Klaus Mannn Hausarbeit

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Das Exil – ein Wendepunkt?

Die Auswirkungen des Exils auf Klaus Manns politisches Bewusstsein

Universität Stuttgart
Historisches Institut – Neuere
Geschichte
Erfahrungen des Exils
Prof. Dr. Wolfram Pyta

SS 2018
Jonas Müller (MN: 3199510 – jojo-
[email protected])
Prüfungsnummer: 26961
Lehramt GymPo 2009
Inhaltsverzeichnis

I Titelblatt
II Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ............................................................................................................................ 1
2. Heute und Morgen............................................................................................................... 3
2.1. Zwischenfazit .................................................................................................................. 5
3. Prädestiniert für das Exil (?)................................................................................................ 6
4. Der Vermittler ..................................................................................................................... 8
4.1. Die Sammlung ................................................................................................................. 8
4.2. Die Schöngeister-Stelle ................................................................................................. 11
4.3. Der Streit um André Gide und die Angst vor Neuschöpfung ....................................... 12
5. Wendepunkt?..................................................................................................................... 14
6. Bibliographie ..................................................................................................................... 17

1
1. Einleitung

Im Jahr 1933 entschied sich der junge Schriftsteller Klaus Mann, Sohn des berühmten Vater s
Thomas Mann, Deutschland zu verlassen und den ihm verhassten Nationalsozialismus nicht im
Untergrund in der Heimat, sondern in seinem selbstgewählten Exil zu bekämpfen.1

Wilfried Dirschauer zufolge, kann das Exil als Daseins-Zustand und die darin gesamme lte n
Erfahrungen eine Politisierung mit sich bringen, weil sich das Bewusstsein hinsichtlich einer
Relevanz des eigenen Schaffens für die Gesellschaft und die Politik hin ändert.2 Bernd Weil
meint, das Exil hat Klaus Manns aktives politisches Engagement ausgelöst, erst das Exil
bewirkte bei ihm den Wandel vom Irrationalen zum Sozialen und Politischen und erst das Exil
brachte ihn dazu, die Literatur an ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu messen.3 Im
Gegensatz dazu steht die eigene Aussage des Schriftstellers. Er selbst betonte, er habe keine
politische Wandlung im Exil durchgemacht. Das politische Interesse habe sich vielme hr
intensiviert und vertieft und sei ins Zentrum seines Lebens gerückt.4 Seine Autobiograp hie
wiederum trägt den Titel Der Wendepunkt. Diesen Titel wählte er aus der Überzeugung heraus,
jeder Mensch habe an bestimmten Lebenspunkten die Möglichkeit, sich für eine Richtung zu
entscheiden, die eine Wende im Leben herbeiführe. In seinem Fall meint er damit den Beginn
seines Exils, der ihn vom „ästhetisch-verspielten Schriftsteller zum politisch engagierten Autor“5
werden ließ.

Der Begriff Wende deckt ein großes semantisches Feld ab. Die ersten beiden im Duden
genannten Bedeutungen zeigen bereits die Diversität des Begriffes. So bedeutet er einerseits
eine einschneidende Veränderung. Die Wende bedarf also eines bestimmten Zeitpunktes und
Ereignisses, welches dieselbe überhaupt erst hervorruft. Andererseits meint Wende den Wandel
in der Richtung eines Geschehens oder einer Entwicklung, sie hat somit auch einen dynamisc h-
zeitlichen Faktor. Sie kann zum einen ein Wechsel zwischen zwei Extremen sein – im Sinne

1 Frederic Kroll (Hrsg.): Klaus – Mann – Schriftenreihe. Band 3 1927-1933 Vor der Sintflut. Wiesbaden 1979, S.
222 ff.
2 Wilfried Dirschauer: Klaus Mann und das Exil. In: Georg Heintz (Hrsg.) : Deutsches Exil 1933 -1945. Eine

Schriftenreihe. Wiesbaden 1973, S. 22.


3 Bern Weil: Klaus Mann: Leben und literarisches Werk im Exil. Fra nkfurt (Main) 1983, S. 26 f.
4 Erika und Klaus Mann: Escape to Life. Deutsche Kultur im Exil, Herausgegeben und mit einem Nachwort von

Heribert Hoven, München 1991, S. 25.


5 Armin Strohmeyr: Klaus Mann. München 2000, S. 127.

1
von eine Wende zum Guten, resp. zum Schlechten – zum anderen kann sie eine Radikalisier ung
eines Prozesses über Dauer bedeuten.6

Die vorliegende Arbeit möchte nun untersuchen, ob und inwiefern der Eintritt in das Exil
dahingehend einen Wendepunkt in Klaus Manns Leben darstellte, dass die Erfahrungen des
Exils eine Wende in seinem politischen Handeln und Denken hervorgerufen haben. Das
Augenmerk liegt dabei nur auf den ersten Jahren von Manns Exil, bevor er ab 1936 das Zentrum
seines Schaffens und Lebens zusehends nach Amerika verlagerte. 7

Um eine mögliche Veränderung oder Beeinflussung durch das Exil festzustellen, werden seine
politischen Aussagen vor dieser Lebensphase dargestellt werden. Hierfür wird unter anderem
sein Essay Heute und Morgen zur Betrachtung herangezogen. Damit klar wird, wie und warum
die Erfahrungen des Exils auf die Person Klaus Manns wirkten, werden entscheidende Details
aus der Biographie des Schriftstellers dargestellt werden. Abschließend wird die politisc h-
schriftstellerische Aktivität des Autors anhand seiner Zeitschrift Die Sammlung, einem
Ausschnitt der brieflichen Korrespondenz mit dem ebenfalls exilierten Schriftsteller Kurt
Hiller, sowie seinem Artikel Der Streit um André Gide analysiert werden.

Klaus Manns Autobiographie Der Wendepunkt und das gemeinsam mit seiner Schwester Erika
Mann verfasste Buch Escape to Life werden in dieser Arbeit als Quellen herangezogen. Dabei
bin ich mir der möglicherweise teils verklärenden, eventuell unbeabsichtigt verfälsche nde n
Darstellung der historischen Tatsachen aufgrund der retrospektiven Niederschrift und der
literarisch-künstlerischen Aufbereitung der Werke durchaus bewusst, die unmittelba rere
Quellen wie Tagebucheinträge oder Briefkorrespondenzen in viel geringerem Maße aufweise n.
Dennoch ist ihre Betrachtung und Miteinbeziehung unabdingbar. Auch die bereits weiter oben
zitierten Autoren Bernd Weil und Wilfried Dirschauer, die sich mit Klaus Manns Wirken im
Exil befasst haben, beziehen solche Quellen mit in ihre Betrachtungen ein.
Außerdem werden die Biographien Klaus Manns von Armin Strohmeyr und Uwe Naumann
sowie die Klaus-Mann-Schriftenreihe, herausgegeben von Fredric Kroll, der die Klaus Mann
Forschung in den 1970er Jahren maßgeblich vorantrieb, als Literatur verwendet.

6 https://www.duden.de/rechtschreibung/Wende_Kehr e_Umbruch_Neuerung#Bedeutung1b Stand:


18.09.2018, 09:24
7 Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ei n Lebensbericht. Memmingen 1952, S. 363.

2
2. Heute und Morgen

Sieht man von Klaus Manns relativ offen gelebter und in seinen Romanen bereits früh
thematisierter Homosexualität einmal ab 8 , so manifestierte sich ein aufkeimendes politisc hes
Bewusstsein des Autors in der Zeit seiner ersten Frankreichaufenthalte. In den späten 1920er
Jahren faszinierten ihn gerade aktuelle französische Autoren, darunter vor allen anderen der
Schriftsteller und Antifaschist André Gide. Manns Interesse galt vorrangig dem Ideal eines
vereinten Europas (im Sinne der paneuropäischen Bewegung), das nur durch eine dauerhaft -
friedliche Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich erreicht werden könne. 9 In seinem
Essay Heute und Morgen beklagt der damals 21-Jährige die Gespaltenheit seiner Generation,
charakterisiert sie als ratlos und richtungslos, oder als faschistisch. Die Mehrheit aber
bezeichnet er schlichtweg als denkfaul, als „eine andere Jugend (…), die überhaupt und prinzipiell
nichts mehr zu tun haben will mit dem Geist (…)“.10 Er selbst rechnet sich den jungen, geistige n
Europäern zu, die gegen Widerstände aus reaktionären Kreisen, aber auch aus dem bürgerlic he n
Milieu behaupten müssen, weil sie scheinbar eine veraltete Moralvorstellung gefährdeten. 11
Seine Generation, eingeschlossen ihm selbst, hätte

„Das ständige Gefühl, in einem Interim zwischen zwei Katastrophen zu leben (…). Wir hätten
zwischen so viel Extremen die Auswahl, daß wir uns in Wahrheit überhaupt noch nicht
entschieden haben.“12

Pathetisch verkündet er die soziale Verpflichtung des geistigen Nachwuchses Europas zum
Wohle des Kontinents und des Guten. Das Gute manifestiere sich in dem entschiedenen Protest
gegen Krieg und gegen die Zerstörung von Gesellschaft und Kultur. Er mahnt aus den Fehlern
der Vätergeneration zu lernen und nicht die gleichen Fehler zu begehen. 13

Anzustreben sei laut Mann eine Aristokratie des Geistes, die sozial-kapitalistische und liberal-
kommunistische Formen annehmen würde. Die einzige Lösung diesen Zustand zu erreichen,

8 Anm.: 1925 erschien als einer der ersten deutschsprachigen Homosexuellenromane Klaus Manns Der fromme
Tanz. Das Abenteuerbuch einer Jugend. In einer Zeit, in der sich unter anderem der Sexologe Magnus Hirschfeld
um die Entkriminalisierung der Homosexualität bemühte, ist die Veröffentlichung eines solchen Werkes von
Klaus Mann meiner Meinung nach durchaus als politisch zu werten.
Vgl.: Uwe Naumann: Klaus Mann, Hamburg 2006, S. 32 ff.
9 Ebd., S. 39 fff.
10 Klaus Mann: Heute und Morgen. Zur Situation des jungen geistigen Europas. Hamburg 1927, S. 10.
11 Ebd., S. 5-12.
12 Ebd., S. 16.
13 Ebd., S. 23 f.

3
sei der Glaube an die Technik. Diese könne die materielle Armut der Menschheit besiegen,
zugleich der Kultur zu Reichtum verhelfen und die soziale Befreiung herbeiführen. 14

In der Rückschau bezeichnete sich Mann selbst zu dieser Zeit als verantwortungslos und
oberflächlich, da er die für ihn zentralen Probleme der Menschen – die Organisation des
Friedens und die Verteilung der irdischen Güter – vernachlässigte. Seine politischen Aussagen
seien von allgemeiner Natur gewesen, weil er sich in seiner Berufung als Dichter „‚ (…) in erster
Linie für die geheimnisvollen Tiefen des Lebens [interessierte], erst in zweiter für seine praktische
Organisation.‘“15

Diese Einstellung änderte sich, als er sich tagespolitisch erstmals äußerte, nachdem Stefan
Zweig nach den Reichstagswahlen 1930 den Sieg der NSADP als eine Revolte der Jugend
deutete. Mann distanzierte sich klar von diesem Teil seiner Generation in einer öffentlic he n,
schriftlichen Reaktion auf Zweig.16 Er begann seiner sozialpolitischen Verpflichtung
nachzukommen.

Im selben Jahr hielt er einen Vortrag unter dem Titel Wie wollen wir unsere Zukunft? vor dem
Kulturbund in Wien. In diesem versuchte er – im Gegensatz zu seiner Antwort auf Zweig in
der Zeitschrift Die Zeitlupe – die Probleme und Beweggründe seiner nationalsozialistisc he n
Altersgenossen zu verstehen und präsentierte alternative Lösungsmöglichkeiten. Denn eins
stand für Mann unweigerlich fest: Die Zukunft, die der Nationalsozialismus bringen würde,
bedeute Krieg und den daraus resultierenden Untergang der europäischen Zivilisation. Sein klar
formuliertes, politisches Programm beinhaltete eine gerechte Umverteilung des Einkomme ns.
Selbstständig arbeitende Unternehmen sollten unter staatliche Kontrolle kommen. Grenzen und
Zölle sollten aufgehoben werden, genauso wie Gesetze, die nicht mehr zeitgemäß waren – so
etwa die Todesstrafe, das Verbot der Abtreibung und die Bestrafung homosexue ller
Beziehungen. Zur Umsetzung seiner Ziele hielt er eine revolutionäre Bewegung für nicht
ausgeschlossen, die eine vorrübergehende Ausschaltung des Parlaments und eine kurzfris tige
Diktatur zur Folge hätte, sollten Vertreter des kapitalistischen Systems die Situation der
Gesellschaft weiterhin stagnieren lassen. 17

Die entschieden ablehnende Haltung Klaus Manns gegenüber dem Faschismus sieht Uwe
Naumann einerseits in der Unvereinbarkeit des von Rassismus, Nationalismus, Militaris mus,

14 Ebd., S. 27 fff.
15 Klaus Mann: Der Wendepunkt, S. 223.
16 Uwe Naumann., S. 49.
17 Frederic Kroll, S. 105 fff.

4
Intoleranz und Gleichschaltung der Massen geprägten Nationalsozialismus mit seiner eigenen
individualistischen, pazifistischen, weltoffenen Gesinnung. Andererseits meint er, dass Klaus
Mann durch seine Beeinflussung in den Landeserziehungsheimen 1922/23 eine gewisse Nähe
zu der naturhaft-amoralistischen Sphäre des jungen Faschismus feststellte, der er nun
entschieden entgegentreten wollte. 18

Zusammenfassend beschrieb Mann seine politische Aktivität in der Vorexilzeit so:

„Seit meinem neunzehnten Jahr habe ich mich öffentlich – wenn auch sicherlich noch mit
schwacher Stimme und ungenügenden Argumenten – gegen Reaktion, Imperialismus und
Militarismus, gegen Nationalismus und Ausbeutung geäußert.“19

2.1. Zwischenfazit

Wie die Betrachtung im vorherigen Kapitel gezeigt hat, hatte Klaus Mann durchaus auch vor
dem Exil 1933 ein politisches Bewusstsein und war sich einer wachsenden Verantwortung
bewusst. Seine Motivation sich politisch zu äußern, hatte bis dato verschiedene Beweggründe.

Die intellektuellen Kreise, zu denen seine Familie gehörte und deren Mitglieder bei den Manns
regelmäßig ein- und ausgingen, waren bestimmt ebenso prägend für seine Meinungs- und
Urteilsbildung, wie seine frühen schriftstellerischen Ambitionen (vermutlich um seinem Vater
und seinem Onkel Heinrich Mann nachzueifern) und die damit einhergehende, umfangre ic he
Lektüre von zeitgenössischer Autoren und Klassikern.20

Seine gut situierte und wohlbehütete Kindheit und Jugend waren Segen und Fluch zugle ic h.
Einerseits bot sie ihm Raum und Zeit sich persönlich zu entfalten und umfangreich zu bilden.
Besonders prägend war die Zeit in der Odenwaldschule Paul Geheebs, die mit ihren
reformpädagogischen Ansätzen und den demokratischen Prinzipien das individue lle
Selbstbildnis Manns als Künstler stark förderte. Andererseits mussten er und seine Geschwister
auch während des ersten Weltkrieges nie ernsthafte finanzielle, materielle und existenzie lle
Mängel erfahren.21

Er war damit nie in der prekären Lage eine konkrete politische Richtung einzuschlagen. Selbst
seine Homosexualität, die ihn ja eigentlich zum gesellschaftlichen Außenseiter machte, war in
den großstädtischen Künstlerkreisen in denen er verkehrte einigermaßen toleriert. Er war

18 Uwe Naumann, S. 50 f.
19 Erikaund Klaus Mann: Escape to Life, S. 24.
20 Uwe Naumann, S. 23.
21 Ebd., S. 19 ff.

5
deshalb nicht gezwungen politisches Engagement zu zeigen – sieht man einmal von der
homosexuellen Thematik seiner belletristischen Werke ab, die zwar Protest und Provokation
waren, aber keine konkreten politischen Konsequenzen forderten. 22

Die Aussagen Klaus Manns, wie sie etwa in seinem Essay Heute und Morgen getroffen werden,
haben zwar eine politische Dimension, treten aber eher in der Gestalt politischer Ideale auf und
gleichen einer herbeigesehnten Utopie. Seine Orientierungslosigkeit, die sich in seinem
Aufsatzband Auf der Suche nach einem Weg widerspiegelt, in der er literatur- und zeitkritisc he
Schriften seit 1925 zusammentrug, endete in dem aufkeimendem Faschismus und der
erstarkenden Macht des Nationalsozialismus. 23

„Ich interessierte mich, als sehr junger Mensch, für die meisten Dinge mehr als für Politik. Aber
ich wußte immer, daß ich in einem Nazi-Deutschland nicht würde leben können. Ich
verabscheute alles, was die Nazis repräsentieren – und die Nazis wollen alles zerstören, was mir
das Leben lebenswert macht.“24

3. Prädestiniert für das Exil (?)

Exilierte deutsche Schriftsteller sahen sich in ihren Gastländern zahlreichen Problemen


gegenüber. Ihre bisherige Erwerbsquelle, das Schreiben, war häufig über Nacht versiege lt
worden, da sie von ihren bisherigen Verlagen und ihrem Publikum abgeschnitten waren und
das gewohnte Anschauungsmaterial und die Quellen für ihre literarische Arbeit nicht mehr zur
Verfügung standen. Es galt sich auf neue Lebensverhältnisse einzustellen, die oft mit einem
Kulturschock einhergingen.25 Die neuen Lebensverhältnisse, Gebräuche und kulturelle n
Ansprüche schlugen sich bei vielen auf die Schaffenskraft und den Lebenswillen nieder und
trieben sie in Isolation, Vereinsamung, die alles überragende Sehnsucht nach der Heimat,
Verbitterung, Depression, Pessimismus und bei manchen letztendlich in den Freitod. 26

Im Falle Klaus Manns machte ihn das Exil nicht passiver, sondern aktiver. Er entsprach der
‚Kategorie‘ von Mensch, wie sie Lion Feuchtwanger beschrieb:

„Viele wurden durch das Exil völlig gelähmt, aber den fähigeren Köpfen verlieh das Exil neue
Visionen und frischen Schwung; es vermittelte ihnen, was wirklich wichtig ist, und es lehrte sie,
nicht an dem Unwichtigen zu hängen.“27

22 Ebd., S.35.
23 Ebd., S. 54 f.
24 Erika und Klaus Mann: Escape to Life, S. 24.
25 Alexander Stephan: Die deutsche Exilliteratur 1933-1945. Eine Einführung. München 1979, S. 45.
26 Ebd. S. 49 f.
27 Zitiert nach: Erika und Klaus Mann: Escape to Life, S. 76.

6
Ein Blick in Manns Lebensweg offenbart, warum gerade er von den meisten negative n
Auswirkungen des Exils unberührt blieb. Am 13. März 1933 verließ er seine Heimatstadt
München in dem (eingeredeten) Glauben, die derzeitigen Zustände in Deutschland seien nur
von kurzer Dauer und erforderten einen vorübergehenden Auslandsaufenthalt. Über die
Freiwilligkeit des Ganges in das Exil traf der Autor konträre Aussagen. In seiner
Autobiographie resümiert er, für seine Schwester Erika und ihn sei die Luft im Dritten Reich
nicht zu Atmen gewesen. Die Möglichkeiten ‚drinnen‘ seien entweder das Konzentrationsla ger,
oder die Gleichschaltung gewesen. 28 Einige Jahre zuvor meinte er allerdings noch, alle
nichtjüdischen Deutschen seien freiwillig ins Exil gegangen, da ihnen keine konkrete Gefahr
gedroht hätte.29

Sein Ziel war zunächst Paris, wo er erste negative Erfahrungen der Emigration machte. Den
Aussagen Manns nach sahen viele in den Geflüchteten Feiglinge und Vaterlandsverräter. Unter
den Exilanten nannte er nur wenige seine Kampfgenossen, da die Mehrzahl unpolitisc h
gewesen sei. Er erkannte die Problematik, dass es der Emigration an gemeinsamen Zielen,
einem Programm und einer geeigneten Repräsentation fehlte, weil zu viele nebeneinande r her
agierende, teils konträre Widerstandsgruppen bestanden.30

Das Gefühl ein Außenseiter in den Gastgesellschaften zu sein, dürfte ihn weniger belastet haben
als andere, weil er sich in der Rolle des homosexuellen Künstlers schon früh diesem Schicksal
gefügt hatte.31 Zudem fehlte es ihm im Exil nicht an Kontakten: Zahlreiche befreundete
Intellektuelle und Bekannte, die er zum Teil schon aus Kindheitstagen kannte, waren mit ihm
in das Exil gegangen. Auch dass diese über ganz Europa verteilt waren, hinderte ihn nicht daran
sie aufzusuchen. Schon in jungen Jahren war er viel gereist. Unter anderem führte ihn eine
Weltreise zusammen mit seiner Schwester Erika 1927 und 1928 nach Amerika, Hawaii, Korea,
Japan, Sibirien, Moskau und Warschau, die die beiden anschließend literarisch in einem
Reisebericht (Rundherum. Ein heiteres Reisebuch) verarbeiteten.32

Das Gefühl heimatlos zu sein, hatte sich Manns eigener Aussage zufolge nie bei ihm eingeste llt,
denn auch trotz einer physischen Abwesenheit, sei Deutschland als eine innere, emotiona l
verbundene Heimat unverlierbar gewesen. Mann fühlte sich zudem mehr als Europäer, gar

28 Klaus Mann: Der Wendepunkt, S. 304-308.


29 Erika und Klaus Mann: Escape to Life, S. 76.
30 Ebd., S. 309 f.
31 Uwe Naumann, S. 21.
32 Ebd., S. 40.

7
Weltbürger, denn als bloßer Deutscher. Schon vor seiner Exilzeit hatte er mehr im Ausland und
in Hotelzimmern gelebt, als zuhause in Deutschland im Haus seiner Eltern. 33

Im Wendepunkt betont Klaus Mann, dass das Exil und der damit eintretende Verlust der Heimat
seinen Vater viel stärker getroffen habe, da dieser tiefer in der deutschen Tradition verwurze lt
gewesen sei. Klaus und seine Schwester hingegen seien „international akklimatisiert“34 gewesen.
Freunde und Bekannte, die mit den Manns in das Exil gegangen waren, erleichterten dasselbe
für den jungen Autor, denn der Kontakt zu ihnen vermittelte heimatverbundene Gefühle wie
Geborgenheit und Identität.35

Auch sein Status als Staatenloser, den er seit dem 6.11.193436 innehatte, bildete nur einen
kleinen Rückschlag in seiner Bewegungsfreiheit, denn er bekam zunächst einen holländisc he n
Fremdenpass ausgestellt und wurde am 25. März 1937 tschechischer Staatsbürger.37

Natürlich stellte auch für Klaus Mann das Exil einen Einschnitt in seinem bisherigen Leben dar.
Die allgemein finanziellen, materiellen und existenziellen Sorgen schränkten ihn aber weniger
ein, als viele seiner Leidensgenossen. Vielmehr gab das Exil, „als die zentrale Erfahrung seines
Lebens […] seinem Schaffen Richtung und Ziel, da sie nicht als privates Schicksal hingenommen
sondern als Herausforderung und geistig-sittliche Prüfung aufgefaßt wurde.“38

4. Der Vermittler

4.1. Die Sammlung

Es wäre natürlich falsch, ein Bild davon zu zeichnen, Klaus Mann wäre von den Auswirkunge n
des Exils komplett unberührt geblieben. Ein Blick in die Tagebucheinträge zu Beginn des Exils
vermittelt durchaus ein Gefühl davon, dass es sich nicht einfach nur um eine Reise wie jede

33 Erika und Klaus Mann: Escape to Life, S. 24 ff.


34 Klaus Mann: Der Wendepunkt, S. 318.
35 Ebd., S. 340 ff.
36 Anm.: Klaus Mann wurde aufgrund seiner Unterzeichnung des Saaraufrufs, der gegen die Annexion des

Saarlandes an Hitlerdeutschland war und sich für das Selbstbestimmungsrecht der Saarländer einsetzte, wegen
der Pflichtverletzung und dem Treuebruch gegenüber dem Deutschen Reich und seinem Volk von den
Nationalsozialisten ausgebürgert. Vgl.: Bernd Weil, S. 42 ff.
37 Ebd., S. 315, S. 321.

Anm.: Dieser Pass wurde nach der Annexion der Tschechoslowakei im Jahre 1939 wertlos. Vgl.: Armin
Strohmeyr, S. 68.
38 Wilfried Dirschauer, S.34.

8
andere handelte. Einsamkeit und Entmutigung, schlaflose Nächte, Sorge und Wut über die
Zustände in Deutschland verfolgten ihn. 39

Nichtsdestotrotz verdrängte schon früh eine kämpferische Einstellung und Haltung die
anfänglichen Gefühle. So wertete er die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten, unter der
auch seine Werke waren, einerseits als infantile Barbarei, andererseits vermerkte er zynisch, es
ehre ihn unter den Verstoßenen zu sein. 40

Anstatt in Lethargie und Hoffnungslosigkeit zu versinken, nutzte er die ihm gegebenen


Voraussetzungen seiner Vergangenheit und erkannte seine Rolle als Vermittler in der divers
gestreuten und uneinigen Emigrationsgemeinschaft. So gründete er gemeinsam mit dem
Verleger und Mitbegründer des Querido-Verlages Fritz Landshoff im Herbst 1933 in
Amsterdam die Monatszeitschrift Die Sammlung.41 Mit dieser wollte er eine Plattform schaffen,
die die unterschiedlichsten politischen Lager der Emigrierten vereinen sollte. Er erkannte den
vielfältigen Reichtum der deutschen Literaten im Ausland und lobte ihren Einsatz gegen die
nationalsozialistische Diktatur und deren geistesfeindlichen Charakter, bemängelte aber, dass
es den Schriftstellern an einem gemeinsamen, politischen Ziel fehlte. Die Sammlung war ein
Versuch, den nebeneinander her agierenden Lagern ein Medium zu bieten, in dem sie
gemeinsam repräsentiert wurden und das der freien Meinungsäußerung dienen sollte. 42 Klaus
Mann beteuerte im Vorwort zur ersten Ausgabe der Zeitschrift, dass diese eine unpolitisc he,
rein literarische Publikationsmöglichkeit für alle Verstoßenen sei, die das wahre Deutschla nd
repräsentierten. Zugleich rief er aber auch zu kollektivistischem Denken und Handeln auf. 43
Wilfried Dirschauer ist der Meinung, dass eine Exilpublikation wie Die Sammlung keinen
Einfluss auf die Entscheidungen der Regierungen hatte. Sie trug allerdings maßgeblich zur
politischen Bewusstseinsbildung in den Reihen der Emigration bei, obwohl sie keine
einheitliche Tendenz verfolgte.44 Dagegen zu halten ist, dass nach dem ersten Erscheinen der
Sammlung die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums eine Warnung vor
literarischen Exilzeitschriften verbreiten ließ. Dies hatte zur Folge, dass gleichgeschaltete
deutsche Verlage Druck auf Autoren ausübten, die von ihnen verlegt wurden. Unter diesen
waren beispielsweise Stefan Zweig und auch Klaus` Vater Thomas Mann, die sich daraufhin

39 Klaus Mann: Tagebücher 1931 bis 1933. Herausgegeben von Joachim Heimannsberg, Peter Laemmle,
Wilfried F. Schoeller, München 1989, S. 124 f.
40 Ebd., S. 134.
41 Armin Strohmeyr, S. 74 ff.
42 Klaus Mann: Der Wendepunkt, S. 310-316.
43 Wilfried Dirschauer, S. 50.
44 Ebd., S. 52.

9
von der Sammlung aufgrund der politischen Tendenz distanzierten. Gegen diese Autoren setzte
aus den Reihen der Emigranten große Kritik ein, da sie die Distanzierung von der Zeitschr ift
als Distanzierung von der gesamten antifaschistischen Emigration wertete. Klaus Mann
verzichtete aber darauf die Autoren zu einer Stellungnahme zu zwingen, weil er eine
tiefgreifende Spaltung in den Reihen der Exilierten verhindern wollte. 45 Bernd Weil sieht in der
Sammlung ein Spiegelbild der vielfältigen Meinungen innerhalb der Gesamtemigration. Zudem
stellte die Zeitschrift für viele exilierte Schriftsteller die erste Publikationsmöglichkeit in der
Verbannung dar. Eine nennenswerte politische Schlagkraft spricht er der Zeitschrift jedoch
ab.46

In diese Frühphase des Exils fällt auch der Beginn der regelmäßigen Briefkorrespondenz mit
Kurt Hiller, der seinerseits 1934 in die Tschechoslowakei emigriert war, nachdem er in
Deutschland mehrfach in Konzentrationslagern misshandelt und gefoltert wurde. 47 Nach einem
persönlichen Treffen der beiden Schriftsteller 1932 resümierte Mann in seinem Tagebuch, das
Treffen sei lohnend gewesen. Sie sprachen darüber, dass ein geistiger Zweifrontenkampf gegen
den orthodoxen Marxismus, sowie gegen den rechten Faschismus zu führen sei und dachten
über die Gründung einer dafür eintretenden Organisation nach. 48 Nicht vollständig geklärt ist
Manns Mitgliedschaft bei der Gruppe Revolutionärer Pazifisten49 , die 1926 von Kurt Hiller als
ein überparteilicher linker Verband von Kriegsgegnern gegründet wurde. Für Hiller bedeutete
radikaler Pazifismus einen Zielzustand, dessen Erreichen nur durch aktives, unter Umständen
gewalttätiges Handeln erreicht werden konnte. Die beiden Schriftsteller verbanden ihre
Homosexualität, die Bewunderung für den französischen Schriftsteller André Gide und die
entschlossene Haltung gegen Hitler und des Nationalsozialismus.50 Der Briefaustausch ist
deshalb für die Analyse Klaus Manns politischen Bewusstseins so fruchtbar, weil aufgrund

45 Bernd Weil, S. 34 fff.


46 Ebd., S. 40 f.
47 Rüdiger Schütt (Hg.): „Ich glaube wir verstehen uns“ Klaus Mann und Kurt Hiller – Weggefährten im Exil.

Briefwechsel 1933-1948, München 2011, S. 15.


48 Klaus Mann: Tagebücher 1931 bis 1933, S. 79.
49 Anm.: 1926 gründeten Kurt Hiller (u.a.) die GRP als eine Sammlung sozialistisch orientierter Persönlichkeiten

aus unterschiedlichen Lagern, die freie Mitglieder der KPD und SPD waren. Die GRP sollte einen Pazifismus
repräsentieren, der eine sozialistische Gesellschaftsordnung anstrebte und dabei Gegensätze der sozialistischen
Parteien und Gruppierungen für die Erreichung der gemeinsamen Ziele überwinden sollte. Die Mitglieder
verständigten sich auf die totale Ablehnung jeglicher Form des Krieges, auf die allgemeine Abrüstung, die
Erstellung eines international gültigen Gesetzes den Krieg als Verbrechen zu erklären und auf die Notwendigkeit
einer sozialen Revolution. Vgl.: Rolf von Bockel: Kurt Hiller und die Gruppe Revolutionärer Pazifisten (1926-
1933). Ein Beitrag zur Geschichte der Friedensbewegung und der Szene linker Intellektueller in der Weimarer
Republik. Hamburg 2000, S. 67-70.
50 Rüdiger Schütt, S. 7 fff.

10
dieser genannten verbindenden Eigenschaften der beiden Schriftsteller ein ehrlicher, offener
und kritischer Meinungsaustausch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.51

4.2. Die Schöngeister-Stelle

Der Briefwechsel zwischen Klaus Mann und Kurt Hiller vom 19.3.1935 bis zum 22. Mai
desselben Jahres dokumentiert eine Auseinandersetzung um die von Mann so betitelte
Schöngeister-Stelle des Manuskriptes von Hillers Aufsatz Die Aufgabe, die in der Sammlung
erscheinen sollte. Anhand der schriftlichen Diskussion darüber lassen sich Manns
übergeordnete Ziele und seine Vorgehensweise, um diese zu erreichen, klar erkennen.

Mann bat Hiller darum, die besagte Stelle zu korrigieren, beziehungsweise ganz auf einige
Passagen zu verzichten.52 In jener mokiert sich Hiller über diejenigen Schriftsteller, die sich
ihrer politischen Verantwortung entziehen, indem sie es vermeiden, konkrete politische Ziele
zu formulieren und zu fordern. Genauer um die Autoren, die zwar politische Inhalte in ihre
belletristischen und poetischen Stoffe miteinbeziehen, die es aber bei der bloßen künstlerisc he n
Auseinandersetzung damit belassen.53

Mann beschwichtigte Hiller die Schärfe seines Angriffs zu nehmen. Verteidigend nimmt er die
Dichter in Schutz „(…) die es zwar in Deutschland nicht aushalten konnten, aber ihrer ganzen Anlage
nach nicht dazu begabt oder auch nur befähigt sind, marxistische Kritik oder Kritik am Marxismus zu
treiben.“54 Ein Stück weit wird sich Mann wohl selbst angegriffen gefühlt haben. Sein Roman
Flucht in den Norden (1934) fällt meiner Meinung nach genau in die Kategorie, die Hiller so
verachtenswert fand. Viel entscheidender aber ist, dass er in Hillers kränkender Formulier ung

51 Anm.: Besonderen Aufschluss über Manns Haltung gegenüber Hiller bietet dessen Beurteilung in Escape to
Life: „(…) Kurt Hiller, der zwar immer extrem links und radikaler Pazifist gewesen war, aber doch nicht ohne
Verständnis für gewisse nationale Tendenzen und übrigens dem Marxismus gegenüber kritisch eingestellt. Er
war hochbegabt und eigensinnig, seine eigenen Wege gegangen und hatte die Formel ‚Selbstkritik links‘ geprägt,
womit er meinte, daß die Linke, um weiter fortschrittlich zu bleiben, sich aus ein er ideologischen Erstarrtheit zu
befreien und nicht nur die politische Taktik, sondern auch die philosophischen Grundbegriffe gründlich zu
revidieren habe.“ Vgl.: Erika und Klaus Mann: Escape to Life, S. 42.
52 „Es sind nur einige, ganz wenige Stellen, die ich Sie zu opfern bitten möchte. – Gleich auf Seite 1 die Stelle,

wo Sie die ‚Schöngeister‘ angreifen. (Also von ,Auch nicht zu Schöngeistern‘ bis zu ,des Brechmittels‘.)“ Vgl.:
Rüdiger Schütt, S.63.
53 „Wer Politisches in den Bereich der Stoffe zieht, die er ,künstlerisch‘ ,gestaltet‘, aber Ziele zu setzen vergisst

oder sie nur billig-wolkig-vag setzt und an unserm Ringen um die Problematik der Wege nobel vorbeiäugt,
einigen milden demokratischen Schleim absondernd, (…), ist kein schönerer Schöngeist als der auf politoide
Nuancen verzichtende, eher im Gegenteil, seine einzige Nützlichkeit bleibt die des Brechmittels.“ Zitiert nach:
Rüdiger Schütt, S. 66.
Anm.: Das Original-Manuskript (es befindet sich im Klaus -Mann-Nachlass) war mir leider nicht zugänglich,
weshalb ich auf die Zitate in Schütts Fußnotenapparat zurückgreife.
54 Rüdiger Schütt, S. 63.

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eine Gefahr für den Zusammenhalt der Exilanten und den gemeinsam geführten Kampf sah.
Trotz aller Disparitäten seien sie Schicksalsgenossen.55

Die Fehde zwischen Mann und Hiller lässt den Jüngeren als den Reiferen, Besonnenere n
erscheinen. Sein Blick scheint mehr zukunftsgerichtet, zweckmäßiger zu sein. Zwietracht unter
den Verbündeten zu säen, so wie er sie durch die persönlichen Kränkungen in dem Beitrag
Hillers erkannte, sah er als Gefahr für den Zusammenhalt und die Einheit der Emigranten. Um
einen erfolgreichen Widerstand gegen die gemeinsamen Gegner zu führen, mussten
individuelle Ansichten im Falle einer solchen Gefährdung zurückgehalten werden. Dabei
handelt es sich bei den Bedenken Manns über die Schöngeister-Stelle nicht um eine Zensur,
wie Hiller meinte56 , sondern vielmehr um eine Umformulierung, die der Aussage mehr
Sachlichkeit verlieh.

4.3. Der Streit um André Gide und die Angst vor Neuschöpfung

Wie bereits erwähnt, war Klaus Mann ein Bewunderer und Verehrer des französisc he n
Schriftstellers André Gide. Dieser war wegen eines Reiseberichtes über die Sowjetunion, in
dem er Kritik am Stalinismus übte, unter anderem von Lion Feuchtwanger, welcher kurze Zeit
später selbst einen Bericht über die Sowjetunion verfasste, scharf angegriffen worden. Die
Kritiker Gides warfen ihm vor, ein verfälscht negatives Bild gezeichnet zu haben, das aus seiner
individuellen, ästhetisierenden Perspektive entstanden sei. 57

Klaus Mann verteidigte Gide in seinem Artikel Der Streit um André Gide, der 1937 in der
neuen Weltbühne erschien.58 Der Reisebereicht sei zwar stark subjektiv gefärbt, es handle sich
aber um Gides ehrliche Eindrücke. Mann zufolge wollte Gide zu einer offen geführten Debatte
unter Freunden anregen, die ihm vorgeworfene Feindseligkeit weist er zurück, sei er doch trotz
der Kritik ein Freund des Kommunismus und Sozialismus. Mann erklärt, die Umsetzung des
Sozialismus im Stalinismus sei aber unvereinbar mit André Gides Philosophie des sittlic he n
Individualismus und der persönlichen Freiheit, da der Stalinkult diese reduziere und die
Möglichkeiten der Kritik am System flach hielte.59 Klaus Mann regt eine diskursive
Auseinandersetzung an, die er für weitaus fruchtbarer hält, als die Diffamierung Gides. Mann

55 Ebd., S. 73.
56 „Es ist ein unerträglicher Zustand der Erd-Ordnung, dass ein Mensch wie ich nichtmal in Ihrem Blatt sagen
darf, was er meint.“ Vgl.: Rüdiger Schütt, S. 72.
57 Armin Strohmeyr, S. 99 f.
58 Klaus Mann: Der Streit um André Gide. In: Die neue Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft.

(Nachdruck der Originalausgabe Prag/Paris 1933-1939, Band 9), Jg. 33, Nr.7, 1937, S. 202-207.
59 Ebd., S. 202-204.

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schließt, dass nicht der Bericht selbst das Problem darstelle, sondern der Mangel an Toleranz
und die Missachtung der Würde, mit dem auf diesen reagiert wurde. Die Kritik an der
kritischen, freien Meinungsäußerung sieht er als Gefahr für die überparteilich erstrebten
Ideale.60 Sollte die Freiheit des Wissens und Denkens nicht hochgehalten werden, so begebe
man sich auf das Niveau der Nationalsozialisten, denn

„[von ihnen] wollen wir uns doch vor allem dadurch unterscheiden, […] dass wir die Worte und
Ideen wirklich meinen, mit denen wir für unsere Sache zu werben suchen.“61

Auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig für Klaus Mann die Einheit unter den
Exilierten war. Genau wie die Isolierung in Nationalstaaten, die er für überholt und unfruchtbar
für alles kulturelle Schaffen hielt62 , hielt er auch das Festhalten an den ‚alten‘ Parteien für nicht
mehr zeitgemäß. Das lässt ein Kommentar zu Kurt Hillers Aufsatz Die Angst vor
Neuschöpfung, welcher am 1.7.1936 in der Sozialistischen Warte erschien, vermuten. Klaus
Mann schrieb in einem Brief an Hiller, dieser habe darin das zentrale Thema und somit die
zentrale Problematik der Emigrationsbewegung des Widerstandes angesprochen. Mann hoffte
darauf, dass Hillers Aufsatz ein Beitrag zum Wandel innerhalb der Bewegung werden könnte. 63

In seinem Aufsatz schreibt Hiller, dass alle bisher bestehenden Parteien überholt seien – seine
Kritik richtet sich vor allem gegen die links-konservative KPD – und er gibt ihnen eine
Mitschuld an den Zuständen in Deutschland. Die Parteien seien sich innerhalb nicht einig und
ihre Führer seien nicht in der Lage eine revolutionsfähige Sozialistenbewegung zu leiten. Das
Ziel sei es, eine sozialistische Einheitspartei zu gründen, deren Mitglieder aus allen Klassen
und Parteien zusammenkommen sollten. Die neue Verfassung und Regierung von Deutschla nd
sollte aus dieser Gruppe sozialistischer Revolutionäre gebildet werden. Es sei wichtig, nicht zu
stagnieren und an Alteingesessenem festzuhalten, sondern in Anknüpfung an wertvolle
Traditionen der revolutionären Geistesgeschichte neue Vorstöße zu wagen, zu provozieren und
zu denken.64

Seine Befürwortung der Aussagen Hillers in Die Angst vor Neuschöpfung zeigt, dass Klaus
Mann keinem althergebrachten politischen Lager zuzuordnen war. Von den
Grundüberzeugungen war er zwar eindeutig links einzuordne n, er war aber nie Kommunist,

60 Ebd., S. 205-207.
61 Ebd., S. 207.
62 Wilfried Dirschauer, S. 25-27.
63 „Mögen recht Viele ihn lesen, und ihn sich zu Herzen nehmen (…). Es wird Zeit, dass man sich regeneriert, in

unseren Kreisen ….“ Vgl.: Rüdiger Schütt, S. 88.


64 Kurt Hiller: Die Angst vor Neuschöpfung. In: Sozialistische Warte, Jg. 11, Nr. 11, 1.7.1936, S. 264 -268.

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oder gar Marxist. Nachdem er bereits 1934 als geladener Gast an dem ersten Kongress der
Sowjet-Schriftsteller teilnahm, stellte er fest, dass er nur teilweise mit den politisc he n
Überzeugungen der Sowjet-Union übereinstimmte. Vieles was er beobachtete fand zwar seinen
Respekt, ihn störte aber vor allem die eingeengte, vorgeschriebene Philosophie. 65 Er störte sich
an dem dialektischen Materialismus und der Einbindung in das Kollektiv, was gegen seine
individualistische, freie Künstlerpersönlichkeit stand. Der Hauptgegner blieb für Klaus Mann
aber immer der Faschismus und schon allein deshalb galt dem Kommunismus, als dessen
Hauptgegner, seine Sympathie.66

Seiner Überzeugung nach war die Antwort auf den Faschismus der sozialistische Humanis mus,
der von einer Einheitsfront aller progressiven, antifaschistischen Intellektuellen vertreten
werden sollte. Erst eine gerechte Wirtschaftsordnung liefere die notwendigen Voraussetzunge n
für ein höheres Menschenleben, ließ Mann auf dem Internationalen Schriftstellerkongress zur
Verteidigung der Kultur 1935 in Paris verlauten.67 Denn erst, wenn das wirtschaftliche System
die Menschen nicht mehr ablenke, einschränke und in Klassen unterteile, habe jedes
Individuum die Möglichkeit zur freien, uneingeschränkten Entwicklung und Entfaltung. Mann
gestand ein, dass der Sozialismus zwar zunächst eine Einschränkung der Freiheit bringen
würde, dass aber sobald eine gerechte, soziale Ordnung geschaffen sei, ein menschenwürd iges
Leben für alle gewährleistet wäre.68 Eine genaue Definition seines geistespolitisc he n
Programmes formulierte Mann allerdings nicht. Gerade in der herbeigesehnten Utopie des
sozialistischen Humanismus sah er den Antrieb dafür, den Kampf gegen den Faschismus
voranzutreiben.69

5. Wendepunkt?

Wie also wirkte sich das Exil auf Klaus Mann aus? Machte er eine Wende, eine 180 Grad-
Drehung, was seine politische Haltung, sein Bewusstsein, seine Taten betraf?

Unleugbar war der Zeitpunkt zu dem er Deutschland verließ, um sein Leben im Exil zu
beginnen, ein großer Einschnitt in sein bisheriges Leben. Denn eine Rückkehr war nun während
Dauer der nationalsozialistischen Regierung nicht mehr möglich, sowohl rein ‚technisc h‘

65 Klaus Mann: Der Wendepunkt, S. 348 fff.


66 Armin Strohmeyr, S. 77.
67 Ebd., S. 77 f.
68 Uwe Naumann, S. 76 f.
69 Armin Strohmeyr, S. 78.

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aufgrund seiner Ausbürgerung, als auch aufgrund seiner inneren Überzeugung und
Gewissheit.70

Wie die Darstellung seiner persönlichen, biographischen ‚Vorzüge‘ gezeigt hat, trafen ihn die
entkräftenden, isolierenden und lähmenden Auswirkungen der Verbannung weniger hart, wie
viele andere der Exilanten. Finanziell war er seit 1924 für fast sein ganzes Leben von einer
monatlichen Unterstützung des Vaters abgesichert.71 Auch vor seelisch-emotionaler Armut war
er relativ gefeit, da viele gute Freunde, Bekannte, seine Familie und vor allem seine Schwester
Erika, die die wichtigste Bezugsperson in seinem Leben war, mit ihm ins Exil gegangen
waren.72

Aufgrund seiner guten Kontakte zur intellektuellen Elite gelang es ihm, eine der ersten
Exilzeitschriften zu publizieren und sich somit eine tragende Rolle in der Emigration zu
verschaffen. Er wurde sich vergleichsweise früh darüber bewusst, dass sein Exil von langer
Dauer sein würde und er brach die Kontakte zu den in Deutschland verbliebenden Freunden
und Bekannten ab.73 Er fand seine Bestimmung in der Schaffung einer Einheitsfront, die den
Faschismus von außen bekämpfen sollte. Der Politische Kampf und der Erhalt und die
Fortführung der Tradition des ‚wahren‘ Deutschland wurden zu seinen zentralen Aufgaben. 74
Was sich für Klaus Mann aber wendete, war, dass der junge Schriftsteller, der vor 1933
orientierungslos und unsicher war75 , im Exil eine Gemeinschaft fand, zu der er sich aufgrund
des gleichen Schicksals zugehörig fühlte, trotz diverser Disparitäten.76

Ein politischer Gesinnungswandel setzte meiner Meinung nach aber nicht bei ihm ein. Vielme hr
versuchte er einen Übertrag seiner bisherigen Überzeugungen und Ideen auf seine neue
Lebensrealität im Exil zu leisten. Die Ideale von Einheit, sozialer und wirtschaftlic her
Gerechtigkeit, erreicht durch sozial-kapitalistische und liberal-kommunistische Formen blieben
auch im Exil erhalten, wie die Auswertung der Quellen gezeigt hat. Auch der Faschismus, als
der große Feind von Humanismus und Kultur, blieb im Exil der Motor für Klaus Manns
politische Aktivität. Seine Rolle blieb die des Aufklärers, des Vermittlers, des Anregers.

70 „Man kann nicht nach Deutschland zurück. Man kann nicht nach Deutschland zurück. Vielleicht nie.“ Vgl.:
Klaus Mann: Tagebücher 1934 bis 1935. Herausgegeben von Joachim Heimannsberg, Peter Laemmle und
Wilfried F. Schoeller, München 1989, S. 91.
71 Uwe Naumann, S. 21.
72 „In meinem Leben hat wohl nur das, woran sie Anteil nimmt, so recht eigentlich Bestand und Wirklichkeit.“

Vgl.: Klaus Mann: Der Wendepunkt, S. 327.


73 Armin Strohmeyr, S. 69.
74 Wilfried Dirschauer, S. 34 f.
75 Uwe Naumann, S. 26.
76 Rüdiger Schütt, S. 73.

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Eine Wende fand bei Mann dementsprechend nicht mit einer Neuorientierung, oder einem
Richtungswechsel statt, sondern sie ging mit einer Intensivierung, Fokussierung und
Konzentrierung auf die politische Ebene einher, sowohl in seiner eigenen schriftstellerisc he n
Arbeit, als auch in seiner aufklärerischen, vermittelnden Position in der Exilgemeinschaft.

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6. Bibliographie

Literatur

Bockel von, Rolf: Kurt Hiller und die Gruppe Revolutionärer Pazifisten (1926-1933). Ein
Beitrag zur Geschichte der Friedensbewegung und der Szene linker Intellektueller in
der Weimarer Republik. Hamburg 2000.
Dirschauer, Wilfried: Klaus Mann und das Exil. In: Georg Heintz (Hrsg.) : Deutsches Exil
1933-1945. Eine Schriftenreihe. Wiesbaden 1973.

Kroll, Frederic (Hg.): Klaus-Mann-Schriftenreihe. Band 3 1927-1933 Vor der Sintflut.


Wiesbaden 1979.

Naumann, Uwe: Klaus Mann. Hamburg 2006.

Stephan, Alexander: Die deutsche Exilliteratur 1933-1945. Eine Einführung. München 1979.

Strohmeyr, Armin: Klaus Mann. München 2000.

Weil, Bernd: Klaus Mann: Leben und literarisches Werk im Exil. Frankfurt (Main) 1983.

Quellen
Schütt, Rüdiger (Hg.): „Ich glaube wir verstehen uns“ Klaus Mann und Kurt Hiller –
Weggefährten im Exil. Briefwechsel 1933-1948, München 2011.

Mann, Klaus: Heute und Morgen. Zur Situation des jungen geistigen Europas. Hamburg 1927.

Mann, Erika, Mann Klaus: Escape to Life. Deutsche Literatur im Exil. Herausgegeben und mit
einem Nachwort von Heribert Hoven, München 1991.

Mann, Klaus: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Memmingen 1952.

Mann, Klaus: Der Streit um André Gide. In: Die neue Weltbühne. Wochenschrift für Politik,
Kunst, Wirtschaft. (Nachdruck der Originalausgabe Prag/Paris 1933-1939, Band 9), Jg.
33, Nr.7, 1937, S. 201-207.

Mann, Klaus: Tagebücher 1931 bis 1933. Herausgegeben von Joachim Heimannsberg, Peter
Laemmle und Wilfried F. Schoeller, München 1989.

Mann, Klaus: Tagebücher 1934 bis 1935. Herausgegeben von Joachim Heimannsberg, Peter
Laemmle und Wilfried F. Schoeller, München 1989.

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Online
https://www.duden.de/rechtschreibung/Wende_Kehre_Umbruch_Neuerung#Bedeutung1b
Stand: 18.09.2018, 09:24

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