Dohse - Und Meine Seele Spannte Weit Ihre Flügel Aus
Dohse - Und Meine Seele Spannte Weit Ihre Flügel Aus
Dohse - Und Meine Seele Spannte Weit Ihre Flügel Aus
SWEDENBORG-VERLAG ZÜRICH
© 1986 by Swedenborg-Verlag Zürich
Auflage 2007
Gesamtherstellung: Swedenborg-Verlag Zürich
Printed in Germany
ISBN-10: 3-85927-133-4
ISBN-13: 978-3-85927-133-3
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
WISSENSCHAFTLICHE ÜBERPRÜFUNG
AUSSERKÖRPERLICHEN ERLEBENS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Dr. Robert Crookall erforscht spontane Hinausversetzungen . . . 93
Ein Phantom steigt durchs Fenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Zwei Astralleiber geraten in Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 94
Der schwebende Astralleib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Die „Einfliegmethode“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Ergebnis der Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
EMANUEL SWEDENBORG –
MITTLER ZWISCHEN DIESSEITS UND JENSEITS . . . . . . 101
Ein einzigartiger Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Vom Endlichen zum Unendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Swedenborg wird Augenzeuge eines weit entfernten Brandes . 103
Auskunft durch einen Verstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Eine neue Lebensaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Die Sinne öffnen sich für eine geistige Welt . . . . . . . . . . . . . . . 108
Eigenart der Visionen Swedenborgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Gott und die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Der Mensch ist Bürger zweier Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Was im Menschen den Tod überdauert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Ähnlichkeiten der natürlichen und der geistigen Welt . . . . . . . . 114
Die Stufen des Sterbens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Das innere Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
In der Geisterwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
6
Der Zustand des Auswendigen bzw. des Inwendigen . . . . . . . . 118
Der Zustand der Zubereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Der menschliche Ursprung von Himmel und Hölle . . . . . . . . . . 121
Wer kommt in den Himmel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Himmlische Freude und Glückseligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Wesen und Ursprung der Hölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Qualen und Strafen in der Hölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Rückbesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Zweifel und Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..129
Ist Swedenborg ein Fall für die Psychiatrie? . . . . . . . . . . . . . . . 131
Die Religiöse Bedeutung Swedenborgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
SCHLUSSBETRACHTUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Grunderkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Religiöse Bedeutung außerkörperlicher Erfahrungen . . . . . . . . 139
Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
7
VORWORT
Es war Friederike Hauffe, die durch ein Buch des Arztes und Dichters
Dr. Justinus Kerner weithin bekannt wurde. Dieses Buch erschien
1829 bei Cotta in Stuttgart und erregte größtes Aufsehen, so daß es
schnell mehrere Auflagen nacheinander erlebte. Sein voller Titel lau-
tet „Die Seherin von Prevorst – Eröffnungen über das innere Leben
des Menschen und über das Hereinragen einer Geisterwelt in die un-
sere“. Prevorst ist der Geburtsort der Seherin, deren Mädchenname
Friederike Wanner war. Das Interesse für die hier behandelten Fragen
war bereits durch Mesmers „animalischen Magnetismus“ geweckt
worden. So bildete sich schon bald nach dem Erscheinen des Buches
10
ein mystischer Kreis, dessen Sprachrohr die Zeitschrift „Blätter aus
Prevorst“ (1831-1839) wurde.
Indessen hat das Buch nicht nur höchste Anerkennung, sondern
auch größten Widerspruch erfahren. Vor allem war es der Vorwurf
kritikloser Leichtgläubigkeit, den man erhob. Im übrigen wurde der
Fall als derjenige einer schwer psychopathischen Patientin, einer Gei-
steskranken, abgetan. Dies gilt auch noch für die Gegenwart, sogar
für die sich diesen Fragen widmende Fachwissenschaft. So heißt es
z.B. im „Lexikon der Parapsychologie“ von Bonin: „H. ging 1829
durch Kerner als die ,Seherin von Prevorst‘ (Prevorst ist ein Orts-
teil des Württemberg. Oberstenfeld) in die Literatur ein; sie verdankt
diese Bezeichnung Gesichten und Phantasien, die Kerner für echte
Offenbarungen einer überirdischen Geisterwelt hielt, in denen die
heutige Wissenschaft aber nur die Phantasien einer Kranken sieht“.
Wir haben zu prüfen, ob eine solche pauschale Abwertung die-
sem Phänomen gerecht wird. Es muß sich dann erweisen, ob hier die
Berufung auf „die heutige Wissenschaft“ begründet ist und nicht etwa
aus einer weltanschaulichen Voreinstellung erwächst, letztlich also
höchst unwissenschaftlich ist. Um sachlich diesen Fall beurteilen zu
können, ist seine gründliche Analyse erforderlich. Wichtig ist hierbei
zunächst die Person des Berichterstatters. Hat sich Justinus Kerner
hier als Dichter oder als Wissenschaftler betätigt? Kommt ihm die
Einschätzung zu, die Freiherr Carl du Prel ihm für die Zukunft vor-
ausgesagt hat? Sie lautet: „Es mag vielleicht eine Zeit kommen, wie
Kerner selbst es ausgesprochen, da der Dichter und Arzt vergessen
sein werden, aber dann erst recht wird Kerners Name mit dem der
Seherin von Prevorst immer zusammen gedacht und genannt werden;
denn jeder, der den mystischen Seiten des Seelenlebens sein Interesse
zuwendet, wird diese Seherin zu den merkwürdigsten Wesen zählen,
und der Biograph derselben wird sicherlich niemals vergessen wer-
den“.
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Justinus Kerner – der Mensch und sein Werk
Was hat nun Friederike Hauffe „mit dem geistigen Auge durch das
fleischliche“ gesehen, wenn „dieses unglückselige Schauen“, das ihr
ganz zuwider war, über sie kam? Unter welchen Bedingungen er-
langte sie Zugang zu einer Geisterwelt?
Über ihren seelischen Zustand beim Geistersehen berichtet sie:
„Während ich die Geister sehe und sie mit mir sprechen, sehe und
höre ich auch andere Gegenstände, die sonst um mich sind, vermag
auch alles andre zu denken, aber meine Augen sind doch wie an ihr
Bild gebannt (fixiert), so daß es mir schwer fällt, mich von ihnen mit
den Augen zu wenden, ob ich es gleichwohl zu tun imstande bin; ich
komme mit ihnen wie in magnetischen Rapport“.
Frau Hauffe sieht die Geister in einer Gestalt, wie sie wohl im
Leben gewesen sind, aber meist farblos, grau. Dies gilt auch für ihre
Kleidung. Bemerkenswert ist, daß sie in ihrem Erscheinungsbild die
Auswirkung geistig-sittlicher Unterschiede erkennt. Die besseren
Geister erscheinen heller und haben auch eine andere Bekleidung: ein
langes helles Faltengewand. Auch die Art der Bewegung ist verschie-
den: Ihr Gang ist wie derjenige Lebender; doch ist es bei den helleren
Geistern mehr ein Schweben, wogegen die dunkleren, böseren Gei-
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ster schwer auftreten. Diese machen sich auch akustisch viel stärker
bemerkbar – bis hin zu spukähnlichen Erscheinungen.
Diese dunkleren, noch sehr erdgebundenen Geister sind es
zumeist, die sich in einer seelischen Not um Hilfe an das Medium
wenden, weil sie dieses sehen und fühlen. Mehr als die Schlechtig-
keit ihres ganzen Lebens belastet diese Geistwesen oft eine einzelne
hervorspringende Untat oder irgendeine wichtige Angelegenheit, die
nicht geregelt worden ist. Eine Hilfe sind diesen Geistern bereits ein
Gebet und religiöse Worte, die sie geradezu in sich aufsaugen. Ihre
Besserung wird durch zunehmendes Hellerwerden erkennbar.
Frau Hauffes Verkehr mit der Geisterwelt beschränkt sich
vor wiegend auf die unteren Stufen des Geisterreichs, auf das so-
genannte Zwischenreich, wo noch eine starke Erdgebundenheit
besteht. Ihr fällt auf, daß in der anderen Welt die wahre Grund-
neigung unverhüllt zum Vorschein kommt, daß jedes Laster und
Verbrechen in seiner Nacktheit offenbar wird. Der Geist bleibt fer-
ner zunächst mit dem verhaftet, woran im Leben sein Herz gehan-
gen hat, und es ist ihm eine Pein, sich von seinen alten Neigungen
nicht losmachen zu können, weil ihm zum Genuß des Irdischen
sein fleischlicher Körper fehlt. Sie spürt die Wirksamkeit geisti-
ger Anziehungskräfte, die zur Vereinigung einander verwandter
Seelen und damit zugleich zur Trennung der guten von den bösen
Geistern führt. Dadurch werden die Möglichkeiten der jenseitigen
Höherentwicklung böser Geister stark eingeengt; denn es fällt die-
sen unendlich schwer, sich aus eigener Kraft emporzuhelfen, weil
sie von den Guten nichts mehr lernen und absehen können. Es gibt
aber auch hier Möglichkeiten seelsorgerischer Hilfe, auch durch
ein Medium.
Zwei Fragen
Zu 1: Zur Frage der Quelle des Wissens haben die näheren Umstände
eindeutig ergeben, daß die hier bedeutsamen Kenntnisse auf norma-
lem Wege nicht erworben wurden. Auch Telepathie scheidet weitge-
hend aus. Dies gilt vor allem für die grundlegenden Mitteilungen
über das so wichtige Aktenblatt: über seinen Aufbewahrungsort, sein
Aussehen und seinen Inhalt. Hier ist niemand zu ermitteln, dessen
Wissen hätte abgezapft werden können, zumal die Eröffnung des
Konkursverfahrens schon sieben Jahre zurücklag und niemand mehr
darüber sprach, ferner gerade diese Akte überhaupt nicht bei den Ver-
handlungen berücksichtigt wurde und daher auch dem Richter nicht
bekannt war.
Hier drängt sich geradezu als einzig mögliche Erklärung die
Annahme auf, daß Frau Hauffe mit einem Teil ihrer Seele den be-
treffenden Ort wirklich aufgesucht und sich mit geistigen Augen dort
umgesehen hat. Telepathie kann hier höchstens im Sinne einer ge-
danklichen Verbindung mit dem Geist des Verstorbenen im Spiele
gewesen sein.
32
Zu 2: Hinsichtlich der Motivation scheiden betrügerische Absichten
von vornherein aus. Solche würden vor allem zu den persönlichen
Umständen, zum Charakter Frau Hauffes und zu ihrer sittlichen
und religiösen Grundhaltung in krassem Widerspruch stehen. Ker-
ner zitiert hierzu Eschenmayers Verteidigung des Mediums gegen
„Angriffe gelehrter Herren“: „Wie mag man annehmen, daß eine
Person, deren Geschichte von nichts als von körperlichen Leiden und
harten Prüfungen zeugt, und welche die gewissen Ahnungen ihres
Todes so deutlich ausspricht, alle die guten Gesinnungen erheuchle
und einen so schnöden Betrug mit in das Grab nehmen möge, wovon
ja nicht der mindeste zeitliche Vorteil, wohl aber ein ewiger Nach-
teil vorauszusehen ist – einen Betrug, gegen dessen Folgen für das
andre Leben die Seherin mit solcher Stärke selbst predigte? Ich muß
gestehen, daß schon die Annahme solcher Widersprüche, nach mei-
nem Sinne, eine unmoralische Seite darbietet, und es mag sehr im
Zweifel sein, ob nicht der Beschuldiger mehr dabei verliert als der
Beschuldigte. Der Fernstehende kann überhaupt hier nicht richtig
urteilen, denn die Geschichte der Seherin ist nur ein matter Abriß
von dem, was sie ihren Freunden im Umgange und im Leben selbst
darbot. Man mußte mit ihr in die Tiefe ihres Gefühlslebens, sowie
in die Höhe ihrer geistigen Anschauungen selbst eingegangen sein,
um den Sinn der Wahrheit, der sich darin aussprach, nicht mehr zu
verkennen. Die Verklärung, in der ihre Freunde sie oft sahen, duldet
keine Heuchelei . . .“
Auch der geschädigte Inhaber der Weinhandlung, der Kameral-
verwalter Fezer, der ursprünglich nicht an solche Erscheinungen
glaubte, sich dann aber als Augen- und Ohrenzeuge von der Abwe-
senheit jeglicher Täuschung vergewissern konnte, bestätigt in einer
hierzu abgegebenen Erklärung, „daß der Seherin zur Auffindung die-
ses Blattes von keiner Seite her eine Veranlassung gegeben wurde,
und dies um so mehr, als ich mir keinen Menschen denken kann, der
außer mir ein Interesse daran hätte nehmen können. So unbegreiflich
auch diese Tatsache jedem erscheinen kann und muß, so bin ich doch
überzeugt, daß sie nicht widerlegt werden kann“.
Als entscheidendes Motiv ergibt sich also ein sittlich-religiöses:
Es ging darum, die Witwe im Interesse ihres Seelenheils zu war-
nen, „keinen Manifestationseid zur Verhehlung des Geheimbuchs zu
schwören“. Verständlich wird dieses ganze Geschehen nur durch die
Annahme, daß in der Tat der Geist des verstorbenen K. als drängende
Kraft hinter all diesem gestanden und in Frau Hauffe ein Medium
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gefunden hat, mit dessen Hilfe er sein Anliegen zum Ausdruck und
zur Verwirklichung bringen konnte.
Ganz allgemein zeigt sich, daß es sich bei Friederike Hauffe um eine
angeborene Anlage handelt, die sich schon in ihrer Kindheit in Form
von Ahnungen äußerte, deren Entfaltung jedoch auch durch Umwelt-
einflüsse begünstigt wurde, da in ihrer Heimat die Gabe der außer-
sinnlichen Wahrnehmung sehr verbreitet war und daher nicht allzu-
sehr auffiel. Überdies ist charakteristisch, daß hier eine vielseitige
Medialität vorliegt, die alle Nachtseiten der Seele vereinigt.
Als grundlegend erscheint das, was im Anschluß an Mesmer
als Magnetismus bezeichnet wird. Gemeint ist damit die besondere
Empfänglichkeit Friederike Hauffes für eine das ganze Weltall und
alle Lebensformen durchdringende und verbindende Kraft, deren
Träger ein Stoff von unvergleichlicher Feinheit ist. Wenn Kerner
jedoch in diesem Zusammenhange von magnetischem Schlaf und
von Somnambulismus spricht, so weicht dies von dem gegenwär-
tig üblichen Sprachgebrauch ab; denn Friederike Hauffe war keine
Schlafwandlerin. Die seelische Verfassung, in der ihr Paraphä-
nomene bewußt wurden, war vielmehr eine solche, die wir heute
als Trance bezeichnen: ein schlafartiger Zustand herabgesetzten
Bewußtseins, in dem sie jedoch noch so weit wach war, daß sie
ansprechbar war sowie sprechen und schreiben konnte, ohne sich
indessen an die betreffenden Inhalte im vollen Wachzustand zu er-
innern. Kerner spricht in diesem Sinne auch vom „schlafwachen“
Zustand.
Dieser Magnetismus hatte für Friederike Hauffe zugleich eine
besondere gesundheitliche Bedeutung, indem ein offenbar bei ihr
bestehender Mangel an Lebenskraft durch Zufuhr derselben durch
magnetische Striche oder auch schon durch die bloße Nähe einer
kraftgeladenen Person ausgeglichen werden konnte.
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Verbunden war hiermit eine höchste Sensibilität für Strahlungen
aller Art, die von Pflanzen, Tieren, Metallen und Mineralien ausge-
sandt werden. Es äußerte sich dies als ein Hellfühlen, das sich auch
auf den eigenen Körper bezog und sie befähigte, ihren körperlichen
Zustand, Krankheitsherde und drohende Gefahren für Leib und Le-
ben zu erkennen, zugleich aber auch geeignete Heil- und Hilfsmittel
zu bestimmen und sich selbst zu verordnen.
Die alles überragende mediale Gabe jedoch war diejenige des
Hellsehens. Dies äußerte sich einmal als räumliches Hellsehen, als
außersinnliche Wahrnehmung von Räumlichkeiten, Gegenständen,
Personen und Vorgängen an entfernten Orten, sodann als zeitliches
Hellsehen, als „Präkognition“ in Form des Zweiten Gesichtes, als
symbolische Vorausschau des Todes nahestehender Personen, zuletzt
auch des eigenen Todes.
Die bedeutendste Form des Hellsehens indessen, die in erster Li-
nie dem Medium den Namen „Seherin von Prevorst“ verschafft hat,
war das Geistersehen, das sie gegen ihren Willen und zu ihrem gro-
ßen Leidwesen überfiel. Wesentlich ist, daß dieses Wahrnehmen von
Geistern nicht nur ein völlig passives, erschreckendes Erleben war,
sondern eine beiderseitige aktive Begegnung, bei der Impulse von
diesen Geistwesen in Gestalt eines dringenden Anliegens ausgingen,
umgekehrt aber auch versucht wurde, Hilfe zu leisten. Diese reichte
von der Ermittlung wichtiger Sachverhalte bis zur seelsorgerischen
Förderung durch Zuspruch und Gebet.
Darüber hinaus war Friederike Hauffe auch fähig zur magi-
schen Einwirkung auf Geister, indem sie von Geistern beunruhigten
Personen auf deren Bitten half, durch bestimmte Amulette und Worte
jene zu vertreiben. Im übrigen war ihr auch sonst die Anwendung
magischer Sympathiemittel vertraut.
Von größter Bedeutung ist, daß alle diese Fähigkeiten unbeein-
flußt von irgendwelchen angelesenen Theorien in Erscheinung traten.
Auch Erklärungsversuche erfolgten allein mit Hilfe eigenen Nachden-
kens. Das dabei gezeigte Niveau ist erstaunlich, da Friederike Hauffe
nur eine einfache Bildung besaß und keinerlei Bücher las außer der
Heiligen Schrift. Daher muß ihre Medialität als ein ursprüngliches
Phänomen gewertet werden, das von ihr selbst als schicksalhaft, als
ein auferlegtes Kreuz, an dem sie schwer trug, empfunden wurde.
Der Umstand, daß Ausdehnung und Stärke des medialen Erle-
bens in dem Maße zunahmen wie die mannigfachen körperlichen Lei-
den, die in wenigen Jahren zum Tode führten, läßt hier einen Zusam-
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menhang vermuten: Begünstigt ein solches Leiden eine Lockerung des
Leib-Seele-Gefüges, die es einem psychischen Wesensteil schon wäh-
rend des irdischen Lebens möglich macht, den Körper zeitweise zu ver-
lassen und in andere Bereiche vorzudringen, die dem Erdenbewohner
in der Regel verschlossen sind, die sonst erst nach dem Tode zugäng-
lich werden? Ist dieser Schwebezustand zwischen Leben und Sterben,
in dem sich Friederike Hauffe nach dem Urteil ihres Arztes befand, die
Hauptursache für die hier in Erscheinung getretene Sehergabe?
Wirft dies zugleich ein Licht auf die entgegengesetzte Frage,
warum denn die meisten Menschen keine übersinnlichen Erlebnisse
haben? Liegt dies vielleicht gerade an ihrer Gesundheit, an dem bei
ihnen festgefügten Zusammenhang von Leib und Seele? Besteht hier
eine vorprogrammierte biologische Sperre, die den Lebenden nöti-
gen soll, sich unvoreingenommen ganz den Aufgaben des diesseitigen
Lebens im Rahmen der hier geltenden Gesetze zu widmen, mit einer
Einstellung, als sei dies das einzige, erstmalige und unwiderbringliche?
Warum aber dann unser ständiges Grübeln über ein Woher und
Wohin? Liegt das daran, daß wir eben nicht nur Leib und Seele sind,
sondern auch G e i s t ? Ist es dieser Geist, der um seine eigentliche
Heimat weiß, dessen Wissen aber tief ins Unterbewußtsein verdrängt
ist? Ist es dieser Geist, der immer wieder aus dem Dunkel ans Licht
strebt, der uns rastlos nach dem W e s e n der Dinge und nach dem
S i n n des Lebens fragen läßt und der in übersinnlichen Erfahrungen
die uns hier gesetzten Schranken durchbricht?
So fragen wir denn auch nach den Folgerungen, die sich aus dem
medialen Erleben der Seherin für unser Weltbild ergeben.
Weltanschauliche Folgerungen
Justinus Kerner
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Seltsame Erlebnisse, über die man ungern spricht
Nichts ist gewisser als der Tod, und doch gilt nichts als ungewisser,
was er eigentlich ist und was nach ihm sein wird. Ist dies wirklich
so? Fällt nicht manchmal ein Lichtstrahl durch das ein wenig geöff-
nete Tor des Todes? Jedenfalls erwecken Grenzerfahrungen, über die
in neuester Zeit immer häufiger berichtet wird, diesen Eindruck. Es
sind die Erlebnisse von Menschen, die durch Unfall oder Krankheit
an den Rand des Todes gerieten, nach ärztlicher Auffassung als kli-
nisch tot galten, jedoch mit Hilfe moderner medizinischer Techniken
wieder ins Leben zurückgerufen werden konnten.
Voraussetzung dafür, daß solche Todesnähe-Erlebnisse An-
stöße zum Nachdenken werden konnten, war indessen die Durch-
brechung eines Tabus: des Schweigens über solche Begegnungen mit
dem Tode. Wurde hier doch so viel Unerwartetes und unglaublich
Erscheinendes wahrgenommen, daß durchweg eine verständliche
Scheu verhinderte, so etwas anderen Menschen mitzuteilen; denn
man wollte nicht als „verrückt“ gelten. Es gehörte daher Mut dazu,
von solchen Erlebnissen öffentlich zu berichten, und dies geschah
darum auch nur ganz vereinzelt.
Besondere Bedeutung gewann der 1973 zum ersten Mal
veröffentlichte Bericht des Zürcher Diplom-Architekten Stefan von
Jankovich über seine Erlebnisse nach einem am 16. September 1964
auf der Straße nach Bellinzona erlittenen Autounfall. Auch er, der es
sich aus geschäftlichen Gründen nicht leisten konnte, als „Spinner“
in Verruf zu geraten, brauchte etliche Jahre, ehe er es wagte, in der
Januar- und Februar-Ausgabe 1973 der Zeitschrift „Esotera“ darüber
zu berichten. Er tat dies unter dem Titel „Mein schönstes Erlebnis
war mein Tod“. Im September 1978 hat er dann auf dem VII. „Imago
Mundi“ -Kongreß in Innsbruck in einem Seminar über seine Erfah-
rungen während des klinisch-toten Zustandes gesprochen.
Erst nachträglich, nachdem inzwischen viele derartige Fälle
bekannt geworden sind, ergibt der Vergleich, daß v. Jankovich ein
geradezu „klassisch“ zu nennendes Sterbe-Erlebnis geschildert hat,
da es wesentliche Gestaltelemente enthält, die für diesen Zustand ty-
pisch sind. Verfolgen wir daher den Ablauf des von ihm berichteten
Geschehens!
Jankovich vergleicht das Erlebte mit einer Theatervorstellung,
die mehrere Aufzüge umfaßt. Die 1. Phase war das Bewußtwerden
des Sterbens. Das erste, was er fühlte, war die Freiheit von einem
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beängstigenden, bedrückenden, eingeengten Zustand. Er spürte, daß
er nun sterbe, war aber erstaunt darüber, daß er dies keineswegs als
unangenehm empfand. Im Gegenteil: Er fühlte sich geradezu erlöst
und glücklich. Wie ein fremder Zuschauer beobachtete er neugierig,
wie dieser Sterbevorgang weitergehen würde. Jankovich berichtet:
„Ich fühlte, daß ich schwebte und hörte gleichzeitig wunder-
schöne Klänge. Zu diesen Klängen nahm ich dazugehörende harmoni-
sche Formen, Bewegungen und Farben wahr. Irgendwie hatte ich
das Gefühl, daß ich gerufen, geleitet wurde in einen anderen Exi-
stenzbereich, wo ich nun als Neuling eintreten durfte. Doch ich sah
niemanden. Ein göttlicher Friede und eine noch nie wahrgenommene
Harmonie erfüllten mein Bewußtsein…“
Als 2. Phase folgte die Beobachtung des eigenen Todes:
Der Verunglückte schwebte zur Unfallstelle und sah dort seinen
schwerverletzten, leblosen Körper liegen, ganz genau in derselben
Lage, wie er das später von den Ärzten und Polizeiberichten erfuhr.
Er sah die ganze Szene gleichzeitig von mehreren Seiten. Ganz deut-
lich sah er auch den beschädigten Wagen und die Leute, die rings
um die Unfallstelle standen, sogar die Kolonne, die sich hinter den
herumstehenden Menschen aufgestaut hatte.
Aufmerksam beobachtete er einen kleinen, etwa 55-jährigen
Mann, der versuchte, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Er konnte
genau hören, was die Leute untereinander sprachen, d.h. eigentlich
„hörte“ er es nicht. Vielmehr nahm er es offenbar durch eine Art
Gedankenübertragung wahr. Er sah, daß die Glieder seines Körpers
gebrochen waren und daß sich rechts von diesem eine Blutlache aus-
breitete. Er beobachtete alle Maßnahmen des untersuchenden Arztes.
Als dieser feststellte, daß auch die Rippen gebrochen waren, vernahm
er dessen Bemerkung: „Ich kann keine Herzmassage machen“. Nach
einigen Minuten stand er auf und sagte: „Es geht nicht, man kann
nichts machen, er ist tot“.
Man wartete auf den Leichenwagen. Jankovich fand dies alles
sehr komisch, wußte er doch, daß er l e b t , lag doch unten n u r sein
ehemaliger Körper. Er wollte den Leuten „von oben“ zurufen: „Hallo,
ich bin hier, ich lebe! Laßt den Körper, wie er ist. Ich lebe! Ich fühle
mich wohl …“ Aber sie verstanden ihn nicht, und er konnte keinen
Ton von sich geben. Anschließend sah er einen schlanken jüngeren
Mann in schwarzen Badehosen – wegen der großen Hitze – auf ihn
zurennen. Er trug eine kleine Tasche in der Hand, war offensichtlich
auch ein Arzt. Nach einem kurzen Wortwechsel mit seinem Kollegen
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untersuchte er gleichfalls den Verunglückten und gab ihm dann eine
Adrenalinspritze in die Herzkammer.
Danach wandte sich Jankovich vom Unfall ab, da er ihn nicht
weiter interessierte. Er „flog“ von der Unfallstelle weg und kam durch
eine Landschaft mit wunderschönen, beruhigenden und harmoni-
schen Farben und Tönen. Er flog in Richtung auf eine Sonne, die
immer lichter und pulsierender wurde.
Nun erlebte er die 3. Phase seines „Sterbens“. Es war „vierdi-
mensionales Theaterstück, das sich aus unzähligen Bildern zusam-
mensetzte“ und Szenen aus Jakovichs Leben wiedergab. Es war der
Ablauf des Lebensfilms, bestehend aus etwa 2000 Bildern, verbun-
den mit einem Urteil über das geführte Leben:
„Jede Szene war abgerundet, d.h. mit einem Anfang und einem
Ende. Aber die Reihenfolge war umgekehrt. Der Regisseur hat seltsa-
merweise das ganze Theaterstück so zusammengestellt, daß ich die
letzte Szene meines Lebens, d.h. meinen Tod auf der Straße nach
Bellinzona, zuerst sah, während die letzte Szene dieser Vorstellung
mein erstes Erlebnis war, nämlich meine Geburt …
Alle Szenen sah ich so, daß ich nicht nur Hauptdarsteller, son-
dern zugleich auch Beobachter war. Mit anderen Worten: Es hat sich
ungefähr so abgespielt, als ob ich über dem ganzen Geschehen im
vier- oder mehrdimensionalen Raum geschwebt und von oben, von
unten und von allen Seiten gleichzeitig das ganze Geschehen mit-
erlebt hätte. Ich schwebte über mir selbst. Ich betrachtete mich von
allen Seiten und hörte zu, was ich selber sagte. Ich registrierte mit
allen meinen Sinnesorganen, was ich sah, hörte, spürte und auch,
was ich gedacht hatte. Auch die Gedanken wurden irgendwie eine
Wirklichkeit.
Meine Seele bzw. mein Gewissen war ein ganz sensibles Gerät.
Es wertete mein Handeln und meine Gedanken sofort aus und beur-
teilte mich selbst, ob diese oder jene Tat gut oder schlecht gewesen
war“. Als wichtig erkannte Jankovich später beim Nachdenken über
diesen Vorgang: Das Urteil wurde nicht durch einen außenstehenden
Richter, sondern durch eine innere Stimme gefällt, und die Maßstäbe
für die Beurteilung entsprachen nicht immer den gewohnten Vorstellun-
gen. So wurden z.B. Taten, die er für gut hielt, ungünstig bewertet, weil
selbstsüchtige Beweggründe dabei eine Rolle gespielt hatten.
Der Lebensfilm schloß ab mit einem Urteil, das Jankovich selbst
über sein Leben fällte. Dann überflutete ihn noch einmal das glücklich-
machende Licht, und er vernahm eine wundervolle Sphärenmusik.
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Alles war Musik, alles war Schwingung. Was er hier als Sonne
sah, war eher „eine sonnenartige, wunderschöne, warme lichterfüllte
Erscheinung“. Er empfand diese als die Quelle aller bewegenden
Kräfte, als Ursprung aller Erscheinungsformen, als Ausdruck des
göttlichen Prinzips.
Er fühlte sich immer wohler. Plötzlich aber geschah etwas
Schreckliches: „Ich fiel in die schwarze Tiefe hinunter, und mit ei-
nem unheimlichen ,Ruck‘ und ,Schock‘ schlüpfte ich in meinen
schwerverletzten Körper zurück. Ich kam wieder zum Wachbewußt-
sein. Ich wurde mit Gewalt (durch die Kunst eines guten Arztes) zu-
rückgeholt. Dadurch hat meine Leidensgeschichte wieder begonnen.
Seit dieser Zeit pflege ich ironisch zu sagen: ,Das schönste Erlebnis
meines Lebens war mein Tod‘, oder anders ausgedrückt: ,Ich war
noch nie so glücklich in meinem Leben wie in meinem Tod‘, wobei
das Wort ,Tod‘ in Anführungszeichen stehen muß, denn es war ja
erst der klinisch-tote Zustand. Aber damals habe ich alles als echtes
Todeserlebnis wahrgenommen und registriert“.
Typisch für solche Todesnähe-Erlebnisse ist auch ihre das weitere
Leben grundlegend verwandelnde und vertiefende Wirkung. Äußerlich
zeigt sich dies bei Jankovich durch bestimmte Liebhabereien für die Ge-
staltung seiner Freizeit. So hat er sich z.B. der Glasmalerei zugewandt,
weil ihn die kristallfarbenen Farben des Glasmaterials an die wunder-
schönen Farberscheinungen erinnern, die er in seinem Grenzzustand
gesehen hat. Ebenso hat ihn der schwerelose Zustand des Schwebens
so stark beeindruckt, daß er nach seiner Genesung in einer Schweizer
Pilotenschule den Privatpilotenschein erwarb und nun, wenn es die
Zeit erlaubt, hoch über die in Nebel gehüllten Täler und über die wei-
ßen Berggipfel in Südrichtung fliegt, bis zum Mittelmeer.
Vor allem aber hat er jahrelang über das Erlebte nachgedacht.
Die wichtigsten Erkenntnisse, zu denen er hierbei gelangt ist, sind
diese:
1. Der Mensch besteht aus einem materiellen und einem nicht ma-
teriellen Bestandteil, die sich beim Sterben voneinander lösen.
2. Der nicht materielle Bestandteil des Menschen ist Träger des
Ich-Bewußtseins mit allen Eigenschaften einer Persönlichkeit.
3. Dieses Ich-Bewußtsein kann ohne den fleischlichen Körper oder
außerhalb desselben bestehen, sinnlich wahrnehmen und Ent-
scheidungen treffen.
48
4. Der Tod ist kein Ende dieses Ich-Bewußtseins, sondern nur eine
Umwandlung – die Befreiung von materiellen Hemmnissen des
Körpers. Er ist der Übergang in eine andere, nicht materielle Welt
mit einem anderen Schwingungszustand.
5. Das innere Gericht im Zusammenhang mit dem Lebensfilm macht
deutlich: das ganze Leben ist eine Probe, voll von Aufgaben, Hin-
dernissen und Hürden. Es kommt darauf an, die sich hieraus er-
gebenden Probleme im Sinne der Harmonie zu lösen. Jankovich
bekennt: „Gelang mir das in meinem Lebensfilm, so verspürte ich
große Freude. Gelang es mir nicht, so verspürte ich tiefes Bedau-
ern über mein Versagen. Aber durch echte Reue öffnete sich die
Tür der göttlichen Vergebung …“
6. Er weiß jetzt auch um die Grenzen des auf Erden zu erreichenden
Glücks: „Im Grunde genommen kann das Leben auf dieser ma-
teriellen Raum-Zeit-Welt nicht das absolute Glück bieten, das wir
suchen. Trotzdem müssen wir das Leben bejahen … Letztes Glück
kann man freilich nicht hier, sondern erst in einer Welt anderer
Zustände erwarten“.
7. Als Lebensaufgabe erkennt er: „Wir sollen nur Positives, Auf-
bauendes anstreben, was unserer Entwicklung dient und die Fülle
mehrt, was rings um uns Gutes, Positives ausstrahlt und Freude
schafft … Alles, was aus Liebe entspringt und Freude bereitet, ist
positiv … Wir sollen bewußt die Schönheit des Lebens in jeder
Lage, in jedem Alter erkennen. Mit anderen Worten, wir sollen
das Leben bejahen und nicht beklagen. Auch nicht die Probleme,
Schwierigkeiten, Schmerzen, Krankheiten usw. ablehnen! All dies
hat auch positive charakterentwickelnde Seiten …“
49
Ein junger Arzt hat Mut
Der Bericht v. Jankovichs über sein Sterbe-Erlebnis mit den daran ge-
knüpften weltanschaulichen Überlegungen bezeichnete eine Wende
in der Auffassung vom an sich so gefürchteten Sterben. Ist Sterben in
Wirklichkeit schön? Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls Berichte,
die nunmehr in immer größerer Zahl an die Öffentlichkeit dringen.
Zeitschriften aller Art und auch die Tagespresse nehmen sich dieses
Themas an.
Daß erst in neuester Zeit eine wachsende Zahl von Berichten
über Erlebnisse während des klinischen Todes an die Öffentlichkeit
gelangen, ist vor allem bedingt durch die Fortschritte der Intensiv-
medizin, die immer häufiger eine Wiederbelebung möglich machen.
Es konnte nicht ausbleiben, daß diese erstaunlichen Mitteilungen
über das während des Herzstillstandes Erlebte eine wissenschaft-
liche Erforschung dieses rätselhaften Phänomens verlangte. Einer
der ersten Wissenschaftler, die diese Notwendigkeit erkannten, war
Dr. Raymond A. Moody.
Der bis dahin völlig unbekannte, 1945 geborene amerikanische
Arzt veröffentlichte 1975 in einem unbedeutenden Verlag in Atlanta
(USA) ein kleines Buch unter dem Titel „Life after Life“ (Leben nach
dem Leben), das 1977 im Rowohlt-Verlag (Reinbeck bei Hamburg)
in deutscher Übersetzung erschien und hier den weniger treffenden
Titel „Leben nach dem Tod“ erhielt. Dieses Buch wurde in kurzer
Zeit zu einem internationalen Bestseller.
Wie war das möglich? Hier war mit Mut, Unvoreingenommen-
heit und Klarheit der Überschau ein Thema behandelt worden, das
vorher kaum beachtet oder aber als Kuriosum abgetan worden war.
Die in diesem Ausmaß unerwartete Resonanz dieser Untersuchung
löste eine Flut von weiteren Veröffentlichungen aus.
Es gelang Dr. Moody, 150 Fälle von Sterbe-Erfahrungen aus-
findig zu machen, die nicht nur Berichte wiederbelebter klinisch
Toter um faßten, sondern auch Erfahrungen von Menschen, die in-
folge von Unfällen, schweren Verletzungen oder Krankheiten an
den Rand des Todes gerieten, sowie letzte Eindrücke von Sterben-
den, die diese vor ih rem Tode Anwesenden mitgeteilt hatten. Das
Hauptinteresse galt jedoch der ersten Gruppe, weil diese Erlebnisse
weitaus dramatischer waren als nur flüchtige Berührungen mit dem
Tode, vor allem aber, weil sie eingehende Interviews mit den Be-
troffenen selbst erlaubten.
50
Typischer Ablauf des Todesnähe-Erlebens
Die Umkehr ist durchweg eine solche im doppelten Sinne: Es ist nicht
nur ein Zurückgleiten in den physischen Körper und damit in das
irdische Leben, sondern zugleich eine völlige Veränderung der Ein-
stellung zum Leben und zum Tode.
Die Rückkehr nimmt, wie sich viele erinnern, ihren Weg wie-
der zurück durch den Tunnel. Den eigentlichen Wiedereintritt in den
Körper dagegen erleben nur noch die wenigsten bewußt. Für sie ist es
wie ein Einschlafen und ein Wiedererwachen in ihrem Körper.
Bemerkenswert ist, daß niemand von den Betroffenen an der Tat-
sächlichkeit und Bedeutsamkeit des Wahrgenommenen zweifelt. Alle
sind davon überzeugt, die Wirklichkeit einer geistigen Welt erfahren
zu haben. Dieses Wissen wirkt sich auf ihr ganzes weiteres Leben im
Sinne neuer Ziele und Wertungen aus. Für sie ist fortan das Leben
ein Weg der geistig-sittlichen Entwicklung im Geiste der Liebe und
des stetigen Lernens, das über den nun nicht mehr gefürchteten Tod
hinausreicht in eine geistige Dimension des Seins.
Diese Bedeutung für das weitere Leben ist aber in der Regel
eine ganz persönliche. Die Intimität des Erlebten, die Scheu vor
Unverständnis und Spott führen durchweg dazu, daß das Erlebte als
55
Geheimnis bewahrt wird, wenn nicht Vertrauen die Schranke des
Schweigens öffnet.
Der wichtigste Gewinn dieses Erlebens ist eine neue Sicht des
Todes. Dieser ist nun nicht mehr das Ende, sondern ein Übergang in
eine höhere Ebene des Seins. Dies bedeutet zugleich: Die Entwick-
lung der Seele, besonders ihrer geistigen Fähigkeiten der Liebe und
des Wissens, endet nicht mit dem Tode. „Vielmehr geht sie weiter
auf der anderen Seite, vielleicht ewiglich, auf jeden Fall aber für eine
gewisse Zeit und bis zu einer solchen Höhe, wie wir sie nur erahnen
können, solange wir in stofflichen Leibern wohnen“.
Der wichtigste Beweis für die Wahrheit dieser Erlebnisse liegt für
Moody in den Wahrnehmungen realen Geschehens seitens der kli-
nisch Toten im Zustande ihrer „Ausleibigkeit“:
„In verschiedenen Fällen haben mir die Zeugen berichtet, wie
sie ihre Ärzte oder andere Menschen in Erstaunen versetzt haben
mit Berichten über Ereignisse, die sie mit-,erlebt‘ haben, während sie
,tot‘ und außerhalb ihres eigenen Körpers waren. Ein Mädchen z.B.
lag im Sterben, verließ den eigenen Körper und begab sich in einen
anderen Raum im selben Krankenhaus. Dort traf sie auf eine ältere
Schwester, die weinte und rief: ,O Margret, bitte nicht sterben, nicht
sterben bitte!‘ Diese ältere Schwester war völlig überrascht, als Mar-
gret ihr später ganz genau sagen konnte, wo sie damals gewesen war
und was sie gesagt hatte“.
Für die Glaubwürdigkeit der Zeugen spricht nach Moodys Mei-
nung die seelische Erschütterung bei der Wiedergabe ihrer Erlebnisse:
„Ich habe erlebt, wie erwachsene Menschen, reife und seelisch
ausgeglichene Persönlichkeiten, die Fassung verloren und in Tränen
ausbrachen, wenn sie mir von Begebenheiten erzählten, die manch-
mal über dreißig Jahre zurücklagen. Ich habe in dem, was sie äußer-
ten, Aufrichtigkeit, menschliche Wärme und Gefühlsoffenheit ver-
spürt, wie sie keine schriftliche Wiedergabe je dem Leser vermitteln
könnte. Für mich ist daher auf eine Weise, die für die meisten leider
nicht nachvollziehbar ist, jeglicher Verdacht, die Berichte könnten
bloße Phantasieprodukte sein, vollkommen absurd“. Überdies lassen
sich die vielen Anklänge und Übereinstimmungen zwischen so vie-
len Berichten durch eine solche Unterstellung nicht erklären.
56
Könnten die Berichte aber nicht durch nachträgliche Aus-
schmückungen verfälscht worden sein? Dies scheidet aus, weil die
Berichte der unmittelbar nach dem Erlebnis der Todesbegegnung
befragten Patienten nach Inhalt und Aufbau dem erst Jahre später
Mitgeteilten entsprachen. In einigen Fällen waren die Eindrücke der
Gesprächspartner gleich nach dem Erlebnis schriftlich aufgezeichnet
und dann vorgelesen worden. Hinzu kommt, daß Dr. Moody meist
der erste oder zweite war, dem dieses Geschehnis überhaupt wider-
strebend verraten wurde.
58
Beweisen die Todesnähe-Erlebnisse ein persönliches Fortleben?
Im Umgang mit Sterbenden ist für sie der erste Schritt das Verstehen
der verschiedenen Stadien, die ein Sterbender durchlebt – vom Auf-
begehren bis zur Hingabe –, der letzte Schritt das Bewußtsein des
Überlebens. Voraussetzung dafür aber ist das, was Elisabeth Küb-
ler-Ross immer wieder eindringlich fordert: daß man den Kranken
59
nicht ständig belügt und daß man ihn nicht in der kalten Sachlich-
keit eines Krankenhauses sterben läßt, sondern, wenn irgend mög-
lich, unter Wahrung seiner Würde im Haus, nicht abgeschirmt vom
Leben der Familie, mit der Möglichkeit, alles zu sagen, was er noch
sagen möchte, und alles noch Unerledigte zu bereinigen und zu re-
geln. Einen guten Überblick über die von Frau Dr. Kübler-Ross bei
ihrer bahnbrechenden Arbeit gewonnenen Erkenntnisse vermitteln
im Jahre 1976 mit der Ärztin durchgeführte Interviews. Aus den bei
dieser Gelegenheit gestellten Fragen und ihren darauf gegebenen Ant-
worten ist folgendes besonders bedeutsam:
1. Das Tabu des Todes, das uns hindert, über den Tod zu sprechen
und an ihn zu denken, muß durchbrochen werden, weil „wir nicht
erfüllt leben können, solange wir unsere Endlichkeit und unseren
unausweichlichen Tod nicht wahrhaben wollen. Unser Leben ist
nur dann reich, wenn wir erkennen, daß wir wie die Schneeflok-
ken sind. Jeder einzelne von uns ist wunderbar und einzigartig.
Und wir leben nur kurze Zeit“.
2. Voraussetzung für die Sterbehilfe ist das Verständnis für die Pha-
sen, die Sterbende durchlaufen: vom Stadium der Ablehnung
und Isolierung über die Phase des Zorns („Warum gerade ich?“),
des Verhandelns (mit dem Schicksal oder mit Gott), der Niederge-
schlagenheit bis hin zur Aussöhnung.
3. Die schließliche Einwilligung in den Tod steigert die Stärke des
Erlebens während der noch verbleibenden Zeit.
4. Das stärkste Bedürfnis Sterbender ist gerichtet auf die Überwin-
dung der Einsamkeit und auf Wahrhaftigkeit gegenüber seiner
Lage. In welcher Weise ein offenes Gespräch mit Sterbenden
geführt werden kann, hat Frau Dr. Kübler-Ross in ihrem Buch
„Interviews mit Sterbenden“ gezeigt.
5. Die Erscheinungsformen des Sterbe-Erlebens sind Hinweise auf
ein Leben nach dem Tode: „Ich habe immer den Eindruck ge-
habt, als geschehe unmittelbar nach dem klinischen Tod etwas
Bedeutsames. Die meisten Patienten bekamen einen ungemein
friedvollen Gesichtsausdruck, selbst solche, die einen schweren
Todeskampf hinter sich hatten“.
6. Das diese Überzeugung in erster Linie begründende Erlebnis,
von dem alle Befragten berichteten, ist der Ich-Austritt mit der
Vielfalt ins Einzelne gehender, der Wirklichkeit genau entspre-
chender Beobachtungen während des klinischen Todes.
60
7. Das Sterbe-Erlebnis wird von den Betroffenen durchweg als be-
glückend empfunden: „Alle ließen ihre leibliche Gestalt (besser:
ihren physischen Körper, d. Herausg.) hinter sich wie ein Schmet-
terling den Kokon. Sie sprachen von einem Gefühl des Friedens,
ohne Schmerz, ohne Angst. Und sie waren völlig intakt … Nicht
einer fürchtete sich davor, wieder zu sterben“.
8. Die so gewonnene Überzeugung von einem Leben nach dem
Tode und von der Bedeutung der geistigen Werte bewirkt eine
grundlegende Veränderung der persönlichen Lebenseinstellung.
* Anm. d. H‘s: Kübler-Ross weist darauf hin, daß Sterbende ausnahmslos bereits
vor ihnen Verstorbene sehen – ein beweiskräftiges Argument!
63
strophenreaktion die Todesangst nehmen, ja, diese Angst sogar in
ihr Gegenteil, in eine glückliche Hochstimmung, verwandeln? Aller-
dings konnten für diese Möglichkeit bisher keinerlei Beweise erbracht
werden.
Läßt sich das Gefüge des Todesnähe-Erlebens wirklich so ein-
fach erklären? Wo bleibt da z.B. das Erlebnis des Ich-Austritts mit
allen den später nachprüfbaren Wahrnehmungen von einem Stand-
punkt außerhalb des fleischlichen Leibes aus und ohne Beschränkung
durch materielle Hindernisse? Wo bleiben da ferner die überirdischen
Visionen mit den Erfahrungen des Gerichtes und der Erleuchtung
unmittelbar vor dem Tode?
Unerklärlich bleibt dabei auch, wie eine solche Reaktionsweise
angesichts des nahen Todes im Laufe der Entwicklungsgeschichte
entstehen konnte. Verständlich sind zwar die Ausschüttung von Ad-
renalin zwecks Einsatzes aller verfügbaren Kräfte zur Rettung des
Lebens, ebenso die Bildung von Endorphinen zur Schmerzbekämp-
fung; denn diese Fähigkeiten sind nützlich im Dienste der Erhaltung
des Lebens und können daher durchaus ein Ergebnis der Auslese im
„Kampf ums Dasein“ darstellen. Welches Interesse aber hätte die
Natur daran, das unabwendbare Erlöschen des Lebens durch ein
Gaukelspiel schöner Traumbilder zu versüßen? Auslesevorgänge
konnten hier nicht mehr wirksam werden. Oder ist dies eine „Gnade“
der Natur? Wie aber kann diese ein so großmütiges Gefühl entwik-
keln, wenn sie nur ein Mechanismus ist?
Es zeigt sich somit: Die Todesnähe-Erlebnisse sind mehr als nur eine
Art Drogenrausch oder der Trick einer gnädigen Natur, das Sterben
zu versüßen. Angelpunkt einer sachgemäßen Erklärung dieser rätsel-
haften Vorgänge ist das Phänomen des Ich-Austritts, das nicht nur ein
subjektives Scheinerlebnis ist, sondern ein objektives Geschehen, wie
die erstaunlichen, nachträglich überprüfbaren Wahrnehmungen von
Standorten außerhalb des physischen Leibes aus erweisen.
Als einzig mögliche Erklärung drängt sich diese auf: In das
Leben gefährdenden Situationen lockert sich das Gefüge des leiblich-
seelisch-geistigen Gestaltzusammenhanges. Dadurch wird es dem
mit dem Ich-Bewußtsein und allen seelischen Funktionen ausgestat-
teten geistigen Wesenskern möglich, sich aus dem irdischen Kör-
64
per herauszulösen. Unabhängig von diesem vermag er sich dann
fortzubewegen und Gegenstände der Umwelt wahrzunehmen und
Sinnzusammenhänge aufzufassen. Dieser Wesensteil besitzt eine fei-
nere Stofflichkeit, da er materielle Hindernisse durchdringen kann.
Diese stoffliche Besonderheit erweist seine Zugehörigkeit zu einer
anderen Dimension des Seins und erlaubt ihm daher auch den Zu-
gang zu einer Geisterwelt.
Aus dieser Sicht werden daher auch die Wahrnehmungen einer
jenseitigen Welt während des klinischen Todes und während des
tatsächlichen Sterbens verständlich. Was hier gesehen und erlebt wor-
den ist, kann also durchaus als ein Blick über die Grenze hinaus ge-
wertet werden. Andeutungsweise ergeben sich so auch Hinweise auf
den Aufbau und die Gesetzlichkeit einer geistigen Daseinsebene. So
kann das „Lichtwesen“ als ein geistiger Führer aufgefaßt werden, und
das Gericht im Zusammenhang mit dem Lebensfilm läßt erkennen,
daß sittliche Werte in jener Welt eine entscheidende Rolle spielen.
Insgesamt ergibt sich somit, daß die Todesnähe-Erfahrungen
durchaus als Hinweise auf ein persönliches Fortleben und auf die
Existenz einer jenseitigen Welt zu werten sind. Damit erscheint auch
die bei den Betroffenen durch diese Erlebnisse ausgelöste Überzeu-
gung und Erschütterung sachlich begründet.
Daß bei den Sterbenden in der Tat nicht nur Vorstellungen ihrer
gewohnten Glaubenswelt lebendig werden, sondern eine Begegnung
mit einer echten Nachtod -W i r k l i c h k e i t erfolgt, konnte eine
großangelegte vergleichende Untersuchung von Sterbebett-Visionen
durch die Amerikaner Dr. Karlis Osis und Dr. Erlendur Haraldsson
nachweisen. Das Ergebnis wurde 1977 unter dem Titel „At the Hour
of Death“ veröffentlicht. 1978 erschien die deutsche Übersetzung
„Der Tod – ein neuer Anfang“ (Freiburg/Br.).
Der Vergleich von Sterbe-Erlebnissen bei Amerikanern und
Indern, bei Christen und Hindus, ergab, daß es sich hier um eine
allgemein-menschliche Grunderfahrung handelt, die für alle Men-
schen gleich ist. Es zeigte sich, daß die beobachteten Kernerlebnisse
in beiden Ländern durchweg gleichartig sind, daß die Wahrnehmun-
gen also durch individuelle, nationale und kulturelle Faktoren nicht
maßgeblich beeinflußt werden.
Ein entsprechender Glaube spielt allerdings durchaus eine ge-
wisse Rolle, jedoch in einem anderen Sinne, als Zweifler meinen.
Es konnte nämlich durch wissenschaftliche Versuche nachgewiesen
werden, daß der Glaube außersinnliche Wahrnehmungen begünstigt,
65
während der Unglaube blockierend und störend wirkt. Dies bedeu-
tet indessen nicht, daß der Glaube zu Selbsttäuschungen verführt,
indem subjektive Wunschbilder halluziniert werden. Dies bedeu-
tet vielmehr, daß der Glaube offener und empfänglicher macht für
objektive Einflüsse einer anderen Daseinsebene, denen sich der Un-
gläubige verschließt.
So kommen auch Osis und Haraldsson zu der Feststellung, daß
Sterbebett- und Todesnähe-Erfahrungen auf ein Leben nach dem
Tode hinweisen. Grenzen werden allerdings dadurch gesetzt, daß
die hier gesammelten Visionen auf dem Sterbebett nur flüchtige Aus-
blicke auf eine angenommene andere Welt liefern, Beschreibungen
der Anfangszustände einer Nachtod-Existenz, die offen lassen, wie
das „Leben“ nach dem Tode wirklich aussieht.
Hier sind noch viele klärende Untersuchungen notwendig, er-
weckt doch die Mehrzahl der Berichte über Todesnähe-Erlebnisse
den Eindruck, als ob hier überwiegend nur himmlische Freuden zu
erwarten sind, unabhängig von dem vorher geführten Leben.
Es stellt sich daher die Frage: Ist Sterben immer schön?
Offene Fragen
Die Einwände von Ärzten, die Visionen in Todesnähe seien nur durch
Giftwirkungen von Medikamenten und durch Sauerstoffmangel aus-
gelöste Halluzinationen, konnten widerlegt werden. Dasselbe gilt für
psychologische Einwände, die alles auf Wunschvorstellungen oder
eine Notfallreaktion zurückzuführen suchen.
Bestehen bleibt allerdings der Einwand: Keiner der Erlebenden
war wirklich t o t und kann daher im Grunde auch nichts über das
Leben nach dem Tode aussagen. Immerhin waren sie aber in einem
71
Grenzbereich des Todes. Sie waren in einem todesähnlichen Zustand,
der höchst ungewöhnliche Erlebnisformen auslöste und Eindrücke
vermittelte, die durchaus Rückschlüsse auf eine andere Dimension
des Seins zulassen.
Überwiegend erscheint dies als ein erster Blick in eine paradie-
sisch anmutende Welt. Wir begegneten indessen auch einigen Aus-
nahmen, insbesondere bei Selbstmördern. Hier bleiben jedoch noch
viele Fragen offen, da z.B. entsprechende Beobachtungen über das
Sterben von Verbrechern fehlen.
Um hier zu größerer Klarheit vorzudringen, müssen wir nach wei-
teren Beweisen für die Existenz einer vom irdischen Leibe unabhängi-
gen Geistseele suchen. Ist es ferner möglich, nähere Aufschlüsse über
die Seinsformen einer anderen Welt zu erhalten? Gibt es in der Tat
einen Himmel und eine Hölle oder gar verschiedene Bereiche dieser
Daseinsebenen? Welcher Art ist das Schicksal der abgeschiedenen
Seelen?
Wegen der grundlegenden Bedeutung des Ich-Austritts als
Beweis für die Eigenständigkeit eines den Tod vermutlich überdau-
ernden geistigen Wesensteils kommt es nunmehr darauf an, den
Erfahrungsbereich des außerkörperlichen Erlebens im Hinblick auf
folgende Fragen zu überprüfen:
72
Unwillkürliche Hinausversetzung des Bewußtseins
Als einer der ersten wurde der 1971 gestorbene Amerikaner Sylvan
J. Muldoon durch planmäßige Seelenreisen weltweit bekannt. In Zu-
sammenarbeit mit dem Forscher Hereward Carrington veröffentlichte
er 1929 in London das Aufsehen erregende Buch „The Projection
of the Astral Body“ über seine zahlreichen außerkörperlichen Erleb-
nisse. In deutscher Übersetzung erschien es zuerst 1964 (Freiburg)
unter dem Titel „Die Aussendung des Astralkörpers“.
Bereits mit 12 Jahren erlebte er seine erste Hinausversetzung des
Bewußtseins. Auch er war überrascht, als er eines Nachts plötzlich in
diesen Zustand geriet und seinen schlafenden Körper betrachtete: Es
gab ihn also zweimal – einmal in der Luft und einmal im Bett! Auch
er war bestürzt, als er voller Angst zu seiner Mutter lief – durch die
Tür hindurch –, und sie alle seine Hilferufe nicht hörte.
Später lernte es Muldoon dann, solche außerkörperlichen
Zustände bewußt herbeizuführen. Als wichtige Vorbedingung dafür
erkannte er den durch planmäßige Selbstbeeinflussung geweckten
„unterbewußten Willen“ zur Hinausversetzung. Indessen spielte
hierbei offensichtlich auch seine ständige Kränklichkeit und damit
die Lockerung seines körperlich-seelisch-geistigen Gefüges eine be-
deutsame Rolle; denn seine „Astralreisen“ wurden allmählich immer
seltener und hörten schließlich ganz auf, als Muldoon anfing, gesund
zu werden.
Als geeigneten Ausgangspunkt für Vorstellungen, die einen
Ich-Austritt auszulösen vermögen, erkannte Muldoon Träume, hef-
74
tige oder unterdrückte Wünsche, Bedürfnisse wie Hunger und Durst.
So erzeugte er z.B. durch lange Enthaltung vom Trinken und durch
Genuß von Salz vor dem Einschlafen zunächst seltsame Träume. Aus
diesen entwickelte sich dann ein klarbewußter „Seelenausflug“. Ein-
mal geschah dies so: Muldoon hatte einen Durst-Traum, wachte auf,
war aber zu träge aufzustehen, um einen Trunk zu beschaffen. Dar-
über schlief er wieder ein. Da sah er sich plötzlich am Wasserhahn
stehen, konnte ihn jedoch nicht drehen. Nun wurde sein Bewußtsein
ganz hell. Aufmerksam sah er seine „astralen Hände“ am Hahn sich
erfolglos abmühen. Während er im Traum gemeint hatte, daß dies an
der Schwerbeweglichkeit des Hahns liege, begriff er nun, daß dies
durch die Unmöglichkeit der Berührung und Bewegung grobstoffli-
cher Gegenstände durch seinen Geistkörper bedingt war.
Muldoon besuchte während seines Ich-Austritts immer nur ir-
dische Orte. Dabei merkte er sich bewußt alle Einzelheiten, um diese
später mit der Wirklichkeit zu vergleichen. In Erstaunen versetzte
ihn, daß er bei seinen Astralwanderungen auf der irdischen Ebene
auch Geistern Verstorbener begegnete. Das Diesseits ist demnach
nicht nur von lebenden Menschen, sondern auch von noch stark erd-
gebundenen Geistwesen bevölkert. Für solche ist dies, wie Muldoon
meint, das Fegefeuer.
Getrennt von den tiefen, dunklen Zuständen fand Sculthorp eine An-
zahl Sphären von normaler Helligkeit, die den schönen Gegenden der
Erde ähnlich sind. Es fällt ihm schwer, diese Zustände zu beschrei-
ben, da sie weder zurückgeblieben noch fortgeschritten sind: „Ihre
Bewohner sind noch nicht lange gestorben; wie lange sie hier bleiben,
vermag ich nicht zu sagen, da die Weiterentwicklung individuell ver-
schieden ist. Sie haben sich zurechtgefunden und vorläufig eingelebt.
Sie fühlen sich wohl, weil die irdischen Sorgen des Lebens und des
Existenzkampfes vorüber sind. Dies ist der Grund der frohmütigen
Botschaften, die man von Geistern aus diesem Zustand erhält.
Hier geht es gemütlich zu; die Geister behalten während einiger
Zeit ihre menschlichen Gewohnheiten bei, wie auch ihre Gedanken-
welt und Lebensführung, die sie auf Erden hatten. Wer auf dem Lande
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wohnte, zieht offenes Gelände vor, der Städter bevorzugt entspre-
chende Siedlungen. Ich sah Städte, die dicht bevölkert waren, mit
einem Geschäftsviertel wie auf der Erde. Der Straßenverkehr wird
von Leuten bestritten, die Freude am Herumfahren hatten“.
Große Möglichkeiten haben hier Bastler, da jeder Einfall allein
durch die Macht des Gedankens verwirklicht werden kann, ohne irdi-
sche Schwierigkeiten und Kosten. „Auch die Häuser weisen hier die
größte Vielgestaltigkeit auf. Es gibt Leute, die den Stil beibehalten,
den sie auf Erden liebten. Sie umgeben sich auch hier mit unnötigen
Sachen, um ihrer Vorstellung eines gemütlichen Heims zu entspre-
chen. Andere erfassen die neuen Möglichkeiten und wünschen sich
etwas ganz Neues. Freunde und Verwandte auf dieser Stufe verkeh-
ren miteinander, und man wird sich leicht ausdenken, daß der Be-
kanntenkreis ein sehr großer sein kann“.
„Kommt man in eine dieser lichten Sphären, so empfindet der
Geistkörper eine angenehmere Wirkung als in düsteren Zuständen.
Es ist behaglich, und die Leute sind fröhlich. Die zufriedenen Gedan-
ken sind in harmonischem Einklang, wie ich oft bei Gruppen spürte,
die Ferien oder Ausflüge machten. Sie hatten den Zustand der Illusion
überwunden und begannen, die Annehmlichkeiten des geistigen Le-
bens zu genießen. Ich durfte ein Ferienparadies besuchen, wo Leute
auf einem Sandstrand saßen, während ein Orchester spielte. Andere
badeten in der Brandung, und auf dem Meere waren Segelschiffe. Für
alle Bedürfnisse schien hier von höheren Geistwesen vorgesorgt zu
sein. Die Leute konnten alles genießen, was sie vielleicht auf Erden
nie erleben konnten“.
In diesen Sphären erinnerte Sculthorp alles an die irdische Welt.
Ebenfalls Tiere sah er hier, z.B. seine ehemaligen Katzen, die auch in
dieser Umwelt ihre gewohnte Ruhe und Verschlossenheit bewahrten.
Sogar Ausstellungen und Museen besuchte er auf seinen Astralwan-
derungen. So fand er in einer Halle Maschinen, Werkzeuge und In-
strumente aller Art. Sculthorp vermutet, daß es sich um „äetheri-
sche Gegenstücke irdischer Dinge“ handelt, … die also die gleichen
Schwingungen und Eindrücke mitführen.“
Auch ätherische Nachbildungen von irdischen Orten gibt es in
diesem Bereich. So befand sich Sculthorp einmal in einer Straße, von
der er fühlte, sie sei in London. „Die Häuser waren wohl etwa 1850
gebaut worden, und am Ende der Straße sah ich ein Schild: Grainger
Straße. Als ich das letzte Haus erreichte, wurde die Tür von meiner
Frau geöffnet. Wir hatten ein frohes Zusammensein, und nachdem
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wir eine Weile gemütlich geplaudert hatten, sagte sie bedauernd:
,Deine Zeit ist um‘. Um unsere Freude zu verlängern, ergriff ich ihre
Hand und bat: ,Bleibe noch ein wenig‘, aber es scheint ein unabän-
derliches Gesetz zu walten, und wie immer wurde ich ins Bett zurück
gebracht“.
„Zu Hause suchte ich im Straßenverzeichnis nach. Es gab wirk-
lich eine Grainger Straße nahe der Old Kent Straße. Ich wurde ganz
aufgeregt, denn ich war sicher, daß ich die Straße wiedererkennen
würde, wie auch das Haus, in dem ich meine Frau traf. Auch der Art
der Straßentafel erinnerte ich mich genau. So fuhr ich am nächsten
Sonntag nach dieser Gegend.
Ich fand dort aber keine Grainger Straße, sondern nur einen
freien Platz mit großen Haufen neuer Backsteine und Baumaterial.
In einem Bäckerladen in der Nähe fragte ich die Verkäuferin nach
der Grainger Straße. Sie zeigte auf den Bauplatz und sagt: ,Dort war
sie, aber vor einiger Zeit wurde alles abgebrochen, um neuen Wohn-
blöcken Platz zu machen‘. Ich sagte ihr nicht, daß die Straße im Äthe-
rischen noch existiert und es weiter so bleiben wird, bis ihre jenseitige
Nützlichkeit zu Ende geht“.
Mehrfach hatte Sculthorp auch Erlebnisse mit kürzlich Verstor-
benen, die ihr Bewußtsein noch nicht erlangt hatten. Die Zeitspanne,
die benötigt wird, um sich an den neuen Zustand anzupassen, ist
nämlich sehr unterschiedlich. Bei einer solchen Gelegenheit trug er
einmal zusammen mit seiner Frau kleine Kinder, die kürzlich gestor-
ben und noch unbewußt waren. „Wir legten sie in einen Raum; sie
waren, wie dies auch für die Erwachsenen gilt, in ihren gewöhnlichen
Kleidern. Es scheint, daß der ruhende Geistkörper mit einer erstaun-
lichen, wie photographischen Genauigkeit, und ganz automatisch, die
Bekleidung annimmt, mit der er am meisten in Kontakt war. Einer
der Knaben hatte einen eingezogenen Kopf und einen buckligen Rük-
ken; aber ich wußte, daß er in seinem neuen Dasein bald gesund und
munter sein würde“.
Sculthorp konnte beobachten, wie jung sterbende Kinder von
Geistwesen mit viel Liebe aufgezogen werden. Mit inniger Freude
sehen diese Betreuer, wie rasch die Kinder „gesunden und ihr Leben
weiterführen, dabei unter Bedingungen, die viel besser sind als auf
der Erde. Es liegt gleichwohl eine Traurigkeit darin, daß die meisten
schmerzerfüllten Eltern nicht die geringste Ahnung davon haben,
was wirklich geschah, sie können auch nicht belehrt werden, es sei
denn, daß sie selbst die Wahrheit suchen und finden“.
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In diesen normalen Sphären oder im „tieferen Sommerland“, wie
Sculthorp sie auch nennt, gibt es viele Unterabteilungen. Die Unter-
schiede liegen in den jeweils vorherrschenden Gedanken, die von der
irdischen Lebensweise her nachwirken. Überall obliegen die hier le-
benden Wesen noch immer ihren früheren Tätigkeiten und Gewohn-
heiten und verharren in dem Kreis ihrer früheren Interessen. Dadurch
wird zugleich vieles Verborgene offenbar: Der „innere Mensch“ (die
vorherrschenden Gedanken) kommt zum Vorschein.
Er war auch mehrmals in Sphären, „deren Bewohner sich nie
geistig angestrengt hatten und deren Verstand sich nicht über das ge-
wöhnliche, tägliche Leben hinaus betätigte. So zeigten sie auch jetzt
keinen Wissensdrang, – er war ihnen auch nicht beizubringen. Nach
ihrem Tod waren sie gesetzmäßig zu ihresgleichen hingezogen wor-
den, und so fehlte auch eine äußere Anregung. Ihre Geisteshaltung
war wie eine Mauer, die sie von freudebringender Betätigung trennte,
die sie beglückt haben würde, falls sie es gewünscht hätten. Straße an
Straße standen reizlose Häuser, und die ganze Strahlung hatte eine
seltsame Wirkung: sie erzeugte ein Gefühl äußerster Langeweile und
Mattigkeit“.
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Jenseitige Führung im Erdenleben
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WISSENSCHAFTLICHE ÜBERPRÜFUNG
AUSSERKÖRPERLICHEN ERLEBENS
Die „Einfliegmethode“
100
EMANUEL SWEDENBORG
MITTLER ZWISCHEN DIESSEITS UND JENSEITS
Halten wir inne, nachdem uns der Weg bis hierher geführt hat!
Schauen wir zurück in die Vergangenheit, in die Geistesgeschichte
der Menschheit! Wir entdecken dann, daß schon immer Menschen
außerkörperliche Erlebnisse gehabt haben. Wir finden diesbezügliche
Äußerungen bei Philosophen und Berichte über derartige Zustände
bei Mystikern und Heiligen.
Ein Mann verdient es, besonders herausgehoben zu werden,
ist er doch der erste, der Erlebnisse dieser Art in einer einmalig
ausführlichen und ins Einzelne gehenden Weise beschrieben hat.
Wenn wir ihm glauben dürfen, so war er ein von Gott berufener
Seher, dem es zur Lebensaufgabe wurde, mit der Geisterwelt zu
verkehren und den Menschen zu offenbaren, was sie nach dem Tode
erwartet. Was in den heiligen Schriften nur dunkel angedeutet wird,
erfährt bei Swedenborg auf Grund dessen, was er in tiefer Ver-
senkung „gehört und gesehen“ hat, eine eingehende Schilderung in
einer Flut von Werken.
Natürlich machen sich auch bei ihm subjektive und zeitbedingte
Einflüsse geltend. Wie sehr er aber in vieler Hinsicht echte Visio-
nen einer objektiven Wirklichkeit gehabt hat, zeigt sich nachträglich
durch die Übereinstimmung der von ihm beschriebenen Verhältnisse
in jenseitigen Welten und der in ihnen herrschenden Gesetzmäßigkei-
ten mit Bekundungen und Erkenntnissen unserer Zeit. Es ist überra-
schend, wie viele grenzwissenschaftliche Forschungsergebnisse der
Gegenwart Swedenborg vorweggenommen hat.
Es ist daher ein Gebot historischer Gerechtigkeit, dies nunmehr
herauszustellen. Dabei wird zugleich offenbar werden, welche außer-
ordentliche Bedeutung den Visionen Swedenborgs für die Vertiefung
des religiösen Bewußtseins zukommt.
Ausgangspunkt wird zunächst die Beantwortung der folgenden
Fragen sein:
Uns interessiert in erster Linie die Frage, ob und wieweit es sich hier
um die Auswirkung einer medialen Gabe übersinnlicher Wahrneh-
mung oder nur um eine durch den Verstand gesteuerte Phantasietä-
tigkeit, vielleicht sogar nur um Erzeugnisse eines geistigen Krank-
heitsgeschehens handelt. Die Antwort auf diese Frage entscheidet
zugleich über die Glaubwürdigkeit der von Swedenborg verkündeten
Lehren.
Daß Swedenborg in der Tat ein echter Hellseher war, wird ausge-
rechnet von seinem schärfsten Kritiker bestätigt: von Immanuel Kant,
der ihn in seiner Schrift „Träume eines Geistersehers“ verspottete. Es
geht dabei vor allem um die vielzitierte Vision vom Brand in Stock-
holm, die Swedenborg in dem etwa 400 Kilometer entfernten Göte-
borg hatte. In einem ausführlichen, an Charlotte von Knobloch gerich-
teten Brief vom Jahre 1763, in dessen Mittelpunkt die Persönlichkeit
Swedenborgs und seine berühmten Visionen stehen, berichtet Kant:
„Die folgende Begebenheit aber scheint mir unter allen die größte
Beweiskraft zu haben und benimmt wirklich allem erdenklichen Zwei-
fel die Ausflucht. Es war im Jahr 1759, als Herr von Swedenborg, gegen
Ende des Septembermonats am Sonnabend um 4 Uhr nachmittags aus
England ankommend, zu Gothenburg an Land stieg. Herr William
Castel bat ihn zu sich und zugleich eine Gesellschaft von fünfzehn
Personen. Des Abends um 6 Uhr war Herr Swedenborg herausgegan-
gen und kam entfärbt und bestürzt ins Gesellschaftszimmer zurück.
Er sagte, es sei eben jetzt ein gefährlicher Brand in Stockholm am
Südermalm und das Feuer griffe sehr um sich. Er war unruhig und
ging oft heraus. Er sagte, daß das Haus eines seiner Freunde, den er
nannte, schon in Asche läge und daß sein eigenes Haus in Gefahr sei.
Um 8 Uhr, nachdem er wieder herausgegangen war, sagte er freudig:
,Gottlob, der Brand ist gelöscht, die dritte Tür vor meinem Haus!‘ Die
Nachricht brachte die ganze Stadt und besonders die Gesellschaft in
starke Bewegung, und man gab noch denselben Abend dem Gouver-
neur davon Nachricht. Sonntags des Morgens ward Swedenborg zum
Gouverneur gerufen. Dieser befragte ihn um die Sache. Swedenborg
beschrieb den Brand genau, wie er angefangen, wie er aufgehört hätte,
und die Zeit seiner Dauer. Desselben Tags lief die Nachricht durch die
ganze Stadt, wo es nun, weil der Gouverneur darauf geachtet hatte, eine
noch stärkere Bewegung verursachte, da viele wegen ihrer Freunde
oder wegen ihrer Güter in Besorgnis waren. Am Montag kam eine Sta-
103
fette, die von der Kaufmannschaft in Stockholm während des Brandes
abgeschickt war, in Gothenburg an. In diesen Briefen ward der Brand
ganz auf die erzählte Art beschrieben. Dienstags morgens kam ein kö-
niglicher Kurier an den Gouverneur mit dem Bericht von dem Brande,
vom Verluste, den er verursacht, und den Häusern, die er betroffen, an;
nicht im mindesten von der Nachricht unterschieden, die Swedenborg
zur selbigen Zeit gegeben hatte, denn der Brand war um 8 Uhr gelöscht
worden.“
Bemerkenswert ist Kants abschließende Beurteilung dieses Fal-
les: „Was kann man wider die Glaubwürdigkeit dieser Begebenheit
anführen? Der Freund, der mir dieses schreibt, hat alles das nicht
allein in Stockholm, sondern vor ungefähr zwei Monaten in Gothen-
burg selbst untersucht, wo er die ansehnlichsten Häuser sehr wohl
kennt, und wo er sich von einer ganzen Stadt, in der seit der kurzen
Zeit von 1759 doch die meisten Augenzeugen noch leben, hat voll-
ständig belehren können“.
An der Tatsächlichkeit dieses außersinnlichen Erlebnisses kann
also nicht gezweifelt werden. Eine wesentliche Voraussetzung eines
solchen Geschehens ist hier erfüllt: Nicht erst nachträglich wurde eine
außersinnliche Wahrnehmung behauptet, sondern die Nachricht davon
gelangte unmittelbar in die Öffentlichkeit bis zu höchsten amtlichen
Stellen, gewann so eine ungewöhnliche Vielzahl von Zeugen und wurde
nach Tagen in allen Einzelheiten bestätigt. Erstaunlich ist dabei, wel-
chen Ruf und welche Glaubwürdigkeit Swedenborg inzwischen schon
erworben haben muß, daß alle – sogar der Gouverneur – seinen Aus-
sagen ohne weiteres so vertrauten, als wären es offizielle Botschaften.
Wie erklärt sich dieses Hellsehen in die Ferne? War es nur Telepa-
thie, ein „Abzapfen“ der Vorstellungen von Augenzeugen des Bran-
des? Dagegen spricht der Blickpunkt der von Swedenborg empfange-
nen Wahrnehmungen: als Übersicht über den Gesamtvorgang von
einer alles überschauenden Warte aus, also nicht aus der sehr unter-
schiedlichen und eingeschränkten Perspektive einzelner Beobachter.
Nach der ganzen Art der Wahrnehmungen drängt sich vielmehr
der Eindruck auf, daß Swedenborg mit einem geistigen Teil seines
Wesens am Ort des Unglückes persönlich gegenwärtig war, daß es
also ein außerkörperliches Erlebnis darstelle, eine immer wieder
erneuerte Hinausversetzung des Bewußtseins nach Stockholm. Das
mehrfache Hinausgehen diente vermutlich dazu, Gelegenheit zur un-
gestörten Versenkung zu haben, um den außerkörperlichen Zustand
unbeobachtet herbeizuführen.
104
Auskunft durch einen Verstorbenen
Den Vorgang des Sterbens und damit der Auferweckung kann Swe-
denborg nicht nur „nach Gehörtem und Gesehenem“ beschreiben,
sondern auf Grund unmittelbarer Erfahrung. Er hatte nämlich in der
Entrückung sein eigenes Sterben erlebt, um „vollkommen zu wissen,
wie es sich damit verhält“.
114
„Ich wurde in einen Zustand der Empfindungslosigkeit hinsicht-
lich der körperlichen Sinne, also beinahe in den Zustand der Sterben-
den gebracht, während jedoch das inwendige Leben samt dem Den-
ken unversehrt blieb, damit ich wahrnehmen und im Gedächtnis
behalten möchte, was vorging und was denen geschieht, die von den
Toten auferweckt werden“.
Swedenborg konnte nun seinen eigenen Tod mit allen Phasen
des Sterbens erleben, wie diese inzwischen die moderne Sterbefor-
schung aufgedeckt hat. Während dieses Zustandes sah auch er Engel,
die ihn fragten, ob er wirklich bereit sei zu sterben. Als Besonderheit
der Sprache in jener Welt fällt ihm auch deren telepathischer Charak-
ter auf, nämlich „daß die Rede eines Engels oder Geistes zuerst in die
Gedanken des Menschen einfließt“.
Ebenso berichtet Swedenborg über den Lebensfilm. Dem Dahin-
scheidenden wird sein verflossenes Leben in einer Vision vor Augen
gehalten. An jede Einzelheit kann er sich erinnern, und er ist nicht
imstande, auch nur das Geringste zu verbergen oder zu lügen. „Der
Mensch hat das Gedächtnis an alles, was er zu irgendeiner Zeit ge-
dacht, gesprochen und getan hat, von früher Kindheit an bis ins höch-
ste Alter … und wird Schritt um Schritt dahin gebracht, all dessen
zu gedenken … Alles, was er gesagt und getan …, wird offenbar vor
den Engeln, in einem Licht, so klar wie der helle Tag …, und es gibt
nichts auf der Welt, das so verborgen wäre, daß es nach dem Tode
nicht offenbar würde …“
Und wie heute wieder zum Leben erweckte klinisch Tote von
einem „Lichtwesen“ berichten, das ihnen an der Schwelle zu einer
anderen Welt begegnete, so spricht Swedenborg von einem Licht von
unaussprechlicher Helligkeit, das er „das Licht des Herrn“ nennt.
Was geschieht nun, wenn der Tod eingetreten ist? Wie Swedenborg
wahrnimmt, kommen die Gestorbenen zunächst in die „Geister-
welt“, einen „Mittelort zwischen Himmel und Hölle“. Dieser „Mit-
telzustand des Menschen nach dem Tode“ ist dem irdischen Zustande
sehr verwandt. Hier ist also „der erste Sammelplatz aller“, wo sie
„geprüft und zubereitet werden“. Die Dauer dieses Mittelzustands ist
sehr unterschiedlich. „Einige treten nur ein und werden gleich in den
Himmel erhoben oder in die Hölle geworfen“. Andere bleiben bis zu
dreißig Jahren dort. „Die Verschiedenheiten der Dauer ergeben sich
aufgrund der Entsprechung oder Nichtentsprechung des Inwendigen
und des Auswendigen beim Menschen“.
Maßgebend für das weitere Schicksal der Menschen nach ihrem
Hingang ist ihre „herrschende Liebe“. Sie kommen dorthin, wo sie
bisher auch schon ihrer Gesinnung nach immer gewesen sind: die
Bösen in eine höllische Gesellschaft, die Guten in eine himmlische.
Vorübergehend ist jedoch in diesem Zwischenreich noch keine scharfe
Trennung: „Obgleich sie aber so unterschieden sind, kommen sie
doch in jener Welt zusammen, und es sprechen sich, wenn sie es wün-
schen, alle, die bei Leibes Leben miteinander befreundet und bekannt
waren, besonders die Ehefrauen und -männer, und auch die Brüder
und Schwestern. Ich sah, wie ein Vater mit seinen sechs Söhnen sprach
und sie wiedererkannte, und viele andere mit ihren Verwandten und
Freunden. Weil sie aber von ihrem Leben in der Welt her verschiede-
ner Gesinnung waren, trennten sie sich nach kurzer Zeit voneinander.
Diejenigen hingegen, die aus der Geisterwelt in den Himmel und in die
Hölle kommen, sehen sich nachher nicht wieder, auch erkennen sie ein-
ander nicht, außer wenn sie gleicher Gesinnung aus gleicher Liebe sind
…; denn die Ähnlichkeit verbindet und die Unähnlichkeit trennt“.
In der Geisterwelt kommen also alle zunächst „in die gleichen
Zustände, die sie bei Leibes Leben hatten“, „nachher aber alle in ei-
nen bleibenden Zustand …, der dem Zustand der herrschenden Liebe
gleich ist und in dem der eine den anderen nur infolge der Gleichheit
der Liebe kennt . . .“
Bevor der Mensch nach dem Tode in den Himmel oder in die
Hölle kommt, durchläuft er drei Stufen der Zustandsveränderung in
der Geisterwelt:
1. den „Zustand des Auswendigen“, 2. den „Zustand des Inwen-
digen“, und 3. den „Zustand der Zubereitung“.
117
Der Zustand des Auswendigen
„Der erste Zustand des Menschen nach dem Tode gleicht seinem Zu-
stand in der Welt, weil er dann in gleicher Weise im Äußeren ist. Er hat
auch die gleiche Gesichtsbildung, die gleiche Rede- und Denkweise,
somit das gleiche moralische und bürgerliche Leben. Daher kommt
es, daß er dann – falls er nicht auf das achtet, was ihm begegnet und
was ihm die Engel gesagt hatten, als er auferweckt wurde, nämlich
daß er jetzt ein Geist sei – immer noch in der Welt zu sein meint. So
setzt sich das eine Leben in das andere fort, und der Tod ist nur der
Übergang.
Weil der neuangekommene Geist des Menschen nach dem Leben
in der Welt diese Beschaffenheit hat, so wird er dann auch von seinen
Freunden und von denen, die er in der Welt gekannt hatte, erkannt“.
Herbeigerufen werden diese durch Gedanken, die sich mitteilen. „Et-
was Gewöhnliches ist, daß die Gatten zusammenkommen und sich
einander gegenseitig beglückwünschen. Sie verweilen auch beieinan-
der, aber je nach der Lust ihres Zusammenwohnens in der Welt län-
ger oder kürzer; dennoch aber, wenn nicht wahrhaft eheliche Liebe
sie verbunden hatte, welche Liebe eine Verbindung der Gemüter aus
himmlischer Liebe ist, trennen sie sich nach einigem Zusammenleben
wieder. Waren aber die Gemüter der Ehegatten miteinander uneins und
hatten sie innerlich einen Widerwillen gegeneinander, so brechen sie
in offene Feindschaft aus und streiten miteinander, und dennoch tren-
nen sie sich nicht eher, als bis sie in den zweiten Zustand eintreten …“
Welches Bild von den Reichen des Himmels und der Hölle übermit-
telt nun Swedenborg auf Grund seiner Visionen?
Was er hierüber schreibt, ist derart erschöpfend – im doppelten
Sinn dieses Wortes –, daß hier nur andeutend einiges Wesentliche
herausgehoben werden kann. Wegen der näheren Einzelheiten muß
verwiesen werden auf Swedenborgs Buch „Himmel und Hölle, be-
schrieben nach Gehörtem und Gesehenem“.
Grundlegend sind Swedenborgs Feststellungen über den mensch-
lichen Ursprung von Himmel und Hölle. Er wendet sich gegen tradi-
tionelle Vorstellungen, „die Engel seien von Anfang an erschaffen
und daher stamme der Himmel, der Teufel oder Satan aber sei ein
Engel des Lichtes gewesen, der zum Empörer wurde und deshalb
mit seiner Rotte hinabgestoßen worden sei. Daher stamme die Hölle.
Daß in der Christenheit ein solcher Glaube herrscht, darüber wun-
dern sich die Engel sehr, noch mehr aber darüber, daß man gar nichts
vom Himmel weiß, obgleich dies doch ein Hauptstück der Lehre in
der Kirche ist . … Deshalb wollen sie, daß ich aus ihrem Munde
versichere, daß es im ganzen Himmel nicht Einen Engel gibt, der von
Anbeginn erschaffen und hinabgestoßen wäre, sondern daß alle, so-
wohl im Himmel als in der Hölle aus dem menschlichen Geschlecht
sind, im Himmel diejenigen, die in der Welt im himmlischen Lieben
121
und Glauben (gelebt hatten), und daß die Hölle im ganzen Inbegriff
dasjenige sei, was Teufel und Satan heißt“.
Wesentlich ist, daß auch schon auf Erden der Mensch in Verbin-
dung mit Himmel und Hölle steht: „Bei einem jeden Menschen sind
gute und böse Geister: durch die guten hat er Verbindung mit dem
Himmel, durch die bösen mit der Hölle. Diese Geister sind in der
Geisterwelt, welche die Mitte zwischen Himmel und Hölle bildet …
Wenn diese Geister zu den Menschen kommen, so treten sie in sein
ganzes Gedächtnis und von da aus in sein ganzes Denken ein …“
Neben dem mittelbaren Einfluß des Himmels durch Geister gibt
es auch einen unmittelbaren Einfluß durch den Herrn selbst, indem
aus „Seinem Göttlich-Menschlichen“ auf den Willen des Menschen
und durch diesen auf sein Denken und Fühlen eingewirkt wird. „Die-
ser göttliche Einfluß ist ein ununterbrochen fortwährender und wird
im Guten bei den Guten aufgenommen, nicht aber bei den Bösen. Bei
diesen wird er entweder zurückgestoßen oder erstickt bzw. verkehrt.
Daher ist ihr Leben böse. Dies ist im geistigen Sinn der Tod“.
Gemeinsam ist dem Himmel und der Hölle ihre Ewigkeit. Dies hat
für die Angehörigen der Hölle schlimme Folgen; denn währen es
für die Bewohner des Himmels die Aussicht auf eine fortschreitende
Weiterbildung und Vervollkommnung bedeutet, ist es für die Bewoh-
ner der Hölle die Aussicht auf eine nicht endende Qual.* Zugrunde
liegt dem die Auffassung: „Nach dem Tode kann bei keinem einzigen
… das böse Leben in ein gutes, noch das höllische in ein engelisches
umgewandelt werden, weil jeder Geist vom Haupt bis zur Fußsohle
so ist wie seine Liebe, mithin wie sein Leben, und dieses in ein ent-
gegengesetztes verwandeln, hieße soviel wie den Geist gänzlich ver-
nichten. Die Engel gestehen, daß es leichter wäre, eine Nachteule in
eine Taube und einen Uhu in einen Paradiesvogel umzuwandeln, als
einen höllischen Geist in einen Engel des Himmels“.
Welchen Ursprung haben das Böse und die Hölle? Gott kann
dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Vielmehr erwächst das
Böse aus dem freien Willen des Menschen. „Daß nicht Gott das Böse
schuf, sondern der Mensch es herbeiführte, kommt daher, daß der
Mensch das Gute, das von Gott unausgesetzt einfließt, dadurch ins Böse
verkehrt, daß er sich von Gott abwendet und sich selber zuwendet“.
Die Herrschaft über die Hölle übt nicht der Teufel oder Satan
aus, der ursprünglich ein Engel (Luzifer) gewesen wäre, sich dann
aber gegen Gott empörte. Vielmehr ist es Gott selbst, der mit Hilfe
von Engeln auch die Hölle regiert. Dies ist nötig, „weil das Verhältnis
des Himmels zur Hölle und das der Hölle zum Himmel gerade so ist
wie das Verhältnis zwischen zwei Gegensätzen, die wider einander
wirken, und aus deren Wirkung und Gegenwirkung ein Gleichgewicht
hervorgeht, in dem alles seinen Bestand findet. So ist es, damit alles
und jedes im Gleichgewicht erhalten werde, notwendig, daß der, der
* Anm. des H.‘ s: Über die „Ewigkeit der Hölle“ ist von den Lesern Sweden-
borgs viel diskutiert worden, da es bei ihm widersprüchliche Äußerungen dazu
gibt. Einerseits ist klar, daß für die Bösen die Hölle „ihr Himmel“ ist (niemand
wird ja gegen seinen Willen in die Hölle geworfen), andererseits fällt eben das
Böse, das sie anderen zufügen, mit ebenso grausamer, nur gelegentlich von den
Engeln gemilderter Härte wieder auf sie zurück. Daraus lernen sie allmählich,
es nicht mehr zu tun. René Nitschelm hat in OFFENE TORE 4/62 ff. interes-
sante Überlegungen über einen „Vorhimmel“ angestellt, der alle Absolventen
dieser här testen aller Schulen vereint, die zwar beileibe nicht gelernt haben zu
lieben, wohl aber nach der Devise zu leben „eine Hand wäscht die andere“. (FH)
125
die eine Seite regiert, zugleich auch die andere regiert. Denn wenn
nicht derselbe Herr die feindlichen Angriffe von Seiten der Höllen im
Zaum hielte und die Rasereien in ihr zähmte, so würde das Gleichge-
wicht und mit dem Gleichgewicht das Ganze zugrunde gehen“.
Das wichtigste Mittel zur Regierung der Hölle ist die Furcht:
„Durchweg … werden alle, die in den Höllen sind, durch Furcht vor
Strafen regiert, durch die sie vor allem vom Tun des Bösen abge-
schreckt werden. Die Strafen sind dort vielfältig, gelinder oder härter,
je nach dem Bösen … Man muß wissen, daß das einzige Mittel, die
Gewalttätigkeiten und Wutausbrüche der Höllischen zu zähmen, die
Furcht vor Strafe ist. Es gibt kein anderes Mittel“.
Diese ergeben sich aus den mitgebrachten bösen Neigungen und aus
der dort alles beherrschenden Furcht. Die Höllenqualen sind jedoch
nicht etwa „Gewissensbisse; denn die Höllischen hatten kein Gewis-
sen und können daher auch nicht im Gewissen gequält werden. Dieje-
nigen, die ein Gewissen hatten, sind unter den Seligen“.
„Ihre Qual kommt nicht davon, daß sie von Schmerz ergriffen
sind über das Böse, das sie getan haben, sondern darüber, daß sie
nicht mehr Böses tun können; denn das ist die Lust ihres Lebens.
Wenn sie nämlich dort anderen Böses zufügen, werden sie von denen
bestraft und gefoltert, welchen sie es zufügen. Besonders quälen sie
sich gegenseitig infolge ihrer Herrschbegierde und durch ihr Verlan-
gen, die anderen zu unterjochen. Dies geschieht, wenn die anderen
sich nicht unterjochen lassen wollen, durch tausendfache Arten von
Strafen und Qualen. Aber die Herrschergewalt, die sie fortwährend
anstreben, unterliegt häufigem Wechsel, und daher werden diejeni-
gen, die als Herrscher andere bestraft und gequält hatten, nachher
wieder von anderen bestraft und gequält, und zwar so lange, bis sich
endlich ihre Leidenschaft aus Furcht vor Strafe gelegt hat“.
„Ein solches Gleichgewicht findet sich bei allem und jedem
im anderen Leben. Das Böse straft sich selbst, so daß im Bösen
auch seine eigene Strafe liegt, ebenso im Falschen, das auf den Fal-
schen zurückfällt. Daher bringt ein jeder selbst Strafe und Qual
über sich und rennt in die teuflische Rotte hinein, welche derglei-
chen verübt“.
Was auf diese Weise an Besserung zu erreichen ist, hat enge
Grenzen. Hier zeigt sich ein grundlegender Gegensatz zum ir-
dischen Leben, der zum Nachdenken und zur Beachtung nötigt:
„Solange der Mensch in der Welt lebt, wird er fortwährend in einem
Zustand erhalten, daß er gebessert werden kann, wenn er nur aus
freiem Antrieb vom Bösen abläßt.… Aber der Zustand des Bösen
im anderen Leben bringt es mit sich, daß er hinsichtlich des Inneren
nicht mehr gebessert werden kann, sondern nur hinsichtlich seines
Äußeren, nämlich durch Furcht vor Strafe. Hat er diese oft genug
erlitten, enthält er sich schließlich – zwar nicht aus freien Stücken,
sondern gezwungenermaßen –, wobei die Begierde, Böses zu tun,
zurückbleibt. Diese Begierde wird, wie gesagt, durch abschrek-
kende Mittel im Zaum gehalten, welche äußere Besserungsmittel
sind und zwingend wirken“.
127
Alle Qualen werden hier gesteigert durch die Art der Umge-
bung der nach dem Grade des Bösen gestaffelten Vielheit der Höllen.
Swedenborg erblickte hier u.a. Höhlen und Grotten in Felsen. „Ei-
nige erschienen dem Auge wie Schlupfwinkel oder Höhlen wilder
Tiere in den Wäldern“. „In einigen Höhlen sieht es aus wie Trümmer
von Häusern und Städten nach einer Feuersbrunst. Darin wohnen und
verbergen sich höllische Geister. In den milderen Höllen erscheinen
elende Hütten, zuweilen zusammenhängend wie eine Stadt mit Stra-
ßen und Gassen. Die höllischen Geister im Inneren sind untereinander
in ständige Zänkereien, Feindseligkeiten, Schlägereien und Zerflei-
schungen verwickelt. Auf den Gassen und Straßen herrschen Raub
und Plünderung. Einige Höllen sind voll garstiger Bordelle, angefüllt
mit allen Arten von Schmutz und Auswurf. Es gibt da auch düstere
Wälder, in denen höllische Geister wie wilde Tiere umherschweifen.
Darin finden sich auch unterirdische Höhlen, in welche diejenigen
fliehen, die von anderen verfolgt werden. Ferner gibt es Wüsten, un-
fruchtbar und sandig. Hie und da sieht man rauhe Felsen, in denen
sich Höhlen befinden, hie und da auch Hütten. In diese Wüsten wer-
den aus den Höhlen diejenigen verbannt, die das Äußerste ausgestan-
den haben, besonders diejenigen, die in der Welt in der Erfindung und
Ausführung von Kunstgriffen und Ränken schlauer gewesen waren
als die übrigen. Ihr Letztes ist ein solches Leben“.
Rückbesinnung
Halten wir hier inne! Wir können und wollen ja nicht das schon wegen
seines riesigen Umfanges kaum ausschöpfbare visionäre Werk Swe-
denborgs nach allen Richtungen hin auswerten. Kommt es uns doch
nur auf die Grundzüge seiner Offenbarungen über das Schicksal der
menschlichen Seele nach dem Tode an. Wichtig ist uns vor allem der
Vergleich mit überkommenen Glaubensvorstellungen und mit den
Ergebnissen der Erforschung außerkörperlicher Erfahrungen
Herauszuheben ist zunächst die geschichtliche Bedeutung der
mitgeteilten Gesichte Swedenborgs. Im Gegensatz zu den vorher herr-
schenden, durchweg sehr unbestimmten und naiven Vorstellungen
über das Jenseits sind sie die ersten, bis ins Einzelne gehenden Offen-
barungen von Daseinsformen nach dem Tode, ausgezeichnet durch
eine strenge innere Logik der beschriebenen Verhältnisse mit ihren
Gesetzmäßigkeiten und natürlichen Ordnungen.
128
Zugleich fällt beim Rückblick von der Gegenwart her auf, wie
sehr die Visionen Swedenborgs in wesentlichen Punkten mit außer-
körperlichen Erfahrungen unserer Zeit übereinstimmen und diese
sich so gegenseitig bestätigen. Dies gilt bereits für Swedenborgs
Nacherleben des Sterbens. Dies gilt ferner für die Beschreibung gei-
stiger Welten mit drei Ebenen, die wiederum in sich abgestuft sind,
bestehend aus einer Materie besonderer Art. Auffallend sind dabei
Ähnlichkeiten mit der irdischen Welt.
Von größter Wichtigkeit ist die Folgerichtigkeit des sich in diesen
Reichen vollziehenden Geschehens. Grundlegend ist ein mehrschich-
tiges Wesensbild des Menschen. Von untergeordneter Bedeutung ist
dabei, ob zwei oder mehr Wesensteile angenommen werden. Wesent-
lich ist lediglich, daß ein geistiger Wesenskern, der eine der irdischen
ähnliche körperliche Gestalt besitzt, den Tod überdauert und daß sich
das weitere Schicksal dieses Geistwesens zwangsläufig aus der wäh-
rend des irdischen Lebens erreichten Erfüllung und Formung ergibt.
Übereinstimmung besteht auch hinsichtlich der in der geistigen
Welt herrschenden Gesetzmäßigkeiten. Dies betrifft vor allem die
hier grundlegend wirksame Macht der Gedanken: als Gestaltungs-
mittel der feinstofflichen Materie, als telepathische Verbindung der
Geistwesen, als Kraft der Anziehung des Gleichartigen. Entschei-
dend sind die sich hieraus ergebende Trennung der Guten und der
Bösen und die entsprechende Ausformung der jenseitigen Ebenen,
wo sich die Gleichgesinnten sammeln.
Bemerkenswert ist gleichfalls, daß Swedenborg zufolge das jen-
seitige Leben nicht durch Lohn und Strafe bestimmt wird, sondern
durch die „leitende Liebe“ der Abgeschiedenen, welche sie in rastlo-
ser Tätigkeit ständig weiterentwickeln.
Es erscheint somit gerechtfertigt, den Visionen Swedenborgs
eine vermehrte Aufmerksamkeit zuzuwenden und so das religiöse
Weltbild zu vertiefen.
Allerdings bleiben auch noch viele Fragen offen. Zwar kann an Swe-
denborgs seherischer Gabe nicht gezweifelt werden. Dies gilt nicht
nur für das räumliche Hellsehen, wie die Wahrnehmung des Brandes
von Stockholm beweist. Dies gilt offensichtlich auch für die Fähigkeit,
aus dem Leibe auszutreten, mit geistigen Augen zu sehen und Verbin-
129
dung mit Geistern Verstorbener aufzunehmen, wie die genauen An-
gaben über das Versteck der verloren gegangenen Quittung erweisen.
Wie steht es aber mit den ausführlichen Beschreibungen der geisti-
gen Welten? Zwar fanden wir in ihnen viele Übereinstimmungen mit
Forschungsergebnissen und mit entsprechenden Berichten über außer-
körperliche Erlebnisse in der Gegenwart. Indessen entdecken wir auch
in dem, was Swedenborg „gesehen und gehört“ haben will, offensicht-
liche Irrtümer. So gibt er z.B. an, Engel hätten ihm gesagt, der Mond
und die Planeten unseres Sonnensystems seien von Menschen bewohnt,
was heutigen Erkenntnissen zufolge nicht der Fall ist.
Wie der Swedenborg-Forscher Dr. Friedemann Horn meint, be-
deutet das freilich nicht, daß man auch die eigentlichen Aussagen
über die fremdartigen Geister anderer Erdkörper, die er in der geisti-
gen Welt gesehen haben will, bezweifeln muß. Es bedeutet zunächst
einmal nur, daß er sie unter Berufung auf Engel fälschlich unserem
Mond und unseren Planeten zugeordnet hat. Schon als Naturforscher
war er, wie viele seiner Kollegen – übrigens auch Immanuel Kant –,
davon überzeugt gewesen, daß alle Erdkörper im Weltall von Men-
schen bewohnt seien. Er hätte sich selbst fragen sollen, ob denn seine
engelischen Gewährsmänner als Menschen vergangener, naturwis-
senschaftlich eher trüber Zeiten überhaupt die astronomische Quali-
fikation besaßen, Aussagen über die Herkunftsplaneten der von Swe-
denborg gesehenen andersartigen Geister zu machen, und ob sie nicht
vielleicht nur die Gedanken Swedenborgs abzapften. Dieser war ja
schon als Gelehrter von der Bewohntheit aller Erdkörper im Weltall
überzeugt gewesen, und so fiel ihm eine solche Frage nicht ein. Und
dies, obgleich er sonst sehr skeptisch war und behauptete, nichts, was
irgendwie die Lehre des Herrn für die neue Kirche betreffe, habe er
von irgendeinem Engel empfangen, sondern allein vom Herrn, wäh-
rend er die Bibel studierte (WCR 779). Nun, gewiß gehört die Aus-
sage, unser Mond und unsere Planeten seien von Menschen bewohnt,
nicht zur Lehre des Herrn für seine neue Kirche, als deren
Offenbarungswerkzeug Swedenborg sich verstand. Obwohl also
an seinen Aussagen über die Planetenbewohner nach heutiger Er-
kenntnis eigentlich nur die Zuordnung zu bestimmten Planeten nach-
weislich falsch ist, wecken solche Irrtümer naturgemäß doch Zweifel
auch an den sonstigen Offenbarungen, die sich naturwissenschaftlich
nicht nachprüfen lassen.
Haben sich uns nicht auch sonst zahlreiche Hinweise dafür erge-
ben, daß hier subjektive Einflüsse eine bedeutsame Rolle spielen?
130
Emanuel Swedenborg 1688-1772
Spiegelt sich nicht im Inhalt der Visionen seine im Elternhaus erwor-
bene christliche Glaubenshaltung? Spiegeln sich nicht in der gan-
zen Art der Begrifflichkeit und der Gedankenführung sowie in dem
Überwiegen des Lehrhaften der Geist des Aufklärungszeitalters und
Swedenborgs verstandesbetonte Einstellung? Schwingen nicht in al-
lem, was Swedenborg über das Totenreich berichtet, subjektive Ur-
teile richtungweisend mit? Sah er in seinen Visionen in Wirklichkeit
nur seine eigenen Gedanken in Bildern? Nun waren dies allerdings
in der Regel sehr kluge Gedanken, so daß durchaus ein hoher Wahr-
heitsgehalt in den Aussagen Swedenborgs vermutet werden kann.
Auffällig ist übrigens nach Meinung der Kritiker auch die Ichbe-
zogenheit der Äußerungen Swedenborgs. Ist dies nicht Ausdruck ei-
nes überwertigen Selbstbewußtseins, eines krankhaft gesteigerten
Geltungstriebs, der unterbewußte Minderwertigkeitsgefühle dadurch
kompensiert, daß er den Himmel zum Ort persönlicher Triumphe
über Andersdenkende macht?
Sind somit Swedenborgs Visionen anderer Welten überhaupt
ernstzunehmen? Zwar hat er sie sich nicht „ausgedacht“. Dagegen
spricht der entrückte Zustand, in dem er sie erlebte und nach inne-
rem Diktat niederschrieb. Sind aber die sogenannten Offenbarungen
letztlich nicht nur Erzeugnisse des Unterbewußtseins?
Swedenborg selbst indessen war bis zuletzt unerschütterlich von
der Wirklichkeit des „Gehörten und Gesehenen“ überzeugt. Noch
kurz vor seinem Tode sagte er zu dem schwedischen Geistlichen
Arwed Ferelius: „So wahr Sie mich hier vor Augen sehen, so wahr
ist auch alles, was ich geschrieben habe, und ich hätte mehr sagen kön-
nen, wäre es mir erlaubt gewesen. Wenn Sie in die Ewigkeit kommen,
werden Sie alles sehen, und Sie und ich werden viel miteinander zu
reden haben“. Trotzdem verstummen die kritischen Stimmen nicht,
die in Swedenborg lediglich einen psychiatrischen Fall sehen. Hat
doch schon Kant, der die Möglichkeit eines Einblickes in übersinnli-
che Welten grundsätzlich leugnete, Swedenborg für einen Verrückten
erklärt, der ins Irrenhaus gehöre.
Was Ernst Benz hier sagt, trifft den Kern der Sache. Swedenborgs Se-
herische Leistung kann nur als eine ganz und gar religiös bestimmte
sachlich gewürdigt werden. Einer solchen gegenüber ist eine rein psy-
chologische oder psychiatrische Beurteilung völlig unangemessen.
Auch eine philosophische Betrachtung, die von einem konstruierten
begrifflichen System ausgeht, sich nicht für das Rätsel des Daseins
offenhält und das Übersinnliche unvoreingenommen in ihre Überle-
gungen einbezieht, kann einem solchen Phänomen, wie es Sweden-
borg darstellt, nicht gerecht werden.
Entscheidend ist hier, daß sich eine hellseherische Anlage, wie
sie z.B. bei der außersinnlichen Wahrnehmung des Brandes von
Stockholm zum Ausdruck kommt, durch religiöse Visionen zu einer
mystischen Begabung entwickelte, die dann völlig das weitere Leben
und Schaffen beherrschte. Dadurch wurde fortan eine unmittelbare
innere Erfahrung des göttlichen Prinzips und der Beziehung des Men-
schen zu diesem Wesensgrunde möglich.
133
Wesentlich ist jedoch, daß Swedenborg im Zustande der mysti-
schen Versenkung nicht nur das Schauen einer transzendenten Di-
mension gelang, sondern daß dies alles geistig verarbeitet wurde und
zur Darstellung gelangte. Wesentlich ist, daß die visionäre Erfahrung
sich nicht auf das subjektive Erleben in einem traumartigen Zustande
beschränkte, sondern sogleich ins Wachbewußtsein trat und zu einer
Verkündigung wurde.
Ernst Benz beurteilt demgemäß Swedenborg als einen echten
Seher, begnadet und berufen, von einer Art, wie sie sich durch die
ganze Geschichte der christlichen Prophetie verfolgen läßt. „Wollte
man seine Offenbarungen als Wahnsinn ablehnen, weil sie sich auf
Visionen berufen, so müßte man gleichermaßen alle christlichen Vi-
sionäre einschließlich des Autors der Johannes-Offenbarungen als
Wahnsinn ablehnen“.
Benz betont zugleich, daß Swedenborgs Sehertum ganz und gar
christlich bestimmt ist. Grundlage ist eine Christusvision. Entschei-
dender Auslöser der Abkehr von seinem vorherigen naturwissenschaft-
lich orientierten Schaffen und der völligen Zuwendung zu religiösen
Fragen und Aufgaben ist ein echtes prophetisches Berufungserlebnis.
„Wollte man die Echtheit dieses Berufungserlebnisses negieren, so
müßte man gleichzeitig die Echtheit sämtlicher entsprechenden Be-
rufungserlebnisse im Bereich der Kirche des Alten und des Neuen
Testaments in Frage stellen“.
„Swedenborg erwies sich darin als echter christlicher Prophet,
daß seine Verkündigung der Kirche gilt. Seine Verkündigung ist nicht
abstrakte Philosophie, sondern richtet sich an die Kirche seiner Zeit
…“ Seine Lehre ist zugleich eine visionäre Kritik an der damaligen
Kirche. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die „Anschauung
von den Letzten Dingen, von der Wirklichkeit des Gottesreiches, von
seinem Kommen, von der Seinsweise des Lebens nach dem Tode,
von der Auferstehung, vom Jüngsten Gericht, von Himmel und Hölle
… Swedenborgs bleibendes Werk ist es, auf diese Fragen auf Grund
seiner visionären Erfahrungen überhaupt eine Antwort gebracht zu
haben, die sie wieder in den Mittelpunkt der religiösen Anschauung
und der persönlichen Frömmigkeit rückte“.
Abschließend kann gesagt werden: Bei Swedenborg hat das Hell-
sehen geradezu kosmische Ausmaße erreicht, indem es in Verbindung
mit denkender Durchdringung eine ganze geistige Welt erschließt.
Dies geschieht zudem in einer bisher nie gekannten Ausführlichkeit
und Aufgliederung, so daß sonst recht allgemeine und unbestimmte
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religiöse Glaubensvorstellungen erst Farbe bekommen und zu einer
lebendigen Wirklichkeit werden.
Swedenborg ist zweifellos ein einmaliges geschichtliches Phäno-
men von größter religiöser Bedeutung. Dies gilt vor allem für seine
Jenseitslehre, die einen bis dahin weitgehend leeren Raum ausfüllte,
indem sie die Weise des Fortlebens der Abgeschiedenen bis ins Ein-
zelne zur Anschauung brachte und die in jener Welt herrschenden
Gesetzmäßigkeiten dem Verständnis erschloß.
Wegen der festzustellenden subjektiven Beimischungen be-
dürfen indessen die hier gewonnenen Einblicke und Einsichten der
Überprüfung, Bestätigung und Ergänzung. Diese Aufgabe ist nicht
leicht; denn soviel ist gewiß: Die Beteuerungen Swedenborgs, daß
es sich hier nicht nur um menschliche Phantasien oder Spekulatio-
nen handelt, sondern um Botschaften himmlischer Mächte, müssen
ernstgenommen werden. Dies betont auch Kurt Hutten in seinem
kritischen Buch über die Sekten und Sondergemeinschaften („Seher,
Grübler, Enthusiasten“): „Es ist nicht erlaubt, über sie hinwegzuge-
hen. Swedenborg hat mindestens Anspruch auf subjektive Glaubwür-
digkeit. Und die erstaunlichen Erscheinungen, die mit seinen visio-
nären Erlebnissen verbunden waren, sprechen auch für die objektive
Glaubwürdigkeit seiner Zeugnisse. Es könnte in der Tat so sein, daß
durch ihn Stimmen aus einer höheren Welt gesprochen haben. Daraus
muß nicht gefolgert werden, daß ihre Aussagen absolut wahr sind – es
gibt Dinge, die auch den Geistern und Engeln verhüllt sind und die
Gott allein weiß (Matth. 24, 36) –, wohl aber, daß ihnen ein größeres
Gewicht zukommt als unserem menschlichen Wissen. Verbindlich
sind sie auch dann nicht für den Glauben. Aber er kann sie als hilfrei-
che Antworten werten, die ihn gewisser machen, seinen Weg erhel-
len und Schneisen durch den Urwald verborgener Welten schlagen.
Er wird sie bei alledem nicht für bare Münze und unbesehen hin-
nehmen dürfen. Bei solchen ,Offenbarungen‘ vermischt sich ja das
Außermenschliche der Offenbarungsquelle mit dem Menschlichen
des Offenbarungsmediums, und es gilt den Kern vom Beimengsel
zu scheiden“. Und in einem Brief an eine Anhängerin Swedenborgs
schrieb Hutten: „In Swedenborg sehe ich einen der ganz Großen in
der europäischen Geistesgeschichte der letzten 300 Jahre. Ich halte
es für eine Tragödie, daß er vom offiziellen Kirchentum abgewie-
sen wurde. Er ist bahnbrechend und ungemein befruchtend für den
christlichen Glauben und gibt ihm gerade heute eine Fülle von Weg-
weisungen und Anregungen“.
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SCHLUSSBETRACHTUNG
Rückblick
Grunderkenntnisse
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Ausklang
Wir sind ausgegangen vom Rätsel des Sterbens. Wir erfuhren das
Wirken eines Geistes, der den Tod überlebt. Das Rätsel des Sterbens
ist so zugleich das Wunder des Lebens, eines Lebens, das von einem
göttlichen Seinsgrunde her Sinn und Wert gewinnt.
Außerkörperliche Erfahrungen konnten uns eine Überzeugung
von der Existenz einer Überwirklichkeit vermitteln. Was blinder
Glaube nur hinnimmt, was bloßes Grübeln nur annimmt, wurde für
uns zur vollen Gewißheit. Außerkörperliche Erfahrungen führten
uns zu einem religiösen Glauben, der durch Erleben und Erkennen
gestützt wird.
Das übersinnliche Erleben macht aufgeschlossen für die Wun-
der des Seins. Es eröffnet Bereiche, die rätselhaft und unbegreiflich
erscheinen, aber dennoch wirklich sind. Es macht fähig zum Staunen
und damit zugleich zum Glauben an geistige Ur- und Hintergründe
der Welt und des Lebens in ihr.
Hat sich aber in dieser Weise der Blick für Wunder einer
Überwirklichkeit geöffnet, dann entdeckt er mehr und mehr auch in
allem, was ihm bislang selbstverständlich und „natürlich“ erschienen
war, das Wunder, dessen Erklärung immer schwieriger wird, je tiefer
er darin einzudringen versucht. Nicht nur das übersinnlich Wahr-
genommene, sondern auch die „sinnliche Erscheinungswelt“ wird
dem Suchenden zu einem Werk rätselhafter Kräfte und Mächte, die
letztlich einem göttlichen Urgrund entspringen. Die Natur wird zum
Wunder Gottes. Dazu gehören nicht nur die Wunder um uns, sondern
auch in uns.
So ist das Übersinnliche eine Brücke zum religiösen Glauben,
allerdings nur eine Brücke; denn die eigentlichen Schritte dorthin
muß jeder aus eigenem Antrieb selber tun. Der Gottesglaube läßt
sich zwar durch Vernunftgründe stützen und rechtfertigen, aber nicht
erzeugen, auch nicht durch mannigfaltige Weisen innerer Erfahrung,
zu denen auch Formen der heute so modern gewordenen „Medita-
tion“ gehören, die durch höchste Konzentration auf einen geistigen
Inhalt eine Bewußtseinserweiterung anstreben, die zugleich eine Stei-
gerung und Vertiefung bedeutet.
Der Glaube ist niemals von anderen Bewußtseinselementen
ableitbar. Er ist vielmehr ein eigenständiges Element im menschli-
chen Bewußtsein. Sein Ursprung liegt in einer letzten Wesenstiefe
des Menschen, die sich mit einem Höheren, mit Gott rückverbunden
143
fühlt. Dieser Glaube ist selber etwas Übersinnliches, das nur erfahren
werden kann, wenn sich Seele und Geist dafür öffnen.
Religiöser Glaube kann erst dort erweckt werden, wo ein Funke
überspringt und ein Licht anzündet, das die Seele erleuchtet und alles
um sie her mit Glanz erfüllt. Dies aber ist ein Geschenk und eine
Gnade, die nur dem zuteil werden, der noch in Fühlung lebt mit sei-
nem innersten Wesenskern. Ein solcher wird sich immer deutlicher
der Unvergänglichkeit seines Seelengrundes bewußt. Er hält sich
offen für mögliche Wirklichkeiten außerhalb seiner beschränkten
Sinneserfahrung. Er bleibt nicht starr an einem vorgefaßten engstir-
nigen Weltbild haften und versucht nicht alles wegzuerklären, was
dazu nicht paßt.
Ist aber der Glaube gewonnen, wird er zum Ruhe- und Richt-
punkt sinnerfüllten Lebens, das in einer gottbezogenen Welt der
Werte seine Heimat und sein Aufgabenfeld findet auf dem Wege
zu immer größerer Vollkommenheit nach Maßgabe des göttlichen
Urbildes.
Weniger wichtig sind dabei die konkreten Gottesvorstellungen,
ist doch das eigentliche Wesen Gottes unfaßbar. Darum sollte jeder
ihm lieb und vertraut gewordene religiöse Vorstellungen im Hinblick
auf eine lebendige Ich-Du-Beziehung zu Gott getrost bewahren.
Wer so zum Glauben gelangt ist, versteht den Sinn der Inschrift,
die der im Heimatlichen und Religiösen verwurzelte Maler Hans
Thoma für sein Grab verfaßt hat. Hier ist das „Licht“ Sinnbild zu-
gleich für das Göttliche und für den Glauben:
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LITERATURHINWEISE