Zuschnitt 72
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Das Ornament
Redekunst in Holz
Inhalt Seite 3 Themenschwerpunkt
Editorial
Zuschnitt 72.2018 Text Anne Isopp Seite 3 – 29
Seite 4 Was ist ein Ornament?
Essay Texte Hermann Czech, Ákos
Zur Logik des Ornaments Moravánszky, Irmgard Frank,
Text Jörg H. Gleiter Alberto Alessi, Reinhard
Gassner, Adolf Loos, Adolf
Krischanitz, Eva Guttmann,
Walter Angonese, Köbi
Gantenbein
Editorial
tion, statisch ehrlich und Seite 12 – 13 Text Maik Novotny Baukultur Holz(an)stoß
Inhalt
sinnbildlich passend Kultureller Code Seite 18 – 19 Text Anne Isopp Richard Artschwager
Text Maik Novotny Ornamentale Steckver- Die alltägliche Ornamentik Seite 24 Text Stefan Tasch
bindung an Beispielen anonymer Rhetorik und Ornament
Text Anne Isopp Architektur Vorarlbergs Text Manfred Russo
2
3
Text Johann Peer
zuschnitt 72.2018
Editorial
Anne Isopp
Ein Ornament an einem Haus spricht den Betrachter an, es will Neuer Obmann von proHolz Austria
ihm etwas erzählen, Assoziationen wecken oder eine bestimmte Richard Stralz ist neuer Obmann von proHolz Austria. Er über-
Wirkung hervorrufen. Dabei überdeckt die Wirkung die Tatsache, nimmt die Funktion in Nachfolge von Christoph Kulterer. Zu den
dass die Entwicklung und Ausführung dieses Ornaments viel stellvertretenden Obleuten von proHolz Austria wurden Natalie
handwerkliches Können erforderte oder zumindest viel Gedanken- Binder, Binderholz, und Franz Peter Teuschler, Teuschler Holz,
und Entwicklungsarbeit. Der Mehrwert entsteht durch Mehr- bestellt. Richard Stralz, der 2013 den Vorstandsvorsitz in der
aufwand. Das Ornament, das Muster oder der Zierrat will diese Mayr-Melnhof Holz Holding ag übernommen hat, hat sich als
Mühe gar nicht thematisieren, es wohnt ihm eine Selbstverständ- neuer proHolz-Obmann das Ziel gesetzt, „mit effektiven Maßnah-
lichkeit inne, eine Freude am Dasein. Diese Freude am schönen men die Voraussetzungen für eine rasche weitere Verbreitung
Objekt hat auch uns bei der Konzeption und Ausführung dieses des Holzbaus, vor allem in Zukunftssegmenten wie dem Wohn-
Hefts begleitet. bau, zu schaffen.“ Im Bereich Ausbildung und Nachwuchs sowie
Aber was ist überhaupt ein Ornament? Was unterscheidet es von in gemeinsamer, länderübergreifender Holzwerbung im deutsch-
einem Muster? Wir baten Architekten, Gestalter, Architekturtheo- sprachigen Raum will er Schwerpunkte setzen.
retiker und -publizisten um ihre Interpretation. Wir hielten nach
Ornamenten im Holzbau Ausschau und begegneten einer großen bau:Holz-Seminare 2019 in Wien, Linz und Salzburg
Vielfalt: Einmal ist das Ornament eine im wahrsten Sinne des Die Seminarreihe zum mehrgeschossigen Holzbau wird auch
Wortes oberflächliche Verzierung, einmal hat es eine Funktion, 2019 wieder angeboten. Im Mittelpunkt steht die Vermittlung
mal spielt es mit Assoziationen, mal vermittelt es einen religiösen aktueller Holzbautechnologien, Gesetze und Normen für die
Code. Im einen Fall ist es zweidimensional, im anderen räumlich praktische Umsetzung. In der ersten Jahreshälfte 2019 wird die
konstruktiv. modular aufgebaute Seminarreihe zum mehrgeschossigen
Bei jedem Projekt, das wir Ihnen vorstellen, finden Sie Anschau- Holzbau in Wien und Linz angeboten, im Herbst 2019 dann in
ungshinweise: Wir zeigen, was man sieht (Titel), wie es gemacht Wien und Salzburg.
ist (Untertitel), warum und wie der Architekt diesen Ausdruck Infos dazu gibt es Anfang 2019 unter www.proholz.at
gewählt hat (Text) und welche Wirkung es hat (Bild).
Es ist ein Heft voller Anregungen und Möglichkeiten, neue Blick- Die Vorträge der sechs Module aus dem Frühjahr und Herbst
winkel und Perspektiven auf Bekanntes zu werfen. Es ist ein Heft, 2018 sind nachzulesen auf
das in erster Linie Spaß machen soll beim Schauen und Lesen. www.proholz.at⁄ bauholz
Nach wie vor ist Ornament das, was man weglassen kann. Es bringt nichts, diesen Loos’schen Ansatz anzuzweifeln. Wir sind nicht in einer historischen Situation, in der wir von
der „Wiedereinführung des Ornaments” etwas gewinnen könnten. Das wäre ein anti-analytischer, theoretisch inferiorer Versuch, Symptome mit einem Medikament zu behandeln,
Erkenntnis durch Zutaten zu ersetzen.
Freilich ist schon Loos’ Standpunkt komplexer, als weithin verstanden wurde. Sein Kampf gegen das Ornament ist nicht ein Kampf für die glatte Fläche, sondern gegen jede
Form, die nicht Gedanke ist – und sei es eine glatte Fläche.
Die Zurückweisung des Ornaments bedeutet nicht den Glauben an die simple Lösung. Die simple Lösung gibt es nicht, wenn die Komplexität der konkreten Situation erfasst
und aufgearbeitet wird. Selbst wenn alle einander überlagernden Systeme zur Deckung kommen und das Ergebnis scheinbar durchsichtig ist, wird das mehrschichtige Netzwerk
sich durch ein Vibrieren verraten.
Architekten können sich entspannen: Wir brauchen Komplexität nicht zu erfinden. Hermann Czech, Architekt in Wien
Essay Zur Logik des Ornaments Holz- zur Steinkonstruktion. Im Tempel in Stein verschwanden die Holz-
konstruktionen von Decken und Dachstuhl hinter der steinernen Fassade.
Damit stand die Architektur in Gefahr, eine abstrakte Figur zu werden,
weil sich das Gebäude der Lesbarkeit und dem Verständnis seiner kon-
struktiven und konzeptuellen Logik entzog, weil es nicht mehr mitteilte,
wie es gemacht und wie es konzipiert war. Ornamente machen die materiell-
Jörg H. Gleiter konstruktive wie auch die konzeptuell-kulturelle Logik sichtbar.
Deswegen hätten die Baumeister, so Vitruv, die Ornamente erfunden, zum
Das Ornament gilt als das am schwierigsten zu fassende Element der Beispiel das Triglyphen- und Metopenfries. Die Triglyphen sind stilisierte
Architektur, es scheint sich einer klaren Definition zu entziehen. Dement- Balkenköpfe, sie zeigen die Position der Deckenbalken dahinter an, die
sprechend werden die Debatten darüber hitzig und emotional geführt. Metopen den Raum dazwischen. Triglyphe und Metope haben selbst keine
Man denke nur an das Postulat, dass die Moderne mutwillig das Ornament konstruktive Funktion, sie sind indexikalische Zeichen für etwas, was ohne
abgeschafft oder gar liquidiert habe. Aber wird man damit dem Ornament sie unsichtbar bliebe. Über ihre konstruktive Verweisfunktion hinaus sind
gerecht und wichtiger noch: Wird man damit der Architektur gerecht? sie aber vom Handwerker oder Künstler beliebig bearbeitbar. Es kann die
Triglyphe mit Bildmotiven und die Metope mit Reliefs oder das Säulenka-
Doppelte Polung pitell mit Pflanzenmotiven oder kunstvollen Fabelwesen verschönert werden,
Die Ornamente sind aber weniger rätselhaft, als sie scheinen. Im Gegenteil, je nach Zeit, Region, Kultur und Meisterschaft des Handwerkers.
die Debatten darüber sind Indikatoren dafür, dass sich in der Konzeption
der Architektur etwas verändert und etwas Neues entsteht. Mit neuen Kon- Logik der Kultur
struktionsformen, Verbundstoffen und der Digitalisierung aller Bereiche der Ornamente verbinden demnach zwei Erzählungen: Die Erzählung über die
Architektur, gerade auch im Holzbau, steht auch heute, wie zu Beginn Konstruktion mit der Erzählung über die Kultur. Sie sind quasi das Inter-
der Moderne, die Architektur wieder an einem Wendepunkt. Wie vormals face, die Schnittstelle. Was bedeutet das aber für das Zeitalter der analogen
kristallisiert sich am Ornament die neue Konzeption der Architektur heraus. und digitalen Maschinenproduktion, der Fertigteile, des 3D-Printing und
Man darf sich nicht wundern, aber mehr denn je besitzt das Ornament der Verbundstoffe, wo vieles vorgerechnet und vorgefertigt ist und auf
eine Zukunftsorientierung. Das zeigt sich in Walter Gropius’ Ausruf: der Baustelle nur noch montiert wird, wo es keine Schrauben, Dübel oder
„Vorwärts zur Tradition! Das Ornament ist tot! Lang lebe das Ornament!“1 Balkenschuhe mehr gibt und vieles geklebt ist? Wie zeigt sich dann die
Das Ornament lässt sich, trotz seiner vielfältigen Erscheinungsformen, Logik der Holzverbindungen, wie finden sie ihre kulturelle, symbolische
durchaus näher bestimmen. Man kann dazu auf Gottfried Semper Bezug Aneignung? Die zentrale Frage ist, wie denn die kulturelle Aneignung des
nehmen. In seiner Schrift „Der Stil in den technischen und tektonischen rein Technisch-Konstruktiven stattfinden kann, wenn der Handwerker
Künsten, oder praktische Ästhetik“ (1863) versuchte Semper, die theore- nicht mehr Hand anlegt und keine Spuren der Bearbeitung sichtbar sind.
tischen Grundlagen der Architektur zu beschreiben. Und es ist das Orna- Brauchen wir überhaupt noch die Ornamente? Sind wir wieder an dem
ment, auf das alles hinausläuft und das im Zentrum des Verständnisses Punkt – vielleicht Tiefpunkt – angelangt, an dem das Ornament einmal
der Architektur steht. mehr abgeschafft werden kann?
Die Ornamente haben, so Semper, ihren Ausgangspunkt in den Prozessen Oder könnte es sein, dass mit den analogen wie auch digitalen Maschinen-
des Machens und des Gemachtseins der Dinge. Sie können von nichts verfahren der ornamentale Prozess, unmerklich erst, sich verlagert hat von
losgelöst werden. Vom stilistischen Standpunkt aus betrachtet trete das der Baustelle an den Anfang des Prozesses der Architektur und damit ins
Ornament „uns nicht als etwas Absolutes, sondern als ein Resultat entge- Entwerfen? Vielleicht kann man sogar von einer Rückkehr des Ornaments
gen“2. Seinen Ursprung hat es einerseits in den materiellen und konstruk- in den variierenden, computergenerierten Mustern sprechen, wie zum Bei-
tiven Verfahren, andererseits in der kulturell konnotierten Bearbeitung spiel in Achim Menges’ „Honeycomb Morphologies“, deren Gemachtsein
auf Seiten des Handwerkers. So kann man von der doppelten Polung des trotz aller Algorithmen in den Verbindungen der einzelnen Zellen sichtbar
Ornaments sprechen, in den Worten von Semper einerseits von der struk- wird. Es stellt sich an diesem Beispiel dennoch die Frage, wo sich die
tiv-technischen Seite, andererseits von der struktiv-symbolischen. kulturelle Konnotierung, das symbolisch Spezifische des Entwurfs und der
Architektur zeigt.
Logik der Konstruktion In diesem Zusammenhang stellen sich grundlegende Fragen, den kulturel-
Für Semper zeigt sich das an der Verknüpfung von Stoffen und Fellen zu len Status der Architektur betreffend. Die Honeycomb Morphologies sind
größeren Flächen. Er sprach von der „struktiven Bedeutung der Naht“3 erst einmal Unikate und Prototypen, ihre Formensprache ist noch nicht
und von der Naht als Ausgangspunkt für Ornamente. „Die Naht ist wohl in die allgemeine Sprache der Kultur übergegangen. Wo die kulturelle
ein Nothbehelf, der erfunden ward, um Stücke homogener Art, und zwar Konnotierung noch fehlt, sind sie in diesem frühen Stadium mehr Muster
Flächen, zu einem Ganzen zu verbinden.“4 Als Beispiel nannte er das Zu- als Ornament. Dazu muss festgestellt werden, dass die Ornamente in ihrem
sammennähen einzelner Felle zu größeren Stücken, wobei ihm als ethno- klassischen Gebrauch immer Figuren sind, die Teil des kulturellen Bewusst-
logisches Anschauungsobjekt die Indianer dienten. Irgendwann genügte seins sind in je individueller Färbung durch die Bearbeitung des Hand-
ihnen die Naht als konstruktives und funktionales Element nicht mehr. Sie werkers. Die neuen Formen heute müssen also einen Prozess durchmachen,
fingen an, die Nähte mit komplizierteren Stichen zu überhöhen. Aus den damit sie ein neuer, bedeutungsvoller Teil der symbolischen Sprache der
einfachen Nähten wurden reiche Verzierungen, aus den Kreuzstichen Muster Architektur werden und den Status eines neuen Ornaments erwerben. Will
und sich wiederholende Ornamente. Ornamente sind also „bedungen durch man Beispiele nennen für Figuren, die aus einer technischen Form zu einer
die Art der Bearbeitung der Stoffe“ 5. Durch sie findet die Überführung kulturell konnotierten Figur wurden, so lassen sich dafür die „Nierenform“
der konstruktiv-technischen Verfahren in kulturell bedeutungsvolle Muster der 1950er Jahre anführen und die typischen Tapetenmuster der 1970er
und Zeichen statt, die von Region zu Region, von Kultur zu Kultur variieren Jahre oder die Kombination von freigelegtem Mauerwerk und verputzter
und ostfriesisch, oberbayerisch, slowakisch oder sizilianisch sind. Wand für die Postmoderne der 1980er Jahre. Auch wenn in den drei Bei-
Ähnliches hat Vitruv in seinem ersten Theorietraktat der Architektur, in spielen der Handwerker nicht mehr maßgeblich an der Herstellung betei-
„De architectura libri decem“, schon beschrieben. Es entsteht das archi- ligt ist, so handelt es sich doch um Muster, die durch Gebrauch mit einer
tektonische Ornament aus dem Übergang des antiken Tempels von der zeitspezifischen Konnotierung kulturell zu Ornamenten aufgeladen sind.
1 Walter Gropius: „Für eine lebendige Architektur“, in: Hartmut Probst, Christian Schädlich:
Walter Gropius. Ausgewählte Schriften, Bd. 3, Berlin 1983, S. 169. Jörg H. Gleiter ist seit 2012 Professor für Architekturtheorie und geschäftsführender
2 Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder Praktische Direktor des Instituts für Architektur der Technischen Universität Berlin. Er ist Heraus-
Ästhetik, Bd. 1: Die Textile Kunst, München 1878, S. 107. geber der Reihe ArchitekturDenken (Transcript Verlag Bielefeld) und Mitherausgeber
3 Ebd., S. 77.; 4 Ebd., S. 78.; 5 Ebd., S. 177. der Internationalen Internet-Zeitschrift zur Theorie der Architektur Wolkenkuckucksheim.
Digitale Planung der Tragstruktur der Cambridge Moschee Themenschwerpunkt Das Ornament
Sternenapplikation mit Funktion Kochakademie
Standort Putzen 24, Sarntal⁄ IT
Bauherr Bad Schörgau kg, Sarntal⁄ IT, www.bad-schoergau.com
Planung Pedevilla Architects, Bruneck⁄ IT, www.pedevilla.info
Poröses Muster wird zum akustischen Filter Statik Pfeifer Planung, Eppan⁄ IT, www.pfeiferplanung.it
Holzbau Aster GmbH, Jenesien⁄ IT, www.aster-holzbau.com
Fertigstellung 2017
Anne Isopp
Die jüngste Erweiterung des Hotels Bad Schörgau in Südtirol ist Wie bei den anderen Mustern in diesem Haus basiert auch dieses
ein zweigeschossiger Holzbau mit Raum für eine Kochakademie Sternenmuster auf dem Grundelement des Kreises: ein Kreis, der
und einen Kosmetikverkauf. Sowohl Teile der Fassade als auch sich wiederholt, überschneidet, rautenförmige Öffnungen bildet
die Innenräume werden von einem rautenförmigen Muster über- und an den Kreuzungspunkten als dreidimensionaler Stern vor-
zogen. Zum Höhepunkt gelangt diese ornamentale Gestaltung springt. „Bei der Entwicklung der ornamentalen Decke und der
im großen Saal im Erdgeschoss. In diesem zentralen Raum können Fassade haben wir immer zugleich daran denken müssen, welche
bis zu hundert Gäste Kochevents und anderen Veranstaltungen Anforderungen zu erfüllen sind und wie man diese Ornamente
beiwohnen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht ein großer am einfachsten aus Holz herstellen kann“, sagt Architekt Alexander
Steinmonolith, über allem schwebt ein hölzerner Sternenhimmel. Pedevilla. Die Decke, die mit der akzentuierten Beleuchtung
sowie den abgerundeten Ecken an einen Baldachin erinnert,
ist in Wahrheit ein hochtechnisches Bauteil. Sie muss akustischen
Anforderungen genügen sowie Lüftungsauslässe und Licht inte-
grieren. Hinter den rautenförmigen Auslässen erkennt man die
Hanfdämmung, die die Raumakustik unterstützt. Gleichmäßig
verteilt über die Hanffelder wird zudem Luft eingeblasen. Während
bei der Fassade Lärchenbretter zum Einsatz kamen, sind die Wände
und Decken im Inneren mit Fichtenholz verkleidet, dessen Ober-
fläche händisch mit dünnflüssiger Kalkfarbe behandelt wurde.
Zuerst wurde die Unterkonstruktion der Decke befestigt, dann
die mit dem Rautenmuster ausgefrästen Holzbretter. Zum Schluss
wurden die Sterne so auf die Kreuzungspunkte geklebt, dass sie
die Teilung der Holzbretter verdecken und der Besucher den Ein-
druck bekommt, dass über ihm ein ganzes Stück Himmel schwebt.
Obwohl Gottfried Semper das Ornament in einen tektonischen Rahmen zwingen wollte, fließt es über alle Grenzen. Das Wort wurzelt zwar im lateinischen ordo (Ordnung),
Das Ornament
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Maik Novotny
Die neue Abu Bakr Siddiq Moschee für rund tausend Gläubige entschieden“ – für ein Holztragwerk, das ein ornamentales Muster
im britischen Cambridge stammt von Marks Barfield Architects formt, für Holz nicht zuletzt auch, weil die Auftraggeber explizit
aus London, bekannt unter anderem für die Planung des statisch auf Nachhaltigkeit setzten und die Moschee als „eco-mosque“
innovativen Riesenrads London Eye. Grundelement des Moschee- bewerben.
Entwurfs ist eine komplexe Holzkonstruktion: Der zentrale Gebets- Das Grundelement der Geometrie bildet ein achteckiger Stern,
raum wird von einem stabförmigen Holztragwerk überspannt, unter dem Begriff „Atem des Barmherzigen“ (al-nafas al-rahman)
das sich zu einem komplex-ornamentalen Muster fügt. „Die Grund- eine traditionelle Figur in der islamischen Architektur. Dieses
idee war die eines Baumhains“, sagt Architektin Julia Barfield. Muster sei aber kein reines Bild, sondern von Anfang an struktu-
„Die Natur ist ein verbindendes Element zwischen westlicher und rell gedacht, betont Julia Barfield.
islamischer Kultur. Der Raum soll zur Kontemplation einladen.“ Entwickelt wurde der „Baumhain“ mit einem Schweizer Team: dem
Um diesen Effekt zu erreichen, lassen sie das Licht durch runde Holzbauunternehmen Blumer-Lehmann ag, den Ingenieuren sjb
Deckenöffnungen durch die Tragstruktur in den Raum fallen. Kempter Fitze ag, die schon ähnliche Konstruktionen für Shigeru
Ziel sei es gewesen, eine britische Moschee für das 21. Jahrhundert Ban berechnet hatten, sowie Design-to-Production, die das digitale
zu entwickeln. Lokales Vorbild war die Kapelle des King’s College, Modell erstellten. Insgesamt 2.746 freigeformte Holzelemente
Cambridge, mit seinem gotischen Fächergewölbe. „Daher haben wurden vorgefertigt und vor Ort montiert. Statisch sind die einzel-
wir zuerst auch an Mauerwerk gedacht“, so Barfield. „Das hätte nen Teile unterschiedlich belastet, manche davon haben eine rein
aber bedeutet, dass nur die Stützen tragend gewesen wären und optische Funktion, so Johannes Kuhnen von Design-to-Production.
alles Ornamentale nur Dekoration. Also haben wir uns für Holz Die Eröffnung der Moschee ist für Frühjahr 2019 anvisiert.
das Ornament duldet aber kein Maß und keine Struktur. Bei allem Überfluss ist es nicht überflüssig. Die Vitalität des Ornaments hat mit seiner Naturhaftigkeit zu tun.
Ursula Baus
Gemeinschaftshaus der Flüchtlingsunterkunft Spinelli Für die Flüchtlings-Erstaufnahmestelle in einer ehemaligen amerikanischen Kaserne
Standort Am Aubuckel, Mannheim⁄ D, www.design-build.space riefen 2015 die Baukulturbeauftragte Tatjana Dürr und der in Kaiserslautern lehrende
Bauherr Regierungspräsidium Karlsruhe, Karlsruhe⁄ D,
www.rp.baden-wuerttemberg.de
Holzbauexperte Stefan Krötsch eine Initiative ins Leben: Studenten sollten in die Bau-
Planung Studentengruppe Atelier u20, Fachbereich Architektur der praxis geführt und Geflüchtete von der vorgeschriebenen Passivität befreit werden.
tu Kaiserslautern unter Leitung der Fachgebiete Tektonik im Holzbau, Tragwerk 18 Studenten und 25 Flüchtlinge bauten in sechs Wochen zusammen ein Gemeinschafts-
und Material und Digitale Werkzeuge, Kaiserslautern⁄ D, www.uni-kl.de
haus, dessen Entwurf in einem universitären Wettbewerbsverfahren ausgewählt wurde.
Holzbau Edgar Körber GmbH, Mannheim⁄ D, www.koerber-gmbh.de,
mit Studierenden des Ateliers u20 und Flüchtlingen Das untemperierte Konstrukt bietet einen ruhigen Gartenhof mit Rückzugsnischen
Fertigstellung 2016 und einen halboffenen Raum, der für gemeinschaftliche Aktivitäten vorgesehen ist,
außerdem Lager- und Werkstattraum. Balkendecken (Konstruktionsvollholz und Drei-
schichtplatten) sowie die Wände (Holzrahmenbauelemente aus Konstruktionsvollholz
mit Beplankungen) wurden in einer benachbarten Halle präzise vorgefertigt und mit
Transportwägen beziehungsweise Montagegerüsten, die die Studenten selbst ent-
wickelt hatten, aufgestellt und eingebaut. Die geschlossenen Wände aus Fichte-
Dreischichtplatten wurden teils nur außenseitig, teils beidseitig mit senkrecht ange-
schraubten Brettern beplankt. Die Gitterträger und -wände sind mit fünf Lagen
vertikal und diagonal montierten Douglasien-Latten (3 mal 5 cm) zu einem hochleis-
tungsfähigen, auch in der Dachebene aussteifend wirkenden dreidimensionalen
Tragsystem verschraubt, das nur weniger Einzelfundamente bedurfte.
Die Gitterfassadenstruktur lässt in ihrer dreidimensionalen Offenheit von vielen Rich-
tungen aus sehr unterschiedliche Transparenzzustände erkennen. Bei Sonnenschein
werden zauberhafte Mustervarianten als Schatten auf den Boden oder gegenüberlie-
gende Wände geworfen. Eine symbolische Aussage ist mit dem konstruktiv bedingten
„Ornament“ nicht verbunden, was seinen ästhetischen Reiz aber nicht im geringsten
mindert. Bei der Planung, die Bauprozesse materialgerecht und zugleich einfach zu
halten, kamen Stefan Krötsch seine Erfahrungen aus Projekten in Afrika zugute:
Arbeitsintensive Bauprozesse sind dort preiswert, hier beim Mannheimer Projekt sind
sie zudem mit Erfahrungs- und Erkenntnisgewinn für die Studierenden und Geflüch-
teten verknüpft. Die Erstaufnahmestelle liegt in einem Bereich der Bundesgartenschau,
die 2023 in Mannheim ausgetragen wird. Dort lässt sich der vielfach ausgezeichnete
und makellos konstruierte Holz-Pavillon problemlos weiternutzen.
Ursula Baus ist Architekturpublizistin und -wissenschaftlerin. Sie ist Mitbegründerin von frei04 publi-
zistik und seit 2014 Mitheraus geberin des Online-Architekturmagazins frei04 sowie seit 2017 Marlowes.
Stenogramme. Ornamente sind Zeichen und können Symbolkraft haben. Sie ermöglichen uns Zuordnung, Zugehörigkeit und Individualisierung. Gegenwärtig findet das Ornament in der
Damit die Oberfläche nicht zum Oberflächlichen wird, bedarf es entsprechender Reflexion.
Baukörper und/oder Raum müssen mit dem Ornament eine unauflösliche Verbindung eingehen.
Klaus Zwerger
Die einfachste Form der Dekoration im Blockbau war in den älteren Blockbauwand als materialspezifisches Ornament zu lesen.
einstmals ärmsten Gegenden zu finden. Aus Sparsamkeit, aus An den Verbindungsstellen lässt sich am deutlichsten der Ent-
Mangel an gutem Baumaterial und erstklassigen Handwerkern wicklungs- und Präzisionsgrad von Blockbauten erkennen. Die
waren die Balken nicht dicht gefügt. Die breiten Spalten zwi- mit ornamentalen Mustern übersteigerte Gestaltung von Balken-
schen den einzelnen Lagen wurden mit vegetabilem Dichtungs- köpfen an den Hausecken oder eingebundenen Zwischenwänden
material ausgestopft, das zur Sicherung außenseitig verputzt erlaubte dem Zimmermann, sein Können zu demonstrieren. So
wurde. Das führte zu einer klar differenzierten Zweifärbigkeit manche Ausformulierung macht deutlich, dass es ihm nicht um
der Wandfläche. Der Eindruck gebar die Idee, durch Auftrag größere Festigkeit der Konstruktion ging. Der Ehrgeiz der Hand-
richtiger Farben den Effekt zu intensivieren. Wirklich dichte werker ließ sie in einigen Extremfällen die im Material liegenden
Balkenlagen erfordern gutes Baumaterial und eine sehr hoch Grenzen so weit vergessen, dass die Konstruktion Schaden nahm.
entwickelte Verbindungstechnik spezialisierter Handwerker. Die Bandbreite der Beispiele lässt den sehr unterschiedlichen
Deren Arbeitseinsatz war kostspielig, weil sie sehr exakt und Arbeitsaufwand erahnen. Besonders beliebt, weil nur von Spezia-
daher langsamer bauen mussten. Es ist nicht jedermanns Sache, listen realisierbar und daher ein Distinktionsmittel, waren ge-
die horizontale Gliederung der Lagerfugen und Holzrisse einer schweifte Formen. Wer mit seinem Bauwerk repräsentieren wollte,
Mehr und weniger. Das Ornament ist eine geschenkte Erscheinung, die Möglichkeit einer überraschenden Manifestation: das Tektonische ohne Konstruktion, die Tiefe ohne Raum,
Das Wort Ornament stammt aus dem griechischen Begriff Kosmos, der für Universum, Ordnung und Ornament stand: das Alles und das Wenige.
Alberto Alessi,
Das Ornament
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Kerbschnitzerei in Braunschweig⁄ D Straßburg⁄ FR Michelstadt⁄ D
wer zeigen wollte, was er sich leisten kann, der spornte den Sobald konstruktive Probleme zufriedenstellend gelöst schienen,
Zimmermann zu dessen Freude an, noch nicht Dagewesenes zu war der Weg frei, dem anscheinend inhärenten Verzierungsbedürf-
versuchen. nis nachzugehen. Verziert wurden konstruktiv wichtige Elemente
Im Skelettbau treffen wir auf vergleichbare Muster. Der vor allem durch einfache Kerbschnitzereien und/oder farbige Fassung.
im Fachwerk überschaubare Holzanteil mag seinen Beitrag dazu Je mehr und je größere Bauteile aus der Fassadenflucht heraus-
geleistet haben, dass Zeitströmungen, Moden und Lokalkolorite wuchsen, desto plastischer erschien das ganze Bauwerk. Die
auffälliger in Erscheinung traten. Die rote Farbe der Ochsenblut- irgendwann notwendig gewordene gesetzlich erzwungene Rück-
anstriche hebt sich stark von den weiß getünchten verputzten kehr zur ebenen Fassadenfläche ließ neue Ideen für Ornamentie-
Ausfachungen ab. Diese dekorativ wirkende farbliche Zweiteilung rung aufkommen. Immer körperhaftere Schnitzereien und immer
gab den englischen Häusern den Namen „black and white houses“. buntere Einfärbungen sollten den Verlust der Auskragungen
England wurde im Zweiten Weltkrieg weit weniger zerstört als wettmachen.
Festlandeuropa, sodass der südliche Landesteil in nahezu jedem In der Gegenüberstellung von statisch oder funktionell erklärbaren
Dorf mit einer beeindruckenden Palette an ornamentalen Über- Konstruktionsmaßnahmen und dekorativer Überarbeitung ergibt
formungen aufwartet. sich ein erstaunlich unklares Bild. Zimmerleute, professionelle
Schnitzer und Anstreicher haben das eine Mal konstruktiv wich-
tige Elemente besonders herausgearbeitet, ein anderes Mal durch
Dekor bewusst überspielt. Welcher Laie erkennt hinter einem
„Sonnenrad“ die Aussteifung von horizontalem und vertikalem
Konstruktionselement durch Fußbänder? Dabei ist es irrelevant,
ob die applizierten Texte oder Plastiken symbolischen oder deko-
rativen Hintergrund haben. Alle werden sie ornamental gelesen.
In Südengland und Westfrankreich wurden vertikale Streben sehr
eng nebeneinandergesetzt, vermeintlich ohne Diagonalstreben.
Tatsächlich sind die aussteifenden Streben unsichtbar hinter dem
Putzmantel verborgen. Putz half dem Zimmermann, Details vor-
zutäuschen, deren Realisierung zu unökonomisch gewesen wäre.
So lässt sich die einleitende Frage mit einem Zitat von Dai De aus
der westlichen Han-Dynastie beantworten: „Wissen die Menschen,
dass alles eine innere Schönheit besitzen muss, die aus seiner
Substanz kommt, wenn es in seiner äußeren Erscheinung, in seiner
Farbe und seinem Klang schön sein will?“
Klaus Zwerger
habilitierte sich 2012 zum historischen Holzbau. Er hat fast alle Staaten Europas
sowie China und Japan zu Forschungszwecken besucht. 2015 hatte er eine Gast-
Potterne⁄ UK professur an der Hosei University in Tokio inne. Er ist Autor mehrerer Bücher.
die Fantasie ohne Willkür, das Gewebte ohne Weberei, die Dynamik ohne Bewegung, das Leben ohne Atmung, die Form ohne Funktion. Oder genauer, mit der Funktion der Form.
Ornament ist dann ontologisch Plural (wie das Holz, das eher die Hölzer sind). Ornament ist Optimismus in Hochform: weniger und mehr.
Architekt in Zürich
Kultureller Code
Ornamentale Steckverbindung,
die so nur aus Holz realisiert werden konnte
Anne Isopp
Der Friedhof in Altach ist der einzige muslimische Friedhof Vorarlbergs. Er liegt
am Rande des Ortes unmittelbar an der Bundesstraße und besteht aus einem
Kopfbau und fünf rechteckigen Grabfeldern, die von rot und schwarz eingefärbten
Betonwänden eingefasst werden. Architekt Bernardo Bader ist hier eine Symbiose
gelungen zwischen einer modernen Formensprache und den strengen baulichen
und religiösen Anforderungen an einen islamischen Friedhof, ohne dass er dabei
auf anbiedernde religiöse Zeichen zurückgegriffen hat. Der einzige von außen
sichtbare Hinweis, dass es sich hier um eine islamische Begräbnisstätte handelt,
ist das ornamentale Holzfenster gleich neben dem Eingang. Ein Netz aus Holzstre-
ben formt achteckige Sterne. Gemeinsam mit einem Kunsthistoriker begab sich
der Architekt auf die Suche nach einem geeigneten islamischen Motiv. Die Wahl
fiel auf den achteckigen Stern, ein Grundelement der islamischen Ornamentik.
Doch wie baut man so einen Stern aus Holz? Im Büro von Bernardo Bader suchte
man mithilfe vieler Modelle nach einer Konstruktion, die diesen Stern bildet und
zugleich einfach zu bauen ist. Eichenholzstützen und -streben, 19,5 mal 6 cm groß
und auf einer Seite zusätzlich profiliert, sind zu Quadraten zusammengefügt. Diese
Quadrate sind ineinandergesteckt und dabei um 45 Grad zueinander verdreht,
sodass ihre Ecken gemeinsam die Sterne bilden. Die ganze Konstruktion kommt
ohne Verleimung oder Verschraubung aus. Das Fenster bildet einen Filter zwischen
innen und außen, wirft Schatten in den Innenraum und auf die parallel dazu
verlaufende Wand, wobei die Sterne wie Linsen wirken und den Blick anziehen.
Islamischer Friedhof
Standort Schotterried 1, Altach⁄ A
Bauherr Trägerverein Islamischer Friedhof, Altach⁄ A
Planung bernardo bader architekten, Dornbirn⁄ A, www.bernardobader.com
Statik merz kley partner, Dornbirn⁄ A, www.mkp-ing.com
Holzbau Berchtold Holzbau GmbH & Co kg, Wolfurt⁄ A, www.berchtoldholzbau.com
Fertigstellung 2012
Beim Ornament interessiert mich nicht der unnütze Zierrat, nicht das Ausfüllen von Leerstellen an einer stummen Fassade, sondern die Verknotung von Erzählung und Architektur. In
Ornamente sind Zwischenwesen, zwischen dem Zwei- und dem Dreidimensionalen, zwischen Zierde und Botschaft, zwischen
Bernardo Baders Fenstergitter für den Islamischen Friedhof Altach verdichten sich beispielsweise die Polygonzüge der Balkenkonstruktion zum Ornament mit sternhaften Bildsymbolen.
Abstraktion und dem Gegenständlichen. Ornamente sind immer subjektiv gedacht und gemacht, Muster können zufällig entstehen.
Gestalter in Schlins
Verspieltes Kleid In der obsessiv gestalteten Fassade kombinieren die Architekten
repetitive und figürliche Themen – jenseits minimalistisch ver-
wendeter Materialien. Die auf Übergröße skalierte geschuppte
Überformtes Schindelgewand mit punktuellem Holzverkleidung emanzipiert sich von der Referenz traditioneller
Schindelfassaden. Vielmehr erzeugt deren nach unten spitzer
und materialübergreifendem Mustereinsatz Zuschnitt ein geometrisches Zickzackmuster, das der Hülle ihren
textilen Charakter verleiht. Ein florales Motiv ist materialüber-
greifend mal einzeln, mal in wolkigen Gruppen appliziert. In die
gedeckte Eingangshalle fällt durch diese Aussparungen schumm-
riges Licht. Ansonsten erfüllt das Motiv mal den Zweck der
Hinterlüftungsöffnung, mal fungiert es als dominantes Gestal-
tungselement – mit der Wirkung einer punktuellen Maßstabsver-
feinerung sowie einer visuellen Verdichtung wie beim Eingang.
Steffen Hägele Damit sprechen die Architekten direkt die menschliche Wahrneh-
mung an. Aus ihrer Sicht ist die Unterscheidung in technisches
Prominent thront die Schule Grangécole auf einer Geländekante Detail und Ornament obsolet, weil einzig deren Wirkung zählt.
inmitten der Westschweizer Voralpen. Die mallorquinischen ted’A Den Architekten gelingt in der Fassade der Spagat einer freien,
arquitectes nennen sie Scheunen-Schule und referenzieren damit ja spielerischen Komposition und einer anregenden Balance
auf lokale Bautraditionen. Setzung und Landschaftsbezug hin- verschiedener Maßstäbe.
gegen stehen in der Tradition von Renaissancevillen. Insbesondere Im Inneren vertraut man einfachen Materialen wie rohen Mehr-
die Fassade verleiht dem kompakten Schulgebäude eine festliche, schichtplatten, wuchtigen Brettschichtträgern und Betonplatten.
ja repräsentative Note, die über Agrarbauten hinausweist. Hier dreht sich wörtlich alles um die fulminante Erschließungs-
Der dreigeschossige Baukörper ist in ein serielles, gleichsam halle mit dem zentralen Stützenquartett.
changierendes Kleid aus übergroßen, dunkel lasierten Holzschin-
deln, vertikalen und horizontalen Leisten sowie Kupferteilen
Steffen Hägele
gehüllt. Ständig ändert sich die Hierarchie: Mal durchbrechen ist Architekt. Gemeinsam mit Tina Küng führt er das Architekturbüro du Studio
Fenster die Horizontale, mal setzt sich die Gliederung als Relief in Zürich. Zudem ist er freier Architektur kritiker und leitet als Oberassistent
im Betonsockel fort. den Lehrstuhl Voluptas – Professur Charbonnet⁄ Heiz an der eth Zürich.
Schule in Orsonnens
Standort Route de Chavannes 29, Orsonnens⁄ CH
Bauherr Commune de Villorsonnens⁄ CH
Planung TEd’A arquitectes, Palma de Mallorca⁄ ES, www.tedaarquitectes.com; Rapin-Saiz Architectes, Vevey⁄ CH, www.rapinsaiz.ch
Statik Holzbau Ratio Bois Sàrl, Ecublens⁄ CH, www.ratio-bois.ch; xmade – material and envelope design, Basel⁄ CH, www.xmade.eu
Holzbau jpf-ducret sa, Bulle⁄ CH, www.jpf-ducret.ch; Charpentes Vial sa, Le Mouret⁄ CH, www.vialcharpentes.ch; erne ag Holzbau, Laufenburg⁄ CH, www.erne.net
Fertigstellung 2017
[„Ornament ist ein Verbrechen.“] Architekt Adolf Loos schreibt uns: Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie in Ihrem geschätzten Blatte konstatieren würden, daß ich mit dem
Jahren einen Vortrag gehalten habe, der „Ornament und Verbrechen“ betitelt war und in dem ich
Wiener Architek ten, der den Ausspruch getan hat: „Ornament ist ein Verbrechen“, nicht identisch bin. Der Verdacht, dies behauptet zu haben, ist gerechtfertigt, da ich vor siebzehn
den psychischen Zusammenhang zwischen Ornament und Kriminalität oder Degene ration (Tätowierung) aufgezeigt habe.
Maik Novotny
Das Churchill College in Cambridge, als Teil der progressiven Bildungsoffensive der 1960er
Jahre in Form von zehn wuchtigen Blöcken aus Sichtbeton und Ziegeln errichtet, galt schon
zu seiner Entstehungszeit als Meilenstein der Architektur. Heute sind die von Architekt
Sheppard Robson entworfenen Courts denkmalgeschützt.
Den Wettbewerb für den ersten Weiterbau des Colleges gewannen 2008 6a architects aus
London. Der Bau wurde 2016 fertiggestellt, nennt sich Cowan Court und beherbergt 68 Stu-
dentenzimmer in einem klösterlich geschlossenen Viereck. Nicht nur in der Form ist es eine
Reverenz an die benachbarten Courts, auch im Material verweist es auf die rauen Oberflächen
des Brutalismus – und das mit ganz ungewöhnlichen Mitteln: Unbehandelte schwarzgraue
Holzplanken, recycelt aus den Böden französischer Güterwaggons, bilden ein Echo der Holz-
schalung des Betons der Nachbarbauten. Die Bretter der obersten Reihe wurden so abge-
schliffen, dass eine Serie spindelförmiger heller Flächen ein umlaufendes Fries ergibt. Im Laufe
der Jahre wird dieser ornamentale Kontrast verwitterungsbedingt langsam verschwinden.
Ein zweites Element kontrastiert mit dieser Verwitterung: Die unregelmäßig zueinander ver-
setzten, gerahmten Fenster der Studentenzimmer mit seitlichen Lüftungsflügeln sind aus
brandneuem Eichenholz. Innen fungieren die Fenster als breite Sitznischen – eine Hommage
an das traditionelle britische Element des Bay Windows. Außen ist die Fassade nach Geschos-
sen dezent gestaffelt, jede Seite zudem konkav gekrümmt. Die rigide Grundform bekommt
so eine elastische Eleganz. Hier wohnt progressiver Geist in archaischem Gewand – eine
würdige Fortschreibung der Geschichte.
Maik Novotny
ist Architekturjournalist und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung Der Standard, die Wochenzeitung Falter
sowie für Fachmedien über Architektur, Stadtentwicklung und Design.
Natürlich können bloße Materialien schon ornamentalen Charakter entfalten: Das spiegelnde Glas heutiger Fassaden hat ihn, ebenso die Punkte der Verschalungsbretter. Und auch Marmor wird
Geht man davon aus, dass Ornamente wichtige verabredete Systeme von Zeichen waren, stellt sich die Frage, wo diese „maßgeblichen Stellen“
Adolf Krischanitz,
17Das Ornament
16
zuschnitt 72.2018
eben immer in einem ganz bestimmten Schnitt und Glanz präsentiert – vielleicht ist dies sogar das raffinierteste Ornament, da hier Naturformen für das Ornament dienstbar gemacht werden.
heute sind? Die Graffiti haben sicherlich einige dieser ornamentalen Aufgaben übernommen. Möglicherweise sind sie sogar ihre reale Rückkehr.
Architekt in Wien
Die alltägliche Ornamentik
an Beispielen anonymer Architektur Vorarlbergs
Johann Peer
Haus in Kennelbach
Wüsste man die Breite des Rapports, hätte man Überblick über die Dimension, wären die Zeichen bekannt, würde das Ende der Anfang sein, könnten Schichten um Schichten
dann erkennte man Gesetzmäßigkeiten, erahnte Narrationen, liefe mit Hunden oder fände tausend
Das Ornament
oxid zustande kommt, worauf Schrift-
und Hauszeichen gemalt werden.
Nicht nur Information wird ornamen-
tal verpackt, auch „Illusionsmalerei“
ist üblich: Die Untersicht des Vor-
19
18
dachs über dem Hauseingang wird
zum gewölbten Sternenhimmel. Schwarzenberg, Gasthof Adler
zuschnitt 72.2018
Der Herausforderung der dritten
Dimension begegnete man im Barock
mit der Einbeziehung der Pfetten und
der Dachuntersichten: Pfettenbalken
erhielten gerne das Profil von Vogel-
Schwarzenberg, Haus Loch 66 köpfen oder wurden optisch insofern
aufgelöst, als sie in das Färbelungs-
programm der Dachuntersicht einbe-
zogen wurden.
Innenräume Ornamentik beschränkt sich nicht nur auf das Äußere von Gebäuden,
sondern bezieht die Innenräume in ein Gesamtkonzept mit ein, das bis in die „kleinen
Dinge“, die Gegenstände des Alltagsgebrauchs, hinein wirkt. Je nach Status des
Eigentümers wird die Stube zum Repräsentationsraum mit (fast) halböffentlichem
Charakter. Die Täfelung, der Kachelofen, der Buffetschrank mit eingebauter Pendel-
uhr, aber auch Schlösser und Türbeschläge aus Messing sind wichtige Hinweise auf
die potenzielle Kaufkraft und den handwerklichen Anspruch der Bewohner. Beispiele
für die Idee des Gesamtkunstwerks sind die sogenannten Montafoner Stuben,
in denen die Ornamentik bis in die Alltagsmöblierung hinein durchgezogen wird.
Montafoner Tische nach altem Vorbild werden heute noch hergestellt und zu Höchst-
preisen verkauft, was dazu beiträgt, dass Handwerk und Handarbeit noch auf hohem
Niveau existieren können.
Johann Peer studierte Architektur an der Universität Innsbruck, war Mitarbeiter beim Bundesdenkmal-
amt in Wien, Innsbruck und Bregenz und von 1991 bis 2010 Leiter der Abteilung Stadtplanung im Amt
der Stadt Feldkirch. Heute ist er freischaffender Autor von Büchern zum Thema Kulturlandschaft und
Denkmalschutz in Vorarlberg, www.kulturlandschaftsdokumentationen.at
Gaschurn, Lukas Tschofen Stube
freigelegt werden, hörte man Säge oder Schnitzwerkzeug, sähe man nur Palmetten und nicht auch noch Gitterwerk, Mäander und Arabeske in nicht entzifferbarer Ordnung,
Blumen – wie perfekt wäre das Ornament. Doch so sind es nur Holzwurmgeschichten.
Hubertus Adam
Seit mittlerweile 15 Jahren besteht die Professur für Architektur Die Vorfertigung der Elemente erfolgte bei der Holzbaufirma
und Digitale Fabrikation von Fabio Gramazio und Matthias Kohler Blumer-Lehmann in Gossau im Ostschweizer Kanton St. Gallen.
an der eth Zürich. In der Zeit der „Blob-Architektur“ – die inzwi- Die computergesteuerten Abbundmaschinen sägen die Balken,
schen wieder von der Bildfläche verschwunden ist – setzten winkeln sie ab, schlitzen und bohren. Angesichts dieser vollauto-
Gramazio Kohler nicht auf den „digitalen Jugendstil“, wie es Kriti- matischen Prozesse, so erkannten Gramazio Kohler, ließ sich
ker einmal genannt haben, also auf den Ästhetizismus computer- problemlos ein weiterer Datensatz hinzufügen – zwecks Ober-
generierter Formwelten, sondern auf die Verbindung von Hand- flächenbearbeitung durch eine cnc-Fräse. Ornament ist, anders
werklichkeit und avancierter technischer Entwicklung. In diversen als das Adolf Loos ein Jahrhundert zuvor behauptete, nicht Ver-
Versuchsanordnungen loten sie seither das Potenzial von robo- schwendung oder Dekadenz, sondern ein zusätzlich aktivierbares
tischer Produktion aus. Doch beim Einsatz von Robotern stehen Potenzial. Balken müssen ohnehin zugeschnitten werden – dann
nicht künstliche Werkstoffe im Vordergrund, sondern klassische können sie auch so ausgefräst werden, dass sich ein dreidimen-
Baumaterialien: Ziegelsteine, Stahl, Stein, Holz. Auch beim Bau sionales Moiré-Muster ergibt wie bei der Außenhaut des 2009
der Monte-Rosa-Hütte des Schweizerischen Alpenclubs, entwor- fertiggestellten Hauses in Riedikon. Man kann sich an Baumringe
fen vom eth-Kollegen Andrea Deplazes, wurden Gramazio Kohler erinnert fühlen oder an Schnitzereien in historischen Gasträumen –
hinzugezogen. Außen mit Blech verkleidet, besteht die auf knapp Gramazio Kohler sprechen von Kraftfeldern. Ornament ist seit
3.000 Metern stehende und 2009 eingeweihte Hütte aus einer langem ein Thema in ihren Arbeiten. Gramazio Kohler sehen es
präfabrizierten und per Helikopter auf den Bauplatz verfrachte- gewissermaßen als einen Layer, den die digitale Fabrikation zu-
ten Holzkonstruktion. sätzlich – aber ohne zusätzlichen Aufwand – möglich macht.
Hubertus Adam
ist freier Architekturkritiker, Architekturhistoriker und Kurator. Nach Jahren als
Redakteur für Bauwelt in Berlin und archithese in Zürich leitete er von 2010 bis
2015 das s am Schweizerisches Architekturmuseum in Basel. Er veröffentlichte
zahlreiche Bücher und ist für diverse Medien im In- und Ausland tätig.
Nachdem vor mehr als hundert Jahren die Verwendung des Ornaments bekanntlich zum Verbrechen erklärt wurde, glaubten und glauben noch heute viele Modernisten, dass wir in einer
hat auch einen semantischen Hintergrund, sie agiert zeichenhaft und will etwas erzählen. Wir leben
Walter Angonese,
Das Ornament
20
21zuschnitt 72.2018
vermehrt ornamentlosen Zeit leben könnten. Das Ornament kann aber auch von seiner etymologischen Bedeutung her nie nicht existieren, denn auch jede noch so schmucklose Fassade
heute in einer Welt mit ganz vielen Ornamenten, und wenn sie auch noch so abstrahiert werden,
Architekt in Kaltern
Filigraner Erinnerungsfilter
Anne Isopp
Viele glauben, wenn sie dieses Gartenhaus in Das Holzgitter wirkt textil, dabei besteht es nur aus
Freiburg zum ersten Mal sehen, dass es sich um einzelnen Fichtenleisten, aus denen Karohälften
eine Sanierung eines bestehenden Hauses handelt. ausgefräst sind und die, wie bei jeder anderen
Dabei sind die einzigen Bauteile, die alt sind, ein Fassade, nebeneinandergesetzt wurden. Die Archi-
Stück Gartenmauer und die Biberschwanzziegel tekten haben die Rautenseiten nicht parallel, son-
auf dem Dach. Die Architekten Christoph Schmidt dern rundlich ansägen lassen, um damit die strenge
und Susann Vécsey haben geschickt alte und neue Geometrie des Satteldachs zu konterkarieren.
Materialien, glatte und ornamentierte Flächen Das Karo findet man als Motiv auch im Innenausbau
miteinander kombiniert, sodass das Gebäude von wieder, zum Beispiel an den Türen als Griffmulden.
Beginn an kein Fremdkörper, sondern selbstver- Der Zimmermann, der kurz vor seiner Pensionierung
ständlicher Bestandteil seiner Umgebung war. stand, habe so viel Freude an der Arbeit gehabt,
„Wir sind durchs Dorf gelaufen und haben uns von erzählen die Architekten, dass er nicht nur den Dach-
der Umgebung inspirieren lassen“, erzählt Architekt stuhl, sondern gleich den ganzen Ausbau ausgeführt
Schmidt. Vor allem das Holzgitter mit den rauten- habe. Besonders elegant ist, dass der Dachstuhl
förmigen Öffnungen an den Giebelseiten, durch nicht direkt auf der Außenwandmauer aufliegt, son-
das wie bei den Scheunen Luft ins Gebäude ziehen dern durch einen hölzernen Ringbalken vom mas-
kann, nimmt Bezug auf die landwirtschaftlichen siven Gebäudeteil abgehoben ist und dieser Über-
Bauwerke der Umgebung. gang ebenfalls mit dem Rautenmuster verkleidet ist.
Gartenhaus
Standort Buggingen bei Freiburg⁄ D
Bauherr privat
Planung Vécsey Schmidt Architekten, Basel⁄ CH, www.vsarch.ch
Statik Nafz-Ingenieure, Müllheim⁄ D, www.nafz-ingenieure.de
Holzbau Holzbau Urs Rösler GmbH, Basel⁄ CH
Fertigstellung 2013
Ich stiege auch ohne Verzierung am Handlauf sicher dem Treppengeländer nach hoch. Die Türe schlösse die Wand auch ohne schön aufgemaltes Pflanzengeflecht ab. Der Tisch
Teller verbreitete und der Rotwein schmeckte mir auch aus dem Glas gut, das keine Ziselierung hat. Aber mir gefallen die beiläufigen Zeichen,
und anderen Menschen, die der Treppe nach oben steigen, die Türe öffnen,
stünde auch sicher ohne feine Schnitzerei am Bein. Der Braten würde mich auch ernähren, wenn der Koch nicht kunstvoll Saucenspritzer über den Rand des Kartoffelstockes auf dem
gesetzt aus Lust und Freude und in der Absicht, sie würden Gemeinsamkeit stiften – zwischen mir und der Designerin und zwischen mir
an den Tisch sitzen, Braten und Kartoffelstock essen und Wein trinken.
Manfred Russo
Seit der Antike gab es eine enge Beziehung zwischen Kunst und
Rhetorik, die erst in der Moderne in Vergessenheit geriet. Archi-
tektur und bildende Kunst als solche standen von ihren Anfängen
her ganz eng in Zusammenhang mit einer Kunst der Überredung
und Überzeugung. Der Künstler und Architekt verglich sich in
seiner Vorgangsweise mit einem Redner, der nach den Regeln der
Rhetorik arbeitet. Dieses Prinzip galt für den Zeitraum der Antike
über die Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, das
Ornament nimmt dabei eine zentrale Stellung ein.
Bereits Vitruv wandte die Lehre vom decorum auf die Wandmale-
rei an, um der Lage und Funktion der jeweiligen Räume nach den In den Dekor der Bürgerhäuser der europäischen Städte
Regeln der Angemessenheit zu entsprechen. In der Renaissance konnten immer bestimmte lokale Traditionen integriert werden
gewann die Rhetorik enorm an Bedeutung. Alberti bezog sich in wie hier beim Kammerzell‘schen Haus in Straßburg.
seiner „De re aedificatoria“ auf die römischen Rhetoriklehren
und griff deren zentrale Kriterien der Findung, Gliederung und
Ausarbeitung des Stoffes auf, daher spielte der Schmuck bzw. das Auch in der Architektur der Moderne spiegelte sich diese Proble-
Ornamentum als Träger des Ausdrucks eine wesentliche Rolle für matik durch die Frage nach dem ornatus paradigmatisch wider.
die Überzeugungskraft. Als leitendes Prinzip galt die Angemessen- Louis H. Sullivan konnte sich bereits Gebäude ohne Ornament
heit (aptum, decorum). Alberti löste die Säule von ihrer konstruk- vorstellen, wenn die konstruktive Klarheit gegeben ist, dennoch
tiven Funktion ab und konvertierte sie zur Würdeform, Sebastiano plädierte er noch für das Ornament, wenn es aus dem organischen
Serlio integrierte die Säulenordnungen in eine umfassende Theorie, Prinzip von Funktion und Form erwachsen ist und dieses aus-
deren Bedeutung für die folgenden Jahrhunderte galt. Sebastiano drückt. Langsam setzte sich aber der eindeutige Vorrang der
Serlio hatte der Kategorie des decorum eine zentrale Stellung Konstruktion durch und dem Ornament wurde nur noch in beson-
in der Architektur der Hochrenaissance zugewiesen, indem die deren Fällen eine dekorative Rolle zugestanden, wenn es orga-
inhaltliche Angemessenheit der Form zur Bedingung sine qua non nisch vertretbar war. Loos erteilte dem Ornament bekanntlich in
wird und damit die architecture parlante der folgenden Jahrhun- mehreren Aufsätzen eine deutliche Absage, weil der Gebrauchs-
derte begründet. wert der Dinge im Vordergrund stand und keine zusätzliche
In der Moderne wurde der Künstler autonom. Die Kunst, ursprüng- Verzierung erforderte. Wenig später wurde im Funktionalismus
lich ein Handwerk, mit dem man mittels Regeln eine Darstellung die Form völlig dem Verwendungszweck untergeordnet, was den
von idealer Schönheit erlernen konnte, wurde zu einem Unterneh- absoluten Verzicht auf ornamentale Ausschmückung implizierte.
men mit dem Ziel des richtigen Selbstausdrucks. Die Rhetorik hatte All das stand im Zeichen einer vermeintlichen Wende zur Wahr-
bis dahin ein Referenzsystem bereitgestellt, das die Künste mit heit, die das wirkliche Wesen nicht hinter Ornamenten verbirgt.
klaren Anleitungen versorgte, nun vollzog sich der Übergang zu In der Postmoderne erhielt das Ornament aufgrund der Einflüsse
einer neuen Kunsttheorie, die dem Ornament kritisch begegnete. des Surrealismus, wie etwa der Situationisten, durch das Zulassen
Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass bereits in der Antike einer anderen Symbolik eine neue Bewertung. Die radikale Ab-
ein gewisser Vorbehalt gegen das Ornament aufgrund der verfüh- lehnung des Ornaments durch die klassische Moderne wurde als
rerischen Eleganz des Rhetors bestand. Platon argumentierte lustfeindlich und gegen die menschliche Triebstruktur gerichtet
gegen die Sophisten, weil er ihrer Redekunst mitsamt den Verzie- eingeschätzt.
rungen misstraute. Mit dem attischen Stil kam eine frühe Form Damit treffen gegenwärtig zwei unterschiedliche Bewertungen
des Purismus auf, dessen Vertreter gegen den sogenannten des Ornaments aufeinander, die eine auf der puristischen Tradi-
asiatischen Stil mit seinen Kunststücken, rhythmischen Kadenzen tion fußend, die andere dem Denken des Surrealismus folgend,
und seinem weit hergeholten Bilderschmuck wetterten. Auch auf Spiel und Einschränkung der Kontrolle bezogen. Dementspre-
Cicero schloss sich zögernd dieser Anschauung an und attestierte chend kann man nun neue, noch zögerliche Schritte zu einer
dem attischen Stil aufgrund seiner Schlichtheit und Vermeidung wachsenden Akzeptanz des Ornaments beobachten. Denn eine
von Künstelei eine beachtliche Kraft und Würde, wenngleich er Eigenschaft des Ornaments war im Grunde immer unbestritten:
ihn nur für bestimmte Anlässe reservierte. die Steigerung von Fantasie und Einbildungskraft.
Manfred Russo
Kultursoziologe und Stadtforscher, zuletzt (2012 – 15) Gastprofessur an der
Bauhaus-Universität Weimar, langjährige Lehrtätigkeit an der Universität Wien
und anderen Hochschulen, Vorstandsmitglied der ögfa, zahlreiche Veröffentli-
chungen zum Thema Stadt, zuletzt Projekt Stadt: eine Geschichte der Urbanität,
2016 bei Birkhäuser.
Seitenware
Das Ornament
Martina Zuzanakova
24
25
Butterformen
Für solch dekorative Butterstücke wird die Butter in Holzformen gedrückt,
in die Verzierungen geschnitzt sind. Für den Alpenraum sind einteilige
zuschnitt 72.2018
Formen, runde und rechteckige, typisch, in Pommern kannte man Holz-
rollen, mit deren Hilfe die Butter verziert wird. In Norwegen benutzte
man diese fünf- bis achtteiligen Butterformen (Smørform), die einem
Haus mit Dach ähneln. Sie wurden von den Dorftischlern aus Ahorn,
Buche oder Esche gefertigt. Die in die Formen geschnitzten Motive
sind stilisierte Blumen, Ranken und Blätter, aber auch Tiere, Herzen und
Kleeblätter oder religiöse Motive. Durch die Einführung der industriellen
Produktion gerieten die Butterformen nahezu in Vergessenheit, erst seit
einigen Jahren gibt es wieder eine Nachfrage nach selbst hergestellten,
schönen Butterstücken.
Wald – Holz – Klima Ein Jahr voller Schadholz
In dieser Rubrik steht der Wald im Mittelpunkt, der Wald als Rohstofflieferant und seine Wechselwirkungen
mit dem Klima und der stofflichen Nutzung von Holz. Diesmal beschäftigen uns die immensen Schadholz-
aufkommen von 2018 und ihre Auswirkungen für die Forst- und Holzwirtschaft. Wir fragten ebenda nach: Wel-
che Auswirkungen gab es? Mit welchen langfristigen Strategien wollen Sie diesem Problem künftig begegnen?
Laut Zentralanstalt für Meteorologie und Rudolf Freidhager, Vorstandssprecher und Vorstand für Forstwirtschaft und Natur-
Geodynamik (zamg) war 2018 das wärmste schutz bei den österreichischen Bundesforsten
Sommerhalbjahr der 251-jährigen Messge-
Auswirkungen Wir hatten Trockenschäden, Windwurf und ab August große Borken-
schichte. Der Niederschlag lag um 15 Prozent
käfermengen. In ganz Mitteleuropa fielen 50 Millionen Festmeter Schadholz an.
unter dem Durchschnitt. Mit dem Hitze -
Zu 80, 90 Prozent ist das die Fichte. Das Logistiksystem war stark unter Druck. Gleich-
rekord kommen erneut Rekordschäden –
zeitig sinken die Holzpreise. Bei uns lagen dabei die Holzerntekosten in diesem Jahr
verursacht durch den Borkenkäfer, der sich
um drei Euro pro Festmeter höher als budgetiert – die Zusatzkosten lagen bei etwa
in diesem Klima wohlfühlt.
4,5 Millionen Euro.
„Der Anteil an Schadholz an der bei den
Strategien Ich verstehe, dass die Fichte für die Industrie eine wesentliche Baumart ist.
Bundesforsten für heuer geplanten Holz-
Doch wenn die Bestände nicht mehr ausreichend wachsen, werden wir uns mit der
erntemenge, liegt bei etwa 60 Prozent. In
Industrie abstimmen müssen. Wir bemühen uns, möglichst viele Baumarten zu haben,
normalen Jahren freuen wir uns über Werte
die die Industrie braucht.
von 30 Prozent“, sagt der Vorstandssprecher
der Österreichischen Bundesforste Rudolf
Herbert Jöbstl, Vorsitzender des Verbandes der österreichischen Sägeindustrie
Freidhager. Besonders betroffen ist der
Raum an der und nördlich der Donau, vor Auswirkungen Frischholz ist in den betroffenen Gebieten Mangelware und der hohe
allem das Mühlviertel, das Innviertel und Anteil an niedrigen Qualitäten stellt für die Sägebetriebe eine Herausforderung dar.
das Waldviertel. Positiv ist, dass wir einerseits neue Märkte erschließen – zum Beispiel in Südostasien –
„Bei uns war es die zehnfache Menge eines und andererseits neue Produkte entwickeln konnten, die auch mindere Qualitäten
Durchschnittsjahres. Andere hat es aber noch zulassen. Das war eine Grundvoraussetzung, um diesen hohen Anteil an Käferholz
schwerer getroffen“, erklärt Franz Kepplinger, überhaupt verarbeiten zu können.
Vorstand des Waldverbands Oberösterreich. Strategien Da das Schadholzaufkommen in der Regel regional und zeitlich begrenzt
Das Käferholz muss schnellstmöglich aus ist, wird es notwendig sein, die Rundholz-Logistik zu verbessern. Des Weiteren spielen
dem Wald hinaus. Die Preise dafür fielen auch kurzfristig verfügbare Zusatzlager eine sehr wichtige Rolle bei der Abfederung
gleichzeitig ins Bodenlose. Hinzu kommen des Problems. Damit sich unsere Wälder den Klimaveränderungen anpassen können,
knapper Lagerplatz, überlastete Logistik, wird ihnen eine „gesunde Holzartenmischung“ gut tun. Trotzdem sollte die Fichte auf-
lange Transportwege und höhere Erntekosten. grund ihrer extrem guten Eigenschaften die Hauptholzart bleiben.
Das hohe Schadholzaufkommen stellte auch
die holzverarbeitende Industrie vor große Franz Kepplinger, Vorstand des Waldverbands Oberösterreich
Herausforderungen. „Trotz einer sehr guten
Auswirkungen Die Borkenkäferpopulationen sind so stark, dass man selbst mit inten-
Auslastung der Sägewerke und einer guten
siver Arbeit kaum nachkommt. Der Druck ist enorm. Das Arbeitsaufkommen ist nicht
Zusammenarbeit zwischen Forstbesitzern,
planbar. Selbst kleine Waldbesitzer müssen Arbeitskraft zukaufen, um die Arbeit zu
Politik und der Industrie konnte das regio-
bewältigen, was sich negativ auf das Einkommen auswirkt. Auf dem Markt gibt es
nale Überangebot nicht bewältigt werden“,
Abfuhrverzögerungen, teilweise ist die Qualität schlechter.
schildert Herbert Jöbstl, Vorsitzender des
Strategien Wir können nicht mehr nur auf eine Baumart setzen. Viele sagen: Lieber ein
Verbandes der österreichischen Sägeindustrie.
bisschen weniger Erlös, dafür auch weniger Käferrisiko. Wir versuchen seit 20 Jahren,
Mit der Aussicht auf trockenere und heißere
die Tanne mehr in die Höhe zu bringen. Auch die Industrie wird sich auf die Tanne
Sommerperioden muss die Holzwirtschaft
einstellen müssen. Die Baumart ist für Seehöhen unter 500 Metern gut geeignet. Auch
neue Strategien entwickeln. Dazu zählt das
anderes Nadel- und Laubholz werden dazukommen.
Vorhaben, die Waldbewirtschaftung auf mehr
Naturnähe umzustellen. Das große Loch,
Felix Montecuccoli, Präsident der „Land & Forst“-Betriebe
das der Käferbefall in Kepplingers Betrieb
hinterlassen hat, soll nächsten Frühling Auswirkungen Es gibt Kleinbetriebe, die ihr ganzes Waldvermögen verloren haben;
wieder bepflanzt werden. Wie wird der drei, vier Hektar, auf denen kaum noch etwas steht. Das Gesamtaufkommen an Schad-
Bestand ersetzt? „Ich weiß noch nicht, mit holz kennen wir noch nicht, in Österreich sind es zumindest 4 Millionen Festmeter.
welchem Nadelholz, aber es wird nicht die Es wurde deutlich mehr Holz auf den Markt gebracht, als die mitteleuropäische Säge-
Fichte sein.“ industrie verarbeiten konnte. Die Abfrachtung hat lange gedauert, das Holz wurde
kreuz und quer durch ganz Europa geschickt.
Strategien Wir werden die Sägeindustrie weiterhin ausreichend mit Fichtenholz ver-
Alois Pumhösel
ist freier Journalist mit Schwerpunkt Wissenschaft, sorgen können. Aber auch jüngere Bestände wird man Richtung Mischwald pflegen.
Umwelt und Technologie. Er verfasst u. a. regelmäßig Man wird im Ausmaß von 10 bis 50 Prozent andere Baumarten beimischen. Neben
Beiträge für die Tageszeitung Der Standard. der Qualität müssen wir in Zukunft verstärkt auf die Vitalität der Bäume schauen.
Dazu brauchen wir auch weiterhin eine gute Infrastruktur, eine Verdichtung des Forst-
straßennetzes und mehr Lagerkapazitäten.
Ernte- und Schadholzmenge 2017 Tschechien
19,4 Mio. Efm
40 % Sh
26
27
23 % Sh
zuschnitt 72.2018
3 Mio. Efm
47 % Sh 4,3 Mio. Efm
0,3 Mio. Efm 1,2 Mio. Efm 43 % Sh
17 % Sh 28 % Sh
Sturm Paula
Entwicklung des Holzeinschlags in Österreich in 1.000 Erntefestmetern ohne Rinde Orkan Emma
20.000
Sturm Uschi Gesamteinschlag
17.500
Orkan Wiebke
15.000
12.500
10.000
Orkan Kyrill
Orkan Lothar
7.500
davon Schadholz
5.000 Schadholz durch
Borkenkäfer
2.500
1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
Quellen: Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (bmnt), Destatis (DE), Czech Statistical Office (CZ), Bundesamt für Statistik (CH)
Prognosen: Holzkurier, Schadholz-Zentraleuropa, Gerd Ebner, 18.09.2018, Holzkurier, Schadausmaß, Gerd Ebner, 14.11.2018
Holz(an)stoß Richard Artschwager
Stefan Tasch
Richard Artschwager, Richard Artschwager wurde 1923 in Washington, seiner Arbeiten verschieben sich die Grenzen zwi-
geboren 1923 in Washington, d.c., als Sohn eines deutschen Botanikers und schen Bild, Skulptur und Gebrauchsgegenstand wie
D.C., gestorben 2013 in einer ukrainischen Malerin geboren. Er studierte in „Table with Pink Tablecloth“ (1964), einem Holz-
Albany, New York
zunächst Biologie, Chemie und Mathematik an der kubus, den Artschwager so mit Formica überzog,
Cornell University in Ithaca, New York, bis er 1944 dass er wie ein Tisch mit rosa Tischdecke aussieht.
Einzelausstellungen von der US-amerikanischen Armee zum Militär- Artschwager: „It’s not sculptural. It’s more like a
(Auswahl) dienst eingezogen und nach Europa geschickt painting pushed into three dimensions. It’s a pic-
2019 Primary Sources, Gagosian, wurde. Nach Stationen in Frankfurt und Kassel ture of wood.“ Auch in der hier abgebildeten Arbeit
980 Madison Avenue, New
arbeitete Artschwager in der Spionageabwehr in „Door }“ von 1983⁄ 84 wirkt die Oberfläche der Tür,
York
2016 Books, Punctuation, Wien, wo er auch seine erste Frau Elfriede Wejmelka die die natürliche Maserung des Holzes simuliert,
Splats & Time, Krakow Witkin kennenlernte. Sie bestärkte Artschwager nach dem künstlich und übertrieben. An die Stelle des Realen
Gallery, Boston Krieg, die Wissenschaft zugunsten der Kunst auf- tritt das Künstliche in Form einer ornamenthaften
Sculpture⁄ Eye⁄ Painting⁄ zugeben, und so begann Artschwager in New York Interpretation. Auch die Funktion der Tür wird ad
Touch, Peder Lund, Oslo beim französischen Maler Amédée Ozenfant zu absurdum geführt, weil sie zwar mit einem eleganten
2015 Punctuating Space:
studieren. Um den Lebensunterhalt für sich und Glasknauf ausgestattet ist, sich aber nicht öffnen
The Prints and Multiples
of Richard Artschwager, seine Familie zu verdienen, eröffnete er in den lässt. Die Gewohnheiten der Wahrnehmung sowie die
The Frances Lehman Loeb 1950er Jahren eine kommerzielle Werkstatt für ästhetischen, materiellen und räumlichen Erfahrun-
Art Center at Vassar College, Möbelbau. Sein Interesse an industriellem Material gen von Kunst und Alltag stehen bei Artschwager
Poughkeepsie wie Resopal⁄ Formica oder Celotex-Dämmplatten, dabei immer im Zentrum seiner künstlerischen
2014 No More Running Man, das er in weiterer Folge auch für seine Kunst ein- Überlegungen.
Gagosian, 980 Madison Ave,
setzte, stammt aus dieser Zeit. Artschwagers Werk
New York
Nouveau Musée National kann sowohl unter den Gesichtspunkten der Pop- Stefan Tasch
Monaco, Monaco Art als auch unter jenen des Minimalismus und Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh,
2013 ⁄ 14 Haus der Kunst, München der Konzeptkunst gesehen werden. In den meisten Arbeit in verschiedenen Museen und Galerien
2013 Hammer Museum,
Los Angeles
portraits!, Sprüth Magers,
London Richard Artschwager vor seiner „Door }“, 1983⁄ 84
One more show (Arch, Drum,
Selfportrait), the National
Exemplar, Gallery 2, New York
2012 ⁄ 13 Whitney Museum of
American Art, New York
Gruppenausstellungen
(Auswahl)
2018 concentration – a tribute,
Gesellschaft für projektive
Ästhetik, Georg Kargl, Wien
From the Collection⁄ Against
the Wall?, Stedelijk Museum
voor Actuele Kunst (s.m.a.k.),
Gent
2017 Art And Alphabet, Hambur-
ger Kunsthalle, Hamburg
Screen Memory, Simon Lee
Gallery, London
2016 Drawing Dialogues. Selections
from the Sol LeWitt Collec-
tion, The Drawing Center,
New York
Ordinary Pictures, Walker Art
Center, Minneapolis
2015 ⁄ 16 Future Present. Die Samm-
lung der Emanuel Hoffman-
Stiftung, Schaulager, Basel
2015 Greater New York, MoMA ps1,
New York
1968 – 92 Teilnahme an der 4., 5., 7. ,8.
und 9. documenta