Henzel - Wagner Und Die Filmmusik
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Christoph Henzel
Universit?t Rostock
Offenherzigkeit, mit der ein Insider die stilistische N?he der Filmmusik in Hollywood
zur sog. Sp?tromantik ironisierend auf den Punkt brachte. Wie dem auch sei, Tiomkins
Einbeziehung popul?rer Musik auf der einen und tonsprachlicher Idiome der Neuen
Musik auf der anderen Seite die einseitige stilistische Fixierung auf das 19. Jahrhundert
auf.2 Zum anderen brachte die Konkurrenz des Fernsehens das der klassischen ?ra
des Films zugrunde liegende Studiosystem insWanken. Das hochgradig hierarchisierte,
arbeitsteilige System der Filmproduktion war in entscheidender Weise f?r die relative
Konformit?t der filmmusikalischen Sprache verantwortlich gewesen.
century operatic and symphonic music, and Wagner was the crest ofthat influence. Wagner was a
perfect model, since he exploited the narrational possibilities of music. Harmony, rhythm, and con
* Bei dem Text handelt es sich um die ?berarbeitete und erweiterte des im Dezember 2001 an
Fassung
der Universit?t Rostock gehaltenen Habilitationsvortrags.
1 Der entsprechende Passus der Rede ist wieder gegeben bei: Caryl Flinn, Strains of Utopia. Gender,
Nostalgia, and Hollywood Film Music, Princeton 1992, S. 3. Abweichend davon werden noch
gelegentlich
zus?tzlich Beethoven und Rimsky-Korsakow erw?hnt; vgl. zum Beispiel: Christopher Palmer, Dimitri
Tiomkin. A Portrait, London 1984, S. 53
2 Vgl. Robbert van der Lek, ?Filmmusikgeschichte in systematischer in: AfMw 44 (1987),
Darstellung",
S. 216-39, nier S. 239: ..Aufs Ganze ?ndert aber die Einbeziehung von popul?rer Musik, Jazz
gesehen
und auch aussereurop?ischer Musik nichts an der Tatsache, dass die Geschichte der Musik im Film [...]
die Geschichte der Anwendung von Musik aus dem 19. Jahrhundert Stil und Syntax)
(qua Repertoire,
in einem Medium des 20. Jahrhunderts [ist]".
tinuous melody' could correspond to the play's dramatic action, and leitmotifs could convey a
character's thoughts, point up parallels between situations, even anticipate action or create irony."3
aufgegriffen wird, dann deshalb, weil die sorgf?ltigere Analyse der Rezeptionszeugnisse, vor
allem der Filmmusiken selbst, doch zu einiger Skepsis mahnt.5 Um von einer substanziellen
Dieser letzte Gesichtspunkt ist in j?ngster Zeit mit guten Gr?nden relativiert worden. So
hat Helmut P?llmann gezeigt, dass der epischen Funktion der Opernmusik ?sthetisch der
Filmschnitt entspricht.7 Und Robbert van der Lekhat am Beispiel des Dialogs bzw. Duetts
auf grunds?tzliche Differenzen zwischen den beiden Genres aufmerksam gemacht.8 Doch
besagt auch der Hinweis auf die Leitmotive und die sog. ?unendliche Melodie" in der
Filmmusik kaum etwas Substanzielles ?ber dieWagnerrezeption, da Leitmotivtechnik und
3 David Bordwell, Janet Staiger, Kristin Thompson, The Classical Hollywood Cinema. Film Style and Mode
of Production to ig6o, New York 1985, S. 33.
-
4 Vgl. Norbert J. Schneider, ?Der Film Richard Wagners ?Kunstwerk der Zukunft"?", in: Richard
Wagner und die Musikhochschule M?nchen, die Philosophie, Die Dramaturgie, die Bearbeitung, der Film
(Schriftenreihe der Hochschule f?r Musik M?nchen, Bd. 4), Regensburg 1983, S. 123-50.
5 Das grundlegende Manko von Schneiders Aufsatz besteht dartin, dass das rezeptionsgeschichtliche
Material einseitig auf literarische Zeugnisse beschr?nkt bleibt. Zudem weisen die filmmusikhistorischen
vorliegenden Musikaufnahme synchronisiert abgefilmte Nummer; vgl. ebd., S. 124. 2. InCharlie Chaplins
The great Dictator erkingt nicht der sog. Walk?renritt; vgl. ebd., S. 145. 3. Gottfried Huppertz' Musik zu
Die Nibelungen greift nicht auf Themen Wagners zur?ck; vgl. ebd.
Im ist in der j?ngsten deutschsprachigen von einer Beziehung zwischen
?brigen ?berblicksdarstellung
Wagner und der Filmmusik Hollywoods keine Rede bzw. sie wird nurmehr vage angedeutet;
vgl.
Musik multimedial:Filmmusik, Videoclip, Fernsehen, hrsg. v. J. Kloppenburg (Handbuch im 20.
der Musik
Jahrhundert, Bd. 11), Laaber 2000, S. 32-35, 44-48 u. 109-11.
-
6 Vgl. Schneider, Der Film Richard Wagners ?Kunstwerk der Zukunft"?, S. 134-39; R?y M. Prendergast,
Film Music: A Neglected Art, New York 2/1992, S. 4of.
7 Vgl. Helmut zu einer ?sthetischen
P?llmann, ?Oper und Film. Einige ?berlegungen Verwandtschaft",
in: Festschrift Christoph-Hellmut Mahling zum 65. Geb., hrsg. v. A. Beer u. a. (Mainzer Studien zur
Musikwissenschaft, Bd. 37), Tutzing 1997, Bd. 2, S. 1103-08; aber auch bereits Schneider, Der Film
-
Richard Wagners ?Kunstwerk der Zukunft"?, S. 132.
8 Vgl. Robbert van der Lek, ?Oper ohne Gesang? Zur Gattungsbestimmung von Korngolds Musik f?r den
Film", in: Die Musikforschung 53 (2000), S. 401-13.
Was die Berufung auf die ?unendliche Melodie" betrifft, liegt ein (verbreitetes) Missverst?ndnis
vor: Bordwell und andere gehen davon aus, dass es ein kompositionstechnischer
Begriff
sei, eine Formel f?r die von der traditionellen Periodenstruktur befreite, zeitlich weit
ausgreifende Melodik.12 F?rWagner selbst handelte es sich bei der unendlichen Melodie
aber in erster Linie um einen ?sthetischen Terminus, der zum einen den l?ckenlosen
musikalischen Zusammenhang imTonsatz und zum andern dessen unaufh?rliche dramatische
Bedeutsamkeit in sich einschloss.13 Er steht imZusammenhang mit der anvisierten und
9 Vgl. Carl Dahlhaus, ?Zur Geschichte der Leitmotivtechnik bei Wagner", in:Das Drama Richard Wagners
als musikalisches Kunstwerk, hrsg. v. C. Dahlhaus (Studien zur
Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts,
Bd. 23), Regensburg 1970, S. 17-36; Joachim Veit, ?Art. Leitmotiv", in: Die Musik in Geschichte und
Gegenwart, 2. Ausg., hrsg. v. L. Finscher, Bd. 5, Kassel u. Stuttgart/Weimar 1996, Sp. 1078-95.
10 Sieghart D?HRiNG/Sabine Henze-D?hring, Oper und Musikdrama im i?. Jahrhundert (Handbuch der
musikalischen Gattungen, Bd. 13), Laaber 1997, S. 271.
11 Vgl. Claudia Bullerjahn, Grundlagen der Wirkung von Filmmusik Bd. 43, Reihe
(Forum Musikp?dagogik,
Wi?ner-Lehrbuch, Bd. 5), Augsburg 2001, S. 88-93, hier S. 89^ Bullerjahn unterscheidet imAnschluss
an Schneider (Der Film-Richard Wagners ?Kunstwerk derZukunfft"?, S. 141) zwischen ?Motivzitat", ?Id?e
fixe" und ?voll entwickelter Leitmotivtechnik" im Sinne eines ?musikalischen Geflecht[s], das fast den
gesamten musikalischen Satz bestimmt" (ebd., S. 89). Letztere wird mit Wagner inVerbindung gebracht.
-
Einen grunds?tzlichen Unterschied zwischen filmmusikalischer und wagnerscher Leitmotivtechnik hat
van der Lek gesehen,
bereits Robbert ohne allerdings n?her darauf einzugehen; vgl. van der Lek, Oper
ohne Gesang, S. 410, Fn. 25.
12 Vgl. Fritz Reckow, ?Zu Wagners Begriff der unendlichen Melodie", in: Das Drama Richard Wagners als
musikalisches Kunstwerk, hrsg. v. C. Dahlhaus (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 23),
Regensburg 1970, S. 81-103, hier S. 81-83. Ein neueres Beispiel f?r die kompositionstechnische Deutung
des Begriffs bietet Norbert J?rgen Schneider, Komponieren f?r Film und Fernsehen. Ein Handbuch, Mainz
1997, S. 167.
-
13 Carl Dahlhaus/John Deathridge, Wagner (The New Grove die gro?en Komponisten), Stuttgart/
Weimar 1994, S. i05f.
14 Vgl. Egon Voss, Richard Wagner und die Instrumentalmusik. Wagners symphonischer Ehrgeiz (Taschenb?cher
zur Musikwissenschaft, Bd. 12), Wilhelmshaven 1977, S. 159-61; Wolfram Steinbeck, ?Die Idee des
Symphnischen bei Richard Wagner. Zur Leitmotivtechnik in Tristan und Isolde'", in: Kongre?bericht
Stimmung zu erzeugen, sowie durch die Virtuosit?t, mit der er die Bewegungsillustration,
das sog. Mickeymousing handhabte. Moodmusic und Mickeymousing haben aber mit der
motivisch-thematischen Strukturierung des Tonsatzes nichts zu tun.
Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Wahl der Begriffe eine
Kontinuit?t suggeriert, die inder Sache selbst alles andere als eindeutig ist. Ber?cksichtigt
man die Verselbst?ndigung der Termini imZuge der breiten ?ffentlichen Rezeption von
Wagners Musikdramen und Schriften und auch die sehr unterschiedliche kompositorische
Wirkungsgeschichte seines Werks inden rund 60 Jahren bis zur Entstehung der klassischen
Filmmusik, dann erscheint die spezifische Beziehung zwischen Wagner und den
Neben der Frage des kompositorischen Einflusses auf die originalen Filmmusiken ist f?r die
Er?rterung des vorliegenden Themas die Verwendung von Musik Wagners als Filmmusik
von Bedeutung. Sie reicht weit ?ber die Grenzen der klassischen Epoche Hollywoods
hinaus: Sie l?sst sich bis in die Stummfilmzeit zur?ckverfolgen und dauert bis in die
15 as a Compositional
Vgl. David Neumeyer, ?Melodrama Resource in Early Hollywood Sound Cinema",
in: Current Musicology S7 0995). S. 61-94.
-
16 Einige Beispiele bei Schneider, Der Film Richard Wagners ?Kunstwerk der Zukunft"?, S. i44f. Aus
zu sind etwa Werner Excalibur
j?ngerer Zeit erg?nzen Herzogs (1981) und Wim Wenders Majest?t
brauchen Sonne (1999). Im ?brigen wird unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts Ludwig van
Beethoven weitaus h?ufiger als Filmmusiklieferant bem?ht; vgl. die Auswahlliste von Filmen mit Musik
klassischer Komponisten in: Stewart R. Craggs, Soundtracks. An International Dictionary of Composers
for Films, Aldershot 1998, S. 208-20. Als Grund daf?r l?sst sich vielleicht die weitaus gr??ere Auswahl
an Instrumentalkompositionen in seinem uvre anf?hren.
Oskar Messter gedrehten Film.17 In sie alle ist in unterschiedlichem Ausma? und in sehr
verschiedener Weise seine Musik einbezogen. Einen Sonderfall schlie?lich bilden die
Opernfilme nach Vorlagen Wagners wie z. B. Parsifal won Hans j?rgen Syberberg (1982).18
Die Musik stellt hier eine Facette in der k?nstlerisch eigenst?ndigen Besch?ftigung mit
Wagners Werken dar.19Von hier aus ist der Schritt zum Thema ?Wagner und der Film"
leicht gemacht. Hier w?ren die Adaption und Reflexion der Dramenstoffe und -motive
Wagners im Film sowie die Rolle seiner ?sthetischen Ideen in der film?sthetischen
Debatte zu er?rtern. Doch liegt dies au?erhalb der ?berlegungen, die sich auf die
Filmmusik konzentrieren.
Schulebildend bei der Ausbildung des Hollywoodstils soll Max Steiners Partitur zu King
Kong (1933) gewirkt haben.20 Der wesentliche Anteil der Musik am kommerziellen Erfolg
des Films machte aus ihr ein beispielgebendes Modell, welches die bis dahin ge?bte
Idee und Praxis des Leitmotivgebrauchs in der Filmmusik reichen jedoch bis in die
Stummfilmzeit zur?ck.22 So verwies Ern? R?p?e im Vorwort seiner 1925 erschienenen
Encyclopaedia of Music for Pictures aufWagner als Vorbild f?r die Filmmusikkomposition:
From this first crude attempt at an operatic performance [am Beginn der Operngeschichte in
Venedig], to the greatest dramatic Composer of all ages Richard Wagner, isa transitory period which
we may neglect because itwas Richard Wagner who established the fundamental principles of the
zu Richard Wagner -
17 Vgl. Christoph Henzel, ?Giuseppe Becces Musik Eine Filmbiographie (1913)", in:
music drama of today and it is his work which typifies to the greatest extent and in the minutest
detail the accompanying of action with music. His method of investing each one of his characters
with a certain motive, called ?Leit Motiv" and applying this motive at every appearence of the
character, but in different shadings to suit the surrounding conditions, is the one which can best
be applied in scoring pictures.23
R?p?es Pl?doyer ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass seine Enzyklop?die ein
thematisch geordnetes Repertorium von Musikst?cken zum variablen Gebrauch bei der
Filmbegleitung war. Das ab ca. 1910 gel?ufige Verfahren, speziell f?r den Gebrauch imKino
geschriebene oder bereits vorliegende Kompositionen aller Genres den Charakteren der
Breil betrachtete den Film als ?opera without a libretto"25 und rechtfertigte von daher
die ?bernahme der Leitmotivtechnik. Letztlich trifft dies die Intention aller Komponisten,
die an der k?nstlerischen Aufwertung des Films in den Jahren um 1910 beteiligt waren,
insbesondere derjenigen, die originale Filmmusiken komponierten wie Camille Saint
Sa?ns, JosefWeiss und Pietro Mascagni. Sie alle suchten bei ihrer Arbeit einen R?ckhalt
beim Musiktheater, und das bedeutete kompositionstechnisch den R?ckgriff auf die
Leitmotivtechnik.26 F?r die Apologeten der Filmmusik wie etwa R?p?e bot sich das
Musikdrama Wagners, das diesseits und jenseits des Atlantiks h?chstes Prestige besa?,
als Berufungsinstanz wie von selbst an. F?r die Nobilitierung des Films vom billigen
Ann?herung an das wagnersche Gesamtkunstwerk nur n?tzlich sein. Dabei geriet freilich
aus dem Blick, dass die Filmmusikpraxis mit Wagner, wenn ?berhaupt, nur insofern etwas
zu tun hatte, als sie sich an die bedeutungstragenden Motivwiederholungstechniken der
vor- und fr?hen wagnerschen Werke anschloss. Dies gilt f?r die kompilierten und originalen
Stummfilmmusiken ebenso wie f?r die klassische Epoche der Filmmusik in Hollywood
und auch noch f?r die modernen symphonischen Partituren des ?New Hollywood". Drei
1997, S. 148-55
25 Zit. aus einem Anfang der 2oer-Jahre abgefassten, unpublizierten Aufsatz Breils bei Marks, Music and
the Silent Film, S. 138.
26 Vgl. Rainer Fabich, Musik f?r den Stummfilm. Analysierende Beschreibung originaler Filmkompositionen
(Europ?ische Hochschulschriften, Reihe 36, Bd. 94), Frankfurt a. M. 1993, S. 358-60.
Beispiele m?gen dies belegen: Gottfried Huppertz' Musik zu Fritz Langs Die Nibelungen
(1924), Max Steiners Musik zu Michael Curtiz' Casablanca (1942) und Howard Shores
Komposition f?r den ersten Teil von Peter Jacksons The Lord of the Rings (2001).
Solidarisierung K?nig G?nthers und seiner Br?der mit Hagen (siehe Tabelle 1).28Alle
dazu erklingenden Leitmotive bis auf eines sind schon lange vorher eingef?hrt und in
ihrer Bedeutung festgelegt.29 Nur das Rache-Motiv ist neu. Es bildet sich erst in der
vorliegenden Szene aus der bei Siegfrieds Tod erklingenden chromatischen Bewegung
und dem Schrei-Motiv, dessen fallende Sexte inAnlehnung an das Kriemhild-Motiv
zum Quartfall modifiziert wird (siehe Notenbsp. 1).30Die Neusch?pfung begleitet den
Wandel der sanften Frau zum Racheengel.
Tabelle 1 : F. Lang / G. Huppertz: Die Nibelungen, 1. Teil, Ausschnitt aus dem 7. Gesang
(T> Takte)
Totale: die trauernde Kriemhild im Verrat 2 + 2I
Kreis der Nibelungen Kriemhild I 4 + 4 + 2 + 2l
... abwechselnd mit Traum 4I
Nah: Kriemhild liebkostden toten Siegfried
Halbtotale: tritt hinzu 2 + 2T
Hagen Hagen
Nah: Kriemhildbefallt eine chrom?t. 2 + 2 + 2I
gegenl?ufige
Ahnung; sie beobachtet (Detail:) Bewegung31
die blutendeWunde Siegfried II 2T
... abwechelnd mit Schrei 2 + 2T
Gross: Hagen
(T.= Takte)
Nah: Kriemhild klagt Hagen an Rache 4 + 2+ 2+ 1+1+2T
Totale: Kriemhild wendet sich an
G?nther: ?ich rufe dich..."
Halbnah: Kriemhild und G?nther
Fassung
Notenbeispiel 1:
Schrei Z,13,T,9f.:?Die
(ebs., Wunde
blutet")Rache T.13ff.:?Kriemhild
(ebs., deutet
auf
Hagen")
Der gew?hlte Ausschnitt best?tigt das Urteil Rainer Fabichs, dass bei Huppertz' Musik
?allein die filmische Struktur formbildend"32 sei. Der Einsatz der Motive beschr?nkt sich
imWesentlichen darauf, die visuelle Ebene zu verdoppeln und (etwa mit klangfarblichen
Mitteln) emotional
einzuf?rben. Kompositionstechnische Voraussetzung daf?r ist die
Erfindung kurzer
und pr?gnanter melodischer Gebilde, die auf der Grundlage der
schwebend gehaltenen Tonalit?t baukastenartig gesetzt, sequenziert und variiert werden.
Doch ersch?pft sich der Motivgebrauch nicht ganz darin. So verweist die Einschaltung des
Traummotivs zur?ck auf einen Traum Kriemhilds, der im 2. Gesang das Schicksal Siegfrieds
Aufgriff des Rachemotivs noch vertieft und m?ndet schlie?lich in die furiose Anklage.
Musikalisch vollzieht sich an dieser Stelle die (f?r die weitere Handlung entscheidende)
Identifikation Krimhilds mit der Rache f?r den Mord an Siegfried.
32 Ebd., S. 220.
Die Verselbst?ndigung der Musik vom Optischen weg hin zum Psychologischen ist
allerdings ein seltener Fall inHuppertz' Musik. Sie bleibt sonst eher in einer ?u?erlichen
Beziehung zum Drama. Die Leitmotive stehen isoliert f?r sich; kn?pfen kaum innere
Verbindungen, begr?nden keinen formalen Proze? und bleiben in ihrer Semantik dem
Sichtbaren verhaftet. Es ist nicht zu leugnen, dass auchWagner die Leitmotive stellenweise
als sog. Stichwortmotive benutzt; dies aber ist nur ein unspezifischer Teilaspekt seines
Leitmotivgebrauchs.
Huppertz' Verfahren wurde nach der Urauff?hrung von Die Nibelungen kritisiert. Hans
Erdmann, der als Hauptverantwortlicher f?r den ?sthetischen Teil des Allgemeinen
Handbuchs der Filmmusik seine Einw?nde dort wiederholte, bem?ngelte die Fragmentierung
der Musik-und damit auch der Stimmung-durch die Reihung von ?Mosaikst?ckchen"33.
Er pl?dierte f?r die Abl?sung vom Optischen zugunsten der inneren ?Gef?hlslinie"34 und
f?r die ?berwindung des Rhapsodischen der Filmmusikbegleitung durch Unterstreichung
des Wesentlichen der Handlung. F?r die Leitmotivtechnik bedeutete dies, dass sie
sparsamer, aber dramaturgisch bedeutsamer zum Einsatz kommen sollte. Letztlich waren
aber f?r Erdmann bei der L?sung von Problemen des Stils und der Form der Filmmusik
motivisch-thematische Prozesse von untergeordneter Bedeutung.35
- Steiners zu Casablanca
3. Ein Song als Hauptdarsteller Musik
?Every character should have a theme"36, lautet die viel zitierte Devise Steiners, mit
der er eine seiner kompositorischen Arbeitsweisen charakterisierte. Im Vergleich
zu Huppertz arbeitet Steiner mit seinen Leitmotiven
allerdings dramaturgisch und
33 Hans Erdmann, Ein Beitrag zur Dramaturgie der Film-Musik (Gottfried Huppertz'Musik zu den Nibelungen),
in: Reichsfimblatt 1925, Nr. 39, S. 32-34, hier S. 34, zit. in: Ulrich Eberhard Siebert, Filmmusik in Theorie
und Praxis. Eine Untersuchung der 20er und fr?hen 30er Jahre anhand des Werkes von Hans Erdmann
33:46 fr. Str inmittlerer Lage Rick und lisa verabschieden sich; Nah:
Rick, dann lisamit Victor; Rick l?sst
sich am Tisch nieder
-
36:41 39:17 Original: Klavier, freie Sam spielt auf Befehl von Rick; Fahrt auf
Fortf?hrung Rickzu
dazu Str. im Hintergrund FahrtbisNah: Rick
VI. ?bernehmen Melodie, R?ckblende: Paris
Modulation
39:01 ff. Str, dazu Akkorde der Hf. Hotelzimmer: Halbtotale: Rick u. lisa
auf dem Sofa; Fahrt bis Nah: Rick,
dann lisa
-
39:23 40:08 Str Kuss
-
40:30 41:13 Original: Klavier u. Singstimme ?La Belle Aurore": Rick u. lisa (innerlich
am Klavier mit Champagner
(1. Strophe.TI. 2) gespannt)
41:25-42:45 Str, schnell Rick, Gross: lisa
Umarmung
-
43:00 45:55 Str inmittlerer Lage Nah: Rick u. lisa am Tisch; Planung der
43:24 ff. Str in hoher Lage, dazu Akkorde Flucht; Rick spricht vom Heiraten; lisa
der Hf. verzweifelt; Abschied mit Kuss
45:15ff Tutti, gedehnt, sehr expressiv Rick liest lisas Brief; Detail: Brief mit
45:50 ff. Anfang, Klavier Ende der R?ckblende: Sam spielt, Rick
betrunken
-
46:06 49:00 lisakommt zu Rick insCaf?
46:43 ff Str, dazu Eh. (?) u. Hf. Nah: Rick, lisa;Rick spricht von seinen
48:38 fr. Str unisono, dazu Blechbl. Rick allein am Tisch, Nah: Rick schl?gt
die H?nde vor das Gesicht, er sinkt
vorn?ber
65:03 ff. Anfang Original: Klavier Sam spielt auf Anweisung Ricks
78:11 Vc. ?ber Streichertremolo Halbnah: lisa bedroht Rick mit einer
[-78:26] Pistole
Strfigur]
-
09:23 90:01 Str u. Hbl. RicksCaf?:Nah/Gross: Rick bittet lisa
um ihrVertrauen
[-89:40]
-
90:17 91:27 Str u. Hbl., gedehnt, dazu Pk Halbnah: Rick bedroht Renault und
-
93:58 96:20
95:04 ff. Str u. Hbl., dazu Blechbl. Halbtotale: lisa u.Victor gehen von
Rick weg zum Flugzeug, Halbnah: lisa
-
96:26 98:15 [Marsaillaise, gedehnt] Ankunft der Polizisten
96:31ff Str, hohe Lage, gleichzeitig Nah: Renault befiehlt, die ?blichen
zu verhaften, Nah: Rick
Anfang der dt. Nationalhymne Verd?chtigen
[-96:34] (verzerrt, Pos.)
Der Song erklingt im Film ein einziges Mal, vorgetragen von Sam (Wilson Dooley) am
Klavier. Allerdings ist er in zwei Teile geteilt, die in einiger zeitlicher Distanz zueinander
stehen. Die instrumentale Einleitung istweggelassen. Der erste Teil (zweimal acht Takte,
a - a') wird in Ricks Caf? inCasablanca vorgetragen, der zweite Teil (ebenfalls zweimal
-
acht Takte, b a") ist im R?ckblick auf das vorhergehende Geschehen in Paris im ?La
belle Aurore" zu h?ren.
Dassder Song mehr ist als ein St?ck Musik, wird klar, noch bevor er erklingt. Denn
Sam str?ubt sich zun?chst, als lisa Lund (Ingrid Bergman) ihn in einer Nahaufnahme
um den Vortrag bittet. Die Ahnung des Zuschauers wird konkreter, wenn dann Rick
-
Blaine (Humphrey Bogart) Sam sehr unwirsch unterbricht, wenn er mit lisa ebenfalls
-
in Naheinstellungen bedeutungsvolle Blicke tauscht und wenn sie dann im Beisein
von Captain Renault und Victor Laszlo ganz beherrscht von ihrem zur?ckliegenden
Zusammentreffen in Paris und der deutschen
Invasion plaudern. Es ist die Musik, die den
Zuschauer unfehlbar leitet: Beim Blick erklingt das Kopfmotiv des Songs in der Oboe
?ber einem stehenden Sreicherklang; sp?ter, w?hrend der leichten Konversation, wird
es dunkel und dramatisch eingef?rbt. Schlie?lich ist es noch einmal in dieser Sequenz
beim h?flich-distanzierten Abschied beider voneinander zu h?ren. Die Musik verr?t,
was lisas und Ricks Gedanken beherrscht.
Was das eigentlich genau ist, erf?hrt man erst in der folgenden Szene, vermittelt durch
-
eine R?ckblende. Der Anfang des Songs teils die ganze erste Phrase, teils nur das
- in variierter oder frei fortgesponnener Form lisa und Rick
Kopfmotiv begleitet originaler,
durch Paris, in ihrHotelzimmer, inRicks ?La Belle Aurore" sowie schlie?lich zum Bahnhof.
Das Utopische ihres Liebesgl?cks wird dabei nicht nur innerhalb der Handlung deutlich,
n?mlich durch die in Parallelmontagen sichtbaren, n?herr?ckenden Deutschen, sondern
auch musikalisch, indem die leitmotivisch gepr?gte Musik dreimal durch den abrupten
Wechsel zu einer thematisch und von ihrem Charakter her kontrastierenden Musik
wahrhaftig gest?rt wird. Stets geht dem ?Bruch" eine intime Szene der Protagonisten
voraus. Kaum zuf?llig wird dieses Stilmittel noch einmal nach der Wiedervereinigung
der Liebenden benutzt, die die Realisierung des Traums noch einmal in den Bereich
des M?glichen r?ckt. Doch l?sst der Einbruch der Politik (die Polizei verfolgt die
Bis zu diesem Punkt im Film, der auch durch die Einbeziehung der (m?nnlichen) Vernunft
einWendepunkt ist, ist der dramatische Einsatz des Leitmotivs au?erhalb der R?ckblende
stets dadurch motiviert, dass er die Gedanken der Protagonisten zum Ausdruck bringt,
ihre Erinnerungen und Zukunftshoffnungen. Und die Gedanken stehen teilweise im
Gegensatz zu ihrem Handeln, so etwa wenn lisa von Rick die Herausgabe der Visa mit
goes by"-Motiv nurmehr die Perspektive lisas. Rick hat sich vom Traum des Liebesgl?cks
bereits verabschiedet. Doch wird dies dem Zuschauer erst gegen Ende des Films klar,weil
Steiner Ricks T?uschungsman?ver unterst?tzt. So erscheinen die ersten ?berraschenden
Momente der Handlung (Rick ?bergibt die Visa an Victor, erm?glicht danach dessen
Verhaftung durch Renault, zwingt diesen dann aber zur Genehmigung des Flugs) im Licht
des Leitmotivs als Teilschritte auf dem Weg zum Happyend.
Ein solches Ende konnte es inHollywood aus moralischen Gr?nden nicht geben39 - zumal
nicht 1942/43. lisa ist mit einem Mann des Widerstands verheiratet, und weil die Ehe
als Institution der Hilfeleistung im Krieg wichtig geworden war, musste lisa bei Victor
bleiben.40 Alle ordnen sich am Schluss der guten Sache unter, dem Widerstand gegen
die Nazis. Und Paris bzw. das Liebesgl?ck wird als gemeinsame Erinnerung aufbewahrt.
Dass dies nicht eine Floskel bleibt, sondern Wirklichkeit wird, leistet die Musik, die
wiederum das Innere lisas h?rbar werden l?sst W?hrend das Songmotiv nach der von
Rick am Flughafen verf?gten Trennung noch d?nn und unruhig klingt, gewinnt es mit dem
Nachlassen von lisasWiderstand an Ruhe und Klangf?lle. Als lisa schlie?lich mit Victor
zum Flugzeug geht, erklingt das Leitmotiv im vollen Orchester. Es ist zu einer Chiffre
des heroischen Verzichts geworden.41
Ahnung und Erinnerung sind Grundfunktionen der Leitmotive Wagners, ebenso die
Darstellung verborgener Gef?hle und Gedanken. Aber auch dies macht nur einen
Teilaspekt dessen aus, was die Leitmotive imMusikdrama leisten. Das formkonstitutive,
Konsequenz, dass Musik nur selektiv eingesetzt wird. Au?erdem l?sst ihre Bindung an
das filmische Erz?hltempo keine ausgreifenden motivischen Bildungen und Entwicklungen
zu, die die Grundlage f?r die durchgehend kommentierende und sinnstiftende Funktion
der Musik imMusikdrama sind. Adorno und Eisler haben das in ihrer Polemik gegen die
Filmmusikpraxis inHollywood richtig gesehen, daraus aber f?lschlich auf die Illegitimit?t
des Leitmotivs ?berhaupt inder Filmmusik geschlossen43. Dass das Leitmotiv hier weitaus
39 Zum Einfluss der Production Code Administration auf die Gestaltung des Films vgl. Aljean Harmetz,
Verhaften Sie die ?blichen Verd?chtigen. Wie Casablanca gemacht wurde, Berlin 2001 (Orig. New York
1992), S. 193-98.
40 Zum Problem der Schlussgestaltung vgl. ebd., S. 265-77; zur filmischen Umsetzung Lorenz,
vgl. Hildegard
?Lauter Abschiede. Funktion und filmische Realisierung von Abschiedsszenen im Spielfilm", in: Strategien
der Filmanalyse, hrsg. v. L Bauer u.a. (diskurs film, Bd. 1), M?nchen 1987, S. 73-85.
41 Das Kopfmotiv erklingt etwas sp?ter w?hrend der Ankunft der Polizisten nach dem Tod Major Strassers
noch einmal ?ber dem Beginn der inMoll intonierten deutschen Nationalhymne, bevor Captain Renault
die Festnahme der ??blichen Verd?chtigen" anordnet. Wollte Steiner damit noch einmal auf den Grund
f?r Ricks heroischen Verzicht hinweisen?
42 Vgl. Robert Donington, Richard Wagners Ring des Nibelungen und seine Symbole, Stuttgart 1976
(London 21974).
43 Vgl. Theodor W. Adorno / Hanns Eisler, Komposition f?r den Film (1969), Hamburg 1996, S. 20-22.
mehr sein kann als ein ?musikalischer Kammerdiener", zeigt Steiners Musik zu Casablanca.
- -
Dies ?ndert aber nichts daran, dass sie wie auch seine anderen Filmmusikpartituren
von Wagners entwickelter Leitmotivtechnik weit ist (was ihreQualit?t
entfernt inkeiner
Weise mindert).44 Richtig ist aber auch, dass Bild und Schnitt selbst Symbole schaffen.
Wenn am Schluss der hektischen
Eingangssequenz das ankommende Flugzeug ?ber der
Stadt h?r- und dann sichtbar wird, wenn alle Menschen auf dem Basar aufblicken, die
europ?ischen Fl?chtlinge unter ihnen voller Erwartung, dann ist das eine wirkungsvolle
Inszenierung des Leitthemas des Films, der Freiheitssehnsucht der Menschen. Die Szene
bildet gleichzeitig eine dramaturgische Klammer, indem am Schluss des Films das Flugzeug
wieder startet, und zwar Richtung Freiheit. Derart beredte Bilder bedurften der Musik,
wenn ?berhaupt, nur um der Verst?rkung, nicht aber der Deutung willen.
Komponist selber in dem Interview n?her auf die Entwicklung des sog. Fellowship
Themas eingeht.45 Tats?chlich spielen wie bei Steiner wiederkehrende charakteristische
Motive und Themen eine bedeutende Rolle in der Filmmusik. Zu nennen sind hier
insbesondere(in der Reihenfolge ihres Auftretens) das Ring-Motiv, das Gollum- Motiv,
das Shire-Thema, das Mordor-Motiv, das Fellowship-Thema und das Isengard- Motiv.
Wie in Casablanca sind die Leitmotive kaum Personen zugeordnet, sondern den von
ihnen verk?rperten Ideen sowie ideell bedeutsamen Gegenst?nden und Orten.
Eine weitere Gemeinsamkeit mit Steiner, welche freilich in der Musik zu Casablanca
keine Rolle spielt, ist die Tatsache, dass Shore auf der melodischen Ebene Verbindungen
zwischen den Themen und Motiven kn?pft.46 Von Ableitungen kann dabei allerdings keine
Rede sein. So stehen zum Beispiel das Ring-Motiv und das Mordor-Motiv dadurch ineiner
Beziehung, dass beide am Anfang einen Halbtonschritt aufw?rts und dann wieder abw?rts
aufweisen (siehe Notenbsp. 2 u. 3).47 Musikalisch kommt darin zum Ausdruck, dass -wie
-
44 Die gel?ufige, auch von Schneider (Der Film Richard Wagners ?Kunstwerk der Zukunft"?, S. 141)
vertretene These, dass die im Ring entwickelte Leitmotivtechnik in der klassischen Epoche Hollywoods
von Komponisten wie ErichWolfgang Korngold, Max Steiner, FranzWaxman und Miklos R?sza adaptiert
worden sei, blieb bis heute ohne Beleg; vgl. zu Korngolds The Adventures of Robin Hood Helmut P?llmann,
Erich Wolfgang seines Schaffens, Mainz 1998, S. 105t. Gunds?tzliche Differenzen zur
Korngold. Aspekte
Orchestertechnik Wagners sind bereits in der vergleichsweise kleinen Besetzung der Studioorchester
und dem oberstimmenzentrierten Satz, wie er exemplarisch in Casablanca vorliegt, zu sehen.
-
45 Vgl. SoundtrackNet Interview: Howard Shore Lord of the Rings, 20. November 2001,
http://www.soundtrack.net.
46 Zu Steiners Musik zu Now Voyager vgl. Daubney, Max Steiners Now, Voyager, S. 69-71.
47 der Analyse ist die im Handel erschienene DVD Der Herr der Ringe: Die Gef?hrten, New
Grundlage
Line Home Entertainment, Inc., 2002.
Herstellung einer Armee f?r Sauron inden Minen Isengards und sp?ter diese Armee auf
ihremWeg zum Anduin Das Motiv beginnt ebenfalls mit zwei Halbtonschritten,
begleitet.
allerdings in umgekehrter Bewegungsrichtung (siehe Notenbsp. 4). Die enge Verbindung
zwischen Mordor und Isengard kommt zus?tzlich darin zum Ausdruck, dass beide Motive
in d-Moll stehen. Ebenfalls zum Ring-Motiv
in Beziehung steht schlie?lich das Gollum
Motiv (siehe Notenbsp. 5), welches das Verfallensein an den Ring bezeichnet.48 Das
verbindende Moment dabei istwiederum der Halbtonschritt, der bei beiden Motiven
zwischen der f?nften und sechsten Stufe der jeweiligen Tonleiter liegt, dem beim Gollum
Motiv jedoch noch die ersten beiden Dreiklangst?ne vorausgehen.
Notenbeispiel 2:
Notenbeispiel 3:
Notenbeispiel 4:
Notenbeispiel 5:
Dieses Motiv, genauer: dessen viert?niger Anfang, geht sp?ter indie Musik f?r Rivendell
ein. Es bestimmt die Orchesterbegleitung und die Chormelodie (siehe Notenbsp. 6).
Notenbeispiel 6:
48 Es wird im Zusammenhang mit Gollum, dem ersten Finder des Rings, im Rahmen der Erz?hlung der
Vorgeschichte am Beginn des Films exponiert und bleibt auch weiterhin in Verbindung mit ihm (im
Gespr?ch Gandalfs mit Frodo sowie inMor?a), doch erklingt es auch, wenn Bilbo, der zweite Finder,
vor seiner Abreise seine Abh?ngigkeit von dem Ring zeigt.
Dar?ber hinaus liegt es dem Chorsatz mit Solostimme zugrunde, der den Flug des Falters
auf das Dachplateau des Turms von Isengard zum hier gefangen gehaltenen Gandalf
verb?rgt ist: Entr?ckt der Vokalsatz Gandalf trotz seiner Gefangenschaft weit von der
vorher und nachher gezeigten finsteren Gesch?ftigkeit in den weit unter ihm gelegenen
Minen Isengards, so malt die Rivendell-Musik den ?berw?ltigenden Zauber der Welt
der Eiben, der sich in den staunenden Gesichtern der Hobbitts widerspiegelt.
Die dramaturgische Funktion der Leitmotive geht in Shores Komposition weit ?ber die
der plakativen Verdoppelung der durch die Bilder vermittelten Inhalte der Erz?hlung
hinaus. Die Musik tritt teilweise als erg?nzende Ebene hinzu. Dies l?sst sich beispielsweise
am Einsatz des Ring-Motivs zeigen (siehe Tabelle 3). Es wird in der Eingangserz?hlung
exponiert, indem es dem Filmtitel und der folgenden Erz?hlung vom Schmieden der
Ringe und ihrerVerteilung unter die Eiben, Zwerge und Menschen unterlegt ist.
Allerdings
spielen diese Ringe imweiteren Verlauf der Handlung keine Rolle mehr. Stattdessen
geht es um den Meisterring, auf den sich im Folgenden auch ausschlie?lich die Musik
bezieht, so etwa wenn Isildur den Ring nimmt oder wenn Bilbo ihn sp?ter findet. Doch
wird nur am Anfang die Musik so konsequent an den sichtbaren Gegenstand gekn?pft.
In der Ratsversammlung bei Elrond in Rivendell etwa wird der Ring f?r alle sichtbar
ausgestellt; dies wird von metallischen Ger?uschen und der fl?sternden Stimme Saurons
begleitet. Etwas sp?ter schwenkt die Kamera wiederum zum Ring, indessen Oberfl?che
sich der Streit der Versammelten spiegelt. Auch hierzu erklingt nicht das Ring-Motiv,
obwohl um den Ring gestritten wird, sondern das Mordor-Motiv, welches auf Sauron
als den Nutznie?er der Uneinigkeit zwischen Menschen, Zwergen und Eiben verweist.
Das Ring-Motiv selbst ist nur noch zweimal zu h?ren: als die Gef?hrten die Argonath
begegnet. Beide Male verr?t die Musik, was die Gedanken Boromirs beherrscht: der
Ring, inwelchem er das einzige Mittel sieht, das die Menschen vor der vernichtenden
Macht Saurons bewahren kann. Doch reicht die Bedeutung des Leitmotivs bei der
00:24:12 Str Frodo hebt den Ring in Bilbos Haus auf; Gandalf sinnt
nach
00:31:19 Str Gandalf erkl?rt Frodo, dass Sauron und der Ring eins
sind
Die Leitmotive in Shores Partitur werden exponiert und in der Folge zitiert, wobei
die Fasslichkeit imVordergrund steht. So handelt es sich in erster Linie um melodische
Motive oder Themen, in ihrer Instrumentierung
welche nur wenig variiert werden.
W?hrend die Themen periodisch gebaut sind, werden die Motive mindestens bei ihrem
ersten Auftreten wenigstens einmal (selten auf einer neuen Tonstufe) wiederholt. Die
Zitate sind h?ufig vollst?ndig. Melodische Varianten oder Abspaltungen sind eher die
Ausnahme.49 Etwas anders verh?lt es sich beim Shire- und beim Fellowship-Thema. Das
Shire-Thema existiert in verschiedenen (gleichberechtigten) melodischen Fassungen.
Sein Anfang bildet inder Shireszene am Beginn der eigentlichen Handlung die Grundlage
f?r neue melodische Gebilde einer gleichsam rustikalen Musik mit Solovioline.
Im Falle des Fellowship-Themas hat Shore selbst auf das Verfahren der Entwicklung
hingewiesen. Von daher bietet sich die n?here Untersuchung des Themas an. Shore hat
seine Verfahrensweise wie folgt beschrieben:
You'll first hear the
Fellowship theme forming in the film when Frodo leaves Hobbiton with Sam
-
on his way to Breebut it's just a fragment of the theme. Later on, after they meet up with Merry
-
and Pippin in the cornfield, you hear a more developed version of the theme it's growing. Then
to Bree and meet Strider, and it even further as they leave Bree. Once in
they get they develops
Rivendell, when they meet Gimli and Leg?las and Gandalf arrives, the Fellowship is now in its full
orchestrated form. At the end of ,The Council of Elrond' cue, you hear the full, grand statement
of the Fellowship theme.50
49 Ein Beispiel ist die Abspaltung des dreit?nigen Kopfs des Isengard-Motivs, welcher als eine Art
Anfangssignal in den H?rnern beim Versuch der Ringgeister erklingt, den Anduin zu durchqueren
(01:09:05). Ein semantischer Bezug ist streng genommen nicht gegeben, da die Ringgeister aus Mordor
stammen.
-
50 SoundtrackNet Interview: Howard Shore Lord of the Rings.
Tats?chlich wird das Shire-Thema, dessen Vordersatz nach dem Aufbruch Frodos und
Sams erklingt (36:21), um einen neuen Nachsatz erweitert:
f?nftaktige eine Phrase
(siehe Notenbsp. 7), die den Anfang des Fellowship-Themas darstellt. Instrumentierung
- c-Moll mit Durschluss)
(Horn Englischhorn/ Horn) und Tonart (C-Dur- verkn?pfen
die melodischen Gestalten. Die Verkettung der beiden Themen ist im Folgenden immer
wieder anzutreffen. Dies verdeutlicht, dass zur Gemeinschaft Hobbits
geh?ren und
dass als ihr Kern die Freundschaft zwischen Frodo und Sam anzusehen ist51 Schon
fast vollst?ndig erklingt das Fellowship-Thema wenig sp?ter, als Gandalf, nach Sam der
Wichtigste unter den Gef?hrten Frodos, zu Saruman nach Isengard reitet (36:55) (siehe
Notenbsp. 8).
Notenbeispiel 7:
^ Eh. Hr. ^
, h ,^-^
Notenbeispiel 8:
Der Beschreibung Shores entgegen kommt das Thema beim Zusammentreffen mit den
Hobbits Merry und Pippin im Feld nicht vor. Und auch von einer Weiterentwicklung nach
ihrer Rettung durch Arargon in Bree kann keine Rede sein. Der Weg nach Rivendell wird
von gedehnten Bruchst?cken (im Sechsvierteltakt o. ?.) begleitet (54:50): dem Kopfmotiv
(ohne Auftakt), welches dreimal als Hornsignal erklingt, und der melodischen Fortsetzung
des Nachsatzes in den Celli. Richtig ist allerdings, dass das Fellowship-Thema am Ende
der Beratung bei Elrond, als sich die Gemeinschaft der Neun bildet, erstmals
vollst?ndig
zu h?ren ist. Nachdem Frodo den Streit der Beteiligten durch seinen Entschluss, den
Ring selbst nach Mordor zu tragen, beendet hat, stellen sich ihm nacheinander Gandalf,
Arargon, Leg?las und Gimli an die Seite. Hierzu erklingt imHintergrund das vollst?ndige,
periodische Thema, vorgetragen von H?rnern und Streichern (01:28:10) (siehe Notenbsp.
an.
9). Es schlie?en sich nun Boromir, Sam sowie Merry und Pippin der Gemeinschaft
Notenbeispiel 9:
51 In der Shire-Szene, die die Filmhandlung er?ffnet, charakterisiert das periodisch gebaute Thema
in seinen verschiedenen Varianten die l?ndliche Idylle und die freundschaftlichen Beziehungen der
Der komische Auftritt der Hobbits wird vom Shire-Thema in einer melodisch etwas
abgewandelten Fassung (Klarinette und Streicher) begleitet. Wie schon beim Abschied
vom Shire schlie?t sich unmittelbar daran wiederum das Fellowship-Thema an (01:29:
17). Die Streicher beginnen, dann treten Blechbl?ser hinzu, sodass die Melodie nach der
Die folgenden drei Themenzitate sind alle f?r das volle Orchester mit Pauken instrumentiert.
Sie begleiten wortlose Handlungen der Gemeinschaft der Neun: den Aufstieg insGebirge
nach dem Aufbruch (01:32:00), die Flucht zur Br?cke von Khazad-dum
aus Rivendell in
Moria (01:56:50) sowie den rettenden Lauf ?ber ebendiese Br?cke (02:01:31). Bei den
beiden Zitaten inMoria ist das Thema ineinen Dreiertakt transformiert; ansonsten aber
ist es melodisch unver?ndert. Danach tritt es nur noch einmal, gegen Ende des Films, in
der vollst?ndigen Gestalt auf. Dazwischen findet zweimal sein Kopfmotiv Verwendung:
Es begleitet die ?brig gebliebenen acht Gef?hrten bei ihrer Fahrt auf dem Anduin nach
ihrem Abschied von Lothlorien (02:19:56). Die Reduktion d?rfte durch den manifesten
?u?eren und inneren Zerfall der Gemeinschaft motiviert sein. Dies gilt auch f?r das
zweite Zitat, welches ingedehntem Zeitma? Frodos sinnendem Verweilen am Ufer des
Anduin vor seinem einsamen Aufbruch nach Mordor unterlegt ist (02:37:33). Gegen die
Melancholie des Filmendes, die aus der Zerstreuung der Gemeinschaft resultiert (Gandalf
ist inMoria verloren gegangen, Boromir im Kampf umgekommen, Frodo und Sam sind
alleine aufgebrochen, Merry und Pippin von den Orks verschleppt), steht nun aber das
letzte vollst?ndige Zitat des Fellowship-Themas bei der Erneuerung der Gemeinschaft
durch die zur?ckgebliebenen Gef?hrten Arargon, Leg?las und Gimli zur Befreiung der
entf?hrten Hobbitts. Die ?bernahme der Melodief?hrung durch die Trompete am
Schluss des Themas verleiht der Szene eine optimistische (aus dem weiteren Gang
der Handlung gespeiste) Note, die die darauffolgende Einsch?tzung Frodos am Rande
Mordors, dass sich die Gef?hrten wohl nie wieder s?hen, schon imVorfeld abmildert.
gibt, dass Filmmusik unmittelbar und sofort wirken muss, wundert es nicht, dass sich
die drei hier thematisierten Filmkompositionen in Bezug auf das Ma? der thematisch
motivischen Arbeit kaum voneinander unterscheiden und trotz unterschiedlicher Dichte
des Leitmotivgebrauchs letztlich gleich weit von Wagners Ideen und seiner entwickelten
Technik entfernt sind.
geh?rte, belegt der cue sheet f?r den 1910 in den USA gedrehten Film Frankenstein.53
Weitere Anhaltspunkte gibt R?p?es Encyclopaedia: Hier findet sich nicht nur besagtes
St?ck unter der Kategorie ?Weddings", sondern noch eine ganze F?lle von Extrakten aus
den Opern Wagners unter anderen ?berschriften (siehe Tabelle 4). Die unter ?Operatic
Extracts" und ?Overtures" aufgelisteten St?cke dienten freilich nicht der Filmbegleitung,
sondern der Ausgestaltung des inden grossen Kinos ?blichen Rahmenprogramms zu den
Siegfried-Paraphrase
aus Parsifal:Vorspiel, Chor der
Karfreitagszauber,
Blumenm?dchen, Gralsprozession
Music 1.Akt)
427f. Religious Vorspiel (Lohengrin,
Karfreitagszauber (Parsifal)
Vorspiel (Parsifaf)
443 Sea Music Ouvert?re (DerfliegendeHoll?nder)
?Several years ago, the playing of two or three Movements of a Tschaikowsky Symphony
(with cuts, of course) in a movie house, was considered a sort of an experiment, today
the stage of experiment with Tschaikowsky and his Symphonies is a matter of the past.
The 2nd and 4th Movements of the 4th Symphony or the 3rd and 4th Movements of the
6th Symphony are in the repertoire of every fair size movie orchestra. The same could
be said of excerpts from the Wagnerian Operas such as the Valkyries Ride Wotan's
,
Farewell, etc."54
Blickt man zum Vergleich im Hinblick auf die Praxis inDeutschland in das ?Thematische
Skalenregister" des von Hans Erdmann und Giuseppe Becce herausgegebenen Allgmeinen
Handbuchs von 1927, findet man
der Film-Musik nichts dergleichen. Verzichteten die
Kinomusiker aufWagners Musik? Das war einWunschtraum der Herausgeber. F?r sie war
die Trennung der Illustrationsmusik von der Musik des Konzert- und Opernrepertoires
Programm.55 Die Wirklichkeit sah anders aus. Daf?r steht nicht nur R?p?e selbst, der
54 R?p?e, Encyclopedia, S. 8.
55 Vgl. Hans Erdmann / Giuseppe Becce, Allgmeines Handbuch der Film-Musik, Berlin 1927, Bd. 1, S. 59.
Die Durchsetzung des Tonfilms um 1930 machte keineswegs Schluss mit der Praxis,
vorliegende Musik Filmen zu unterlegen; sie verlagerte sich nur vom Kino ins Studio. Die
B-Pictures aus Hollywood z. B. wurden vorzugsweise mit vorr?tiger Musik versehen.56
Entscheidend f?r den Umgang mit der Musik Wagners wurde allerdings die politische
Lage, genauer: die Vereinnahmung Wagners durch die Nazis und die Reaktion der
aliierten L?nder darauf nach Kriegsbeginn. Als ein Beispiel f?r die eine Seite kann Karl
Ritters Film Stukas (1941, Musik: Herbert Windt) gelten, welcher einen demoralisierten
Soldaten zeigt, der bei den Bayreuther Festspielen imAngesicht Siegfrieds, des Helden,
seine Sinnkrise ?berwindet. Vermittelt wird dies durch eine R?ckblende w?hrend der
Festspielauff?hrung: Als Siegfrieds Rheinfahrt erklingt, erinnert sich der Pilot der fr?heren
Kameradschaft an der Front. Man sieht zwei seiner Kameraden vierh?ndig Klavier spielen.
Dies bezieht sich auf eine fr?here Musizierszene zwischen zwei Fliegereins?tzen, indereine
Komposition von Chopin und das erw?hnte St?ck von Wagner gespielt wurden. Auf der
anderen Seite steht die Zuordnung Wagners zu den ?b?sen" Deutschen. So zitiert William
Walton in Leslie Howards The First of the Few (1942), einem halbdokumentarischen Film
?ber den Konstrukteur des erfolgreichen britischen Jagdflugzeugs Spitfire, in der Musik
zur Eingangssequenz bei Bildern von Reden Hitlers, Goebbels' und G?rings deutsche
Marschmusik sowie das Schmiede- und das Vertragsmotiv aus dem Ring des Nibelungen.37
In beiden F?llen dient die Musik als Symbol, welches zusammen mit Stereotypen der
Charaktere und Handlungsmuster f?r die effektive Vermittlung des propagandistischen
56 Vgl. Royal S. Brown, Overtones and Undertones. Reading Film Music, Los Angeles/London 1994, S. i;8f.
57 Etwas sp?ter l?sst er bei deutschen Zeitungsmeldungen ?ber den R?ckgang der englischen
nach den Bombenangriffen wiederum das Vertragsmotiv sowie den Anfang des
R?stungsproduktion
-
Feuerzaubers erklingen. Motive aus dem Ring verwendete Dimitri Tiomkin auch in der Musik zu
dem Gl-Schulungsfilm Your Job in Germany (1945) bei Bildern von Hitler und deutschen Angriffen; vgl.
Anthony Sheppard, ?An Exotic Enemy. Anti-Japanese Musical Propaganda in
World War IIHollywood",
in: JAMS 54 (2001), S. 303-57, hier S. 318.
Freilich gibt es auch Beispiele, die nicht in dieses Schema passen, sogar unter den Anti
Nazi-Filmen. So zitiert etwa Charlie Chaplin in der Musik zu seiner Satire auf Hitler und
den Nationalsozialismus The great Dictator (1940) an zwei Stellen das Vorspiel zu Lohengrin.
Zun?chst begleitet die Musik Hynkels (Hitlers) Spiel mit derWeltkugel, bei welchem sich
der Diktator der ertr?umten Rolle alsWeltherrscher gem?? l?ssig und ?berlegen gibt
- bis
der Ball platzt. An dieser Stelle bricht die Musik, die der Szene die Atmosph?re des
Unwirklichen, des Traums verleiht, ab (T 22). Sie wird durch einige tiefe Bl?serakkorde zu
einem Abschluss gef?hrt, w?hrend Hynkel, ?berw?ltigt von Trauer, auf seinem Schreibtisch
zusammenbricht. Sp?ter, am Schluss des Films, erklingt das Vorspiel zu Lohengrin noch
einmal, als die von den ?Nazi"-Eroberern gedem?tigte Hannah die Stimme des j?dischen
Friseurs mit seinem humanistischen Appell an die Menschheit aus dem Radio h?rt.59 Die
Musik objektiviert und verallgemeinert die intime Anrede; sie verleiht ihrem Inhalt eine
sakrale Aura. In beiden F?llen steht der expressive Gehalt der Musik imVordergrund,
der bei grunds?tzlicher Identit?t im unterschiedlichen Bildzusammenhang variiert. Eine
Semantisierung zum Nazi-Symbol findet nicht statt. Vielmehr bleibt der Musikgebrauch
der Stummfilmbegleitpraxis verhaftet, da er ausschlie?lich der Szenencharakteristik
unabh?ngig von der Bewegung der Handlung verpflichtet ist. Man k?nnte denken, dass
sich Chaplin inR?p?es Encyclopaedia Rat geholt habe, wo das Vorspiel zu Lohengrin inder
Kategorie ?Religious Music" zu finden ist (siehe Tabelle 4). Ein derartiger Gebrauch von
Kompositionen Wagners im Film ist auch sp?ter noch zu beobachten.60
Die inhaltliche Verkn?pfung von Wagner und Nationalsozialismus blieb im Kino ?ber
das Kriegsende bestehen. Wenn etwa in Edward Dmytryks The young Lions (1958) der
deutsche Offizier Christian Diestl (Marlon Brando) aus Nordafrika ins zerbombte Berlin
zur?ckkehrt und Hugo Friedhofer in seiner Musik dabei dasWalhalla-Thema zitiert, spricht
dies f?r sich.61 Freilich liegt hier auch ein semantisch diffizilerer Einsatz der Musik als bei
Walton vor, der ?ber die simple Verbindung von Wagner mit den Nazis hinausgeht, denn
das kommentierende Zitat schwankt zwischen Ironie (das ,.ewige Werk" inTr?mmern)
und Ernst (die Zerst?rung als Zeichen der Erl?sung). Auf jeden Fall ist hier etwas
vorweggenommen, was seit den 6oer-Jahren ?fter beim Einsatz ?klassischer Musik" im
Film zu beobachten ist:dass sie um ihrer rezeptionsgeschichtlich gewachsenen Bedeutung
58 Vgl. zu den Topoi und Stereotypen des Anti-Nazi-Films Jan-Christopher Horak, Anti-Nazi-Filme der
-
deutschsprachigen Emigration von Hollywood 1939-1945, M?nster ^985, S. 341-82. Grotesk ist die
Funktion von Musik aus Tannh?user inHarold Frenchs Secret Mission (1942); sie wird von den deutschen
Besatzern als akustisches Mittel des Terrors benutzt.
59 Die Musik beginnt bei Takt 3 und endet ebenfalls in T. 22. Ohne deutliche Z?sur schlie?t daran eine
freie, etwas
bewegtere Fortf?hrung des Orchesters an, welche bis zum Ende des Films reicht.
e mezzo
60 Vgl. etwa den ?Walk?renritt" Fellinis Otto
in Federico (1962) und / clowns (1970). Inbeiden F?llen
handelt es sich um diegetische Musik, die im Bildzusammenhang (Treiben in einem ganz ?berwiegend
von Frauen bev?lkerten Kurpark bzw. Kampfnummer mit der ?starken Mathilde") wirkt.
parodistisch
61 Vgl. William Darby /Jack Du Bois, American Film Music. Major Composers, Techniques, Trends, 1915-1990,
Jefferson / London 1990, S. 220.
Ein ber?hmtes Beispiel stellt die Verwendung des ?Walk?renritts" in Francis Ford
Coppolas Apocalypse now (1979) dar. Bedeutsam f?r die Wirkung der Szene ?st die
Tatsache, dass die Musik zum Film ansonsten aus Popsongs und sysnthesizergenerierten,
quasi psychedelischen Kl?ngen besteht. Der ?Walk?renritt" ist dem Angriff einer
Hubschrauberstaffel auf eine Vietcong-Stellung an einem Fluss unterlegt.64 Der Attacke
liegt kein milit?risches Kalk?l zugrunde, sondern erfolgt einzig deshalb, weil der Fluss
gerade an dieser Stelle in besonderer Weise zum Surfen geeignet ist; und dies will
Leutnant Kilgore, der eben erst einen ber?hmten Surfsportler unter den Soldaten
entdeckt hat, ausnutzen. Deswegen muss das Dorf vernichtet werden. Zu diesem Zweck
werden nicht nur Waffen, sondern auch Wagners Musik eingesetzt. Leutnant Kilgore
erl?utert dies dem Surfer Lance folgenderma?en:
?Wir kommen imTiefflug aus der aufgehenden Sonne und stellen aus ca. 1500 m Musik an."
Entfernung
?Musik?"
?Ja, ich nehme Wagner. Das erschreckt die Schlitzaugen unheimlich. Meine Jungs sind begeistert."
62 Vgl. Hans-Christian Schmidt, Filmmusik (Musik aktuell 4), Kassel 1982, S. 98-101.
63 Vgl. Ermanno Comuzio, ?Wagner e il cinema. Itinerario di un rapporto", in: Richard Wagner: un itinerario
den Kampfeinsatz treffend. Kilgore bewegt seinen Kopf imRhythmus der Musik. Ein Schnitt,
mit dem auch die Musik unvermittelt abbricht (T 43), f?hrt in das vietnamesische Dorf.
Hier wird eine Schulklasse evakuiert. Man h?rt, dass sich die Hubschrauber n?hern. Ein
weiterer Schnitt nimmt wiederumdie Perspektive der Amerikaner ein, die den Angriff im
tiefen Anflug beginnen. Zu dem Dr?hnen der Hubschrauber, den Sch?ssen und Einschl?gen
sowie den ?u?erungen Kilgores erklingen die Rufe Gerhildes und Helmwiges, das
instrumentale Zwischenspiel, der abschlie?ende gemeinsame Gru? Gerhildes, Waltrautes
und Schwertleites (T 44-78) sowie eine angest?ckte Wiederholung (T 37-44 u. T 53-78).
Die Musik wird hier ausgeblendet. Sie setzt erst wieder nach einiger Zeit ein, n?mlich als
einige Hubschrauber Soldaten am Boden absetzen, welche das Dorf st?rmen. Zu h?ren
ist nun, wiederum ?berlagert von den Kriegsger?uschen, das instrumentale Zwischenspiel,
das die Ankunft Rosswei?es und Grimgerdes begleitet, ihre Begr??ung durch Helmwige,
Ortlinde und Siegrune sowie der Anfang des Begr??ungsgesangs der sechs anwesenden
Walk?ren (T 123-47). Die weiteren Kampfhandlungen sind dann nicht mehr mit Musik
unterlegt.
Coppola b?ndelt in der Szene verschiedene Aspekte der musikalischen und filmischen
Wagner-Rezeption und ihrer politischen Symbolik. Erstens bezieht er sich auf die
Spiel- und Dokumentarfilmen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit vermittelt worden
war. Der ?Walk?renritt" war hier quasi zur Chiffre f?r Nazi- Deutschland geworden. Der
offene Rassismus und Kolonialismus, der der ?psychologischen Kriegf?hrung" Leutnant
Kilgores zugrunde liegt, r?cken ihn und seine M?nner in die Nachfolge der Nazis;
nur dass sie nicht mit einem Symbol deutscher, sondern westlicher Kultur inVietnam
hantieren. Zweitens spielt Coppola auf das bereits erw?hnte, von Griffith 1915 gedrehte
amerikanische Filmepos Birth of a Nation an. Daf?r steht zum einen der aus der Zeit des
Sezessionskriegs stammende Kavalleristenhut Kilgores, der dem Kenner aus den Western
John Fords bekannt war,66 zum andern aber auch Wagners Musik. Carl Breil hatte den
?Walk?renritt" in dem erw?hnten Film dem Ritt und den K?mpfen der Mitglieder des
Klu-Klux-Klan unterlegt,67 die im Film als eigenm?chtige Gesetzgeberden S?den vordem
Chaos retten. Drittens legt Coppola den Gebrauch
schlie?lich von Musik als Mittel der
Kriegf?hrung offen. Dazu geh?rt auch, dass sich weder die demoralisierende noch die
- was
aufputschende Wirkung der Musik bei den Handelnden bemerkbar macht aber ihre
Verwendung nur scheinbar ad absurdum f?hrt. Vielmehr ?berl?sst Coppola bei aller Kritik
an der Kriegf?hrung der USA den Kinobesucher seinen ambivalenten Gef?hlen, wenn
er etwa beim Angriffsanflug ?sch?ne" Bilder mit Wagners suggestiver Musik kombiniert.
66 Vgl. Rupert Koppold, ?Die H?lle ist gr?n. Hollywood und Vietnam", in:Kino und Krieg. Von der Faszination
eines t?dlichen Genres (Arnoldshainer Filmgespr?che, Bd. 6), Frankfurt M. 1989, S. 47-55, hier S. 49.
67 Vgl. Marks, Music and the Silent Film, S. 140.
Genauso wie die Kamera bleibt die Musik perspektivisch beim Angreifer. Coppola
?berl?sst es dem Zuschauer, ob er die Inszenierung der ?berlegenen Macht genie?t
oder sich ?ber die Zerst?rungswut der St?rkeren gegen?ber den Schwachen entsetzt.68
Vor diesem Hintergund ist es sicher kein Zufall, dass er nicht die Instrumentalfassung
des Walk?renritts, sondern das Opernexzerpt gew?hlt hat, von dem eine st?rkere
identifizierende Kraft ausgeht, weil die Singstimmen die Teilhabe an einer Handlung
suggerieren.
gearbeiteter Filmmusiken hat ergeben, dass von einer Adaption von Wagners eigener,
im Ring entfalteter Leitmotivtechnik keine Rede sein kann. Augenscheinlich fehlen dem
kommerziellen narrativen
Film auch die Voraussetzungen daf?r, vor allem die Zeitstruktur
und die handlungsbegr?ndende Rolle der Musik. Wenn sich Komponisten trotzdem
aufWagner beriefen oder wenn ihre kompositorischen Verfahrensweisen mit denen
Wagners inVerbindung gebracht wurden, so hatte dies zum einen apologetische Gr?nde,
weil die Filmmusik wie auch das Kino und der Film als solche an der Aura der etablierten
Kunst teilhaben sollten.
Solange Wagners Musikdramen als Inbegriff der dramatischen
Kunst ?berhaupt galten, bot sich der Rekurs darauf wie von alleine an. Sehr sch?n
l?sst sich dies an R?p?es Encyclopaedia ablesen, inwelcher Wagners Kompositionen als
Zielpunkt einer teleologischen Entwicklung der dramatischen Musik sp?testens seit der
Freilich konnten sich die Apologeten subjektiv im Recht f?hlen, da der Begriff Leitmotiv
seit seiner Einf?hrung insgesamt undifferenziert aufWagner bezogen wird.70 Immerhin
boten Wagners Musikdramen jedem Studierenden reiches Anschauungsmaterial, das
entsprechend der Leitfadenliteratur auch eindimensional lesbar war, n?mlich als System
von Etiketten und nicht als Netzwerk von Beziehungen.71 Insofern kann man tats?chlich
von einem Kapitel Wagnerrezeption sprechen, welches in einem engen Zusammenhang
68 Vgl. Ernst Karpf, ?Kriegsmythos und Geselschaftskritik. Zu Coppolas Apocalypse Now", in: Kino und
Krieg. Von der Faszination eines t?dlichen Genres (Arnoldshainer Filmgespr?che, Bd. 6), Frankfurt M. 1989,
S. 106-12, hier S. 102.
69 Vgl. R?p?e, Encyclopedia, S. yf., ebenso Hermann Kretzschmar, Geschichte der Oper (Kleine Handb?cher
der Musikgeschichte nach Gattungen, Bd. 6).
70 von Blumr?der, ?Art. Leitmotiv", in:HmT, 1990, S. 8f.
Vgl. Christoph
71 Vgl. dazu den Auff?hrungsbericht ?ber Griffith' Birth of a Nation in der Los Angeles Times v. 8.2.1915 (zit.
bei Marks, Music and the Silent Film, S. 137), wo es zur Musik u. a. hei?t: ?A tremdous idea that of Mr.
Griffith, no less than the adapting of grandopera methods to motion pictures! Each character playing
has a distinct type of music, a distinct theme as in opera."
mit dem von Wagners (selbst nicht immer eindeutigen bzw. widerspruchsfreien)
Intentionen losgel?sten wissenschaftlichen und journalistischen Diskurs steht. In diesen
Kontext geh?rt schlie?lich auch die Popularisierung Wagners im bzw. durch das Kino.
R?p?e, der den Einsatz von ?klassischer Musik"im Kino als gegen die St?mper am Klavier
gerichtete ?missionary of good music"72 zum Wohle der Gesellschaft betrachtete, wies
daraufhin, dass es in den USA nur wenige Orchester, aber viele Kinos mit einem gro?en
und wechselnden Publikum gebe. Auch wenn die Situation inDeutschland etwas anders
aussah, gilt doch auch hier, dass die kommerziell motivierte Einbeziehung von Konzert
und Opernmusik sowohl in das Rahmenprogramm als auch in die Begleitmusik der
Kinos eine Art Demokratisierung war, die das Massenpublikum an der Aura der Kunst
-
teilhaben lie? mit den Worten R?p?es: ?a distinct step in giving to the multitude that
which was written for the select few".73