Skript TM2 SS17
Skript TM2 SS17
Skript TM2 SS17
Teile des Texts und der Abbildungen wurden unter Mitwirkung von Studieren-
den erstellt.
Dieser Umdruck ist nur fr Studierende der TU Mnchen und den privaten
Gebrauch zugelassen. Alle Rechte, insbesondere das der bersetzung in an-
dere Sprachen, sind vorbehalten. Ohne Genehmigung der Autoren ist es nicht
gestattet, dieses Manuskript ganz oder teilweise zu vervielfltigen oder zu ver-
breiten.
Inhaltsverzeichnis
1 Vorbemerkung 1
1.1 Aufbau des Skripts zur Technischen Mechanik II . . . . . . . . . 1
1.2 Statik starrer Krper und Statik elastischer Krper . . . . . . . . 2
1.3 Literatur zur Technischen Mechanik IIII . . . . . . . . . . . . . . 4
1.4 Aufgabensammlungen zur Technischen Mechanik IIII . . . . . . 4
2 Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 5
2.1 Spannung im Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
2.2 Dehnung im Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.3 Materialeffekte im Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.4 Zusammenfassung der mageblichen Gleichungen . . . . . . . . 22
2.5 Prinzip von S AINT-V ENANT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.6 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
6 Querschnittskennwerte 89
6.1 Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
6.2 Flchentrgheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
6.3 Biegung bei beliebigen Balkenquerschnitten . . . . . . . . . . . . 103
6.4 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
In diesem Abschnitt wollen wir kurz die beiden Themengebiete und damit auch
den Stoff der TM I und der TM II gegenberstellen. Im ersten Semester haben
wir uns in der Modellbildung mit als idealisiert starr angenommenen Krpern
beschftigt, die bestimmten ueren Krften ausgesetzt waren. Um die sta-
tisch bestimmten Systeme zu analysieren, haben wir den Kraftfluss berech-
net, also wie uere Belastungen durch das undeformierbare System in Aufla-
ger abgeleitet werden. Zur Berechnung haben wir Gleichgewichtsbedingungen
aufgestellt oder das Prinzip der virtuellen Verschiebungen angewendet.
In der Elastostatik verzichten wir auf die Idealisierung von Krpern als starr und
behandeln verformbare Krper. Die weiterhin wirkenden ueren Krfte rufen
nun in den Systemen Spannungen hervor, die unter bestimmten Annahmen
fr die Materialeigenschaften zu Dehnungen und Verformungen fhren. Das
Strukturverhalten wird nun hinsichtlich der wirkenden Spannungen und der
entstehenden Verformungen beurteilt. Dies ermglicht auch eine Berechnung
von statisch unbestimmt gelagerten Systemen, deren Verhalten vom Wider-
stand gegen Verformung, genannt Steifigkeit, abhngt. Zur Berechnung wer-
den weiterhin die Gleichgewichtsbedingungen herangezogen. Zustzlich sind
nun jedoch auch kinematische Bedingungen, die die Verformung des Systems
charakterisieren, und Materialeigenschaften zu bercksichtigen. Die Energie-
prinzipien werden erweitert, um elastostatische Probleme lsen zu knnen.
Die Beschreibung des Strukturverhaltens durch die 3 Grundgleichungen der
Mechanik
Gleichgewicht
Werkstoff und
Kinematik
erfolgt stets nach dem gleichen Muster. An verschiedenen Stellen in
diesem Muster werden unterschiedliche Annahmen eingebaut, mit de-
ren Hilfe bestimmte mechanische Phnomene auf unterschiedliche Art
und Weise modelliert werden. Als Beispiele seien Tragwerksmodelle wie
Balken oder Schalen sowie Annahmen fr Materialeigenschaften ge-
nannt. Die Grundgleichungen lassen sich anschaulich im sogenann-
ten TONTI -Diagramm darstellen, das auf den italienischen Mathematiker
TONTI zurckgeht. Ein derartiges Diagramm veranschaulicht die im Ge-
biet und am Rand des Systems gltigen Gleichungen und geht fr
den Fall der Elastostatik von den folgenden drei Gleichungstypen aus:
Spannungen Verzerrungen
statische RB (Schnittgren) WERKSTOFF (Verzerrungs-
resultierende)
STATIK
Gleichgewicht KINEMATIK
Definition. Ein Kontinuum ist eine Punktmenge, die den Raum oder Teile des
Raums zu jedem Zeitpunkt stetig ausfllt. Den Punkten werden bestimmte Ma-
terieeigenschaften zugeordnet.
Wird die Deformation eines Kontinuums allein durch die Verschiebungen sei-
ner Materialpunkte eindeutig beschrieben, spricht man vom B OLTZMANN-
Kontinuum. Eine Alternative ist das C OSSERAT -Kontinuum, bei dem die Ma-
terialpunkte zustzlich Rotationen ausfhren knnen (z. B. Sand).
Die Kontinuumsmechanik beschftigt sich demnach mit der Verformung von
deformierbaren, kontinuierlich mit Materie ausgefllten Krpern als Antwort auf
uere Belastungen.
Im ersten Semester wurden bereits die fr dieses Thema zentralen Begriffe
Spannung, Dehnung und Materialgesetz eingefhrt. Dabei haben wir uns je-
doch auf den eindimensionalen Fall des Dehnstabs beschrnkt. Nun wird die
Elastizittstheorie generell betrachtet, weshalb es notwendig ist, diese Begrif-
fe im Folgenden noch einmal im allgemeinen Kontext zu definieren und ihre
Anwendung auf ein 3D-Kontinuum aufzuzeigen.
Nach wie vor gehen wir ausschlielich von kleinen Deformationen aus, was
spter die Annahme linearer kinematischer Beziehungen sowie eines linear-
elastischen Materialverhaltens rechtfertigt. Auch in der TMII bewegen wir uns
somit ausschlielich im Rahmen der linearen Theorie. Der Einfluss von Nicht-
linearitten wird erst in den weiterfhrenden Veranstaltungen des Lehrstuhls
wie Nichtlineare Kontinuumsmechanik behandelt.
Das folgende Bild zeigt einen Schnitt durch einen mit einer Normalkraft belas-
teten Dehnstab. Auf der Schnittflche treten verteilte innere Kraftgren bzw.
Schnittgren auf.
6 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik
z dA
dF~
y
~n
x
z
Box 2.1
In der folgenden Box ist im linken Bild ein aufgeschnittener, belasteter, allge-
meiner Krper dargestellt. Auf der Schnittflche wirken Spannungen, die die
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 7
F
Fx
Fz
Ay
F1 F2
F1 F2
x
z
Box 2.2
Der Betrag und die Richtung der auf der Schnittflche wirkenden Kraft F er-
geben sich aus Gleichgewichtsbedingungen. Wie bereits in der TM I mssen
die Krfte, die auf den Schnittflchen eines herausgeschnittenen Teilchens wir-
ken, statisches Gleichgewicht erfllen. Die Krfte entsprechen dabei den Re-
sultierenden der verteilten Kraftgren, also der Spannungen.
Der Grenzbergang der Flche Ay gegen null liegt der Definition der auf
Ay wirkenden Spannungen zugrunde, und zwar, wie bisher, einer Normal-
spannung und, jetzt neu, zweier tangential wirkenden Schubspannungen :
8 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik
yy = y =
yx = yx =
yz = yz =
Box 2.3
Der erste Index beschreibt stets die Orientierung der Schnittflche A durch
Angabe der Richtung der Normalen auf dieser Flche (hier die y-Richtung),
whrend der zweite Index die Wirkungsrichtung der Spannung anzeigt. Da bei
den Normalspannungen die Orientierung der Flche der Wirkungsrichtung der
Spannung entspricht, wird hufig der zweite Index weggelassen (yy = y ,
xx = x usw.). Schubspannungen werden oftmals mit bezeichnet, es kann
jedoch auch als Bezeichnung verwendet werden. Die zweite Variante kommt
in diesem Skript vor allem in allgemeinen Indexdarstellungen zum Einsatz.
Schneidet man den Krper entlang zweier zustzlichen Ebenen senkrecht zur
x- bzw. z-Achse weiter auf, ergibt sich auf jeder neuen Schnittflche eine ana-
loge Situation. Aus dem Viertelkrper kann schlielich ein kleiner Wrfel bzw.
ein infinitesimales Volumenelement V herausgeschnitten werden:
xy zy
y
y
zz zx
xz xx
F1
x x
z
z
x
z
Box 2.4
= [ij ] =
Box 2.5
Die Gre heit auch Spannungstensor. Ein Tensor ist ein Begriff aus der
linearen Algebra und beschreibt eine Verallgemeinerung eines Vektors. Wh-
rend eine Matrix in gewissem Sinn nur eine Anordnungsvorschrift ist, hat ein
Tensor ganz bestimmte Eigenschaften, die auch mit physikalischen Zusam-
menhngen korrelieren. Die Tensorrechnung erlaubt eine hilfreiche Darstel-
lung und Behandlung mechanischer Zusammenhnge, auf die an dieser Stelle
10 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik
Der bersichtlichkeit halber sind im folgenden Bild nur die in x-Richtung wir-
kenden Spannungsresultierenden eingezeichnet:
yx
(yx + y
dy)dxdz
e~y e~x
z e~z x
zx dx dy
dy
zx
(zx + z
dz)dx dy (x + x
dx)dy dz
x
yx dx dz
dx dz
Box 2.6
Box 2.7
y
(y + y
dy)dx dz
yx
(yx + y dy)dx dz
y
xy
(xy + x
dx)dy dz (yx +
yx
y
dy) dx dz
y S
(x +
x
x
dx)dy dz
~ z x
I
S
(xy +
xy
dx) dy dz
~ x
dx
Box 2.8
Box 2.9
Auf vllig analoge Art und Weise liefern die beiden verbliebenen Momenten-
gleichgewichte:
yz = zy
xz = zx
ij = ji ,
d. h., wenn die Spannungsmatrix symmetrisch ist. Allgemein sind die senk-
recht aufeinander stehenden Schubspannungen mit denselben Indizes iden-
tisch. Sie werden einander zugeordnete bzw. assoziierte Schubspannungen
genannt.
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 13
F F
F
avg
B
D B Q B avg
C
D Q D
E C
C
E E
l
=
l
Box 2.10
undeformierte deformierte
Scheibe Scheibe
Anhand eines infinitesimalen Quadrats soll die Deformation nun allgemein be-
schrieben werden. Ein beliebiger Punkt P (x, y) wird durch den Verschiebungs-
vektor u(x, y) auf den Punkt P verschoben. Der Verschiebungsvektor besitzt
die folgenden Komponenten in x- und y-Richtung:
u(x, y)
u(x, y) =
v(x, y)
Das infinitesimale Quadrat P QRS geht aufgrund der Verformung in das Paral-
lelogramm P Q R S ber:
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 15
u + u
y
dy
u
y dy
R
S
v
v+ y
dy S R
dy
y 90 xy
Q v
x dx v
u v + x dx
v P
x
P dx Q
u u + u dx
x
Box 2.11
Die Verschiebungen der zum Punkt P benachbarten Punkte lassen sich unter
Vernachlssigung von Termen hherer Ordnung wie folgt in Abhngigkeit von
der Verschiebung u(x, y) des Punktes P ausdrcken:
Punkt Q :
Box 2.12
(
u(x, y + dy) = u(x, y) + u(x,y) dy
Punkt S : y
v(x,y)
v(x, y + dy) = v(x, y) + y dy
(
u(x + dx, y + dy) = u(x, y) + u(x,y) dx + u(x,y) dy
Punkt R : x
v(x,y)
y
v(x,y)
v(x + dx, y + dy) = v(x, y) + x dx + y dy
Durch die Verformung geht die Strecke P Q in die Strecke P Q ber. Aufgrund
der Annahme kleiner Deformationen ist der Winkel 1 und damit die Lnge
P Q der Strecke P Q nherungsweise gleich der auf die x-Achse projizierten
Lnge:
u u
P Q dx + u + dx u = dx + dx
x x
Auf diese Weise ergibt sich die Normaldehnung in x-Richtung, analog zu un-
serer frheren Definition der Ingenieursdehnung, aus dem Verhltnis von Ln-
gennderung zu Ausgangslnge:
16 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik
Box 2.13
Scherverformung
Anhand der vorherigen Abbildung lsst sich zustzlich zu den beiden Dehnun-
gen x und y auch noch die nderung des ursprnglich rechten Winkels QP S
zum verzerrten Winkel Q P S mit der Weite 90 herleiten. Unter der
Annahme kleiner Deformationen gilt:
u v
y
dy u x
dx v
tan = = tan = =
v y u x
dy + dy dx + dx
y x
|{z}
|{z}
1 1
Die Winkelnderung, hier in der xy-Ebene, wird als Scherung, Gleitung oder
Schiebung bezeichnet und symbolisch wie folgt dargestellt:
Box 2.14
Verzerrungstensor
Auch die Dehnung und die Scherung knnen in Matrixschreibweise bzw. als
Tensor dargestellt werden, d. h., auch Dehnungen und Scherungen besitzen
Tensoreigenschaften. Man fasst die Dehnungen und die halben Scherungen
unter dem Begriff Verzerrungen zusammen. Der Verzerrungstensor bzw. die
Verzerrungsmatrix lautet demnach fr den zweidimensionalen Fall:
x xy x 21 xy
= = 1
yx y
2 yx
y
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 17
Beachten Sie bitte den Faktor 21 zwischen ij und ij , der unter anderem durch
die folgenden Ausfhrungen begrndet werden kann.
Zur Verknpfung von Spannungen und Dehnungen dient das Material- bzw.
Werkstoffgesetz, auch konstitutive Beziehung genannt. In der TM I ist im Kapi-
tel ber den Dehnstab der Zugversuch behandelt worden, anhand dessen man
Materialgesetze ableiten kann. Es wurden Begriffe wie elastisches und plas-
tisches Verhalten erlutert, die in den Vorlesungen zur Werkstoffkunde weiter
vertieft werden.
Im folgenden Abschnitt sollen die Materialeffekte im Kontinuum betrachtet wer-
den. Dazu muss das bereits beim Dehnstab betrachtete eindimensionale Elas-
tizittsgesetz = E erweitert werden. Fr das Kontinuum wird im Folgenden
ideal elastisches, isotropes Materialverhalten angenommen. Isotrop bedeutet,
dass die Materialeigenschaften in allen Raumrichtungen identisch sind. Zum
Beispiel kann Stahl hufig als isotrop angenommen werden, wohingegen Holz
aufgrund der Faserstruktur ein ausgeprgt anisotropes Materialverhalten auf-
weist.
18 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik
Box 2.15
Ergnzung
Die vollstndige Normaldehnung ergibt sich aus einer Superposition der ein-
zelnen Anteile infolge Lngs- und Querdehnung. In allgemeiner dreidimensio-
naler Darstellung ergibt sich:
1
x = x y z
E E E
1
y = x + y z
E E E
1
z = x y + z
E E E
xy
y
xy
90 xy
Box 2.16
20 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik
In Anlehnung
Nan
den Elastizittsmodul E wird die Materialkonstante G mit
der Einheit mm2 als Schubmodul bezeichnet. Die Zusammenhnge zwischen
den einzelnen Schubspannungen und Scherungen im Kontinuum lauten dem-
nach:
Box 2.17
Es kann gezeigt werden, dass fr elastische, isotrope Materialien nur zwei un-
Ergnzung
abhngige Parameter gewhlt werden knnen, die das Materialverhalten voll-
stndig beschreiben. Neben den bisher erwhnten Parametern existieren noch
die sogenannten L AM-Konstanten und und der sogenannte Kompressi-
onsmodul K. Es gelten die folgenden Zusammenhnge:
L AM-Konstanten:
(3 + 2)
E= , G , =
+ 2 ( + )
Kompressionsmodul:
1
K= (3 + 2)
3
dem K RONECKER-Symbol
(
1 fr i = j
ij :=
0 fr i 6= j
schreiben als
1
ij = ij ij s
2G 1+
mit i, j {x; y; z} und s := Spur = x + y + z .
In computerorientierten Methoden wird meistens die Matrixschreibweise be-
vorzugt. Sie lautet fr linear-elastisches, isotropes Material
x (1 ) 0 0 0 x
y (1 ) 0 0 0 y
z
= E (1 ) 0 0 0 z
xy
12
xy (1 + )(1 2) 0 0 0 0 0
2
xz 0 12
0 0 0 2
0 xz
12
yz 0 0 0 0 0 2
yz
| {z } | {z } | {z }
= =C =
In den vorherigen Abschnitten haben wir die im Rahmen der linearen Kontinu-
umsmechanik bentigten Gren und deren Zusammenhnge behandelt. In
der Vorbemerkung zu diesem Skript wurde das TONTI-Diagramm als anschau-
liche Darstellungsform der Grundgleichungen der Mechanik vorgestellt. Nun
befllen wir es zum ersten Mal mit konkreten Gleichungen, um einen berblick
ber die Problemstellung der linearen Kontinuumsmechanik zu erhalten.
mit i, j {x; y; z}
Spannungen WERKSTOFF Verzerrungen
stat. RB =C
= [ij ] = [ij ]
STATIK KINEMATIK
Gleichgewicht
1 ui uj
P j,i ij =2 j + i
j j + fi = 0
ij = ji ij = ji
Box 2.18
In dieser bersicht sind alle Gren als ortsabhngig, d. h. als Funktionen von
x, y und z, zu verstehen und auf dem Gebiet des betrachteten Kontinuums
definiert.
Die zugrundeliegende Problemstellung, wie sich ein elastischer Krper unter
Einfluss uerer Lasten deformiert, kann demnach durch ein System von Diffe-
rentialgleichungen beschrieben werden, indem die Grundgleichungen (Statik,
Kinematik und Werkstoffgesetz) kombiniert werden. Die bentigten Randbe-
dingungen ergeben sich einerseits aus der Lagerung des Krpers, d. h. die
Verschiebung einzelner Punkte ist vorgegeben (kinemat. RB), und anderer-
seits aus aufgebrachten Randlasten, d. h. die Spannungen an einzelnen Punk-
ten sind vorgegeben (stat. RB).
Allerdings ist dieses mathematische Problem in den wenigsten Fllen analy-
tisch lsbar. Um trotzdem Aussagen ber reale Problemstellungen treffen zu
knnen, sind vereinfachte mechanische Modelle ntig. Mit dem Dehnstab ha-
ben wir bereits ein erstes eindimensionales, elastostatisches Modell kennen-
gelernt, das auf dem Stab als Strukturmodell basiert. Auch das aus der TMI
bekannte Balkenmodell werden wir in den folgenden Kapiteln um die Elastizi-
tt erweitern und die Deformation des Balkens unter Einfluss von Normalkraft,
Querkraft, Biegemoment und Torsion mathematisch beschreiben.
Bei der Anwendung dieser Modelle mssen stets die zugrundeliegenden, ver-
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 23
a a
b b
c c
Mchte man die Verformung charakterisieren, teilt man das Bauteil zweckm-
24 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik
ig in mehrere Bereiche ein, nmlich in den Bereich am oberen Ende mit dem
Loch und der Belastung, in den Bereich am unteren Ende mit der Einspan-
nung und in den Bereich dazwischen. Die ersten beiden Bereiche zeichnen
sich offensichtlich durch einen ausgeprgten rumlichen Spannungszustand
aus. Im Bereich dazwischen liegt hingegen ein nahezu einheitlicher, uniaxialer
Spannungszustand vor, d. h., in diesem Bereich tritt nur eine Normalspannung
in Richtung der Bauteillngsachse auf, die ber den Querschnitt konstant ist.
Diese Erkenntnis wird nach dem franzsischen Wissenschaftler B ARRE DE
S AINT-V ENANT (17971886) als Prinzip von S AINT-V ENANT bezeichnet. Es
besagt zum Beispiel, dass der Spannungs- und Dehnungszustand in einem
Krper an einem Punkt, der ausreichend weit weg von einer Lasteinleitungs-
stelle liegt, bei jeder statisch quivalenten Belastung dieser Einleitungsregion
derselbe ist.
Fr das dargestellte Beispiel bedeutet dies, dass die Spannungs- und Deh-
nungsverteilung im Schnitt c c gleich ist, egal ob die Last P als Punktlast
im Loch oder als verteilte Last ber den Querschnitt eingeleitet wird. Der Ein-
fluss der Lasteinleitung auf den Spannungs- und Dehnungszustand im Bauteil
verringert sich also mit zunehmender Entfernung von der Lasteinleitungsstelle,
wie in den Schnitten a a und b b zu sehen ist. Ebenso verhlt es sich mit
der Einspannung am unteren Ende des Bauteils.
Das rechte Bild zeigt die Spannungsverteilung in einem hnlichen Bauteil. So-
wohl die nahezu konstante Verteilung im mittleren Bereich als auch die Ein-
flsse der Lasteinleitung und der Lagerung sind deutlich zu erkennen.
Die Frage, wie gro der Abstand zu einer Lasteinleitungsstelle sein muss, um
einen homogenen Spannungszustand annehmen zu knnen, lsst sich nicht
allgemein beantworten und hngt vom betrachteten Problem ab. Als grobe
Faustregel gilt in einigen Fllen, dass der Abstand mindestens so gro sein
muss wie die grte Abmessung des belasteten Querschnitts, in unserem Bei-
spiel also die Breite (und nicht die Dicke) des Bauteils.
Das Prinzip von S AINT-V ENANT spielt bei der Modellbildung fr die Berech-
nung und Bemessung von mechanischen Bauteilen eine zentrale Rolle. Auf-
grund dieses Prinzips kann im dargestellten Beispiel der mittlere Bereich des
Bauteils gem dem Vorgehen aus dem letzten Semester bzw. dem folgen-
den Kapitel als eindimensionaler Dehnstab modelliert und analysiert werden.
Diese Tatsache verdeutlicht nochmals die Wichtigkeit der Modellbildung in der
Mechanik. Der Ingenieur muss abschtzen knnen, welches mechanische Mo-
dell er whlen kann, um sein Problem zu lsen. Hierbei muss er beurteilen
knnen, ob in der Realitt immer vorhandene Strungen in der Spannungsver-
teilung mageblich die gesuchten Gren beeinflussen oder nicht.
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 25
2.6 Rckblick
Insgesamt ergibt sich die folgende bersicht ber die unbekannten Gr-
en im elastischen, isothermen Kontinuum und die zur Verfgung ste-
henden Gleichungen:
3 Verschiebungskomponenten 6 kinematische Beziehungen
6 Verzerrungskomponenten 3 Krftegleichgewichte
6 Spannungskomponenten 6 konstitutive Gleichungen (Werkstoff)
15 Unbekannte 15 Gleichungen
3 Arbeits- und Energiemethoden
in der Elastostatik
hung, voraus. Die erste Annahme bedeutet, dass die Verschiebungen und
Verzerrungen der Krper sehr klein bleiben, sodass wir die Zusammenhn-
ge zwischen Verschiebung und Verzerrung als linear annehmen drfen und
alle Krfte am unverformten System angesetzt werden. Die zweite Annahme
besagt, dass Spannungen mit Verzerrungen und Temperaturnderung linear
zusammenhngen.
Auerdem gehen wir von isothermen Vorgngen aus, die Temperatur im Ge-
samtsystem bleibt also unverndert.
Mit dWa bezeichnen wir die differentielle nderung der Arbeit, verursacht durch
uere Krfte entlang einer Verschiebung. Mit dWi wird die differentielle nde-
rung der inneren Arbeit, verursacht durch innere Krfte entlang einer Verschie-
bung bezeichnet, wobei die inneren Krfte im gesamten Krper verteilt, also
allgemein volumenverteilt sind, whrend uere Krfte sowohl als Einzelkrfte,
Linien-, Flchen-, oder Volumenlasten wirken knnen.
Box 3.1
Der Energiesatz leitet sich vom 1. Hauptsatz der Thermodynamik ab, da unter
den gegebenen Voraussetzungen das Gesamtproblem in ein mechanisches Ergnzung
und davon unabhngiges kalorisches Teilproblem zerfllt. Bei dem mechani-
schen Teilproblem betrachten wir keine kinetischen Energieanteile, womit der
dargestellte Energiesatz (der Elastostatik) brig bleibt.
Dabei kommt nicht es auf die Reihenfolge der Belastung an. Aus dieser Er-
kenntnis knnen wir die Stze des folgenden Abschnitts ableiten.
Die Indizierung der Verschiebungen in diesem Beispiel werden wir ab jetzt bei-
behalten. Die Verschiebung ~uik bezeichnet also mit dem ersten Index i den
Punkt, dessen Verschiebung betrachtet wird, und mit dem zweiten Index k die
Belastung, zu der diese Verschiebung gehrt. Ein einzelner Index kennzeich-
net demnach die Gesamtverschiebung an einem Punkt. Die gleiche Indizie-
rung wird auch auf Arbeitsanteile etc. angewandt.
30 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
Im Rahmen der linearen Theorie lsst sich die Verformung ui an einem belie-
bigen Punkt i eines Krpers infolge einer allgemeinen Belastung in ihre Verfor-
mungsanteile infolge einzelner Krfte zerlegen. Gem der zuvor eingefhrten
Indizierung wollen wir mit uik denjenigen Anteil der Gesamtverschiebung ui des
Krperpunktes i bezeichnen, der allein durch eine am Krperpunkt k angrei-
fende Einzelkraft Fk hervorgerufen wird. Im Rahmen der linearen Theorie sind
die Kraft Fk und der zugehrige Verschiebungsanteil uik zueinander proportio-
nal:
uik
uik Fk
Fk
System
Fk
Fi
Wir wollen nun die Arbeit in einem System
untersuchen, an dem nacheinander die Krf-
k
te Fi am Punkt i und Fk am Punkt k angreifen. i
Entsprechend dem letzten Abschnitt darf die 0
Belastungsreihenfolge keinen Einfluss auf die u0k u0i
sich ergebende Gesamtverschiebung haben. u0
Belastungsreihenfolge Fi Fk
fii(ii)
~uii
Box 3.2
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 31
Die von der Kraft Fi entlang der Verschiebung uii des Kraftangriffspunktes i
geleistete Arbeit Wii lsst sich wie folgt anschreiben:
Box 3.3
Box 3.4
Unter der Annahme, dass sich whrend des Belastungsvorgangs nur der Be-
trag der Kraft Fi ndert, nicht aber deren Richtung und Angriffspunkt, knnen
wir die zuvor erwhnte Proportionalitt zwischen Kraft und Verschiebung wie
folgt formulieren:
fii = ii Fi
dfii = ii dFi
dfii bezeichnet hierbei die durch eine differentielle Kraftnderung dFi her-
vorgerufene differentielle Verschiebung des Kraftangriffspunkts i in Richtung
von Fi . Damit berechnet sich die Arbeit Wii mittels expliziter Integration zu
32 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
Z Fi Z Fi
Wii = Fi ii dFi = ii Fi dFi
0 0
1 1 fii2
= = Fi fii =
2 2 ii
Box 3.5
Fk
Fi
fkk
fik ukk
uik
Auf das bereits mit der Kraft Fi belastete und infolgedessen verformte System
wird nun zustzlich die Kraft Fk aufgebracht, wodurch der Angriffspunkt von Fi
eine weitere Verschiebung uik erfhrt. hnlich wie zuvor bezeichnen wir die
Projektion von uik auf die Wirkungsrichtung von Fi mit fik . Die Proportionalitt
zwischen Kraft und Verschiebung lsst sich dann wie folgt formulieren:
fik = ik Fk
Die Einflusszahl ik kann in diesem Fall als die durch eine Kraft Fk vom Betrag
1 hervorgerufene Verschiebung des Kraftangriffspunkts i in Richtung von Fi
interpretiert werden. Wie zuvor hngt ik lediglich von der Lage der Kraftan-
griffspunkte i und k sowie von den Wirkungsrichtungen der Krfte Fi und Fk
ab, nicht jedoch von deren Betrgen.
Die Kraft Fi leistet entlang der durch die Kraft Fk hervorgerufenen Verschie-
bung uik des Kraftangriffspunktes i die Arbeit Wik , fr die gilt:
Z uik Z fik
Wik = Fi dfik
F~i d~uik =
0 0
Z Fk Z Fk
= Fi ik dFk = Fi ik dFk
0 0
= = Fi fik
Box 3.6
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 33
Neben diesem Arbeitsanteil muss zustzlich die von der Kraft Fk entlang der
Verschiebung ukk geleistete Arbeit Wkk bercksichtigt werden, die sich vllig
analog zum Vorgehen im ersten Schritt wie folgt berechnen lsst:
2
1 1 1 fkk
Wkk = kk Fk2 = Fk fkk =
2 2 2 kk
Der Arbeitsanteil Wkk kann als Eigenarbeit der Kraft Fk entlang der von ihr
selbst erzeugten Verschiebung fkk interpretiert werden und entspricht der drei-
ecksfrmigen Flche unter der zugehrigen Kraft-Verschiebungs-Linie (siehe
linkes Diagramm), woraus der in Wkk enthaltene Faktor 21 resultiert. Genauso
verhlt es sich mit dem im ersten Schritt berechneten Arbeitsanteil Wii . Der
Arbeitsanteil Wik beschreibt hingegen die Fremdarbeit der Kraft Fi entlang
der Verschiebung fik , die nicht von Fi selbst, sondern von der anderen Kraft
Fk erzeugt wird, und zwar zustzlich zur bereits bestehenden Verschiebung
fii . Die mit Wik assoziierte Flche unter der zugehrigen Kraft-Verschiebungs-
Linie besitzt die Form eines Rechtecks (siehe rechtes Diagramm), und der in
Wik enthaltene Multiplikationsfaktor betrgt infolgedessen 1.
Fk Fk
fkk fik
Box 3.7
34 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
Belastungsreihenfolge Fk Fi
Die Gesamtarbeit muss aufgrund der Linearitt in beiden Fllen gleich gro
sein, also
W (1) = W (2)
1 1 1 1
ii Fi2 + Fi ik Fk + kk Fk2 = kk Fk2 + Fk ki Fi + ii Fi2
2 2 2 2
Damit sind zwei wichtige Stze abgeleitet:
Satz von B ETTI (18231892):
Satz. Bei einem linear-elastischen Krper ist bei quasistatischen,
isothermen Formnderungen die Verschiebungsarbeit, die ein Krf-
tesystem F~i bei der nachfolgenden Belastung durch ein Krftesys-
tem F~k leistet, gleich der Verschiebungsarbeit, die das Krftesys-
tem F~k bei der nachfolgenden Belastung durch das Krftesystem
F~i leistet.
Box 3.8
1
1
k
i
ik ki
~ek
~ei
Box 3.9
Die beiden Stze gelten analog auch fr angreifende Momente, wobei die Ein-
flusszahlen dann einer Verdrehung an einem Punkt infolge eines Moments
entsprechen. Wir werden das spter an Beispielen zeigen.
Die Einflusszahl ii kann niemals negativ werden. Sie kann auch nur ver-
schwinden, wenn die zugehrige Kraft Fi direkt an einem Auflager angreift. Die
Begrndung ist, dass es sich bei Wii um die Eigenarbeit der Kraft Fi handelt.
Diese Art von Arbeit werden wir in einem spteren Abschnitt noch genauer
untersuchen.
ii 0
Die Einflusszahl ik kann jedoch auch negativ sein. Sie hngt von den Wir-
kungslinien und -richtungen der beiden Krfte Fi und Fk ab.
<
ik =
>
0
Es lassen sich noch weitere Prinzipien mit Hilfe der Energie- und Arbeitsbe-
trachtungen ableiten, die zur Berechnung von elastischen Systemen sehr hilf-
reich sind. Dazu verallgemeinern wir die Situation des letzten Abschnitts:
Ein linear-elastischer Krper sei nun durch ein ganzes Krftesystem F~i (i =
1, . . . , n) belastet, wobei wir darin entsprechend dem letzten Abschnitt auch
Momente mit einschlieen wollen. Die Angriffspunkte und Wirkungsrichtungen
der Krfte seien gegeben, womit auch alle Einflusszahlen ik feststehen. Nur
die skalaren Gren Fi der Krfte betrachten wir als variabel.
36 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
Die Gesamtarbeit, die das Krftesystem leistet, lsst sich schreiben als
W = W (Fi ) =
Leitet man diese partiell nach einer der Krfte ab, ergibt sich
W (Fi )
=
Fi
Box 3.10
(Fi )
= (Fi ) = fi
Fi
Dies ist der erste Satz von C ASTIGLIANO (18471884). Es gibt auch einen
zweiten Satz von C ASTIGLIANO , auf den wir hier jedoch nicht nher eingehen.
In der bersicht am Ende dieses Kapitels wird er in die Energieprinzipien ein-
geordnet.
Wir haben in dem gesamten bisherigen Kapitel nicht vorrausgesetzt, dass die
linear-elastischen Systeme bzw. Krper statisch bestimmt gelagert sind. In
der Tat gelten alle Prinzipien auch fr statisch unbestimmte Systeme. Fr den
Dehnstab haben wir mit Hilfe des Superpositionsprinzips statisch unbestimm-
te Probleme gelst. Aus den Energieprinzipien und speziell mit dem Satz von
C ASTIGLIANO knnen wir nun eine allgemeine Herleitung und spter auch ein
allgemeingltiges Rechenverfahren fr statisch unbestimmte Systeme aufstel-
len.
Dazu betrachten wir den folgenden, statisch unbestimmt gelagerten und mit
einem Krftesystem belasteten Trger.
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 37
X2
X1
F2
Fi
F1
A2
B
A1
X4 X3
Aus allen Auflagerreaktionen lsst sich stets ein Satz finden, der das Sys-
tem statisch und kinematisch bestimmt macht. Dieses Teilsystem wird statisch
bestimmtes Hauptsystem genannt. Alle anderen Auflagerreaktionen knnen
dann als statisch Unbestimmte Xk betrachtet werden, die wir als Krftesys-
tem zusammenfassen knnen. Diese Situation entspricht genau dem Fall im
vorigen Abschnitt, da die Arbeit im Gesamtsystem als Funktion von den einge-
prgten Krften Fi und den Unbekannten Xk abhngt (W = W (Fi , Xk )). Da an
allen Auflagern die entsprechende Verformung verschwinden muss (fk = 0),
liefert der erste Satz von C ASTIGLIANO
Box 3.11
Diese Erkenntnis wiederum ist der Satz von M ENABREA (18091896), oder
auch Satz vom Minimum der inneren Arbeit bzw. Satz vom Minimum des Kom-
plementrpotentials genannt.
(Fi , Xk )
=0
Xk
Als benachbarte Zustnde sind dabei solche Zustnde zu betrachten, die wir
durch Variation der Reaktionen Xk erhalten. Dass die sich einstellenden Re-
aktionen Xk zu einem Minimum der inneren Arbeit Wi und nicht zu einem Ma-
38 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
An dieser Stelle wollen wir auch noch einmal auf das Skript TM1 verweisen,
wo wir im Kapitel Arbeit das Potential eines starren Krpers untersucht haben
und erkannt haben, dass Gleichgewicht herrscht, wenn das zugehrige Poten-
tial ein Minimum einnimmt. Die eben hergeleitete Gleichung stellt eine Verall-
gemeinerung dieser Beziehung auf elastische, statisch unbestimmte Systeme
dar.
In den Herleitungen haben wir uns nur mit allgemeinen Krpern und Krfte-
systemen beschftigt. Wir wollen uns nun wieder konkreten Strukturen zuwen-
den und deren Berechnung aufzeigen. Dadurch sollen die vorgestellten Prin-
zipien auch anhand von Beispielen veranschaulicht werden. Wir verwenden
zunchst das Beispiel des Dehnstabs. Die Erweiterung auf andere Modelle er-
folgt in den jeweiligen Kapiteln, die sich mit den enstprechenden Deformations-
und Belastungszustnden beschftigen (Torsion, Balkenbiegung, etc.).
F
F u
u
Box 3.12
In der Abbildung links ist ein Dehnstab unter der Belastung F dargestellt. Da-
bei verlngert sich der Stab um u. Wir wollen die Arbeit berechnen, die sich
in dieser Situation ergibt. Dabei gehen wir davon aus, dass die Kraft F lang-
sam (quasistatisch) aufgebracht wird, wodurch sich der Lastangriffspunkt um
u verschiebt. Die (uere) Arbeit der Kraft F ergibt sich aus dem Integral
Z u
W = F du
0
Wenn der Zusammenhang zwischen der Kraft und der Verschiebung bekannt
ist, lsst sich das Integral berechnen. Fr den Fall eines linear-elastischen
Dehnstabs ist dieser Zusammenhang
Fl EA
u= F = u
EA l
Einsetzen und auswerten des Integrals ergibt
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 39
Box 3.13
ergibt sich
Box 3.14
F + F
F
F
u
u u
u
F F u u + u
Box 3.15
40 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
F F
Ergnzungsenergie Ergnzungsenergie
Formnderungsenergie Formnderungsenergie
u u
Im letzten Semester haben wir das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV)
zur Berechnung von Auflager- und Schnittkrften kennen gelernt. Dazu haben
wir das starre System durch Lsen von Freiheitsgraden verschieblich gemacht,
daraufhin eine virtuelle Verschiebung aufgebracht und konnten schlielich
aus der Bedingung, dass die virtuelle Arbeit im System im Gleichgewichtsfall
verschwinden muss, die gesuchte Kraft berechnen.
In diesem Semester beschftigen wir uns mit elastischen, also verformbaren
Systemen. Folglich mssen wir keine Freiheitgrade lsen, sondern knnen das
Prinzip der virtuellen Verschiebungen direkt anwenden. Darauf wollen wir hier
jedoch nicht genauer eingehen, sondern stattdessen das Prinzip der virtuellen
Krfte darstellen.
Unter virtuellen Krften versteht man, analog zu den virtuellen Verschiebun-
gen, Gren, die nur zur Berechnung eingefhrt werden, also nichts mit den
physikalischen Krften zu tun haben. Sie sind infinitesimal klein, werden mit
einem -Symbol bezeichnet und mssen den statischen Randbedingungen,
also den Gleichgewichtsbedingungen gehorchen (analog zu den virtuellen Ver-
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 41
u u
u
F F
F
Arbeit der Kraft F entlang der sich ergebenden Verschiebung u (der
Strich besagt, dass es sich um eine Verschiebung infolge einer virtuellen
Gre handelt):
W =
W =
W =
W =
Box 3.17
42 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
Kehrt man die Belastungsreihenfolge um, d. h., belastet man den Dehnstab zu-
Bemerkung
nchst mit der realen Kraft F und hernach zustzlich mit der virtuellen Kraft F ,
liefert eine analoge Rechnung den folgenden Ausdruck fr die gesamte uere
Arbeit, die am Dehnstab verrichtet wurde:
1 1
W = F u + F u + F u
2 2
Da diese Arbeit nicht von der Belastungsreihenfolge abhngen darf, folgt nach
einem Vergleich mit dem vorherigen Ergebnis sofort:
F u = F u
Die von der virtuellen Kraft F auf der realen Verschiebung u verrichtete
Fremdarbeit entspricht also der von der realen Kraft F auf der virtuellen Ver-
schiebung u verrichtete Fremdarbeit. Diese Identitt ergibt sich als direkte Kon-
sequenz aus dem Satz von B ETTI.
Schreibt man die am Dehnstab verrichtete Gesamtarbeit W mithilfe der vorhe-
rigen Gleichung um, ergibt sich:
1 1 1 1
W = F u + F u + (F u + F u) = (F + F ) (u + u)
2 2 2 2 | {z } | {z }
= F = u
Die Arbeit W lsst sich also auch als Eigenarbeit der kombinierten Kraft F =
F + F entlang der kombinierten, von F abhngigen Verschiebung u = u + u
interpretieren.
N + N
1 (N + N)2 l
= =
2 EA
1 N 2 l 1 N 2 l N N l
= + +
2 EA 2 EA EA
Nach dem Energiesatz muss stets die uere Arbeit gleich der inneren Form-
nderungsarbeit sein, sowohl fr die einzelnen (virtuellen) Lastflle, als auch
fr die Superposition. Daraus ergibt sich:
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 43
W =
1 1 1 N 2 l 1 N 2 l N N l
F u + F u +F u = + +
|2 {z } |2{z } |2 {z
EA} |2 {zEA} EA
Box 3.18
3.5.1 Prinzip der virtuellen Krfte zur Berechnung von allgemeinen Ver-
formungen
Im letzten Abschnitt haben wir das Prinzip der virtuellen Krfte dazu verwen-
det, die Verschiebung eines einzigen Dehnstabs in dessen Axialrichtung zu
berechnen. Diese Art von Problemen konnten wir jedoch auch schon im Kapi-
tel Dehnstab (TM1) aus Integration der Differentialgleichung lsen.
Das Prinzip der virtuellen Krfte bietet jedoch auch die Mglichkeit, Verschie-
bungen in jegliche Richtung in einem ganzen Tragwerksystem zu berechnen.
Das Verfahren lsst sich auch problemlos auf Biegebalken und torsionsbean-
spruchte Systeme erweitern, sodass ein generelles und schematisches Vorge-
hen zur Berechnung von Verschiebungen und Verdrehungen entsteht. Dieses
Verfahren geht auf das Prinzip von M OHR (18351918) zurck, das die Ermitt-
lung von Tangentendrehwinkeln und Durchbiegungen eines statisch bestimmt
gelagerten Balkens bei beliebiger Belastung und beliebigem Momentenverlauf
erlaubt.
D C Wir nehmen als Beispiel das links
dargestellte Fachwerk, das an sei-
2m
ner Spitze durch die Kraft P belastet
ist. Gesucht ist die vertikale Verschie-
bung vC des Knotens C infolge die-
2m 2m
B ser Last. Das Fachwerk besteht aus
A
P Stben mit der konstanten Dehnstei-
figkeit EA.
D 1 D 2P C
C
2P
2 vc 0 2P
B A P B
A 0
P
Box 3.19
Box 3.20
P 0 4
= +
EA
P
= 4(1 + 2)
EA
Box 3.21
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 45
Diese Summe muss gleich der ueren Arbeit der virtuellen Kraft sein:
P !
4(1 + 2) =
EA
Box 3.22
Zur Verdeutlichung sei in dem gleichen System jetzt die horizontale Verschie-
bung uC am Knoten C infolge P gesucht.
NAB NAB LAB NAC NAC LAC NBC NBC LBC NCD NCD LCD
= + + +
EA EA EA EA
Box 3.24
Das gerade dargestellte Verfahren kann auch fr die Berechnung von statisch
unbestimmten Systemen eingesetzt werden. Wir haben bereits im Kapitel des
Dehnstabs (TM I) mehrere Lsungsanstze kennen gelernt. Eines davon war
das Superpositionsprinzip. Es werden dafr statisch Unbestimmte eingefhrt,
die als Kraftwirkungen die berzhligen kinematischen Bedingungen (Auflager
46 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
s + r 2k = 6 + 3 2 4 = 1
Im 0-System berechnen wir die Stabkrfte Si0 infolge der ueren Belas-
tung des Systems, in diesem Fall F . Dies kann hier durch Gleichgewicht
am Knoten geschehen, es sind aber grundstzlich alle Verfahren zur Be-
rechnung statisch bestimmter Systeme mglich. Die Ergebnisse sind in
der folgenden Zeile dargestellt und am Ende dieses Abschnitts in einer
Tabelle zusammengefasst.
Si0 : F F 0 0 F 2
Box 3.26
10 =
EA 10 =
Box 3.28
berechnet sich aus der Summe der Integrale aus den berlagerten Ein-
heitszustnden
Box 3.29
Box 3.30
10 + X1 11 = 0
Box 3.31
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 49
Si =
Zum Beispiel
S6 =
Box 3.32
Erzeugen eines
STATISCH BESTIMMTES HAUPSTS STEMS
durch Lsen einer Schnittgre
KOMPATIBILITT
an Schnittstelle im Hauptsystem:
10 + X1 11 = 0
Bestimmung von X1
Die dargestellte bersicht soll nochmals einen berblick ber die Energieme-
thoden der Statik geben.
Arbeitssatz
Die Prinzipien vom Minimum der Potentiale (D IRICHLET oder M ENABREA) set-
zen, wie der Name schon sagt, die Existenz von Potentialen voraus. Dies ist
zwar zum Beispiel bei elastischem Werkstoffverhalten der Fall, bei Plastizi-
tt jedoch nicht. Deshalb haben wir diese Prinzipien in diesem Kapitel nicht
behandelt. Die Prinzipien der virtuellen Arbeit setzen diese Bedingung nicht
voraus, sind also allgemeiner gltig. Darauf setzen wir deshalb im weiteren
Verlauf den Schwerpunkt.
Mit diesen Prinzipien lassen sich auch noch allgemeinere Verfahren der Varia-
Ergnzung
tionsrechnung verbinden, mit denen sich zum Beispiel moderne numerische
Berechnungsverfahren in der Mechanik beschftigen.
Die folgende Tabelle soll noch einmal das Prinzip der virtuellen Arbeit verdeut-
lichen.
PvV PvK
Prinzip der Prinzip der
virtuellen Verschiebungen virtuellen Krfte
virtueller Verschiebungszustand Kraftzustand
Zustand
muss Kinematik Statik
erfllen
im Gebiet und am Rand im Gebiet und am Rand
wirklicher
Zustand Kraftzustand Verschiebungszustand
inhaltliche
Aussage Statik Kinematik
Alle Energieprinzipien sind integral, also als Summe fr das gesamte System
formuliert. Sie werden deshalb auch als schwache Form bezeichnet. Je nach-
dem, welches Prinzip angewandt wird, werden die zugehrigen Gleichungen in
schwacher Form erfllt, was im folgenden Tonti-Diagramm durch einen Kasten
verdeutlicht ist:
52 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik
3.7 Rckblick
Die Energieprinzipien spielen eine zentrale Rolle in der Mechanik. Sie lassen
sich kaum in kurzer Form zusammenfassen. Deshalb knnen hier nur ein
paar Stichworte wiederholt werden.
Die Stze von B ETTI und M AXWELL grnden auf der linearen Theorie
fr Krfte, Verformungen und Arbeiten und besagen
Wik = Wki
ik = ki
Die Stze von C ASTIGLIANO und M ENABREA fhren auf eine Berech-
nungsmethode fr statisch unbestimmte Systeme:
(Fi , Xk )
=0
Xk
Das Prinzip der virtuellen Krfte wurde eingefhrt und als Methode zur
Berechnung von Verformungen statisch bestimmter und statisch unbe-
stimmter Systeme verwendet.
4 Torsion rotations-
symmetrischer Wellen
Begriffsabgrenzung:
Bemerkung
In der Literatur wird fr das im Folgenden betrachtete Modell rotationssymme-
trischer Wellen unter Torsionsbelastung oft der Begriff Torsionsstab verwendet.
Ein Stab, rein geometrisch gesehen ein schlanker, zylindrischer Krper, kann
somit neben der aus der TMI bekannten Zug-/Druckbelastung in Stablngs-
richtung auch ein Torsionsmoment aufnehmen. Da die beiden Belastungsfor-
men und auch die daraus resultierenden Deformationen im Rahmen der linea-
ren Theorie entkoppelt sind, knnen sie (wie in der TM-Lehre blich) getrennt
voneinander betrachtet werden. Diese Begriffserweiterung des Stabs tangiert
nicht die klare Abgrenzung zum Modell des Balkens, der im Gegensatz zum
Stab auch Krfte quer zur Lngsachse sowie Biegemomente aufnehmen kann.
Experiment
Verwendet wird ein runder Stab (Radius R) aus einem weichen, elastischen
Material wie zum Beispiel Gummi. Er wird mit einem Netz aus Linien (Krei-
sen und dazu orthogonalen, geraden Linien, vergleiche Abbildung) versehen.
Anschlieend wird der Stab an einem Ende fest eingespannt und am ande-
ren Ende durch ein gemigtes axiales Torsionsmoment beansprucht. Die-
ses Moment sei so gering, dass das Materialverhalten in guter Nherung als
linear-elastisch angenommen werden kann.
MT
Annahmen
Aus diesen Beobachtungen lsst sich ableiten, dass im Rahmen der von uns
betrachteten Theorie folgende Annahmen zulssig sind:
1. In der Welle mit Kreis- bzw. Kreisringquerschnitt treten keine Verschie-
bungen in x-Richtung auf. (Lngenkonstanz)
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 55
Die von uns getroffene Annahme des Ebenbleibens der Querschnitte unter
Ergnzung
Torsionsbelastung lsst sich fr beliebige Querschnitte nicht aufrechterhalten.
Fast alle nicht runden Querschnitte haben die Eigenschaft, sich unter Torsi-
onsbelastung zustzlich zur Verdrehung zu verwlben.
MT
~ex undeformiert
~ez Verdrehung
z Verwlbung
~ey
y
Aufgrund der Symmetrie des Problems wird hier zur Beschreibung der Geo-
metrie zweckmigerweise mit Zylinderkoordinaten gearbeitet. Ein beliebiger
Punkt P in der Welle ist eindeutig beschrieben durch:
x
Box 4.1
56 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen
(x1)
y
deformierte
Schnittebene x1
(x2)
x2
nicht deformierte
Schnittebene
MT
Aus obigen Ausfhrungen wurde deutlich, dass unter den genannten Vor-
raussetzungen der Verdrehungswinkel alleine die gesamte Deformation be-
reits vollstndig beschreibt. Ein Punkt (x, , r) erfhrt also die folgende Defor-
mation:
Box 4.2
Um etwas ber die lokalen Deformationen aussagen zu knnen muss man das
Wissen ber die Deformation (Ebenbleiben der Querschnitte etc.) auf infinite-
simale Elemente dx, rd, dr bertragen:
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 57
z z
x
dx
y y
Vorderseite
d
x x
r
dr
z z
y y
Rckseite
d
x x
Box 4.3
C
A C A
D
B D B
x
dx dx
x x + dx x x + dx
Box 4.4
58 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen
Die Gleitung des Elementes lsst sich aus der folgenden Abbildung ableiten:
x
x + dx
x
Box 4.5
. rd r (x) dx
= tan = =
dx dx
Dies liefert fr die Gleitung eine Abhngigkeit nur von x und r:
Box 4.6
R
(max) r
dx
max Rr
Ist wie in dem anfangs betrachteten Beispiel mit dem Gummistab eine
Konstante, so ist (x, r) = (r) entlang der Welle konstant.
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 59
Span-
nungen Ver-
stat RB (S-resultie- MATERIAL zerrungen
rende)
, MT
KINEMATIK
GGW $\gamma=r\phi$
uere Verform-
ungen kin RB
Last DGL
Box 4.7
Torsionsschubspannung
=G
Box 4.8
max
max
r
R
dA
x MTx
max
Assoziierte Schubspannungen
A ds = r d
~er
~ex ~e
r
r
Box 4.9
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 61
x
62 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen
Span-
nungen MATERIAL Ver-
stat RB (S-Resultie- zerrungen
rende)
KINEMATIK
GGW
= r
uere Verform-
Last DGL ungen kin RB
Box 4.10
(r + dr)d
= rd
dr dA
rd
d
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 63
Durch Einsetzen von aus Kinematik und Materialgesetz erhlt man die Tor-
sionsformel:
MT (x) =
Box 4.11
Nun fassen wir die Terme, die nur von der Geometrie der Welle abhngen, in
der Gre
R4
IT :=
2
zusammen. IT wird als Torsionstrgheitsmoment oder auch polares Moment
bezeichnet. Es ergibt sich:
MT (x) = G IT (x)
Box 4.12
G IT wird auch als Torsionssteifigkeit der Welle bezeichnet. (Man beachte die
Analogie zur Dehnsteifigkeit EA beim Dehnstab!)
64 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen
MT (x)
(x, r) = r
IT
Box 4.13
x dx
MT (x) mj (x)
(x) = =
G IT G IT
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 65
Span- MATERIAL
nungen Ver-
stat RB (S-Resultie- = G zerrungen
MT 0 rende)
,
KINEMATIK
GGW
MT (x) = r
uere
Verform-
Last
DGL ungen kin RB
mj m
= GIjT
Box 4.14
Man beachte die Analogie zum Dehnstab. Diese Analogie tritt auch bei dem
im Folgenden auf torsionsbelastete Wellen angewandten Arbeitssatz zu Tage.
Eine statisch bestimmt gelagerte, kreiszylindrische Welle werde durch ein Ein-
zelmoment MD am freien Ende der Welle belastet. Fr den Torsionsmomen-
tenverlauf gilt dann bekanntlich:
MT (x) = MD = const.
MD > 0
x
l
MD
MT (x)
Die Konstante GIl T kann man mit Hilfe der im Kapitel Arbeit eingefhrten No-
menklatur als inverse Einflusszahl ll1 bezeichnen (siehe z. B. Analogie zur
f2
dort hergeleiteten Formel Wii = 1ii 2ii ).
Verwendet man hier wieder den Zusammenhang zwischen Moment und Dreh-
winkel, so erhlt man fr die am System geleistete uere Arbeit:
MD ()
(l)
Box 4.15
Auch diese Beziehung haben wir im Prinzip schon unter dem Begriff Eigenar-
beit einer ueren Kraft im Kapitel Arbeit kennengelernt. Sie wird an obigem
Bild noch einmal graphisch veranschaulicht.
Wir betrachten nun die selbe Welle unter einer beliebigen Torsionsbelastung,
die sich wie folgt zusammensetzt:
n Einzelmomente MD,i , jeweils an der Stelle xi
Verteilte Torsionsmomentbelastung md (x)
Die gerade eben gemachten berlegungen sind im Rahmen der linearen
Theorie (genauso wie bei ueren Krften) auf die kombinierten Belastungen
bertragbar. Die gesamte uere Arbeit ist die Summe der einzelnen ueren
Arbeitsanteile und lautet:
n Z l
X 1 1
WA = (xi ) MD,i + (x) md (x) dx
i=1
2 x=0 2
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 67
Box 4.16
Der Faktor 1
2
ergibt sich dabei aus demselben Grund wie am Dehnstab.
abgeleitet werden werden. In dem Fall der wlbfreien Torsion reduziert sich
das Skalarprodukt zwischen Spannungs- und Verzerrungstensor einfach zu
Z
1
d = dA dx
A 2
Zudem zeigt sich die strukturelle Gemeinsamkeit zum Dehnstab, fr den die
entsprechende Formel in Kapitel 3 lautete:
Z
1
d = dA dx
A 2
Durch Integration ber die Lnge l der Welle folgt fr die gesamte vom Schnitt-
moment geleistete (innere) Arbeit:
Z l Z Z
1 l 1 l (MT (x))2
= d = MT (x) (x) dx = dx
0 2 0 | {z } 2 0 GIT
MT (x)
= GIT
68 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen
Der Arbeitssatz aus Kapitel 3 ist unter sehr allgemeinen Voraussetzungen, wie
sie auch in diesem Kapitel vorliegen, gltig. Er lsst sich somit auch fr torsi-
onsbelastete, kreiszylindrische Wellen formulieren:
Box 4.17
Problemstellung
Analog zum Vorgehen fr den Dehnstab in Kapitel 3 sei nun ein einseitig ein-
gespannter Torsionsstab gegeben:
MD
l
x
Wir wollen nun versuchen, die Verdrehung an einer Stelle b mit Hilfe von
Schnittmomenten (aus Momentengleichgewicht), konstitutiven Gleichungen
(aus Materialgesetz) und virtuellen Krften in Kombination mit dem Arbeits-
satz zu berechnen.
1
MD
b
l
x
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 69
Mit dem Schnittgrenverlauf und dem Materialgesetz ergibt sich sofort die
Formnderungsenergie des kombiniert belasteten Systems:
Z 2 Z Z l Z
1 l MT + MT 1 l MT2 MT MT 1 l MT2
= dx = dx + dx + dx
2 0 GIT 2 0 GIT 0 GIT 2 0 GIT
1
MD
+ 1 + MD
x x
Box 4.18
Die Unabhngigkeit von der Belastungsreihenfolge liefert ein Ergebnis, das wir
unter dem Namen Satz von B ETTI bereits kennen:
1 (b) = MD (l)
In Worten:
70 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen
Der Arbeitssatz angewendet auf das kombiniert belastete System besagt nun,
dass W = gilt. Da die obigen beiden Darstellungen von W quivalent sind
drfen wir eine auswhlen, die uns weiter hilft. Dies ist hier die zweite Formu-
lierung. Es ergibt sich:
1 1
W = 1 (b) + MD (l) + 1 (b) =
2 2
Z Z l Z
1 l MT2 MT MT 1 l MT2
= dx + dx + dx =
2 0 G IT 0 G IT 2 0 G IT
Box 4.19
4.5 Kreisringquerschnitte
MT (x) = G IT (x)
Box 4.20
Die restlichen Formeln fr Kreisquerschnitte sind auch hier gltig, wenn man
das entsprechende Torsionstrgheitsmoment einsetzt.
Problemstellung
A MD
C
LAC
B
L LBC
x
Das Vorgehen hier ist dasselbe wie fr den Dehnstab. Es wird ein statisch
bestimmtes System angesetzt, in dem die freigeschnitte Kraftgre (die Aufla-
gerreaktion an der rechten Einspannung) als Unbekannte X angesetzt wird.
72 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen
MD
A
C X
B x
Das statisch bestimmte System ohne X wird wieder als 0-System bezeichnet,
das System ohne uere Last und nur mit X als X-System.
MD MD
x
C B
A
X
X
x B
A
Wir wollen nun wieder die bentigten Verdrehungen mit dem Prinzip der virtu-
ellen Arbeit berechnen. Aufbringen eines virtuellen Moments an der Stelle L
liefert den Momentenverlauf MT (x), der bentigt wird, um (L) zu berechnen.
1
1
x B
A
Das 1-System resultiert aus dem X-System durch die spezielle Wahl X = 1.
Die Verdrehung am Punkt B im 0-System ist mit dem Prinzip der virtuellen
Arbeit gegeben durch:
Z L Z LAC
MT (x) MT (x) 1 MD MD
10 = dx = dx = LAC
0 IT G 0 IT G IT G
10 + X11 = 0
auf
LAC
X = MD
L
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 73
MD
MT,A
MT,B
x
Wir wissen bereits, dass der Verlauf des Schnittmomentes auf beiden Seiten
der Stelle, an der MD eingeleitet wird, konstant ist:
MT,A
MT,B
MT,A
MT,B
x
MT,A
M LAC L
D
0 x
MT,B
Box 4.21
Box 4.22
4.7 Rckblick
(x, r) = r (x)
Beim Balken handelt es sich bekanntlich um eine Struktur, deren Lnge gro
ist im Vergleich zu ihren weiteren Querschnittsgren. Des Weiteren ist der
Balken dadurch gekennzeichnet, dass er im Vergleich zum Dehnstab nicht nur
Lasten abtragen kann, die in der Stabachse wirken. Beim Balken treten somit
nicht nur Normalkrfte, sondern auch Querkrfte und Schnittmomente auf.
Im Beispiel des folgenden zusammengestckelten Balkens
F
h
l >> h
kann zum Beispiel das Gesamtobjekt als Balken betrachtet werden. Wenn man
allerdings an den lokalen Spannungen an der Stostelle oder den Beanspru-
chungen der Niete interessiert ist wre das Balkenmodell unzutreffend.
76 5. Einfhrung in die Balkenbiegung
M N
y x
Q
z A B A A BB
Unseren Betrachtungen legen wir folgende Beobachtungen bei der reinen Bie-
gung zu Grunde:
1. Die Balkenquerschnitte bleiben unter der Deformation eben (erste B ER -
NOULLIsche Hypothese). Des Weiteren bleibt die Form des Querschnit-
tes erhalten (die Durchsenkungen w hngen nicht von z ab, sondern nur
von x).
2. Querschnitte, die vor der Deformation senkrecht auf der Balkenachse
standen, stehen auch nach der Belastung noch senkrecht auf der (defor-
mierten) Balkenachse (zweite B ERNOULLIsche Hypothese). In diesem
Zusammenhang spricht man auch von einem schubstarren Balken (da ja
nur eine Schubverzerrung zu einer nderung des rechten Winkels fhren
wrde).
Fr die querkraftfreie Biegung sind diese beiden Hypothesen exakt erfllt. Tritt
Querkraft auf, so gelten diese Hypothesen nur noch nherungsweise. Fr lan-
ge, schlanke Balken sind aber die Ergebnisse, welche sich mit Hilfe dieser
Hypothese ableiten lassen, sehr gut.
Auer mittels der Durchbiegung w knnen wir den oben charakterisierten Ver-
formungszustand auch ber den Winkel (x) beschreiben, der die Verdrehung
des Balkenquerschnitts an der Stelle x gegenber dem undeformierten Quer-
schnitt bzw. gegenber der z-Achse angibt:
x dx
z x
z
w
Box 5.1
78 5. Einfhrung in die Balkenbiegung
Wir legen fest, dass der Verdrehungswinkel (x) im Sinne einer Rechtsschrau-
be in positive y-Richtung positiv gezhlt wird, d. h., in der dargestellten xz-
Ebene entgegen dem Uhrzeigersinn. Da die z-Achse nach unten zeigt, kann
(x) als negativer Steigungswinkel der Balkenachse an der Stelle x interpre-
tiert werden.
Des Weiteren sind die folgenden Bezeichnungen gebruchlich:
Die Krmmung (x) ist ein Ma fr die lokale nderung des Steigungswinkels
Service
der Balkenachse an der Stelle x und kann wie folgt berechnet werden:
w (x)
(x) = q 3
1 + (w (x))2
Der Kreis, der die Balkenachse an der Stelle x berhrt und lokal sowohl die-
selbe Tangente als auch dieselbe Krmmung aufweist wie die Balkenachse,
wird Krmmungskreis an der Stelle x genannt. Sein Radius R(x) = (x)1
heit
Krmmungsradius.
Wir unterteilen nun unseren Balken in achsenparallele Fasern. Durch die Bie-
gung kommt es zu einer Lngennderung der Fasern:
Fasern knnen (lokal) gestaucht werden.
Fasern knnen (lokal) gestreckt werden.
Ein Faserabschnitt der Lnge dx (ein infinitesimales Element im Sinne der
kontinuumsmechanischen Beschreibung) erfhrt somit eine Lngennderung.
Die resultierende Dehnung beschreibt den zugehrigen Verzerrungszustand
vollstndig. Wir fhren wieder einige Begriffe ein:
d
x dx
R
(1 + 0) dx
w
z
w
z
x-Faser
lzdef
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 79
Die Ausgangslnge aller Faserabschnitte ist dx. Die Lnge lzdef eines belie-
bigen Faserabschnittes nach der Deformation lsst sich mit Hilfe des Krm-
mungsradius R bestimmen zu
Box 5.2
Box 5.3
Die x-Faser erfhrt nach Definition die Dehnung 0 (x). Auf ihr gilt also:
Box 5.4
80 5. Einfhrung in die Balkenbiegung
Box 5.5
z
Box 5.6
Die Kinematik (Dehnung der Fasern) fhrt also ber das Materialgesetz genau
zu einer Spannung in Faserlngsrichtung.
Der vorher ermittelte Ausdruck fr die Spannung enthlt noch zwei unbekann-
te Gren (0 (x) und (x)) fr den Verzerrungszustand. Diese beiden Gren
knnen nun mit Hilfe einer Krfte- und einer Momentenbilanz am Balkenquer-
schnitt mit den Schnittgren in Zusammenhang gebracht werden.
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 81
dA = b dz
(x, z) dA
Box 5.7
Des Weiteren kann man eine Momentenbilanz bezglich der y-Achse um den
Flchenmittelpunkt aufstellen:
z
dA = b dz
(x, z) dA
Box 5.8
Einsetzen des ber das Materialgesetz aus der Kinematik gewonnenen Span-
nungsverlaufes ergibt fr die Krftebilanz
Z
N (x) = E [0 (x) + (x) z] b dz
Balkenhhe
Box 5.9
Durch Auflsen nach 0 ist man in der Lage, die erste unbekannte Gre ber
die Schnittgren auszudrcken:
N (x)
0 (x) =
EA
Erinnert man sich hier zurck an den Dehnstab, so stellt man fest, dass
E0 (x) = NA(x) gerade den dort berechneten Normalspannungen infolge N
82 5. Einfhrung in die Balkenbiegung
entspricht:
N (x)
(x, z) = +E (x) z
A }
| {z
Dehnstabanteil
Box 5.10
3
Die rein aus der Geometrie bestimmte Gre Iyy := bh 12
wird als Flchen-
trgheitsmoment bezeichnet (das nchste Kapitel wird sich eingehender mit
solchen Geometriegren und ihren Anwendungen beschftigen). Die daraus
gebildete Gre EIyy heit Biegesteifigkeit (vgl. Torsionssteifigkeit GIT sowie
Dehnsteifigkeit EA).
Insgesamt hat man folgende additive Dekomposition der Normalspannung:
Box 5.11
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 83
In Worten:
M
y N
Nulllinie
tatschlicher Verlauf
N AVIER (17951836)
C OULOMB (17361806)
Eine Kontrolle am infinitesimalen Element zeigt, dass nur der letzte Ansatz den
richtigen Zusammenhang zwischen Spannung und Verzerrung wiedergibt.
84 5. Einfhrung in die Balkenbiegung
Schiefe Biegung tritt auf, wenn sich der Balken unter der Belastung nicht nur
wie bisher in z-Richtung, sondern zustzlich auch in y-Richtung verbiegt. Es
ergeben sich die folgenden Konsequenzen:
Die Lngsdehnung im Balkenquerschnitt an der Stelle x ist nicht mehr
nur von der Querschnittskoordinate z, sondern zustzlich auch von y ab-
hngig:
= (x, y, z)
= (x, y, z)
y
Gerade Biegung in der xy -Ebene schiefe Biegung
z
(uberlagert)
Wie zuvor bei der ebenen Biegung beschreibt der mit dem Schnittmo-
ment My (x) assoziierte Winkel z (x) die Verdrehung des Balkenquer-
schnitts an der Stelle x gegenber dem undeformierten Querschnitt bzw.
gegenber der z-Achse. Bei der schiefen Biegung kommt nun ein zweiter
Verdrehungswinkel y (x) infolge des Schnittmoments Mz (x) hinzu, den
die Querschnittsebene mit der y-Achse einschliet. Analog zu z (x) wird
y (x) im Sinne einer Rechtsschraube in positive z-Richtung positiv ge-
zhlt, d. h., bei nach rechts zeigender x-Achse und nach unten zeigender
y-Achse im Uhrzeigersinn. Infolgedessen kann y (x) als positiver lokaler
Steigungswinkel der Balkenachse innerhalb der xy-Ebene interpretiert
werden.
Analog zu den fr die ebene Biegung abgeleiteten Gleichungen ergeben
sich im Rahmen der linearen Theorie die folgenden Beziehungen fr die
Lngsdehnung (x, y, z) und die Normalspannung (x, y, z) im Balken-
querschnitt an der Stelle x:
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 85
Box 5.12
gerader Biegungsanteil
y
z
in der xy -Ebene
Box 5.13
Dies ist der einfachste Fall von schiefer Biegung, der im Wesentlichen
durch die vorherigen Gleichungen vollstndig beschrieben wird. Die mit
der xz- bzw. xy-Ebene assoziierten Biegungsanteile sind im Folgenden
separat illustriert:
86 5. Einfhrung in die Balkenbiegung
My > 0
y z
x x
Mz > 0
z y
y
Da die y-Achse im linken Bild und die z-Achse im rechten Bild in ent-
gegengesetzte Richtungen zeigen, wirken die zugehrigen Schnittmo-
mente My (x) und Mz (x) gem Schnittuferkonvention ebenfalls in ent-
gegengesetzte Richtungen. Aus diesem Grund verdreht sich der Bal-
kenquerschnitt infolge eines positiven Schnittmoments My (x) entgegen
dem Uhrzeigersinn innerhalb der xz-Ebene und infolge eines positiven
Schnittmoments Mz (x) im Uhrzeigersinn innerhalb der xy-Ebene. Da der
Definition der Verdrehungswinkel z (x) und y (x) jedoch dieselbe Vor-
zeichenkonvention zugrunde liegt wie der Definition der Schnittmomen-
te My (x) und Mz (x), sind z (x) und My (x) gleichgerichtet, ebenso y (x)
und Mz (x). Daher lassen sich wie zuvor fr einen Balken mit rechtecks-
frmigem Querschnitt die folgenden Beziehungen ableiten, in denen kein
Minuszeichen auftritt:
My (x) Mz (x)
z (x) = bh3
y (x) = 3
E 12 E hb
12
Wirkt im Balken keine Normalkraft, kann diese Verteilung wie folgt gra-
fisch veranschaulicht werden:
y h i
(x)max (x )max
y
z
(x)max
N
(x )max z A
x
h i
(x)max + (x )max
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 87
M M
N
Nulllinie
5.6 Rckblick
Bereits in den vorangegangenen Kapiteln sind wir auf spezielle Integrale ber
Querschnittsflchen gestoen. Diese wollen wir uns hier in einem etwas all-
gemeineren Rahmen noch ein mal genauer anschauen, und die daraus ge-
wonnenen Erkenntnisse zur Beschreibung der allgemeinen (schiefen) Biegung
verwenden.
Integration ber eine Flche
Service
Die Integration ber eine rechteckige Flche kann direkt aus der eindimensio-
nalen Integration abgeleitet werden:
dy
y b
dA
dz
h
Box 6.1
Als leichte Abwandlung kann man ebene Flchen folgenden Typs mit Hilfe von
kartesischen Koordinaten integrieren:
Service
Box 6.2
6.1 Schwerpunkt
zS Z
S A= 1 dA
z
6. Querschnittskennwerte 91
Beispiele
dy
z
Man berechnet:
Box 6.3
Vllig analog:
Z h Z b
b2 1
bh yS = y dy dz = h yS = b
z=0 y=0 2 2
92 6. Querschnittskennwerte
h0 dA(y)
dz dA
(y,z)
dA(z)
b0
z
Box 6.4
2
zS = h0
3
Z h0 Z b0 hz Z h0
1 0 1 b20 2 b20 h0
b0 h0 yS = y dy dz = 2
z dz =
2 z=0 y=0 z=0 2 h0 6
1
yS = b0
3
6.2 Flchentrgheitsmomente
y y
z z
x x
6.2.1 Definition
Iyy Trgheitsmomente
Izz
Iyz Deviationsmomente
Izy
Iyz = Izy
Es liegt hier ein symmetrischer Tensor zweiter Stufe vor. Solche speziellen
Ergnzung
Tensoren sind in der Mechanik sehr verbreitet (vergleiche Spannungstensor,
Verzerrungstensor, Massentrgheitstensor etc.).
Nutzt man diese Tatsache aus, so lassen sich viele Vorgnge vereinfachen
und zustzliche Informationen gewinnen. Wir werden diese Eigenschaft zu-
erst im Zusammenhang mit dem Flchentrgheitstensor und spter im Kapitel
Spannungstransformationen auch mit Spannungstensoren verwenden.
94 6. Querschnittskennwerte
b
dA(y)
dA(y,z)
dz dA(z)
S
h
y
z
dy
Box 6.5
Z h Z b
2 2
2 b3 b3 hb3
Izz = y dy dz = h =
z= h2 y= 2b 38 38 12
Box 6.6
Rechteckquerschnitt:
b bh3
Iyy =
12
h
2
S h
y
hb3
Izz =
12
b
2
z Iyz = 0
6. Querschnittskennwerte 95
Rechtwinkliges Dreieck:
v bh3
b Iyy = Iuu =
36
h
3 S
y u hb3
h Izz = Ivv =
36
b
3 h2 b2
z Iyz = Iuv = Iuz = Ivy =
72
Kreis:
r 4
r Iyy =
S 4
y
r 4
Izz =
4
z Iyz = 0
Halbkreis:
r r
4r
Iyy = 0.1098 r 4
y S 3
r 4
Izz =
8
z
Iyz =0
y
dA1 dA2
z1 = z2
y1 y2
z Box 6.7
96 6. Querschnittskennwerte
ys
Koordinaten des Schwerpunktes der Flche im Koordinaten-
zs system mit Ursprung O
S Schwerpunkt der Flche
y
Koordinaten eines beliebigen Punktes bezglich des Koordina-
z tensystems durch O
y
Koordinaten eines beliebigen Punktes bezglich des Koordina-
z tensystems durch S
yl : linker Rand
yr : rechter Rand
z z zu (y) : unterer Rand
zo (y) : oberer Rand
Das erste Integral ist der Flcheninhalt. Das zweite berechnet die z-Koordinate
des Schwerpunktes im Koordinatensystem mit dem Schwerpunkt als Ur-
sprung, daher ist es Null. Das letzte Integral ist das Flchentrgheitsmoment
der Flche bezglich der y-Achse. Kurz zusammengefasst ergibt sich dem-
nach:
Iyy,O = zs2 A + Iyy,S
Eigentrgheitsmomente,
d. h. bezglich der S TEINER-Anteil
Schwerpunktachsen y und z
Iyy,O = Iyy,S + zs2 A
Izz,O = Izz,S + ys2 A
Iyz,O = Iyz,S ys zs A
In Worten:
Sind umgekehrt Iyy,O , Izz,O und Iyz,O bekannt, so erhlt man die Eigentrg-
heitsmomente aus
Eigentrgheitsmomente S TEINER-Anteil
Iyy,S = Iyy,O zs2 A
Izz,S = Izz,O ys2 A
Iyz,S = Iyz,O + ys zs A
98 6. Querschnittskennwerte
A1 S1
dA1
zs,1
S
zs,2 y
S2
dA2
A2
z
ys,2 ys,1
Box 6.8
Definition: Hauptachsen
Box 6.9
Box 6.10
= y cos + z sin
= y sin + z cos
100 6. Querschnittskennwerte
Box 6.11
Aus der letzten Zeile lsst sich folgern, dass fr einen Querschnitt, der Iyy = Izz
und Iyz = 0 erfllt, folgendes gilt: Jedes beliebige Schwerachsensystem ist
Hauptachsensystem, da stets das Deviationsmoment I verschwindet.
I = T T I yz T
Hauptachsentransformation
Nun mchte man das neue Koordinatensystem gezielt so whlen, dass das
Deviationsmoment I verschwindet:
!
I = cos2 sin2 Iyz cos sin (Iyy Izz ) = 0
cos2 sin2 Iyy Izz
=
cos sin Iyz
Wegen
cos 2 = cos2 sin2
und
sin 2 = 2 cos sin
ergibt sich die Gleichung
2Iyz
tan 2 = ,
Iyy Izz
die nach dem Winkel aufgelst werden kann. Dreht man das ursprngliche
Koordinatensystem yz in mathematisch positivem Drehsinn um diesen Win-
kel, resultiert das Hauptachsensystem , bezglich dessen das Deviations-
moment I definitionsgem verschwindet. Gleichzeitig nehmen die beiden
Haupttrgheitsmomente I und I Extremalwerte an. Dies sieht man durch
Differenzieren der Transformationsvorschriften
I = sin2 Izz + (2 cos sin ) Iyz + cos2 Iyy
I = cos2 Izz (2 cos sin ) Iyz + sin2 Iyy
nach und anschlieendem Nullsetzen der Ableitungsfunktionen, wodurch
sich in beiden Fllen genau die vorherige Gleichung fr tan 2 ergibt.
Aufgrund der -Periodizitt der Tangensfunktion kann der Winkel nicht ein-
deutig bestimmt werden. Ausgehend von einer Lsung fr erhlt man unend-
lich viele weitere Lsungen durch Addieren oder Subtrahieren von Vielfachen
von 2 :
tan(2)
3
4 4
2Iyz
Iyy Izz
Verdeutlichung am Beispiel:
Fr den folgenden Querschnitt gilt t << a und deshalb lassen sich smtliche
Eigentrgheitsmomente, in denen der Faktor t3 auftritt (d. h. jene der beiden
horizontalen Abschnitte), vernachlssigen.
Trgheitsmomente des yz-Systems:
t << a a
y 1
S
2 a
Box 6.12
6. Querschnittskennwerte 103
Mit den bisher gewonnenen Ergebnissen sehen wir, dass wir in den zuvor be-
trachteten Beispielen zur ebenen Biegung immer Hauptachsensysteme als Ko-
ordinatensysteme hatten. Nun werden wir die Biegung im allgemeinen Koordi-
natensystem formulieren.
Mit dem aus der Kinematik ber das Materialgesetz gewonnenen Ausdruck
(x, y, z) = E0 (x) + Ez (x) z Ey (x) y
fr die Normalspannung (x, y, z) erhlt man
Box 6.13
Z Z
Mz (x) = E0 (x) y dA + Ez (x) yz dA
Querschnitt
Z Querschnitt
Ey (x) y 2 dA
Querschnitt
Box 6.14
104 6. Querschnittskennwerte
In Matrixschreibweise:
My (x) Iyy Iyz z (x)
=E
Mz (x) Iyz Izz y (x)
Setzt man diese Ergebnisse in den Ausdruck fr die Spannung ein und berck-
sichtigt zustzlich die Dehnung der neutralen Faser infolge Normalspannung,
so ergibt sich die S WAINsche Formel:
Box 6.15
Es sei hier ausdrcklich darauf hingewiesen, dass die S WAINsche Formel nur
im Schwerachsensystem gilt (siehe Annahme in der Herleitung weiter oben).
Box 6.16
Gegeben sei ein Balken mit dem folgenden z-frmigen Querschnittsprofil, der
ausschlielich durch ein Biegemoment in y-Richtung belastet wird. Es soll die
daraus resultierende Verteilung der Normalspannung (x, y, z) ber den Quer-
schnitt betrachtet werden. Gem der S WAINschen Formel ist diese Verteilung
in z-Richtung linear vernderlich. Wrde es sich beim eingezeichneten Koordi-
natensystem um ein Hauptachsensystem handeln, wre die Normalspannung
in y-Richtung konstant und es ergbe sich der folgende qualitative Spannungs-
verlauf:
y
S
z
Box 6.17
y
S
Box 6.18
y
S
z Nulllinie
Box 6.19
Man beachte, dass sich dieser endgltige, sowohl in y- als auch in z-Richtung
linear vernderliche Spannungszustand infolge eines ausschlielich in y-
Richtung aufgebrachten Biegemoments eingestellt hat. Dies spiegelt sich in
der allgemeinen S WAINschen Formel fr My (x) 6= 0, Mz (x) = 0 und Iyz 6= 0
wider. Das verwendete Koordinatensystem stellt also kein Hauptachsensys-
6. Querschnittskennwerte 107
6.4 Rckblick
Der Satz von S TEINER erlaubt die Verschiebung der Bezugsachsen bei
der Berechnung von Flchentrgheitsmomenten.
Jede schiefe Biegung unter Normalkrafteinfluss ergibt sich aus einer li-
nearen berlagerung von Dehnung und zweier gerader Biegungen um
die Hauptachsen. Es stellt sich ein linearer Verlauf der Normalspannun-
gen ber den Querschnitt ein, der bzgl. eines Schwerachsensystems
durch die S WAINsche Formel beschrieben wird:
N(x) Izz My (x) Iyz Mz (x) Iyy Mz (x) Iyz My (x)
(x, y, z) = + 2
z 2
y
A Iyy Izz Iyz Iyy Izz Iyz
Am Anfang dieses Kapitels steht eine einfache Beobachtung. Ein Stapel ideal
glatter Bretter wird beidseitig gelagert und durch ein Gewicht in der Mitte be-
lastet. Einmal wird der Bretterstapel lose aufeinander gelegt, das andere mal
werden die Bretter fest verbunden (z. B. zusammengenagelt oder geklebt). Wir
stellen fest, dass sich die Bretter beim losen System gegeneinander verschie-
ben, whrend das zusammengefgte System als Ganzes abtrgt und somit
durch die Unterdrckung des Gleitens zwischen den Brettern die Durchsen-
kung reduziert ist.
F
F
Box 7.1
z
Seitenansicht
Box 7.2
Das Nageln, Kleben bzw. Schweien ermglicht eine bertragung des Schu-
bes zwischen den Lagen. An dieser Stelle sei noch einmal an die Konvention
fr die Richtung der positiven Schubspannung am positiven bzw. negativen
Schnittufer erinnert.
Zu den Schubspannungen zwischen den Brettern gehren, wie wir bereits im
einfhrenden Kapitel ber Spannungen gesehen haben, assoziierte Schub-
spannungen. Man bestimmt sie ber ein Momentengleichgewicht am infinite-
simalen dreieckigen Element:
dx dx
2 2
dz
P 2
dz
x 2
z
Box 7.3
Erinnern wir uns an die Tatsache, dass Schnittgren stets Resultierende von
Spannungen sind, so kann man die Querkraft Q mit den Schubspannungen xz
in Beziehung setzen:
x
dA
xz
z
Box 7.4
7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss 111
Diese Beziehung besagt noch nichts ber den Verlauf der Schubspannung
ber den Querschnitt. Erste Aussagen ber den Verlauf kann man aber bereits
mit Hilfe der assoziierten Schubspannungen machen, wenn man bercksich-
tigt, dass diese auf der Auenseite der Randflchen des Balkens verschwin-
den mssen (freier, unbelasteter Rand!).
Q
Box 7.5
In dem Beispiel eines Rechtecksquerschnittes ist auf dem oberen Rand des
Querschnittes demnach
zx = xz = 0
Genauso kann man an den Seitenkanten folgern:
yx = xy = 0
Box 7.7
h
b
2
h
2
h
2
h
2
Box 7.8
Schneidet man eine Scheibe der Dicke dx aus dem Balken an der Stelle x
heraus und macht dann einen zweiten, horizontalen Schnitt, so ergibt sich
folgendes Bild (Es sind nur die bilanzierten Schnittgren und -spannungen
eingezeichnet. Beachte, dass die Richtungen der Spannungspfeile gem der
Vorzeichenkonvention festgelegt sind.):
A
d
+ dx dx
M dM
M+ dx dx
M
S
dM
M+ dx dx x
y x
z z dx
Box 7.9
Box 7.10
M(x)
(x, z) = z
Iyy
M (x) = Q(x)
folgt
114 7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss
Box 7.11
Dies liefert eine Formel zur Berechnung des Schubes aus der Querkraft:
Box 7.12
Q(x) Q(x)
zx (x, z) = s (z)A (z) = S(z)
b(z)Iyy b(z)Iyy
Box 7.13
Kurz:
Q (x) h2 2 Q (x) h2 2
zx (x, z) = z = 3 z
2 Iyy 4 2 bh
12
4
3 Q (x) 4z 2
= 1 2
2 bh h
Es ergibt sich also ein parabolischer Verlauf des Schubes ber die Quer-
schnittshhe. Er verschwindet an beiden Berandungen. (dies ist auch not-
wendig, da die assoziierten tangentialen Schubspannungen am freien Rand
verschwinden mssen). Das Maximum wird bei z = 0 angenommen, der Ma-
ximalwert ist
3 Q (x)
max =
2 bh
max
max Q A
y x N
z
Bezeichne kMk den maximalen Wert des Biegemomentes und kQk den ma-
ximal auftretenden Wert der Querkraft im Balken. Mit der Balkenlnge L gilt
dann folgende Relation:
116 7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss
Box 7.14
Box 7.15
Es resultiert:
Box 7.16
Schweinaht
7.5 Der Einfluss des von uns berechneten Schubes auf die
Deformation infinitesimaler Elemente
Durch den Schub erfahren die infinitesimalen Elemente eine zustzliche Defor-
mation. Aufgrund der komplexen Schubspannungsverteilung und 3D-Effekten
sieht die tatschliche Verformung einer Querschnittsebene des Balkens in et-
wa wie folgt aus:
xz (z)
Die Querschnitte bleiben demnach in der Realitt nicht eben, und noch dazu
verdrehen sie sich im Mittel auch noch gegenber der Balkenachse!
sebenen senkrecht auf der Mittellinie des gebogenen Balkens stehen. Dieses
Balkenmodell ist nach S TEPAN P ROKOFYEVICH T IMOSHENKO (18781972) be-
nannt und wird hufig als schubweicher Balken bezeichnet. Diese Modellie-
rung des Balkens ist zwar komplexer, bietet aber speziell im Hinblick auf die
numerische Simulation von Balken einige Vorteile.
Fr den T IMOSHENKO-Balken wird weiterhin angenommen, dass die Quer-
schnitte eben bleiben, aber es werden nun Verdrehungen der Querschnittsebe-
nen gegen die Normale auf die Balkenachse zugelassen:
xz (x)
w (x)
Q (x) Q (x)
z
(x)
dx
Box 7.17
Box 7.18
Box 7.19
Demnach ist die mittlere Scherung hier um 20 Prozent grer als die Sche-
rung, die man bei konstanter Schubspannungsverteilung erhalten wrde. Eine
genaue Herleitung dieses Ergebnisses fr den Rechtecksquerschnitt auf der
Basis von Energiebetrachtungen folgt in Kapitel 9.2.1.
7.6 Rckblick
Ausgangspunkt fr dieses Kapitel sind die beiden bereits frher bei der Her-
leitung der S WAINschen Formel gewonnenen Zusammenhnge zwischen den
Neigungswinkeln der Querschnitte und den Biegemomenten:
Dieses Kapitel betrachtet wie blich kleine Deformationen. Es gilt also die
Kleinwinkelnherung
tan fr 1
Fr schubstarre Balken stehen die Querschnitte immer senkrecht auf der Bie-
gelinie. Im folgenden, ebenen Beispiel
(x)
w(x)
x
(x)
gilt deshalb
122 8. Biegelinie des Balkens
Box 8.1
Es soll daran erinnert werden, dass der Verdrehungswinkel (x) im Sinne einer
Rechtsschraube in positive y-Richtung positiv gezhlt wird und infolgedessen
als negativer Steigungswinkel der Biegelinie w(x) an der Stelle x interpretiert
werden kann.
Fr das Beispiel der rumlichen Biegung
z z
x My
wz (x)
Mz
wy (x)
y
x
y z
y
gilt analog
Box 8.2
Im Fall der ebenen Biegung lautete der Zusammenhang zwischen Moment und
Verdrehungswinkel der Querschnittsebenen bekanntlich
M(x)
(x) =
EI
Box 8.3
Die Krmmung der Biegelinie am Punkt x ist somit direkt proportional zum
Schnittmoment an dieser Stelle.
Entsprechend liefern die zu Beginn dieses Kapitels zitierten, bei der Herleitung
der S WAINschen Formel gewonnenen Zusammenhnge im Fall der schiefen
Biegung die folgenden Gleichungen:
wy (x) = y (x) =
wy (x) = y (x) =
My (x)
wz (x) = z (x) =
EIyy
Box 8.5
1 Iyz My (x)
wy (x) = 2
E Iyy Izz Iyz
1 Izz My (x)
wz (x) = 2
E Iyy Izz Iyz
Daran sieht man noch einmal in aller Deutlichkeit, dass der Balken, obwohl
man nur in einer Richtung ein Moment aufbringt, sich in diesem Fall in beide
Raumrichtungen verbiegt.
Durch zweimaliges Differenzieren erhlt man wegen der aus der TM I bekann-
ten Differentialbeziehungen
)
M (x) = Q(x)
M (x) = q(x)
Q (x) = q(x)
Box 8.6
w (x) Biegelinie
gelenkiges Lager
Parallelfhrung
Einspannung 0 0 6= 0 6= 0
freies Ende
Box 8.7
q0
A B
x
L
EI w IV (x) = q0
liefert:
EIw (x) = Q (x) = Q (0) q0 x
Box 8.8
1 x2 x3
w (x) = (x) = (0) + M (0) x + Q (0) q0
EI 2 6
1 h x2 x3 x4 i
w (x) = w (0) (0) x M (0) + Q (0) q0
EI 2 6 24
Es gelten folgende vier Randbedingungen:
Box 8.9
8. Biegelinie des Balkens 127
Box 8.10
1 L2 L3
0 = w (L) = (0) Q(0) q0
EI 2 6
q0 L3
(0) =
48EI
3
Q(0) = q0 L
8
q0 L3 3q0 L q0 q0 3
w(x) = x x3 + x4 = L x 3L x3 + 2 x4
48EI 48EI 24EI 48EI
0
x
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass diese Lsung nur fr kleine Deforma-
tionen gltig ist, da die Herleitung der Differentialgleichung der Biegelinie auf
dieser Annahme beruht.
128 8. Biegelinie des Balkens
Nachdem wir nun in der Lage sind, die Biegelinie des schubstarren Balkens
fr kleine Deformationen vollstndig zu beschreiben, wollen wir im Folgenden
den Einfluss des Schubes auf die Biegelinie beleuchten.
Wir haben fr den schubweichen Balken bereits die folgende Gleichung abge-
leitet (Deformation des Balkenelementes mit Schub):
Q(x)
w (x) = (x) +
GA
Differenzieren dieses Ausdruckes fhrt mit der bekannten Formel fr die Win-
kelnderung
M(x)
(x) =
EI
zur Differentialgleichung
M(x) q(x)
w (x) =
EI GA
Beispielrechnung
Als einfaches Beispiel kann man die Verformung eines Kragtrgers (quadrati-
4
scher Querschnitt, I = a12 , Elastizittsmodul E, Schubmodul G) unter einer am
Balklenende aufgebrachten Einzellast berechnen:
Q (x)
F
M (x)
F L
Moment und Querkraft sind bei diesem statisch bestimmten System sofort be-
rechenbar.
8. Biegelinie des Balkens 129
Box 8.11
Vorsicht: Trotz der festen Einspannung gilt hier wegen der Schubverformung
w (0) 6= 0!
Mit der ersten Randbedingung ergibt sich:
Box 8.12
und somit 2
Lx x2 F 2Lx x2 F
w (x) = F+ 2
= 6 4
F+
EI Ga Ea Ga2
Nochmaliges Integrieren liefert unter Verwendung der zweiten Randbedingung
Z 3
x
Lx2 x3 F
w(x) = w(0) + w (x) dx = 6 4
F+ 2
x
|{z}
=0
0 | Ea {z } |Ga
{z }
Biegeanteil wB Schubanteil wS
130 8. Biegelinie des Balkens
3
Lx2 x F x
wB (x) = 6 Ea4 3 F wS (x) = Ga 2
Box 8.13
Die tatschliche Biegelinie ist nun die berlagerung der beiden Anteile.
Um den Einfluss der Schubdeformation an diesem Beispiel abzuschtzen, ver-
gleicht man die maximalen Auslenkungen wS (L) und wB (L):
F
wS (L) a2 G
L E a 2
= 2 3 =
wB (L) 63L
F 4G L
Ea4
Die Durchsenkungen (Biegelinie) und Verdrehungen lassen sich, wie wir vor-
her gesehen haben, durch abschnittsweise Integration der Differentialglei-
chung der Balkenbiegung berechnen. Eine weitere oft sehr effiziente Mglich-
keit, diese Gren zu berechnen, ist, wie schon beim Dehnstab und bei der
Torsion, die Berechnung ber Arbeitsprinzipien.
Diese Arbeitsprinzipien haben wir zu Beginn des Semesters bereits allgemein
fr linear elastische Krper hergeleitet. In diesem Abschnitt werden sie noch
einmal wiederholt und fr den Spezialfall der ebenen Biegung dargestellt.
Die Formnderungsenergie ist, wie wir bereits wissen, die integrale Summe
ber alle an den infinitesimalen Elementen verrichteten Arbeiten. In Kapitel 3
haben wir fr einen Dehnstab mit der Lnge l gem der folgenden Formel
berechnet: Z
1 l
Dehnstab = N(x) (x) dx
2 0
Wie beim Dehnstab treten in einem Balken unter ebener Biegung nur Normal-
spannungen (x, z) in axialer Richtung auf. Diese sind jedoch, ebenso wie die
Lngsdehnungen (x, z), nicht mehr ber den Querschnitt konstant, weshalb
der Integrand in der fr den Dehnstab gltigen Formel fr durch ein zustz-
liches Integral ber den Balkenquerschnitt ersetzt werden muss:
Z lZ
1
Biegung = (x, z) (x, z) dA dx
2 0 A
8. Biegelinie des Balkens 131
Box 8.14
Dieser Ausdruck steht in vlliger Analogie zu den bereits fr den Dehnstab und
fr Torsion erhaltenen Ausdrcken
Z Z
1 l N 2 (x) 1 l MT2 (x)
Dehnung = dx und Torsion = dx
2 0 EA 2 0 GIT
Box 8.15
132 8. Biegelinie des Balkens
F (w)
F2
F2
F1 F1
F1
w1
w2
w1 w2 w
Wieder kann man die gesamte am System geleistete uere Arbeit gem
Arbeitssatz mit der gespeicherten Formnderungsenergie gleichsetzen.
Zudem gelten auch hier die Stze von B ETTI und M AXWELL. Der Satz von
M AXWELL lsst sich im Fall der ebenen Biegung sehr schn durch das folgen-
de Bild veranschaulichen:
1 1
i k i k
ik
ki
Die Verschiebung an der Stelle i infolge der Einheitslast an der Stelle k ist
gleich der Verschiebung an der Stelle k infolge der Einheitslast an der Stelle i:
ik = ki
Mit dem Arbeitssatz lsst sich die Durchbiegung in Richtung einer einzelnen
ueren Kraft berechnen (bzw. die Verdrehung an der Stelle eines einzelnen
ueren Momentes). Des Weiteren ist er zusammen mit den Stzen von B ETTI
und M AXWELL die Grundlage fr das allgemeiner anwendbare Prinzip der vir-
tuellen Arbeit (Speziallfall Balkenbiegung).
8. Biegelinie des Balkens 133
8.3.3 Das Prinzip der virtuellen Krfte angewendet auf die ebene Biegung
Genauso wie zum Beispiel im entsprechenden Kapitel bei der Torsion und
beim Dehnstab gezeigt wurde, lsst sich die Durchsenkung eines schubstarren
Balkens w (b) an einer Stelle b entlang des Balkens berechnen, indem man an
dieser Stelle b eine virtuelle Kraft 1 aufbringt, den korrespondierenden Momen-
tenverlauf M ausrechnet und anschlieend das folgende Integral auswertet:
Z
M (x) M(x)
1 w(b) = dx
Balkenlnge EI
Beispiel
Als Beispiel zur Veranschaulichung des Vorgehens wollen wir die Durchsen-
kung in der Mitte eines mit einer Gleichlast q belasteten Einfeldtrgers konstan-
ter Biegesteifigkeit EI berechnen. Das System und die Momentenlinie infolge
der ueren Belastung sind in der Abbildung gegeben.
L
M
qL2
q 8
wM
$w_M$
Box 8.16
Zur Berechnung der Durchsenkung muss gem der obigen Formel ber das
Produkt der beiden von x abhngigen Momentenlinien integriert werden. Fr
unser Beispiel sind die Funktionen der Momentenlinien
qx
M(x) = (L x)
2
x 0 x L2
2
M (x) =
Lx L < x L
2 2
134 8. Biegelinie des Balkens
Box 8.17
Die Verwendung der Koppeltafel erleichtert die Auswertung des Integrals merk-
lich.
Da bei der Berechnung von statisch unbestimmten Systemen mit dem Kraft-
grenverfahren die Integrale der berlagerten Schnittgrenverlufe mehr-
mals bentigt werden, ist die Zeitersparnis in diesem Fall umso grer.
8. Biegelinie des Balkens 135
Koppeltafel
Z l
M M dx
0
136 8. Biegelinie des Balkens
Wir betrachten erneut das System von zuvor (EI = const.) und wollen den
Momentenverlauf im Balken berechnen.
q0
A B
x
L
q0
Zur Berechnung des Momentenver-
laufes stellt man diesen in Abhngig-
B
QA
keit einer Zwangskraft (hier Auflager-
x
kraft QA am linken Auflager) im sta-
L tisch bestimmten Hauptsystem auf.
QA
Q (x) = QA q0 x Die Querkraft infolge der ueren Be-
lastung und der noch unbekannten
Zwangskraft wird (z. B. durch Super-
position) berechnet.
Q A q0 L
Q(x) = QA q0 x
x2
M (x) = QA x q0 2 Der zugehrige Momentenverlauf er-
gibt sich (z. B. durch Integration) zu
Box 8.18
8. Biegelinie des Balkens 137
2
x2
Z L q0 2 + QA x
= = dx
0 2EI
Z 5 L3
1 L
2x
4
3 q02 L20 q0 14 L4 QA + Q2A
= q0 q0 x QA + Q2A x 2
dx = 3
2EI 0 4 2EI
Box 8.19
Der Satz von M ENABREA besagt nun, dass die Formnderungsenergie hin-
sichtlich Variation der statisch unbestimmten Reaktionen minimal werden
muss, d. h. es muss gelten:
Box 8.20
2
q08L
9q0 L2
Mmax (x = 38 ) = 128
Fr den im folgenden Bild dargestellten Balken (EI = const.) sind die Aufla-
gerreaktionen und die Durchsenkung an der Stelle D zu berechnen.
138 8. Biegelinie des Balkens
2F
A B C
a a a a
CV
a a a a
Box 8.21
Box 8.22
5
2F a + F 3a = AV 4a AV = F
4
X 12
Kontrolle: V : F = 3F X
4
Es ergeben sich folgende Schnittgrenverlufe im 0- und 1-System:
8. Biegelinie des Balkens 139
0-System 1-System
Q0 (x) Q (x)
5
4F
1
1
4
F 2
21
74 F
M 0 (x) 7 M (x)
5 4F a
4F a
1a
Wir berechnen nun zuerst die Durchsenkung an der Stelle B aufgrund der
virtuellen Last 1 Z
M M
11 = dx
EI
unter Verwendung der Koppeltafel. Wir verwenden folgende Tabellenwerte fr
das Gesamtdreieck:
l = 4a l = 4a
l = 12 l l = 12 l l = 21 l l = 21 l
i = 1a k = 1a
Box 8.23
1 1
6 [i1 (2k1 + k2 ) + i2 (k1 + 2k2)] l 6 [i1 (2k1 + k2 ) + i2 (k1 + 2k2)] l
1 1
3 ikl 3 ikl
i1 i2 i2 i
i i1
k k1 k2 k
k2 k1
EI10 =
Box 8.24
1 5 1
. . . + (a) F a 2 a + (1a) +
6 4 2
6 1
+ Fa a + 2 (1a) +
4 2
1 6 1
+ (a) F a 2 (1a) + a +
6 4 2
7 1
+ F a (1a) + 2 a +
4 2
1 7 1
+ (a) Fa a =
3 4 2
11 3
= Fa
4
8. Biegelinie des Balkens 141
9
16 Fa
Box 8.25
a a a a a a a a
Box 8.26
Q (x) M (x)
3
4a
1
4a
34 a
8.4 Rckblick
Analog zum Dehnstab ist die Dehnung der neutralen Balkenfaser auf-
grund Normalkraft gegeben durch
N(x)
0 (x) =
EA
w (x) = (x)
Fr den schubstarren Balken ist somit bei ebener Biegung die Krm-
mung der Biegelinie proportional zum Schnittmoment:
M(x)
w (x) =
EI
Insbesondere gilt fr die Biegelinie die Differentialgleichung
Durchsenkungen lassen sich mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit wie
folgt berechnen: Z
M (x) M (x)
1w (b) = dx
EI
9 Allgemein belastete
Balkenstrukturen
9.1 Spannungszustand
a
C A
x1
y1 a
z1 y2
A
x2
z2
F
B Fz = 53 F b
Fy = 54 F
N Mxi
Fy Fz b
Qzi Myi
Fz Fz b
Fz a
Mzi
Qyi
Fy b
Fy
x
y
z
Box 9.1
Querkraft Qz
Die Querkraft erzeugt einen parabolischen Schubspannungsverlauf in z-
Richtung. Weiterhin entstehen Schubspannungen in y-Richtung, da am
ueren, freien Rand aus Gleichgewichtsbetrachtungen eine tangentiale
Schubspannungsrichtung herrschen muss (vgl. Kap. 7). Sie sind jedoch
kleiner als die Schubspannungen in z-Richtung und werden hier nicht
weiter betrachtet.
9. Allgemein belastete Balkenstrukturen 147
x
y
z
Box 9.2
Qz Qz Sy (z)
xz (z) =
Iy b(z)
4R R2
Sy (z = 0) =
3 2
ergibt. Mit dem Trgheitsmoment des Kreises resultiert dies in
2R3
Qz 4Fz
xz (z = 0) = Fz R4 3 =
4
2R 3R2
Querkraft Qy
Die Querkraft in y-Richtung ist im Schnitt A A gleich 0, weshalb sich
hieraus auch keine Spannungen ergeben.
Torsionsmoment Mx
x
y
z
Box 9.3
Das Torsionsmoment erzeugt gem dem Kapitel ber Torsion des Kreis-
querschnitts eine linear ber den Radius r verteilte Schubspannung, die
zirkulr und als zugeordnete Schubspannung axial wirkt.
Mx Mx
x (r) = r
IT
Mx Fz b 2Fz b
x (r = R) = R4
R=
2
R3
148 9. Allgemein belastete Balkenstrukturen
Biegemoment My
x
y
z
Box 9.4
Biegemoment Mz
x
y
z
Box 9.5
Auch hier ergibt sich eine lineare Verteilung der Normalspannungen, nun
in y-Richtung. Der Maximalwert liegt bei y = +R, y = R und berechnet
sich mit
Mz y
xMz =
Iz
zu
Fy bR 4Fy b
xMz (y = R) = R4 = 3
4
R
Die gesamte Spannungsverteilung ergibt sich aus der berlagerung der ein-
zelnen Belastungsflle. Allerdings mssen die Richtungen der wirkenden
Spannungen bei der berlagerung bercksichtigt werden. Nur Spannungen
mit gleicher Wirkungsrichtung knnen addiert werden. Damit ist nur die Be-
rechnung der insgesamt wirkenden Normalspannung leicht durchzufhren,
nmlich
9. Allgemein belastete Balkenstrukturen 149
Box 9.6
Fr die Schubspannung muss eine genaue Analyse der Betrge und Wir-
kungsrichtungen erfolgen, um deren maximale Beanspruchung zu finden.
Daraus ergeben sich zwei Fragestellungen. Einerseits mchte man eine inge-
nieursmig fassbare Vorstellung von an einem Punkt im Bauteil herrschenden
Spannungen bekommen. Im rumlichen Fall hat man es mit sechs Spannungs-
komponenten zu tun, deren Wirkungsweise sich auch noch unterscheidet. Um
dieses Problem zu lsen, werden im anschlieenden Kapitel Methoden darge-
stellt, mit denen anschaulichere Spannungswerte berechnet werden knnen.
Die zweite Frage ist die der Konsequenz der herrschenden Spannung fr die
Beanspruchbarkeit des Bauteils. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten,
sie wird selbstverstndlich stark von dem verwendeten Werkstoff beeinflusst.
Ebenfalls im anschlieenden Kapitel behandeln wir Hypothesen, die das Ver-
sagen abhngig von herrschenden Spannungen vorauszusagen versuchen.
Sobald man ein Kriterium fr Versagen bei einem Spannungszustand festge-
legt hat, kann man das System mit den oben dargestellten Formeln analysie-
ren und den kritischen Versagenspunkt finden.
9.2 Verformungszustand
Zunchst wollen wir uns jedoch mit der Verformungsberechnung eines allge-
mein belasteten Balkens beschftigen, die wir mit dem Prinzip der virtuellen
Krfte durchfhren.
Wie im vorigen Abschnitt gezeigt, ruft die schrg angreifende Kraft einen Span-
nungszustand hervor, der sich aus mehreren einzelnen Zustnden zusammen-
setzt. Zu all diesen Zustnden korrespondieren natrlich auch entsprechende
Verformungen. Um sie zu berechnen, wenden wir die Energieprinzipien aus
dem Kapitel 3 an. Die folgende Tabelle gibt eine bersicht ber die Arbeits-
und Energieanteile, die sich aus den verschiedenen Spannungszustnden er-
geben. Sie zeigt weiterhin die entsprechenden virtuellen Arbeitsanteile, die wir
spter zur Anwendung des Prinzips der virtuellen Krfte bentigen.
150 9. Allgemein belastete Balkenstrukturen
Normalkraft N
Biegemoment My
Rl Mz2 Rl
Biegemoment Mz 1
2 0 EIz
dx 0
Mz Mz
EIz
dx
Rl Mx2 Rl
Torsionsmoment Mx 1
2 0 GIT
dx 0
Mx Mx
GIT
dx
Querkraft Qy
Rl Qz2 Rl
Querkraft Qz 1
2 0
z GA dx 0
z Qz
z QGA dx
Box 9.7
Die gesamte Formnderungsenergie ergibt sich aus der Summe der einzelnen
Anteile
Z
1 l N2 My2 Mz2 Mx2 Q2y Q2z
= + + + + y + z dx
2 0 EA EIy EIz GIT GA GA
In der Tabelle stehen vor den Verformungsanteilen infolge der Querkrfte die
Faktoren y und z . Sie heien Schubkorrekturfaktoren und ihre Herkunft soll
in diesem Abschnitt erlutert werden.
Wie im Kapitel 7 dargestellt, ist die Schubspannungsverteilung in einem Balken
nicht fr jede Querschnittsform gleich. Fr den Rechteckquerschnitt gilt ein
parabolischer Verlauf, der entsprechend dem Abschnitt 7.3 als Funktion
Box 9.8
geschrieben werden kann. Setzt man dies in die allgemeine Form der infinite-
simalen Formnderungsenergie
Z
1
d = 2 dA dx
2G A
2 Z h 2 !2
1 9 Q 2 2z
d = 1 b dz dx
2G 4 A h2 h
Box 9.9
N Mx
4 3
5 1 5 1 b
a
C A
x a
y
Qz My
A 3
z 5
1 a
f, F, 1 3 3
b 5 1 5 1 b
B 3
4
Mz
Qy
4
5 1 b
4
5 1
Die Verschiebung f berechnet sich nun sehr einfach mit den Anteilen aus der
obigen Tabelle
Z a
N N
1 f = dx
0 EA
Z a Z b
My My My My
+ dx + dx
0 EIy 0 EIy
Z a Z b
Mz Mz Mz Mz
+ dx + dx
0 EIz 0 EIz
Z a
Mx Mx
+ dx
0 GIT
Z b
4 Qy Qy
+ dx
0 3 GA
Z a Z b
4 Qz Qz 4 Qz Qz
+ dx + dx
0 3 GA 0 3 GA
f=
16 F b2 a 1 16 F b3
+ +
25 EIz 3 25 EIz
|{z}
2
9 Fb a
+
25 GIT
4 9 Fa 9 Fb
+ +
3
|{z} 25 GA 25 GA
Box 9.10
Es wird deutlich, dass sich die Verschiebung aus den einzelnen Anteilen sum-
miert. Dabei dominieren Anteile mit geringen Steifigkeiten (z.B. EIy als Biege-
steifigkeit oder GIT als Torsionssteifigkeit) und groen Beanspruchungen, wie
dies aus der praktischen Anschauung zu erwarten ist. Fr numerische Berech-
nungen ist es hufig sinnvoll, eine Referenzsteifigkeit, beispielsweise EIy , zu
definieren und dann die Gleichung zum Beispiel in der Form
Box 9.11
9.3 Rckblick
10.1 Transformation
y
yz yx
zy xy
xz x
z zx
x
z
156 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde
x
x
y
d
x
dy
xy
x
yx
y
dx
Box 10.1
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 157
Box 10.2
( + 90 ) = (),
= TT xy T
Box 10.3
10.2 Hauptspannungen
Mit den gegebenen Formeln lassen sich die Spannungen fr jeden Winkel ei-
nes gedrehten Koordinatensystems berechnen, wobei sich die Komponenten
stets ndern. Es gibt jedoch eine ausgezeichnete Richtung, fr die die Kom-
ponenten Extremwerte annehmen, die offensichtlich fr die Charakterisierung
des Spannungszustands interessant ist.
Diese Eigenschaft ist auch zu erwarten, da die Transformationsvorschrift fr
die Drehung von Spannungskoordinatenachsen der von Querschnittskoordi-
natenachsen entspricht.
In den Hauptrichtungen sind die Eintrge der Hauptdiagonalen der Span-
nungsmatrix extrem (vgl. Iy , Iz ) und die Schubspannung verschwindet. Die
beiden extremen Spannungswerte heien Hauptspannungen.
Die Berechnung der Hauptspannungsrichtungen erfolgt ber die Beziehungen
d
d
= 0, d
d
= 0 bzw. = 0. Analog zu den frheren Ausfhrungen zu Haupt-
achsen ergeben sich die aufeinander senkrecht stehenden Hauptrichtungen
zu
Box 10.4
Box 10.5
Bemerkungen zu Hauptspannungen
1 + 2 = x + y = +
Sie variiert also nicht bei einer Koordinatentransformation und wird des-
halb Invariante des Spannungszustands genannt. Ebenso ist die Deter-
minante der Spannungsmatrix x y xy 2
in jedem Koordinatensystem
gleich und damit eine weitere Invariante. Solche Invarianten dienen dem-
nach sehr gut zur Charakterisierung eines Spannungszustands.
Der spezielle Sonderfall, dass die Hauptspannungen genau gleich sind
1 = 2 lohnt eine genauere Beschreibung. Die Transformationsformeln
zeigen, dass in diesem Fall die Gleichheit fr alle Schnittrichtungen gilt
1 = x = = 2 = y =
Box 10.6
Box 10.7
= + 4
x
Box 10.8
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 161
Die Kenntnis von Hauptspannungen und deren Richtung ist zur Beurteilung
des Spannungszustands von groer Bedeutung. Anstatt drei Spannungskom-
ponenten unterschiedlicher Natur (zwei Normalspannungen, eine Schubspan-
nung) im zweidimensionalen Fall, deren Wirkung und Wirkungsrichtung unter-
schiedlich ist, charaktersisieren nur zwei Hauptspannungen als Normalspan-
nungen den Zustand, die man sich deutlich besser vorstellen kann.
Die Bedeutung spiegelt sich auch in den folgenden Versuchen wider, wo sich
die jeweiligen Hauptspannungen und -richtungen an den Versagensarten zei-
gen. Es handelt sich um einen reinen Torsionsversuch und einen reinen Zug-
versuch. Bekanntermaen entstehen im ersten Versuch Schubspannungen
in zirkulrer und axialer Richtung, im zweiten Zugspannungen in Stablngs-
richtung. Untersucht werden zwei unterschiedliche Materialien, das erste ist
duktil (z.B. gewalzter Stahl), das zweite sprde (z. B. rohes Eisen). Duktile
Materialien versagen aufgrund zu hoher Schubspannungen, whrend sprde
Werkstoffe aufgrund zu hoher Zugspannungen versagen. Die jeweiligen Ver-
sagensbilder sind in der folgenden bersicht dargestellt:
Torsionsstab Zugstab
Duktiles Material
Schubversagen
Sprodes Material
Zugversagen
Box 10.9
Box 10.10
10.3 Hauptdehnungen
1
2
=
Box 10.11
tan 2 =
Box 10.12
Box 10.13
b
a c
b
b
a c
c x 60
60
b x
45
a
c 45
x
a
Die Werte auf der rechten Seite sind bei einem gegebenen Problem bekannt
und wir fhren den Parameter r ein:
Box 10.14
Box 10.15
Eine derartige Gleichung beschreibt einen Kreis in der -Ebene mit dem Mit-
telpunkt (M , 0) und dem Radius r. Der Spannungszustand wird durch den
Kreis eindeutig beschrieben und jeder Punkt auf dem Kreis (also jeder Punkt,
der die Gleichung erfllt) gehrt zu einem Spannungszustand mit der zuge-
hrigen Schnittrichtung bzw. dem zugehrigen Koordinatensystem. Dies zeigt
eine Umformung der Kreisgleichung
1
r2 = (x + y )2 4(x y xy
2
) ,
4
die ausschlielich aus invarianten Termen besteht. Somit knnen anhand des
Kreises die Spannungen zu jedem beliebigen Schnitt abgelesen und die Extre-
malwerte der Spannungen sowie die zugehrigen Achsenrichtungen bestimmt
werden.
Wenn die Spannungen x , y und xy an einem Punkt bekannt sind, lsst sich
der Spannungskreis konstruieren. Dazu werden die Normalspannungen unter
Beachtung der Vorzeichen auf der (horizontalen) -Achse eingezeichnet. An
beiden Stellen wird anschlieend xy angetragen, und zwar vorzeichenrichtig
bei x (Punkt A) und entgegen der positiven -Achsrichtung bei y (Punkt B).
Der Mittelpunkt M des Kreises und damit M ergibt sich als Schnittpunkt der
Verbindungslinie AB mit der -Achse.
y
yx
xy
x x
xy
yx
A y
x
Box 10.16
166 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde
Die Konstruktion des Kreises ist mit drei gegebenen Gren mglich. Dies
knnen entweder die drei Spannungen einer Schnittrichtung sein oder eine
Kombination aus einzelnen Spannungen einer Schnittrichtung und Hauptspan-
nungen. Die folgende Abbildung zeigt noch einmal alle erkennbaren Zusam-
menhnge am M OHRschen Spannungskreis:
M y
max yx
M 45 xy
x x
M xy
E yx
max
M
A y
Haupt- 2 45
max
achsen 1
1 xy
2
C 2 M D
xy
2
B
y
y y +x x y
M = 2 2
1
x
kreises vom Punkt A zum Punkt D bzw. von der Spannung x zur Haupt-
spannung 1 zu gelangen, muss daher im Uhrzeigersinn ein Mittelpunkts-
winkel von 2 berstrichen werden. Dies entspricht einer Drehung des
ursprnglichen Koordinatensystems xy um den halben Winkel entge-
gen dem Uhrzeigersinn, woraus das Hauptachsensystem 12 resultiert.
Da der Punkt A mit der Spannung x und der Punkt D mit der Haupt-
spannung 1 assoziiert ist, wird die x-Achse nach der Drehung des Ko-
ordinatensystems zur 1-Achse und die y-Achse dementsprechend zur
2-Achse. Unter Ausnutzung der Gleichschenkligkeit des Dreiecks ACM
lsst sich leicht zeigen, dass der Winkel MCA gerade die Gre be-
sitzt, weshalb die Hauptspannungen 1 und 2 gem Abbildung parallel
bzw. senkrecht zur Strecke AC wirken.
Ausgehend vom Punkt D, der mit der Hauptspannung 1 assoziiert ist,
erreicht man den Punkt E, der mit der Hauptschubspannung max asso-
ziiert ist, indem man entlang des M OHRschen Spannungskreises ent-
gegen dem Uhrzeigersinn einen Mittelpunktswinkel von 90 berstreicht.
Dies entspricht einer Drehung des Hauptachsensystems 12 um 45 im
Uhrzeigersinn, woraus die Hauptschubspannungsrichtungen resultieren.
Man kann unter Verwendung des Sehnentangentenwinkelsatzes zeigen,
dass der Winkel CAE stets 45 betrgt, weshalb die Hauptschubspan-
nung max gem Abbildung parallel bzw. senkrecht zur Strecke AE wirkt.
max
0
2 = 0 1 = 0 max = 2
M
0
45
Box 10.17
168 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde
reiner Schub:
Der zweite Spezialfall ist der des reinen Schubes, wie er zum Beispiel
bei Torsion am Kreisquerschnitt auftritt. Hierbei ist nur die Schubspan-
nung 0 6= 0, die beiden Normalspannungen sind gleich 0 (x = y = 0).
Der Mittelpunkt fllt in diesem Fall auf den Ursprung und die Hauptspan-
nungswerte ergeben sich zu 1/2 = 0 und treten ebenfalls in Schnitten
unter 45 auf.
1 = 0
0 max
2 = 0 1 = 0
2 = 0
45
Box 10.18
hydrostatischer Spannungszustand
Fr einen hydrostatischen Spannungszustand gilt wie vorher erwhnt
x = y = 0 und xy = 0. Der Kreis wird damit zu einem Punkt auf
der -Achse mit dem entsprechenden Wert und alle Schubspannungen
verschwinden.
0
0
0
0
Box 10.19
10.5 Festigkeitshypothesen
Mit den Erkenntnissen der letzten Abschnitte knnen wir den Spannungs- und
Dehnungszustand in einem Bauteil berechnen und damit vorhersagen. Die
letztlich entscheidende Frage bei der Konstruktion ist allerdings, ob ein Bauteil
einer bestimmten Belastung widerstehen kann.
Diese Frage hngt selbstverstndlich von der Beanspruchbarkeit des verwen-
deten Materials ab. Experimentell lsst sich zum Beispiel die Fliegrenze einer
Materialprobe im Zugversuch ermitteln. Fr alle denkbaren mehrdimensiona-
len Spannungszustnde ist dies jedoch nicht so einfach mglich. Folglich sind
Kriterien hilfreich, nach denen ein Versagen des Materials im mehrdimensio-
nalen Zustand abgeschtzt werden kann, und zwar aufgrund von Parametern,
die zum Beispiel im eindimensionalen Zugversuch ermittelt werden knnen.
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 169
10.5.1 Normalspannungshypothese
Box 10.20
gleich der Zugfestigkeit eines Werkstoffs ist, bzw. die kleinste Hauptspannung
gleich der Druckfestigkeit. Fr sprde Materialien erscheint diese Festig-
keitshypothese sinnvoll, wie die Bilder in Abschnitt 10.3 zeigen. Die Grenze
dieser Betrachtungsweise wird jedoch sofort klar, wenn man den im folgenden
dargestellten zweidimensionalen Spannungszustand analysiert. In beiden
Fllen herrscht die gleiche maximale Hauptspannung 1 , der Zustand ist
jedoch grundstzlich verschieden und ein entsprechendes Bauteil wird bei
unterschiedlichen Grenzspannungen versagen.
2 2
1 1
10.5.2 Schubspannungshypothese
sionalen Fall ist die maximale Schubspannung nach dem vorigen Abschnitt
max = 12 (1 2 ). Bei einachsigem Zug ist demnach max = 21 zul . Daraus
ergibt sich die Vergleichsspannung
Box 10.21
Mit Hilfe der Gleichungen fr die Hauptspannungen lsst sich die Hypothese
im xy-Koordinatensystem formulieren
Box 10.22
Diese Hypothese wurde im Jahr 1864 von H. T RESCA aufgestellt und wird
hufig nach ihm benannt (T RESCA-Kriterium).
Volumennderung Gestaltnderung
Box 10.23
nsd ist dabei die Anzahl der Raumdimensionen (im vorliegenden Fall zwei) und
ij das bereits bekannte K RONECKER-Symbol, das im Falle gleicher Indizes
den Wert 1 und ansonsten den Wert 0 annimmt. Der Volumennderungsan-
teil Vol des Verzerrungstensors wird durch eine Diagonalmatrix mit identi-
schen Hauptdiagonalelementen verkrpert und beschreibt daher eine in al-
172 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde
Box 10.24
10.6 Rckblick
Transformationsbeziehungen
Sowohl die Spannungs- als auch die Dehnungskomponenten lassen
sich in gedrehte Koordinatensysteme umrechnen. Die Transformations-
beziehungen sind stets die gleichen. Fr Spannungen lauten sie
1 1
= (x + y ) + (x y ) cos 2 + xy sin 2
2 2
1 1
= (x + y ) (x y ) cos 2 xy sin 2
2 2
1
= (x y ) sin 2 + xy cos 2
2
Hauptschubspannungen
x y
tan 2 =
2xy
s 2
x y 2
max = + xy
2
1 1
M = (x + y ) = (1 + 2 )
2 2
M OHRscher Spannungskreis
Die Beziehungen lassen sich als Kreis darstellen, der den betrachteten
Zustand vollstndig beschreibt. Seine Konstruktion ermglicht das Ab-
lesen gesuchter Werte und erleichtert das Verstndnis fr herrschende
Zusammenhnge.
Festigkeitshypothesen
Mit ihrer Hilfe kann abgeschtzt werden, wie weit ein gewisser Span-
nungszustand von einem bestimmten Versagenskriterium entfernt liegt.
Wir haben nur die einfachsten Hypothesen erlutert: Normal- und
Schubspannungshypothese und Hypothese der Gestaltnderungsener-
gie.
11 Spezielle Spannungs- und
Dehnungszustnde
Alle in dem letzten Kapitel gefundenen Beziehungen lassen sich direkt auf
den allgemeinen dreidimensionalen Fall erweitern. Fr die vollstndige und
exakte Beschreibung eines Spannungszustands einer realen Struktur ist die
dreidimensionale Darstellung erforderlich. Allerdings werden die Gleichungen
damit unhandlicher und die Anzahl der Variablen steigt. Es lohnt sich also dar-
ber nachzudenken, ob nicht die mechanische Einsicht in ein gegebenes Pro-
blem eine Vereinfachung rechtfertigt. Ergebnis solch einer Vereinfachung war
beispielsweise die eindimensionale Behandlung des Dehnstabs. Mit den nun
gewonnenen Erkenntnissen lassen sich weitere besondere Spannungs- bzw.
Dehnungszustnde finden, die die Lsung der damit verbundenen Ingenieurs-
aufgaben deutlich erleichtern. Auf einige dieser besonderen Flle gehen wir in
den folgenden Abschnitten ein.
y
x
z
Er ist vom dreidimensionalen Fall aus Kapitel 2 abgeleitet. Wiederum gilt auf-
grund der Querkontraktion, dass die Spannung in z-Richtung ungleich null ist,
was genau der Vorstellung des Einklemmens der Scheibe entspricht. Ein Bei-
spiel zeigt das folgende Bild eines langen Trgers:
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 177
x
z
Auch fr diesen Fall lsst sich der Zusammenhang von Spannungen und Ver-
zerrungen aus dem dreidimensionalen H OOKEschen Gesetz ableiten (z 0,
xz 0 und yz 0):
x 1 0 x
y = E
(1+)(12)
1 0 y
12
xy 0 0 2
xy
Eine weit verbreitete Aufgabe in der industriellen Anwendung ist die Konstruk-
tion von Gastanks und Rohrleitungen unter Druckbelastung. Die Berechnung
der herrschenden Spannungen in den Wnden ist dafr erforderlich. In den
allermeisten Fllen ist die Dicke t der Wnde sehr viel kleiner als der Radi-
us r, weshalb wir von dnnwandigen Kesseln oder Rohren sprechen. Fr die
Berechnung der Spannungen knnen wir deshalb die Spannungen in radia-
ler Richtung vernachlssigen, was der Annahme des ebenen Spannungszu-
stands entspricht.
Wir betrachten einen zylindrischen Kessel unter Innendruck p mit der Wand-
strke t und dem Radius r:
2r
178 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Mit zwei Schnitten lassen sich die Spannung x in Achsrichtung und die Span-
nung in Umfangsrichtung berechnen. Zuerst schneiden wir mit einer hori-
zontalen Ebene durch den Mittelpunkt ein Halbkreisrohr heraus:
2r
p
t
l
Die konstante Druckverteilung im Rohr ergibt eine vertikale Kraft von 2rl p
auf die geschnittene Innenflche. Vertikales Gleichgewicht fhrt zu
Box 11.1
Die Lnge l krzt sich, die Spannung ist also unabhngig von der Lnge
des Kessels bzw. Rohrs und in Umfangsrichtung konstant.
Den zweiten Schnitt fhren wir mit einer vertikalen Ebene, die weit genug von
den Rndern des Kessels oder Rohrs entfernt ist:
Box 11.2
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 179
Kugelfrmige Kessel
p
p
Als weiteres Beispiel wollen wir noch einen kugelfrmigen Kessel untersu-
chen, der ebenfalls unter einem Innendruck p steht. Der dargestellte horizon-
tale Schnitt fhrt auf die Gleichgewichtsbeziehung
Box 11.3
Das Ergebnis stimmt mit dem fr die Umfangsspannung x des letzten Bei-
spiels berein. In dem Kessel herrscht folglich in beiden skizzierten Richtungen
die Spannung = pr 2t
. Da bei einer Kugel in jeder beliebigen Schnittrichtung
die gleichen Zusammenhnge bestehen, muss die Spannung = pr 2t
auch in
jeder beliebigen Richtung wirken.
Zum Abschluss noch ein Kommentar zu dem von uns angenommenen Span-
nungszustand. Wir sind fr die Berechnung davon ausgegangen, dass die
Spannungen senkrecht zur Wandung vernachlssigt werden und die Span-
nungen innerhalb der Wandebene konstant ber die Dicke verteilt sind. Es
lsst sich aus Gleichgewichtsbetrachtungen an den beiden Oberflchen sa-
gen, dass die Spannung auf der Innenseite gleich dem Innendruck p und
auf der Auenseite gleich null ist. Wegen r t sind die Spannungen innerhalb
der Wandebene gem den hergeleiteten Formeln, in denen diese Spannun-
gen stets mit rt skalieren, um ein Vielfaches hher als die Spannung senkrecht
dazu. Damit ist unsere Annahme gerechtfertigt.
180 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Wie wir gerade gesehen haben, lsst sich die Untersuchung des Spannungs-
zustands einer Struktur deutlich vereinfachen, wenn es sich um eine dnne
Struktur handelt und man dies fr den grundstzlich mglichen Spannungszu-
stand bercksichtigt. Dies gilt auch fr Balken, deren Querschnitte aus dnnen
Wnden zusammengesetzt sind. Die Auenmae wie Breite und Hhe des
Querschnitts sind also gro gegenber den Wandstrken t. Die Geometrie
kann dann mit guter Nherung ber die Profilmittellinien angegeben werden.
Weiterhin knnen fr die Berechnung der Flchentrgheitsmomente die Terme
dritter Ordnung der Dicke (t3 ) vernachlssigt werden. Der Anteil von Flanschen
in Querschnitten, die senkrecht zur z-Achse liegen, beschrnkt sich folglich auf
den S TEINER-Anteil.
Diese Art von Querschnitten ist in der praktischen Anwendung sehr weit ver-
breitet, da sie geforderte Anforderungen sehr effizient, das heit mit ver-
gleichsweise wenig Material erfllen knnen. Als Beispiele seien die schon
bekannten I-Profile genannt, die Biegebelastungen effizient abtragen knnen
(vgl. Berechnung des Flchentrgheitsmoments). Ein weiteres Beispiel sind
Hohlprofile, wie zum Beispiel Tragflchen von Flugzeugen, die mit wenig Ma-
terial und damit Gewicht hohen Belastungen widerstehen knnen.
Weil diese Strukturen so verbreitet sind, gehen wir in den folgenden zwei Ab-
schnitten genauer darauf ein und zeigen die Konsequenzen und Berechnungs-
methoden auf. Die Gemeinsamkeit beider Abschnitte ist die Tatsache, dass
aufgrund der Dnnwandigkeit Annahmen zum Schubspannungsverlauf getrof-
fen werden knnen.
h x
y
z
s3
t
Box 11.4
Fr die Beschreibung des Schubes infolge Querkraft fhren wir eine Wandko-
ordinate s ein, die der Profilmittellinie folgt. Der Schubverlauf wird in Abhn-
gigkeit von dieser Koordinate s ermittelt anstatt in Abhngigkeit von den Quer-
schnittskoordinaten y und z. Aufgrund der Dnnwandigkeit knnen folgende
Annahmen zur Verteilung der Schubspannungen getroffen werden:
Da die Schubspannungen an den (belastungsfreien) Oberflchen verschwin-
den mssen, verlaufen die Schubspannungen randparallel und damit tangenti-
al zur Profilmittellinie. Schubspannungen quer zur Mittellinie werden vernach-
lssigt. Weiterhin knnen die Schubspannungen ber die (geringe) Dicke als
konstant angenommen werden.
Aufgrund dieser Annahmen kann die Berechnung sehr gut mit dem Schubfluss
als resultierendem Kraftfluss durchgefhrt werden.
Box 11.5
dx
A
sx(s) +
x dx
s
y x
z
Box 11.6
Box 11.7
Unter Verwendung des statischen Moments S(s) der Teilflche A als Funktion
von der Wandkoordinate s folgt fr die Schubspannung xs :
Box 11.8
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 183
bzw.
QS(s)
T (s) =
I
Zur Erinnerung sei noch einmal erwhnt, dass sich das relevante Flchentrg-
heitsmoment I unter Ausnutzung der Dnnwandigkeit vereinfacht berechnet
zu 2 !
th3 h th3 b
I= +2 bt = 1+6
12 2 12 h
Box 11.9
Z s2
S(s2 ) = S(s2 = 0) + z t ds2 =
| {z } 0
= S(s1 = b)
Box 11.10
Zu beachten ist hier, dass z nicht mehr konstant ist, sondern von s2 abhngt,
was sich auf das Integral auswirkt. Folglich ist der Verlauf nun quadratisch in
s2 .
184 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Als letztes berechnen wir den Verlauf im unteren Flansch. Fr die Profilkoordi-
nate s3 haben wir die positive Richtung nach links festgelegt. Der Startpunkt ist
das freie Ende des Flansches, weshalb wir keinen Startwert fr das statische
Moment und den Schubfluss bentigen (T (s3 =0)=0). Der Verlauf berechnet
sich zu
Z s3 Z s3
h ht
S(s3 ) = z t ds3 = t ds3 = s3
0 0 2 2
Box 11.11
Das negative Vorzeichen des Schubflusses zeigt an, dass der reale Schubfluss
entgegen der positiven Richtung von s3 gerichtet ist, also von links nach rechts.
Wir berprfen die Rechnung anhand einer Gleichgewichtsbetrachtung an der
unteren Profilecke:
Box 11.12
Das Gleichgewicht ist somit erfllt, der endgltige reale Schubfluss lsst sich
entlang des Profils skizzieren:
Box 11.13
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 185
Beispiel I-Trger
s2 Als zweites Beispiel wollen wir kurz
auf einen I-Trger eingehen, wie er
s1 in der Abbildung dargestellt ist. Die
Berechnung erfolgt wiederum mit ein-
s3 zelnen (eingezeichneten) Wandkoor-
dinaten si . Die Schubflussverlufe im
s5 Flansch knnen wir jeweils von aus-
sen kommend mit dem gleichen Prin-
s4 zip wie bisher berechnen.
Q
xA
dx T2dx T1dx
(x +
x dx)A
x
T3dx
Der Schubfluss verzweigt sich also. Das Problem lsst sich wiederum mit Hil-
fe einer Gleichgewichtsbetrachtung lsen. Fr jeden Wandabschnitt ist mit der
Wandkoordinate si gleichzeitig die positive Richtung des Schubflusses fest-
gelegt. Damit lsst sich das Gleichgewicht am Knoten aufstellen, wobei die
Anteile aus den Biegenormalspannungen verschwinden, wenn man beliebig
nah an dem Kreuzungspunkt schneidet (A 0). Zum Beispiel am oberen
Kreuzungspunkt mit den in der Skizze gewhlten Koordinatenrichtungen si :
Box 11.14
Schubmittelpunkt
Wir betrachten noch einmal das U-Profil des letzten Abschnitts. Es handelt
sich offensichtlich um ein zur y-Achse symmetrisches, allerdings zur z-Achse
unsymmetrisches Profil, bei dem der Flchenschwerpunkt (SP) innerhalb des
Us liegt. Der Ursprung des beschreibenden Koordinatensystems liegt im Fl-
chenschwerpunkt (siehe Bild rechts). Im Folgenden untersuchen wir einen
Balken mit U-Profil, der mit einer Einzellast in z-Richtung belastet ist, die im
Schwerpunkt angreift. Wir stellen fest, dass sich der Balken einerseits, wie er-
wartet, um die y-Achse biegt, er sich jedoch zustzlich um seine Lngsachse
verdreht (siehe Bild links).
P S
y
y A
z
z
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 187
Es stellt sich die Frage, warum sich der Balken bei einem derartigen Belas-
tungsfall verdreht? Um dies zu verstehen, wollen wir in einem ersten Schritt
den Schubspannungsverlauf infolge Qz , den wir im vorherigen Abschnitt be-
reits berechnet haben und der im Bild rechts nochmals dargestellt ist, durch
die Spannungsresultierende Qz statisch quivalent ersetzen. Integration der in
z-Richtung wirkenden Schubspannungen ber die Steghhe ergibt natrlich
genau die Spannungsresultierende Qz , whrend sich die Kraftwirkungen in y-
Richtung der Schubspannungen in den beiden Flanschen gerade aufheben.
Damit der reale Spannungsverlauf durch Qz statisch quivalent ersetzt wer-
den kann, muss die Lage der Wirkungslinie von Qz so bestimmt werden, dass
neben der Kraftwirkung auch die Momentenwirkung des Spannungsverlaufs
bezglich jedes beliebigen Bezugspunktes gleichwertig durch Qz ersetzt wird.
Der Einfachheit halber whlen wir als Bezugspunkt den Schnittpunkt A zwi-
schen unterem Flansch und Steg. Da die Schubflussresultierenden des unte-
ren Flansches und des Steges keinen Hebelarm zu dem Bezugspunkt haben,
brauchen wir nur den oberen Flansch zu bercksichtigen. Somit knnen wir
den zunchst unbekannten Abstand e der Wirkungslinie von Qz von der Steg-
mittelebene berechnen (siehe Skizze), welcher statische quivalenz von Qz
und dem abgebildeten Schubspannungsverlauf ermglicht:
.
=
Qz =
y S
e
=
A
z
Box 11.15
mit
th3 b
Iy = 1+6
12 h
Links wird das U-Profil mit einem Gewicht in der Schwerpunktsebene belastet
und verdreht sich. Im rechten Bild ist die Last in der Schubmittelpunktsebene
angebracht und der Trger verdreht sich nicht. Betrachten wir zunchst letztere
Konfiguration, fr die sich die beiden folgenden schematischen Schnittbilder
ergeben:
Qz
F F
y y
e e
z z
Qz = F
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 189
Qz
MT
e
SM P F
y
e
ySMP
Qz = F
Da die uere Last F in diesem Fall nicht mehr denselben Abstand zur x-
Achse aufweist wie die innere Querkraft Qz , ist ein zustzliches Torsionsmo-
ment MT (vom Betrag MT = F ySM P , wobei ySM P die y-Koordinate des Schub-
mittelpunkts bezeichnet) in der Schnittebene notwendig, um Momentengleich-
gewicht des Balkenstcks bezglich der x-Achse zu gewhrleisten. Dieses
zustzlich auftretende Torsionsmoment MT fhrt letztlich zur Verdrillung der
Balkenquerschnitte und somit zu einer Verdrehung des belasteten Balkenen-
des um seine Lngsachse. Bei einer auerhalb des Schubmittelpunkts auf den
Balken wirkenden Querbelastung ergibt sich der Gesamtschubspannungsver-
lauf daher als berlagerung der beiden Schubspannungsverlufe infolge der
190 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Qz
SM P
SP
y Qy My
N
MT
Mz
x
z
Diese Definition kann man sich auch durch folgende berlegungen plausibel
Ergnzung
machen: Wie wir aus der TM I wissen, kann eine Kraft statisch quivalent paral-
lel zu ihrer Wirkungslinie verschoben werden, wenn die sich daraus ergebende
nderung ihrer Momentenwirkung durch ein zustzlich aufgebrachtes Krfte-
paar bzw. Moment kompensiert wird. Folglich knnten die vorhin betrachte-
ten, entlang des U-Profils verlaufenden Schubspannungen infolge Querkraft
auch durch eine resultierende Querkraft Qz im Flchenschwerpunkt (anstatt im
Schubmittelpunkt) und ein zustzliches Schnittmoment um die x-Achse ersetzt
werden. Dieses Schnittmoment drfte letztendlich jedoch keine Torsion bzw.
Verdrillung der Balkenquerschnitte verursachen, da gem Abschnitt 11.4.2
auch die ursprnglichen Schubspannungen entlang des U-Profils nur zu ei-
ner reinen Scherdeformation des Balkens, nicht jedoch zu einer Verdrillung
der Balkenquerschnitte fhren. Aus diesem Grund wre der bereits aus Kapi-
tel 4 bekannte und in Abschnitt 11.4.2 wieder aufgegriffene Zusammenhang
(x) = MGIT (x)
T
zwischen der Verdrillung (x) und dem Schnittmoment MT (x)
um die x-Achse ungltig und fr die mathematische Beschreibung von allge-
meinen Torsionsproblemen nicht mehr geeignet. Um dies zu vermeiden und
sicherzustellen, dass eine verschwindende Querschnittsverdrillung immer mit
einem verschwindenen Schnittmoment um die x-Achse einhergeht, wird der
Schubmittelpunkt des Querschnitts als Angriffspunkt der resultierenden Quer-
kraft Qz definiert, womit eine Parallelverschiebung von Qz und die damit ver-
bundene Einfhrung eines zustzlichen Schnittmoments um die x-Achse hin-
fllig werden.
Whrend wir uns mit dem Schubmittelpunkt als Angriffspunkt der Querkrfte
bereits beschftigt haben, bleibt die Frage, warum als Angriffspunkt der Nor-
malkraft der Flchenschwerpunkt gewhlt wird. Wie bereits im Kapitel 5.4 ge-
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 191
SP y
y a
N N N a
x x
z z
Satz. Als Angriffspunkt der Querkrfte (Qy , Qz ) ist der Schubmittelpunkt defi-
niert. Nur falls die Wirkungslinien aller von auen auf den Balken einwirkenden
Kraftkomponenten quer zur Balkenachse durch den Schubmittelpunkt verlau-
fen und keine ueren Torsionsmomente auf den Balken einwirken, tritt in den
Querschnitten kein Torsionsmoment zustzlich zu den Querkrften auf und die
verursachte Biegung bleibt torsionsfrei.
Ferner gilt:
Die Lage des Schubmittelpunkts lsst sich entsprechend dem obigen Vorge-
hen fr jeden Querschnitt eindeutig berechnen. Symmetrieachsen sind stets
geometrische Orte fr den Schubmittelpunkt. Bei doppel- und punktsymme-
trischen Querschnitten fallen Schubmittelpunkt und Schwerpunkt zusammen.
Weiterhin liegt fr Querschnitte, die sich nur in einem Punkt verzweigen, der
Schubmittelpunkt im Verzweigungspunkt, da die Schubflussresultierenden Ri
kein Moment bezglich dieses Punktes erzeugen.
192 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Das dnnwandige Profil kann wie vorher ber die Profilmittellinie charakteri-
siert werden, fr die wir die Koordinate s einfhren, und ber die Wandstrke
t(s), die vernderlich sein kann. Wie fr den Schubfluss infolge Querkraft kann
auch fr die Torsion am dnnwandigen Querschnitt ein ber die Dicke konstan-
ter Schubspannungsverlauf (s) angenommen werden, der immer in Richtung
der Profilmittellinie wirkt (zugeordnete Schubspannungen mssen aus Gleich-
gewichtsgrnden an freien Rndern verschwinden).
T TA
ds dx ds
t
tA
T
O T
T+ x dx TB
MT
tB
x
r
Box 11.16
T = T (x)
Box 11.17
Demnach ist der Schubfluss an der Stelle x konstant ber den gesamten Quer-
schnitt und wirkt tangential zur Profilmittellinie.
Wir bentigen nun noch einen Zusammenhang zwischen den Schubspannun-
gen bzw. dem Schubfluss und dem Torsionsmoment als reprsentative Schnitt-
gre. Das resultierende Schnittmoment MT (x) bezglich eines zunchst be-
liebigen Bezugspunkt 0 ist
MT (x) =
MT (x) =
Box 11.18
Dabei ist Am die von der Profilmittellinie umschlossene Kernflche. Die Integra-
tion verluft entlang der Profilkoordinate s einmal um den Querschnitt herum,
was mit dem Kreis im Integralzeichen angedeutet ist (Umlaufintegral).
Schlielich ist die Schubspannung (erste B REDTsche Formel)
Box 11.19
194 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Box 11.20
Es soll daran erinnert werden, dass es sich hierbei um die von den virtuellen
Schubspannungen infolge eines virtuellen Torsionsmoments vom Betrag 1
entlang der realen Scherungen geleistete Fremdarbeit handelt.
Mit =
G
und = MT
2Am t
bzw. = 2A MT
mt
folgt
ZZ
MT MT 1
1 = tdsdx
l A 2Am t 2Am t G
Z I
MT MT ds
= dx
l G 4A2m t
Z
! MT MT 1
= dx
l G IT
Damit knnen wir als Torsionstrgheitsmoment des Hohlquerschnitts einfhren
(mit dA = tds)
Box 11.21
Am (y) = 2y a
Box 11.23
Wir wissen also, dass fr den Fall reiner Torsion dnnwandiger, offener Quer-
Ergnzung
schnitte (zumindest in ausreichender Entfernung von Eck- bzw. Knickstellen)
die Schubspannungsverteilung einen linearen Verlauf ber die Wandstrke t
mit Nulldurchgang in der Mittelfaser annimmt. Aus den vorherigen Abschnitten
wissen wir auerdem, dass die Schubspannung infolge Querkraftbelastung als
nherungsweise konstant ber die Wandstrke angenommen wird. Ein allge-
meiner Schubspannungsverlauf kann im Rahmen der linearen Theorie deshalb
immer als berlagerung eines linearen Anteils aus Torsion und eines konstan-
ten Anteils aus Querkraft aufgefasst werden:
= +
t t t
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 197
Nun verstehen wir auch, weshalb der in Abschnitt 11.4.1 betrachtete, ber die
Wandstrke konstante Schubspannungsverlauf aus Querkraft zu keiner Ver- Ergnzung
drillung der Querschnitte fhrte. Der Grund dafr ist, wie wir seit diesem Ab-
schnitt wissen, dass eine Querschnittsverdrillung dnnwandiger, offener Quer-
schnitte immer mit einem linear ber die Wandstrke vernderlichen Schub-
spannungsverauf einhergeht. Im brigen zeigt diese Betrachtungsweise ei-
ne Analogie zur bereits in Kapitel 5 diskutierten Normalspannungsverteilung
(ber der Querschnittshhe) infolge Normalkraft und Biegemoment auf. Die
Gesamtnormalspannungsverteilung setzte sich aus einem linearen Biegean-
teil mit Nulldurchgang im Flchenschwerpunkt und einem konstanten Normal-
spannungsanteil aus Normalkraft zusammen.
Mit der zweiten B REDTschen Formel lsst sich nun das Torsionstrgheitsmo-
ment IT in analoger Weise ableiten:
Box 11.24
Box 11.25
198 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Box 11.26
IT,geschlossen =
z Box 11.27
IT,offen =
z Box 11.28
Box 11.29
Box 11.30
11.5 Rckblick
Ebener Spannungszustand
Aus der Bedingung z 0 kann der 3D-Zustand in einen 2D-Zustand
mit x , y , xy berfhrt werden. Das Hookesche Gesetz fr den ebenen
Spannungszustand lautet
x 1 0 x
y = E 2 1 0 y
(1 )
xy 0 0 1
2
xy
Ebener Dehnungszustand
Auch hier kann ein 2D-Zustand betrachtet werden (z 0)
x 1 0 x
y = E
(1+)(12)
1 0 y
12
xy 0 0 2
xy
200 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde
Kesselformel
Fr die Spannung eines Zylinder-Kessels unter Innendruck gilt in Kreis-
umfangsrichtung
pr
=
t
und in Zylinderrichtung (genauso wie im kugelfrmigen Kessel berall)
pr
x =
2t
QS(s) QS(s)
T (s) = bzw. xs (s) =
I It(s)
MT = GIT = 2Am T
MT MT
(s) = max = mit WT = 2Am tmin
2Am t(s) WT
2
4A
IT = H dsm
t(s)
An dieser Stelle wollen wir ein aus der TM I bekanntes Thema erneut auf-
greifen. Dort haben wir statische Gleichgewichtslagen bezglich ihres Stabi-
littsverhaltens charakterisiert. Die Gleichgewichtslage wurde dann als stabil
bezeichnet, wenn das System nach einer kleinen Auslenkung wieder in die
ursprngliche Gleichgewichtslage zurckkehrt.
Fr konservative Systeme wurde gezeigt, dass die Gleichgewichtslage genau
dann stabil ist, wenn die zugehrige Potentialfunktion V ein Minimum hat:
instabil stabil
instabil stabil
Im instabilen Fall hingegen entfernt sich das System nach einer Strung auf-
grund der Kraftwirkung weiter aus der Gleichgewichtslage.
In diesem Kapitel wollen wir nun speziell Gleichgewichtslagen von Stben un-
ter Druckbelastung untersuchen.
Wir betrachten ein einfaches System aus einem drehbar gelagerten starren
Balken und einer Drehfeder. Die Wirkungslinie der ueren Kraft F sei unab-
hngig von der Auslenkung immer in vertikaler Richtung:
202 12. Stabilittsversagen durch Knicken
l sin l sin
F
F F
l
c c
Mc
Box 12.1
Mc () = c
Im Weiteren beschrnken wir uns auf positive Werte von < 90 . Negative
Werte mssen aus Symmetriegrnden die selben Ergebnisse liefern.
Box 12.2
Fl
c
sin =
Fl
c sin
sin 90
c c
F l
F > l
Gleichgewichtslagen =0 =0
Fl
= c
sin
$M_c$
Box 12.3
Durch diese Strung wird das System aus dem Gleichgewicht gebracht. Ins-
besondere verschwindet die Momentensumme nicht mehr, sondern es ergibt
sich ein resultierendes Gesamtmoment Mr (Vorzeichendefinition wie fr und
Mc ), das auf den Balken wirkt:
204 12. Stabilittsversagen durch Knicken
Box 12.4
. d sin
sin( + ) = sin + = sin + cos
d
Mr () = F l (sin + cos ) c ( + )
= F l sin c + [F l cos c]
| {z }
=0
= [F l cos c]
Mr () = [F l c]
Wir mssen hier abhngig von der Belastung F drei Flle unterscheiden:
1. Fr F < cl hat das resultierende Moment rckstellenden Charakter.
In diesem Fall ist nmlich der Klammerausdruck [F l c] negativ
und somit wirkt das Moment entgegen der Strung. Die Gleichge-
wichtslage = 0 ist damit stabil fr F < cl .
2. Fr F > cl wirken Moment und Strung in die selbe Richtung. Das
Gleichgewicht ist somit instabil.
3. Fr F = cl entsteht in erster Nherung kein resultierendes Moment
durch die Strung. Es liegt ein indifferentes Gleichgewicht vor.
Die zweite Gleichgewichtslage = Fcl sin tritt nur auf, falls F > cl . Mit
dem , welches die Gleichung lst, gilt dann
.
Mr () = [F l cos c]
12. Stabilittsversagen durch Knicken 205
sin
Fr die Funktionen cos und
gilt fr 0 < < 90 :
1
sin()
0.8
0.6 cos ()
sin
cos < 0.4
0.2
0
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4
[rad]
In den Ausdruck auf der rechten Seite kann man die Bestimmungsglei-
chung fr die Gleichgewichtslage einsetzen. Es ergibt sich damit:
sin
Mr () < F l c = 0
| {z }
= Fcl
instabil
Fkrit
stabil
Box 12.5
206 12. Stabilittsversagen durch Knicken
Das System kann nun bei einer Erhhung der Belastung ber Fkrit einen
der drei Pfade einschlagen. Ist dies einer der beiden stabilen Pfade, so
wird das System diesen auch bei kleinen Strungen nicht mehr verlas-
sen. Ist es hingegen der instabile Pfad, so kann durch eine kleine St-
rung, wie sie in der Realitt immer vorkommt, das System den Pfad ver-
lassen. Das System geht dann in einem der beiden stabilen gekippten
Zustnde ber. Dieser bergang ist mit einer deutlich greren Auslen-
kung als die Strung verbunden. In der Praxis sind solche groen Aus-
lenkungen meistens nicht erwnscht.
Wir wollen nun die berlegungen, die wir vorher fr ein System aus einem
starren Balken und einer Feder angestellt haben, auf das Problem eines ent-
sprechend belasteten elastischen Balkens (EI = const., Lnge l) bertragen.
Dazu wird der Balken mit einer Kraft F belastet und es wird untersucht, ob
auch dann Gleichgewicht herrschen kann, falls an einer Stelle w (x) 6= 0.
Dabei beschrnken wir uns im Wesentlichen auf die vier von L EONHARD E U -
LER im Jahr 1744 angegebenen Knickflle:
F F F F
w (x)
F
F
B
x x
A z w (x)
12. Stabilittsversagen durch Knicken 207
w (x)
F
BH = 0 M
N
Q
AH = 0
AV = F F
Box 12.6
M(x)
w (x) =
EI
fr die Biegelinie aus Kapitel 8 ergibt sich daraus
Box 12.7
bzw.
EI
w (x) + w (x) = 0
F
Dies ist die sogenannte Knickdifferentialgleichung. Sie ist eine homogene, li-
neare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Ihre
allgemeine Lsung lautet
r ! r !
F F
w(x) = C1 cos x + C2 sin x
EI EI
C1 und C2 sind reelle Konstanten, die aus den Randbedingungen der Glei-
chung berechnet werden mssen.
208 12. Stabilittsversagen durch Knicken
also
F
+ 2 = 0
EI
Die Nullstellen (Eigenwerte der charakteristischen Polynoms) sind komplex:
r
F
1,2 = i
EI
Mit ihnen hat man zwei Basislsungen berechnet, das sogenannte Fundamen-
talsystem: F F
i EI x i EI x
w1 (x) = e , w2 (x) = e
Aufgrund der Linearitt der Gleichung sind beliebige berlagerungen dieser
beiden Lsungen wieder Lsung der Gleichung:
F F
w (x) = C1c w1 (x) + C2c w2 (x) = C1c ei EI x + C2c ei EI x
Es sind dabei C1c , C2c beliebige komplexe Konstanten (entspricht vier Freiheits-
graden!). Ist man wie in unserem Fall nur an reellen Lsungen interessiert, so
kann man mit Hilfe der Identitten
Die beiden reellen Freiheitsgrade bestimmt man dann aus geeigneten Rand-
bedingungen. Genaueres zur Theorie dieser Differentialgleichungen entnimmt
man der Vorlesung zur Hheren Mathematik.
w(0) = 0 w(l) = 0
12. Stabilittsversagen durch Knicken 209
EI 2
l Fkrit = l2
Box 12.8
Wir werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels sehen, dass auch jeder der
drei anderen E ULER-Flle durch eine charakteristische freie Knicklnge be-
schrieben und dadurch letztendlich auf den zweiten E ULER-Fall zurckgefhrt
werden kann. Die fr den zweiten E ULER-Fall gltige Gleichung
EI 2
Fkrit =
l2
kann also wie folgt auf alle vier E ULER-Flle verallgemeinert werden:
EI 2
Fkrit =
s2k
Aufgrund der festen Einspannung am unteren Ende des Balkens muss gelten:
F
w (0) = 0
w (0) = 0
12. Stabilittsversagen durch Knicken 211
2l
$M$ $F$
$M$ $F$
F
Box 12.9
Berechnet man nmlich die Lsung fr den zweiten E ULER -Fall anhand eines
Balkens mit doppelter Lnge, so ergeben sich bei einem Schnitt auf halber H-
he genau die Schnittgren, wie sie als Auflagerkrfte fr den ersten E ULER -
Fall charakteristisch sind.
Legt man den Ursprung des Koordinatensystems wie zuvor in den fiktiven
unteren Auflagerpunkt des Balkens mit doppelter Lnge, folgt aus der ers-
ten Eigenform des zweiten E ULER-Falls sofort die erste Eigenform des ersten
E ULER -Falls:
w1 (x) = C2 sin x = C2 sin x , x [l; 2l]
2l sk
Es ist zu beachten, dass fr die axiale Koordinate x der Bereich [l; 2l] relevant
ist, da der Kragbalken des ersten E ULER-Falls quivalent ist zur oberen Hlfte
des fiktiven Balkens mit doppelter Lnge.
Die Knicklnge sk im ersten E ULER-Fall betrgt dementsprechend
sk = 2l
EI 2 EI 2
Fkrit = =
s2k 4l2
212 12. Stabilittsversagen durch Knicken
sk EI 2
l l= 2 Fkrit = 4l2
F
F F
w (x) z AH
x AH s
Q (x)
N (x)
M (x)
w (x)
sk = 0.7l
Fkrit = 4.492 EI
l2
l
Wendepunkt mit
w (x) = M (x) = 0
Die Lnge des Balkenabschnitts zwischen dem oberen Auflager und dem
schnittmomentfreien Wendepunkt in der Balkenlinie entspricht definitionsge-
m der freien Knicklnge sk = 0,7l. Da dieser Balkenabschnitt durch den
zweiten E ULER-Fall vollstndig beschrieben wird, kann der dritte E ULER-Fall
mittels sk auf den zweiten E ULER-Fall zurckgefhrt werden.
Den vierten E ULER-Fall behandelt man analog zum dritten. Die Schiebehlse
am oberen Ende des Balkens wird durch eine horizontale Auflagerkraft AH und
ein zustzliches Auflagermoment MA ersetzt:
MA MA
F
F F
w (x) z AH
AH s
x Q (x)
N (x)
M (x)
w (x)
214 12. Stabilittsversagen durch Knicken
l 4EI 2
$s_k$ Fkrit = l2
Wendepunkt
Box 12.10
12. Stabilittsversagen durch Knicken 215
Wiederum sieht man sehr schn, dass der Balkenabschnitt zwischen den bei-
den schnittmomentfreien Wendepunkten in der Balkenlinie durch den zweiten
E ULER-Fall vollstndig beschrieben wird und der vierte E ULER-Fall demnach
ber die freie Knicklnge sk auf den zweiten E ULER-Fall zurckgefhrt werden
kann.
12.3 Rckblick
F F F F
sk
sk
l 2
sk sk
l
sk = 2l sk = l sk = 0.7l sk = 2
Die Gre sk wird als freie Knicklnge bezeichnet und erlaubt eine Rckfh-
rung smtlicher E ULER-Flle auf den zweiten E ULER-Fall mittels der allge-
meingltigen Beziehung
EI 2
Fkrit =
s2k