Henryk Grossman
Henryk Grossman
Henryk Grossman
v i I I ;
Das Akkumulations-
und Zusammenbruchsgesetz
des kapitalistischen
Systems
V E R L A G C. L. H I R S C H F E L D LEIPZIG
1
Archiv für die Geschichte
des Sozialismus und der Arbeiterbewegung
in Verbindung mit einer Reihe namhafter
Fachmänner aller Länder
herausgegeben v o n
Dr. Carl Grimberg
o. ö. Professor und Direktor des Instituts für Sozialforschung
an der Universität Frankfurt a/M.
Vom Archiv liegen dreizehn Jahrgänge vollständig vor. Der 14. Band ist im Druck
und wird u . a . folgende Arbeiten enthalten: M a x A d l e r , Die Bedeutung Vicos für
die Entwicklung des soziologischen Denkens; F r i e d a H i e r , Das Werk Constantin
Pecqueurs bis zum Jahr 1848; G e o r g e s B o u r g i n , Jules Guesdes; ders., Die Gewerk-
schaftsbewegung in Frankreich während des Wellkrieges; K a r l K o r s c h , Kautsky und
die materialistische Geschichtsauffassung; R o b e r t M i c h e l s , Kurt Eisner; i t o d o l f o
M o n d o l f o , Die Einheit der Arbeiterbewegung und der Kampf zwischen Mazzini und
Bakunin in Italien; M i l X N e t t l a u , Zur Geschichte der spanischen Internationale und
Landesföderation; K e o r g e s W e i l l , Die sozialistische Partei in Frankreich von 1920 — 1928.
B e z u g s p r e i s f ü r d e n g a n z e n J a h r g a n g 18 K M .
c. L. H i r s c h f e l d / Verlagsbuchhandlung / Leipzig C 1
; - M- ;
U" . " . . , 1
. -
Schriften
des Instituts für Sozialforschung
an der Universität Frankfurt a. M.
Herausgegeben von Carl Grünberg
Erster Band:
HENRYK GROSSMANN
Das Akkumulations- und
Zusammenbrudhsgesetz des
kapitalistischen Systems
Das Akkumulations-
und Zusammenbruchsgesetz des
kapitalistischen Systems
(Zugleich eine Krisentheorie)
Von
H e n r y k Grossmann
N.ro INVENTARIO
PRB - 1 5 8 ^ 6
Einleitung.
Die vorliegende Arbeit bildet einen Teil eines g r ö ß e r e n
W e r k e s über die Entwicklungstendenzen des Kapitalismus nach
der M a r x sehen Theorie, das demnächst erscheinen wird, und
das aus Vorlesungen entstanden ist, die ich 1926/27 im R a h m e n
des Instituts f ü r Sozialforschung und an der F r a n k f u r t e r Uni-
versität gehalten habe.
Das Ergebnis meiner Studien ist ein doppeltes: zunächst
wird zum erstenmal die M e t h o d e rekonstruiert, die M a r -
xens „Kapital" zugrunde liegt, und zweitens werden auf der so
gewonnenen Basis wichtige Gebiete des t h e o r e t i s c h e n
S y s t e m s v o n M a r x in wesentlich neuer Beleuchtung
geschildert. Eine dieser neu gewonnenen Erkenntnisse ist die
nachfolgende Zusammenbruchstheorie, die tragende Säule im
ökonomischen Gedankensystem von K a r l M a r x . Sie bildete
zwar seit J a h r z e h n t e n den Mittelpunkt h e f t i g e r theoretischer
Auseinandersetzungen, nie wurde jedoch bisher derVersuch un-
ternommen, sie zu rekonstruieren und in das Ganze der M a r x -
schen Theorie einzubauen. Aber es w ä r e undankbar, die Dog-
matik des Marxismus um eine neue I n t e r p r e t a t i o n zu vermehren
und so den Ausspruch von G. B r i e f s zu bestätigen, daß der
Marxismus zu einer Interpretationsangelegenheit geworden ist.
Der unbefriedigende Zustand der bisherigen M a r x forschung
ist m. E. darauf zurückzuführen, d a ß m a n sich bisher über die
M a r x s c h e Forschungsmethode nicht nur keine klaren, son-
dern, so m e r k w ü r d i g das erscheinen mag, überhaupt keine
Gedanken machte. Man klammerte sich an die E r g e b n i s s e
der L e h r e : sie wurden in den Mittelpunkt des Interesses, d e r
Kritik wie der Verteidigung gestellt. Die M e t h o d e ging
dabei verloren. Man v e r g a ß die Grundregel aller wissen-
schaftlichen Forschung, d a ß jedes noch so interessant e r -
scheinende Ergebnis wertlos ist, wenn m a n nicht den W e g
kennt, auf dem es gewonnen wurde. N u r so, losgelöst von
— VI —
•
Inhalt
Seite
Einleitung V
Erstes Kapitel.
Der Untergang des Kapitalismus
in der b i s h e r i g e n Darstellung.
1. Die Streitpunkte. (Sismondi — R. Jones — J. B. Clark —
A. Marshall — K. Diehl — K. Marx — E. Bernstein -
K. Kautsky — R. Luxemburg — G. Eckstein.) 1
2. Der Zusammenbruchsgedanke in der bisherigen Literatur
(G. Simkhovitch — W . Sombart — A. Spiethoff — G. Sorel —
Th. Masaryk — J. Schumpeter — R. Michels — H. Cunov —
A. Braunthal — N. Budiarin — G. Charasoff — Boudin —
Tugan-Baranowsky — O. Bauer — R. Hilferding — L. Mises —
P. Hermberg) 23
3. Endgültige Preisgabe der Marxschen Akkumulations- und Zu
sammenburchslehre durch K. Kautsky . . . . . 60
Zweites Kapitel.
Das Zusammenbruchsgesetz.
1. Besteht eine Zusammenbruchstheorie bei Marx? . . . . 78
2. Methodologische Vorbemerkungen. Das ökonomische Koordi-
natensystem : Die Notwendigkeit der vereinfachenden Voraus-
setzungen; die Annahme konstanter Preise als Ausgangspunkt
der Analyse. (Konstanter Geldwert. Gleichgewichtszustand des
kapitalistischen Mechanismus, wobei die Preise mit den Werten
zusammenfallen. Ausschaltung der Konkurrenz.) . . . . 79
3. Die Gleichgewichtstheorie der Neo-Harmoniker. Das Reproduk-
tionsschema Otto Bauers 99
4. Die Bedingungen und die Aufgaben der schematischen Analyse 104
5. Warum sind die Klassiker beunruhigt über den Fall der Profit-
rate trotz des Wachstums der Profitmasse? 109
6. Die Anschauungen der Klassiker über die Zukunft des Kapitalis-
mus. Ricardo. John Stuart Mill 111
7. Die Marxsche Akkumulations- und Zusammenbruchstheorie . 117
a) Das Versagen der Verwertung infolge von Überakkumulation 118
b) Die Entstehung der Reservearmee und von brachliegendem
Kapital als Folge der Überakkumulation 125
— XIV —
Seite
8. Die Marxsche Zusammenbruchstheorie ist zugleich eine Krisen-
theorie 137
9. Ein antikritisches Zwischenspiel. (G. Cassel — K. Diehl —
F. Oppenheimer — K. Muhs — O. Bauer) 141
10. Die logische und mathematische Begründung des Zusammen-
bruchsgesetzes 179
11. Die Ursachen der Verkennung der Marxschen Akkumulations-
und Zusammenbruchslehre 190
12. Die Faktoren der Zusammenbruchstendenz. Das Problem der
Periodizität der Krisen. Der Konjunkturverlauf und das Problem
der Bestimmung der Phasenlänge. Die Symptomatik der Kon-
junkturforschungsinstitute. — Die vorläufige Ausschaltung des
Kredits. — D a s Tempo der Kapitalakkumulation (des A u f -
schwungs) und die Größe der Bevölkerungszunahme . . 198
13. Die Krisen und die Unterkonsumtionstheorie. — Die Einbeziehung
des Kredits in die Analyse. — Der zyklische Verlauf innerhalb
der „drei Märkte": der Anstoß zur Haussebewegung innerhalb
der Produktionssphäre (Bussines). D a s Übergreifen der W e l l e n -
bewegung aus der Produktionssphäre auf den Geldmarkt
( M o n e y ) , endlich auf die Börse (Speculation) . . . . 226
14. Die Elastizität der Akkumulation. Das Problem der sprunghaften
und einseitigen Entwicklung einzelner Produktionszweige. Das
Verhältnis zwischen der Größe des Produktionsapparates und
der Größe der Warenumsätze 244
15. D i e H e m m u n g der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapita-
lismus 254
16. Die Marxsche Lehre von der unzureichenden Verwertung infolge
v o n Überakkumulation und die Theorie Rosa Luxemburgs
von der Unmöglichkeit der „Realisierung" des Mehrwerts im
Kapitalismus 278
Drittes Kapitel.
Modifizierende Gegentendenzen.
Schlußbetrachtungen.
1. Die Zusammenbruchstendenz und der Klassenkampf. (Die Marx-
sche Lohntheorie. Die Faktoren der Lohngestaltung. Die
geschichtlichen Entwicklungstendenzen der Lohnhöhe. Der Klas-
senkampf und das Endziel.) 580
2. Die Zusammenbruchstendenz und das Generalkartell . . . 603
Namenregister 624
ErstesKapitel.
14) M a r x, K. I. 790.
— 6 —
15) M a r x , K. I. 13.
16) M a r x , K. I. 9.
17) „Dieselben Kapitalbestandteile, die sich vom Standpunkt des
A r b e i t s p r o z e s s e s als objektive und subjektive Faktoren, als Pro-
duktionsmittel und Arbeitskraft unterscheiden, unterscheiden sich vom
Standpunkt des V e r w e r t u n g s p r o z e s s e s als konstantes Kapital
und variables Kapital" ( M a r x , K. I. 791). —
formen desselben gemein. Aber jede bestimmte historische
F o r m dieses Prozesses entwickelt weiter die materiellen Grund-
lagen und gesellschaftlichen Formen desselben. Auf einer
gewissen Stufe der Reife angelangt, w i r d d i e b e s t i m m t e
historische Form a b g e s t r e i f t und macht einer
höheren Platz".
„Daß der Moment einer solchen Krise gekommen, zeigt sich,
sobald der Widerspruch und Gegensatz zwischen den Vertei-
lungsverhältnissen, daher auch der bestimmten historischen
Gestalt der ihnen entsprechenden Produktionsverhältnisse
einerseits und den Produktivkräften, der Produktionsfähigkeit
und der Entwicklung ihrer Agentien andererseits, Breite und
Tiefe gewinnt. Es tritt dann ein K o n f l i k t zwischen der
materiellen Entwicklung der Produktion und ihrer gesellschaft-
lichen Form ein" 18 ), d. h. zwischen Pm : A und c : v. Die der
kapitalistischen Produktionsweise eigentümliche Form der
Produktivkräfte c : v, ihre „kapitalistische Hülle" wird zur
F e s s e l der a l l e n gesellschaftlichen Produktionsweisen
gemeinsamen Form der Produktivkräfte Pm : A. Die Lösung
des so formulierten Problems bildet die eigentliche Aufgabe
dieser Arbeit.
*
25) S. 42.
26) S. 43.
27) M a r x , K. 11172. S.417.
— 14 —
30) 1. c. S. 202.
— 16 —
Aber wozu die Ableitung des Sozialismus aus dem ö k o n o -
mischen Zwange31)?"
B e r n s t e i n konnte in der M a r x sehen Lehre von der
„Negation der Negation" bloß „die Fallstricke der hegelia-
nisch-dialektischen Methode" sehen und sie als das „Produkt
eines Restes Hegelscher Widerspruchsdialektik", als das
„hegelianisch konstruierte Entwicklungsschema" betrach-
ten32), weil das Zusammenbruchsgesetz von Marx
expressis verbis nicht nachgewiesen wurde. Die Lehre
vom Zusammenbruch w a r nach B e r n s t e i n „eine rein
s p e k u l a t i v e Vorwegnahme der Reife einer ökonomischen
und sozialen Entwicklung, die noch kaum die ersten Sprossen
gezeitigt hatte". Diese Kritik stützte sich einzig auf die
empirische Tatsache, daß sich die Lage bestimmter Schichten
der Arbeiterklasse besserte. Damit war f ü r B. der Beweis
dafür erbracht, daß „die Entwicklung einen anderen W e g ge-
nommen hat", als ihn M a r x voraussagte! Als ob M a r x je
die Möglichkeit einer Besserung der Lage der Arbeiterklasse
in bestimmten Phasen der kapitalistischen Entwicklung ver-
neint hätte 3 3 )!
Dieselben „Tatsachen", die B e r n s t e i n als Material sei-
ner Kritik der Marxschen Zusammenbruchstheorie dienten,
haben offenbar auch K. K a u t s k y aus dem Sattel geworfen.
Denn was a n t w o r t e t e er auf die Kritik B e r n s t e i n s ? H ä t t e
sich K a u t s k y darauf beschränkt, zu zeigen, d a ß nach M a r x
der r e l a t i v e Lohn fallen kann, obwohl der (in Produkten ge-
messene) R e a l lohn steigt, daß also auch in diesem f ü r die
Arbeiterklasse günstigsten Fall ihr „soziales Elend" und die
48) M a r x, K. I. 663.
— 28 —
3 *
— 36 —
und schwindelhafter w ü r d e n 5 0 ) . " An theoretischen Argumen-
ten w u ß t e M a s a r y k gegen die Marxsche Akkumulations-
und Zusammenbruchstheorie nichts vorzubringen.
Auch S c h u m p e t e r wiederholt in bezug auf M a r x die
üblichen, schon zum Dogma gewordenen Banalitäten. M a r x
habe nach seiner Darstellung mit besonderem Nachdruck „die
Unterkonsumtionstheorie . . . v e r t r e t e n : Die Theorie, die die
Krisen auf eine Diskrepanz zwischen der Produktions- und der
Kauffähigkeit der Gesellschaft zurückführt, welche sich daraus
ergäbe, daß die Arbeiter infolge der „Verelendung" immer
weniger imstande wären, den mit Hinblick auf ihre Nachfrage
erzeugten Teil des Sozialprodukts zu übernehmen" 5 9 a ).
Haben die bisher genannten Autoren dem von uns behan-
delten Problem nur mehr oder weniger kurze Aufsätze oder
Seiten gewidmet, so nimmt Robert M i ch e 1 s insoweit eine
Sonderstellung ein, als er das Verelendungs- und Zusammen-
bruchsproblem in einem größeren Buch behandelt 5 9 b ), nach-
dem er bereits f r ü h e r „tiefere Studien" über den Gegenstand
vorgenommen und auch italienisch über die Marxsche Theorie
„sulla miseria crescente" und ihre Anfänge geschrieben hat.
64) l.c.S.121.
65) l.c.S.116.
66) B u c h a r i n zieht es offenbar vor, die Mangelhaftigkeit und
geringe Exaktheit seiner Beweisführung durch Komplikation des Prob-
lems zu verschleiern, als ob die Notwendigkeit des Zusammenbruchs
dadurch besser bewiesen wird, wenn statt nur e i n e r mehrere Zusammen-
bruchsursachen angeführt werden! Gegen die falsche, aber wenigstens
klar formulierte Zusammenbruchstheorie Rosa Luxemburgs, welche den
Untergang des Kapitalismus auf den Widerspruch zwischen den Be-
dingungen der P r o d u k t i o n des Mehrwerts und den Bedingungen
seiner R e a l i s i e r u n g zurückführte, wendet B. ein: „Es gilt aber
nicht von e i n e m Widerspruch auszugehen, sondern v o n einer
R e i h e solcher Widersprüche... Der Widerspruch zwischen Produktion
und Konsumtion, der Widerspruch zwischen den verschiedenen Pro-
duktionszweigen, der Widerspruch zwischen der Industrie und der durch
die Grundrente beengten Landwirtschaft, die Anarchie des Marktes und
die Konkurrenz, der Krieg als ein Mittel dieser Konkurrenz usw.
— all das wird im Laufe der kapitalistischen
Entwicklung auf erweiterter Stufenleiter repro-
duziert". (1. c. S. 122.) Es kommt nicht darauf an, eine große
Zahl der Widersprüche aufzuzählen, sondern auf den theoretischen
Nachweis, daß sie notwendig sich zuspitzen müssen und daß der
Kapitalismus nicht imstande sein wird, diese Widersprüche in irgend-
einer Art auszugleichen. Von einer solchen Beweisführung findet sich
bei B. keine Spur.
— 46 —
Problem „gelöst". Die Behauptung B.-s, daß es Tatsache ist,
daß wir in die Periode des Zusammenbruchs eingetreten sind,
mag richtig sein; aber es handelt sich gerade um die kausale
E r k l ä r u n g dieser Tatsache, um den theoretischen Nachweis
der Notwendigkeit der Zusammenbruchstendenz innerhalb des
Kapitalismus ! Das hat aber B. nicht getan. Schließlich ist es nicht
verwunderlich, wenn B. bezüglich der Frage, w e l c h e r A r t
diese V e r s c h ä r f u n g von Widersprüchen ist, auf sein Buch:
„Ökonomik der Transformationsperiode" hinweist, in welchem
B. die H o f f n u n g auf den Zusammenbruch des Kapitalismus an
eine „zweite T o u r " imperialistischer Kriege und an die unge-
heure V e r n i c h t u n g d e r P r o d u k t i v k r ä f t e knüpft,
die der Krieg verursacht
Der Zusammenbruch ist eine notwendige Folge jener Z e r -
s e t z u n g d e r W i r t s c h a f t , die durch den Krieg gegeben
ist, nämlich der Tatsache, daß durch den Krieg „die reale Basis <
der gesellschaftlichen Produktion sich mit jedem Umlauf des
gesellschaftlichen Kapitals verengt", so daß wir statt einer
progressiven Reproduktion eine regressive erhalten 6 8 ). Vom
Standpunkt des kapitalistischen Systems ist eine solche Schmä-
lerung der Basis der Reproduktion, solange sie bloß auf Kosten
von m geht, möglich. Anders, wenn sie auch das fixe Kapital c
sowie die Konsumtion der Arbeitskraft v angreift 60 ). Ist diese
regressive Reproduktion von einer längeren Dauer und geht sie
in die Tiefe, überschreitet sie, mit einem W o r t , eine gewisse
Grenze, dann verwandelt sich die Krise in den Zusammenbruch,
wodurch die Zersetzung und der Zerfall der ganzen Organisation
beginnt. Der Zersetzungsprozeß, der zunächst in einigen
Sphären eintritt, e r f a ß t rasch sämtliche Sphären des Systems,
die kapitalistische Mentalität des Gehorchens gegenüber den
Machthabern verflüchtigt sich, und der Zersetzungsprozeß
greift aus der Produktion in die Armee und Verwaltung
über 70 ). „So geht der gesellschaftliche Produktionsapparat aus
75) Denn, wenn der Krieg auch ökonomisch bedingt und mit der kapi-
talistischen Produktionsweise notwendig verbunden ist, ist er doch nicht
die ökonomische Gesetzmäßigkeit selbst.
— 49 —
80) l.c.S.49.
81) l.c.S.49.
82) l.c.S.4.
83) 1. c. S. 294—297.
84) I.e. S. 184, 316.
85) L c. S. 299.
4*
— 52 —
88) 1. c. S. 173.
— 54 —
möglichkeit des Kapitalismus völlig fremd. „ D i e a b s o l u t e
G r e n z e f ü r d i e E r w e i t e r u n g d e r P r o d u k t i o n",
sagt T u g a n, „bilden die Produktivkräfte, über welche die
Gesellschaft v e r f ü g t ; diese Grenze zu erreichen ist das Kapital
immer b e s t r e b t , und doch vergeblich! D a s K a p i t a l
k a n n d i e s e G r e n z e n i e e r r e i c h e n " 89 ), soweit diese
E r w e i t e r u n g der Produktion nämlich in sämtlichen Produk-
tionssphären proportional vor sich geht. T u g a n sagt d a h e r :
„Die kapitalistische W i r t s c h a f t k a n n g a r n i c h t aus
ökonomischen Gründen z u s a m m e n brechen,
wohl aber m u ß sie es aus e t h i s c h e n 9 0 ) . " Und ein anderes
Mal heißt e s : „Es gibt keine Gründe, vorauszusagen, daß der
Kapitalismus je eines n a t ü r l i c h e n T o d e s sterben wird;
er muß zerstört werden durch den bewußten Willen des Men-
schen, zerstört durch die vom Kapital ausgebeutete Klasse —
durch das P r o l e t a r i a t " ) . "
Bei T u g a n wird dieser Gedanke ausgesprochen, weil er
ein Gegner der materialistischen Geschichtsauffassung ist und
den Sozialismus e t h i s c h begründet durch den bewußten
Willen des Proletariats, der von dem objektiven Gang der
Wirtschaftsentwicklung losgelöst ist. Denselben Gedanken-
gang übernehmen von T u g a n aber auch Otto B a u e r ,
R. H i l f e r d i n g und K. K a u t s k y, die doch versichern,
auf dem Boden der materialistischen Geschichtsauffassung zu
stehen. So ist T u g a n der eigentliche Theoretiker der Marx-
epigonen geworden. — Nach O. B a u e r 9 2 ) sind zwar der
Akkumulation durch die jeweilige Bevölkerungsgröße objektive
Grenzen gesetzt, d. h., daß der Akkumulations u m f a n g nicht
von der Willkür der Kapitalisten abhängt. Jedoch in den
100) Fr. M ü c k l e , Die großen Sozialisten. Berlin 1920. 4. Aufl. II. 110.
(Im Original gesperrt.)
101) K . K a u t s k y , Materialistische Geschichtsauffassung. Berlin 1927.
102) I.e. II, 539.
— 62 —
M a r x und E n g e l s zwar ursprünglich die Auffassung von
dem notwendigen ökonomischen Ende des Kapitalismus ver-
treten hätten, sich aber bald von ihr frei zu machen bestrebt
gewesen waren, was ihnen jedoch nicht ganz gelungen sei.
Daß es sich in Wirklichkeit um keine unreife, später durch
M a r x selbst korrigierte Auffassung, sondern um den Grund-
gedanken der Marxschen Akkumulations- und Krisentheorie
handelt, wie sie in dem berühmten Abschnitt von „dem all-
gemeinen Gesetz der kapitalistischen Akkumulation" im
I. Band des „Kapital" und in den entsprechenden Kapiteln vom
tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate im III. Bande
entwickelt wurde, das wird verschwiegen.
K a u t s k y stellt sich zwar die Frage, ob es mit dem Kapi-
talismus nicht ebenso gehen sollte, wie früher mit dem Feu-
dalismus. „Sollte er nicht auch s ch 1 i e ß 1 i ch Formen anneh-
men, in denen er ein H i n d e r n i s weiterer ökonomischer
Entwicklung, ja ein Hindernis eines gedeihlichen ökonomischen
Lebens überhaupt wird, so daß die R e t t u n g der Gesellschaft
vor ö k o n o m i s c h e m V e r k o m m e n jetzt ebensosehr die
Ü b e r w i n d u n g d e s K a p i t a l i s m u s , wie früher des
Feudalismus, notwendig macht 1 0 3 ) ?" K a u t s k y verneint
diese Frage. Zwar, sagt er, „konnten sich selbst M a r x und
E n g e l s von ihm (diesem Gedanken), w e n i g s t e n s in
i h r e n A n f ä n g e n nicht ganz frei halten". Nach K a u t s -
k y s A u f f a s s u n g widerspricht aber der Zusammenbruchsge-
danke den Tatsachen. Durchaus mit denselben Argumenten wie
die bürgerlichen M a r x k r i t i k e r : S i m k h o w i t c h , S o m b a r t ,
M u h s usw. betont K a u t s k y , daß die Marxsche Verelen-
dungstheorie eine empirische Ableitung aus den in den 40er
Jahren des 19. J a h r h u n d e r t s herrschenden Zuständen darstellt.
„Diese Annahme konnte sich in der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts auf die furchtbaren Verheerungen in den arbei-
tenden Klassen berufen, die der industrielle Kapitalismus dort
anrichtete, wo er sich schrankenlos austoben konnte."
K a u t s k y verweist in diesem Zusammenhang auf die Schil-
derung des Pauperismus in England im „Kommunistischen
die dieser nie vertreten hat. Dies ist besonders auch aus
der Weise zu ersehen, wie K. die Zusammenbruchstheorie
Rosa L u x e m b u r g s in einem „Die Schranken der Akkumu-
lation des Kapitals" überschriebenen Kapitel t 0 8 ) bekämpft.
„Auch hier also — sagt er gegen R. L u x e m b u r g — wieder
eine Hypothese, die ein schließliches ö k o n o m i s c h e s V e r -
s a g e n d e s K a p i t a l i s m u s aus den Bedingungen seines
Z i r k u l a t i o n s p r o z e s s e s trotz oder vielmehr gerade
wegen seiner Vermehrung der P r o d u k t i v k r ä f t e als unentrinn-
bare Notwendigkeit abzuleiten versucht, im Gegensatz zu
M a r x , d e r i m z w e i t e n B a n d e d e s „K a p i t a 1" d a s
Gegenteil dartatuo)." Nach K a u t s k y also hat
M a r x im II. Bande des „Kapital" die Möglichkeit der schran-
kenlosen Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus
dargetan! K a u t s k y b e r u f t sich in diesem Zusammenhange
auf ein Zitat . . . Rosa L u x e m b u r g s selbst, aus dem her-
vorgeht, daß nach ihrer Meinung das Marxsche Reproduktions-
schema tatsächlich eine Entwicklung des „reinen" Kapitalis-
mus ohne äußere nichtkapitalistische Absatzmärkte im dauern-
den Gleichgewicht für möglich hält. In derselben Absicht be-
r u f t sich K a u t s k y endlich auf das Reproduktionsschema
Otto B a u e r s , mit welchem B a u e r — nach K a u t s k y s
Auffassung — „die bedeutendste Kritik" der Theorie Rosa
L u x e m b u r g s geliefert h a t ' " ) und wo O. B a u e r die These
von der Möglichkeit einer schrankenlosen Akkumulation, also
einer schrankenlosen Entwicklung der Produktivkräfte im
Kapitalismus verteidigt und sie als eine der Marxschen Auf-
fassung entsprechende Lehre darstellt 1 1 2 ).
T u g a n - B a r a n o w s k y hat seinerzeit als erster den
Gedanken ausgesprochen, daß das Marxsche Reproduk-
tionsschema am Schluß des II. Bandes des „Kapital" einen
Beweis dafür bietet, daß M a r x von der Möglichkeit einer
krisen- und schrankenlosen Entwicklung der Produktivkräfte
5»
— 68 —
S a y zurückgehenden Proportionalitätslehre. Während aber
T u g a n , wie wir gesehen, den Widerspruch einer solchen Deu-
tung des Marxschen Schemas zum gesamten sonstigen Inhalt
der Marxschen Lehre überbrücken will, ist für K a u t s k y
ebenso wie f ü r Otto B a u e r und H i 1 f e r d i n g charakteri-
stisch, daß sie sich um diesen Gegensatz einfach nicht küm-
mern und nicht einmal den Versuch einer Erklärung dieses
Widerspruches unternehmen. W e n n die Deutung, die sie dem
Marxschen Schema geben, mit dem Marxschen Gedanken-
system nicht vereinbar erscheint, so geben sie eben die Marx-
sche Lehre preis und halten an ihrer harmonistischen Deutung
fest, und mit fliegenden Fahnen gehen sie in das seit zwei
Generationen siegreich bekämpfte Lager des Gegners über.
K a u t s k y sagt in vollem Widerspruch mit seiner theore-
tischen Vergangenheit, daß die Proportionalität der einzelnen
Produktionszweige die Bedingung der schrankenlosen, nor-
malen E n t f a l t u n g des Kapitalismus sei. Die Krisen sind bloß
vorübergehende Störungen infolge Nichteinhaltung der Pro-
portion im Aufbau einzelner Produktionszweige: „Sobald diese
Proportionalität in erheblichem M a ß e gestört wird, kommt der
ganze Produktionsmechanismus aus den Fugen, es kommt zu
einer Krise. Gerade durch diese wird aber der ganze ökono-
mische Apparat wieder eingeschränkt, wenn auch mit großen
Leiden der davon Betroffenen. D i e r i c h t i g e Propor-
t i o n a l i t ä t w i r d i m m e r w i e d e r h e r g e s t e l l t , und
so geht der Gang der Produktion w e i t e r " * ) , " und K a u t s k y
glaubt, daß der Gang der Produktion in der geschilderten
Weise a d i n f i n i t u m vor sich gehen könnte. E r lehnt die
verschiedenen zur Begründung des Zusammenbruchs des Kapi-
talismus ö f t e r s angeführten Momente ab, wie z. B. das stei-
gende Mißverhältnis zwischen der industriellen und landwirt-
schaftlichen Akkumulation, also im Schema zwischen der Ab-
teilung I und II usw. Aus keiner dieser Ursachen „haben wir
einen Zusammenbruch oder ein Versagen der kapitalistischen
Wirtschaft zu erwarten, eine Katastrophe, die dazu zwänge,
sie durch eine andere, höhere zu ersetzen" 1 1 T ).
120) „Dieser Satz ist angesichts der Entwicklung der letzten Jahrzehnte
nicht mehr auf uns anwendbar." (1. c. II, 624.)
121) 1. c. II, 622.
122) I.e. II, 623. — K a u t s k y gibt einen retrospektiven Überblick über
die Wandlungen der Auffassung der Marxschen Zusammenbruchs-
theorie : „In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es selbst
nicht wenige Beobachter der ökonomischen Zustände, die angstvoll die
Götterdämmerung des Kapitalismus kommen sahen. In den neunziger
Jahren wich dann diese Stimmung in der bürgerlichen Welt einem dulei
jubilo: Der Kapitalismus sei nun für immer gesichert. Damals erstand der
— 71 —
K a u t s k y begnügte sich indes nicht damit, die M a r x sehe
Lehre von dem schließlichen ökonomischen Ende des Kapita-
lismus preiszugeben. E r entwickelte sich vielmehr zu einem
bedingungslosen, uneingeschränkten, hundertprozentigen Be-
wunderer des Kapitalismus als einer ökonomischen Macht,
die aus allen Erschütterungen des Weltkrieges und der
Nachkriegsära kräftiger hervorgegangen sei als sie je zuvor
war. Während sogar S o m b a r t in seinem neuesten Buche
über den Hochkapitalismus die Alterserscheinungen des
Kapitalismus feststellt (ohne sie allerdings erklären zu können),
sagt K a u t s k y : „Mußte die Katastrophe (des Weltkrieges)
nicht den Zusammenbruch des Kapitalismus h e r b e i f ü h r e n ? . . .
Konnte ein so komplizierter, so empfindlicher, so sehr a u f -
g e b r a u c h t e r Produktionsmechanismus wie der kapita-
listische eine solche Störung ü b e r d a u e r n ? . . . Die Störung
t r a t ein in einem Maße, das die schlimmsten Erwartungen und
Befürchtungen übertraf. A b e r der Kapitalismus
b r a c h n i c h t z u s a m m e n . Es zeigte sich, daß seine Elasti-
zität, seine Anpassungsfähigkeit an veränderte Verhältnisse
weit stärker war als seine Empfindlichkeit. E r hat die
Feuerprobe des Kriegs überstanden und s t e h t h e u t e , r e i n
ö k o n o m i s c h b e t r a c h t e t , g e f e s t i g t e r da a l s n u r
j e. Er hat sich erholt, trotz der g r ö ß t e n Tollheiten von Re-
gierungen und kurzsichtigen Kapitalisten und Agrariern nach
dem Kriege, trotz des wahnsinnigen Versailler Vertrages und
seiner Sanktionen, trotz Inflationen und Verkehrsunterbin-
dungen aller A r t 1 2 3 ) . " K a u t s k y s Glaube an die ökono-
mische Zukunft des Kapitalismus, sein optimistischer Enthu-
Produktivkräfte ausreichend a n w a c h s e n , um
reiche Mittel zur Versorgung der Volksmassen zu l i e f e r n . . . .
endlich, d a ß das nötige ökonomische Wissen und Gewissen
in den arbeitenden Klassen erwächst, daß eine fruchtbringende
Anwendung dieser Produktivkräfte durch sie gewährleistet
w i r d : das sind die Vorbedingungen sozialistischer Produktion."
(1. c. S. 562.)
Aus der Ökonomie verschiebt K a u t s k y das Problem in die
Politik, aus dem Gebiet der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit auf
das Gebiet der Gerechtigkeit. Ist die schrankenlose E n t f a l t u n g der
Produktivkräfte im Kapitalismus möglich, dann ist die P r o -
d u k t i o n s f r a g e f ü r die Gesellschaft als wesentlich gelöst zu
betrachten, der Kapitalismus kann mit Stolz auf seine Leistung
zurückblicken. W a s einer Lösung noch harrt, ist das Ver-
teilungsproblem. Somit wird d i e D i s t r i b u t i o n s f r a g e
z u m e n t s c h e i d e n d e n P r o b l e m erhoben, und der So-
zialismus kehrt nach drei Vierteln eines Jahrhunderts zu seinem
historischen Ausgangspunkt, zu P r o u d h o n - und seiner For-
derung einer gerechten Verteilung zurück. Aber die Distri-
butionsfrage ist nichts anderes, als die unter anderem Gesichts-
punkt betrachtete Produktionsfrage. Ist diese im wesentlichen
als gelöst zu betrachten, ist die schrankenlose E n t f a l t u n g der
Produktivkräfte im Kapitalismus möglich und gesichert, dann
muß auch die Lösung des Distributionsproblems, ob es
K a u t s k y will oder nicht, durch die innere Logik des einmal
angenommenen Standpunktes nur i m R a h m e n d e r b e -
s t e h e n d e n P r o d u k t i o n s w e i s e erfolgen. Die Preis-
gabe der materialistischen Basis führt zwangsläufig vom So-
zialismus zum Reformismus.
Das erstarkte Proletariat wird nach K a u t s k y den Kapita-
lismus durch den Sozialismus ersetzen, obwohl ökonomisch
betrachtet f ü r das Versagen des Kapitalismus kein Grund be-
steht. W a r u m sollen dann die Grundlagen der bestehenden
Wirtschaftsordnung erschüttert werden? W o ist die Gewiß-
heit, daß das Proletariat, zur entscheidenden Klasse geworden,
sich die Abschaffung des Kapitalismus als Ziel setzen wird?
Wird es vielleicht nicht vorziehen, sich mit der bestehenden
Gesellschaftsordnung zu versöhnen? W a r u m sollen die
— 75 —
Das Zusammenbrudisgesefj.
1. Besteht eine Zusammenbruchstheorie bei Marx?
Wenn M a r x das Zusammenbruchsgesetz auch nirgends zu-
sammenhängend dargestellt hat, so hat er doch alle dazu nötigen
Elemente aufgezeigt, so daß es sich auf Grund seiner Lehre
als selbstverständliche Konsequenz aus dem kapitalistischen
Akkumulationsprozeß auf der Basis des Wertgesetzes ent-
wickeln läßt, und es ist so einleuchtend und klar, daß es, ein-
mal gezeigt, keiner weiteren Beweise bedarf.
Zunächst a b e r : ist es richtig, daß das W o r t „Zusammen-
bruchstheorie" von B e r n s t e i n und nicht von M a r x
s t a m m t ? Ist es richtig, daß M a r x nie von einer Krise
gesprochen hat, die der kapitalistischen Produktion den Todes-
stoß versetzen wird, daß „M a r x nie und nirgends auch nur
ein W o r t geschrieben, das in diesem Sinne ausgelegt werden
könnte", d a ß diese „alberne Anschauung" bloß von den Revisio-
nisten M a r x unterschoben w u r d e ? 1 ) . Allerdings hat M a r x
nur vom Zusammenbruch und nicht von der Theorie des Zu-
sammenbruchs gesprochen, ähnlich wie er nicht von der W e r t -
oder Lohntheorie geschrieben, sondern bloß die Gesetze des
W e r t e s und des Lohnes entwickelt hat. W e n n wir also das
Recht haben, von der Marxschen Werttheorie und Lohntheorie
zu sprechen, haben wir somit auch das Recht, von seiner Zu-
sammenbruchstheorie zu sprechen. In dem Abschnitt über das
Gesetz des tendenziellen Falls der P r o f i t r a t e im Fortschritt des
Akkumulationsprozesses, wo gezeigt wird, wie die Akkumula-
tion des Kapitals sich nicht im Verhältnis zur Höhe der P r o -
fitrate, sondern im Verhältnis zu der Wucht, die es schon
b l o ß e i n e F u n k t i o n d e r V e r w e r t u n g , d e r Ge-
w i n n g r ö ß e . Aber auch die Preishöhe an sich ist dem Unter-
nehmer gleichgültig. Nicht steigende Preise bestimmen sein
Verhalten, sondern die G e w i n n e . Diese ergeben sich aber
aus der D i f f e r e n z zweier F a k t o r e n : der Preise und der
Kosten. Auch bei stabilen oder gar sinkenden Preisen können
die Gewinne wachsen, wenn die Kostenermäßigung größer
wird als die Preissenkung. Schon diese E r w ä g u n g e n zeigen, daß
die F r a g e der Preissteigerung für die Theorie sowohl wie f ü r
die Praxis prinzipiell ganz gleichgültig i s t 8 ) . Die Produktions-
f ü h r u n g ist eine Funktion der V e r w e r t u n g . Bei steigen-
den Gewinnen wird sie erweitert, beim Verschwinden der Ver-
w e r t u n g eingestellt. Beides kann eintreten bei konstanten,
sinkenden oder steigenden Preisen.
Von diesen drei möglichen Preisentwicklungen wäre dann die
Annahme k o n s t a n t e r Preise, als der e i n f a c h s t e Fall,
für theoretische E r w ä g u n g e n der geeignetste, von dem aus-
gehend auch die komplizierten beiden anderen Fälle nachträg-
lich berücksichtigt werden können. Die Annahme der Preis-
konstanz bildet somit eine vorläufige theoretische Fiktion aus
methodologischen Gründen, sie ist sozusagen ein ö k o n o -
m i s c h e s K o o r d i n a t e n s y s t e m , ein fester Beziehungs-
punkt, von dem ausgehend alle Größenvariationen des Gewin-
nes im Verlauf des Produktions- und Akkumulationsprozesses
exakt gemessen werden können. Das Grundproblem, um des-
sen Klarlegung es sich handelt, besteht in der F r a g e : W i e g e-
8) L e x i s bemerkt daher zutreffend : „Eine allgemeine P r e i s s t e i-
g e r u n g i s t a n s i c h nicht notwendig mit der Ausdehnung der Pro-
duktion verbunden, sie tritt jedoch t a t s ä c h l i c h stets ein, weil im
Anfang der Bewegung das Angebot der drängenden Nachfrage nicht rasch
genug folgen kann und weil sehr bald die Produktionsausgaben durch
Lohnsteigerung erhöht werden." (L e x i s, Allgemeine Volkswirtschafts-
lehre. 3. Aufl. 1926. S. 197.) Nur in dieser ungleichmäßigen Entwicklung
einzelner Produktionszweige erblickt auch M a r x die Ursache der Preis-
steigerungen: „Wenn die Produktion des Mehrkapitals (surpluscapital)
sehr rasch vorgeht und seine Rückverwandelung in produktives Kapital
die Nachfrage nach allen Elementen desselben so steigert, daß die wirk-
liche Produktion nicht Schritt halten kann, daher die Preise aller Waren,
die in die Bildung des Kapitals eingehen, steigen." ( M a r x , Mehrwert-
theorien, 1172, S. 266.)
— 83 —
s t a l t e n sich d i e B e z i e h u n g e n z w i s c h e n G e w i n n
u n d K a p i t a l a k k u m u l a t i o n ; bleibt der Gewinn im
F o r t g a n g der Akkumulation konstant, wächst er oder wird er
umgekehrt immer kleiner? Das Problem besteht also in der
exakten Bestimmung der V a r i a t i o n e n d e s M e h r w e r t s
im F o r t g a n g der Kapitalakkumulation. Die Beantwortung
dieser Frage wird uns auch die Aufklärung über die Wellen-
bewegung, über die Konjunkturschwankungen im Verlauf der
Kapitalakkumulation geben.
Diese Erwägungen liegen der Marxschen Analyse zugrunde.
„Da bei der kapitalistischen Produktion der Tauschwert — die
V e r m e h r u n g des Tauschwerts —, der unmittelbare Zweck
ist, so ist es wichtig zu wissen, w i e i h n z u m e s s e n ? 8 ) "
Um festzustellen, ob das ausgelegte Kapital während seiner
stetigen Kreislaufbewegung durch alle Produktions- und Zir-
kulationsphasen gewachsen ist, oder um zu wissen, um wieviel
es im F o r t g a n g der Akkumulation gewachsen ist, muß die
Schlußgröße mit der Anfangsgröße, also das Kapital in der
Endphase des Kreislaufs mit sich selbst in der Anfangsphase
verglichen werden 9 a ).
Dieses Vergleichen der vorgeschossenen und dann erzielten
Wertgröße, welches die Basis jeder rationellen kapitalistischen
Kalkulation bildet, ist nur möglich, weil der W e r t in der kapita-
listischen Produktionsweise in Gestalt von K o s t e n der Pro-
duktionsfaktoren und P r e i s e n der Endprodukte als eine ver-
selbständigte, o b j e k t i v auf dem Markte feststellbare Größe
existiert und als solcher objektiv auf dem Markte feststellbarer
W e r t sowohl die Grundlage der kapitalistischen Kalkulation,
wie auch die Erscheinungsform bildet, von deren Erklärung
jede theoretische Analyse auszugehen hat. „Rechnen —
aufdemWaren-alsauchaufdemArbeitsmarkte
z u m A u s g a n g s p u n k t s e i n e r A n a l y s e a n , um dann
zu den komplizierteren Fällen des Preiswechsels zu gelangen.
Die Produktion wird zwar erweitert, aber die Erweiterung
erfolgt zunächst in allen Produktionszweigen proportional so,
daß ihr Gleichgewicht nicht gestört wird. Nachträglich soll
auch der Fall berücksichtigt werden, wo die Produktionserwei-
t e r u n g nicht proportional in allen Zweigen stattfindet, d. h.
Störungen und Verschiebungen des Gleichgewichts zwischen der
Nachfrage und dem Angebot, daher auch in der Preisgestaltung
hervorruft.
Und erst unter diesen vereinfachenden Voraussetzungen des
angenommenen Gleichgewichtszustandes, wie er im Marxschen
Reproduktionsschema zum Ausdruck kommt und a 1 s ö k o n o-
misches K o o r d i n a t e n s y s t e m d e n A u s g a n g s-
p u n k t s e i n e r A n a l y s e b i l d e t , ist — weil alle Faktoren
des Mechanismus am Beginn der Analyse exakt umschrieben
sind — auch jede Veränderung im beliebig späteren Zeitpunkt
der Analyse gleichfalls exakt meßbar. Die Untersuchung hat
einen mathematisch-quantitativen Charakter. E r s t auf Grund-
lage dieser methodologischen Hilfskonstruktion kann eine
exakte Analyse des Akkumulationsprozesses durchgeführt und
die Frage beantwortet w e r d e n : Wie gestalten sich die Varia-
tionen der Mehrwertgröße im F o r t g a n g der Kapitalakkumu-
lation 33 ) ? Kann die Akkumulation schrankenlos fortgesetzt
33) Man muß wahrhaftig darüber staunen, daß O p p e n h e i m e r , ein
sonst so scharfsinniger Denker, diese gewaltige methodologische Bedeutung
des Marxschen Schemas gar nicht bemerkt und einen Zweifel darüber
ausspricht, ob E n g e l s durch die Veröffentlichung dieser „mühsamsten
Versuche der Selbstbesinnung" . . . „dem großen Denker damit einen wirk-
lichen Dienst erwiesen hat". Die ganze, von M a r x in seinem „tableau
economique" vorgenommene Scheidung des Jahresprodukts in seine Be-
standteile c + v + m „ist nie etwas anderes gewesen als eine Hilfskonstruk-
tion für die Deduktion des Mehrwertes. Die Deduktion ist mißglückt" . . .
„Es ist wahrlich an der Zeit, daß diese (Marxsche) Hilfskonstruktion
samt ihren Folgen aus der ökonomischen Theorie verschwinden" (F. O p-
p e n h e i m e r , Der heutige Stand der Theorie des Sozialismus in Deutsch-
land, in „Die Wirtschaftstheorie der Gegenwart", 1928, Bd. IV, 310/11).
M a r x brauchte keine Hilfskonstruktion zur „Deduktion" des Mehrwerts,
weil dieser eineTatsache ist und Tatsachen seit den Zeiten der Scholastik
— 93 —
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— 102 —
h a t s i c h B a u e r n i c h t e i n m a l g e s t e l l t ! W a s seit
hundert Jahren den Kernpunkt des Streites und das eigentliche
thema probandi bildet, das nahm O. B a u e r als etwas Selbst-
verständliches an, als ob die Schnelligkeit im Wachstum der
Akkumulationsrate nur vom Willen der Kapitalisten abhängen
w ü r d e ! Wächst die Akkumulationsrate gleichmäßig mit der
Bevölkerung, so kann der Kapitalismus seine Produktivkräfte,
daher auch seinen Produktionsapparat schrankenlos entwickeln.
Der Kapitalismus wird somit nicht an der objektiven ökono-
mischen Unmöglichkeit der schrankenlosen Kapitalakkumu-
lation scheitern, sondern er wird durch die immer mehr poli-
tisch und gewerkschaftlich zum Sozialismus geschulten Arbei-
termassen im p o l i t i s c h e n Kampf gestürzt werden.
Bei Einhaltung der genannten Proportion gibt es also keine
objektive Grenze, keinen ökonomischen Endpunkt des Kapita-
lismus, an dem der Zusammenbruch der kapitalistischen Pro-
duktionsweise unvermeidlich wäre. Nur durch die mühsame,
erzieherische Kleinarbeit des Alltags können die Massen zum
Sozialismus erzogen w e r d e n ; er kann also nur ein Produkt
ihres b e w u ß t e n W i l l e n s sein.
Bereits T u g a n - B a r a n o w s k y hat darauf verwiesen,
daß eine solche Auffassung die Preisgabe der materialistischen
Geschichtsauffassung bedeutet. W ä r e es möglich, den Kapita-
lismus im Gleichgewicht zu erhalten, wäre es möglich, im
Kapitalismus die P r o d u k t i v k r ä f t e schrankenlos zu entfalten,
dann fehlten auch wichtige psychologische Antriebe, die die
Unzufriedenheit der Arbeiterklasse hervorrufen. E r h o f f t man
den Sturz des Kapitalismus lediglich von dem politischen Kampf
der zum Sozialismus herangeschulten Massen, so „wird der
Schwerpunkt der ganzen Argumentation aus dem Gebiete der
Ökonomie in das des Bewußtseins ü b e r t r a g e n " 0 2 ) .
Ähnlich schrieb zwölf J a h r e später Rosa L u x e m b u r g :
„Nehmen wir . . . die ökonomische Schrankenlosigkeit der
kapitalistischen Akkumulation an, dann schwindet dem Sozia-
lismus der granitene Boden der objektiven historischen Not-
62) T u g a n-B a r a n o w s k i, Der Zusammenbruch d. kapitalistischen
Wirtschaftsordnung im Lichte der nationalökonomischen Theorie.
(Archiv f. Soz.-wiss. u. Soz.-pol. XIX. Bd. [1904], S. 274.)
— 109 —
wort. Worin zeigt sich die Wichtigkeit des Gesetzes vom Fall
der P r o f i t r a t e ? Bedeutet er tatsächlich eine Bedrohung der
kapitalistischen Produktionsweise ?
Das Bauersche Reproduktionsschema scheint das Gegenteil
zu beweisen. Denn es wächst in diesem Schema nicht bloß der
für die Akkumulation bestimmte Teil des Mehrwerts ( a c + a v )
von 25 000 im 1. J a h r auf 32 388 im 4. J a h r (vgl. Tabelle I ) ;
auch der für die persönliche Konsumtion der Kapitalistenklasse
bestimmte k-Teil des Profits wächst von 75 000 im 1. Jahr
bis zur Höhe von 83 374 im 4. J a h r ; wodurch der eigentliche
Zweck der kapitalistischen Produktionsweise — die Jagd nach
dem Mehrwert — erreicht wird. Zwar f ä l l t d i e s e r T e i l
p r o z e n t u a l von 75 Prozent im 1. J a h r der Produktion auf
bloß 72,02 Prozent im 4. Jahr. Aber dieser Fall ist
f ü r die Unternehmer gleichgültig, solange dadurch, daß das
Gesamtkapital rascher wächst als die P r o f i t r a t e fällt, sowohl
der Akkumulationsfonds, wie der Konsumtionsfonds der Kapi-
talisten a b s o l u t steigt. In Prozenten ausgedrückt nähert
er sich dem Nullpunkt als dem Grenzpunkt im mathematischen
Sinne, ohne ihn je erreichen zu können. Aber diese Aus-
drucksweise, diese Art, den Profit zu berechnen, verhindert
nicht sein a b s o l u t e s S t e i g e n , sobald das Gesamtkapital
rascher wächst als die P r o f i t r a t e fällt.
Und doch werden wir gerade an der Hand des Bauerschen
Schemas zeigen, daß es eine ökonomische Schranke der Kapi-
talakkumulation gibt, daß die harmonistischen Schlußfolgerun-
gen O. B a u e r s einer schrankenlosen Entfaltungsmöglich-
keit des Kapitalismus ganz banale Trugschlüsse darstellen.
ten — wovon wir, wie ich glaube, jetzt noch sehr entfernt
sind —, dann wird die verderbliche Natur dieser Gesetze offen-
barer und beunruhigender werden 7 4 )." Daher finden wir eben
bei R i c a r d o , wie M a r x sagt, den „Horror vor der fallenden
Profitrate", daher ist sie in seiner Vorstellung „die bürgerliche
Götterdämmerung".
Die Zusammenbruchslehre R i c a r d o s ist auf die m a n -
g e l n d e V e r w e r t u n g des Kapitals in einer ziemlich fort-
geschrittenen Stufe der Kapitalakkumulation zurückzuführen.
R i c a r d o hat die Phänomene selbst, die Tendenz zum Fallen
der Profitrate, richtig gesehen. Aber er hat sie n a t u r -
g e s e t z l i c h durch die abnehmende Produktivität des Bodens
erklärt. M a r x brauchte die Lehre R i c a r d o s nur weiter
zu entwickeln und kritisch zu revidieren, indem er die natur-
gesetzliche Begründung durch eine g e s e 11 s ch a f 11 i ch e,
aus der spezifischen Natur der kapitalistischen Produktions-
weise sich ergebende ersetzte.
Eine viel reifere Gestalt hat bereits die Zusammenbruchs-
lehre bei John Stuart M i l l (Principles, B. IV. Chap. IV.
§§ 4—8), also die Lehre, „daß der Fortschritt der menschlichen
(soll heißen: kapitalistischen; G.) Gesellschaft doch mit Schiff-
bruch enden werde" 7B). Allerdings tritt sie bei ihm durch eine
falsche Lohntheorie (Lohnfondstheorie), durch eine falsche
Grundrententheorie, durch eine irrige Auffassung über die
Einflußlosigkeit des fixen Kapitals auf die Höhe der Profitrate
(1. c. S. 554, 562), endlich durch die Unklarheit über die ent-
scheidend wichtige Rolle des Profits für die Existenz der kapi-
talistischen Produktionsweise verzerrt auf, wodurch ihre
eigentliche Bedeutung und Tragweite für den Kapitalismus
verschleiert und verdunkelt wird.
J. St. M i 11 stellt sich die F r a g e : „Welchem E n d p u n k t e
strebt die Gesellschaft mit ihrem industriellen Fortschritte zu ?"
(S. 564.) Und er beantwortet sie dahin, daß das Kapital —
eine isolierte Wirtschaft vorausgesetzt — eine Tendenz hat,
auf ein bestimmtes f ü r die Kapitalakkumulation notwendiges
74) I.e.
75) J. St. M i 11, Grundsätze der polit. Ökonomie. Deutsch von A. S ö t-
b e e r , Hamburg 1863, S. 565.
O r o s s m a n n , Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz usw. 8
— 114 —
77) Das gleiche gilt von T u g a n , der die Entwicklung seines Schemas
bloß durch 3 Jahre verfolgt und meint: „Es wird nicht nötig sein, mit
dieser A n a l y s e . . . im vierten, fünften und den folgenden Jahren fort-
zufahren." ( T u g a n - B a r a n o w s k y , Studien, S. 24.)
78) Ich nenne die Größen a c und a v Akkumulationsrate des konstanten
resp. des variablen Kapitals, wobei ich jedoch zur Vermeidung von Miß-
verständnissen mit besonderem Nachdruck das folgende betone: Die ge-
— 118 —
Dagegen wird das variable Kapital im 5., 6., 7. Jahr und den
folgenden bloß um 5% wachsen und wird also betragen:
im 5. Jahr 121 550
im 6. „ 127627
im 7. „ 134 008 usw.
Gleichfalls um 5% wird auch das zusätzliche variable Kapi-
tal ( a v ) wachsen, das, mit 5 788 im 4. Jahr anfangend, fol-
gende Steigerung aufweist:
im 5. J a h r 6077
im 6. „ 6 381
im 7. „ 6 700 usw.
Verfolgen wir die Entwicklung unter den genannten Bauer-
schen Voraussetzungen durch weitere 30 Jahre, so wird sich
zeigen, daß der für den persönlichen Konsum der Kapitalisten
bestimmte Teil des Mehrwerts (k), der im 5. Jahr 86213
beträgt und in den folgenden Jahren weiter wächst, nur bis zu
einem bestimmten H ö c h s t p u n k t sich vergrößern kann,
von dem an er n o t w e n d i g a b n e h m e n m u ß , weil der
zu kapitalisierende Teil des Mehrwerts ihn verschlingt.
n't'tiOONOOCOHrfOainOHNro
R 8* S>" 8 5Q 3 3 8 E5 S3 2' 3" S2 S 3 2 00
a o H w a o H i o t s o - > i Tf iji o
— 120 —
81) M a r x , K. I I I / l , S.238.
— 123 —
85) M a r x, K. I, 648.
— 127 —
89) M a r x, K. I, 628.
G r o s s m a n n , Akkumulations- und Z u s a m m e n b r u c h s g e s e t z usw.
— 130 —
Erwägungen gegeben, sei es, daß einzelne große Spekulanten das Ende
der Konjunktur für gekommen erachten und verkaufen, sei es, daß ein-
zelne Bankdirektoren sich entschließen, ihre Kredite einzuschränken."
( L i e f m a n n , Konjunkturforschung u. Konjunkturpolitik, Schriften des
Vereins für Sozialpol Bd. 173/11. [1928] S. 77.) Es ist wahrlich die höchste
Zeit, daß diese „Wissenschaft" aus der Wissenschaft verschwindet.
— 135 —
92) „Mehrarbeit überhaupt, als Arbeit über das Maß der gegebenen
Bedürfnisse hinaus, muß immer bleiben." ( M a r x , K. III72, S. 354.)
Ähnlich im Gothaer Programmbrief.
93) R. L u x e m b u r g , Die Akkumulation des Kapitals, Berlin 1913,
S. 304.
— 136 —
Pm
Zweiter K r e i s l a u f : G'—W < -j— usw.
F-ig u r IE
f= i g u r XL
— 142 —
unserer Analyse steht. Soviel mag hier nur bemerkt werden: Im Gegen-
satz zu der heute allgemein, auch in der marxistischen Literatur, ver-
breiteten Anschauung, daß in der einfachen Reproduktion das Konjunk-
turproblem überhaupt nicht existiert, führt M a r x den Nachweis, daß
auch in der einfachen Reproduktion, infolge der Wirkung des fixen Kapi-
tals, periodische Krisen notwendig entstehen müßten.
98) G. C a s s e l , Theoret. Sozialökonomik. 3. Aufl. 1923. S. 572.
— 143 —
Arbeitskraft. U n d t r o t z d e m g e l a n g t d e r P r o z e ß
der K a p i t a l a k k u m u l a t i o n zum Abschluß. Es
folgt die Krise. Ihr Entstehen ist somit von den genannten
Preissteigerungen unabhängig!
E r s t durch die Ausscheidung dieser ablenkenden Momente
tritt das eigentliche Problem, das Wesen der Erscheinung in
seiner ganzen Reinheit auf. Die Kapitalakkumulation ist zu
g r o ß — absolute Überakkumulation —, weil die V e r w e r -
t u n g u n g e n ü g e n d ist. Diese ungenügende V e r w e r t u n g
entsteht jedoch n i c h t durch Lohnsteigerungen, nicht durch
Preissteigerung, sei es des Leihgeldes (Zinses), sei es der
Waren. Sie erfolgt notwendig auch bei k o n s t a n t e n Prei-
sen und Löhnen.
Gegen diese Darstellung der Marxschen Krisen- und Zusam-
menbruchslehre könnte der Einwand erhoben werden, daß sie
vielleicht abstrakt-logisch richtig, aber mit den empirischen
Tatsachen nicht in Einklang zu bringen ist. Findet der Akkumu-
lationsprozeß in der Realität infolge von absoluter Überakku-
mulation an Kapital sein Ende ? Aber — um einmal in der Spra-
che der Vulgärökonomie zu reden — C a s s e l belehrt uns doch,
„daß die Dienste des festen K a p i t a l s . . . auch in der letzten Zeit
der Hochkonjunktur k e i n e s w e g s i m Ü b e r f l u ß v o r -
h a n d e n sind" . . . „Die typische moderne H o c h k o n j u n k t u r
bedeutet k e i n e ü b e r p r o d u k t i o n , keine Überschätzung
. . . des Bedürfnisses der Gesellschaft an den Diensten des
festen Kapitals, wohl aber eine Überschätzung des K a p i t a l -
a n g e b o t e s . . . W a s überschätzt wird, ist die Fähigkeit der
Kapitalisten, Sparmittel in genügender Menge zur V e r f ü g u n g
zu stellen 9 9 )." Nach C a s s e l besteht also keine Überakku-
mulation von Kapital, vielmehr ein Kapitalmangel,
M a n g e l a n K a p i t a l a n g e b o t 1 0 0 ) . Widerspricht somit
99) G. C a s s e l , Theoret. Sozialökonomik. 3. Aufl. 1923. S. 579 f.
100) Wir sprechen von C a s s e l , aber die im Texte erwähnte Ansicht
ist heute in der bürgerlichen Ökonomie bei der Darstellung und Erklä-
rung des Konjunkturverlaufs die herrschende. Vgl. z. B. M. R. W e y e r-
m a n n, Die ökonomische Eigenart der modernen gewerblichen
Technik. (Grundriß d. Sozialök. VI. Abt. 1914, S. 162/3) : In der aufstei-
genden Konjunktur setzt die Periode der Kapitalaufsaugung ein, bis
gegen Ende der Periode „das ursprünglich willige K a p i t a l a n g e b o t
— 144 —
zeigt sich aber noch nach einer zweiten wichtigen Seite: schon
im Bereiche der einfachen T a t s a c h e n f e s t s t e l l u n g .
W i r haben gesehen, d a ß C a s s e l die Überakkumulation, die
Überproduktion an Produktionsmitteln bestreitet. „Die Mate-
rialien des festen Kapitals werden in der H o c h k o n j u n k t u r
n i ch t im Überfluß produziert. Die Hochkonjunktur zeigt im
Gegenteil regelmäßig eine unverkennbare K n a p p h e i t an
diesen Materialien . . . die in den außerordentlich hohen Prei-
sen dieser Materialien hervorzutreten pflegt. Von einer Über-
produktion von Materialien des festen Kapitals in dem U m -
fange, daß sie als allgemeine E r k l ä r u n g der Krisen dienen
könnte, kann also keine Rede sein 1 0 5 )." Im Gegenteil, man hat
das künftige Kapitalangebot überschätzt, „die Krise besteht
aus einem a k u t e n M a n g e l a n K a p i t a l , d. h. an Spar-
mitteln zur Übernahme des produzierten Realkapitals", aus
„der in der H o c h k o n j u n k t u r zunehmenden Knappheit des Kapi-
talangebots" 1 0 6 ).
Die ganze Darstellung C a s s e l s kann nur den wahren Sach-
verhalt verschleiern. Das Kapitalangebot ist zu klein? Aber
von welchem Kapital spricht C a s s e l ? Doch nicht von dem
bereits akkumulierten und funktionierenden Kapital, von dem
c + v unseres Schemas? Spricht er vom Mangel an k ü n f -
t i g e m Kapitalangebot, von ungenügendem Angebot an Spar-
mitteln, so kann er nur das zusätzliche, erst Anlage suchende
Kapital meinen, das erst zu akkumulieren ist, das zum ersten-
mal in Funktion t r e t e n soll und in unserem Schema durch die
zu akkumulierende Größe a c + a v dargestellt ist. W a s bedeutet
aber der Mangel an d i e s e m „Kapital" ? Aus welcher Quelle
entspringt dieses Kapitalangebot? W a r u m entsteht ein Man-
gel an diesem Kapital? S t a t t den U r s p r u n g dieses Kapitals
bis in seine G e b u r t s s t ä t t e — bis in die Produktionssphäre — zu
verfolgen, begnügt sich C a s s e l mit der Feststellung der T a t -
sache des ungenügenden Kapitalangebotes und bleibt in der Zir-
kulationssphäre stecken. Das angebotene, d. h. um mit M a r x
zu sprechen, „das neue funktionslustige Kapital" (K. I. 657),
das erst nach einer Betätigung suchende Kapital, fällt nicht
105) C a s s e 1, 1. c. S. 579.
106) I.e. S. 582.
— 149 —
125) M a r x , K. I. 647.
126) K. I. 649.
127) M a r x sagt: „Um diese Bestandteile (des konstanten Kapitals, die
zur Akkumulation erforderlich sind, G.) tatsächlich als Kapital fungieren
zu lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines Z u s c h u s s e s v o n A r -
b e i t . Soll nicht die Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter
extensiv oder intensiv wachsen, so m ü s s e n z u s ä t z l i c h e A r b e i t s -
k r ä f t e e i n g e s t e l l t w e r d e n." (K. I. 597.) — Man bewundere
also die durchschlagende Kraft der Argumente verschiedener Marxkri-
tiker, welche gegen das Marxsche Akkumulations- und Bevölkerungs-
gesetz den Einwand erheben, daß mit dem Fortschritt der kapitalistischen
Produktionsweise die Zahl der beschäftigten Arbeiter . . . wächst! Das
wird an der Hand der Marxschen Zahlen aus dem 13. Kapitel des I. Ban-
des des „Kapital" bewiesen, die M a r x angeblich als Illustration seines
Akkumulationsgesetzes und der Lehre von der wachsenden Reservearmee
brachte. Man gelangt zum Ergebnis, „daß die Zahl der beschäftigten
Arbeiter, also der Umfang des variablen Kapitals, eine V e r m e h r u n g
erfahren hat", und man schließt mit den bereits zur Mode gewordenen
Spötteleien über die „Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit" der Marx-
— 158 —
Darlegung O p p e n h e i m e r s , eine s t ä n d i g e V o r a u s -
s e t z u n g der ständigen Reproduktion des Kapitalverhältnis-
ses 133 ). Hier in diesem P u n k t e zeigt sich nochmals, wie sehr O.
die fundamentalen Voraussetzungen der Marxschen Analyse
mißversteht. Geht doch M a r x bei seiner Analyse des Akku-
mulationsprozesses wie auch in den übrigen Teilen seines W e r -
kes von der Annahme einer n o r m a l e n Zirkulation des Kapi-
tals, d. h. eines Gleichgewichtszustandes aus, w o die Nachfrage
gerade dem Angebote entspricht, wo also sämtliche Waren
(auch die W a r e A r b e i t s k r a f t ) abgesetzt werden und wo es da-
her k e i n e R e s e r v e a r m e e g i b t u n d g e b e n k a n n 1 3 4 ) .
Weil eben die Nachfrage nach Arbeit dem Angebote entspricht,
wird die W a r e Arbeitskraft z u i h r e m W e r t e verkauft. Ob-
wohl somit das wechselnde Verhältnis von Angebot und Nach-
f r a g e aus der Analyse b e w u ß t ausgeschaltet wurde, entsteht den-
noch die Reservearmee im Fortlauf der Akkumulation. Sie kann
daher von M a r x nicht aus dem genannten Verhältnis abgeleitet
werden, sondern eben aus der Kapitalakkumulation und als
Folge derselben. „Eine Surplusarbeiterpopulation ist ein not-
wendiges P r o d u k t d e r A k k u m u l a t i o n oder der Ent-
wicklung des Reichtums auf kapitalistischer Grundlage 1 3 B )."
Freilich in der empirischen Wirklichkeit wird diese Übervöl-
kerung, einmal geschaffen, „umgekehrt zum Hebel der kapita-
listischen Akkumulation, ja zu einer Existenzbedingung der
kapitalistischen Produktionsweise" 13fi ). Für den empirischen,
wirklich gegebenen Kapitalismus ist die Existenz der Reserve-
armee eine Existenzbedingung, aber nicht deshalb, um das
Kapitalverhältnis zu reproduzieren, sondern um p 1 ö t z 1 i ch e
P r o d u k t i o n s e r w e i t e r u n g e n zu ermöglichen, weil
146») Sagt doch Marx selbst: „Wachstum in der Anzahl der Fabrik-
arbeiter ist also bedingt durch proportionell v i e l rascheres
W a c h s t u m d e s in d e n F a b r i k e n a n g e l e g t e n Gesamt-
k a p i t a l s . " (K. I. 467.)
— 166 —
der Analyse der Industrie gewonnen (lc. S. 59), so ist das eine
willkürliche Behauptung, nur dadurch erklärbar, daß O. sich
lediglich auf die empirischen Illustrationen im I. Bande des
„Kapital" b e r u f t und dabei die entscheidend wichtigen Stellen
des III. Bandes vom tendenziellen Fall der Profitrate in diesem
Zusammenhange gar nicht in Betracht zieht. Daher finden wir
die Verquickung zweier so grundverschiedener Erscheinungen,
wie die Freisetzung der Arbeiter durch die Maschine und ihre
Freisetzung infolge der Kapitalakkumulation. Die Behauptung
O p p e n h e i m e r s , daß das Problem auf dem Wege der Deduk-
tion nicht lösbar ist, ist dadurch widerlegt, daß wir die tatsäch-
liche Lösbarkeit des Problems an einem konkreten Zahlenbei-
spiel gezeigt haben und mathematisch noch zeigen werden, wobei
sämtliche Bedingungen und Daten des Problems exakt bestimmt
und daher die Variationen des Mehrwerts im F o r t g a n g der
Akkumulation berechenbar sind. Die Schwierigkeit einer Glei-
chung mit mehreren Unbekannten m a g f ü r die empirischen
Verhältnisse bestehen. Für den Theoretiker bestehen solche
Schwierigkeiten nicht. E r hat in dem „nimm an, d a ß . . . " ein
wundervolles Zaubermittel, um alle Unbekannten in bekannte
und meßbare Größen zu verwandeln.
W i r sind in unserer schematischen Analyse von dem von O.
erwähnten Fall 2, d. h. vom Gleichgewichtszustand aus-
gegangen, wo also trotz einer fortschreitenden höheren orga-
nischen Zusammensetzung des Kapitals die Freisetzung der
Arbeiter durch ihre Mehreinstellung ausgeglichen wird. Darin
liegt ja die große methodologische Bedeutung dieses Schemas.
Alljährlich wird eine höhere organische Zusammensetzung,
folglich auch eine bessere Technik eingeführt. Es erfolgt daher
eine Freisetzung der Arbeiter. Jedoch durch eine entsprechend
gesteigerte Kapitalakkumulation werden die Freigesetzten wie-
derum aufgesaugt, so daß das Gleichgewicht alljährlich wieder-
hergestellt wird. Es wird also gerade das vorausgesetzt, was O.
als Remedium gegen die Freisetzung durch die Maschinen an-
erkennt. Wir stellen uns somit zum Zweck einer immanenten
Kritik auf den Boden seiner eigenen Annahmen. Und trotz-
dem zeigt sich vom Standpunkt eben dieser Annahmen, daß
ein solcher ausgeglichener Zustand der Akkumulation n u r
— 168 —
S i m k h o v i t c h, G. Ad 1 e r, E. B e r n s t e i n ) zusammenge-
tragen. Auch er stützt sich lediglich auf die Darstellung des 1.
Bandes des „Kapital"; die mit dem erörterten Problem im eng-
sten Zusammenhange stehenden, entscheidend wichtigen Stellen
des III. Bandes über den tendenziellen Fall der Profitrate wer-
den nicht beachtet. — Die M a r x sehe Akkumulations- und
Zusammenbruchstheorie hat nach M. eine empirische Wurzel.
Und zwar ist die M a r x sehe Theorie der permanenten Frei-
setzung der Arbeit durch die Maschinerie aus der Entwicklung
der englischen Industrie um die Mitte des 19. Jahrhunderts
abgeleitet. „Die Untersuchung wird hier auf mehr e m p i r i-
s ch e r Grundlage g e f ü h r t " — wiederholt M u h s wie ein
Echo O p p e n h e i m e r s (S. 461). Es folgt nun die aus
J. W o l f und O p p e n h e i m e r bekannte Kritik der M a r x -
schen Statistik der englischen Baumwollindustrie (vgl. oben
S. 157), und M u h s gelangt zum Ergebnis: „Aus der s o ( ! )
erwiesenen Verdrängung der Arbeitskraft durch die Maschinerie
folgt das absolute Gesetz der Freisetzung der Arbeit" (S. 462).
Die Oberflächlichkeit dieser Behauptung tritt klar zutage.
M a r x brauchte nicht erst die Freisetzung der Arbeit durch
die Maschinerie zu „beweisen", denn seit 1821, seit der dritten
Auflage der Ricardoschen „Principles" ist dieser Satz durch
R i c a r d o bewiesen worden, wurde bisher von niemandem
erschüttert und kann gar nicht erschüttert werden. Marx
akzeptiert einfach das von R i c a r d o Gesagte 151 ), und M u h s
selbst bestätigt die T a t s a ch e der Freisetzung, wenn er
s a g t : „Es ist M a r x zuzustimmen, da die Herstellung der
Maschinerie n i e m a l s d a s g l e i c h e Q u a n t u m A r b e i t s -
k r a f t e r h e i s c h t , wie die Verwendung der Maschinen Arbeit
e r s p a r t " (S. 475). Aber diese Argumentation w a r f ü r M u h s
nötig als Mittel zum Zweck, nämlich um die empirische Genesis
und Grundlage des M a r x sehen Akkumulations- und Zusam-
menbruchsgesetzes nachzuweisen: „D a s P h ä n o m e n d e r
F r e i s e t z u n g w i r d n u n m e h r i n das Z e n t r u m d e r
A k k u m u l a t i o n s t h e o r i e g e s t e l l t und damit zum
geschichtlichen Hauptphänomen des Kapitals erhoben, durch
V e r h ä l t n i s z w i s c h e n A k k u m u l a t i o n u n d Be-
v ö l k e r u n g n i c h t e i n g e h a l t e n w i r d . Bleibt die
Akkumulation in den Grenzen des Bevölkerungszuwachses,
dann kann die Akkumulation unter den gemachten Voraus-
setzungen s c h r a n k e n l o s stattfinden. B a u e r spricht
zwar von Überakkumulation; sie entsteht bei ihm jedoch nur,
weil man sich an die von B a u e r aufgestellten Bedingungen
nicht gehalten hat. Diese Bedingungen können nach B a u e r
eingehalten, und zwar d a u e r n d eingehalten werden, und
bald f ü h r t der kapitalistische Mechanismus selbst die K o r r e k t u r
aller Störungen des Gleichgewichts durch und hebt die Abwei-
chungen von den geschilderten Proportionen auf. „Wie die
Unterakkumulation ist auch die Überakkumulation nur eine
vorübergehende P h a s e des industriellen Zyklus"
(1. c. S. 870).
Ganz anders verläuft die Entwicklung in dem von uns
gezeigten Fall. W i r zeigten, daß schließlich, nach einer gewis-
sen Periode, obwohl die beiden von B a u e r verlangten Gren-
zen der Kapitalakkumulation zwischen der Abt. I und Abt. II
sowie zwischen c und v eine Zeitlang eingehalten werden, ob-
wohl die Akkumulation — bei gegebener P r o d u k t i v i t ä t — , n u r
in d e n G r e n z e n des Bevölkerungszuwach-
ses s t a t t f i n d e t , trotzdem die weitere Einhaltung
der erforderten Grenzen objektiv unmöglich wird. Es hat
sich ergeben, daß das durch das B a u e r sehe Schema dar-
gestellte Produktionssystem auf einer bestimmten Entwick-
lungsstufe dennoch zusammenbrechen muß, daß die von
B a u e r aufgestellten Bedingungen des Systems und seiner
Existenz durchbrochen werden m ü s s e n . Von einem gewis-
sen Zeitpunkt an könnte das System bei einer Mehrwertrate
von 100% n i c h t existieren. Vom 21. J a h r e an, von dem
r-Punkt, wäre der Mehrwert, die Profitmasse nicht genügend
groß, um die Akkumulation in dem genannten U m f a n g , also
im Verhältnis zum Bevölkerungszuwachs, zu ermöglichen und
den Unternehmern von dem v e r g r ö ß e r t e n Kapital auch nur
dasselbe Einkommen zu sichern. W i r hätten nicht, wie
B a u e r versichert, eine vorübergehende, sondern unter den
gegebenen Bedingungen eine d a u e r n d e Ü b e r a k k u m u -
— 175 —
152) M a r x , K. I. 636.
153) M a r x , K. I. 628. — Indem Marx weiter im 2. Abschnitt dazu
übergeht, die Akkumulation unter der Voraussetzung einer fortschreiten-
den organischen Zusammensetzung des Kapitals zu analysieren, sagt er:
„Bisher haben wir nur eine besondere Phase dieses Prozesses betrachtet,
diejenige, in der der Kapitalzuwachs stattfindet bei g l e i c h b l e i b e n d e r
t e c h n i s c h e r Z u s a m m e n s e t z u n g des Kapitals." (K. I. 639.)
— 177 —
A. B e d e u t u n g der Symbole.
(Terminologie.)
c = konstantes Kapital. A n f a n g s w e r t = c 0 .
W e r t nach j J a h r e n = c..
v = variables Kapital. A n f a n g s w e r t = v 0 .
W e r t nach j J a h r e n = v..
m = Mehrwertrate ^ ^ 100 % von v j .
ac = Akkumulationsrate des konstanten Kapitals c.
a v = Akkumulationsrate des variablen Kapitals v.
k = Konsumtionsteil der Kapitalisten.
ac- c ay. v.
M = Mehrwertmasse = k + -[-
luu luu
= Organische Zusammensetzung des Kapitals, oder c :v.
j = Anzahl der Jahre.
ac ay
Ferner sei r = 1 + ; s —- 1 + -
100 ' 100
B. D i e Formel:
Nach j J a h r e n hat das konstante Kapital c unter der vor-
ausgesetzten Akkumulationsrate ac den Betrag Cj = c 0 . r
erreicht. Das variable Kapital v hat unter der vorausgesetzten
Akkumulationsrate a v den B e t r a g v. = v 0 . si erreicht. Im
J a h r e darauf (j + 1) wird die übliche Akkumulation fortgesetzt,
und zwar nach der F o r m e l :
c„ • r1 • a c . v» • s1
M= k
100 ' 100 100
C|>
Hieraus folgt k = (m — av ) — ^ ^
( r \n m — av
s / ~ £2 • a c
Daraus f o l g t :
/ m — av \
_ log V a • a c /
" " l o g / 1 0 0 -}- a c \
VlOO -j- av /
Das ist eine reelle Zahl, solange m > a v . Diese Voraussetzung
liegt aber unserer ganzen Betrachtungsweise zugrunde.
Von dem Zeitpunkt n angefangen, reicht die Mehrwertmasse
M nicht aus, um die V e r w e r t u n g von c und v unter den bisher
gemachten Voraussetzungen zu sichern.
C. D i s k u s s i o n der Formel.
Die Zahl der Jahre n bis zur absoluten Krise hängt somit
von 4 Bedingungen a b :
1. Von der Höhe der organischen Zusammensetzung fl. Je
g r ö ß e r diese, um so k l e i n e r die Zahl der Jahre. Die Krise
wird beschleunigt.
2. Von der Akkumulationsrate des konstanten Kapitals ac,
die in demselben Sinne wirkt wie die organische Zusammen-
setzung des Kapitals 2 .
3. Von der Akkumulationsrate des variablen Kapitals a v ,
die sowohl verschärfend als auch abschwächend wirken kann,
deren W i r k u n g also, wie aus der Formel zu ersehen ist, ambi-
valent ist. (Darüber weiter unten näher.)
4. Von der Höhe der M e h r w e r t r a t e 182 ) m, welche abschwä-
chend wirkt, d. h. daß, je g r ö ß e r m, um so g r ö ß e r auch die
Zahl der J a h r e n, wodurch die Zusammenbruchstendenz abge-
schwächt wird.
162) Wir haben gesehen, daß die Mehrwertrate m gleich groß, größer
oder kleiner sein kann als v. Die Marxsche Annahme, daß die Mehrwert-
rate 100% beträgt, d. h. gleich groß ist wie v, stellt bloß den e i n f a ch-
s t e n und daher für die weiteren Berechnungen geeignetsten Ausgangs-
punkt dar. Sie besagt nichts über die tatsächliche Höhe der Mehrwert-
— 186 —
rate. Es ist nur ein Beweis der nachlassenden Fähigkeit zum abstrakten
Denken in der bürgerlichen Ökonomik, wenn H. D i e t z e l gegen M a r x
den folgenden Einwand erhebt: „Dies leider im höchsten Maße aufpeit-
schende, verhetzende Beispiel — diese Annahme, daß der Arbeiter von
12 Stunden, die er schuftet, 6 für den Kapitalist schufte — ist leider in
die ganze von M a r x inspirierte Lohnliteratur übergegangen. Auch
O p p e n h e i m e r bedient sich seiner — läßt damit den Kapitalist 100%
auf das Lohnkapital verdienen!" (Vom Lehrwert der Wertlehre und vom
Grundfehler der Marxschen Verteilungslehre. Leipzig 1921.) Nicht die
kapitalistische Ausbeutung ist „aufpeitschend", sondern das unschuldige
Schemabeispiel einer 100%igen Mehrwertrate! Möge sich doch D i e t z e l
sagen lassen, daß die kapitalistische Wirklichkeit noch ganz andere als
100%ige Mehrwertraten kennt. E n g e l s , der als Fabrikant auch prak-
tische Erfahrungen hatte, berechnet für das Jahr 1871 für eine ihm be-
kannte Unternehmung auf Grund von Tatsachen „aus der lebendigen
Praxis von Manchester" eine Jahresrate von über 1300% und sagt, daß
in Zeiten der Prosperität „eine solche Rate keineswegs eine Seltenheit
ist". (K. III./1., S. SO.) In der Epoche der Monopole, Trusts und Kon-
zerne sind Dividenden von 50, 75 und mehr Prozent auf der Tagesord-
nung, wie dies bei L i e f m a n n und R o u s i e r s nachzulesen ist. Die
sogenannten Verwässerungen des Aktienkapitals, wie sie in der amerika-
nischen und deutschen Industrie üblich sind, dienen nur dem Zweck, die
hohen Profit- und Mehrwertraten zu verschleiern. Um nur ein Beispiel
zu geben: Van D e 1 d e n berichtet in seinen „Studien über die indische
Juteindustrie", Leipzig 1915, daß die Kämarhatty-Co. 1898 neben der Nor-
maldividende noch eine 300%ige Extradividende durch Ausgabe von Gra-
tisaktien verteilte. Ebenso 1909 die Khardach-Co. mit gleichfalls 300%
Dividende. (1. c. S. 167.) Welch ungeheure Mehrwertrate vom Lohnkapital
ist erforderlich, um solche Dividenden vom Gesamtkapital zahlen zu
können ?
— 187 —
119) Wie sehr die Bedeutung der Lehre an Klarheit gewinnen würde,
wenn in diesem Sinne eine Korrektur eingeführt würde, dafür mag fol-
gende allgemein bekannte Stelle als Beispiel dienen:
„Im Fortschritt des Produktions- und Akkumulationsprozesses m u ß
13*
— 196 —
123) M a r x, 1. c. S. 154.
124) M a r x , 1. c. S.228. — Damit erledigt sich zugleich der Einwand
— 199 —
200c: lOOv, also bildet das variable Kapital ein Drittel des Ge-
samtkapitals). B a u e r verfügt a m A n f a n g ü b e r e i n g r o ß e s R e s e r -
voir an Mehrwert, mit dem er eine Zeitlang wirtschaften k a n n ;
daher b e t r ä g t die Länge der Aufstiegsphase in seinem Repro-
duktionsschema 34 Jahre, bis erst im 35. J a h r e eine Wendung
zur Krise eintritt.
Mit dieser Feststellung gelangen wir zum Problem der
Periodizität der Krisen des Konjunkturverlaufs und zum
Problem der Bestimmung ihrer Phasenlänge. Die bisherige
bürgerliche Ökonomik hat in bezug auf diese Frage völlig
versagt 1 2 5 ). Während für eine Reihe von Theoretikern die
Periodizität der Krisen eine T a t s a c h e ist, die mit „Natur-
notwendigkeit" eintritt 1 2 6 ), Wobei diese nicht imstande sind,
die Ursachen dieser Periodizität auch nur anzudeuten, so
h a l t e n s . ; . und jene r e g e l m ä ß i g e W i e d e r k e h r , d i e
vorausgesetztwerdenmüßte, findetsichnicht.
Jeder Versuch der Prognosentheorie bricht in seinen halbwegs
strengen Formen hoffnungslos zusammen 1 2 8 )." Nach W.
R ö p k e ist die K o n j u n k t u r ein Fatum, sie ist „ d a s s i c h d e r
B e r e c h e n b a r k e i t und Beeinflußbarkeit in hohem Grade
e n t z i e h e n d e , steter Veränderung unterworfene Verhältnis
von Angebot und Nachfrage auf einem Markte" 128 * 1 ).
128b
Für R. L i e f m a n n ) entsteht die Krise durch „ein
Mißverhältnis zwischen Konsum und Kapitalbildung". Aber
weit entfernt, hier Gesetzmäßigkeiten zeigen zu wollen,
ist L. nie müde, die Unmöglichkeit jeder Voraussage
und jeder exakten Feststellung zu betonen, weil „die
letzten theoretischen ( ! ) Gründe der Konjunkturschwankungen
in i n d i v i d u e l l e n Zwecken liegen müssen" (S. 56). L. be-
kämpft daher den Glauben, „daß es möglich sei, die wirtschaft-
lichen Zusammenhänge e x a k t . . . festzustellen" und zählt
solche Bestrebungen „zu den g r ö ß t e n logischen Verirrungen
des menschlichen Geistes" (S. 43). Trotzdem versichert L., daß
„seine Theorie die Konjunkturschwankungen erklärt" (S. 41).
Wenn nämlich das Mißverhältnis zwischen Kapitalbildung und
Konsum „ e i n e g e w i s s e ( ! ! G . ), a b e r n i c h t e x a k t
f e s t s t e l l b a r e H ö h e e r r e i c h t , ist damit ein Anlaß zu
einem Umschlag gegeben" (S. 56). Schon diese vage Behaup-
tung erscheint L i e f m a n n offenbar „zu exakt" zu sein, und
er f ü g t daher hinzu, daß das frühere oder spätere Eintreten
des Umschlags „von zahllosen nicht im voraus exakt faßbaren
Momenten abhängt" (S. 56). „Die l e t z t e n G r ü n d e der
Konjunkturschwankungen sind v o r wirtschaftlicher A r t . . .
und liegen teils auf naturwissenschaftlich-technischem!, teils
auf psychischem und soziologischem Gebiete" (S. 60). L. be-
tont die Zufälle der „wechselnden Ernten", „wechselnder Be-
134) Vollständig auf die Theorie verzichten kann sie schon aus
Geschäftsrücksichten für die Praxis nicht: „Zur Kenntnis der Wirtschafts-
lage und damit z u m r i c h t i g e n g e s c h ä f t l i c h e n D i s p o n i e r e n
bedarf es heute einer feinen und umfassenden Methodik, die einen Ein-
blick in die Zusammenhänge zwischen Privatwirtschaft und Volkswirt-
schaft sowie zwischen den einzelnen Gewerbezweigen und in das Inein-
andergreifen der verschiedenen Wirtschaftsbewegungen ermöglichen.
Eine wichtige Grundlage dazu ist die Konjunkturforschung. S o i s t
d i e s e r F o r s c h u n g s z w e i g u n m i t t e l b a r aus den prak-
tischen Bedürfnissen der Wirtschaftsführung er-
w a c h s e n . " (I.e. S.4.)
— 209 —
größer sein als die Nachfrage nach a l l e n Waren" (S. 292). — Aber
auch die primär p a r t i e l l e n Krisen in „gewissen Sphären", von denen
M a r x spricht, leitet er nicht aus der Disproportionalität im Produk-
tionsumfang ab, sondern aus der verschiedenen Stufe der Kapitalakku-
mulation, da in den Sphären mit großer Kapitalakkumulation die Über-
akkumulation früher als in den übrigen Sphären eintritt.
141) I.e. S.360.
142) Bei der folgenden Darstellung des Konjunkturverlaufs können wir
nur auf die wesentlichen Kausalzusammenhänge eingehen, ohne den
Gegenstand in allen Details erschöpfen zu wollen. So müssen wir hier
z. B. auf die umfassendere Darstellung des Kredits und seiner Wirkungen
- 213 —
der Produktion." (I. c. S. 18.) Somit darf nie vergessen werden, „daß
das Kreditsystem... e i n e i m m a n e n t e F o r m d e r k a p i t a l i s t i -
s c h e n P r o d u k t i o n s w e i s e ist, und andererseits eine treibende
Kraft ihrer Entwicklung zu ihrer höchst- und letztmöglichen Form."
(1c. S. 145.) Aber weit entfernt, die Krisen zu mildern oder gar abzu-
schaffen, „werden Bank und K r e d i t . , . das kräftigste Mittel, die kapitali-
stische Produktion über ihre eigenen Schranken hinauszutreiben, und eins
der wirksamsten Vehikel der Krisen und des Schwindels", (lc. S. 146.)
Da bei unserer Analyse zunächst vom Kredit abgesehen wird, so muß
selbstverständlich seine modifizierende Wirkung nachher doch berück-
sichtigt werden. — Nach 60 Jahren, die seit der obigen Formulierung ver-
flossen sind, kann die neuere Theorie über die Rolle des Kredits zu dem
von M a r x Gesagten nichts Neues hinzufügen und muß die Resultate
der Marxschen Forschung einfach bestätigen. So umschreibt z. B. L ö w e
die Funktion der kreditären Faktoren folgendermaßen: „Obgleich im
letzten Grunde k e i n u r s ä c h l i c h e s Moment f ü r . . . die eigentliche
zyklische Bewegung, so ist die Geldsphäre doch im Maße ihrer Einwir-
kungen als i n t e n s i v i e r e n d e r F a k t o r von größtem Einfluß auf
das A u s m a ß d e r z y k l i s c h e n A u s s c h l ä g e." (Ad. L ö w e, Uber
den Einfluß monetärer Faktoren auf den Konjunkturzyklus. Schriften d.
Vereins f. Sozialpolit. 1928. Bd. 173/2, S. 369). Umso amüsanter sind die
gerade von marxistischer Seite ausgehenden Bemühungen, um die Marx-
sche Lehre mit der Auffassung der kreditären Krisentheorie zu verbin-
den. D w o l a i c k i , der russische Übersetzer des R. Luxemburgischen
Buches über die Kapitalakkumulation, stimmt mit R. L u x e m b u r g in-
soweit überein, als er die Möglichkeit der Akkumulation im reinen Kapi-
talismus negiert. Sein abweichender Standpunkt zeigt sich in der son-
derbaren Funktion, die er dem Kredit zuweist. Diesem wird nämlich die
magische Eigenschaft zugeschrieben, die Akkumulation auch im reinen
Kapitalismus zu ermöglichen. (Vgl. Wiestnik sozialisticzeskoj Akademji.
Moskwa 1923. Bd. IV. 137). —
— 215 —
eher Richtung die Verlängerung der Lebensdauer des fixen Kapitals und
seine Abkürzung wirkt. Werden Kapitale, deren Lebensdauer g e g e b e n
ist, entwertet, so wird dadurch die Verwertung dieser Kapitale verbessert,
daher die Zusammenbruchstendenz abgeschwächt. Diesen Fall, der sich
von dem im Texte behandelten scharf unterscheidet, behandeln wir im
dritten Kapitel. (Einfluß der periodischen Entwertung auf den Akku-
mulationsprozeß.) Der „moralische Verschleiß", von dem oben gesprochen
wird, bedeutet die Unbrauchbarkeit der Produktionsmittel (dem Ge-
brauchswerte nach) und daher die Notwendigkeit des Ersatzes durch
— 221 —
Wert des
c v k ac
av Jahres-
produkts
7. Jahr 597 196 + 158 685 + 26 553 + 119 438 + 12 694 = 914 566
8. „ 716 634 + 171 379 + 14 344 + 143 326 + 13 709 = 1059 392
9. „ 859 9 6 0 + 185 088 4- 0 + 171992 + 14806
186 798(1!)
(Defizit 1 710)
Im 9. J a h r e m ü ß t e n die zu akkumulierenden Mehrwertteile
186 798 betragen, während die ganze verfügbare Mehrwert-
masse bloß 185 088 ausmacht; somit entsteht ein Defizit von
1 710, wobei f ü r die Konsumtion der Kapitalisten nichts zu-
rückbleibt, also das Defizit noch g r ö ß e r ist!
In diesem Zusammenhange ist es am Platze, L e d e r e r s Kri-
tik der Arbeitswerttheorie zu erwähnen. Von ihrem Boden aus
— meint L e d e r e r — sei die Marxsche Akkumulationstheorie
nicht imstande, die B e w e g u n g s erscheinungen, also den
Konjunkturverlauf, zu erklären; sie eigne sich bloß zur Ver-
anschaulichung eines s t a t i s c h e n Wirtschaftsprozesses.
Dabei hat L e d e r e r die sonderbare Idee, von der Entwick-
lung zu sprechen, aber eine g l e i c h b l e i b e n d e B e v ö l k e -
r u n g vorauszusetzen und von dieser Voraussetzung aus die
Marxsche Akkumulationstheorie zu kritisieren! „B e i g 1 e i ch-
b l e i b e n d e r B e v ö l k e r u n g wäre wirtschaftliche E n t -
w i ck 1 u n g eine Illusion, vergleichbar mit dem Auf und Ab des
W e l l e n g a n g e s . . . Schaffung eines zuschüssigen, nicht verwert-
baren Kapitals in der Hochkonjunktur, Lahmlegung, wirt-
schaftliche Vernichtung desselben und Schaffung einer rela-
tiven Überschußbevölkerung in der Krise, Wiederherstellung
des Gleichgewichts zwischen Produktion und Konsumtion in
der Depression und Beginn des Kreislaufs von neuem in der
Konjunktur. Daher ( ! G.) bietet die Konjunkturlehre im
Rahmen der Arbeitswerttheorie ein sehr unbefriedigendes
Bild 140 )." Daß bei solcher Betrachtung Schwierigkeiten „aus
der starren E r f a s s u n g der Größen hervorgehen" müssen, ist
klar. Nur daß die „starre" E r f a s s u n g der Größen das ureigene
werden müssen. Sp. verkennt den Umstand, daß die Anpassung der
Produktionserweiterung an die Nachfrage, welche nur auf Grundlage der
Kenntnis des zuvor festgestellten Bedarfs erfolgt, ein Charakteristikum
einer sozialistischen Planwirtschaft ist. Dagegen kann in der kapitali-
stischen Marktwirtschaft die Anpassung grundsätzlich nie im voraus,
planmäßig, sondern immer ex post, v e r m i t t e l s d e s Preis-
u n d G e w i n n r e g u l a t o r s erfolgen. Aber nach der in der bürgerlichen
Ökonomik vorhandenen Gleichgewichtstheorie besteht in der Marktwirt-
schaft trotzdem eine beständige Tendenz zur Herstellung des Gleich-
gewichtes des Produktionsapparates, weil der Preis- und Gewinnmecha-
nismus mit der Genauigkeit eines Seismographen alle Abweichungen an-
zeigt und daher die Anpassung des Angebots an den Bedarf ermöglicht.
Die eigentliche, von Sp. unbeachtete Problematik besteht in der Frage,
warum der Preis- und Gewinnregulator im Momente der Krise versagt,
warum er statt zu einer Anpassung des Angebots an die Nachfrage zur
Diskrepanz beider, d. h. zu einer allgemeinen Uberproduktion führt.
153) Die Vorstellung einer solchen proportionalen Akkumulation findet
— 231 —
Es bleibt somit nur der andere Fall übrig, daß die Akkumu-
lation z u g e r i n g ist, d. h. daß sie zwar unter W a h r u n g des
für jedes J a h r vorgesehenen Fortschritts vor sich geht, daß
aber nur ein T e i l des Mehrwerts f ü r die Zwecke der Akkumu-
lation verwendet wird, so daß in Summa das konstante Kapital
jährlich nicht um 10%, sondern in geringerem Grad, z. B. bloß
um 5% wächst. Daraus ergibt sich notwendig, daß nicht der ge-
samte jährliche Zuwachs der Arbeiterbevölkerung aktiv in den
Produktionsprozeß eintreten kann, daß also eine Reservearmee
alljährlich entstehen muß. Die Größe der aktiven und der
Reservearmee läßt sich für jedes J a h r unseres Schemas exakt
berechnen. Legen wir f ü r unsere E r w ä g u n g e n die Tab. III zu-
grunde (vgl. S. 216), wo im ersten Reproduktionsjahr ein
Gleichgewicht bei folgenden Größen vorhanden ist:
T a b e l l e VIII
c v Res.Ar. k L (k+L) ac a ,
1. Jahr 2 0 0 0 0 0 + 25 0 0 0 -\ + 2 5 0 0 + 1 2 4 4 4 (14 944) + 10 0 0 0 + 56
2. . 2 1 0 0 0 0 + 25 0 5 6 + 1 194 + 2 505 + 1 1 9 9 4 (14 4 9 9 ) + 10 5 0 0 + 57
3. . 2 2 0 0 0 0 + 2 5 1 1 3 + 2 4 4 9 + 2 511 + 1 1 5 1 6 (14 0 2 7 ) + 11 0 2 5 + 61
4. „ 2 3 1 0 0 0 + 2 5 1 7 4 + 3 766 + 2 517 + 1 1 0 0 9 (13 5 2 6 ) + 11 5 7 6 + 7 2
5. . 243 101 + 2 5 246 + 5 141 + 2 5 2 4 + 10 5 1 0 (13 034) + 12 155 + 57
6. . 255 2 5 6 + 25 3 0 3 + 6 6 0 3 + 2 5 3 0 + 10 011 (12 5 4 1 ) + 12 762 + —
7. „ 268 0 1 8 + 2 4 842 + 7 9 7 4 + 2 4 8 4 + 9 2 1 1 (11 603) + 13 201 + 38
8. . 281 2 1 9 + 24 880 + 9 5 7 6 + 2 4 8 8 + 8 3 8 6 (10874) + 1 4 0 6 0 + —
9. . 295 279 + 2 4 7 2 6 + 1 1 4 5 2 + 85081 + 1 4 763 +
155) M a r x , K. I I I . / l . S.362.
156) 1. c. S. 361.
— 234 —
157) 1. c. S. 357.
158) 1. c. S. 358.
159) M a r x , K. I I I / l . S. 341 und 347.
160) M a r x , K. III./2., S. 109 und 50.
161) 1. c. S. 83, 26.
— 235 —
T a b e l l e IX.
c y Reserve k «c ay L
Armee
F>is. Nra.
Pa*->t- a g. a H- 5 o
163) M a r x sagt: „ D e r Z i n s s t e i g t j e t z t a u f s e i n e D u r c h -
s c h n i t t s h ö h e . Sein Maximum erreicht er wieder, sobald die neue
Krisis hereinbricht, der Kredit plötzlich aufhört, die Zahlungen stocken,
der Reproduktionsprozeß gelähmt wird und . . . neben fast absolutem
M a n g e l a n L e i h k a p i t a l , Überfluß von unbeschäftigtem i n d u -
s t r i e l l e n K a p i t a l eintritt. Im ganzen also verläuft die Bewegung
des Leihkapitals, wie sie sich im Zinsfuß ausdrückt, in umgekehrter
Richtung zu der des industriellen Kapitals. (K. III./2. S. 26.)
— 239 —
gen nach oben und unten sind ohne Annahme einer solchen
„Normalbasis" unverständlich.
Während aber O. B a u e r meinte, daß die Akkumulation
auf dieser Basis schrankenlos fortgesetzt werden könnte,
haben wir gezeigt, daß bald, aus dem inneren Mechanismus
der Akkumulation heraus notwendig eine Ü b e r a k k u m u -
l a t i o n und daher die Wendung zur Krise entstehen muß.
Die V e r w e r t u n g wird ungenügend, um im bisherigen Tempo,
d. h. um 10% jährlich, fortgesetzt zu werden. Wird das kon-
stante Kapital weiter vergrößert, so kann die absolute Masse
des Mehrwerts (bei gegebener Bevölkerungszahl und Lohn-
höhe) nicht v e r g r ö ß e r t werden. Auch die Herabdrückung des
Lohnes kann n u r b i s z u e i n e r b e s t i m m t e n , u n ü b e r -
schreitbaren Grenze stattfinden. Die Akkumu-
lation gelangt somit notwendig zum Stillstand, es erfolgt der
Zusammenbruch des Systems. Von dem Z-Punkt angefangen,
kann das überakkumulierte Kapital trotz des vorausgesetzten
„Normalfalls", ohne Preis-, Lohn- und Zinssteigerungen, keine
„produktive", d. h. profitbringende Verwendung im Produk-
tionsprozeß finden 1 9 3 ), folglich wird das Kapital, d. h. die f ü r
die weitere Akkumulation bestimmten ac- und a v -Teile, im
Moment der Krise aus dem Produktionsprozeß ausscheiden.
E s t r i t t d i e a b s o l u t e ü b e r p r o d u k t i o n e i n . Die
unverkäuflichen Vorräte wachsen, die Warenlager füllen sich.
Das nach Anlage suchende Geldkapital findet in der Pro-
duktionssphäre keine gewinnbringende Verwendung. Der
163) Im Gegensatz zu der hier vorgetragenen Auffassung meint H a h n ,
daß „kein Grund" zu der Annahme vorhanden ist, daß die Akkumulation
ohne Preissteigerungen — er nennt sie „M e n g e n k o n j u n k t u r " —
zyklisch verlaufen müsse. Wenn keine Preissteigerungen eintreten,
„breitet sich auch keine Haussestimmung a u s . . . Damit entfällt aber das
Moment, das in der g e w ö h n l i c h e n Konjunktur zur Steigerung über
die Mittellage und dann wieder zum Rückschlag führt" (Schriften des
Vereins f. Sozialpol. 1928. Bd. 173/2, S. 163). Wir haben gezeigt, daß der
zyklische Konjunkturverlauf von allen Preissteigerungen unabhängig ist.
Angesichts der amerikanischen Erfahrung, wo seit 1925 ein Aufschwung
bei s i n k e n d e n Preisen stattgefunden hat, sucht die kreditäre Krisen-
theorie die theoretische Schwierigkeit, in die sie geraten ist, durch eine
echt scholastische Unterscheidung von „gewöhnlichen" Konjunkturen und
„Mengenkonjunkturen" zu umgehen.
— 241 —
Z i n s s a t z m u ß v o n n u n a n s t e t s s i n k e n , und
das unbeschäftigte, müßige Geldkapital strömt von der Pro-
duktionssphäre ab und wendet sich der Börse zu, um dort i n
d e r Z w i s c h e n z e i t — bis zur Wiederherstellung der Ren-
tabilität (der Verwertung) in der Produktionssphäre — im
Trüben zu fischen. Die „Tätigkeit" der Börse steht im engsten
Zusammenhang mit der Bewegung der Zinssätze auf dem Geld-
markt. Denn die Bewegung des Leihzinses auf dem Geldmarkt
ist entscheidend für die Kursentwicklung aller Staats- und Ren-
tenpapiere auf der Effektenbörse. Diese haben nämlich eine
„selbständige Bewegung" ihres Wertes, und zwar „steigt und
fällt der Preis dieser Wertpapiere umgekehrt wie der Zins-
f u ß " 184 ). Wir haben für die Bewegung des Leihzinses aus
dem Wesen der Kapitalakkumulation zwei Abschnitte fest-
gestellt und erklärt. Den niedrigen und noch sinkenden Zins-
satz am Anfang der Akkumulation, der aber allmählich a n-
s t e i g t , bis er von einer gewissen Maximalhöhe, vom
z - P u n k t an, notwendig f a l l e n m u ß . Der allmählich bis zum
Ende der Akkumulationsphase (des Aufschwungs) stei-
gende Leihzins drückt sich im sinkenden Kurs dieser Staats-
papiere aus. Bricht am Ende des Aufschwungs die akute
Krise aus, und steigen die Zinssätze vorübergehend gewaltig
in die Höhe, so ist der Preissturz dieser Papiere auch groß.
„In Zeiten einer Klemme im Geldmarkt werden diese W e r t -
papiere also doppelt fallen: erstens, weil der Zinsfuß steigt, und
zweitens, weil sie massenhaft auf den M a r k t geworfen werden,
um sie in Geld zu realisieren 1 6 5 )." Bei den industriellen
Papieren tritt zu den beiden erwähnten Ursachen der Entwer-
t u n g noch eine dritte hinzu, weil möglicherweise durch Störung
des Reproduktionsprozesses die „Verwertung ( E r t r a g ) des
164) M a r x , K. IIL/2. S. 5.
165) Ebenda. — Im Oktober 1907 entlud sich in Holland ein furcht-
barer Kurssturz, der die Standardpapiere der Amsterdamer Börse binnen
weniger Tage um 50% und mehr entwertete. Auch in Deutschland
erlitten 1907 die Effektenanlagen eine ungeheure Entwertung. Die
Aktien der Großbanken sind um 20% und mehr zurückgegangen, von
führenden Montanpapieren sind Bochumer um 53%, Phönix um 42%,
Gelsenkirchener um 35%, Harpener um 22% gesunken. Hamburger
Paketfahrt zeigt einen Verlust von 42%, Norddeutscher Lloyd 27%. Vor
O r o s s m a n a , Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz usw.
— 242 —
Die Varianten.
2.Jahr*) I 140 000 + 51 000 + 35 750 + 12 000 + 3 250 = 242 000
II 80 000 + 54 000 + 4 2 0 0 0 + 10000 + 2 0 0 0 = 188000
220000 + 105 000 + 77 750 + 22000 + 5 250 = 430000
W e r t des
c v k ac av Jahres-
produkts
2.Jahr 0 ) 1110000 + 66 000 + 38 750 + 22000 + 5250 = 242 000
II 1 1 0 0 0 0 + 39000 + 3 9 0 0 0 + 0 + 0 = 188000
Wert des
c v k ac av Johres-
Produkts
3.Jahr d ) 1130 000 + 68 100 + 38 289 + 24 200 + 5 511 = 266200
II 112000 4- 42150 + 4 2 1 5 0 + 0 + 0 = 196 300
242000 + 110250 + 80 539 + 24 200 + 5 511 = 462 500
177) R. L u x e m b u r g , 1. c. S.94.
— 252 —
d e n W a r e n m a s s e n n i c h t b e s t e h t . So sehen wir,
daß im 2. J a h r im Falle 2a) in jeder Abteilung Waren im W e r t e
von 90000, im Falle 2g) im W e r t e von 96 756, im Falle 2f)
104000, in 2b) 106000, in 2c) 110000 auf den Markt gelangen,
obwohl in allen diesen Fällen die Größe des Produktions-
apparates dieselbe ist. Im dritten Produktionsjahr wurden
im Falle 3a), obwohl der Produktionsapparat doch ge-
wachsen ist, Waren im W e r t e von bloß 94150 auf dem
Markt ausgetauscht, also weniger als der Warenumsatz
beim kleineren Produktionsapparat des vorigen Jahres im
Falle 2g) betragen hat. Im übrigen besteht auch hier die-
selbe Umsatzverschiedenheit bei derselben Größe des Produk-
tionsapparates. Es gelangen in jeder Abteilung im Falle 3a)
94 150, im Falle 3c) 112 000, im Falle 3b) 136 150 auf den Markt.
Dasselbe gilt vom 4. Produktionsjahr. Es gelangen in jeder
Abteilung: in 4a) 96000, in 4c) 138 600, in 4b) 162000 auf den
Markt.
Daraus entsteht die F r a g e : Wie ist das möglich, wie kann der
Produktionsapparat von identischer Gesamtgröße und iden-
tischer Zahl der beschäftigten Arbeiter Warenmassen von ver-
schiedener W e r t g r ö ß e auf den Markt w e r f e n ? Die Antwort
ergibt sich von selbst, wenn wir die verschiedenen Varianten
des Schemas in jedem J a h r näher betrachten werden. Es zeigt
sich, daß, j e g r ö ß e r d a s k o n s t a n t e K a p i t a l d e r
A b t e i l u n g I, u m s o k l e i n e r d i e a u f d e n M a r k t
gelangende Warenmasse.
Konstantes Warenumsatz
Kapital jeder Abteilung
2. Jahr 140000 90000
134000 96 756
132 000 104000
120000 106 000
110000 110000
Konstantes Warenumsatz
Kapital jeder Abteilung
4. J a h r 186 000 96 000
154 000 138 600
120000 162 000
212) 1. c. S. 360.
213) 1. c. 334, S. 192. — Auf der Züricher Tagung des Vereins für
Sozialpolitik, 1928, führte S o m b a r t aus, „daß eine Tendenz zur Ver-
langsamung des wirtschaftlichen Prozesses vorhanden ist, die eintritt
infolge von verringerter Kapitalakkumulation, infolge der Verlangsamung
— 266 —
230) 1. c.
231) M a r x , Kapital, I I I / l . S.232.
232) Wir sehen, daß die Widersprüche, von welchen M a r x hier spricht,
ganz k o n k r e t e n Charakter haben, es sind Widersprüche zwischen
— 275 —
Theorie T u g a n-B a r a n o w s k y s . D a ß d a s M a r x s c h e
Schema, allein betrachtet, in d e r T a t e i n e
s o l c h e A u s 1 e g u n g z u l ä ß t , beweist der bloße Umstand,
daß M a r x nach seinen eigenen wiederholten und ausdrück-
lichen Feststellungen es überhaupt unternimmt, den Akkumula-
tionsprozeß des Gesamtkapitals in einer Gesellschaft darzustel-
len, die lediglich aus Kapitalisten und Arbeitern besteht" 239 ).
Rosa L u x e m b u r g w a r der Meinung, daß „M a r x speziell
in der Akkumulationsfrage eben nicht über die Aufstellung
einiger Schemata und den A n f a n g ihrer Analyse hinausgegan-
gen ist, was gerade den Ansatzpunkt ihrer Kritik bildete" 24 °).
Eine g r ö ß e r e Entstellung des Marxschen methodologischen
Gedankens kann man sich kaum mehr vorstellen. W i r haben
gezeigt, daß nach dem M a r x sehen Akkumulationsgesetz die
Akkumulation eben nicht schrankenlos, „so ad infinitum im
Kreise" fortgesetzt werden kann. Weil aber Rosa L u x e m -
b u r g glaubte, daß aus dem M a r x sehen Reproduktions-
schema tatsächlich die Möglichkeit der schrankenlosen Akku-
mulation ad infinitum sich ergibt, d a ß T u g a n und H i 1 f e r-
d i n g und später Otto B a u e r diesen Gedanken r i c h t i g aus
dem Schema herausgearbeitet haben, hat sie das M a r x sehe
DrittesKapitel.
Modifizierende Gegentendenzen.
(Verifikation der abstrakten theoretischen Analyse an den
konkreten Erscheinungen der kapitalistischen Wirklichkeit).
t e n d e n K a p i t a l a k k u m u l a t i o n w i r k t , wenn auch
diese Ergebnisse einen provisorischen Charakter haben.
M a r x w a r sich des a b s t r a k t e n provisorischen Charakters
seines Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetzes durchaus
bewußt. Nachdem er in dem b e r ü h m t e n Abschnitt des I. Ban-
des des „Kapital" über die geschichtliche Tendenz der Kapital-
akkumulation „das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalisti-
schen Akkumulation" dargestellt hat, sagt er unmittelbar da-
rauf : „Es wird gleich allen anderen Gesetzen i n s e i n e r
V e r w i r k l i c h u n g durch m a n n i g f a c h e U m s t ä n d e
m o d i f i z i e r t , deren Analyse nicht hierher g e h ö r t 2 ) . " Und
zwar, sagt M a r x an anderer Stelle, bei der Darstellung des
Prozesses der Kapitalakkumulation: „Würde dieser Prozeß bald
die kapitalistische Produktion z u m Zusammenbruch
bringen, wenn nicht w i d e r s t r e b e n d e T e n d e n z e n be-
ständig wieder dezentralisierend neben der zentripetalen K r a f t
w i r k t e n " 3 ) . Die Analyse dieser „modifizierenden Umstände" und
„widerstrebenden Tendenzen" wurde dann tatsächlich an ver-
schiedenen Stellen des III. Bandes des „Kapital", sowie in den
„Theorien über den M e h r w e r t " gegeben.
Aus diesem Sachverhalt ergibt sich auch für uns die Aufgabe,
— nachdem w i r zunächst die Wirkungstendenzen des Akkumu-
lationsgesetzes in seiner r e i n e n F o r m gezeigt haben —,
nachträglich die bisher nicht berücksichtigten konkreten Um-
stände, unter welchen die Kapitalakkumulation faktisch erfolgt,
zu prüfen und zu untersuchen, inwieweit dadurch die Verwirk-
lichung der Tendenzen des reinen Gesetzes modifiziert wird.
Es m u ß also g e f r a g t werden, ob und nach welcher Richtung die
Entwicklungstendenzen unseres „reinen" Systems geändert
würden, wenn wir in dieses System sukzessive den Außenhan-
del, die Klasse der Grundrentenempfänger, der Kaufleute, die
Mittelklassen einfügten, wenn wir die Höhe der Mehrwertrate,
des Arbeitslohnes usw. variieren würden. E r s t durch die Berück-
sichtigung dieser nachträglichen K o r r e k t u r e n wird die abstrakte
Untersuchung stufenweise an die konkrete Erscheinungswelt
angenähert und die V e r i f i k a t i o n des Zusammenbruchs-
2) M a r x , K. I. 662.
3) M a r x , K. III/l, S. 228.
— 289 —
7) M a r x , K. III/2, S.51.
19*
— 292 —
8) M a r x , K. III/2, S.27.
9) W. S o m b a r t , Der moderne Kapitalismus. III/2 (1927), S. 568.
i s t . . . der U n t e r n e h m u n g s d r a n g . . . Dieser Unternehmungs-
drang, der immer als Wille zum Erwerbe erscheint, ä u ß e r t sich
sowohl bei den industriellen und kommerziellen Unternehmern,
wie bei den Kreditgebern, den Banken, die einer dem anderen
Mut zusprechen. Man ist der stillen Zeiten müde. H o f f n u n g s -
freudige Stimmungen kommen wieder auf. Man will endlich
wieder etwas w a g e n 1 0 ) . " J e t z t endlich wissen wir, wie die
Krise überwunden werden k a n n !
Aber auch die Feststellungen, daß wir es in der Krise mit einer
E r k r a n k u n g zu tun haben " ) , nützen wenig, wenn man keine
klare Auffassung über die U r s a c h e n der E r k r a n k u n g hat.
Müssen doch die zur Überwindung der Krankheit erforder-
lichen Heilmittel engstens mit der Diagnose der Krankheits-
ursachen zusammenhängen! J e nachdem man die Krisenur-
sache in der geringen K a u f k r a f t , der „Unterkonsumtion" der
Massen, in der „Disproportionalität" der einzelnen Produk-
tionszweige, oder in dem Mangel an Kapital erblickt, werden
auch die Auffassungen über die Art der Überwindung der Krise,
über die Heilmittel verschieden sein. W e n n man die Krisen-
ursachen in denUnfertigkeiten des Notenbankwesens oder in den
Mängeln des Nachrichtenwesens, also im mangelnden Überblick
über die wirtschaftliche Situation oder in der steigendenArbeits-
teilung ( K a u t s k y ) sieht, dann m ü ß t e man bestrebt sein,
durch Verbesserungen auf diesen Gebieten die Krisen zu über-
winden und neuen Krisen vorzubeugen usw. Die Tatsachen
sagen uns aber etwas ganz anderes. Die Krisen w e r d e n
überwunden, ohne daß die Unterkonsumtion der Massen ver-
schwunden wäre, ohne daß die Arbeitsteilung kleiner gewor-
den wäre und sogar bei vermehrter Arbeitsteilung; sie
werden überwunden, ohne daß das bestehende mangelhafte
Nachrichtenwesen oder Notenbankwesen verbessert würde.
19) l.c.S.51.
20) l.c.S.90.
21) l . c . S . 131.
22) K. K a u t s k y , Die materialistische Geschichtsauffassung. 1927.
II. 554/55.
— 301 —
A u s d e h n u n g d e s P r o d u k t i o n s u m f a n g e s , welche
f ü r die Hochkonjunktur charakteristisch ist, ist nach L. erst
das Ergebnis der Preissteigerung. „ V e r ä n d e r u n g e n d e r
P r o d u k t i o n e r f o l g e n e r s t n a c h Ä n d e r u n g e n in
d e n P r e i s e n 2 4 ) . " Die ganze weitere Analyse L e d e r e r s
ist durch diesen Ausgangspunkt bedingt. Er f r a g t nämlich:
Wie kann eine allgemeine Preissteigerung erfolgen? Wenn
keine Änderungen auf der G e 1 d s e i t e stattfinden, oder was
dasselbe ist, wenn nur Ersparnisse zum Einkauf dienen können,
die aus dem wirtschaftlichen Kreislauf selbst entspringen, so
bedeutet das, daß „im Ganzen der Volkswirtschaft nicht mehr
Geld ausgegeben wird als eingenommen wurde". U n t e r dieser
Voraussetzung kann nach L. keine a l l g e m e i n e Preisstei-
g e r u n g erfolgen. „Wenn nämlich als nachfragende K a u f k r a f t
nur die aus den v e r k a u f t e n W a r e n erlösten Geldbeträge zur
V e r f ü g u n g ständen, so würde auch Beschleunigung des Umlaufs
usw. keine allgemeine Preisbewegung bewirken können**)."
Daraus ergibt sich, daß allgemeine Preissteigerungen nur durch
Änderung auf der W a r e n - (Angebot-) Seite erfolgen könnten,
weil nach L e d e r e r sich „die Preissumme nur bei verminder-
ter oder vermehrter Produktion ändern kann". „Aber — sagt
L. weiter — s o l c h e V e r ä n d e r u n g e n d e r P r o d u k -
t i o n e r f o l g e n w i e d e r u m erst nach Ä n d e r u n g e n
i n d e n P r e i s e n." So sieht hier L e d e r e r einen circulus
vitiosus, der in der Wirklichkeit nur dadurch unterbrochen wird,
„daß an einer Stelle des Zirkulationsprozesses eine n e u e Kauf-
k r a f t s u m m e in Erscheinung tritt". Diese, durch den zusätz-
lichen Kredit geschaffene neue K a u f k r a f t bewirkt dann „eine
gleichzeitig wachsende Nachfrage auf allen Gebieten und damit
allgemeine Preissteigerung" 26 ). Der Aufschwung t r i t t eben ein,
wenn durch die Z u f ü h r u n g der zusätzlichen K a u f k r a f t die
Nachfrage und weiterhin auch die Preise steigen. So gelangt
L e d e r e r zum E r g e b n i s : „Wenn man diese Überlegungen
ganz abstrakt f a ß t und die Reibungsmomente, die in einer
Volkswirtschaft immer gegeben s i n d , . . . wenn man alle die
a) Uhren 8, Tische 2, H ü t e 1,
b) Uhren 12, Tische 4, H ü t e 3.
Der Preis der Uhren stieg um die Hälfte, derjenige der Tische
hat sich verdoppelt, endlich jener der Hüte verdreifacht. Im
Falle a) konnte man f ü r den W e r t e i n e r U h r 4 Tische und
8 H ü t e kaufen. Im Falle b), also nach erfolgter „allgemeiner"
Preissteigerung, kann man mit dem W e r t e i n e r Uhr bloß
3 Tische und 4 H ü t e kaufen. Die Uhren sind jetzt im Verhältnis
zu den Tischen und noch mehr im Verhältnis zu den Hüten
b i l l i g e r geworden. Wenn die Lohnerhöhung, wie dies
L e d e r e r selbst feststellt, hinter der allgemeinen Preissteige-
r u n g der übrigen W a r e n zurückbleibt, so heißt das, daß die
W a r e Arbeitskraft im ökonomischen Sinn b i l l i g e r geworden
ist. Allgemeine Preissteigerungen kann es nicht geben, und
mit dieser Feststellung fällt die Grundlage der ganzen L e -
— 305 —
32) „Es sind zwar die Perioden, worin Kapital angelegt wird, sehr ver-
schiedene und auseinanderfallende. Indessen b i l d e t d i e Krise
immer den A u s g a n g s p u n k t einer großen Neuanlage.
Also — auch — die ganze Gesellschaft betrachtet — mehr oder minder
eine n e u e m a t e r i e l l e G r u n d l a g e für den nächsten Umschlags-
zyklus." ( M a r x , K. II. 164.) — Nach den neuesten Erfahrungen in den
Ver. Staaten, wo seit 1925 ein Aufschwung bei s i n k e n d e n Preisen
stattfand, bemüht sich L e d e r e r in seiner neuesten Arbeit insoweit über
diese Schwierigkeiten hinwegzukommen, daß er zwar nur die Konjunk-
turen als Folge von Preissteigerungen behandelt, dabei aber vorsichtiger-
weise die Einschränkung macht: „Wenn man von der S p i e l a r t d e r
K o n j u n k t u r b e i f a l l e n d e n P r e i s e n , die an das Eintreten all-
gemeiner, großer Kostenkompressionen geknüpft sind, absieht." (Lederer,
Zur Morphologie der Krisen, in „Die Wirtschaftstheorie der Gegenwart",
Wien 1928. Bd. IV. 2.) Warum soll man aber davon absehen ? Weil das
für L e d e r e r unbequem ist ? Jetzt sind die Konjunkturen bei fallenden
Preisen nur „eine besondere Spielart". Früher hieß es jedoch, daß Ver-
änderungen der Produktion n u r als Folge der Preissteigerungen eintreten
können.
G r o s s m a n n , Akkumulations. und Z u s a m m e n b r u c h s g e s e t z usw. 20
— 306 —
Nl u
F- " - •z
50c: 50v
40c: 60v
35c: 65v
25c: 75 v
150c:250v
Mit 150c sei die absolute Grenze der Akkumulation erreicht.
Infolge der Krise sind die Unternehmer gezwungen, zur
Reorganisation, d. h. zur „Rationalisierung" der Betriebe zu
schreiten. Es kommt z. B. zu einer Fusion der zwei g r ö ß t e n
Betriebe, wodurch die organische Zusammensetzung des fusio-
nierten Betriebes — sagen wir — im Verhältnis 7c :3v gewach-
sen ist. Der neue Betrieb mit 90c wird also nur 38v anwenden.
Die Arbeitskraft im W e r t e von 72v wird freigesetzt, es entsteht
die Reservearmee als Ergebnis der Rationalisierung. Nach voll-
endeter Fusion haben wir somit als Ergebnis des Konzentra-
tionsprozesses nur drei Betriebe:
90c: 38v
35c: 65v
25c: 75v
150c :178v
Daneben eine Reservearmee in der W e r t g r ö ß e 72v. Die Er-
höhung der organischen Zusammensetzung f ü r den fusionierten
Betrieb bedeutet aber eine Wiederherstellung seiner Renta-
bilität auch bei dem nun niedrigeren Preisniveau II. Erstens,
weil die höhere organische Zusammensetzung des Kapitals eine
Steigerung der Produktivität der Arbeit, also eine Verminderung
der Kosten pro Wareneinheit bedeutet. Zweitens, weil Er-
höhung der Produktivität der Arbeit zugleich eine Steigerung
der Mehrwertrate heißt. In dem Maß, wie auch die übrigen Be-
triebe zur Rationalisierung schreiten, wächst parallel damit infolge
der S t e i g e r u n g d e r M e h r w e r t r a t e die M a s s e des
erzielbaren Gesamtmehrwerts der Gesellschaft, ganz abgesehen
von der Tatsache, daß mit jedem J a h r eine neue zusätzliche
Arbeitergeneration auf dem Arbeitsmarkt erscheint, wodurch
gleichfalls die Masse des verfügbaren gesellschaftlichen Mehr-
w e r t s absolut wächst und daher sich auch die zulässige Ma-
ximalgrenze der Kapitalakkumulation ü b e r d i e b i s h e r i g e
H ö h e 150c erweitert.
— 309 —
32a) Nichts charakterisiert besser das quid pro quo in der marxistischen
Literatur als die Versuche, die Marxsche Krisenlehre als eine Unterkon-
sumtionstheorie darzustellen. Die Produktionserweiterung, das wichtigste
Mittel zur Uberwindung der Krisen, wird als die U r s a c h e der Krisen
hingestellt. (Vgl. N a c h i m s o n , Die Weltwirtschaft vor und nach dem
Kriege. Berlin 1922. Bd. I. 28.) Die Krisen entstehen aus der Unter-
konsumtion der Massen und aus der Disproportionalität zwischen den
einzelnen Zweigen der Produktion. Beide Momente wurden zwar bereits
vor M a r x gezeigt, aber die Marxsche Leistung soll darin bestehen, daß
er „diese beiden Momente vereinigt... und fest zusammengefaßt" hat.
(1. c. S. 29.) Dann aber bleibt noch immer die Schwierigkeit, die P e r i o -
d i z i t ä t der Krisen zu erklären. Zu diesem Zweck führt man dann noch
einen besonderen, dritten Erklärungsgrund, das fixe Kapital, an. Also: die
Krankheit tritt periodisch ein, aber die Ursachen der Krankheit sind nicht
die Ursachen ihres periodischen Erscheinens!
33) Die Störungen im deutschen Wirtschaftsleben. Schriften d. Ver.
f. Sozialpol. Bd. 108. Leipzig 1903. S.4.
— 310 —
34) 1. c. S. 5.
3 5 ) I.e. S . S .
36) I.e. S.7.
— 311 —
— 312 —
Daß auch hierin ein Mittel zur Überwindung der Krise liegt,
ist ohne weiteres klar. „Je nach dem verschiedenen Grad der
Geschwindigkeit, womit das Kapital seine W a r e n f o r m ab-
stößt und seine Geldform annimmt, oder je nach der Rasch-
heit des Verkaufs, wird d e r s e l b e Kapitalwert in sehr un-
gleichem Grad als Produkt- und Wertbildner dienen und die
Stufenleiter der Reproduktion sich ausdehnen oder verkür-
zen 6 4 )."
u n d zu s o n s t g l e i c h b l e i b e n d e n B e d i n g u n g e n
w i e P r e i s e n u s w . f o r t g e f ü h r t w i r d 8 9 ) , vermindert
sich die W e r t s u m m e des vorgeschossenen Kapitals." „So er-
scheint hiermit mehr disponibles Geldkapital auf dem M a r k t . "
. . . „Die Summen, die f ü r den Mechanismus überschüssig ge-
worden sind, werden definitiv auf den Geldmarkt hinausgewor-
f e n 7 0 ) . " Daraus ergibt sich, d a ß nach jeder Depressionsperiode
ein neues disponibles Kapital zur V e r f ü g u n g steht. „Kapita-
listen, die mit geborgtem Kapital arbeiten, werden weniger
Nachfrage auf dem Geldmarkt ausüben, was diesen ebenso er-
leichtert wie vermehrtes Angebot." Oder es „wird die P r o d u k -
t i o n e r w e i t e r t werden" 7 1 ). Andererseits wird durch die
Freisetzung eines Teils des Geldkapitals auch die V e r w e r -
t u n g des vorgeschossenen Gesamtkapitals b e e i n f l u ß t 7 2 ) ,
nämlich die P r o f i t r a t e erhöht, da nun derselbe Mehrwert f ü r
ein vermindertes Gesamtkapital berechnet wird. Die Frei-
setzung eines Teils des Geldkapitals ist somit auch ein Mittel
zur Überwindung der Krise.
So zeigt M a r x , d a ß sogar, wenn m a n von der Voraus-
setzung eines Gleichgewichts ausgeht, wo die Nachfrage und
das Angebot sich entsprechen, dennoch „eine Plethora von
Geldkapital entstehen k a n n . . . in dem Sinn, d a ß f ü r die Betrei-
bung des gesamten gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses
. . . ein bestimmter Teil des vorgeschossenen Kapitalwerts
ü b e r f l ü s s i g und daher in der F o r m von Geldkapital aus-
69) Die hier dargestellte M a r x sehe Auffassung muß um so stärker
betont werden, als die Tatsache der Freisetzung des Geldkapitals in der
Depressionszeit durch H i l f e r d i n g falsch erklärt wird. Während
M a r x mit Nachdruck die Freisetzung des Geldkapitals auch bei gleich-
bleibender Stufenleiter der Reproduktion betont, ist es für H i l f e r d i n g
„durch die E i n s c h r ä n k u n g der Produktion freigesetztes Geldkapital,
das früher zur Bewerkstelligung der Umsätze gedient hat und bei der
V e r r i n g e r u n g der Produktion überflüssig geworden ist". (Finanz-
kapital, S. 353.)
70) M a r x , K. II. 267.
71) 1. c. — An anderer Stelle sagt darüber M a r x : „Es ist gezeigt
worden, daß die Verkürzung der Umschlagsperiode erlaubt... mit dem-
selben Geldkapital mehr produktives Kapital in Bewegung zu setzen."
(K. II. 347.)
72) M a r x , K. II. 240.
— 326 —
95) M a r x , K. I. 639.
96) M a r x , K. I I I / l , S.217.
— 335 —
117) 1. c. S. 162.
118) M a r x , Mehrwerttheor. III. 2.
119) 1. c. III, 95.
120) 1. c. III, 448.
— 344 —
T a b e l l e XI.
Industrie: Wert Preis Differenz Durchschnitts-
profitrate (p)
I 80c + 20v + 20m = 120 150 + 30 50
II 60c + 40v + 40m = 140 150 + 10 50
III 40c + 60v + 60m = 160 150 — 10 50
IV 20c + 80v + 80m = 180 150 — 30 50
200c + 200v + 200m = 600 600 0 50
131) 1. c. S. 270.
132) Q u e s n a y , Analyse du Tableau Economique. (Physiocrates, ed,
Daire, Paris 1846. I. 73.)
133) Voss. Zeitung, 18. 1. 1928. — Vgl. A. R e i c h w e i n , Die Rohstoff-
wirtschaft der Erde, Jena 1928. S. 135.
134) R e i c h w e i n , I.e. S.265.
— 350 —
140) 1. c. S. 239.
141) 1. c. S. 228.
142) Magazin d. Wirtschaft, 1927, S. 1564. „Frankf. Ztg." v. 22. IV. 1928.
143) B . H a r m s , Strukturwandlungen der deutschen Volkswirtschaft.
Berlin 1928, II. 127, 137/38.
— 353 —
wächst, ist dies nicht sichtbar; sie wird aber um so stärker zum
Vorschein kommen von dem Moment an, wo die V e r w e r t u n g
mit dem Fortschritt der Akkumulation unzureichend wird.
165) M a r x , K. I. 462.
166) 1. c. S.646. — J. T a k a t ä behauptet zwar in dem bereits
erwähnten Aufsatz „Antikritik der Marxschen Bevölkerungstheorie", daß
die erwähnten Zwischenpausen statt sich abzukürzen vielmehr länger
werden, weil das Vordringen von Monopolorganisationen, die Herrschaft
von Trusts und Kartellen den Zwang zur beständigen Änderung der
Technik abschaffen. T a k a t ä vergißt nur, daß auf Basis des Kapitalis-
mus vollständige Monopole unmöglich sind, weil im Hintergrunde einer
jeden Monopolorganisation die latente Konkurrenz des Outsiders oder
eines event. Ersatzproduktes lauert, daß übrigens die Technik nicht durch
die Verhältnisse einer nationalen Monopolorganisation, sondern durch
die Rücksicht auf die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt bedingt ist.
— 363 —
170) M a r x , K. I I I / l , S.230.
171) M a r x , K. III/l, S.222.
172) M a r x , K. III/l, S.229.
— 367 —
173) 1. c. S. 231.
174) „Zweitens aber bedeutet Zerstörung des Kapitals durch die Krisen
E n t w e r t u n g v o n W e r t m a s s e n . . . Damit werden keine Gebrauchs-
werte zerstört. Was der eine verliert, gewinnt der andere . . . Die alten
Kapitalisten machen bankrott... obgleich der Käufer dieser Waren, da
er sie zu der Hälfte ihres Produktionspreises erstanden... profitieren
kann. Ein großer Teil des nominellen Kapitals der Gesellschaft, das ist
des T a u s c h w e r t s des existierenden Kapitals, ist ein für allemal ver-
nichtet, obgleich gerade diese Vernichtung, d a s i e d e n G e b r a u c h s -
— 368 —
186) M a r x , K. I I I / l , S.214.
187) 1. c. S. 214.
188) 1. c. S. 225.
189) M a r x , Mehrwerttheor. II/l, S.244. Ähnlich bereits im I. Band
des „Kapital". „Die Masse des produzierten Mehrwerts . . . ist bestimmt
durch das zusammengesetzte Verhältnis zwischen der A n z a h l der von
demselben Kapitalisten gleichzeitig exploitierten Arbeitskräfte und dem
Exploitationsgrad der einzelnen Arbeitskraft" (I, 299). „Bei gegebener
Länge des Arbeitstages,... kann die M a s s e des Mehrwerts nur ver-
mehrt werden d u r c h V e r m e h r u n g d e r A r b e i t e r z a h l , d. h.
der Arbeiterbevölkerung. Das Wachstum der Bevölkerung bildet hier
die m a t h e m a t i s c h e G r e n z e f ü r P r o d u k t i o n d e s M e h r -
w e r t s durch das gesellschaftliche Gesamtkapital" (I. 304).
— 376 —
beiter wuchs in einem viel rascheren Tempo als die der männ-
lichen. Es ist geradezu eine Revolution. Wir stehen vor dei"
erschütternden Tatsache, daß in einem Maße, wie m a n es früher
niemals f ü r möglich gehalten hätte, jetzt auch die Frauen und
Mädchen in Deutschland zu A r b e i t s b i e n e n geworden sind,
wie es die Männer schon seit langem waren. Bis Ende 1913 w a r
die Zahl der weiblichen Beschäftigten genau die der männlichen,
sie w a r schon annähernd anderthalbmal so groß wie 1905."
Das verfügbare Menschenreservoir wird so noch stärker
ausgenützt. Nach der Berufs- und Betriebszählung von 1925
ist die Zahl der E r w e r b s t ä t i g e n noch weiter gestiegen und be-
t r u g bereits 51,3% der Gesamtbevölkerung 1 9 4 ).
Es ist aber klar, d a ß auf diesem W e g e nicht viel mehr heraus-
zuholen ist. Man kann nicht die Kinder und Greise in den Pro-
duktionsprozeß einstellen. Die verfügbaren eigenen Menschen-
reserven nähern sich unerbittlich der Erschöpfung. Mit Beun-
ruhigung sieht m a n der Z u k u n f t entgegen. „Wenn die dauernde
Zunahme der Produktionskapazität der deutschen Wirtschaft
in den letzten J a h r z e h n t e n — l e s e n wir in den „Viertel jahrsheften
zur K o n j u n k t u r f o r s c h u n g " — h a u p t s ä c h l i c h a u f d e r
Grundlage desWachstums der Bevö1kerun g
möglich war, w o b e i s t ä n d i g neue M a s s e n von
A r b e i t s k r ä f t e n a b s o r b i e r t w u r d e n , so liegt der
Gedanke nahe, daß schon ein Stillstehen der Zahl der E r w e r b s -
tätigen die weiteren Ausdehnungsmöglichkeiten der W i r t s c h a f t
in F r a g e stellen w ü r d e 1 9 5 ) . " In einem Aufsatz „Bevölkerungs-
entwicklung und W i r t s c h a f t " sucht das Institut f ü r Konjunk-
turforschung die zukünftige Gestaltung des Arbeitsmarktes in
Deutschland zu berechnen. Die deutsche Bevölkerung, heißt es
weiter, ist trotz der Verluste, die durch den Krieg eingetreten
sind, weiterhin im W a c h s t u m begriffen. Der deutschen W i r t -
schaft stehen A n f a n g 1928 etwa 33,1 Millionen Erwerbstätige
zur Verfügung, d. h. rund 5 Millionen m e h r als bei Ausbruch des
Krieges. Aber die Aussichten f ü r die Z u k u n f t sind ungünstig.
„In den folgenden J a h r e n ist mit einem jährlichen Anwachsen
der Bevölkerungszahl um rund 300000 bis 400 000 Personen
194) Wirtschaft und Statistik. 1927. S.447.
195) 3. Jahrg. 1928. Heft 1. Teil A. S. 34.
— 379 —
209) 1. c. S. 210.
210) 1. c. S. 213.
211) 1. c. S. 210.
212) W. S o m b a r t, Der moderne Kapitalismus. III./2. (1927), S. 577.
213) 1. c. S. 1011.
214) 1. c. S. 1012.
O r o s s m a n n , Akkumulations- und Z u s a m m e n b r u c h s g e s e t z u s w . 25
— 386 —
h ö r t s i c h zu v e r m e h r e n , o d e r g a r a n M e i i g e ab-
nimmt215)."
Aber S o m b a r t ist sich der Konsequenzen nicht bewußt, die
eine stationäre Bevölkerung f ü r den Kapitalismus nach sich
zieht. E r meint, d a ß der Kapitalismus nach der Sturm- und
Drangperiode nun in das ruhige, besonnene Entwicklungstempo
des Alters eintreten würde. Damit verkennt S o m b a r t die
wesentlichsten Grundlagen und Bedingungen der kapitalisti-
schen Produktion. Der Kapitalismus ist kein einheitliches Ge-
bilde, vielmehr eine Vielheit miteinander konkurrierender Na-
tionalwirtschaften. Die beständige Ü b e r f ü h r u n g des Kapitals zu
einer höheren organischen Zusammensetzung ist daher eine
notwendige Bedingung und Voraussetzung f ü r einen erfolg-
reichen Kampf auf dem W e l t m a r k t . Die Höhe der erforder-
lichen organischen Zusammensetzung ist jederzeit von den Be-
dingungen des W e l t m a r k t e s abhängig und wird von ihr diktiert.
Daraus ergeben sich sehr wichtige Folgerungen f ü r die Größe
der in einer gegebenen Nationalwirtschaft erforderlichen Kapi-
tale. Bei einer organischen Zusammensetzung 50c:50v sind,
wenn der Lohn pro Arbeiter 1 £ beträgt, 2000 £ erforderlich, um
1000 Arbeiter zu beschäftigen. Ist aber die organische Zusam-
mensetzung auf 90c :10v gestiegen, so braucht man zur Beschäf-
t i g u n g von 1000 Arbeitern 10000 £. W o h e r soll aber dieser
gewachsene Kapitalbetrag genommen werden ? Auch bei wach-
sender Bevölkerung ist die Quelle der Neubildung von Kapital
— der M e h r w e r t — bald erschöpft, und der „Mangel an Kapi-
tal" bildet den Gegenstand ständiger Klage der bürgerlichen
Theorie und Praxis. Bei stationärer oder gar abnehmender
Bevölkerung ist an die A u f b r i n g u n g des erforderlichen Mehr-
w e r t s gar nicht zu denken. Da aber die Höhe der organischen
Zusammensetzung des Kapitals bei einem in die Weltwirtschaft
eingeflochtenen Organismus gegeben ist, so ist es klar, daß
nicht die ganze Bevölkerung in den Produktionsprozeß einge-
stellt werden kann, daß mit dem Übergang zu immer höherer
organischer Zusammensetzung des Kapitals ein stets wachsen-
der Teil der Bevölkerung in die Reihen der Reservearmee
g e d r ä n g t würde. F ü r einen in die Weltwirtschaft eingefloch-
215) 1. c. S. 1014.
— 387 —
sein, wenn die Regierung darauf sehen wolle, „daß alle Ein-
geborenen irgend einer Beschäftigung nachgehen". 1925 er-
mächtigte die Regierung zwei Privatgesellschaften, an die V e r -
w a l t u n g von Portugiesisch-Ostafrika heranzutreten, um dort
Arbeiter anzuwerben. Man will Landarbeiter mit langfristigen
Verträgen nach Kenya einführen 236 ).
„In großen Teilen Afrikas — berichtet Otto C o r b a c h im
Berliner Börsen-Courier vom 9. 5. 1928 — werden die Neger,
wie einst die Indianer, in immer engere Reservate zurückge-
d r ä n g t . . . In Kenya sind nahezu 5 Millionen acres reserviert,
um von den W e i ß e n besiedelt zu w e r d e n . . . In Wirklichkeit
handelt es sich nur darum, d a ß den Schwarzen das Land nicht
zur V e r f ü g u n g steht, auf dem sie dem Zwange, um jeden Lohn
auf Plantagen W e i ß e r zu arbeiten, ausweichen könnten." T a t -
sächlich „sind sie in immer g r ö ß e r e n Massen gezwungen, ihre
Arbeitskräfte gegen Hungerlöhne an europäische Unterneh-
mer zu v e r k a u f e n ; dabei gibt es im ganzen Lande nicht so
viel schwarze Arbeitskräfte, wie nötig wären, weißen Besitzern
zu helfen, diese Fläche zu bestellen".
Der Zuckerproduktion in der D o m i n i k a n i s c h e n R e -
p u b l i k macht die Knappheit von A r b e i t s k r ä f t e n besondere
Schwierigkeiten 237 ). Die von England auf die Zuckerproduktion
G u y a n a s gesetzten H o f f n u n g e n haben sich nicht erfüllt. Der
empfindliche Mangel an A r b e i t s k r ä f t e n konnte bisher auch
durch Förderung der Einwanderung aus Ostindien nicht beho-
ben werden 238 ). Ebenso wird auf den F i d s c h i - I n s e l n die
Ausdehnung der Zuckerkultur durch Arbeitermangel gehemmt.
Die Arbeiternot hat sogar schon zu Einschränkungen des An-
baus und Aufgabe ganzer Plantagen geführt. Mit dem weiteren
Rückgang der Produktion m u ß gerechnet werden. Sie b e t r u g
1913/14 100 000 t, 1918/19 80000 t, 1919/20 60 000 t, 1923/24
35 000 t 239 ).
Ähnliche Verhältnisse bestehen in B r a s i l i e n . Seit der
247) 1. c.
248) S o m b a r t, lc. II /2. S. 1004.
249) 1. c. S. 1027.
250) 1. c. S. 1135.
— 399 —
lieh 251 ). Bereits 1444 bilden sich Gesellschaften für den Handel
mit W e s t a f r i k a , und der Negerhandel der Portugiesen gewinnt
an Ausdehnung 2 5 2 ). 1448 wird das F o r t auf der Insel Arguin
errichtet. 1471 erreichen die Portugiesen die langersehnte
Goldquelle Oberguineas. In der Nähe der ergiebigen Gold-
gruben Aprobi (Little Commenda) w u r d e 1482 das Fort Emina
(St. Giorgio della Mina) erbaut. Beide F o r t s waren nichts
weiter als Stützpunkte f ü r den Handel mit Gold und Skla-
ven 2 5 3 ).
Die Spanier auf den C a n a r i s c h e n I n s e l n , die P o r t u -
giesen auf der 1419 entdeckten Insel M a d e i r a errichteten
Zuckerplantagen; das gleiche geschah auf den im Meerbusen
von Guinea liegenden Inseln St. Thomas, die von den P o r t u -
giesen 1472 besetzt wurden. „Die Entdeckungsreisen wurden
fortgesetzt, um immer mehr Gold und f ü r d e n P l a n t a -
g e n b a u S k l a v e n z u e r h a 11 e n 2 5 4 )." Bald wurde von
dort aus Z u c k e r a u f d i e e u r o p ä i s c h e n M ä r k t e g e -
b r a c h t . „Anfangs des 16. J a h r h u n d e r t s wurden in der Insel
St. Thomas ansehnliche Zuckerplantagen errichtet, in denen
viele Tausend Negersklaven arbeiteten; es gab hier Pflanzer,
die bis 3000 Negersklaven besaßen." Endlich wurden dann auch
seit dem Anfange des 16. J a h r h u n d e r t s von den Portugiesen
und Spaniern Negersklaven nach B r a s i l i e n u n d W e s t -
i n d i e n gebracht 265 ).
Menschenarbeit und Natur sind die zwei Elemente jeder
Produktion. Ging die koloniale Expansion in gewissen Gegen-
den vorwiegend wegen günstiger Klima- und Bodenverhältnisse
und Reichtums an Rohstoffen vor sich, auch wenn diese Länder
menschenarm waren, so w a r e n andere Kolonialländer vorwie-
gend Quellen der menschlichen Arbeitskraft. Zu den ersteren
gehörten Jamaica, Haiti, Portorico und Cuba, die B a h a m a s
dagegen boten „ n u r a l s m e n s c h l i c h e s J a g d g e b i e t
256) S u p a n, 1. c. S. 19.
257) M a r x , Mehrwerttheorie. II./2. S. 72.
258) 1. c.
259) W . R o s c h e r, Kolonien, Kolonialpolitik. Leipzig 1885.
— 401 —
weil sie mit den Rechten der früheren Bewohner nicht zähl-
t e n 2 0 0 ) . " Gegenüber den Indianern wurde die Rechtstheorie
des Feudalismus in Anwendung gebracht. „Nach dem indischen
Staatsrechte ( ! ) — sagt R o s c h e r —- war der Grund und
Boden aller Kolonien Domäne des Königs; daher auch die
Encomiendas, welche nur den Entdeckern und anderen hoch-
verdienten Männern verliehen w u r d e n 2 6 1 ) . " „Alles wahre
Eigentum sprach die Gesetzgebung den Indianern ab." „Schon
1499 f ü h r t e C o 1 u m b u s die sog. Repartimientos ein, indem er
das Land der Eingeborenen, welche selbst zur Frohnarbeit da-
rauf gezwungen wurden, u n t e r die Spanier verteilte." Anfangs
„hatten sich die Eroberer der Person der Indianer ganz regel-
los ( ! ) als Sklaven bemächtigt, wobei ihre Zahl bekanntlich mit
reißender Schnelligkeit a b n a h m " 262 ). Später wurde statt die-
ser „regellosen" Sklavenjagden, zur Befriedigung R o s c h e r s ,
dem jede Regellosigkeit v e r h a ß t ist, „das geordnete System
der Encomiendas eingeführt, nach dem die Indianer an die
Scholle gefesselt und nur mit dieser, o f t zu H u n d e r t e n von
Familien, lehensweise an Offiziere, Juristen, Klöster usw. ver-
teilt wurden. A u ß e r Frohnden, insbesondere zum Behuf des
Bergbaues, m u ß t e jeder Eingeborene einen jährlichen Tribut
ü b e r n e h m e n . . . wovon drei Viertel den Gutsherrn, der Rest
ihren Gemeindebeamten und Anstalten zuflössen" 2 6 3 ). S u p a n
meint, der erste Organisator Hispaniolas (Haitis), Bartholo-
meus C o 1 u m b u s, der Bruder des Entdeckers, w a r „unver-
mögend, die rohen Instinkte der arbeitsscheuen, beutegierigen
Kolonistenschar zu zügeln." Die schreckliche Behandlung trieb
die Eingeborenen zur Verzweiflung. Es kamen m a s s e n h a f t
Selbstmorde dieser Naturkinder vor, welche den Tod der Skla-
verei vorzogen. „Cette manie de se pendre par familles en-
tieres dans les cabanes et les cavernes, dont parle G a r c i-
1 a s s o, etait sans doute l'effet du desespoir. Cependant, au lieu
272) S u p a n , 1. c. S.41.
273) R o s c h e r , 1. c. S.29.
274) Auch später waren nicht die Absatzbedürfnisse, sondern das In-
teresse an der Mehrwertproduktion das treibende Motiv der Kolonial-
expansion. Bereits zu Anfang des 18. Jahrhunderts, zu L a w s Zeit, ist
zum erstenmal die Frage brennend geworden, ob das Festland von
Amerika England oder Frankreich gehören solle — eine Frage, die erst
durch den Siebenjährigen Krieg entschieden wurde. „Es ist ganz klar,
— schreibt im Oktober 1719 der englische Gesandte in Paris, Graf S t a i r s
an den Minister S t a n h o p e —, daß M r . L a w beabsichtigt, den Handel
Frankreichs auf den Trümmern des unsrigen und des holländischen Han-
dels zu heben." Die berühmte Mississippi-Gesellschaft hatte die Entwick-
lung der französischen Kolonie Louisiana zum Ziel. 1719 entdeckte der
Mineraloge D e l o c h o n am Mississippi Bleierz, das 12% reinen Silbers
enthalten sollte, d. h. 3% mehr als die Bergwerke Neu-Mexikos lieferten.
England war eifersüchtig, um so mehr, als Frankreich 1718/19 spanisches
Gebiet in Amerika gewann. Die Formen des Kampfes, der zwischen
England und Frankreich entbrannte, zeigen schon damals große Ähnlich-
keit mit den heute üblichen Methoden der Kolonialpolitik. Die Engländer
versuchten den Franzosen in Louisiana besonders durch Aufstachelung
verschiedener Indianerstämme zu schaden. Die Franzosen dagegen, welche
zu jener Zeit auch Kanada besaßen, also die Engländer ringartig um-
— 405 —
schlossen, drohten, die Engländer ins Meer zu werfen. Zur gleichen Zeit
klagte der englische Minister C r a g g s darüber, daß L a w die englischen
Fonds zu entwerten suche, indem er sie zu einem niedrigen Preise ver-
kaufe. (Wolfgang M i c h a e l , Der Südseeschwindel vom Jahre 1720. Vier-
teljahrschrift
275) R o s c hfür
e r ,Sozial- und Wirtschaftsgesch. Bd. VI. (1908.) S. 566.)
1. c. S.26.
276) S u p a n, 1. c. S. 38.41. — Vgl. S o m b a r t , Die Juden und das Wirt-
schaftsleben. Leipzig 1911. S. 34.
— 406 —
II. D e r Weltmarkt.
Wiederherstellung der Rentabilität durch die Beherrschung
des Weltmarktes. Die ökonomische Funktion des
Imperialismus.
Über die eigentliche ökonomische Funktion des Außenhandels
im Kapitalismus weiß die bürgerliche Nationalökonomie nichts
zu sagen. Sie geht über die deskriptiven Details nicht hinaus
und berichtet lediglich über dessen U m f a n g , Organisationsfor-
men, Spezialisierung usw. 310 ). Nicht weniger t r a u r i g ist aber
auch der Stand der Erkenntnis der Funktion des Außenhandels
in der bisherigen marxistischen Literatur.
Unter den vielen vereinfachenden Voraussetzungen, die der
M a r x s c h e n Analyse des Reproduktionsprozesses zugrunde lie-
gen, ist auch die Voraussetzung, daß der kapitalistische Mecha-
nismus als alleinbestehend, d. h. von allen Beziehungen nach
außen isoliert dargestellt wird. „Die Hereinziehung des aus-
wärtigen Handels bei Analyse des jährlich reproduzierten Pro-
duktionswerts kann also nur verwirren, ohne irgend ein neues
Moment, sei es des Problems, sei es seiner Lösung zu lie-
fern. Es ist also ganz davon zu abstrahieren 3 1 1 )."
Ist man über das Wesen des dem M a r x sehen W e r k e zugrunde
liegenden methodologischen Verfahrens im unklaren, dann ge»
langt m a n in theoretische Schwierigkeiten, deren Lösung un-
möglich erscheint. H a t doch M a r x selbst wiederholt die
kolossale Bedeutung des Außenhandels f ü r die Entwicklung des
Kapitalismus betont und bereits in „Zur Kritik" (1859) den
„ W e l t m a r k t " als einen der sechs Teile bezeichnet, die er zu
behandeln gedachte. Und obwohl der Aufbau des W e r k e s geän-
dert wurde, der Gegenstand selbst ist geblieben, und im „Kapi-
tal" wird die „Herstellung des W e l t m a r k t e s " zu den „drei
H a u p t t a t s a c h e n der kapitalistischen Produktion" gerech-
a) D i e B e d e u t u n g d e s A u ß e n h a n d e l s f ü r d i e
Steigerung der M a n n i g f a 11 i g k e i t der
Gebrauchswerte.
b) D i e A u s d e h n u n g d e s Absatzgebietes
als M i t t e l z u r V e r m i n d e r u n g d e r P r o d u k t i o n s -
und Z i r k u l a t i o n s k o s t e n .
Um die Bedeutung des Außenhandels und der Ausdehnung
der Absatzmärkte zu begreifen, braucht m a n durchaus nicht auf
die metaphysische Lehre von der „Realisierung des unabsetz-
baren M e h r w e r t s " zurückzugreifen. Sie beruht auf viel näher-
liegenden und einleuchtenderen Gründen. „Die Größe des
Wirtschaftsgebietes ist f ü r die Entwicklung der kapita-
listischen Produktion stets von g r o ß e r Bedeutung gewesen.
J e g r ö ß e r und bevölkerter ein Wirtschaftsgebiet, desto
g r ö ß e r kann die Betriebseinheit sein, desto geringer also
die Betriebskosten, desto s t ä r k e r auch die Spezialisation
innerhalb der Betriebe, was ebenfalls H e r a b s e t z u n g der
Produktionskosten bedeutet. J e g r ö ß e r das W i r t s c h a f t s -
gebiet, d e s t o eher kann der Standort der Industrien
dorthin verlegt werden, wo die günstigsten natürlichen
Bedingungen vorhanden, die Produktivität der Arbeit am
größten ist. J e ausgedehnter das Gebiet, desto mannigfal-
tiger die Produktion, desto wahrscheinlicher, d a ß sich die P r o -
duktionszweige untereinander ergänzen und Transportkosten
durch Einfuhr von außen erspart werden 3 2 5 )." Eine Industrie
wie die englische, welche bis zu den siebziger J a h r e n „die W e r k -
statt der W e l t " war, konnte durch diese Massenproduktion eine
Arbeitsteilung und dadurch eine Produktivitätssteigerung und
K o s t e n e r s p a r u n g durchführen, wie sie durch J a h r z e h n t e
hindurch sonst nirgends außerhalb Englands möglich w a r 326 ).
W ä h r e n d ursprünglich Weberei und Spinnerei vereint vor-
kamen, haben sie sich später getrennt. Es erfolgte örtliche
Spezialisierung. Burnley macht die gewöhnlichen Druckkattune,
Blackburn bekleidet Indien und China (sog. Dhooties, Tcloth),
Preston verfertigt feinere, u n g e m u s t e r t e Kattune. Die näher an
Manchester liegenden und in erster Reihe der Spinnerei dienen-
den Fabrikorte haben meist ihre Spezialität komplizierterer
325) R. H i 1 f e r d i n g, Das Finanzkapital, S. 390. Vgl. auch O . B a u e r ,
Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie. 2. Aufl. Wien 1924,
S. 178.
326) S c h u l z e - G ä v e r n i t z , Der Großbetrieb. Leipzig 1892. S.98.
— 425 —
c) D e r A u ß e n h a n d e l u n d d e r V e r k a u f der
W a r e n zu v o n i h r e n W e r t e n abweichenden
Produktionspreisen.
W i r haben bereits f r ü h e r darauf hingewiesen, daß unter den
vereinfachenden Voraussetzungen, welche dem M a r x sehen
Schema der Reproduktion, wie seiner theoretischen Analyse
überhaupt, zugrunde liegen, eine besonders wichtige Rolle der
— 429 —
b e u t e t d a s r e i c h e r e L a n d d a s ä r m e r e aus, selbst
wenn letzteres durch den Austausch gewinnt." In diesem Fall
kann im kapitalistischen Land „Profit durch Prellerei gemacht
werden, dadurch, daß der eine gewinnt, wenn der andere ver-
liert" 3 3 7 ). Es ist dies in bezug auf die Preisbildung auf dem
W e l t m a r k t dasselbe Prinzip, das die Preise innerhalb des
i s o l i e r t gedachten Kapitalismus regelt. Aber dieser letztere
ist bloß eine theoretische Hilfskonstruktion, und nur der W e l t -
m a r k t als Einheit verschiedener nationaler Wirtschaften ist
eine reale, konkrete Erscheinung, weil die Preisbildung der
wichtigsten Ausgangsstoffe und Endprodukte heutzutage welt-
wirtschaftlich, international, nicht lediglich national bestimmt
ist und wir nicht nationale Preisniveaus, sondern ein Welt-
marktsniveau haben. Wie i n n e r h a l b des isoliert gedachten
Kapitalismus die Unternehmer, die mit einer über den gesell-
schaftlichen Durchschnitt vorgeschrittenen Technik ausgerüstet
sind und ihre Waren zu den gesellschaftlichen Durchschnitts-
preisen verkaufen, e i n e n E x t r a p r o f i t auf Kosten jener
Unternehmer erzielen, deren Technik hinter dem gesellschaft-
lichen Durchschnitt zurückbleibt, ebenso w e r d e n a u f d e m
W e l t m a r k t die L ä n d e r mit der h ö c h s t e n tech-
n i s c h e n E n t w i c k l u n g Ü b e r p r o f i t e auf K o s t e n
derjenigen Länder erzielen, deren technische
und w i r t s c h a f t l i c h e E n t w i c k l u n g rückstän-
d i g i s t . M a r x weist darauf hin, daß diese Funktion des
Außenhandels eine ständige Begleiterscheinung der kapitalisti-
340) M a r x , K. I. 573ff.
341) M a r x , K. I. 536.
342) M a r x, K. IIL/1, S. 219. — Bereits J. St. M i l l sagt: „Wir können
im Handelsverkehr mit dem Auslande dessen Waren oft g e g e n g e r i n -
g e r e A u s g a b e a n A r b e i t u n d K a p i t a l e r h a l t e n , als diese
den Ausländern selbst zu stehen kommen. Aber auch für den Ausländer
ist dieser Verkehr noch vorteilhaft, weil die Ware, welche er im Austausch
erhält, obschon uns weniger, i h m doch mehr gekostet haben würde."
28*
— 436 —
d) B e d e u t e t d i e I n d u s t r i a l i s i e r u n g d e r k o l o -
nialen A g r a r l ä n d e r das Ende des Kapitalis-
mus? Die I n t e r n a t i o n a l i t ä t der W i r t s c h a f t s -
zyklen.
In der Industrialisierung der nichtkapitalistischen Länder
wollte die uns bekannte Theorie R. L u x e m b u r g s „den An-
fang vom E n d e " des Kapitalismus erblicken. Sie übernahm
einfach die Anschauungen, die in der bürgerlichen Theorie und
Praxis aus Furcht vor der erwachenden Konkurrenz der Neu-
länder verbreitet waren. Man sprach von der „gelben Gefahr".
B o c h e r hat in seinem Buche „La Fin de 1' E u r o p e " bereits
18% das Ende des europäischen Kapitalismus befürchtet und
die Konkurrenz des fernen Ostens sich so e r s t a r k t vorgestellt,
daß er bereits um 1900 seine Industrieprödukte auf dem Champ
de Mars auftauchen und die französischen Fabrikate verdrängen
sah. Er verkündete den „Hungertod Europas in absehbarer
Zeit, verursacht durch den Kampf gegen die Konkurrenz der
übrigen Welt". Ähnliche Gedanken entwickelte 15 J a h r e später
in Deutschland Gerhard H i l d e b r a n d , der in der Industria-
lisierung der Bauernländer, in den industriellen Fortschritten
Osteuropas und in der „gelben G e f a h r " die Erschütterung der
Industrieherrschaft Westeuropas und das Herannahen einer
weltwirtschaftlichen Krise voraussah 346 ). Durch die Indu-
strialisierung der Bauerngrundlage werden in den kapitalisti-
schen Staaten Westeuropas die Arbeiter freigesetzt und daher
„die Gefahr katastrophaler Umwälzungen" nahegebracht. Die
I r r t ü m e r dieser Auffassung springen in die Augen. Denn mö-
gen sich die nichtkapitalistischen Länder noch so sehr indu-
strialisieren, den kapitalistischen „Mutterländern" braucht
deshalb um ihre Existenz nicht bange zu werden, solange sie
ihren technischen und organisatorischen V o r s p r u n g zu
wahren imstande sind. Lehrreich sind in dieser Beziehung die
Ausführungen Prof. Theodor S t e r n b e r g s in einer Tokio-
ter Korrespondenz des „Berliner Tageblattes" (3. 12. 1927) in
bezug auf Japan. Die industrielle Entwicklung dieses Landes
Mill. Mk. %
I. Westeuropa . . . 5 272 52,2
II. Zentral-, Ost- und
Südosteuropa . . . 2 405 23,8
III. Amerika . . . . 1 547 15,4
IV. Asien 548 5,4
V. Afrika, Australien u.
sonstige Länder . 325 3,2
1097 100,0
Die größten Abnehmer waren also die hochkapitalistischen
Länder Westeuropas, wogegen die weniger entwickelten Län-
der von Ost- und Südosteuropa viel geringere Aufnahmefähig-
keit zeigen. Einen noch geringeren Grad der Entwicklung
zeigt der Absatz in den wenig kapitalistisch entwickelten Län-
350) S t e r n b e r g , 1. c. S.421.
— 445 —
„Da die Profitrate ~ = —r- (ist), so ist klar, daß alles, was
L CTV
einen Wechsel in der G r ö ß e von c und deswegen von C verur-
sacht, ebenfalls einen Wechsel in der P r o f i t r a t e hervorbringt,
auch wenn m und v und ihr gegenseitiges Verhältnis unver-
ändert bleiben. D e r R o h s t o f f b i l d e t a b e r e i n e n
H a u p t t e i l d e s k o n s t a n t e n K a p i t a l s . . . Fällt der
Preis des R o h s t o f f s . . . (so) steigt daher die Profitrate. Bei
sonst gleichen Umständen fällt und steigt die P r o f i t r a t e daher
in umgekehrter Richtung wie der Preis des Rohstoffs. Es
ergibt sich hieraus u. a., wie w i c h t i g f ü r i n d u s t r i e l l e
L ä n d e r d e r n i e d r i g e P r e i s d e s R o h s t o f f s i s t 3 5 8 )."
Von diesem Standpunkt beurteilt M a r x im polemischen Gegen-
satz zu R i c a r d o die Bedeutung des Welthandels. „Er affi-
ziert nämlich die Preise der in die Industrie oder Agrikultur
eingehenden Roh- oder Hilfsstoffe 3 5 8 )."
356) Besteht ein Monopol g e g e n ein Land, z. B. das Kautschukmono-
pol der Engländer gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, dann wird
die aus der technisch-wirtschaftlichen Überlegenheit Amerikas erfolgende
Wertübertragung künstlich geschwächt und verlangsamt.
357) Wirtschaftsdienst, 1926. I. 775.
358) M a r x , K. III./1., S.82.
359) 1. c. S. 83.
27*
— 452 —
375) Seit Anfang des 19. Jahrhunderts fiel der Preis der Baumwolle
ununterbrochen bis zum Ende des Jahrhunderts, mit Ausnahme der
Zeit des Bürgerkriegs und der ihm folgenden Jahre. Er betrug (in Cents
pro Pfund) :
1800/09 22 1840/49 12,3
1810/19 20,5 1850/59 11,3 1880/80 10,7
1820/29 12,5 1860/69 44,9 1890/99 7,1
1830/39 12,4 1870/79 14,7
Seit der Jahrhundertwende steigen die Preise konstant:
1900/09 10,2
1910/19 17,5
1914/23 21,2
— 462 —
376) A. R e i c h w e i n, 1. c. S. 242.
377) S. N e a r i n g und J . F r e e m a n , Dollar-Diplomatie. Berlin 1927.
S. 31. — Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat sich der Charak-
ter der Einfuhr der Ver. Staaten bedeutsam geändert. 1850 bildeten Roh-
stoffe für die Fabrikation nur 6,8% der Gesamteinfuhr, während die Fertig-
und Halbfabrikate über 82% ausmachen, davon die Fertigfabrikate für den
unmittelbaren Verbrauch 54,9%. Der völlige Umschwung der Lage 1910 kam
darin zum Ausdruck, daß die Einfuhr von Rohstoffen für die Fabrikation
36,4% der Gesamteinfuhr betrug, die Einfuhr von Fertigfabrikaten für
den unmittelbaren Verbrauch war auf 23,6% zurückgegangen. Das
S c h w e r g e w i c h t der E i n f u h r v e r l e g t e sich also von
d e n F e r t i g f a b r i k a t e n a u f d i e R o h s t o f f e . „Zwischen 1850
und 1920 ist der Wert der eingeführten Rohstoffe beinahe um das 150-
fache gestiegen, während der der Fabrikate im gleichen Zeitabschnitt sich
nur um das 9fache steigerte . . . Die Rohstoffe kamen in der Hauptsache
von Kanada, Mexiko, Zentralamerika, Westindien und den Philippinen."
(Scott N e a r i n g u. Jos. F r e e m an, Dollar-Diplomatie. S. 19.) D i e
genannten Rohstoffbezugsländer bilden auch das
vorwiegende Expansionsgebiet des amerikanischen
Imperialismus.
378) Hermann A. L. L u f f t , Die weltwirtschaftl. Bindungen der Ver.
Staaten von Amerika. (Weltwirtsch. Archiv. 24. Bd. (1926. II.) S. 273.)
— 463 —
nannten vier Länder mit ihren Kolonien über 30,8 Prozent der
W e l t v o r r ä t e an Holz verfügen.
Die eigene Holzbasis Englands b e t r ä g t kaum 4,662 Quadrat-
meilen an Waldfläche. Die E i n f u h r an Holz und Holzprodukten
steigt beständig, von 33,8 Millionen Pfd. St. im J a h r e 1913 auf
82,2 Mill. Pfd. St. im J a h r e 1920 391 ). England besitzt zwar eine
gewaltige Holzreserve in seinen Kolonien und Besitzungen. Es
sind an Nutzwaldfläche (in 1000 Quadratmeilen) vorhan-
den 3 9 2 ):
Kanada 456,8
Indien 136,3
Nigeria 60,0
Australien 37,8
Malaya-Staaten 21,2
Süd-Rhodesien 18,3
Brit.-Guinea 13,9
Aber zurzeit ist der W e r t der britischen Kolonien f ü r die Ver-
sorgung Englands sehr gering, und der Anteil an dem Ge-
samtimport von Holzmaterialien hat in dem Dezennium 1903/12
kaum 12,7 Prozent betragen. England ist in steigendem M a ß e
auf die Holzeinfuhr aus anderen Staaten angewiesen. Nur dank
der gewaltigen Kapital- und Finanzmacht Englands vor dem
Kriege, dank seiner weltumspannenden Handelsorganisation ist
es England gelungen, obwohl es auf fremde Importe angewie-
sen ist, während des ganzen J a h r h u n d e r t s vor dem Kriege die
regulierende Macht auf dem H o l z - W e l t m a r k t zu bleiben. Die
Holzpreise sanken während der zweiten H ä l f t e des 19. J a h r -
hunderts stetig. Sie betrugen (in sh. und d. pro K u b i k f u ß ) 3 0 3 ) :
Preis 1853/62 = 100
1853/62 7* 100
1863/72 7* 88
1873/82 V» 84
1883/92 °/io 69
1893/02 °/n 72
1903/12 °/l2 75
391) Statesman's Year-Book, 1921, S. 75.
392) R e i c h w e i n , S.36S.
393) G l i w i c , S. 160.
— 473 —
394) R e i c h w e i n , 1. c. S.359.
395) Francis D e 1 a i s i, Le Petrole, Paris 1921. Pierre l'Espegnol de la
T r a m e r y , La Lutte Mondiale pour le Petrole. Paris 1921. R e i c h -
w e i n , 1. c. S. 470—522. K. K r ü g e r und G. R. P o s c h a r d, Die Erdöl-
wirtschaft der Welt. Stuttgart 1926. S. N e a r i n g and J. F r e e m a n ,
Dollar-Diplomatie. 1925.
396) Louis Fischer, Oil Imperialism. New York 1926.
— 474 —
420) R e i c h w e i n, 1. c. S. 254.
421) R e i c h w e i n , 1. c. S.259.
422) 1. c. S. 2641
423) 1. c. S. 256.
_ 487 —
D a ß die M o n o p o l g e w i n n e e i n z e l n e r I n t e r e s s e n t e n g r u p p e n auf
K o s t e n a n d e r e r G r u p p e n e r z i e l t w e r d e n , d a s g e b e n auch die
b ü r g e r l i c h e n T h e o r e t i k e r zu. „ D i e v o n d e r ö f f e n t l i c h e n G e w a l t
— sagt S c h ü l l e r — sich s e l b s t ü b e r l a s s e n e n K a r t e l l e sind
nicht v o n ö f f e n t l i c h e n I n t e r e s s e n , s o n d e r n begreiflicherweise
a u s s c h l i e ß l i c h v o n d e n e n ihrer M i t g l i e d e r g e l e i t e t u n d s t r e b e n
nicht die E n t w i c k l u n g der heimischen Produktion, sondern
möglichst große R e i n g e w i n n e an." Diese Rein-
g e w i n n e e i n z e l n e r I n d u s t r i e n w e r d e n auf K o s t e n a n d e r e r erzielt.
„In d e n B e s c h w e r d e n d e r M a s c h i n e n f a b r i k a n t e n u n d anderer
Eisen verarbeitender Gewerbe gegen das Eisenkartell, der
Baumwollweber gegen das Spinnerkartell, der G l a s f a b r i k e n
g e g e n d a s S o d a k a r t e l l u s w . k e h r t d a m i t m i t R e c h t i m m e r die
K l a g e w i e d e r , d a ß die Zölle i n f o l g e der K a r t e l l e z u s t ä r k e r e n
424
P r e i s s t e i g e r u n g e n f ü h r e n , als w e n n k e i n K a r t e l l b e s t ü n d e )."
„Aber", sagt S c h ü l l e r weiter, „solche u n g ü n s t i g e Folgen
müssen immer eintreten, w e n n nicht das ganze Wirt-
schaf tsleben, sondern nur b e s t i m m t e Inter-
425
essengruppen organisiert sind )." Schüller
ü b e r s i e h t , d a ß die M o n o p o l g e w i n n e n u r s o l a n g e m ö g l i c h sind,
als es sich u m Vorteile eines Teiles der Produzenten auf
Kosten eines anderen handelt, daß sie a b e r verschwinden
m ü s s e n , sobald d a s M o n o p o l p r i n z i p a u f sämtliche Pro-
duktionssphären erweitert wird. D e n n die W a r e n p r o d u z e n t e n
sind n i c h t b l o ß V e r k ä u f e r ihrer e i g e n e n W a r e n , s o n d e r n z u -
g l e i c h K ä u f e r a n d e r e r W a r e n , die a l s P r o d u k t i o n s e l e m e n t e in
ihre e i g e n e P r o d u k t i o n e i n g e h e n . W a s sie a l s V e r k ä u f e r durch
den monopolistischen Preisaufschlag verdienen würden, das
m u ß t e n sie als K ä u f e r w i e d e r v e r l i e r e n . „Das ganze kommt —
s a g t M a r x — in der T a t d a r a u f h i n a u s , d a ß alle W a r e n b e s i t z e r
ihre W a r e n e i n a n d e r 10% ü b e r dem Wert verkaufen, was
d u r c h a u s d a s s e l b e ist, a l s ob sie die W a r e n z u i h r e n W e r t e n
488
verkauften )." Ein solcher allgemeiner Preisaufschlag w ü r d e
sich g e g e n s e i t i g a u f h e b e n . D e r e i g e n t l i c h e Z w e c k der T r u s t s
442) 1. c. S. 40.
443) 1. c. S . 2 t f f .
444) Auch J a f f e spricht von Ländern mit Kapitalmangel und Kapital-
sättigung, ohne anzugeben, wovon dieser Mangel oder Überschuß abhängt
„Die stärkste Entwicklung der wirtschaftlichen Tätigkeit finden wir gerade
nicht in den kapitalreichsten, sondern vielmehr in Ländern wie Deutsch-
land und den Vereinigten Staaten, die eher an einem relativen Kapital-
mangel leiden." In solchen unentwickelten Ländern ist der Gewinn am
größten und die Fortschritte der Produktion am stärksten. In den kapi-
talistisch am meisten entwickelten Ländern ist der Fortschritt der Pro-
duktion langsamer. „Sättigung mit Kapital ist dagegen das sicherste An-
zeichen für eine Volkswirtschaft, in der die Aussicht auf Unternehmer-
gewinn infolge übermäßiger Konkurrenz bereits auf ein vergleichsweise
niederes Niveau herabgedrückt ist." Der Kapitalüberfluß, die „Sättigung"
ist das Ergebnis der „übermäßigen Konkurrenz"! Was heißt aber eine
„übermäßige Konkurrenz" anderes, wenn nicht den Umstand, daß es mehr
Kapitalien gibt, als eine gegebene Wirtschaft in gegebenem Moment profi-
tabel verwenden kann ? (E. J a f f e, Der treibende Faktor in der kapitali-
stischen Wirtschaftsordnung, Archiv f. Sozialwiss. u. Soz.-polit. Bd. 40.
1914. S.8.)
auf K o s t e n d e r j e n i g e n L ä n d e r e r z i e l e n , d e r e n
organische Zusammensetzung niedriger, deren
t e c h n i s c h e u n d w i r t s c h a f 11 i c h e E n t w i ck 1 u n g
r ü c k s t ä n d i g e r i s t . In dieser Tatsache liegt eben der
Anreiz und zugleich der Zwang zur beständigen Entwicklung
der Technik, zur D u r c h f ü h r u n g einer stets höheren organischen
Zusammensetzung des Kapitals in den kapitalistisch hochent-
wickelten Ländern. Das besagt aber, daß dadurch in diesen
Ländern parallel mit der Entwicklung der Technik, mit der Ein-
f ü h r u n g einer immer höheren organischen Zusammensetzung
des Kapitals zugleich ein Feld f ü r v o r t e i l h a f t e r e Kapital-
anlagen entsteht. Wie hoch auch die Profite in den Kolonial-
ländern sein mögen, es scheinen doch die Extraprofite der Kapi-
talmagnaten in der Schwerindustrie wie in der chemischen In-
dustrie der Mutterländer, d. h. in den Zweigen mit hoher
organischer Zusammensetzung des Kapitals nicht nur nicht
niedriger, sondern höher zu sein. W a r u m wird dann also das
Kapital exportiert? Vom Standpunkt der Theorie, daß die
höhere P r o f i t r a t e das Kapital zur A u s w a n d e r u n g verlockt, ist
dieser ganze Tatsachenkomplex nicht zu erklären.
Anderseits t r i f f t es nicht zu, daß die organische Zusammen-
setzung des Kapitals in den f ü r die kapitalistische Produktion
erst neuerschlossenen Ländern stets niedriger ist als in den
kapitalistischen Mutterländern. W e n n der westeuropäische
Kapitalismus 150 J a h r e dazu bedurfte, um von der Organisa-
tionsform der Manufakturperiode bis zum hochkapitalistischen
W e l t t r u s t sich zu entwickeln, so brauchen die Kolonialgebiete
Asiens, Afrikas und Amerikas diese lange Entwicklung nicht zu
wiederholen. Sie übernehmen das aus Europa abströmende Ka-
pital in seiner reifsten Form, die sich im Schöße der hochkapi-
talistischen Länder herausgebildet hat. Auf diese Weise über-
springen sie lange Reihen historischer Entwicklungsstufen, und
der schwarze Autochthone Südafrikas w i r d a u s seinenUrwäldern
unmittelbar in die durch das Trustkapital beherrschten Gold-
und Diamantenminen mit ihrer technisch und finanziell hoch-
entwickelten Organisationsform geschleppt 4 6 0 ). W e n n in Ecua-
460) M a r x hat seinerzeit schon in einem Briefe an N i c o 1 a i o n
(15. 11. 1878) von den Vereinigten Staaten Amerikas gesagt: „Transfor-
_ 507 —
t e r d e n G e l d b e w e g u n g e n s t e h e n . Amerikas g r o ß e r
Kapitalexport 1924—1927 w a r letzten Endes B a u m w o l l e x -
p o r t (zum W i e d e r a u f b a u der mitteleuropäischen Lagervor-
räte), L e b e n s m i t t e l e x p o r t (zur Befriedigung des er-
höhten Lebensmittelbedarfs Europas) und schließlich (im ge-
ringen Maß G.) effektiver G o l d e x p o r t (teils zur Auffül-
lung der europäischen Goldbestände). Holland kreditierte mit
seinem Kapitalexport die R o h s t o f f a u s f u h r seines Kolo-
nialreiches (Kautschuk) . . . Schwedens Kapitalexportkapazität
hat einen anderen warenwirtschaftlichen H i n t e r g r u n d : sie
basiert auf der Steigerung der Holzausfuhr", und wir können
hinzufügen, auch der E i s e n e r z a u s f u h r 4 8 S ) .
Nicht das Geldkapital, sondern das Warenkapital ist aus dem
Kreislauf des industriellen Kapitals herausgetreten, was nichts
anderes heißt, als d a ß eine Ü b e r p r o d u k t i o n a n W a r e n -
k a p i t a l besteht, das unabsetzbar ist und daher den W e g in
die Produktionssphäre nicht zurückfinden kann. Spricht ja doch
B a u e r selbst davon, d a ß durch den Kapitalexport W a r e n -
absatz geschaffen werden soll. Die unklare Vorstellung vom
Geldkapital, das aus dem Kreislauf des industriellen Kapitals
ausgetreten ist und daher vermittels des Kapitalexportes nach
e n t f e r n t e n Kolonialländern abströmt, läßt das Problem des
Kapitalexportes ebenso ungeklärt, wie die Theorie von der
Abwanderung der Kapitale infolge der Unterschiede in der
Höhe der Profitrate. A b e r : satis supraque!
b) Ü b e r a k k u m u l a t i o n u n d K a p i t a l e x p o r t nach
der M a r x s c h e n Auffassung.
M a r x f ü h r t zunächst die Ansichten der Klassiker, nament-
lich J. B. S a y s und R i c a r d o s , an. Der letztere v e r t r a t die
Ansicht, daß j e d e r Kapitalbetrag, ohne irgendwelche
Schranke, in einem kapitalistischen Lande angelegt werden
könne. „Es kann in einem Lande kein Kapitalbetrag angesam-
melt werden, welcher nicht produktiv angelegt werden k a n n "
(Grundsätze, Kapit. 7). Hier setzt d i e M a r x s c h e Kritik ein.
Die Behauptung — sagt M a r x — „daß j e d e Menge Kapital
„Es f r a g t sich also, was ist Überfülle von Kapital, und wo-
durch unterscheidet sich dieses Ding von Überproduktion (von
W a r e n ) ?" Mit wuchtigem Griff packt hier M a r x die R i c a r d o -
epigonen kritisch a n : „Nach denselben Ökonomen ist Kapital
gleich Geld o d e r Waren. Überproduktion von Kapital ist also
Überproduktion von Geld o d e r Waren. Und doch sollen beide
Phänomene nichts miteinander gemein haben ?" . . . „So, d a ß
sich das ganze Phänomen in Überproduktion von W a r e n auf-
löst, die sie unter e i n e r Benennung zugeben und unter der
a n d e r e n leugnen" (1. c. S. 2 7 1 ) . . . „Eine Gedankenlosigkeit,
die d a s s e l b e P h ä n o m e n als vorhanden und notwendig
zugibt, sobald es a heißt, es aber leugnet, sobald es b genannt
wird, in der T a t also nur Skrupel und Bedenken über die
N a m e n g e b u n g des Phänomens . . . h a t . " (1. c. S. 272.) Dem-
gegenüber betont M a r x , d a ß es sich bei der Überproduktion
gerade nicht bloß um die Überproduktion von W a r e n als W a r e n
handelt, sondern um die „Tatsache, d a ß die W a r e n nicht mehr
in dieser e i n f a c h e n Bestimmung, sondern in ihrer Bestim-
m u n g a l s K a p i t a l hier in Betracht k o m m e n " . . . „Es han-
delt sich aber nicht um das einfache Verhältnis, worin das Pro-
dukt a l s W a r e erscheint, sondern um gesellschaftliche Be-
stimmung desselben, wodurch es m e h r und noch etwas
anderes als W a r e ist", d. h. daß es Kapital ist. Gerade in jeder
Überproduktion „stehen sich die Produzenten n i c h t a l s
b l o ß e W a r e n b e s i t z e r , sondern a l s K a p i t a l i s t e n
gegenüber". (1. c. S. 272.) Das heißt aber nichts anderes, als
d a ß in der Krise die V e r w e r t u n g s f u n k t i o n des
K a p i t a l s gestört w i r d ; ein sich nicht verwertendes Kapital
ist aber ein überschüssiges, überproduziertes Kapital. Über-
produktion von W a r e n und Überproduktion von Kapital sind
„ d a s s e l b e P h ä n o m e n " . . . „Überproduktion von K a p i -
t a l , nicht von einzelnen W a r e n (— obgleich die Überpro-
duktion von Kapital stets Überproduktion von W a r e n ein-
schließt —), heißt daher weiter nichts als Ü b e r a k k u m u l a -
tion von Kapital491)." Eine Überakkumulation von
Kapital, f ü r welches die Verwertungsmöglichkeit fehlt.
493) 1. c. S . 15.
_ 521 —
498) 1. c. S. 237.
499) M a r x , Mehrwerttheor. II/2. S.252.
_ 525 —
500) M a r x , K. I. 689.
_ 526 —
möglichkeit eine b e s c h r ä n k t e K o n s u m t i o n s f ä h i g -
k e i t machte, konnte sie freilich den immanenten Widerspruch,
von dem M a r x spricht, im Schema nicht wiederfinden. M a r x
zeigt dagegen, „daß die auf den gegensätzlichen Charakter der
kapitalistischen Produktion gegründete V e r w e r t u n g des
Kapitals die wirkliche, freie Entwicklung n u r b i s z u e i n e m
g e w i s s e n P u n k t e r l a u b t , a l s o in der T a t eine imma-
nente Fessel und Schranke der Produktion bildet, die beständig
durch das K r e d i t w e s e n d u r c h b r o c h e n wird"505).
Die Schranke der Überakkumulation, der ungenügenden Ver-
wertung, wird durchbrochen durch das Kreditwesen, d. h. durch
den Kapitalexport, und durch den dadurch erzielten z u s ä t z -
l i c h e n M e h r w e r t . In diesem Sinne ist f ü r die Spätphase
der Kapitalakkumulation der Kapitalexport notwendig und
charakteristisch: „Für den alten Kapitalismus, mit der voll-
kommenen H e r r s c h a f t der freien Konkurrenz, war typisch der
Export von W a r e n . F ü r den neuesten Kapitalismus, mit der
Herrschaft der Monopole, i s t d a s K e n n z e i c h n e n d e d e r
E x p o r t v o n K a p i t a l geworden 5 0 6 )." Der von L e n i n
betonte charakteristische Unterschied des alten und neuesten
Kapitalismus besteht tatsächlich, aber er steht in keinem not-
wendigen Kausalzusammenhang mit dem Konkurrenz- resp.
Monopolkapitalismus, erklärt sich vielmehr aus dem U n t e r -
schied in der Früh- und Spätphase der Kapitalakkumulation in
einem gegebenen kapitalistischen Lande, bei einer gegebenen
Entwicklungsstufe der Technik.
Daneben kommt auch der Umstand in Betracht, d a ß die Ertei-
lung von Auslandsanleihen dazu benutzt wird, um f ü r die In-
c) I n d u k t i v e N a c h p r ü f u n g .
Ist die hier vertretene Theorie richtig, so kann es nicht
schwer sein, sie an den Erscheinungen der Wirklichkeit zu
überprüfen. E s würde zu weit führen, in diesem Rahmen weit-
gehende historische oder statistische Schilderungen zu geben,
vielmehr müssen wir uns darauf beschränken, durch kurze
A n f ü h r u n g einiger Beispiele auf die wichtigsten Zusammen-
hänge hinzuweisen.
Unsere Behauptungen w a r e n doppelter Art. Zunächst, daß
die V e r w e r t u n g des Kapitals der treibende F a k t o r der kapita-
listischen Produktionsweise ist und alle Bewegungen des kapi-
talistischen Mechanismus, seine Expansionen wie K o n t r a k -
tionen, beherrscht. Die Produktion wird zunächst erweitert,
weil auf den Anfangsstufen der Kapitalakkumulation der Profit
wächst, die Akkumulation gelangt dann zum Stillstand, weil
auf den höheren Stufen der Kapitalakkumulation, und zwar
durch die Tatsache der Akkumulation allein, ohne Hinzutritt
irgendwelcher weiterer Momente, der Profit notwendig sinkt.
In bezug auf die Tatsachen, deren Existenz f ü r die Gültigkeit
unserer Theorie von g r o ß e r Wichtigkeit ist, sind wir in der
glücklichen Lage, kein empirisches Material hier vorführen zu
müssen. W i r berufen uns einfach auf die bereits erwähnten
Arbeiten W. C. M i t c h e l l s f ü r die Vereinigten Staaten von
Amerika, J. L e s c u r e s ' für Frankreich und S t a m p s f ü r Groß-
britannien, aus denen hervorgeht, daß die Aufschwungs- und
Niedergangsperiode funktional mit der Profithöhe zusammen-
hängen, daß die K o n j u n k t u r eine Periode steigender Gewinne,
die Depression eine Periode mangelnder Rentabilität ist.
Zweitens aber umschließen unsere Behauptungen etwas mehr
als bloß den Versuch einer E r k l ä r u n g von Konjunkturschwan-
kungen. W i r haben versucht, das Bewegungsgesetz der kapita-
listischen Produktionsweise, ihre säkulare Trendlinie, oder um
mit M a r x zu sprechen, die a l l g e m e i n e T e n d e n z der
kapitalistischen Akkumulation aufzustellen. W i r haben gezeigt,
wie die absolute Überakkumulation, die in den Krisen perio-
disch, aber nur vorübergehend zum Ausdruck gelangt, sich im
Verlauf der Kapitalakkumulation mitten durch die Schwankun-
gen des Wirtschaftszyklus von Krise zu Krise in fortschreitend
_ 531 —
510) S a r t o r i u s v. W a 11 e r s h a u s e n. 1. c. S. 368.
511) 1. c. S. 373.
512) R. E h r e n b e r g , Die Amsterdamer Aktienspekulation im 17. Jahr-
hundert. (Jahrb. für Nationalök. u. Statistik. III. Folge, Bd. 3. S.809.)
513) S a r t o r i u s v. W a l t e r s h a u S e n . 1. c. S. 367.
_ 533 —
ter Luxus, den die Moralisten als die Ursache des niederlän-
dischen Verfalls betrachteten.
Bei der damaligen unentwickelten Technik, als die unqualifi-
zierte Arbeit, sowie die Arbeit von Frauen und Kindern im
Produktionsprozeß keine solche Verwendung finden konnten,
wie dies nach der E i n f ü h r u n g der Maschinen zu Ende des 18.
J a h r h u n d e r t s der Fall war, w a r die Verwertungsbasis der Indu-
strie außerordentlich schmal, daher die Anlagemöglichkeit f ü r
das Kapital gering. Daher beginnt schon damals der Kapital-
export in g r o ß e m Umfange.
Die Entwicklung E n g l a n d s zu einem Kapital exportieren-
den Lande ist keineswegs erst neueren Datums. Bereits Adam
S m i t h stellte fest, daß britische Untertanen o f t ihr Kapital
lieber in Frankreich anlegten, wo die Geschäftsgewinne g r ö ß e r
als in England waren. (Wealth of Nations, B. I. Chapt. 9.)
Aus dem bekannten Buche G i 1 b a r t s 519 ) wissen wir, daß in
England bereits in den Jahren 1822—1825, also in vier J a h r e n
infolge derüberfülle disponiblen Kapitals
auswärtige und speziell exotische Anleihen in der Gesamthöhe
von 52 995 000 £ emittiert worden sind. (Die Kapitalausfuhr
ging außer nach einigen europäischen Ländern wie Dänemark,
Preußen, Portugal, Spanien und Griechenland hauptsächlich
nach Australien, Brasilien, Chile, Columbien, Guatemala,
Mexiko, Peru usw.)
Bereits 1836 konnte G. R a m s a y auf Grund der englischen
E r f a h r u n g feststellen, daß die Klasse der Rentiers, die vom
Zins leben, sehr zahlreich ist. „Großbritanniens Stellung als
erstes Gläubigerland der Erde w a r schon in den vierziger und
fünfziger J a h r e n des 19. J a h r h u n d e r t s fest begründet" 52 °), also
zu e i n e r Z e i t , a l s E n g l a n d g e r a d e z u m v o l l e n
F r e i h a n d e l ü b e r g i n g . M a r x sagt dann im Anschluß
an eine Arbeit F a w c e t t s von 1865: „Der g r ö ß e r e Teil
des jährlich zuwachsenden Mehrprodukts . . . wird also nicht in
England, sondern in fremden Ländern verkapitalisiert. Das
519) J. W. G i 1 b a r t, The History, Principles and Practice of Banking.
London 1901. Bd. I. 64.
520) S. S c h i l d e r , Die Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft.
Berlin 1912. Bd. I. 382.
_ 535 —
der Börse zuzuströmen. In der Zeit vom 28. 2. 1925 bis 31. 8.
1926 haben sie sich um 685% vermehrt, dagegen die Wechsel-
kredite bloß um 67% und die Schuldner i. 1. R. um bloß 32%..
Fig. 5.
R E P O R T S OER G R O S S B A N K E N
UND WIRTSCHAFTSKREDITE DER NOTENBANKEN
1908-1314 MJI.Ufl
•Mnnl i • L i 1 I ! 500
1908 1909 1910 1911 1912 1913 191«.
532
Bilanzen von 10 Großbanken (Mill. RM.) ).
28/2 1925 3 1 / 1 0 1 9 2 5 28/2 1926 30/6 1926 31/8 1926
548) 1. c. S. 60.
549) 1. c. S. 61.
550) 1. c. S. 55.
551) l c. S. 119.
Q r o s s m a n n , Akkumulations- und Z u s a m m e n b r u c h s g e s e t z usw. 35
_ 546 —
kleineren Schwankungen auch innerhalb eines jeden Jahres
so, daß in Perioden, wo die Banken ihre Mittel in anderer
Weise beschäftigen können, die Börse sich beruhigt und erst
wieder rege wird, wenn die anderswo in Anspruch genom-
menen Mittel frei werden 552 ). Die Spekulation ist ein Mittel,
die mangelnde V e r w e r t u n g aus der produktiven Tätigkeit durch
Gewinne zu ersetzen, die aus den Kursverlusten der breiten
Massen kleiner Kapitalisten, der „schwachen Hand", fließen,
und ist daher ein mächtiges Mittel der Konzentration des Geld-
kapitals.
So schafft sich das unbeschäftigte Kapital eine Reihe von
Abflußkanälen, sei es durch Börsenspekulation im Inland, sei
es durch Kapitalexport ins Ausland, die geeignet sind, seine
Verwertung zu sichern. Daß diese Bestrebungen zur Anlage
des überakkumulierten Kapitals in der Depressionsphase beson-
ders stark sind, ist bekannt und unbestritten. D a ß sie sich nicht
ausschließlich auf die Depressionszeit beschränken,
spricht nicht gegen die hier vertretene Auffassung. E s hängt
eben von der besonderen L a g e einzelner Produktionszweige
und von der Voraussicht des einzelnen ab, ob und wie weit sie
rechtzeitig f ü r ihre Kapitale profitliche Beschäftigung finden,
ebenso wie auch in der Industrie die Ausweitung und Verbes-
serung der Produktionskapazität gerade am stärksten in der
Depressionszeit stattfindet, wenn die Nachfrage nach Waren
am geringsten ist.
Besonders lehrreich ist es, diesem Problem in F r a n k r e i c h
nachzugehen. Ist die hier vertretene Auffassung richtig, so
mußte sich in Frankreich mit seiner seit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts sehr verlangsamten und seit den 1880 er Jahren
fast stagnierenden Bevölkerung die Akkumulationsgrenze viel
553) In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt sich die Be-
völkerung Frankreichs relativ rascher als später. Sie wächst von 26,9 Mill.
zu Ende 1800 auf 34,9 Mill. zu Ende 1850 und ist fast gleich der Bevöl-
kerung in Deutschland, die in derselben Zeit von 24,5 Mill. auf 35,4 Mill.
gestiegen ist. In den folgenden Jahrzehnten beginnt der Unterschied in
der absoluten Größe der Bevölkerung immer mehr zu Gunsten Deutsch-
lands zu wachsen. Die Bevölkerung wächst dort in der Zeit 1860—1910 von
37,7 Mill. auf 64,9 Mill., in Frankreich in derselben Zeit von 35,7 Mill.
auf bloß 39,1 Mill. Die durchschnittliche jährliche Zunahme betrug in
Deutschland von 1800—1910 auf 1000 der Bevölkerung 8,9, in Frankreich
dagegen 3,4. (Handwörterb. d. Staatswiss. IV. Aufl.)
554) B. M e h r e n s, Die Entstehung und Entwicklung der großen fran-
zösischen Kreditinstitute. 1911. S. 89.
555) 1. c. S. 75.
35*
_ 548 —
559) 1. c. S. 164.
560) 1. c. S. 165.
561) 1. c. S. 165.
562) 1. c. S. 164.
563) 1. c. S. 166.
_ 550 —
fehlte, w a n d t e n sie sich der — Börse zu. Größe Summen
werden der Börse zugeführt, das Reportgeschäft beginnt zu
blühen. Die Anlagen der vier wichtigsten Kreditinstitute in
Lombard- und Reportgeldern sind im J a h r z e h n t 1870—1880
viel rascher gewachsen als die Wechselanlagen, beim Credit
Lyonnais sind sie auch absolut größer B 6 4 ).
Bald nach dem Kriege gründet die Societe Generale die So-
ciete miniere et industrielle de Russie (Konzessionen f ü r
eine Schleppschiffahrt auf der Newa, Kanalisation der Moskwa,
Ausbeutung mehrerer Kohlengruben im Donezgebiet). I n B e 1-
g i e n errichtete sie die Banque beige pour le commerce et
1' industrie und ü b e r t r u g ihr auch die Ausbeutung einer Anzahl
von Minenkonzessionen in L o t h r i n g e n . 1875 beteiligte sie
sich an einer Brüsseler Baugesellschaft. Sie emittierte Anleihen
f ü r den Bau von t ü r k i s c h e n Eisenbahnen. Zusammen mit
anderen Pariser Großbanken beteiligte sie sich 1872 an der E r -
richtung der Banque hypothecaire d' Espagne, womit zugleich
die Gewährung eines Darlehens von 100 Mill. Fr. an die spa-
nische Regierung als Preis f ü r die Erteilung der Konzession
verbunden war. In Spanien beteiligt sie sich auch an Blei-
und Silberminen. Eine weitere Gründung ist die Societe finan-
ciere de R o u m a n i e 5 6 8 ) . — Der Credit Lyonnais schreitet
auch zum Kapitalexport, wenn auch in anderer Form. E r
gründet zahlreiche Filialen im Mittelmeergebiet und Algerien,
die er „ f ü r gewinnbringendere Anlage seiner flüssigen Gel-
der bestimmt". So 1875 in Alexandrien und Konstantinopel,
1876 in Madrid und Genf, 1878 in P e t e r s b u r g und Neuyork.
I n Frankreich selbst herrschte im geschäftlichen Leben Stille.
Über die Ursachen war man nicht im klaren. Man glaubte, daß
die Kämpfe um die innere Politik und die orientalische F r a g e
den Aufschwung des Wirtschaftslebens zurückhielten, daß das
ungenügende Angebot des Wechselmaterials durch den hohen
Wechselstempeltarif von 1871 verursacht sei 569 ). In einem
Aufsatz vom Jahre 1876 im „Economiste franqais" will Paul
L e r o y - B e a u l i e u die französischen Banken zu einer stär-
keren Industrieförderung aneifern, da er sonst keine anderen
Anlagemöglichkeiten f ü r das flüssige Kapital erblickt. „Die
Menge von Wechseln guter Q u a l i t ä t . . . ist begrenzt und r e i c h t
bei w e i t e m n i c h t aus, um die B e t r i e b s m i t t e l
unserer K r e d i t i n s t i t u t e , wenn auch n i c h t ganz,
s o d o c h z u e i n e m g r o ß e n T e i l zu a b s o r b i e r e n . . .
Wie die Wechsel sind auch die Reports nur in beschränkter
568) l.cTs. 168.
569) L c. S. 165.
_ 552 —
576) 1. c. S. 183.
577) 1. c. S. 190.
578) 1. c. S. 191.
579) 1. c. S. 192.
_ 554 —
d) D a s E r g e b n i s . — V e r s c h ä r f u n g d e s i n t e r -
n a t i o n a l e n K a m p f e s um gewinnbringende
Anlagesphären. — DieWandlungenimVerhält-
nis von F i n a n z k a p i t a l und I n d u s t r i e k a p i t a l .
E r s t auf Grund der bisher gewonnenen theoretischen Einsicht
können wir die Richtigkeit der L e n i n sehen Charakterisierung
des Monopolkapitalismus überprüfen. „Für den alten Kapita-
lismus, bei der vollkommenen H e r r s c h a f t der freien Konkur-
renz, war typisch der Export von Waren. F ü r den neuesten
Kapitalismus, mit der H e r r s c h a f t der Monopole, wurde der
E x p o r t von Kapital charakteristisch 6 0 0 )." Entspricht diese Dar-
stellung den Tatsachen? W i r haben doch gezeigt, daß Holland
sich bereits zu Ende des 17. J a h r h u n d e r t s zu einem Kapital
exportierenden Staate entwickelte, daß der Kapitalexport aus
England bereits zu Ende des 18. und A n f a n g des 19. J a h r -
hunderts g r ö ß e r e n U m f a n g angenommen hat, also zu einer
Zeit, als England zur freien Konkurrenz überging. Und das-
selbe gilt von Frankreich nach 1860. Und trotzdem behält
L e n i n mit seiner scharfen Formulierung recht. Es besteht
ein g r o ß e r Unterschied zwischen dem Kapitalexport des heu-
tigen Monopolkapitalismus und demjenigen des Frühkapitalis-
mus. Freilich, die Tatsache des Kapitalexports ist seit den An-
fängen des Kapitalismus bekannt. Aber bei der geringen S t u f e
der Kapitalakkumulation im 18. und in der ersten Hälfte des
19. J a h r h u n d e r t s w a r sie f ü r den damaligen Kapitalismus nicht
„typisch", sie w a r nur eine vorübergehende, periodisch a u f t r e -
tende Erscheinung, die f r ü h e r oder später durch einen neuen
Aufschwung unterbrochen und ersetzt wurde. Es kommt noch
der Umstand hinzu, daß privatwirtschaftlich betrachtet f ü r den
599) Frankfrt. Ztg. v. 1. Juli 1928.
600) L e n i n , Der Imperialismus. Berlin 1927. S. 56.
— 563 —
601) M e h r e n s , 1. c. S.230.
602) F e i l e r , 1. c. S. 99. — Wie irrtümlich F e i l e r die Ursache dieser
Kurzatmigkeit beurteilt, ergibt sich daraus, daß er für die Zukunft
den M a n g e l a n K a p i t a l befürchtet. Die Anspannung von Kredit
wird diesen Mangel nicht ersetzen können. „Je weiter wir damit gehen,
desto näher kommen wir der Grenze, die auch bei einem neuen Konjunk-
turanstieg nicht überschritten werden kann; desto näher also kommen wir
der Möglichkeit, d a ß e i n m a l e i n n e u e r K o n j u n k t u r a n s t i e g
nichtmehrdie Mittelzuseiner Finanzierungvorfinden
k ö n n t e." (1. c. S. 172.)
603) 1. c. S. 109.
35*
_ 564 —
bedrängte Situation der Bank von England durch die Kooperation der
Bank von Frankreich und der deutschen Reichsbank kompensiert werden
konnten, anderseits die im Frühjahr 1879 in den Vereinigten Staaten
Amerikas eingetretene Erholung gleichfalls „auf England wie ein deus
ex609)
machina"
Londonwirkte, d. h.Times,
Financial zur Milderung
zitiert beider Krise
A. W e b e beitrug.
r , Depositenbanken.
2. A. 1915. S. 270.
610) A. F e i l e r , 1. c. S. 168.
611) 1. c. S. 170.
_ 568 —
I
_ 571 —
616) 1. c. S. 282.
617) 1. c. S. 284.
618) 1. c. S. 218.
_ 574 —
»
banken würde ja heute schon die Besitzergreifung der wich-
tigsten Sphären der Großindustrien bedeuten 6 1 9 )."
Diese Darstellung H i l f e r d i n g s steht im Widerspruch zu
den tatsächlichen Entwicklungstendenzen des Kapitalismus. Sie
ist auch mit den Grundgedanken der M a r x sehen Lehre unver-
einbar. Denn w ä r e die Behauptung H i l f e r d i n g s von der
Beherrschung der Industrie durch die Banken richtig, so w ä r e
damit die M a r x sehe Lehre von der entscheidenden Bedeutung
des Produktionsprozesses f ü r die Gestaltung des Kapitalismus
erschüttert. Denn nach H i 1 f e r d i n g wird diese entscheidende
Bedeutung nicht dem Produktionsprozeß, der Industrie, son-
dern dem Finanzkapital, somit den Gestaltungen der Zirkula-
tionssphäre zugeschrieben!
D a ß die von H i 1 f e r d i n g geschilderte Praeponderanz der
Banken f ü r eine gewisse Entwicklungsepoche des Kapitalismus
z u t r i f f t , soll nicht bestritten werden. Aber sie entspricht eben
n u r einer bestimmten Phase der kapitalistischen Entwicklung
und ist keinesfalls, wie dies H i 1 f e r d i n g behauptet, f ü r die
„geschichtliche Tendenz" des Kapitals charakteristisch 62 °).
Aus dem hier entwickelten Gesetz der Kapitalakkumulation
ergibt sich nun ohne weiteres im Verlauf des geschichtlichen
Prozesses ein notwendiger Wechsel in dem gegenseitigen Ver-
hältnis zwischen Bank- und Industriekapital. Es müssen in die-
ser Beziehung drei Phasen unterschieden werden. Auf niedrigen
Stufen der Kapitalakkumulation, wenn die Entwicklungsmög-
lichkeiten der Industrie fast unerschöpflich scheinen, ist die
eigene Kapitalbildung der Industrie unzureichend. Die Indu-
strie ist daher angewiesen auf Zufluß der Kredite von außen,
d. h. aus nichtindustriellen Schichten. Der Ausbau der Kredit-
organisation zentralisiert die zersplitterten Kapitalteilchen, und
die Banken als Vermittler und Spender des Kredits gewinnen
große Macht gegenüber der jungen, erst aufblühenden und
kapitalbedürftigen Industrie. W i r haben f r ü h e r gesehen, d a ß
dieser Zustand in Frankreich noch in den 50er und 60er J a h r e n
des vorigen J a h r h u n d e r t s vorherrschte und daher die Nachfrage
619) 1. c. S. 473.
620) 1. c. S. 285.
V
— 575 —
37«
_ 580 —
Schlußbefrachfungen.
1. Die Zusammenbruchstendenz und der Klassenkampf.
(Die Marxsche Lohntheorie. Die Faktoren der Lohngestal-
tung. Die geschichtlichen Entwicklungstendenzen der Lohn-
höhe. Der Klassenkampf und das Endziel.)
Nichts ist vielleicht trostloser und unbefriedigender als der
gegenwärtige Stand der A u f f a s s u n g e n und der Kritik auf dem
Gebiete der M a r x sehen Lohntheorie, m a g es sich nun um
die bürgerliche Ökonomik oder um die marxistische L i t e r a t u r
selbst handeln.
Obwohl gerade die Lohntheorie nicht zu den stärksten Seiten
der bürgerlichen Ökonomik zu gehören scheint 1 ), begegnen
wir eben von dieser Seite einer maßlosen Überhebung der
M a r x sehen Lohntheorie gegenüber, einer Überhebung, die in
den meisten Fällen in u m g e k e h r t e m Verhältnis zur M a r x -
kenntnis des betreffenden Kritikers steht. Es ist tatsächlich
kaum eine Entstellung noch denkbar, die man nicht vorgebracht
hätte, wenn es galt, die M a r x sehe Lehre „kritisch zu über-
winden". So behauptet das Lumen der europäischen Wissen-
schaft, der Stockholmer Professor G. C a s s e 1, der Sozialismus
sei nicht bestrebt die Tatsachen (Lohnhöhe) zu e r k l ä r e n ,
sondern er verurteile sie aus moralischen Gründen und stelle
in bezug auf die Lohnhöhe bloß P o s t u l a t e auf. Insbeson-
dere bestehe das P r o g r a m m der Sozialisten in der „Verwirk -
Erfolges wird der Lohn wieder bis auf den W e r t der Arbeitskraft er-
höht. Dabei ist es ganz irrelevant, ob der neue Lohn durch „ziemlich
lange Dauer" die Zeit hatte, zur Gewohnheit der Arbeiterklasse zu wer-
den. In den Epochen starker Rationalisierung, daher rasch aufeinander-
folgender Steigerungen der Arbeitsintensität, wird der Lohn, der gestern
noch dem Werte der Arbeitskraft entsprach, heute bereits u n t e r den
Wert sinken, und daher wird die Arbeiterklasse gleichfalls in kurzen,
rasch aufeinanderfolgenden Zeitabständen sich immer neue Lohner-
höhungen erkämpfen müssen, ohne abzuwarten, bis die jeweils erkämpfte
Lohnerhöhung zur Gewohnheit wurde. M a r x sagt daher: „In
all den Fällen, die ich vorgeführt habe, und sie bilden neunundneunzig
von hundert, habt ihr gesehen, daß der Kampf um eine Lohnerhöhung
nur i m G e f o l g e v o r h e r g e g a n g e n e r V e r ä n d e r u n g e n (in
der Produktionsweise G.) ausbricht, daß er die unvermeidliche Frucht
v o r h e r g e g a n g e n e r Änderungen, . . . der Vermehrung oder V e r -
d i c h t u n g d e r a u s d e m A r b e i t e r g e z o g e n e n A r b e i t . . . mit
einem Worte, Reaktionen der Arbeit gegen v o r h e r g e h e n d e Aktio-
nen des Kapitals sind." ( M a r x , Lohn, Preis und Profit. 4. A. S. 42).
38*
_ 596 —
33) M a r x , K. I 664.
34) I.e. I. 662.
598
Graphisch zeigt uns die folgende Kurve (vgl. Fig. Nr. 6) die
Entwicklungstendenzen der Lohnbewegung im F o r t g a n g der
Kapitalakkumulation.
0
X
Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt verkaufen, erhalten sie als ihr Äqui-
valent den Lohn, also den Fonds, der über den Umfang ihrer Nachfrage
als Konsumenten entscheidet. W o bleibt der „einheitliche Trust", wenn
der Warenmarkt und Arbeitsmarkt weiter bestehen!
619
69) M a r x , K. I. 155.
70) M a r x , Kapital, I. 163.
_ 620 —
72) M a r x , K. I I I / l . S.368.
73) M a r x , K. I. 9. — M a r x erhebt gegen R i c a r d o den Einwand,
daß dieser die bürgerliche „ d u r c h d e n T a u s c h w e r t b e h e r r s c h t e
P r o d u k t i o n s w e i s e " mit einer Produktionsweise verwechselt, welche
Gebrauchswerte, Reichlichkeit produziert. „Die Produktion -— sagt M a r x
— des b ü r g e r l i c h e n Reichtums (d. h. des Tauschwerts. G.) ist etwas
ganz anderes als Produktion von „Reichlichkeit", von „Lebensmitteln
_ 622 —
und Genußmitteln" für die Menschen, die sie produzieren, und dieses
müßte doch der Fall sein, wo die Produktion nur ein Mittel zur Befrie-
digung der Bedürfnisse der Produzenten, d u r c h d e n G e b r a u c h s -
w e r t a l l e i n b e h e r r s c h t e P r o d u k t i o n w ä r e " . (Mehrwert-
theor. III. S3/4.)
74) M a r x , K. III/2, S.417.
75) E n g e l s sagt von der Wirtschaftsrechnung der Gemeinwirtschaft:
„Die Nutzeffekte der verschiedenen Gebrauchsgegenstände, abgewogen
untereinander und gegenüber den zu ihrer Herstellung nötigen A r b e i t s -
m e n g e n , w e r d e n . . . den Plan schließlich bestimmen. Die Leute machen
alles sehr einfach ab, ohne Dazwischenkunft des vielberühmten „Wertes".
(Anti-Dühring, S. 335/36.)
_ 623 —
Ungewitter 399, 409. Weber, Ad. 373, 442, 514, 537, 541 f.,
Ure Andrew 25. 567, 575 f., 581.
Weber, M. 85, 406 f., 413 f.
Varga, E. 245, 327, 346, 438, 498 f., Weil, Felix VII.
517. Weyermann, M. R. 142.
Vehlen, Th. 262. Wickseil, K. 204, 235.
Vogel, E. H. 200. Winkler, 384 f.
Vogelstein, Th. 36, 351, 578 f. Wolf, J. 16, 169 f., 581.
Vrankryk 533. Wood, 394, 469.
2 5 19
DruckFehlerberichtigung.
S. XIII, Zeile 11: H. Cunow (statt Cunov).
S. 177. Versehentlich wurden die folgenden Zeilen am Beginn der
Seite weggelassen:
nahmsweise vorkommenden Fall einer Akkumulation auf Basis einer
k o n s t a n t e n Technik gelten diese M a r x sehen Schlußfolgerungen,
weil unter diesen für die Arbeiter „günstigsten Akkumulationsbedin-
gungen" (K. I. 633) das Wachsen des Kapitals zugleich ein Wachsen der
Nachfrage nach Arbeit bedeutet. Für die Akkumulation auf Basis der
veränderlichen Technik, und zwar auf den fortgeschrittenen Stufen der-
selben leitet dagegen M a r x das Gesetz der progressiven Produktion
einer relativen Übervölkerung und schließlich das Zusammenbruchsgesetz
ab. O. B a u e r hat die beiden Fälle verwechselt und läßt die M a r x -
schen Schlußfolgerungen, die aus der Akkumulation mit konstanter Tech-
nik gewonnen wurden, auf seine Darstellung einer Akkumulation mit
progressiver Technik gelten. Die Krise entsteht daher bei ihm nicht
mangels genügender Verwertung infolge von Überakkumulation, auch bei
konstanten Preisen und Löhnen. Nach dem Vorbild der Vulgarökonomie
wird sie aus dem wechselnden Verhältnis von Angebot und Nachfrage
(Lohn- und Preissteigerungen) erklärt im Gegensatz zu M a r x , dessen
Reproduktionsschema zeigen soll, daß auch im Falle, wo man das Gleich-
gewicht des Reproduktionsmechanismus zum A u s g a n g s p u n k t der
Analyse annimmt, also unabhängig von allen Konkurrenzvorgängen,
schließlich dennoch das
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S.237, Zeile 5: 2. Jahr 210 000 + 25 056 (statt: 24 056) . . .
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Sauren 1 8 4 7 / 4 8 . Stm. ßeb. 2 . 7 0
SCHRIFTEN
D E S INSTITUTS FÜR SOZIALFORSCHUNG
AN DER UNIVERSITÄT FRANKFURT A/M.
Herausgegeben von Carl Grünberg
HENRYK GROSSMANN
A U S DKM I N H A L T :
D e r s o g e n a n n t e K r i e g s k o m m u n i s m u s — Staatskapitalistische Versuche — Der
Kriegskommunismus im engeren Sinne — Vtrsuche der Organisierung einer maikt-
losen Wirtschaft — D i e n e u e ö k o n o m i s c h e P o l i t i k ( N E P ) — Das wirtschaftliche
Chaos — Die VViederaufbauperiode — D i e Periode des N t u a u f b a u s — D i e O r g a n i -
s a t i o n der S t a a t s i n d u s t r i e — D i e S t a a t s p l a n k o m m i s s i o n ( G o s p l a n ) — Geschichte
des Gosplan — Die Aufgaben der Pläne Die Aufstellung der Pläne und ihre
Methoden — Aus dem materiellen Inhalt der Pläne.
C. L. H I R S C H F E L D / V E R L A G / L E I P Z I G