefhle und Wesenheiten und Ichs wie Khne im Wasser dahin, friedlich, unabnderlich, ewig. Dann bindet der Leim des Lebens einige von ihnen zusammen. Das hast du selbst gestern abend festgestellt, und auch Pablito hat es festgestellt, und auch Genaro, damals, als er in das Unbekannte aufbrach, und auch ich. Wenn der Leim des Lebens diese Gefhle zusammenbindet, dann wird ein Wesen geschaffen - ein Wesen, das das Gefhl seiner wahren Natur verliert und sich durch den Glanz und Lrm jener Region blenden lt, in der die Wesen hausen, nmlich das Tonal. Das Tonal ist da, wo einheitliche Organisation herrscht. Ein Wesen taucht ins Tonal ein, sobald die Kraft des Lebens alle dazu ntigen Gefhle zusammenbindet. Ich sagte dir einmal, da das Tonal mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Ich sagte dies, weil ich wei, da, sobald die Kraft des Lebens den Krper verlt, alle diese Bewutseine sich auflsen und wieder dorthin zurckkehren, woher sie kamen, ins Nagual. Was ein Krieger tut, wenn er in das Unbekannte aufbricht, ist ganz hnlich wie sterben, auer da das Bndel seiner einzelnen Gefhle sich nicht auflst, sondern diese sich ein wenig ausdehnen, ohne ihren Zusammenhalt zu verlieren. Beim Tod jedoch f a l l e n sie auseinander und bewegen sich unabhngig von einander, als h t t e n sie nie eine Einheit gebildet. Ich wollte i h m sagen, wie vollkommen seine Erluterungen mit meiner Erfahrung bereinstimmten. Aber er lie mich nicht zu Wort kommen. Es ist unmglich, das Unbekannte zu benennen, sagte er. Man kann es nur erleben. Die Erklrung der Zauberer sagt, da j e d e r von uns ein Zentrum hat, von dem aus das Nagual erlebt werden kann, den Willen. Ein Krieger kann sich also ins Nagual vorwagen und sein Bndel der Gefhle auf j e d e mgliche Weise sich anordnen und umordnen lassen. Ich sagte

dir. da die Ausdrucksform des Nagual eine Frage der Persnlichkeit ist. Damit meinte ich, da es dem einzelnen Krieger selbst berlassen ist, die Anordnung und Umordnung dieses Bndels zu dirigieren. Die menschliche Form, oder das menschliche Fhlen, ist die ursprngliche Form, vielleicht diejenige, die uns unter allen am liebsten ist. Es gibt jedoch eine endlose Zahl alternativer Formen, die das Bndel annehmen kann. Ich sagte dir ja, da ein Zauberer jede Form annehmen kann, die er wnscht. Das ist richtig. Ein Zauberer, der im Besitz der Ganzheit seines Selbst ist. kann die Teile seines Bndels dirigieren, so da sie sich auf jede vorstellbare Weise vereinigen. Die Kraft des Lebens ist es. die alle diese Mischungen ermglicht. Sobald sie erschpft ist. gibt es kein Mittel mehr, dieses Bndel zu versammeln. Dieses Bndel habe ich die Blase der Wahrnehmung g e n a n n t . Ich sagte auch, da diese versiegelt, fest verschlossen ist und da sie sich bis zum Augenblick unseres Todes nie ffnet. Und doch knnte sie geffnet werden. Offenbar haben die Zauberer dieses Geheimnis g e l e r n t , und obwohl sie nicht alle die Ganzheit ihres Selbst erreichen, wissen sie um deren Mglichkeit. Sie wissen, da die Blase sich nur ffnet, w e n n man ins Nagual strzt. Gestern habe ich dir eine Zusammenfassung all der Schritte gegeben, die du e i n h a l t e n mutest. um diesen Punkt zu erreichen. Er sah mich prfend an. als erwartete er einen Einwand oder eine Frage. Doch was er gesagt hatte, erbrigte alle Worte. J e t z t verstand ich. da es ganz folgenlos geblieben wre, wenn er mir dies alles vor vierzehn Jahren oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt meiner Lehrzeit gesagt htte. Wichtig war allein die Tatsache, da ich mit oder in meinem Krper die Voraussetzungen seiner Erklrungen erfahren hatte. Ich warte auf deine bliche Frage, sagte er, wobei er die Worte langsam artikulierte. Welche Frage? fragte ich. Die eine, die deiner Vernunft auf der Zunge liegt. Heute verzichte ich auf alle Fragen. Ich habe wirklich keine. Don Juan. Das ist nicht f a i r , sagte er lachend. Es gibt eine besondere Frage, die ich von dir brauche.

Er sagte, da ich, wenn ich nur einen Augenblick meinen inneren Dialog abstellte, erkennen knne, um welche Frage es sich handelte. Pltzlich kam mir ein Gedanke, eine momentane Einsicht, und ich wute, was er erwartete. Wo war mein Krper, whrend all dies mit mir geschah? fragte ich, und er brach in herzhaftes Lachen aus. Dies ist der letzte von den Tricks der Zauberer, sagte er. Oder sagen wir, was ich dir jetzt enthllen werde, ist das letzte Stck der Erklrung der Zauberer. Bis _ jetzt ist deine Vernunft aufs Geratewohl meinem Tun gefolgt. Deine Vernunft ist bereit zuzugeben, da die Welt nicht so ist, wie die Beschreibung sie darstellt, da es mit ihr noch mehr auf sich hat als das, was unmittelbar ins Auge springt. Deine Vernunft ist beinahe gewillt und bereit zuzugeben, da deine Wahrnehmung j e n e Klippe auf- und abschwebte oder da irgend etwas in dir oder du insgesamt auf den Grund der Schlucht gesprungen bist und mit den Augen des Tonal untersucht hast, was es dort zu sehen gab, ganz als ob du krperlich an einem Seil oder ber eine Leiter hinabgestiegen wrst. Dieser Akt, das Untersuchen des Bodens der Schlucht, war die Krnung aller dieser Jahre der Schulung. Du hast deine Sache gut gemacht. Genaro sah sein Quentchen Chance, als er einen Stein auf dich warf, auf das Du, das am Grund der Schlucht war. Du sahst alles. Da wuten Genaro und ich ohne jeden Zweifel, da du bereit warst, in das Unbekannte geschleudert zu werden. In diesem Augenblick sahst du nicht nur, sondern du wutest auch alles ber den Doppelgnger, den Anderen. Ich unterbrach ihn und meinte, er lobe mich unverdientermaen fr etwas, das ganz auerhalb meines Verstndnisses liege. Er antwortete, da ich Zeit bentigte, um all diese Eindrcke zu verarbeiten, und da, sobald ich dies getan htte, die Antworten nur so aus mir heraussprudeln wrden, ganz hnlich wie bisher die Fragen. Das Geheimnis des Doppelgngers liegt in der Blase der Wahrnehmung, und in deinem Fall befand sich diese gestern gleichzeitig auf dem Gipfel der Klippe und am Grunde der Schlucht, sagte er. Das Bndel von Gefhlen kann dazu gebracht werden, sich augenblicklich berall zu versammeln.

Mit anderen Worten, man kann hier und dort gleichzeitig wahrnehmen. Er drngte mich, nachzudenken und mich an eine Reihe von Vorgngen zu erinnern, die so alltglich seien, da ich sie beinahe vergessen htte. Ich wute nicht, wovon er redete. Er verlangte, ich solle mich anstrengen. Denk doch mal an deinen Hut! sagte er. Und denk daran, was Genaro mit ihm machte! Schlagartig kam mir die Erkenntnis. Ich hatte ganz vergessen, da Don Genaro tatschlich gemeint hatte, ich solle meinen Hut absetzen, weil der Wind ihn mir dauernd vom Kopf wehte. Aber ich wollte nicht auf ihn verzichten. Ich kam mir irgendwie bld vor, nackt, wie ich war. Einen Hut zu tragen, was ich fr gewhnlich nie tat, das gab mir ein Gefhl der Fremdheit; so war ich nicht wirklich ich selbst, und in diesem Fall war es nicht so peinlich, ohne Kleider dazustehen. Don Genaro hatte dann versucht, mit mir die Hte zu tauschen, aber seiner war zu klein fr meinen Kopf. Er ri Witze ber meinen Kopfumfang und die Proportionen meines Krpers, und schlielich nahm er mir den Hut ab und wickelte mir einen alten Poncho wie einen Turban um den Kopf. Ich sagte zu Don Juan, da ich diesen Vorgang vergessen htte, der sich, dessen war ich sicher, zwischen den angeblichen Sprngen abgespielt hatte. Und doch bildete meine Erinnerung an diese Sprnge eine Einheit. Gewi waren sie eine ununterbrochene Einheit, aber das waren auch Genaros Kapriolen mit deinem H u t , sagte er. Diese beiden Erinnerungen knnen nicht hintereinander angeordnet werden, weil sie zur gleichen Zeit geschahen. Er bewegte die Finger seiner linken Hand, als ob sie nicht in die Zwischenrume zwischen den Fingern seiner rechten Hand passen wollten. Diese Sprnge waren nur der Anfang, fuhr er fort. Dann kam deine eigentliche Exkursion in das Unbekannte. Gestern nacht erlebtest du das Unaussprechliche, das Nagual. Deine Vernunft kann die physische Erkenntnis, da du ein unbeschreibliches Bndel von Gefhlen bist, nicht abwehren. Deine Vernunft wrde an diesem Punkt vielleicht sogar zuge-

ben, da es noch ein anderes Zentrum der Sammlung gibt, den Willen, durch den es mglich ist, die auerordentlichen Wirkungen des Nagual abzuschtzen oder zu nutzen. Endlich dmmert es deiner Vernunft, da man das Nagual durch den Willen reflektieren kann, obwohl man es niemals erklren kann. Jetzt aber zu deiner Frage: Wo warst du, whrend all dies geschah? Wo war dein Krper? Die berzeugung, da es ein wirkliches Du gibt, ist eine Folge der Tatsache, da du alles, was du hast, um deine Vernunft versammelt hast. In diesem Punkt rumt deine Vernunft ein, da das Nagual das Unbeschreibliche ist, nicht weil Beweise sie berzeugt htten, sondern weil es fr sie sicherer ist, dies zuzugeben. Deine Vernunft steht auf sicherem Boden, alle Elemente des Ton/sind auf ihrer Seite. Don Juan machte eine Pause und sah mich prfend an. Sein Lcheln wirkte freundlich. La uns jetzt zu Genaros Platz der >Inneren Wahl< gehen, sagte er unvermittelt. Er stand auf, und wir gingen zu dem flachen Stein, wo wir uns vor zwei Tagen unterhalten hatten; den Rcken gegen den Fels gelehnt, machten wir es uns an der gleichen Stelle bequem. Es ist stets die Aufgabe des Lehrers, der Vernunft das Gefhl der Sicherheit zu geben, sagte er. Ich habe deine Vernunft in die Auffassung hineingetrickst, das Tonal sei erklrbar und vorhersagbar. Genaro und ich. wir haben uns bemht, dir den Eindruck zu vermitteln, als entziehe sich nur das Nagual dieser Erklrung. Da der Trick erfolgreich war, beweist die Tatsache, da es dir im Augenblick, trotz allem, was du durchgemacht hast, immer noch so erscheint, als gebe es einen innersten Kern, den du als dein eigen beanspruchen kannst, deine Vernunft. Dies ist eine Luftspiegelung. Deine kostbare Vernunft ist nur ein Zentrum der Sammlung, ein Spiegel, der etwas reflektiert, das sich auerhalb von dir befindet. Gestern abend erlebtest du nicht nur das unbeschreibliche Nagual, sondern auch das unbeschreibliche Tonal. Der letzte Teil der Erklrung der Zauberer besagt, da die Vernunft lediglich eine uere Ordnung reflektiert und da

die Vernunft nichts ber diese Ordnung wei. Sie kann sie nicht erklren, genauso wenig wie sie das Nagual erklren kann. Die Vernunft kann nur die Wirkungen des Tonal erleben, aber niemals knnte sie es verstehen oder entschlsseln. Die bloe Tatsache, da wir denken und sprechen, weist auf eine Ordnung hin, die wir einhalten, ohne j e zu wissen, da wir es tun, oder was diese Ordnung eigentlich ist. Ich uerte den Gedanken, da vielleicht die im Westen betriebene Erforschung der Vorgnge im Gehirn eine mgliche Erklrung bieten knnte, was diese Ordnung sei. Eine solche Forschung, entgegnete er, knne nichts anderes besttigen, als da berhaupt irgend etwas geschieht. Das gleiche t u n die Zauberer mit ihrem Willen, sagte er. Sie sagen, da sie durch den Willen die Wirkungen des Nagual erleben knnen. Ich kann nun hinzufgen, da wir durch die Vernunft, ganz gleich, was wir mit ihr t u n oder wie wir es tun, lediglich die Wirkungen des Tonal erleben. In beiden Fllen gibt es keine Hoffnung, _ je zu verstehen oder zu erklren, was dies ist, das wir da erleben. Gestern abend war es das erste Mal, da du mit den Flgeln deiner Wahrnehmung geflogen bist. Du warst noch sehr ngstlich. Du bewegtest dich nur im Rahmen der menschlichen Wahrnehmung. Ein Zauberer kann diese Flgel benutzen, um andere Sensibilitten zu erreichen, etwa die einer Krhe, eines Kojoten, einer Grille oder die Ordnung anderer Welten dort im unendlichen Raum. Meinst du auf andere Planeten, Don J u a n 9 Selbstverstndlich! Die Flgel der Wahrnehmung knnen uns an die entlegensten Grenzen des Nagual oder in die unvorstellbaren Welten des Tonal tragen. Kann ein Zauberer zum Beispiel zum Mond fliegen? Natrlich kann er das, antwortete er. Aber er knnte wohl keinen Sack voll Mondgestein mitbringen. Wir lachten und scherzten ber diese Feststellung, aber es war ihm vllig ernst damit gewesen. Und damit sind wir beim letzten Teil der Erklrung der Zauberer, sagte er. Gestern nacht zeigten Genaro und ich dir die letzten beiden Punkte, die die Ganzheit des Menschen ausmachen, das Nagual und das Tonal. Ich habe dir einmal

gesagt, da diese zwei Punkte auerhalb von uns und doch nicht auerhalb liegen. Dies ist das Paradox der leuchtenden Wesen. Das Tonal eines jeden von uns ist nur ein Reflex j e n e s unbeschreiblichen Unbekannten, das mit Ordnung erfllt ist. Das Nagual eines j e d e n von uns ist nur ein Reflex jener unbeschreiblichen Leere, die alles enthlt. Und j e t z t solltest du an Genaros Platz der >Inneren Wahl< sitzenbleiben, bis es dmmert. Bis dahin solltest du die Erklrung der Zauberer in dich aufgenommen haben. Wie du h i e r sitzt, hast du nichts auer der Kraft deines Lebens, die dieses Bndel von Gefhlen zusammenhlt. Er stand auf. Morgen wirst du die Aufgabe haben, d i c h a l l e i n in das Unbekannte zu strzen, whrend Genaro und ich dich beobachten werden, ohne e i n z u s c h r e i t e n , sagte er. Bleib hier sitzen und stell deinen inneren Dialog ab! Vielleicht kannst du die Kraft ansammeln, die du brauchst, um die Flgel d e i n e r Wahrnehmung auszubreiten und in diese U n e n d l i c h k e i t zu fliegen.

Die innere Wahl zweier Krieger

Don Juan weckte mich bei Anbruch der Dmmerung. Er reichte mir eine mit Wasser gefllte Kalebasse und einen Beutel Trockenfleisch. Schweigend gingen wir ein paar Meilen bis zu der Stelle, wo ich vor zwei Tagen mein Auto geparkt hatte. Diese Reise ist unsere letzte gemeinsame Reise, sagte er mit ruhiger Stimme, als wir den Wagen erreichten. Es gab mir einen Stich im Magen. Ich wute, was er meinte. Whrend ich die Tr zum Beifahrersitz ffnete, l e h n t e er sich gegen den hinteren Kotflgel und blickte mich mit einem Gefhlsausdruck an, den er nie zuvor gezeigt hatte. Wir stiegen ein, aber bevor ich den Motor anlie, machte er einige dunkle Andeutungen, die ich ebenfalls mit vlliger Klarheit verstand; er sagte, wir mten ein paar Minuten im Auto sitzenbleiben und noch einmal ein paar sehr persnliche und bittere Gefhle streifen. Ich sa ruhig da, aber mein Geist war rastlos. Ich wollte etwas zu ihm sagen, irgend etwas, das hauptschlich mich besnftigen sollte. Vergeblich suchte ich nach den richtigen Worten, nach der Formel, die das eine ausdrcken knnte, das ich wute, ohne da es mir gesagt worden wre. Don Juan sprach ber einen kleinen Jungen, den ich einmal gekannt hatte, und darber, wie mein Gefhl fr ihn sich mit den Jahren oder ber die Entfernung hin nicht verndert habe. Don Juan sagte, er sei sicher, da mein Geist, immer wenn ich an den kleinen Jungen dachte, vor Freude hpfte und ich ihm ohne eine Spur von Selbstmitleid oder Verzagtheit Glck wnschte. Ja, er erinnerte mich an eine Geschichte von einem kleinen Jungen, die ich ihm einmal erzhlt hatte, eine Geschichte, die ihm sehr gefallen hatte und die, wie er fand, eine t i e f e r e Bedeutung enthielt. Whrend einer Wanderung in den Bergen bei Los Angeles war der kleine Junge mde geworden und wollte nicht mehr laufen, darum hatte ich ihn auf meinen Schultern reiten lassen. Da berschwemmte uns beide eine

Woge von Glckseligkeit, und der kleine Junge juchzte seinen Dank an die Sonne und an die Berge hinaus. Das war seine Art, dir Lebewohl zu sagen, sagte Don Juan. Ich sprte meine Beklommenheit als Druck im Hals. Es gibt viele Arten Lebewohl zu sagen, sagte er. Die beste ist vielleicht, sich eine bestimmte Erinnerung der Freude zu bewahren. Wenn du zum Beispiel lebst wie ein Krieger, dann wird die warme Herzlichkeit, die du empfandest, als der kleine Junge auf deinen Schultern ritt, frisch und scharf sein, solange du lebst. Dies ist die Art des Kriegers, Lebewohl zu sagen. Rasch lie ich den Motor an und fuhr schneller als gewhnlich ber den f e s t e n , steinigen Boden, bis wir die Sandstrae erreichten. Wir fuhren ein kurzes Stck, und dann wanderten wir den Rest des Tages zu Fu. Nach etwa einer Stunde erreichten wir eine Gruppe von Bumen. Dort warteten Don Genaro, Pablito und Nestor auf uns. Ich begrte sie. Alle schienen sie so g l c k l i c h und energiegeladen. Als ich sie und Don Juan ansah, berkam mich ein tiefes Mitgefhl fr sie alle. Don Genaro umarmte mich und klopfte mir liebevoll den Rcken. Er sagte zu Nestor und Pablito, ich htte eine gute Leistung vollbracht, als ich zum Grund der Schlucht hinabgesprungen war. Die Hand noch immer auf meiner Schulter, sprach er mit lauter Stimme zu ihnen. Ja, meine Herren, sagte er und sah sie an. Ich bin sein Wohltter, und ich wei, was das fr eine Leistung war. Das war die Krnung von Jahren des Lebens als Krieger. Er wandte sich zu mir und legte auch die andere Hand auf meine Schulter. Seine Augen leuchteten voller Frieden. Sonst wei ich dir nichts zu sagen, Carlitos, sagte er, wobei er die W orte bedchtig aussprach. Auer, da du eine erstaunliche Menge Scheidreck im Gedrm hattest. Und damit brllten er und Don Juan vor Lachen los, bis sie fast umfielen. Pablito und Nestor kicherten nervs und wuten nicht recht, was tun. Als Don Juan und Don Genaro sich beruhigt hatten, sagte Pablito zu mir, er sei sich seiner Fhigkeit, allein in das Unbekannte zu gehen, nicht recht sicher. Ich habe nicht die blasseste Ahnung, wie ich es machen soll,

sagte er. Genaro sagt, man braucht nichts anderes als Makellosigkeit. Was meinst du? Ich sagte ihm, ich wisse noch weniger als er. Nestor seufzte und wirkte echt besorgt; nervs bewegte er Hnde und Mund, als sei er im Begriff, etwas Wichtiges zu sagen, und wisse nicht, wie. Genaro sagt, ihr zwei werdet es schaffen, sagte er schlielich. Don Genaro gab mit der Hand das Zeichen zum Aufbruch. Er und Don Juan gingen nebeneinander, einige Meter vor uns. Fast den ganzen Tag folgten wir dem gleichen Bergpfad. Wir gingen in vlligem Schweigen und machten kein einziges Mal halt. Jeder von uns hatte einen Vorrat an Trockenfleisch und eine Kalebasse mit Wasser, und es war ausgemacht, da wir im Gehen essen wrden. Irgendwann erweiterte der Pfad sich nachgerade zu einer Strae. Sie fhrte im Bogen um e i n e n Berghang, und pltzlich ffnete sich vor uns der Ausblick in ein Tal. Es war ein atemberaubender A n b l i c k , ein langgestrecktes grnes Tal, das im Sonnenlicht e r s t r a h l t e . Darber standen zwei wunderbare Regenbogen, und hier und da hingen Regenschleier ber den Bergen im Umkreis. Don Juan blieb s t e h e n und wies Don Genaro mit einer Kopfbewegung auf irgend etwas drunten im Tal hin. Don Genaro schttelte den Kopf. Es war weder eine bejahende noch eine verneinende Geste; eher war es ein Ruck mit dem Kopf. Beide standen reglos da und sphten lange in das Tal hinunter. An dieser Stelle verlieen wir die Strae und nahmen, wie es schien, eine Abkrzung. Wir stiegen ber einen schmaleren und gefhrlicheren Pfad hinab, der zum nrdlichen Ende des Tales fhrte. Als wir die Ebene erreichten, war es hoher Nachmittag. Ein starker Duft von Fluweiden und feuchter Erde umfing mich. Einen Moment war der Regen wie ein leises grnes Raunen in den Bumen zu meiner Linken, dann war er nur noch ein Beben im Schilf. Ich hrte einen Bach pltschern. Ich blieb einen Augenblick stehen, um zu lauschen. Ich schaute zu den Baumwipfeln hinauf; die hohen Zirruswlkchen am westlichen Horizont sahen aus wie ber den Himmel verstreute

Wattebusche. Ich stand da und betrachtete die Wolken, bis die anderen einen ziemlichen Vorsprung gewonnen hatten. Ich lief ihnen nach. Don Juan und Don Genaro blieben stehen und drehten sich wie auf Verabredung um; sie rollten die Augen und richteten dann so gleichzeitig und przise den Blick auf mich, da sie ein und derselbe Mann zu sein schienen. Es war ein kurzer, ungeheuerlicher Blick, der mir ein Frsteln ber den Rcken jagte. Dann lachte Don Genaro und meinte, ich liefe plumpsend daher wie ein dreihundert Pfund schwerer, plattfiger Mexikaner. Warum ausgerechnet ein Mexikaner? fragte Don Juan. Ein plattfiger, dreihundert Pfund schwerer Indianer rennt nicht, sagte Don Genaro in erklrendem Ton. A c h , sagte Don Juan, als htte Don Genaro wirklich etwas Bedeutendes erklrt. Wir durchquerten das saftig grne Tal und stiegen die Berge im Osten hinan. Am Sptnachmittag machten wir schlielich auf einer flachen, karstigen Mesa, einem Tafelberg, halt, von der aus man das Hochtal im Sden berblickte. Die Vegetation hatte sich merklich verndert. Ringsumher standen zerklftete Berge. Das Land im Tal und an den Bergflanken war parzelliert und bebaut, und doch machte die ganze Szene den Eindruck unfruchtbarer dnis. Die Sonne stand bereits niedrig am sdwestlichen Horizont. Don Juan und Don Genaro winkten uns zum nrdlichen Abbruch der Mesa heran. Der Ausblick von dort war erhaben. Nach Norden erstreckten sich endlos Tler und Berge, und nach Westen trmten sich hohe Sierras auf. Das Sonnenlicht, das sich auf den fernen Bergen im Norden brach, frbte sie orangefarben, ganz wie die Farbe der Wolkenbnke ber dem Westen. Das Bild wirkte, trotz seiner Schnheit, traurig und einsam. Don Juan reichte mir mein Schreibzeug, aber ich war nicht aufgelegt, mir Notizen zu machen. Wir setzten uns im Halbkreis, wobei Don Juan und Don Genaro auen Platz nahmen. Schreibend hast du den Weg des Wissens betreten, und genauso wirst du ihn vollenden, sagte Don Juan.

Alle drngten sie mich zu schreiben, als ob es wichtig sei, da ich schrieb. Du stehst j e t z t genau am Rande, Carlitos, sagte Don Genaro pltzlich. Du und Pablito, ihr beide. Seine Stimme war sanft. Ohne den blichen scherzenden Tonfall klang sie freundlich und besorgt. Andere Krieger, die in das Unbekannte aufbrachen, sind genau an dieser Stelle gestanden, fuhr er fort. Sie alle wnschen euch sehr viel Glck. Ich sprte eine Wellenbewegung in der Luft um mich her. als ob diese aus halbwegs fester Materie wre und etwas sie in Bewegung versetzt htte. Auch wir alle wnschen euch beiden G l c k , sagte er. Nestor umarmte Pablito und mich und setzte sich dann in einigem Abstand von uns. Wir haben noch etwas Zeit, sagte Don Juan und sah zum Himmel. Und dann, an Nestor gewandt, fragte er: Was sollten wir in der Zwischenzeit tun? W i r sollten lachen und uns vergngen, antwortete Nestor, gut gelaunt. Ich sagte Don Juan, da ich mich frchtete vor dem, was mich erwartete, und da ich ganz sicher sei, in all dies hineingetrickst worden zu sein. Ich, der ich mir nicht htte trumen lassen, da es Situationen wie diese gbe, die Pablito und ich jetzt erlebten. Ich sagte, irgend etwas wirklich Furchtbares habe von mir Besitz ergriffen und mich nach und nach immer weiter geschoben, bis ich j e t z t etwas gewrtigte, das vielleicht schlimmer als der Tod sei. Du beklagst dich, sagte Don Juan trocken. Du tust dir selbst leid - bis zur letzten Minu te. Alle lachten. Er hatte recht. Was fr ein unberwindlicher Zwang! Und ich glaubte, ich htte ihn schon aus meinem Leben verbannt. Ich bat sie alle, meine Idiotie zu verzeihen. Entschuldige dich nicht! sagte Don Juan zu mir. Entschuldigungen sind Unfug. Was wirklich zhlt, ist, da man an diesem einzigartigen Ort der Kraft ein makelloser Krieger ist. Dieser Ort hat die besten Krieger beherbergt. Sei ebenso gut, wie sie es waren! Dann sprach er zu Pablito und mir.

Ihr wit bereits, da dies die letzte Aufgabe ist, bei der wir Zusammensein werden, sagte er. Ihr werdet, allein durch die Strke eurer persnlichen Kraft, in das Nagual und das Tonal eintreten. Genaro und ich sind nur hier, um euch Lebewohl zu sagen. Die Kraft hat beschlossen, da Nestor nur als Zeuge dabeisein soll. So sei es. Dies wird auch euer letzter Scheideweg sein, bis zu dem Genaro und ich euch begleitet haben. Sobald ihr aus eigenem Antrieb in das Unbekannte eingetreten seid, knnt ihr euch n i c h t mehr darauf verlassen, da wir euch zurckholen. Darum ist eine Entscheidung geboten. Ihr mt euch entscheiden, ob ihr zurckkehren wollt oder nicht. Wir vertrauen darauf, da ihr beide stark genug seid, um zurckzukehren, f a l l s ihr dies beschliet. Gestern abend wart ihr ohne weiteres fhig - vereint oder j e d e r einzeln -, den Verbndeten abzuschtteln, der euch sonst zermalmt htte. Dies war ein Test eurer Strke. Ich mu auch hinzufgen, da nur wenige Krieger die Begegnung mit dem Unbekannten berstehen, die euch bevorsteht, nicht so sehr, weil sie schwer wre, sondern weil das Nagual ber alle Maen verlockend ist, und Krieger, die zu ihm aufbrechen, h a l t e n die Rckkehr ins Tonal oder in die Welt der Ordnung, des Lrms und des Leidens, fr eine wenig erstrebenswerte Aussicht. Die Entscheidung, zu bleiben oder zurckzukehren, wird durch etwas in uns gefllt, das weder unsere Vernunft noch unser Wunsch ist, sondern unser Wille, und daher ist es unmglich, das Ergebnis im voraus zu wissen. Falls ihr euch entscheidet, nicht zurckzukehren, dann werdet ihr verschwinden, als htte die Erde euch verschluckt. Aber wenn ihr euch entscheidet, zu dieser Erde zurckzukehren, dann mt ihr wie wahrhafte Krieger warten, bis eure besonderen Aufgaben abgeschlossen sind. Sobald sie abgeschlossen sind, sei es Erfolg oder Niederlage, werdet ihr die Herrschaft ber die Ganzheit eures Selbst haben. Don Juan machte eine kurze Pause. Don Genaro sah mich an und blinzelte. Carlitos will wissen, was es heit, die Herrschaft ber die Ganzheit des Selbst zu haben, sagte er, und alle lachten.

Er hatte recht. Unter anderen Umstnden htte ich danach gefragt. Diese Situation jedoch war zu feierlich fr Fragen. Es bedeutet, da der Krieger endlich die Kraft gefunden hat, sagte Don Juan. Niemand kann sagen, was der einzelne Krieger damit anfangen wird. Vielleicht werdet ihr beide friedlich und unbemerkt ber das Antlitz der Erde wandeln, vielleicht werdet ihr euch als haerfllte Menschen erweisen, oder vielleicht berchtigt sein, oder wer wei. All dies hngt von der Makellosigkeit und der Freiheit eures Geistes ab. Das Wichtigste aber ist eure Aufgabe. Diese ist das Vermchtnis, das ein Lehrer und ein Wohltter ihren Lehrlingen mitgeben. Ich bete darum, da es euch beiden gelingen mge, eure Aufgaben zu einem Hhepunkt zu fhren. Das Warten auf die Erfllung ist ein ganz besonderes Warten, sagte Don Genaro ganz pltzlich. Und ich will euch die Geschichte einer Gruppe von Kriegern erzhlen, die vor Zeiten in den Bergen lebten, irgendwo in dieser Richtung. Er deutete nachlssig nach Osten, aber dann, nach kurzem Zgern, schien er es sich anders zu berlegen, stand auf und wies auf die fernen Berge im Norden. Nein. Sie wohnten in dieser Richtung, sagte er, sah mich an und lchelte mit gelehrsamer Miene. Genau einhundertundfnfunddreiig Kilometer von hier. Don Genaro imitierte mich offenbar. Sein Mund und seine Stirn waren angespannt, die Hnde drckte er fest gegen die Brust, als halte er irgendeinen imaginren Gegenstand, v i e l leicht ein Notizbuch. So verharrte er in einer hchst lcherlichen Pose. Ich sagte, ich htte einmal einen deutschen Gelehrten getroffen, einen Sinologen, der genauso aussah. Der Gedanke, da ich all die Zeit unbewut die Grimassen eines deutschen Sinologen imitiert haben knnte, belustigte mich sehr. Ich lachte vor mich hin. Dies war ein Spa, der nur mir zu gelten schien. Don Genaro setzte sich wieder und fuhr mit seiner Geschichte fort. Immer wenn ein Mitglied dieser Gruppe von Kriegern im Verdacht stand, eine Handlung begangen zu haben, die gegen ihre Gesetze verstie, lag die Entscheidung ber sein Schicksal in den Hnden aller. Der Schuldige mute seine Grnde

fr seine Tat erklren. Seine Kameraden muten ihm zuhren, und dann gingen sie entweder auseinander, weil seine Grnde sie berzeugt hatten, oder sie stellten sich mit ihren W a f f e n am Abhang eines flachen Berges auf - ganz hnlich wie dieser Berg, auf dem wir hier sitzen -, bereit, sein Todesurteil zu vollstrecken, weil sie seine Grnde als unannehmbar erachteten. In diesem Fall mute der verurteilte Krieger seinen alten Kameraden Lebewohl sagen, und seine Exekution begann. Don Genaro sah mich und Pablito an, als warte er auf ein Zeichen von uns. Dann wandte er sich an Nestor. V i e l l e i c h t kann der Zeuge uns sagen, was diese Geschichte mit den beiden hier zu t u n h a t ? sagte er zu Nestor. Nestor lchelte schchtern und schien eine Weile in t i e f e s Nachdenken zu versinken. D e r Zeuge hat keine Ahnung, sagte er und brach in ein nervses Kichern aus. Don Genaro forderte uns alle auf, uns zu erheben und mit ihm zu kommen, um ber die westliche Kante der Mesa hinabzublicken. Dort erstreckte sich ein leicht geneigter Hang bis ins Tal hinab, und daran schlo sich ein schmaler, flacher Landstreifen an und endete in einem Graben, der ein natrlicher Abflu fr das Regenwasser zu sein schien. Genau dort, wo der Wassergraben ist, stand in den Bergen, von denen die Geschichte erzhlt, eine Baumreihe, sagte er. Jenseits erstreckte sich ein dichter Wald. Nachdem der verurteilte Krieger sich von seinen Kameraden verabschiedet hatte, mute er ber den Hang hinunter zu den Bumen gehen. Seine Kameraden brachten ihre W a f f e n in Anschlag und zielten auf ihn. Falls keiner von ihnen scho oder f a l l s der Krieger seine Verletzungen berlebte und den Waldrand erreichte, war er frei. Wir gingen zurck zu der Stelle, wo wir gesessen hatten. Und was nun, Zeuge? fragte er Nestor. Kannst du es sagen? Nestor war ein Ausbund von Nervositt. Er nahm den Hut ab und kratzte sich am Kopf. Dann barg er sein Gesicht in den Hnden.

Wie kann der arme Zeuge das wissen? antwortete er schlielich heraufordernd und f i e l in unser aller Lachen ein. Man sagt, da es Mnner gab, die unverletzt davonkamen, fuhr Don Genaro fort. Nehmen wir an, ihre persnliche Kraft tat ihre Wirkung auf die Kameraden. Eine Welle erfate sie, whrend sie auf ihn zielten, und keiner wagte es, seine Waffe zu gebrauchen. Oder vielleicht erfllte seine Tapferkeit sie mit Ehrfurcht, und sie konnten ihm nichts antun. Don Genaro sah mich an und dann Pablito. Es galt auch eine besondere Regel fr diesen Gang zum Waldrand hinab, fuhr er f o r t . Der Krieger mute ruhig und gleichmtig gehen. Sein Schritt mute sicher und fest sein, sein Blick f r i e d l i c h geradeaus. Er mute hinabgehen, ohne zu stolpern, ohne sich umzusehen und vor allem ohne zu rennen. Don Genaro h i e l t i n n e . Pablito pflichtete i h m kopfnickend bei. Falls i h r beide euch entscheidet, zu dieser Erde zurckzukehren, sagte er, werdet ihr warten mssen wie wahre Krieger, bis eure Aufgaben erfllt sind. Dieses Warten ist ganz hnlich wie der Gang des Kriegers in der Geschichte. Ihr seht, die menschliche Zeit des Kriegers war abgelaufen, und eure auch. Der einzige Unterschied ist, wer auf euch zielt. Die auf den Krieger zielten, das waren seine Kriegerkameraden. Aber was auf euch beide zielt, das ist das Unbekannte. Eure einzige Chance ist eure Makellosigkeit. Ihr mt warten, ohne euch umzusehen. Ihr mt warten, ohne Belohnung zu erwarten. Und ihr mt all eure persnliche Kraft auf die Erfllung eurer Aufgaben wenden. Wenn ihr nicht makellos handelt, wenn ihr euch auflehnt und anfangt, ungeduldig zu werden und zu verzweifeln, dann werdet ihr von den Scharfschtzen aus dem Unbekannten erbarmungslos niedergemacht. Wenn hingegen eure Makellosigkeit und eure persnliche Kraft dazu angetan sind, da ihr eure Aufgaben erfllen knnt, werdet ihr das Versprechen der Kraft gewinnen. Und was ist dieses Versprechen, werdet ihr fragen? Es ist ein Versprechen, das die Kraft den Menschen als leuchtenden Wesen gibt. Jeder Krieger hat ein anderes Schicksal, deshalb

ist es unmglich zu sagen, was dieses Versprechen fr j e d e n f r euch sein wird. Die Sonne stand im Begriff unterzugehen. Die helle Orangefrbung der fernen Berge im Norden war dunkler geworden. Die Szene vermittelte mir den Eindruck einer windgepeitschten verlassenen Welt. I h r habt gelernt, da es das Rckgrat eines Kriegers ist, bescheiden und tchtig zu sein, sagte Don Genaro, und seine Stimme lie mich auffahren. I h r habt gelernt, zu handeln, ohne etwas dafr zu erwarten. Jetzt sage ich euch, da ihr, um das, was _ j e n s e i t s dieses Tages vor euch liegt, zu berstehen, eure letzte Geduld brauchen werdet. I c h empfand einen Schock in der Magengegend. Pablito fing unmerklich an zu zittern. E i n Krieger mu immer bereit sein, sagte er. Es ist das Geschick von uns a l l e n , wie wir hier sind, zu wissen, da wir Gefangene der Kraft sind. Niemand wei, warum ausgerechnet wir, aber das ist ein groes Glck! Don Genaro hrte auf zu sprechen und senkte den Kopf, als sei er erschpft. Dies war das erste Mal, da ich ihn mit solchem Ernst hatte sprechen hren. H i e r nun ist es geboten, da ein Krieger allen Anwesenden Lebewohl sagt - und auch allen, die er zurcklt, sagte Don Juan pltzlich. Dies mu er in seinen eigenen Worten tun, und laut, damit seine Stimme auf ewig hier an diesem Ort der Kraft bleibe. Don Juans Stimme tat noch eine weitere Dimension meines augenblicklichen Gemtszustands auf. Unser Gesprch vorhin im Auto wurde mir noch eindringlicher. Wie recht hatte er, als er sagte, da die Heiterkeit des Bildes um uns her nur eine Luftspiegelung sei und da die Erklrung der Zauberer einem e i n e n Schlag versetze, den niemand parieren knne. Ich hatte die Erklrung der Zauberer vernommen, und ich hatte ihre Prmissen selbst erlebt. Und da war ich nun, nackter und hilfloser denn j e in meinem ganzen Leben. Nichts, was ich j e getan hatte, nichts, was ich mir j e vorgestellt htte, war vergleichbar mit dem Schmerz und der Einsamkeit dieses Augenblicks. Die Erklrung der Zauberer hatte mich sogar meiner Vernunft beraubt. Don Juan hatte recht, wenn er

sagte, ein Krieger knne nicht Leid und Kummer vermeiden, sondern nur, sich ihnen hinzugeben. In diesem Augenblick war meine Traurigkeit unbezhmbar. Ich konnte nicht aufstehen und denen Lebewohl sagen, die die Wendungen meines Schicksals mit mir geteilt hatten. Ich erzhlte Don Juan und Don Genaro, da ich mit jemandem einen Pakt geschlossen htte, gemeinsam zu sterben, und da meine Seele es nicht ertragen knne, allein zu scheiden. Wir alle sind allein, Carlitos, sagte Don Genaro sanft. Das ist unser menschlicher Zustand. Der Schmerz meiner Liebe zum Leben und zu den mir nahen Menschen prete mir die Kehle zu; ich weigerte mich, i h n e n Lebewohl zu sagen. Wir sind allein, sagte Don J u a n . Aber allein sterben heit nicht in Einsamkeit sterben. Seine Stimme klang gedmpft und trocken, fast wie H u s t e n . Pablito weinte leise. Dann stand er auf und sprach. Es war keine Ansprache, auch kein Bekenntnis. Mit k l a r e r Stimme dankte er Don Genaro und Don Juan fr ihre Freundlichkeit. Er wandte sich an Nestor und dankte ihm, da er ihm Gelegenheit gegeben hatte, sich seiner anzunehmen. Er wischte sich mit dem rmel ber die Augen. Wie wunderbar war es, in dieser schnen W elt zu sein! In dieser wunderbaren Zeit! rief er und seufzte. Seine Stimmung berwltigte mich. Falls ich nicht wiederkehre, dann bitte ich dich, als eine letzte Gunst denen zu helfen, die ihr Schicksal mit mir teilten, sagte er zu Don Genaro. Dann wandte er sich nach Westen, in die Richtung seines Zuhauses. Sein schlanker Krper verkrampfte sich unter Trnen. Mit ausgestreckten Armen, als ob er l i e f e , jemand zu umarmen, rannte er zum Rand der Mesa. Seine Lippen bewegten sich, er schien leise zu sprechen. Ich wandte mich ab. Ich wollte nicht hren, was Pablito sagte. Er kam zurck, wo wir saen, f i e l neben mir zu Boden und senkte den Kopf. Ich war unfhig, etwas zu sagen. Dann aber schien eine Kraft von auen die Oberhand zu gewinnen, die mich aufstehen lie, und ich uerte meinen Dank und meine Trauer.

Wieder waren wir still. Der Nordwind rauschte leise und blies mir ins Gesicht. Don Juan sah mich an. Nie hatte ich so viel Freundlichkeit in seinen Augen gesehen. Er sagte mir, da ein Krieger Lebewohl sage, indem er all denen danke, die Freundschaft und Sorge fr ihn empfinden, und da ich nicht nur ihnen meine Dankbarkeit aussprechen msse, sondern auch all denen, die fr mich gesorgt und mir auf meinem Weg geholfen htten. Ich wandte mich nach Nordwesten, in die Richtung von Los Angeles, und alle Sentimentalitt meiner Seele fl aus mir heraus. Welch eine reinigende Befreiung war es, meinen Dank auszusprechen! Ich setzte mich wieder. Niemand schaute mich an. Ein Krieger erkennt seinen Schmerz an, aber er lt sich nicht in ihm gehen, sagte Don Juan. Die Stimmung eines Kriegers, der in das Unbekannte eintritt, ist daher nicht Traurigkeit, im Gegenteil, er ist frhlich, weil er sich durch sein groes Glck begnadet fhlt, weil er darauf vertraut, da sein Geist makellos ist, und vor allem, weil er sich seiner Tchtigkeit bewut ist. Die Frhlichkeit eines Kriegers rhrt daher, da er sein Schicksal akzeptiert hat - und weil er sich aufrichtig auf das vorbereitet hat, was vor ihm liegt. Nun entstand eine lange Pause. Meine Traurigkeit erreichte den hchsten Punkt. Ich wollte irgend etwas tun, nur um mich von dieser Beklemmung zu befreien. Zeuge, bitte bettige deinen Geist-Fnger, sagte Don Genaro zu Nestor. Ich hrte das laute, lcherliche Gerusch von Nestors Apparat. Pablito wurde fast hysterisch vor Lachen, und hnlich erging es Don Juan und Don Genaro. Ich bemerkte einen sonderbaren Geruch, und dann wurde mir klar, da Nestor gefurzt hatte. Das wahnsinnig Komische daran war sein vllig ernster Gesichtsausdruck. Er hatte nicht zum Spa gefurzt, sondern weil er seinen Geist-Fnger nicht bei sich hatte. Er hatte versucht, behilflich zu sein, so gut er eben konnte. Alle lachten ausgelassen. Welch eine Fhigkeit hatten sie doch, sich aus den erhabendsten Situationen in die alleralbernsten zu versetzen.

Pltzlich sprach Pablito mich an. Er wollte wissen, ob ich ein Dichter sei, aber noch bevor ich auf seine Frage antworten konnte, reimte Don Genaro: Carlitos, der ist allerhand, halb ist er Dichter, halb Depp und Ignorant. Wieder platzten alle los vor Lachen. Na, das ist eine bessere Stimmung, sagte Don Juan. Und j e t z t , bevor Genaro und ich euch Lebewohl sagen, drft ihr zwei alles sagen, was euch g e f l l t . Es knnte das letzte Mal sein, da ihr ein Wort sagt - j e m a l s . Pablito schttelte verneinend den Kopf, aber ich hatte etwas zu sagen. Ich wollte meine Bewunderung, meine Ehrfurcht vor der hervorragenden Gesinnung von Don Juan und Don Genaros Kriegergeist zum Ausdruck bringen. Ich verhedderte mich in meinen Worten und sagte schlielich gar nichts. Oder noch schlimmer, es klang am Ende, als ob ich mich wieder beklagte. Don Juan schttelte den Kopf und schmatzte in gespielter Mibilligung mit den Lippen. Ich mute unwillkrlich lachen. Es machte mir aber nichts aus, da ich meine Chance vertan hatte, ihnen meine Bewunderung auszudrcken, denn auf einmal ergriff ein ganz eigenartiges Gefhl von mir Besitz. Ich empfand Heiterkeit und Freude, ein kstliches Freiheitsgefhl, das mich zum Lachen brachte. Ich sagte Don Juan und Don Genaro, da es mir ganz egal sei, wie meine Begegnung mit dem Unbekannten ausgehen werde, da ich mich glcklich und vollkommen fhlte und da es mir im Augenblick nichts ausmachte, ob ich lebte oder sterben wrde. Don Juan und Don Genaro schienen sich ber meine Behauptungen fast noch mehr zu freuen als ich selbst. Don Juan schlug sich lachend auf die Schenkel. Don Genaro warf seinen Hut auf den Boden und stie einen Schrei aus, als ob er auf einem wilden Pferd ritte. Wir haben uns vergngt und gelacht, whrend wir warteten, genau wie der Zeuge es empfohlen hat, sagte Don Genaro ganz pltzlich. Aber es ist eine natrliche Ordnung, da auch dies ein Ende hat. Er blickte zum Himmel. Es ist beinahe Zeit, da wir auseinandergehen, wie die

Krieger in der Geschichte, sagte er Aber bevor wir unsere getrennten Wege gehen, mu ich euch ein Letztes sagen. Ich werde euch ein Geheimnis des Kriegers enthllen. Vielleicht kann man es eine innere Wahl des Kriegers nennen. Er wandte sich besonders an mich und meinte, ich htte ihm einmal gesagt, da das Leben eines Kriegers kalt und einsam und leer an Gefhlen sei. Und er fgte hinzu, da ich wohl auch in diesem Augenblick davon berzeugt sei. Das Leben eines Kriegers kann unmglich kalt und einsam und gefhlsleer sein, sagte er, denn es grndet sich auf seine Liebe, seine Hingabe, seine Verehrung fr seine Geliebte. Und wer, wirst du fragen, ist seine Geliebte? Ich werde sie dir _ jetzt zeigen. Don Genaro stand auf und ging langsam zu einer vollkommen ebenen Stelle, drei, v i e r Meter vor uns. Dort machte er eine merkwrdige Gebrde. Er bewegte seine Hnde, als ob er Staub von seiner Brust und seinem Bauch fegte. Dann geschah etwas Seltsames. E i n B l i t z von beinahe unwahrnehmbarem Licht durchzuckte ihn. Er kam aus dem Boden und schien seinen ganzen Krper zu entznden. Er machte so etwas wie einen Salto rckwrts oder, genauer gesagt, einen Kopfsprung und landete auf Brust und Armen. Diese Bewegung fhrte er mit solcher Przision und Geschicklichkeit aus, da er mir wie ein gewichtsloses Wesen erschien, ein wurmartiges Geschpf, das sich um sich selbst gedreht hatte. Am Boden fhrte er dann eine Reihe bernatrlicher Bewegungen aus. Er schwebte ein paar Zentimeter ber dem Boden oder er rollte wie auf Kugellagern oder er schwamm darber hin, wobei er Kreise beschrieb und sich mit der Schnelligkeit und Beweglichkeit eines Aales im Meer wand. Irgendwann fingen meine Augen an zu schielen, und dann sah ich, ohne bergang, eine leuchtende Kugel wie ber die Flche eines Eisparketts hin- und hergleiten, auf der Tausende Lichter glitzerten. Es war ein erhabener Anblick. Dann blieb die Feuerkugel stehen und verharrte reglos. Eine Stimme schreckte mich auf und lenkte meine Aufmerksamkeit ab. Es war Don Juan, der sprach. Zuerst konnte ich nicht unterscheiden, was er sagte. Ich schaute wieder zu der Feuerkugel hin. Ich entdeckte nur

Don Genaro, der mit ausgebreiteten Armen und Beinen am Boden lag. Don Juans Stimme war sehr klar. Sie schien eine Reaktion in mir auszulsen, und ich fing an zu schreiben. Genaros Liebe ist die Welt, sagte er. Jetzt eben hat er diese gewaltige Erde umarmt, aber da er so winzig ist, kann er nur in ihr schwimmen. Aber die Erde wei, da Genaro sie liebt, und sie schenkt ihm ihre Frsorge. Deshalb ist Genaros Leben bis zum Rand e r f l l t , und sein Dasein, wie immer es sein mag, ist berflu. Genaro wandert auf den Pfaden seiner Liebe, und wo immer er ist, da ist er ganz und gar. Don Juan hockte sich vor uns. Zrtlich streichelte er den Boden. Dies ist die >Innere Wahl< zweier Krieger, sagte er. Diese Erde, diese Welt! Fr einen Krieger kann es keine grere Liebe geben. Don Genaro stand auf und hockte sich fr einen Augenblick lang neben Don Juan, whrenddessen sie uns fest in die Augen blickten, dann setzten sie sich gleichzeitig mit untergeschlagenen Beinen hin. Nur wenn man diese Erde mit unerschtterlicher Leidenschaft liebt, kann man sich von seiner Traurigkeit befreien, sagte Don Juan. Ein Krieger ist immer frhlich, weil seine Liebe unwandelbar ist und weil seine Geliebte, die Erde, ihn umarmt und ihn mit unvorstellbaren Gaben beschenkt. Die Traurigkeit ist nur bei denen, die gerade das hassen, was ihrem Dasein Obdach gibt. Wieder streichelte Don Juan den Boden voller Zrtlichkeit. Dieses liebliche Wesen, das bis in den letzten Winkel lebendig ist und jedes Gefhl versteht, besnftigte mich, es heilte mich von meinem Schmerz, und schlielich, als ich meine Liebe zu ihm ganz begriffen hatte, lehrte es mich Freiheit. Er machte ein Pause. Die Stille um uns war furchterregend. Der Wind rauschte leise, und dann hrte ich das ferne Bellen eines einsamen Hundes. Horcht auf dieses Bellen, fuhr Don Juan fort. Auf diese Weise will meine geliebte Erde mir helfen, euch noch dieses letzte nahezubringend. Dieses B e l l e n ist das Traurigste, was man hren kann.

Wir schwiegen eine Weile. Das Bellen _ jenes einsamen Hundes war so traurig und die Stimmung um uns her so intensiv, da mich ein betubender Schmerz b e f i e l . Ich mute an mein eigenes Leben denken, meine Traurigkeit, mein Nichtwissen, wohin, was tun. Das B e l l e n des Hundes ist die nchtliche Stimme eines Menschen, sagte Don J u a n . Sie kommt aus einem Haus in diesem Tal, gen Sden. Ein Mann schreit durch seinen Hund denn sie sind als Sklaven Gefhrten frs Leben - seine Traur i g k e i t , seine Langeweile hinaus. Er fleht seinen Tod an, zu kommen und ihn von den stumpfsinnigen, trostlosen Ketten seines Lebens zu b e f r e i e n . Don Juans Worte hatten einen schmerzenden Nerv in mir getroffen. Ich sprte, da er direkt zu mir sprach. Dieses B e l l e n , und die Einsamkeit, die es erzeugt, all das spricht von den Gefhlen der Menschen, fuhr er fort. Der Menschen, fr die das ganze Leben war wie ein gewisser Sonntagnachmittag, ein Nachmittag, der nicht gerade erbrmlich, aber h e i und stumpfsinnig und bedrckend war. Sie schwitzten und machten eine Menge Wirbel. Sie wuten nicht, wohin sie gehen, was sie tun sollten. Dieser Nachmittag hint e r l i e ihnen nur die Erinnerung an kleine rgernisse und Langeweile, und dann, pltzlich, war er vorbei. Schon war es Abend geworden. Ja, er erzhlte eine Geschichte wieder, die ich ihm einmal berichtet h a t t e ; von einem zweiundsiebzigjhrigen Mann, der sich beklagte, sein Leben sei so kurz gewesen, da er meinte, es sei erst gestern gewesen, als er ein kleiner Junge war. Er hatte mir gesagt: Ich erinnere mich noch an den Pyjama, den ich mit zehn Jahren trug. Es scheint erst einen Tag her. W o ist blo die Zeit geblieben? Und hier ist das Gegengift, das dieses Gift austreibt, sagte Don Juan und liebkoste den Boden. Die Erklrung der Zauberer kann den Geist berhaupt nicht befreien. Schaut euch an, i h r beide! Ihr habt die Erklrung der Zauberer vernommen, aber da ihr sie jetzt wit, ndert gar nichts. Ihr seid mehr a l l e i n denn j e , denn ohne eine unerschtterliche Liebe zu dem Wesen, das euch Schutz bietet, ist das Alleinsein Einsamkeit.

Nur die Liebe zu diesem strahlenden Wesen kann dem Geist eines Kriegers Freiheit geben, und Freiheit ist Freude, Tchtigkeit und Unerschrockenheit im Angesicht von Widrigkeiten. Dies ist die letzte Lektion. Sie wird stets fr den allerletzten Augenblick aufbewahrt, fr den Moment der uersten Einsamkeit, da ein Mann seinem Tod und seinem Alleinsein gegenbertritt. Erst dann versteht er. Don Juan und Don Genaro standen auf, reckten die Arme und krmmten den Rcken, als ob sie vom Sitzen steif geworden wren. Mein Herz schlug schneller. Sie hieen Pablito und mich aufstehen. Die Dmmerung ist der Spalt zwischen den Welten, sagte Don Juan. Sie ist die Pforte zum Unbekannten. Mit einer ausholenden Handbewegung wies er auf die Mesa, auf der wir standen. Dies ist die Schwelle vor jener Pforte. Dann deutete er zum nrdlichen Abbruch der Mesa. Dort ist die Pforte! Dahinter ist ein Abgrund, und jenseits dieses Abgrunds ist das Unbekannte. Dann wandten Don Juan und Don Genaro sich an Pablito und sagten ihm Lebewohl. Pablitos Augen waren weit geffnet und starr. Trnen liefen ihm ber die Wangen. Ich hrte Don Genaros Stimme mir Lebewohl sagen, aber Don Juans Stimme hrte ich nicht. Don Juan und Don Genaro traten auf Pablito zu und flsterten ihm kurz in die Ohren. Dann kamen sie zu mir. Aber noch bevor sie etwas flsterten, hatte ich schon jenes eigenartige Gefhl, gespalten zu sein. Jetzt werden wir wie Staub auf der Strae sein, sagte Don Genaro. Vielleicht fliegen wir euch wieder mal ins Auge, eines Tages. Don Juan und Don Genaro traten zurck und schienen mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Pablito hielt mich am Arm, und wir sagten einander Lebewohl. Dann lie ein seltsamer Zwang, eine Kraft, mich zum nrdlichen Rand der Mesa rennen. Ich sprte seinen Arm, der mich hielt, bis wir sprangen, und dann war ich allein.

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