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Technische Mechanik II

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang A. Wall c Lehrstuhl fr Numerische Mechanik



Version: SS 2017
Zum Gebrauch des Vorlesungsskriptes
Das Manuskript ist begleitend zur Vorlesung zu verwenden und kann diese
nicht ersetzen. Der Besuch der Veranstaltung wird deshalb dringend empfoh-
len. Auerdem sollte der Student zur Einbung und Vertiefung des Stoffes die
Zentralbung besuchen und die Aufgaben der Vertiefungsbung selbststndig
bearbeiten. Ein stetiges Mitlernen ist fr ein tieferes Verstndnis der Techni-
schen Mechanik unbedingt notwendig, weshalb e-Tests als Lernfortschritts-
kontrolle angeboten werden. Fr die weitere Vertiefung und Ergnzung des
Stoffes kann auf Lehrbcher zurckgegriffen werden. Eine Literaturliste findet
sich weiter hinten.
Zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Vorlesungsmanuskripts bitten
die Autoren um Korrekturen, Kritik, Anregungen und Ergnzungen.

Vorlesungsskript Technische Mechanik II

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang A. Wall

6. Auflage: 2017 (vollstndig berarbeitet)


1. Auflage: 2005

Technische Universitt Mnchen


Lehrstuhl fr Numerische Mechanik
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang A. Wall
Boltzmannstrae 15
85747 Garching b. Mnchen
Telefon: +49 (0) 89 - 289 - 15300
Fax: +49 (0) 89 - 289 - 15301
E-Mail: [email protected]
www.lnm.mw.tum.de

Teile des Texts und der Abbildungen wurden unter Mitwirkung von Studieren-
den erstellt.

Dieser Umdruck ist nur fr Studierende der TU Mnchen und den privaten
Gebrauch zugelassen. Alle Rechte, insbesondere das der bersetzung in an-
dere Sprachen, sind vorbehalten. Ohne Genehmigung der Autoren ist es nicht
gestattet, dieses Manuskript ganz oder teilweise zu vervielfltigen oder zu ver-
breiten.
Inhaltsverzeichnis

1 Vorbemerkung 1
1.1 Aufbau des Skripts zur Technischen Mechanik II . . . . . . . . . 1
1.2 Statik starrer Krper und Statik elastischer Krper . . . . . . . . 2
1.3 Literatur zur Technischen Mechanik IIII . . . . . . . . . . . . . . 4
1.4 Aufgabensammlungen zur Technischen Mechanik IIII . . . . . . 4

2 Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 5
2.1 Spannung im Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
2.2 Dehnung im Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.3 Materialeffekte im Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.4 Zusammenfassung der mageblichen Gleichungen . . . . . . . . 22
2.5 Prinzip von S AINT-V ENANT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.6 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

3 Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 27


3.1 Allgemeiner Arbeits- und Energiesatz . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.2 Die Stze von B ETTI und M AXWELL . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.3 Stze von C ASTIGLIANO und M ENABREA . . . . . . . . . . . . . 35
3.4 Energiebetrachtungen am Dehnstab . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.5 Prinzip der virtuellen Krfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
3.6 bersicht der Energiemethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
3.7 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

4 Torsion rotationssymmetrischer Wellen 53


4.1 Deformation aus Torsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4.2 Torsionsschubspannung, assoziierte Schubspannung . . . . . . 59
4.3 Zusammenhang zwischen Torsionsmoment und Schubspannun-
gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4.4 Arbeitsanteile aus Torsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.5 Kreisringquerschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.6 Statisch unbestimmte, wlbfreie Torsionsprobleme . . . . . . . . 71
4.7 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

5 Einfhrung in die Balkenbiegung 75


5.1 Ebene (gerade) Biegedeformation . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5.2 Der Verzerrungszustand der reinen Balkenbiegung . . . . . . . . 78
5.3 Spannungsverteilung infolge gerader Biegung (Einsetzen des
Materialgesetzes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
5.4 Zusammenhang zwischen Spannungen und Schnittgren . . . 80
5.5 Erste berlegungen zu schiefer Biegung . . . . . . . . . . . . . . 84
5.6 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
ii Inhaltsverzeichnis

6 Querschnittskennwerte 89
6.1 Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
6.2 Flchentrgheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
6.3 Biegung bei beliebigen Balkenquerschnitten . . . . . . . . . . . . 103
6.4 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

7 Schubspannungen unter Querkrafteinfluss 109


7.1 Das Auftreten von Schubspannungen infolge Querkraft . . . . . . 109
7.2 Verlauf der (gemittelten) Schubspannungen . . . . . . . . . . . . 112
7.3 Beispiel: Schubspannungsverlauf am Balken mit Rechtecksquer-
schnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
7.4 Grenabschtzung fr die Schubspannungen am Balken . . . . 115
7.5 Der Einfluss des von uns berechneten Schubes auf die Defor-
mation infinitesimaler Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
7.6 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

8 Biegelinie des Balkens 121


8.1 Differentialbeziehungen des schubstarren Biegebalkens . . . . . 121
8.2 Biegelinien von schubweichen Balken . . . . . . . . . . . . . . . 128
8.3 Arbeitssatz fr die schubstarre Balkenbiegung . . . . . . . . . . 130
8.4 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

9 Allgemein belastete Balkenstrukturen 145


9.1 Spannungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
9.2 Verformungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
9.3 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

10 Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 155


10.1 Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
10.2 Hauptspannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
10.3 Hauptdehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
10.4 M OHRscher Spannungskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
10.5 Festigkeitshypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
10.6 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

11 Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 175


11.1 Ebener Spannungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
11.2 Ebener Verzerrungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
11.3 Kesselformeln fr Innendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
11.4 Dnnwandige Balkenquerschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
11.5 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

12 Stabilittsversagen durch Knicken 201


12.1 Verzweigen von Gleichgewichtspfaden . . . . . . . . . . . . . . . 201
12.2 Stabilittsbetrachtung beim Biegebalken . . . . . . . . . . . . . . 206
12.3 Rckblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
1 Vorbemerkung

1.1 Aufbau des Skripts zur Technischen Mechanik II

Der vorliegende Vorlesungsumdruck schliet in jeder Hinsicht an das Vorle-


sungsskript zur Technischen Mechanik I des letzten Semesters an. Es besteht
wiederum aus Ausfllboxen, also frei gelassenen Stellen, die whrend der
Vorlesung selbststndig ausgefllt werden sollen. Damit wollen wir die Konzen-
tration und das unmittelbare Verstndnis des Stoffes sowie das eigenstndige
Erarbeiten untersttzen all das erachten wir fr die Lehre der Technischen
Mechanik als unverzichtbar. Auch die schon bekannten Elemente wie Ser-
viceboxen, Ergnzungsboxen und Rckblicke finden Sie in diesem Skript
wieder. Darber hinaus mchten wir Sie noch einmal ermuntern, sich auch
eigene Notizen im Skript zu machen. Zudem fordern wir Sie nochmals aus-
drcklich dazu auf, den Stoff regelmig zumindest so weit nachzubereiten,
dass Sie den Anschluss nicht verlieren. Gerade bei dem zunehmend komple-
xen Stoff der Technischen Mechanik II halten wir dies fr unerlsslich. Unsere
zustzlichen Lehrangebote (Zentralbung, Vertiefungsbung, E-Tests, Halb-
zeitkurs und Sprechstunden) untersttzen Sie bei der Einbung des Stoffs.
Schlielich mchten wir nochmals auf Lehrbcher bzw. Sekundrliteratur hin-
weisen, die ein wesentliches Element eines universitren Studiums darstellen.
Eine Auswahl finden Sie am Ende dieses Kapitels.
Der Themenschwerpunkt dieses Skripts ist die Elastostatik, also die Lehre von
deformierbaren, elastischen Krpern, die in Ruhe bleiben. Der inhaltliche Auf-
bau gestaltet sich wie folgt: Nachdem der Dehnstab als einfhrendes Modell im
vergangenen Wintersemester behandelt wurde, stellen wir im Kapitel Span-
nung, Dehnung und Materialgesetz die Grundlagen der allgemeinen Elastizi-
ttstheorie dar. Daraufhin folgt ein Kapitel ber Arbeits- und Energiemethoden
in der Elastostatik, das die Bedeutung dieser Methoden in der Mechanik un-
terstreicht. Die anschlieenden Kapitel behandeln wichtige Modelle aus der
Elastostatik, nmlich die Torsion am Kreis(ring)querschnitt und den Biegebal-
ken. Abschlieend gehen wir auf allgemeine und spezielle Spannungs- und
Dehnungszustnde von Bauteilen ein und schlieen das Skript mit einem Ka-
pitel ber Stabilitt von Balkenstrukturen ab.
2 1. Vorbemerkung

1.2 Statik starrer Krper und Statik elastischer Krper

In diesem Abschnitt wollen wir kurz die beiden Themengebiete und damit auch
den Stoff der TM I und der TM II gegenberstellen. Im ersten Semester haben
wir uns in der Modellbildung mit als idealisiert starr angenommenen Krpern
beschftigt, die bestimmten ueren Krften ausgesetzt waren. Um die sta-
tisch bestimmten Systeme zu analysieren, haben wir den Kraftfluss berech-
net, also wie uere Belastungen durch das undeformierbare System in Aufla-
ger abgeleitet werden. Zur Berechnung haben wir Gleichgewichtsbedingungen
aufgestellt oder das Prinzip der virtuellen Verschiebungen angewendet.
In der Elastostatik verzichten wir auf die Idealisierung von Krpern als starr und
behandeln verformbare Krper. Die weiterhin wirkenden ueren Krfte rufen
nun in den Systemen Spannungen hervor, die unter bestimmten Annahmen
fr die Materialeigenschaften zu Dehnungen und Verformungen fhren. Das
Strukturverhalten wird nun hinsichtlich der wirkenden Spannungen und der
entstehenden Verformungen beurteilt. Dies ermglicht auch eine Berechnung
von statisch unbestimmt gelagerten Systemen, deren Verhalten vom Wider-
stand gegen Verformung, genannt Steifigkeit, abhngt. Zur Berechnung wer-
den weiterhin die Gleichgewichtsbedingungen herangezogen. Zustzlich sind
nun jedoch auch kinematische Bedingungen, die die Verformung des Systems
charakterisieren, und Materialeigenschaften zu bercksichtigen. Die Energie-
prinzipien werden erweitert, um elastostatische Probleme lsen zu knnen.
Die Beschreibung des Strukturverhaltens durch die 3 Grundgleichungen der
Mechanik
Gleichgewicht
Werkstoff und
Kinematik
erfolgt stets nach dem gleichen Muster. An verschiedenen Stellen in
diesem Muster werden unterschiedliche Annahmen eingebaut, mit de-
ren Hilfe bestimmte mechanische Phnomene auf unterschiedliche Art
und Weise modelliert werden. Als Beispiele seien Tragwerksmodelle wie
Balken oder Schalen sowie Annahmen fr Materialeigenschaften ge-
nannt. Die Grundgleichungen lassen sich anschaulich im sogenann-
ten TONTI -Diagramm darstellen, das auf den italienischen Mathematiker
TONTI zurckgeht. Ein derartiges Diagramm veranschaulicht die im Ge-
biet und am Rand des Systems gltigen Gleichungen und geht fr
den Fall der Elastostatik von den folgenden drei Gleichungstypen aus:

Statik: statische Gleichungen im Gebiet (Gleichge-


wichtsbedingungen) und am Rand S (statische
Randbedingungen)
Werkstoff: Zusammenhang zwischen Spannungen bzw. Schnitt-
gren und Verzerrungen bzw. Krmmungen
Kinematik kinematische Zusammenhnge zwischen Verzerrun-
(Geometrie): gen und Verschiebungen im Gebiet und am Rand Su
(kinematische Randbedingungen)
1. Vorbemerkung 3

Das allgemeine Diagramm ist unten dargestellt. In den folgenden Kapiteln


werden wir hin und wieder das auf das jeweils behandelte Modell angepass-
te Diagramm zeigen, um das Verstndnis und die Einordnung von Modellen
zu erleichtern. In den Vertiefungsvorlesungen zur numerischen Mechanik im
Hauptstudium werden wir darauf aufbauend auch verschiedene moderne Be-
rechnungsverfahren illustrieren.

statische Gren geometrische Gren

Spannungen Verzerrungen
statische RB (Schnittgren) WERKSTOFF (Verzerrungs-
resultierende)

STATIK
Gleichgewicht KINEMATIK

uere Last Differentialgleichung Verschiebung kinematische RB


p u
4 1. Vorbemerkung

1.3 Literatur zur Technischen Mechanik IIII

Springer Lehrbuchreihe, meistverbreitete TM-Lehrbuchreihe im deutsch-


sprachigen Raum
D. G ROSS, W. H AUGER, J. S CHRDER und W.A. WALL, Technische
Mechanik 1: Statik, 12. Auflage, Springer Verlag, Berlin, 2013.
D. G ROSS, W. H AUGER, J. S CHRDER und W.A. WALL, Technische
Mechanik 2: Elastostatik, 12. Auflage, Springer Verlag, Berlin, 2014.
D. G ROSS, W. H AUGER, J. S CHRDER und W.A. WALL, Technische
Mechanik 3: Kinetik, 12. Auflage, Springer Verlag, Berlin, 2012.
Springer Lehrbuchreihe (englisch)
D. G ROSS, W. H AUGER, J. S CHRDER, W.A. WALL und N. R AJA -
PAKSE, Engineering Mechanics 1: Statics, 2. Auflage, Springer Ver-
lag, Berlin, 2013.
D. G ROSS, W. H AUGER, J. S CHRDER, W.A. WALL und J. B ONET,
Engineering Mechanics 2: Mechanics of Materials, Springer Verlag,
Berlin, 2011.
D. G ROSS, W. H AUGER, J. S CHRDER, W.A. WALL und S. G O -
VINDJEE, Engineering Mechanics 3: Dynamics, 2. Auflage, Springer
Verlag, Berlin, 2014.
Pearson Lehrbuchreihe, bersetzung der englischen Hibbeler-Serie
R.C. H IBBELER, Technische Mechanik 1: Statik, 12. Auflage, Pear-
son, Mnchen, 2012.
R.C. H IBBELER, Technische Mechanik 2: Festigkeitslehre,
5. Auflage, Pearson, Mnchen, 2005.
R.C. H IBBELER , Technische Mechanik 3: Dynamik, 12. Auflage,
Pearson, Mnchen, 2012.
Amerikanische Lehrbuchreihe Meriam, Kraige (englisch)
J.L. M ERIAM und L.G. K RAIGE, Engineering Mechanics: Statics,
8. Auflage, John Wiley & Sons, 2014.
J.L. M ERIAM und L.G. K RAIGE, Engineering Mechanics: Dynamics,
7. Auflage, John Wiley & Sons, 2012.
K. M AGNUS und H. H. M LLER -S LANY, Grundlagen der Technischen
Mechanik, 7. Auflage, Teubner Verlag, Stuttgart, 2005.
J. H. W ILLIAMS , J R ., Fundamentals of Applied Dynamics, John Wiley &
Sons, 2006.

1.4 Aufgabensammlungen zur Technischen Mechanik IIII

W. H AUGER , V. M ANNL , W. A. WALL und E. W ERNER, Aufgaben zu


Technische Mechanik 13: Statik, Elastostatik, Kinetik, 8. Auflage, Sprin-
ger Verlag, Berlin, 2014.
2 Lineare 3D-Kontinuums-
mechanik

Vorangestellt sei eine Definition des Begriffs Kontinuum:

Definition. Ein Kontinuum ist eine Punktmenge, die den Raum oder Teile des
Raums zu jedem Zeitpunkt stetig ausfllt. Den Punkten werden bestimmte Ma-
terieeigenschaften zugeordnet.

Wird die Deformation eines Kontinuums allein durch die Verschiebungen sei-
ner Materialpunkte eindeutig beschrieben, spricht man vom B OLTZMANN-
Kontinuum. Eine Alternative ist das C OSSERAT -Kontinuum, bei dem die Ma-
terialpunkte zustzlich Rotationen ausfhren knnen (z. B. Sand).
Die Kontinuumsmechanik beschftigt sich demnach mit der Verformung von
deformierbaren, kontinuierlich mit Materie ausgefllten Krpern als Antwort auf
uere Belastungen.
Im ersten Semester wurden bereits die fr dieses Thema zentralen Begriffe
Spannung, Dehnung und Materialgesetz eingefhrt. Dabei haben wir uns je-
doch auf den eindimensionalen Fall des Dehnstabs beschrnkt. Nun wird die
Elastizittstheorie generell betrachtet, weshalb es notwendig ist, diese Begrif-
fe im Folgenden noch einmal im allgemeinen Kontext zu definieren und ihre
Anwendung auf ein 3D-Kontinuum aufzuzeigen.
Nach wie vor gehen wir ausschlielich von kleinen Deformationen aus, was
spter die Annahme linearer kinematischer Beziehungen sowie eines linear-
elastischen Materialverhaltens rechtfertigt. Auch in der TMII bewegen wir uns
somit ausschlielich im Rahmen der linearen Theorie. Der Einfluss von Nicht-
linearitten wird erst in den weiterfhrenden Veranstaltungen des Lehrstuhls
wie Nichtlineare Kontinuumsmechanik behandelt.

2.1 Spannung im Kontinuum

Das folgende Bild zeigt einen Schnitt durch einen mit einer Normalkraft belas-
teten Dehnstab. Auf der Schnittflche treten verteilte innere Kraftgren bzw.
Schnittgren auf.
6 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

z dA
dF~
y
~n
x
z

Solange diese Schnittgren im Dehnstab wirken, bleiben benachbarte Ma-


terialteilchen verbunden und es bilden sich keine Risse, d. h., der Dehnstab
bleibt ein Kontinuum. Per Definition treten im Dehnstab nur innere Krfte in
Stablngsrichtung auf, d. h., in Richtung normal zur Schnittflche. Betrachtet
man ein Flchenelement A, haben wir bereits in der TM I als Normalspan-
nung definiert:

Box 2.1

Nun soll anstelle des eindimensionalen Dehnstabs das dreidimensionale Kon-


tinuum betrachtet werden. Das folgende Bild zeigt ein Beispiel fr einen dreidi-
mensionalen Spannungszustand:

In der folgenden Box ist im linken Bild ein aufgeschnittener, belasteter, allge-
meiner Krper dargestellt. Auf der Schnittflche wirken Spannungen, die die
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 7

innere Beanspruchung reprsentieren. Im Gegensatz zum Dehnstab knnen


in diesem allgemeinen Fall jedoch nicht mehr a priori die Richtung und die Ver-
teilung dieser Spannungen bestimmt werden. Betrachten wir ohne Einschrn-
kung der Allgemeinheit nur ein Flchenelement Ay , wirkt darauf eine Kraft
F , deren Richtung im Allgemeinen jedoch nicht mehr senkrecht auf dem Fl-
chenelement steht.
Wir zerlegen nun die Kraft F in eine Komponente in Normalenrichtung und
in eine Komponente in Tangentialrichtung. Die tangentiale Kraftkomponente
knnen wir zustzlich noch in die beiden tangentialen Koordinatenrichtungen
zerlegen. Die resultierenden drei Kraftkomponenten wirken also normal (in die-
sem Fall Fy ) und tangential (in diesem Fall Fx und Fz ) zur Flche Ay ,
wie im rechten Bild gezeigt:
Fy
y F

F
Fx
Fz

Ay

F1 F2

F1 F2

x
z
Box 2.2

Der Betrag und die Richtung der auf der Schnittflche wirkenden Kraft F er-
geben sich aus Gleichgewichtsbedingungen. Wie bereits in der TM I mssen
die Krfte, die auf den Schnittflchen eines herausgeschnittenen Teilchens wir-
ken, statisches Gleichgewicht erfllen. Die Krfte entsprechen dabei den Re-
sultierenden der verteilten Kraftgren, also der Spannungen.

Allgemeine Definition von Spannung

Der Grenzbergang der Flche Ay gegen null liegt der Definition der auf
Ay wirkenden Spannungen zugrunde, und zwar, wie bisher, einer Normal-
spannung und, jetzt neu, zweier tangential wirkenden Schubspannungen :
8 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

yy = y =

yx = yx =

yz = yz =

Box 2.3

Der erste Index beschreibt stets die Orientierung der Schnittflche A durch
Angabe der Richtung der Normalen auf dieser Flche (hier die y-Richtung),
whrend der zweite Index die Wirkungsrichtung der Spannung anzeigt. Da bei
den Normalspannungen die Orientierung der Flche der Wirkungsrichtung der
Spannung entspricht, wird hufig der zweite Index weggelassen (yy = y ,
xx = x usw.). Schubspannungen werden oftmals mit bezeichnet, es kann
jedoch auch als Bezeichnung verwendet werden. Die zweite Variante kommt
in diesem Skript vor allem in allgemeinen Indexdarstellungen zum Einsatz.
Schneidet man den Krper entlang zweier zustzlichen Ebenen senkrecht zur
x- bzw. z-Achse weiter auf, ergibt sich auf jeder neuen Schnittflche eine ana-
loge Situation. Aus dem Viertelkrper kann schlielich ein kleiner Wrfel bzw.
ein infinitesimales Volumenelement V herausgeschnitten werden:
xy zy
y
y

zz zx
xz xx

F1

x x
z
z

Allgemeiner Spannungszustand, Spannungstensor

Mithilfe dieses Volumenelements lsst sich der allgemeine Spannungszustand


in einem Krper darstellen. Dieser hngt von der Orientierung des Volumen-
elements bzw. seiner Oberflchen ab, da sich bei einer Drehung des Volumen-
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 9

elements auch die Kraftkomponenten Fx , Fy und Fz ndern. Eine eindeu-


tige Spannungsverteilung kann demnach immer nur in Kombination mit einem
Koordinatensystem definiert werden. Wir werden uns in Kapitel 10 noch aus-
fhrlich mit dem Zusammenhang zwischen der Lage des herausgeschnittenen
Elements und des Koordinatensystems beschftigen. Das folgende Bild zeigt
das infinitesimale Volumenelement mit allen Spannungen, die darauf wirken:

x
z
Box 2.4

In vektorieller Darstellung mit ~ei (i {x; y; z}) als normierte Basisvektoren


des kartesischen Koordinatensystems lassen sich die Spannungen auf den
Schnittflchen dAx , dAy und dAz darstellen als

~Ax = x ~ex + xy ~ey + xz ~ez


~Ay = yx ~ex + y ~ey + yz ~ez
~Az = zx ~ex + zy ~ey + z ~ez

Fasst man diese drei Spannungsvektoren zusammen, entsteht eine Span-


nungsmatrix bezglich eines bestimmten gewhlten Koordinatensystems und
der zugehrigen Basisvektoren:

= [ij ] =

Box 2.5

Die Gre heit auch Spannungstensor. Ein Tensor ist ein Begriff aus der
linearen Algebra und beschreibt eine Verallgemeinerung eines Vektors. Wh-
rend eine Matrix in gewissem Sinn nur eine Anordnungsvorschrift ist, hat ein
Tensor ganz bestimmte Eigenschaften, die auch mit physikalischen Zusam-
menhngen korrelieren. Die Tensorrechnung erlaubt eine hilfreiche Darstel-
lung und Behandlung mechanischer Zusammenhnge, auf die an dieser Stelle
10 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

jedoch nicht genauer eingegangen wird (vgl. die Transformationsbeziehungen


in Kapitel 10 und einzelne Lehrveranstaltungen zur Mechanik im Hauptstudi-
um).

Krftegleichgewicht am infinitesimalen Volumenelement

Die Vernderung der Spannungsverteilung im Krper zeigt sich auch am in-


finitesimalen Volumenelement. Wir nehmen an, dass im infinitesimalen Volu-
menelement eine Volumenkraft f wirkt, die zum Beispiel aus der Erdbeschleu-
nigung resultieren knnte. Wie bei den Schnittgren des Balkens muss ein
positives Schnittufer definiert werden, um die positive Wirkungsrichtung der
Spannungen festzulegen. Analog zu unseren bisherigen Festlegungen aus der
TM I wird definiert:

Definition. Am positiven Schnittufer zeigt der nach auen gerichtete Norma-


lenvektor in eine positive Koordinatenrichtung, am negativen Schnittufer in
eine negative Koordinatenrichtung. Am positiven Schnittufer zeigen positive
Spannungskomponenten in die positiven Koordinatenrichtungen, am negati-
ven Schnittufer in die negativen Koordinatenrichtungen.

Betrachtet wird nun ein am Punkt P (x, y, z) existierender Spannungszustand


ij (x, y, z), Unter der Annahme, dass der Spannungsverlauf stetig ist, gilt fr
den infinitesimal benachbarten Punkt P (x + dx, y + dy, z + dz):
ij (x, y, z)
ij (x + dx, y + dy, z + dz) = ij (x, y, z) + dx
x
ij (x, y, z) ij (x, y, z)
+ dy + dz
y z

Der bersichtlichkeit halber sind im folgenden Bild nur die in x-Richtung wir-
kenden Spannungsresultierenden eingezeichnet:

yx
(yx + y
dy)dxdz
e~y e~x
z e~z x
zx dx dy
dy
zx
(zx + z
dz)dx dy (x + x
dx)dy dz
x

yx dx dz

dx dz
Box 2.6

Ein Krftegleichgewicht in x-Richtung liefert:


2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 11

Box 2.7

Ebenso ergeben die Krftegleichgewichte in y- und z-Richtung:


X ! xy y zy !
Fy = 0 : + + + fy = 0
x y z
X ! xz yz z !
Fz = 0 : + + + fz = 0
x y z

Diese drei Gleichgewichtsbedingungen lassen sich zusammenfassen zu


X ij !
+ fj = 0 mit i, j {x; y; z}
i
i

Unter Anwendung der E INSTEINschen Summationskonvention und der Defini-


tion
()
:= (),i
i
ergibt sich die Kurzform
!
ij,i + fj = 0
mit i, j {x; y; z}.

Momentengleichgewicht und assoziierte Schubspannungen

Bislang haben wir nur die drei Krftegleichgewichte betrachtet. Natrlich


mssen auch die drei Momentengleichgewichte an jedem Punkt erfllt sein.
Schneiden wir das Volumenelement entlang einer Ebene auf, die diagonal zur
x- und y-Achse sowie parallel zur z-Achse verluft, entsteht ein keilfrmiges
Element. In der folgenden Box ist im Bild links die Projektion in die xy-Ebene
dargestellt. Die auf der neu gebildeten Schnittflche freigelegten Spannungen
werden mit ~ und ~ bezeichnet. Sie greifen am Mittelpunkt S des ursprngli-
chen Wrfels an:
12 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

y
(y + y
dy)dx dz
yx
(yx + y dy)dx dz
y
xy
(xy + x
dx)dy dz (yx +
yx
y
dy) dx dz
y S
(x +
x
x
dx)dy dz
~ z x
I
S
(xy +
xy
dx) dy dz
~ x

dx
Box 2.8

Stellen wir nun das Momentengleichgewicht in z-Richtung bezglich des Punk-


tes S auf, liefern lediglich die beiden eingezeichneten Schubspannungen auf
den zur x- bzw. y-Achse senkrechten Oberflchen des Keils Momentenanteile.
Alle anderen Spannungen bzw. Krfte haben entweder keinen Hebelarm oder
wirken parallel zur z-Achse. Im Bild rechts sind nur noch die Spannungen, die
Momentenanteile erbringen, eingezeichnet. Das Momentengleichgewicht um
die eingezeichnete Achse I lautet:
X  xy  dx  yx  dy !
!
MI = 0 : xy + dx dy dz yx + dy dx dz =0
|x{z } 2 y
| {z }
2
xy yx

Vernachlssigt man die beiden Terme hherer Ordnung, ergibt sich:

Box 2.9

Auf vllig analoge Art und Weise liefern die beiden verbliebenen Momenten-
gleichgewichte:

yz = zy
xz = zx

Alle drei Momentengleichgewichte sind demnach erfllt, wenn

ij = ji ,

d. h., wenn die Spannungsmatrix symmetrisch ist. Allgemein sind die senk-
recht aufeinander stehenden Schubspannungen mit denselben Indizes iden-
tisch. Sie werden einander zugeordnete bzw. assoziierte Schubspannungen
genannt.
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 13

Veranschaulichung von Schubspannungen

F F
F

avg
B
D B Q B avg
C
D Q D
E C
C
E E

Normalspannungen und ihre Entstehung wurden bereits erlutert. Im Folgen-


den soll nun auf die Entstehung von Schubspannungen eingegangen werden.
Schubspannungen ergeben sich zum Beispiel, wenn ein Balken mit einer u-
eren Kraft F senkrecht zur Balkenachse belastet wird (siehe linkes Bild). Wie
aus der TMI bekannt, wirkt in diesem Fall eine Querkraft Q im Balken, die durch
einen Freischnitt des mittleren Quaders BCDE sichtbar gemacht werden kann
(siehe mittleres Bild). In diesem Beispiel ist die Querkraft in den Ebenen BC
und DE gleich gro. Im Grunde genommen ist die Querkraft dabei nur eine fik-
tive Gre fr die summierte, resultierende Wirkung von Spannungen in einer
Querschnittsflche. Derartige Spannungen tangential zur Querschnittsflche
werden als Schubspannungen bezeichnet. Aus der Erkenntnis, dass die Sum-
me aller Schubspannungen die Querkraft Q ergeben muss, lsst sich analog
zur Bestimmung von Normalspannungen die folgende Gesetzmigkeit auf-
stellen:
Q
avg =
A
Mithilfe dieser Formel kann eine durchschnittliche Schubspannung avg berech-
net werden, wobei angenommen wird, dass die Schubspannung konstant ber
den Querschnitt verluft. Diese Annahme entspricht nicht der Realitt, weshalb
die errechnete Gre nur eine Nherung ist. Der genaue Verlauf der Schub-
spannungen fr den dargestellten Fall wird in Kapitel 7 behandelt.

2.2 Dehnung im Kontinuum

Normal- bzw. Lngsdehnung

Genauso wie die in Dehnstben auftretende eindimensionale Normalspan-


nung im vorherigen Abschnitt auf allgemeine Spannungen im Kontinuum verall-
gemeinert wurde, kann auch der Dehnungsbegriff auf drei Dimensionen erwei-
tert werden. Wir haben in der TM I als (Ingenieurs-)Dehnung fr den Dehnstab
definiert:
14 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

l
=
l

Box 2.10

Die Dehnung entspricht also der ersten Ableitung der Verschiebungsfunkti-


on u(x).

Zweidimensionales Dehnungs- und Verschiebungsfeld

Als Erweiterung betrachten wir nun die Verformung einer zweidimensionalen


elastischen Scheibe. Die folgende Abbildung zeigt einen solchen Fall. In der
Scheibe sind zwei Quadrate in unverformtem und verformtem Zustand ein-
gezeichnet, die das Verschiebungsfeld charakterisieren. Es stellt sich sowohl
eine Lngennderung der Kanten der Quadrate als auch eine Winkelnderung
zwischen den Kanten ein:

undeformierte deformierte
Scheibe Scheibe

Anhand eines infinitesimalen Quadrats soll die Deformation nun allgemein be-
schrieben werden. Ein beliebiger Punkt P (x, y) wird durch den Verschiebungs-
vektor u(x, y) auf den Punkt P verschoben. Der Verschiebungsvektor besitzt
die folgenden Komponenten in x- und y-Richtung:
 
u(x, y)
u(x, y) =
v(x, y)

Das infinitesimale Quadrat P QRS geht aufgrund der Verformung in das Paral-
lelogramm P Q R S ber:
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 15

u + u
y
dy
u
y dy
R

S
v
v+ y
dy S R

dy
y 90 xy
Q v
x dx v
u v + x dx
v P
x
P dx Q
u u + u dx
x
Box 2.11

Die Verschiebungen der zum Punkt P benachbarten Punkte lassen sich unter
Vernachlssigung von Termen hherer Ordnung wie folgt in Abhngigkeit von
der Verschiebung u(x, y) des Punktes P ausdrcken:

Punkt Q :

Box 2.12

(
u(x, y + dy) = u(x, y) + u(x,y) dy
Punkt S : y
v(x,y)
v(x, y + dy) = v(x, y) + y dy
(
u(x + dx, y + dy) = u(x, y) + u(x,y) dx + u(x,y) dy
Punkt R : x
v(x,y)
y
v(x,y)
v(x + dx, y + dy) = v(x, y) + x dx + y dy

Durch die Verformung geht die Strecke P Q in die Strecke P Q ber. Aufgrund
der Annahme kleiner Deformationen ist der Winkel 1 und damit die Lnge
P Q der Strecke P Q nherungsweise gleich der auf die x-Achse projizierten
Lnge:  

u u
P Q dx + u + dx u = dx + dx
x x
Auf diese Weise ergibt sich die Normaldehnung in x-Richtung, analog zu un-
serer frheren Definition der Ingenieursdehnung, aus dem Verhltnis von Ln-
gennderung zu Ausgangslnge:
16 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

Box 2.13

Analog ergibt sich die Dehnung in y-Richtung zu


 
v
P S PS
dy + y
dy dy v
y = = =
PS dy y

Scherverformung

Anhand der vorherigen Abbildung lsst sich zustzlich zu den beiden Dehnun-
gen x und y auch noch die nderung des ursprnglich rechten Winkels QP S
zum verzerrten Winkel Q P S mit der Weite 90 herleiten. Unter der
Annahme kleiner Deformationen gilt:
u v
y
dy u x
dx v
tan = = tan = =
v y u x
dy + dy dx + dx
y x
|{z}
|{z}
1 1

Die Winkelnderung, hier in der xy-Ebene, wird als Scherung, Gleitung oder
Schiebung bezeichnet und symbolisch wie folgt dargestellt:

Box 2.14

Verzerrungstensor

Auch die Dehnung und die Scherung knnen in Matrixschreibweise bzw. als
Tensor dargestellt werden, d. h., auch Dehnungen und Scherungen besitzen
Tensoreigenschaften. Man fasst die Dehnungen und die halben Scherungen
unter dem Begriff Verzerrungen zusammen. Der Verzerrungstensor bzw. die
Verzerrungsmatrix lautet demnach fr den zweidimensionalen Fall:
   
x xy x 21 xy
= = 1
yx y
2 yx
y
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 17

Beachten Sie bitte den Faktor 21 zwischen ij und ij , der unter anderem durch
die folgenden Ausfhrungen begrndet werden kann.

Dreidimensionales Dehnungs- und Verschiebungsfeld

Im dreidimensionalen Fall wird das Verschiebungsfeld in Abhngigkeit von drei


kartesischen Raumkoordinaten x, y und z gebildet:

u(x, y, z)
u(x, y, z) = v(x, y, z)
w(x, y, z)

Die Dehnungen ergeben sich zu


u v w
xx = yy = zz =
x y z
und die Gleitungen zu
u v u w v w
xy = + xz = + yz = +
y x z x z y

Man schreibt krzer


 
1 ui uj 1
ij = + bzw. ij = (ui,j + uj,i ), i, j {x; y; z}
2 j i 2
oder als Matrix bzw. Tensor

x xy xz
= [ij ] = yx y yz
zx zy z

Auch diese Matrix ist offensichtlich symmetrisch.

2.3 Materialeffekte im Kontinuum

Zur Verknpfung von Spannungen und Dehnungen dient das Material- bzw.
Werkstoffgesetz, auch konstitutive Beziehung genannt. In der TM I ist im Kapi-
tel ber den Dehnstab der Zugversuch behandelt worden, anhand dessen man
Materialgesetze ableiten kann. Es wurden Begriffe wie elastisches und plas-
tisches Verhalten erlutert, die in den Vorlesungen zur Werkstoffkunde weiter
vertieft werden.
Im folgenden Abschnitt sollen die Materialeffekte im Kontinuum betrachtet wer-
den. Dazu muss das bereits beim Dehnstab betrachtete eindimensionale Elas-
tizittsgesetz = E erweitert werden. Fr das Kontinuum wird im Folgenden
ideal elastisches, isotropes Materialverhalten angenommen. Isotrop bedeutet,
dass die Materialeigenschaften in allen Raumrichtungen identisch sind. Zum
Beispiel kann Stahl hufig als isotrop angenommen werden, wohingegen Holz
aufgrund der Faserstruktur ein ausgeprgt anisotropes Materialverhalten auf-
weist.
18 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

Querdehnung als Kopplung von Dehnungen

Ausgehend von der im vorherigen Unterkapitel vorgestellten zweidimensiona-


len Scheibe erzeugt eine konstante Zugspannung x die Dehnung
1
x = x
E
in x-Richtung. Mit E wird weiterhin der Elastizittsmodul bezeichnet. Bei der
zweidimensionalen Scheibe tritt allerdings zustzlich zur Verlngerung in x-
Richtung eine Verkrzung in y-Richtung auf. Dieses Phnomen wird Querkon-
traktion bzw. Querdehnung genannt. Der Betrag der Querdehnung ist propor-
tional zum Betrag der Lngsdehnung:

Box 2.15

Der dimensionslose Faktor wird Querkontraktionszahl oder nach S IMON


D ENIS P OISSON (17811840) auch P OISSON-Zahl genannt. Er verknpft im
Zweidimensionalen die beiden Dehnungen x und y miteinander und ist als
Materialkonstante experimentell zu bestimmen. Fr viele metallische Materiali-
en kann = 0,3 angenommen werden. Fr gummiartiges Material gilt 0,5,
wobei 0,5 der Grenzwert fr inkompressibles Material ist. Der untere Grenzwert
fr natrliche Materialien liegt bei min = 0, d. h., es tritt bei einer Lngsdeh-
nung keine Querdehnung auf (Beispiel: Kork). Der theoretische Grenzwert liegt
jedoch bei min = 1.

In der heutigen Materialforschung werden Materialien mit negativen Querkon-


Ergnzung
traktionszahlen entwickelt, sogenannte auxetische Materialien. Ebenso wer-
den Mikrostrukturen entwickelt, die in einer verschmierten bzw. homogenisier-
ten Betrachtung des Kontinuums negative Querkontraktionszahlen aufweisen.
In den folgenden Abbildungen sind ein paar Beispiele dazu illustriert. Auf hnli-
che Art und Weise werden auch Materialien mit negativen Temperaturausdeh-
nungskoeffizienten entwickelt.
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 19

Ergnzung

Die vollstndige Normaldehnung ergibt sich aus einer Superposition der ein-
zelnen Anteile infolge Lngs- und Querdehnung. In allgemeiner dreidimensio-
naler Darstellung ergibt sich:
1
x = x y z
E E E
1
y = x + y z
E E E
1
z = x y + z
E E E

Schubversuch und Schubmodul

Um einen Zusammenhang zwischen Schubspannungen und Scherungen zu


erhalten, muss ein reiner Schubversuch (z. B. Torsionsversuch, vgl. Kapitel 4)
durchgefhrt werden:

xy

y
xy

90 xy

Bei kleinen Deformationen ist der Zusammenhang zwischen Schubspannung


und Scherung wiederum linear:

Box 2.16
20 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

In Anlehnung
 Nan
 den Elastizittsmodul E wird die Materialkonstante G mit
der Einheit mm2 als Schubmodul bezeichnet. Die Zusammenhnge zwischen
den einzelnen Schubspannungen und Scherungen im Kontinuum lauten dem-
nach:

Box 2.17

Der Schubmodul G ist nicht unabhngig von den anderen Materialparame-


tern E und . Es gilt der Zusammenhang
E
E = 2G (1 + ) bzw. G=
2 (1 + )

Es kann gezeigt werden, dass fr elastische, isotrope Materialien nur zwei un-
Ergnzung
abhngige Parameter gewhlt werden knnen, die das Materialverhalten voll-
stndig beschreiben. Neben den bisher erwhnten Parametern existieren noch
die sogenannten L AM-Konstanten und und der sogenannte Kompressi-
onsmodul K. Es gelten die folgenden Zusammenhnge:

L AM-Konstanten:
(3 + 2)
E= , G , =
+ 2 ( + )

Kompressionsmodul:
1
K= (3 + 2)
3

Allgemeines H OOKEsches Gesetz fr das Kontinuum

Die bisherigen Erkenntnisse fr linear-elastisches, isotropes Material lassen


sich zusammenfassen zu
1 1
x = x y z xy = xy
E E E G
1 1
y = x + y z xz = xz
E E E G
1 1
z = x y + z yz = yz
E E E G

Krzer lsst sich dies unter Verwendung von E = 2G (1 + ), ij = 2ij und


2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 21

dem K RONECKER-Symbol
(
1 fr i = j
ij :=
0 fr i 6= j

schreiben als  
1
ij = ij ij s
2G 1+
mit i, j {x; y; z} und s := Spur = x + y + z .
In computerorientierten Methoden wird meistens die Matrixschreibweise be-
vorzugt. Sie lautet fr linear-elastisches, isotropes Material

x (1 ) 0 0 0 x
y (1 ) 0 0 0 y


z
= E (1 ) 0 0 0 z
xy
12

xy (1 + )(1 2) 0 0 0 0 0
2
xz 0 12
0 0 0 2
0 xz
12
yz 0 0 0 0 0 2
yz
| {z } | {z } | {z }
= =C =

mit der Konstitutivmatrix C.


Aus Grnden der Vollstndigkeit soll hier auch die inverse Beziehung in Matrix-
schreibweise angegeben werden, die eine Berechnung der Verzerrungen bei
bekannten Spannungen erlaubt:

x 1 0 0 0 x
y 1 0 0 0 y


= 1 1
z 0 0 0 z

xy E 0 0 0 2 (1 + ) 0 0 xy

xz 0 0 0 0 2 (1 + ) 0 xz
yz 0 0 0 0 0 2 (1 + ) yz
| {z } | {z } | {z }
= = C 1 =

H OOKEsches Gesetz fr Thermoelastizitt

Analog lassen sich auch die Erkenntnisse zu Temperatureinwirkungen vom


eindimensionalen Fall des Dehnstabs auf das dreidimensionale Kontinuum er-
weitern. Die thermischen Dehnungen knnen mit den elastischen Dehnungen
berlagert werden. Fr isotrope Materialien mit linearem Temperaturausdeh-
nungsverhalten gilt
x,T = y,T = z,T = T
mit positivem T als Temperaturerhhung und dem Temperaturausdehnungs-
koeffizienten mit der Einheit [K 1 ]. Eingesetzt in die vorherige Formel fr ij
ergibt sich   
1
ij = ij ij s 2GT
2G 1+
mit i, j {x; y; z} und s := Spur = x + y + z .
22 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

2.4 Zusammenfassung der mageblichen Gleichungen

In den vorherigen Abschnitten haben wir die im Rahmen der linearen Kontinu-
umsmechanik bentigten Gren und deren Zusammenhnge behandelt. In
der Vorbemerkung zu diesem Skript wurde das TONTI-Diagramm als anschau-
liche Darstellungsform der Grundgleichungen der Mechanik vorgestellt. Nun
befllen wir es zum ersten Mal mit konkreten Gleichungen, um einen berblick
ber die Problemstellung der linearen Kontinuumsmechanik zu erhalten.

mit i, j {x; y; z}
Spannungen WERKSTOFF Verzerrungen
stat. RB =C
= [ij ] = [ij ]

STATIK KINEMATIK
Gleichgewicht
 
1 ui uj
P j,i ij =2 j + i
j j + fi = 0
ij = ji ij = ji

uere Last System von Verschiebung kinemat. RB


f = fi Differentialglen u = ui

Box 2.18

In dieser bersicht sind alle Gren als ortsabhngig, d. h. als Funktionen von
x, y und z, zu verstehen und auf dem Gebiet des betrachteten Kontinuums
definiert.
Die zugrundeliegende Problemstellung, wie sich ein elastischer Krper unter
Einfluss uerer Lasten deformiert, kann demnach durch ein System von Diffe-
rentialgleichungen beschrieben werden, indem die Grundgleichungen (Statik,
Kinematik und Werkstoffgesetz) kombiniert werden. Die bentigten Randbe-
dingungen ergeben sich einerseits aus der Lagerung des Krpers, d. h. die
Verschiebung einzelner Punkte ist vorgegeben (kinemat. RB), und anderer-
seits aus aufgebrachten Randlasten, d. h. die Spannungen an einzelnen Punk-
ten sind vorgegeben (stat. RB).
Allerdings ist dieses mathematische Problem in den wenigsten Fllen analy-
tisch lsbar. Um trotzdem Aussagen ber reale Problemstellungen treffen zu
knnen, sind vereinfachte mechanische Modelle ntig. Mit dem Dehnstab ha-
ben wir bereits ein erstes eindimensionales, elastostatisches Modell kennen-
gelernt, das auf dem Stab als Strukturmodell basiert. Auch das aus der TMI
bekannte Balkenmodell werden wir in den folgenden Kapiteln um die Elastizi-
tt erweitern und die Deformation des Balkens unter Einfluss von Normalkraft,
Querkraft, Biegemoment und Torsion mathematisch beschreiben.
Bei der Anwendung dieser Modelle mssen stets die zugrundeliegenden, ver-
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 23

einfachenden Annahmen (z. B. zur Dimensionsreduktion bei Dehnstab und


Balken) beachtet werden. Eine erste Abschtzung, wann ein reduziertes elas-
tostatisches Modell wie der Dehnstab valide Ergebnisse liefern kann, gibt das
im folgenden Abschnitt beschriebene Prinzip von S AINT-V ENANT.

Alternativ werden heutzutage hufig numerische Lsungsverfahren, wie z. B.


Bemerkung
die Finite-Elemente-Methode, eingesetzt, um strukturmechanische Probleme
der Elastostatik zu lsen. Solche Verfahren werden wir im Rahmen der TMII
nicht weiter betrachten und es wird auf weiterfhrende Veranstaltungen des
Lehrstuhls fr Numerische Mechanik verwiesen. Die zugrundeliegenden me-
chanischen Gleichungen, Prinzipien und Modellvorstellungen werden aller-
dings bereits in der TMII vermittelt.

2.5 Prinzip von S AINT-V ENANT

Bisher haben wir den Zusammenhang zwischen Spannungen und Dehnungen


im rumlichen Kontinuum behandelt. Wir haben gezeigt, dass es im Rahmen
der gewhlten Modellierung eine mathematische Darstellung dieses Zusam-
menhangs gibt, die jedoch relativ aufwndig ist. Es stellt sich die Frage, inwie-
weit es berhaupt ntig ist, den kompletten Spannungszustand im Kontinuum
zu betrachten, um Aussagen ber Spannungen und Verformungen in einem
Bauteil treffen zu knnen. Die folgenden Abbildungen zeigen ein Bauteil, das
am oberen Ende ein Loch mit vertikaler Belastung aufweist. Das untere Ende
des Bauteils ist ber den gesamten Querschnitt fest eingespannt. Das linke
Bild zeigt eine Prinzipskizze der Verformung, das rechte Bild das Ergebnis ei-
ner numerischen Simulation:

a a
b b
c c

Mchte man die Verformung charakterisieren, teilt man das Bauteil zweckm-
24 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

ig in mehrere Bereiche ein, nmlich in den Bereich am oberen Ende mit dem
Loch und der Belastung, in den Bereich am unteren Ende mit der Einspan-
nung und in den Bereich dazwischen. Die ersten beiden Bereiche zeichnen
sich offensichtlich durch einen ausgeprgten rumlichen Spannungszustand
aus. Im Bereich dazwischen liegt hingegen ein nahezu einheitlicher, uniaxialer
Spannungszustand vor, d. h., in diesem Bereich tritt nur eine Normalspannung
in Richtung der Bauteillngsachse auf, die ber den Querschnitt konstant ist.
Diese Erkenntnis wird nach dem franzsischen Wissenschaftler B ARRE DE
S AINT-V ENANT (17971886) als Prinzip von S AINT-V ENANT bezeichnet. Es
besagt zum Beispiel, dass der Spannungs- und Dehnungszustand in einem
Krper an einem Punkt, der ausreichend weit weg von einer Lasteinleitungs-
stelle liegt, bei jeder statisch quivalenten Belastung dieser Einleitungsregion
derselbe ist.
Fr das dargestellte Beispiel bedeutet dies, dass die Spannungs- und Deh-
nungsverteilung im Schnitt c c gleich ist, egal ob die Last P als Punktlast
im Loch oder als verteilte Last ber den Querschnitt eingeleitet wird. Der Ein-
fluss der Lasteinleitung auf den Spannungs- und Dehnungszustand im Bauteil
verringert sich also mit zunehmender Entfernung von der Lasteinleitungsstelle,
wie in den Schnitten a a und b b zu sehen ist. Ebenso verhlt es sich mit
der Einspannung am unteren Ende des Bauteils.
Das rechte Bild zeigt die Spannungsverteilung in einem hnlichen Bauteil. So-
wohl die nahezu konstante Verteilung im mittleren Bereich als auch die Ein-
flsse der Lasteinleitung und der Lagerung sind deutlich zu erkennen.
Die Frage, wie gro der Abstand zu einer Lasteinleitungsstelle sein muss, um
einen homogenen Spannungszustand annehmen zu knnen, lsst sich nicht
allgemein beantworten und hngt vom betrachteten Problem ab. Als grobe
Faustregel gilt in einigen Fllen, dass der Abstand mindestens so gro sein
muss wie die grte Abmessung des belasteten Querschnitts, in unserem Bei-
spiel also die Breite (und nicht die Dicke) des Bauteils.
Das Prinzip von S AINT-V ENANT spielt bei der Modellbildung fr die Berech-
nung und Bemessung von mechanischen Bauteilen eine zentrale Rolle. Auf-
grund dieses Prinzips kann im dargestellten Beispiel der mittlere Bereich des
Bauteils gem dem Vorgehen aus dem letzten Semester bzw. dem folgen-
den Kapitel als eindimensionaler Dehnstab modelliert und analysiert werden.
Diese Tatsache verdeutlicht nochmals die Wichtigkeit der Modellbildung in der
Mechanik. Der Ingenieur muss abschtzen knnen, welches mechanische Mo-
dell er whlen kann, um sein Problem zu lsen. Hierbei muss er beurteilen
knnen, ob in der Realitt immer vorhandene Strungen in der Spannungsver-
teilung mageblich die gesuchten Gren beeinflussen oder nicht.
2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik 25

2.6 Rckblick

Spannungen im dreidimensionalen Kontinuum ergeben sich aus Be-


trachtungen eines infinitesimalen Volumenelements. Auf jeder Flche
des Wrfels wirken drei ausgezeichnete Spannungen, nmlich eine Nor-
malspannung und zwei Schubspannungen. Zusammengefasst ergibt
sich der Spannungstensor , der bezglich eines bestimmten Koordi-
natensystems definiert ist, zu

x xy xz
= [ij ] = yx y yz
zx zy z

Die zu erfllenden Krftegleichgewichte am Volumenelement lauten:


X ! x yx zx !
Fx = 0 : + + + fx = 0
x y z
X ! xy y zy !
Fy = 0 : + + + fy = 0
x y z
X ! xz yz z !
Fz = 0 : + + + fz = 0
x y z

Zusammengefasst ergibt sich


X ji ! !
+ fi = 0 bzw. ji,j + fi = 0
j
j

mit i, j {x; y; z}.

Aus den Momentengleichgewichten folgt, dass assoziierte Schubspan-


nungen mit gleichen Indizes identisch sein mssen. Die Spannungsma-
trix ist infolgedessen symmetrisch und es verbleiben sechs unbekannte
Spannungsgren.

Der Verzerrungszustand des Kontinuums wird durch den symmetri-


schen Verzerrungstensor beschrieben:

x xy xz
= [ij ] = yx y
yz
zx zy z

Die Verzerrungsanteile berechnen sich im Rahmen der linearen Theorie


zu
 
1 ui uj 1
ij = + bzw. ij = (ui,j + uj,i )
2 j i 2

mit i, j {x; y; z}.


Als Scherung oder Gleitung ij bezeichnet man die doppelte Schubver-
zerrung ij :
ij = 2ij mit i 6= j
26 2. Lineare 3D-Kontinuumsmechanik

Linear-elastisches, isotropes Materialverhalten wird durch das


H OOKE sche Gesetz fr das Kontinuum beschrieben:
1 1
x = x y z xy = xy
E E E G
1 1
y = x + y z xz = xz
E E E G
1 1
z = x y + z yz = yz
E E E G

Unter Bercksichtigung von linearer Thermoelastizitt ergibt sich:


  
1
ij = ij ij s 2GT
2G 1+

mit i, j {x; y; z} und s := Spur = x + y + z .

Der Elastizittsmodul E, der Schubmodul G und die Querkontraktions-


zahl sind nicht unabhngig voneinander. Fr elastische, isotrope Ma-
terialien knnen generell nur zwei unabhngige Parameter zur vollstn-
digen Beschreibung des Materialverhaltens gewhlt werden.

Das Prinzip von S AINT-V ENANT beschreibt das Abklingverhalten von


Strungen (z. B. durch eine Krftegruppe mit verschwindender Resultie-
renden hervorgerufen) in einer bestimmten Spannungsverteilung. Ge-
gebenenfalls kann die Beschreibung das elastischen Verhaltens des
Kontinuums mithilfe geeigneter Modelle vereinfacht werden.

Insgesamt ergibt sich die folgende bersicht ber die unbekannten Gr-
en im elastischen, isothermen Kontinuum und die zur Verfgung ste-
henden Gleichungen:
3 Verschiebungskomponenten 6 kinematische Beziehungen
6 Verzerrungskomponenten 3 Krftegleichgewichte
6 Spannungskomponenten 6 konstitutive Gleichungen (Werkstoff)

15 Unbekannte 15 Gleichungen
3 Arbeits- und Energiemethoden
in der Elastostatik

Bisher haben wir die Elastostatik anhand von Gleichgewichtsbedingungen und


kinematischen Beziehungen behandelt. Eine andere Herangehensweise bie-
ten die Arbeits- und Energiemethoden. Schon im letzten Semester in der Statik
starrer Krper haben wir die Bedeutung des Arbeitssatzes gezeigt.
Mit der Einfhrung des Prinzips der virtuellen Arbeit haben wir eine alternative
Ableitung der Gleichgewichtsbedingungen kennen gelernt. Dazu wurden virtu-
elle Verschiebungen eingefhrt, die eine virtuelle Arbeit verrichtet haben, wor-
aus wir Krfte berechnen konnten, die das System im Gleichgewicht gehalten
haben. Da es sich dabei stets um starre Systeme handelte, musste zuvor stets
ein Freiheitsgrad gelst werden, um das System verschieblich zu machen.
An dieser Stelle unterscheidet sich die Anwendung des Arbeitssatzes der Sta-
tik und der Elastostatik. Da wir es nun mit deformierbaren Strukturen zu tun
haben, die sich aufgrund von Lasteinwirkung verformen, knnen wir das Ar-
beitsprinzip auch direkter anwenden, ohne erst Bindungen lsen zu mssen.
Damit beschftigt sich das folgende Kapitel, in dem die Arbeits- und Energie-
methoden in der Elastostatik zunchst allgemein dargestellt werden. Die hier
vorgestellten Methoden werden im weiteren Skript dann fr die unterschiedli-
chen Tragwerke bzw. Tragzustnde angewendet. Es soll gezeigt werden, wie
mchtig die Energiemethoden in der Mechanik sind, weil sie mit einem ein-
heitlichen Verfahren sehr vielseitige Probleme lsen knnen. ber den Stoff
der TM-Vorlesung hinaus soll hier auch festgehalten werden, dass einige die-
ser Methoden auch fr nichtlineare oder dynamische Systeme angewendet
werden knnen. Sie sind auch Grundlage moderner computerorientierter Be-
rechnungsverfahren.

3.1 Allgemeiner Arbeits- und Energiesatz

Als Ausgangspunkt unserer Herleitung wollen wir quasistatische Formnde-


rungsvorgnge betrachten, also keinerlei dynamische Effekte bercksichtigen
und damit nur sehr langsame Vorgnge zulassen (Arbeits- und Energiemetho-
den in der Dynamik werden in der Technischen Mechanik III behandelt).
Weiterhin gehen wir von linear elastischen Krpern aus, setzen also sowohl
geometrische Linearitt, also eine lineare kinematische Beziehung, als auch
physikalische bzw. materielle Linearitt, also eine lineare konstitutive Bezie-
28 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

hung, voraus. Die erste Annahme bedeutet, dass die Verschiebungen und
Verzerrungen der Krper sehr klein bleiben, sodass wir die Zusammenhn-
ge zwischen Verschiebung und Verzerrung als linear annehmen drfen und
alle Krfte am unverformten System angesetzt werden. Die zweite Annahme
besagt, dass Spannungen mit Verzerrungen und Temperaturnderung linear
zusammenhngen.
Auerdem gehen wir von isothermen Vorgngen aus, die Temperatur im Ge-
samtsystem bleibt also unverndert.

Je nach Problemstellung der heutigen technischen Anforderungen mssen


Ergnzung
diese Beschrnkungen fallen gelassen werden. Dadurch werden die Zusam-
menhnge komplizierter, wobei die Grundaussagen der Energieprinzipien je-
doch stets erhalten bleiben. Damit beschftigen sich die Veranstaltungen im
weiteren Verlauf des Studiums, wie zum Beispiel die Dynamik (TM III), die
Thermodynamik, die Nichtlineare Kontinuumsdynamik (Mechanik im Haupt-
studium) und weitere Veranstaltungen der numerischen Mechanik.

Energiesatz der Mechanik

Mit dWa bezeichnen wir die differentielle nderung der Arbeit, verursacht durch
uere Krfte entlang einer Verschiebung. Mit dWi wird die differentielle nde-
rung der inneren Arbeit, verursacht durch innere Krfte entlang einer Verschie-
bung bezeichnet, wobei die inneren Krfte im gesamten Krper verteilt, also
allgemein volumenverteilt sind, whrend uere Krfte sowohl als Einzelkrfte,
Linien-, Flchen-, oder Volumenlasten wirken knnen.

In nebenstehendem Bild ist die Ent-


stehung von innerer Arbeit veran-
schaulicht. Die Federkraft Fk , die stets
F F entgegen der Verformung der Feder
wirkt, ist im System eine innere Kraft.
r r Sie verrichtet bei einer Verschiebung r
die innere Arbeit Wi = Fk r. Dies
wird deutlich, wenn man das freige-
schnittene System betrachtet. Die Ar-
Fk beit der inneren Krfte wird Eigenar-
beit oder Verzerrungsarbeit genannt
und ist negativ, da ein Krper ei-
ner Verformung Widerstand entgegen-
setzt bzw. eine innere Kraft stets ent-
gegen der Verformung wirkt.

Die Eigenarbeit wird im belasteten Krper gespeichert. Bei Entlastung erbringt


der Krper eine Arbeit vom gleichen Betrag, jedoch mit positivem Vorzeichen,
da nun die Verschiebungen und die inneren Krfte gleichgerichtet sind. Die
vom Krper bei Entlastung erbrachte Arbeit nennt man die Formnderungs-
energie :
= Wi
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 29

Der Energiesatz besagt:


Satz. Bei quasistatischen Formnderungsvorgngen ist die Ar-
beit Wa aller ueren Krfte gleich der Formnderungsenergie :

Box 3.1

Da die uere Arbeit Wa demnach betragsmig gleich der inneren Arbeit


Wi ist, verwenden wir in Zukunft allgemein W als vorzeichenbehaftete uere
Arbeit und als positive Energie.

Der Energiesatz leitet sich vom 1. Hauptsatz der Thermodynamik ab, da unter
den gegebenen Voraussetzungen das Gesamtproblem in ein mechanisches Ergnzung
und davon unabhngiges kalorisches Teilproblem zerfllt. Bei dem mechani-
schen Teilproblem betrachten wir keine kinetischen Energieanteile, womit der
dargestellte Energiesatz (der Elastostatik) brig bleibt.

Aufgrund der linearen Theorie gilt:


Quasistatische Formnderungsvorgnge eines linear-elastischen Krpers las-
sen sich in beliebiger Weise in Teilvorgnge zerlegen, deren zeitliche Reihen-
folge beliebig verndert werden kann.
Diese Aussage ist nichts anderes als die Grundlage fr die Anwendung des
Superpositionsprinzips, das wir schon im letzten Semester kennen gelernt ha-
ben, als wir Krfte infolge allgemeiner Belastungszustnde als Summe der
Einzellastflle berechnet haben. In diesem Semester beschftigen wir uns mit
Verformungen, worauf sich diese Aussage direkt erweitern lsst. Die Verschie-
bungen, und damit auch die Verzerrungen hngen linear von den Krften ab.
Rufen also zwei Krfte F~1 und F~2 jeweils fr sich allein die Verschiebungen ~u01
und ~u02 am Punkt 0 hervor, so ergibt sich bei gleichzeitiger Belastung durch F~1
und F~2 die Verschiebung
~u0 = ~u01 + ~u02

Dabei kommt nicht es auf die Reihenfolge der Belastung an. Aus dieser Er-
kenntnis knnen wir die Stze des folgenden Abschnitts ableiten.
Die Indizierung der Verschiebungen in diesem Beispiel werden wir ab jetzt bei-
behalten. Die Verschiebung ~uik bezeichnet also mit dem ersten Index i den
Punkt, dessen Verschiebung betrachtet wird, und mit dem zweiten Index k die
Belastung, zu der diese Verschiebung gehrt. Ein einzelner Index kennzeich-
net demnach die Gesamtverschiebung an einem Punkt. Die gleiche Indizie-
rung wird auch auf Arbeitsanteile etc. angewandt.
30 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

3.2 Die Stze von B ETTI und M AXWELL

Zusammenhang zwischen Kraft und Verschiebung

Im Rahmen der linearen Theorie lsst sich die Verformung ui an einem belie-
bigen Punkt i eines Krpers infolge einer allgemeinen Belastung in ihre Verfor-
mungsanteile infolge einzelner Krfte zerlegen. Gem der zuvor eingefhrten
Indizierung wollen wir mit uik denjenigen Anteil der Gesamtverschiebung ui des
Krperpunktes i bezeichnen, der allein durch eine am Krperpunkt k angrei-
fende Einzelkraft Fk hervorgerufen wird. Im Rahmen der linearen Theorie sind
die Kraft Fk und der zugehrige Verschiebungsanteil uik zueinander proportio-
nal:
uik
uik Fk

Fk

System
Fk
Fi
Wir wollen nun die Arbeit in einem System
untersuchen, an dem nacheinander die Krf-
k
te Fi am Punkt i und Fk am Punkt k angreifen. i
Entsprechend dem letzten Abschnitt darf die 0
Belastungsreihenfolge keinen Einfluss auf die u0k u0i
sich ergebende Gesamtverschiebung haben. u0

Belastungsreihenfolge Fi Fk

1. Schritt: initiale Belastung durch Fi


Wird der Krper zunchst mit der Kraft Fi belastet, erfhrt der Angriffspunkt i
dieser Kraft die Verschiebung uii . Die Projektion von uii auf die Wirkungsrich-
tung von Fi bezeichnen wir mit fii :
Fi

fii(ii)
~uii

Box 3.2
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 31

Die von der Kraft Fi entlang der Verschiebung uii des Kraftangriffspunktes i
geleistete Arbeit Wii lsst sich wie folgt anschreiben:

Box 3.3

Um das Skalarprodukt in dieser Gleichung aufzulsen, fhren wir die differen-


tielle Gre dfii als Projektion einer differentiellen Verschiebung duii auf die
Wirkungsrichtung von Fi ein:

Box 3.4

Unter der Annahme, dass sich whrend des Belastungsvorgangs nur der Be-
trag der Kraft Fi ndert, nicht aber deren Richtung und Angriffspunkt, knnen
wir die zuvor erwhnte Proportionalitt zwischen Kraft und Verschiebung wie
folgt formulieren:
fii = ii Fi

Die Proportionalittskonstante ii heit Einflusszahl und entspricht der durch


eine Kraft Fi vom Betrag 1 hervorgerufenen Verschiebung des Kraftangriffs-
punkts i in Richtung von Fi . Anders ausgedrckt gibt die Einflusszahl ii die auf
den Betrag der Kraft Fi bezogene Verschiebung fii des Kraftangriffspunkts i in
Richtung von Fi an. ii besitzt demnach die Dimension Lnge
Kraft
und hngt nur vom
Angriffspunkt und der Wirkungsrichtung der Kraft Fi ab, nicht jedoch von deren
Betrag.
In differentieller Form lsst sich die vorherige Gleichung wie folgt anschreiben:

dfii = ii dFi

dfii bezeichnet hierbei die durch eine differentielle Kraftnderung dFi her-
vorgerufene differentielle Verschiebung des Kraftangriffspunkts i in Richtung
von Fi . Damit berechnet sich die Arbeit Wii mittels expliziter Integration zu
32 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

Z Fi Z Fi
Wii = Fi ii dFi = ii Fi dFi
0 0

1 1 fii2
= = Fi fii =
2 2 ii

Box 3.5

2. Schritt: nachfolgende Belastung durch Fk

Fk
Fi

fkk
fik ukk
uik

Auf das bereits mit der Kraft Fi belastete und infolgedessen verformte System
wird nun zustzlich die Kraft Fk aufgebracht, wodurch der Angriffspunkt von Fi
eine weitere Verschiebung uik erfhrt. hnlich wie zuvor bezeichnen wir die
Projektion von uik auf die Wirkungsrichtung von Fi mit fik . Die Proportionalitt
zwischen Kraft und Verschiebung lsst sich dann wie folgt formulieren:

fik = ik Fk

Die Einflusszahl ik kann in diesem Fall als die durch eine Kraft Fk vom Betrag
1 hervorgerufene Verschiebung des Kraftangriffspunkts i in Richtung von Fi
interpretiert werden. Wie zuvor hngt ik lediglich von der Lage der Kraftan-
griffspunkte i und k sowie von den Wirkungsrichtungen der Krfte Fi und Fk
ab, nicht jedoch von deren Betrgen.
Die Kraft Fi leistet entlang der durch die Kraft Fk hervorgerufenen Verschie-
bung uik des Kraftangriffspunktes i die Arbeit Wik , fr die gilt:

Z uik Z fik
Wik = Fi dfik
F~i d~uik =
0 0
Z Fk Z Fk
= Fi ik dFk = Fi ik dFk
0 0

= = Fi fik
Box 3.6
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 33

Neben diesem Arbeitsanteil muss zustzlich die von der Kraft Fk entlang der
Verschiebung ukk geleistete Arbeit Wkk bercksichtigt werden, die sich vllig
analog zum Vorgehen im ersten Schritt wie folgt berechnen lsst:
2
1 1 1 fkk
Wkk = kk Fk2 = Fk fkk =
2 2 2 kk

Der Arbeitsanteil Wkk kann als Eigenarbeit der Kraft Fk entlang der von ihr
selbst erzeugten Verschiebung fkk interpretiert werden und entspricht der drei-
ecksfrmigen Flche unter der zugehrigen Kraft-Verschiebungs-Linie (siehe
linkes Diagramm), woraus der in Wkk enthaltene Faktor 21 resultiert. Genauso
verhlt es sich mit dem im ersten Schritt berechneten Arbeitsanteil Wii . Der
Arbeitsanteil Wik beschreibt hingegen die Fremdarbeit der Kraft Fi entlang
der Verschiebung fik , die nicht von Fi selbst, sondern von der anderen Kraft
Fk erzeugt wird, und zwar zustzlich zur bereits bestehenden Verschiebung
fii . Die mit Wik assoziierte Flche unter der zugehrigen Kraft-Verschiebungs-
Linie besitzt die Form eines Rechtecks (siehe rechtes Diagramm), und der in
Wik enthaltene Multiplikationsfaktor betrgt infolgedessen 1.

Fk Fk

fkk fik

Insgesamt ergibt sich fr die betrachtete Belastungsreihenfolge Fi Fk die


folgende Gesamtarbeit W (1) :

Box 3.7
34 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

Belastungsreihenfolge Fk Fi

Jetzt soll die Reihenfolge der Belastung umgekehrt werden.


1. Schritt: Belastung durch Fk
Arbeit der Kraft Fk entlang der Verschiebung ukk des Punkts k infolge der
Kraft Fk
1
Wkk = kk Fk2
2
2. Schritt: nachfolgende Belastung durch Fi
Arbeit der Kraft Fk entlang der Verschiebung uki des Punkts k infolge der
Kraft Fi
Wki = Fk ki Fi
Arbeit der Kraft Fi entlang der Verschiebung uii des Punkts i infolge der Kraft Fi
1
Wii = ii Fi2
2
Daraus ergibt sich die Gesamtarbeit fr die Belastungsreihenfolge Fk Fi zu
W (2) = Wkk + Wki + Wii
1 1
= F2
2 kk k
+ Fk ki Fi + F2
2 ii i

Die Gesamtarbeit muss aufgrund der Linearitt in beiden Fllen gleich gro
sein, also

W (1) = W (2)
1 1 1 1
ii Fi2 + Fi ik Fk + kk Fk2 = kk Fk2 + Fk ki Fi + ii Fi2
2 2 2 2
Damit sind zwei wichtige Stze abgeleitet:
Satz von B ETTI (18231892):
Satz. Bei einem linear-elastischen Krper ist bei quasistatischen,
isothermen Formnderungen die Verschiebungsarbeit, die ein Krf-
tesystem F~i bei der nachfolgenden Belastung durch ein Krftesys-
tem F~k leistet, gleich der Verschiebungsarbeit, die das Krftesys-
tem F~k bei der nachfolgenden Belastung durch das Krftesystem
F~i leistet.

Box 3.8

Satz von M AXWELL (18311879):


Satz. Bei einem linear-elastischen Krper ist bei quasistatischen,
isothermen Formnderungen die Verschiebung eines Krperpunk-
tes i in Richtung ~ei infolge einer in Punkt k in Richtung ~ek angrei-
fenden Kraft von der Gre 1 gleich der Verschiebung des Kr-
perpunktes k in Richtung ~ek infolge einer in Punkt i in Richtung ~ei
angreifenden Kraft von der Gre 1.
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 35

1
1

k
i

ik ki

~ek
~ei

Box 3.9

Die beiden Stze gelten analog auch fr angreifende Momente, wobei die Ein-
flusszahlen dann einer Verdrehung an einem Punkt infolge eines Moments
entsprechen. Wir werden das spter an Beispielen zeigen.

Anmerkung zum Vorzeichen der Einflusszahlen

Die Einflusszahl ii kann niemals negativ werden. Sie kann auch nur ver-
schwinden, wenn die zugehrige Kraft Fi direkt an einem Auflager angreift. Die
Begrndung ist, dass es sich bei Wii um die Eigenarbeit der Kraft Fi handelt.
Diese Art von Arbeit werden wir in einem spteren Abschnitt noch genauer
untersuchen.
ii 0

Die Einflusszahl ik kann jedoch auch negativ sein. Sie hngt von den Wir-
kungslinien und -richtungen der beiden Krfte Fi und Fk ab.
<
ik =
>
0

3.3 Stze von C ASTIGLIANO und M ENABREA

Es lassen sich noch weitere Prinzipien mit Hilfe der Energie- und Arbeitsbe-
trachtungen ableiten, die zur Berechnung von elastischen Systemen sehr hilf-
reich sind. Dazu verallgemeinern wir die Situation des letzten Abschnitts:
Ein linear-elastischer Krper sei nun durch ein ganzes Krftesystem F~i (i =
1, . . . , n) belastet, wobei wir darin entsprechend dem letzten Abschnitt auch
Momente mit einschlieen wollen. Die Angriffspunkte und Wirkungsrichtungen
der Krfte seien gegeben, womit auch alle Einflusszahlen ik feststehen. Nur
die skalaren Gren Fi der Krfte betrachten wir als variabel.
36 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

Die Gesamtarbeit, die das Krftesystem leistet, lsst sich schreiben als

W = W (Fi ) =

Leitet man diese partiell nach einer der Krfte ab, ergibt sich

W (Fi )
=
Fi
Box 3.10

Demnach ergibt diese partielle Ableitung die Verschiebung fi des Punkts i in


Richtung der Kraft Fi bzw. die Verdrehung des Krpers am Punkt i in Richtung
des Moments Mi .
Nach dem Energiesatz muss die Arbeit der eingeprgten Krfte gleich der
Formnderungsarbeit sein, weshalb sich auch fr diese ergibt

(Fi )
= (Fi ) = fi
Fi
Dies ist der erste Satz von C ASTIGLIANO (18471884). Es gibt auch einen
zweiten Satz von C ASTIGLIANO , auf den wir hier jedoch nicht nher eingehen.
In der bersicht am Ende dieses Kapitels wird er in die Energieprinzipien ein-
geordnet.
Wir haben in dem gesamten bisherigen Kapitel nicht vorrausgesetzt, dass die
linear-elastischen Systeme bzw. Krper statisch bestimmt gelagert sind. In
der Tat gelten alle Prinzipien auch fr statisch unbestimmte Systeme. Fr den
Dehnstab haben wir mit Hilfe des Superpositionsprinzips statisch unbestimm-
te Probleme gelst. Aus den Energieprinzipien und speziell mit dem Satz von
C ASTIGLIANO knnen wir nun eine allgemeine Herleitung und spter auch ein
allgemeingltiges Rechenverfahren fr statisch unbestimmte Systeme aufstel-
len.
Dazu betrachten wir den folgenden, statisch unbestimmt gelagerten und mit
einem Krftesystem belasteten Trger.
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 37

X2
X1
F2

Fi
F1

A2

B
A1

X4 X3

Aus allen Auflagerreaktionen lsst sich stets ein Satz finden, der das Sys-
tem statisch und kinematisch bestimmt macht. Dieses Teilsystem wird statisch
bestimmtes Hauptsystem genannt. Alle anderen Auflagerreaktionen knnen
dann als statisch Unbestimmte Xk betrachtet werden, die wir als Krftesys-
tem zusammenfassen knnen. Diese Situation entspricht genau dem Fall im
vorigen Abschnitt, da die Arbeit im Gesamtsystem als Funktion von den einge-
prgten Krften Fi und den Unbekannten Xk abhngt (W = W (Fi , Xk )). Da an
allen Auflagern die entsprechende Verformung verschwinden muss (fk = 0),
liefert der erste Satz von C ASTIGLIANO

Box 3.11

Diese Erkenntnis wiederum ist der Satz von M ENABREA (18091896), oder
auch Satz vom Minimum der inneren Arbeit bzw. Satz vom Minimum des Kom-
plementrpotentials genannt.

Satz. Bei der quasistatischen, isothermen Belastung eines linear-


elastischen Krpers stellen sich die statisch unbestimmten Reak-
tionen Xk so ein, dass die Formnderungsarbeit (Fi , Xk ) im Ver-
gleich mit benachbarten Zustnden zu einem Minimum wird.

(Fi , Xk )
=0
Xk

Als benachbarte Zustnde sind dabei solche Zustnde zu betrachten, die wir
durch Variation der Reaktionen Xk erhalten. Dass die sich einstellenden Re-
aktionen Xk zu einem Minimum der inneren Arbeit Wi und nicht zu einem Ma-
38 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

ximum fhren, ist durch die zweite Ableitung nachzuweisen:


2 fk
2
= = kk > 0
Xk Xk

An dieser Stelle wollen wir auch noch einmal auf das Skript TM1 verweisen,
wo wir im Kapitel Arbeit das Potential eines starren Krpers untersucht haben
und erkannt haben, dass Gleichgewicht herrscht, wenn das zugehrige Poten-
tial ein Minimum einnimmt. Die eben hergeleitete Gleichung stellt eine Verall-
gemeinerung dieser Beziehung auf elastische, statisch unbestimmte Systeme
dar.

3.4 Energiebetrachtungen am Dehnstab

In den Herleitungen haben wir uns nur mit allgemeinen Krpern und Krfte-
systemen beschftigt. Wir wollen uns nun wieder konkreten Strukturen zuwen-
den und deren Berechnung aufzeigen. Dadurch sollen die vorgestellten Prin-
zipien auch anhand von Beispielen veranschaulicht werden. Wir verwenden
zunchst das Beispiel des Dehnstabs. Die Erweiterung auf andere Modelle er-
folgt in den jeweiligen Kapiteln, die sich mit den enstprechenden Deformations-
und Belastungszustnden beschftigen (Torsion, Balkenbiegung, etc.).
F

F u
u
Box 3.12

In der Abbildung links ist ein Dehnstab unter der Belastung F dargestellt. Da-
bei verlngert sich der Stab um u. Wir wollen die Arbeit berechnen, die sich
in dieser Situation ergibt. Dabei gehen wir davon aus, dass die Kraft F lang-
sam (quasistatisch) aufgebracht wird, wodurch sich der Lastangriffspunkt um
u verschiebt. Die (uere) Arbeit der Kraft F ergibt sich aus dem Integral
Z u
W = F du
0

Wenn der Zusammenhang zwischen der Kraft und der Verschiebung bekannt
ist, lsst sich das Integral berechnen. Fr den Fall eines linear-elastischen
Dehnstabs ist dieser Zusammenhang
Fl EA
u= F = u
EA l
Einsetzen und auswerten des Integrals ergibt
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 39

Box 3.13

Im Kraft-Verschiebungsdiagramm ist dieser Zusammenhang veranschaulicht.


Die Arbeit ergibt sich aus der Dreiecksflche 21 F u. Der Energiesatz besagt,
dass die Arbeit W gleich der Formnderungsenergie im Krper, also hier im
Stab ist. Diese Formnderungsenergie entsteht aus der Arbeit, die innere Krf-
te whrend der Belastung leisten. Als innere Kraft wirkt in unserem Beispiel die
Normalkraft N im Stab, die genauso wie die Belastung von 0 bis zu ihrem End-
wert ansteigt (quasistatisch). Ein Stabelement dx verlngert sich unter einer
Normalkraft N um dx. Damit ist die innere Arbeit eines Stabelements
1
d = Ndx
2
Auch hier besteht ein linearer Zusammenhang zwischen Spannung und Deh-
nung bzw. zwischen Kraft und Verschiebung. Mit dem Elastizittsgesetz = EA
N

ergibt sich

Box 3.14

Diese Formnderungsenergie ist als innere Energie im Stab gespeichert und


kann bei Entlastung wieder gewonnen werden.
Die Berechnung der Formnderungsenergie aus diesem Integral mit dem Fak-
tor 12 und dem Quadrat der Schnittgre geteilt durch die Dehnsteifigkeit, in-
tegriert ber die Stablnge ist immer gleich. Wir werden die entsprechenden
Ausdrcke fr Torsion, Biegung, etc. in den entsprechenden Kapiteln angeben.
F

F + F
F
F

u
u u
u
F F u u + u

Box 3.15
40 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

Nun wird in einem zweiten Schritt eine weitere Kraft F am Stabende


aufgebracht, wie in der Abbildung links dargestellt. Rechts ist das Kraft-
Verschiebungs-Diagramm gezeichnet. Wiederum ist die Formnderungsener-
gie der zustzlich aufgebrachten Kraft F gleich der Dreiecksflche 12 F u. Es
existiert jedoch noch die Arbeit, die die Kraft F auf der Verschiebung u leistet.
Dieser Arbeitsanteil wird Verschiebungsarbeit genannt und ergibt sich aus der
Rechtecksflche F u. Auf den fehlenden Faktor 12 weisen wir explizit hin.

Auch die Ergnzungsenergie oder Komplementrenergie veranschaulichen


Ergnzung wir anhand eines Kraft-Verschiebungsdiagramms, wie unten dargestellt. Sie
berechnet sich im linearen Fall ebenfalls als Dreiecksflche aus 21 F u und
ergnzt die Formnderungsenergieflche zum Rechteck F u. Die Bedeutung
dieser Energie wird nach dem folgenden Abschnitt ber virtuelle Krfte klar.
Das folgende Diagramm zeigt, dass sich im nichtlinearen Fall Ergnzungs-
energie und Formnderungsenergie unterscheiden 6= .

F F
Ergnzungsenergie Ergnzungsenergie

Formnderungsenergie Formnderungsenergie

u u

linear: = nichtlinear: 6= Box 3.16

3.5 Prinzip der virtuellen Krfte

Im letzten Semester haben wir das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV)
zur Berechnung von Auflager- und Schnittkrften kennen gelernt. Dazu haben
wir das starre System durch Lsen von Freiheitsgraden verschieblich gemacht,
daraufhin eine virtuelle Verschiebung aufgebracht und konnten schlielich
aus der Bedingung, dass die virtuelle Arbeit im System im Gleichgewichtsfall
verschwinden muss, die gesuchte Kraft berechnen.
In diesem Semester beschftigen wir uns mit elastischen, also verformbaren
Systemen. Folglich mssen wir keine Freiheitgrade lsen, sondern knnen das
Prinzip der virtuellen Verschiebungen direkt anwenden. Darauf wollen wir hier
jedoch nicht genauer eingehen, sondern stattdessen das Prinzip der virtuellen
Krfte darstellen.
Unter virtuellen Krften versteht man, analog zu den virtuellen Verschiebun-
gen, Gren, die nur zur Berechnung eingefhrt werden, also nichts mit den
physikalischen Krften zu tun haben. Sie sind infinitesimal klein, werden mit
einem -Symbol bezeichnet und mssen den statischen Randbedingungen,
also den Gleichgewichtsbedingungen gehorchen (analog zu den virtuellen Ver-
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 41

schiebungen, die die kinematischen Randbedingungen erfllen mssen). Vir-


tuelle Krfte knnen auf realen Verschiebungen virtuelle Arbeit verrichten.
Mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Krfte lassen sich Aussagen zur Verfor-
mung eines Krpers oder Systems machen. Wir zeigen dies am Beispiel des
abgebildeten Dehnstabs. Gesucht ist die Verschiebung u unter der Last F .

Zur Lsung bringen wir am unverformten Stab die


virtuelle Kraft F auf, die zu einer Verschiebung
u fhrt. Erst anschlieend wird die Kraft F aufge-
bracht, die zur Verschiebung u fhrt. Insgesamt er-
geben sich daraus die folgenden ueren Arbeits-
anteile:

u u
u
F F
F
Arbeit der Kraft F entlang der sich ergebenden Verschiebung u (der
Strich besagt, dass es sich um eine Verschiebung infolge einer virtuellen
Gre handelt):
W =

Arbeit der Kraft F entlang der Verschiebung u:

W =

Verschiebungsarbeit der Kraft F entlang der Verschiebung u:

W =

Insgesamt wurde am System somit die folgende Arbeit geleistet:

W =

Box 3.17
42 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

Kehrt man die Belastungsreihenfolge um, d. h., belastet man den Dehnstab zu-
Bemerkung
nchst mit der realen Kraft F und hernach zustzlich mit der virtuellen Kraft F ,
liefert eine analoge Rechnung den folgenden Ausdruck fr die gesamte uere
Arbeit, die am Dehnstab verrichtet wurde:
1 1
W = F u + F u + F u
2 2
Da diese Arbeit nicht von der Belastungsreihenfolge abhngen darf, folgt nach
einem Vergleich mit dem vorherigen Ergebnis sofort:

F u = F u

Die von der virtuellen Kraft F auf der realen Verschiebung u verrichtete
Fremdarbeit entspricht also der von der realen Kraft F auf der virtuellen Ver-
schiebung u verrichtete Fremdarbeit. Diese Identitt ergibt sich als direkte Kon-
sequenz aus dem Satz von B ETTI.
Schreibt man die am Dehnstab verrichtete Gesamtarbeit W mithilfe der vorhe-
rigen Gleichung um, ergibt sich:
1 1 1 1
W = F u + F u + (F u + F u) = (F + F ) (u + u)
2 2 2 2 | {z } | {z }
= F = u

Die Arbeit W lsst sich also auch als Eigenarbeit der kombinierten Kraft F =
F + F entlang der kombinierten, von F abhngigen Verschiebung u = u + u
interpretieren.

Fr die Formnderungsenergie bentigen wir die Normalkraft als innere Kraft


im System, die sich aus dem Superpositionsprinzip zu

N + N

berechnet. Die gesamte Formnderungsenergie ergibt sich zu

1 (N + N)2 l
= =
2 EA
1 N 2 l 1 N 2 l N N l
= + +
2 EA 2 EA EA

Nach dem Energiesatz muss stets die uere Arbeit gleich der inneren Form-
nderungsarbeit sein, sowohl fr die einzelnen (virtuellen) Lastflle, als auch
fr die Superposition. Daraus ergibt sich:
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 43

W =
1 1 1 N 2 l 1 N 2 l N N l
F u + F u +F u = + +
|2 {z } |2{z } |2 {z
EA} |2 {zEA} EA

Box 3.18

Die virtuelle Kraft F knnen wir zu 1 setzen und erhalten schlielich


Z l
Nl N
1u= bzw. u = dx
EA 0 EA

als Ergebnis fr die Verschiebung u infolge der Last F . Zusammenfassend


erfolgt die Berechnung der Verschiebung u also durch Ermittlung der Schnitt-
gren am System infolge der Last F und der Last 1 und anschlieender
Integration.

3.5.1 Prinzip der virtuellen Krfte zur Berechnung von allgemeinen Ver-
formungen

Im letzten Abschnitt haben wir das Prinzip der virtuellen Krfte dazu verwen-
det, die Verschiebung eines einzigen Dehnstabs in dessen Axialrichtung zu
berechnen. Diese Art von Problemen konnten wir jedoch auch schon im Kapi-
tel Dehnstab (TM1) aus Integration der Differentialgleichung lsen.
Das Prinzip der virtuellen Krfte bietet jedoch auch die Mglichkeit, Verschie-
bungen in jegliche Richtung in einem ganzen Tragwerksystem zu berechnen.
Das Verfahren lsst sich auch problemlos auf Biegebalken und torsionsbean-
spruchte Systeme erweitern, sodass ein generelles und schematisches Vorge-
hen zur Berechnung von Verschiebungen und Verdrehungen entsteht. Dieses
Verfahren geht auf das Prinzip von M OHR (18351918) zurck, das die Ermitt-
lung von Tangentendrehwinkeln und Durchbiegungen eines statisch bestimmt
gelagerten Balkens bei beliebiger Belastung und beliebigem Momentenverlauf
erlaubt.
D C Wir nehmen als Beispiel das links
dargestellte Fachwerk, das an sei-
2m
ner Spitze durch die Kraft P belastet
ist. Gesucht ist die vertikale Verschie-
bung vC des Knotens C infolge die-
2m 2m
B ser Last. Das Fachwerk besteht aus
A
P Stben mit der konstanten Dehnstei-
figkeit EA.

Das Berechnungverfahren verluft wie folgt:


44 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

Am Knoten mit der gesuchten Verschiebung bringen wir in Richtung die-


ser Verschiebung eine virtuelle Kraft der Gre 1 an.
Die Normalkrfte im Fachwerk infolge der virtuellen Kraft 1 ermitteln
wir aus Knotengleichgewicht, Ritterschnittverfahren, oder anderen Ver-
fahren. Das Ergebnis ist in der nchsten Abbildung links eingetragen.
Die Normalkrfte infolge der realen Belastung knnen ebenso berechnet
werden und sind in der Abbildung rechts angegeben.

Virtueller Zustand Realer Zustand


1

D 1 D 2P C
C


2P
2 vc 0 2P

B A P B
A 0
P
Box 3.19

Die virtuelle Kraft 1 verrichtet auf der realen vertikalen Verschiebung vC


die uere virtuelle Arbeit 1 vC .
Die innere virtuelle Arbeit ergibt sich gem dem letzten Abschnitt aus
der Summe der Integrale:

Box 3.20

Da alle Normalkrfte konstant verlaufen, lassen sich die Integrale leicht


auswerten und es ergibt sich:

NAB NAB LAB


+
EA

P 0 4
= +
EA

P
= 4(1 + 2)
EA
Box 3.21
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 45

Diese Summe muss gleich der ueren Arbeit der virtuellen Kraft sein:
P !
4(1 + 2) =
EA
Box 3.22

Zur Verdeutlichung sei in dem gleichen System jetzt die horizontale Verschie-
bung uC am Knoten C infolge P gesucht.

Als virtuelle Kraft wird nun eine hori- D 1 C 1


zontale Kraft 1 in Richtung uC auf- uc
gebracht und der zugehrige Normal-
kraftverlauf berechnet. Das Ergebnis 0 0
ist in der Abbildung rechts dargestellt.
Die Normalkrfte infolge P bleiben
gleich. A 0 B
Box 3.23

Die Verschiebung berechnet sich zu:

NAB NAB LAB NAC NAC LAC NBC NBC LBC NCD NCD LCD
= + + +
EA EA EA EA

Box 3.24

Nach diesem Verfahren knnen also einzelne Verschiebungen an Tragwerks-


punkten berechnet werden. Wir werden in den entsprechenden Kapiteln zei-
gen, dass sich auch Verdrehungen damit bestimmen lassen, indem man an
der gesuchten Stelle ein virtuelles Moment der Gre 1 aufbringt. Die auf-
tretenden Integrale ber die virtuelle Schnittgre multipliziert mit der realen
Schnittgre knnen in den meisten Fllen relativ einfach berechnet werden.
Dazu mehr im Abschnitt 8.3.

3.5.2 Prinzip der virtuellen Krfte fr statisch unbestimmte Systeme

Das gerade dargestellte Verfahren kann auch fr die Berechnung von statisch
unbestimmten Systemen eingesetzt werden. Wir haben bereits im Kapitel des
Dehnstabs (TM I) mehrere Lsungsanstze kennen gelernt. Eines davon war
das Superpositionsprinzip. Es werden dafr statisch Unbestimmte eingefhrt,
die als Kraftwirkungen die berzhligen kinematischen Bedingungen (Auflager
46 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

oder Zwischenreaktionen) ersetzen, woraus ein statisch bestimmtes Haupt-


system entsteht. Schlielich wurden Verformungen aus der Belastung und den
Unbestimmten berechnet, die zusammen die Kompatibilitt des ursprnglichen
unbestimmten Systems erfllen mssen. Allgemein ergibt sich eine Gleichung
der Form:
u0 + u1 = 0

Die bentigten Verschiebungen lassen sich auch entsprechend dem Vorgehen


des letzten Abschnitts mithilfe des Arbeitssatzes bzw. des Prinzips der virtuel-
len Krfte berechnen.
Wir erlutern das Vorgehen im Folgenden anhand eines statisch unbestimm-
ten Fachwerks. Als Beispiel sind im unten dargestellten Tragwerk die Stabkrf-
te infolge der Belastung F gesucht. Alle Stbe besitzen die gleiche Dehnstei-
figkeit EA.
0-System
3 3 X -System
F F
5
a 2 4 2 6 4
6
X1 = 1
AH = F
1 1 AX1
a
AV = F B=F
Box 3.25

Die Lsung verluft nach folgendem Schema:


Zuerst muss die statische Bestimmtheit des Systems ermittelt werden.
uerlich wird es durch drei Auflagerreaktionen gehalten, innerlich be-
steht es aus zwei Dreiecken und einem zweiten Diagonalstab, der es
einfach statisch unbestimmt macht. Alternativ kann man das Abzhlkri-
terium anwenden:

s + r 2k = 6 + 3 2 4 = 1

Um ein statisch bestimmtes Hauptsystem zu erhalten, mssen wir eine


Kraftwirkung lsen. Diese mssen wir so whlen, dass genau ein statisch
bestimmtes, also insbesondere auch nicht verschiebliches System brig
bleibt. Demnach knnen wir im betrachteten Beispiel keine Auflagerre-
aktion, sondern mssen eine Stabkraft lsen. Dies geschieht durch Ein-
fhren eines Normalkraftgelenkes, zum Beispiel im Stab S5 . Die gelste
Kraftwirkung ersetzen wir quivalent durch die statisch Unbestimmte X1 ,
die es spter zu bestimmen gilt.
In diesem Hauptsystem betrachten wir im Folgenden zwei Zustnde: In einem
Fall werden alle ueren Belastungen ohne die statisch Unbestimmte X1 auf-
gebracht. Das so entstandene System nennen wir 0-System. Im anderen Fall
werden ausschlielich die statisch Unbestimmten, in unserem Beispiel ledig-
lich X1 , aufgebracht und wir nennen dieses System X-System.
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 47

Im 0-System berechnen wir die Stabkrfte Si0 infolge der ueren Belas-
tung des Systems, in diesem Fall F . Dies kann hier durch Gleichgewicht
am Knoten geschehen, es sind aber grundstzlich alle Verfahren zur Be-
rechnung statisch bestimmter Systeme mglich. Die Ergebnisse sind in
der folgenden Zeile dargestellt und am Ende dieses Abschnitts in einer
Tabelle zusammengefasst.

Si0 : F F 0 0 F 2
Box 3.26

Anschlieend bentigen wir die Verschiebung infolge der Unbekannten


X1 , wir betrachten also das X-System. Dazu berechnen wir die Stab-
krfte, die sich im statisch bestimmten System ergeben, wenn eine Kraft
1 in Richtung der gewhlten Unbestimmten angreift. Auch hier knnen
die Stabkrfte Si wieder leicht berechnet werden, zum Beispiel ber Kno-
tengleichgewicht.

Si : 1/ 2 1/ 2 1/ 2 1 1
Box 3.27

Jetzt mssen die Relativverschiebungen berechnet werden, die an dem


Punkt entstehen, an dem wir die Kraftwirkung gelst haben, also am An-
griffspunkt von X1 (AX1 ) in Richtung X1 . Dazu verwenden wir das Prinzip
der virtuellen Krfte wie im vorigen Abschnitt. Demnach ergibt sich die
Relativverschiebung im Hauptsystem aus berlagerung der Stabkrfte
Si0 infolge der Belastung und Si infolge 1. Gem der schon eingefhr-
ten Indizierung bezeichnen wir die Verschiebung mit 10 , da es sich um
die Verschiebung des Angriffspunkts der statisch Unbestimmten X1 im
0-System, also infolge der ueren Belastung, handelt.

10 =

mit den Werten aus der Tabelle

EA 10 =

Box 3.28

Das System unter der Belastung X1 = 1 nennen wir Einheitszustand


1. Die Verschiebung ergibt sich durch die berlagerung der Stabkrfte
Si mit sich selbst und wird mit 11 bezeichnet, denn es handelt sich um
die Verschiebung am Angriffspunkt von X1 infolge der Belastung 1. Sie
48 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

berechnet sich aus der Summe der Integrale aus den berlagerten Ein-
heitszustnden

Box 3.29

Im Beispiel ergibt sich mit den berechneten Werten


 
EA 11 = 2 + 2 2 a

Bei den errechneten Verschiebungen im Stab 5 handelt es sich um die


Relativverschiebungen 10 im 0-System und 11 im X-System. Sie sind in
folgender Abbildung visualisiert:
0-System X -System

Box 3.30

Die Kompatibilittsbedingung schreibt vor, dass die Relativverschiebung


im gedachten Normalkraftgelenk am Punkt 1 verschwindet. Diese ergibt
sich aus 10 und der Skalierung von 11 mit X1 und muss verschwinden:

10 + X1 11 = 0

Diese Gleichung kann nach X1 aufgelst werden:

Box 3.31
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 49

Es ergibt sich im Beispiel


 
3
2 2 F a

3+2 2
X1 =  = F 0,85 F
2+2 2 a 4+2 2

Die Stabkraft S5 ist S5 = X1 und die anderen Stabkrfte berechnen sich


aus

Si =

Zum Beispiel

S6 =

Box 3.32

Smtliche Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst:

i li Si0 Si Si0 Si li Si2 li Si


1 a F 12 Fa
2
1
2
a 0, 40 F
2 a F 12 Fa
2
1
2
a 0, 40 F
3 a F 12 Fa
2
1
2
a 0, 40 F
4 a 0 12 0 1
2
a 0, 60 F

5 a 2 0 1 0 a 2 0, 85 F

6 a 2 F 2 1 2aF a 2 0, 56 F

Mit diesem Rechenverfahren lassen sich linear-elastische, statisch unbe-


stimmte Systeme berechnen. Nachfolgend ist die Vorgehensweise fr ein ein-
fach statisch unbestimmtes System nochmals schematisch gegeben:
50 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

STATISCH UNBESTIMMTES S STEM


(z.B. einfach stat. unbestimmt)

Erzeugen eines
STATISCH BESTIMMTES HAUPSTS STEMS
durch Lsen einer Schnittgre

Aufbringen der entsprechenden statisch Unbestimmten X1 .


Setze X1 = 1 (Einheitszustand). Spter sind die so berech-
neten Krfte und Verformungen mit X1 zu skalieren.

z.B. Berechnung mit PvK


Berechnung der durch Systemnderung am
- stat. Unbestimmte X1 = 1 kann als virtuelle Kraft fr PvK
Hauptsystem entstandenen Verformung
verwendet werden (Stabkrfte im Einheitszustand bereits bekannt)
10 unter realer Last
berlagerung mit ursprnglicher Belastung

Berechnung der durch X1 z.B. Berechnung mit PvK


am Hauptsystem entstandenen - stat. Unbestimmte X1 = 1 kann wieder als virtuelle Kraft
Verformung 11 verwendet werden (Stabkrfte im Einheitszustand bereits bekannt)

berlagerung mit Einheitszustand (mit sich selbst!)

KOMPATIBILITT
an Schnittstelle im Hauptsystem:
10 + X1 11 = 0
Bestimmung von X1

Schnittgren aus BERLAGERUNG


fr stat. unbestimmtes System
S = S0 + X1 S

Hilfsverfahren zur Ermittlung bentigter Gren


Lsen statisch unbestimmtes System
(ber Recycling)

3.6 bersicht der Energiemethoden

Die dargestellte bersicht soll nochmals einen berblick ber die Energieme-
thoden der Statik geben.

Arbeitssatz

Prinzip der virtuellen Prinzip der virtuellen


Verschiebungen Krfte
( PvV ) ( PvK )

Prinzip vom Minimum Prinzip vom Minimum des


des Gesamtpotentials Komplementrpotentials
( Dirichlet / Green ) ( Menabrea )

2.Satz v. Castigliano 1.Satz v. Castigliano

statische Aussage kinematische Aussage



Gleichgewicht & Kinematik &
statische RB kinematische RB
3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik 51

Die Prinzipien vom Minimum der Potentiale (D IRICHLET oder M ENABREA) set-
zen, wie der Name schon sagt, die Existenz von Potentialen voraus. Dies ist
zwar zum Beispiel bei elastischem Werkstoffverhalten der Fall, bei Plastizi-
tt jedoch nicht. Deshalb haben wir diese Prinzipien in diesem Kapitel nicht
behandelt. Die Prinzipien der virtuellen Arbeit setzen diese Bedingung nicht
voraus, sind also allgemeiner gltig. Darauf setzen wir deshalb im weiteren
Verlauf den Schwerpunkt.

Mit diesen Prinzipien lassen sich auch noch allgemeinere Verfahren der Varia-
Ergnzung
tionsrechnung verbinden, mit denen sich zum Beispiel moderne numerische
Berechnungsverfahren in der Mechanik beschftigen.

Die folgende Tabelle soll noch einmal das Prinzip der virtuellen Arbeit verdeut-
lichen.

PvV PvK
Prinzip der Prinzip der
virtuellen Verschiebungen virtuellen Krfte
virtueller Verschiebungszustand Kraftzustand
Zustand
muss Kinematik Statik
erfllen
im Gebiet und am Rand im Gebiet und am Rand

wirklicher
Zustand Kraftzustand Verschiebungszustand

inhaltliche
Aussage Statik Kinematik

(Gleichgewicht, statische RB) (im Gebiet, kinematische RB)


Ziel Bestimmung von Bestimmung von
Kraftgren Verschiebungsgren

Alle Energieprinzipien sind integral, also als Summe fr das gesamte System
formuliert. Sie werden deshalb auch als schwache Form bezeichnet. Je nach-
dem, welches Prinzip angewandt wird, werden die zugehrigen Gleichungen in
schwacher Form erfllt, was im folgenden Tonti-Diagramm durch einen Kasten
verdeutlicht ist:
52 3. Arbeits- und Energiemethoden in der Elastostatik

3.7 Rckblick

Die Energieprinzipien spielen eine zentrale Rolle in der Mechanik. Sie lassen
sich kaum in kurzer Form zusammenfassen. Deshalb knnen hier nur ein
paar Stichworte wiederholt werden.

Die Stze von B ETTI und M AXWELL grnden auf der linearen Theorie
fr Krfte, Verformungen und Arbeiten und besagen

Wik = Wki

ik = ki

Die Stze von C ASTIGLIANO und M ENABREA fhren auf eine Berech-
nungsmethode fr statisch unbestimmte Systeme:

(Fi , Xk )
=0
Xk

Als unterschiedliche Arbeits- bzw. Energieformen wurden die Begriffe


Eigenarbeit, Formnderungsenergie und Ergnzungsenergie erklrt.

Das Prinzip der virtuellen Krfte wurde eingefhrt und als Methode zur
Berechnung von Verformungen statisch bestimmter und statisch unbe-
stimmter Systeme verwendet.
4 Torsion rotations-
symmetrischer Wellen

In vorangegangenen Kapiteln wurden Bauteile und Belastungszustnde unter-


sucht, die ausschlielich auf Normalspannungen im Material fhrten (Dehn-
stab). Einem anderen Grenzfall, nmlich dem alleinigen Auftreten von Schub-
spannungen im Bauteil, begegnen wir bei der Belastung von geraden, wlb-
freien (d. h., eben bleibende Querschnitte) Wellen durch Torsion.

Das Bild links zeigt eine Welle als klassi-


sches Anwendungsbeispiel fr torsionsbelas-
tete Bauteile. Es handelt sich um eine Anord-
nung aus einem Wasserkraftwerk. Die unten
liegende Turbine treibt ber die Welle den oben
aufgesetzten Generator.
Dieser Abschnitt soll aufzeigen, wie Beanspru-
chungen und Deformationen durch Torsionsbe-
lastung zu beschreiben sind und welchen Ge-
setzen sie gehorchen.

Begriffsabgrenzung:
Bemerkung
In der Literatur wird fr das im Folgenden betrachtete Modell rotationssymme-
trischer Wellen unter Torsionsbelastung oft der Begriff Torsionsstab verwendet.
Ein Stab, rein geometrisch gesehen ein schlanker, zylindrischer Krper, kann
somit neben der aus der TMI bekannten Zug-/Druckbelastung in Stablngs-
richtung auch ein Torsionsmoment aufnehmen. Da die beiden Belastungsfor-
men und auch die daraus resultierenden Deformationen im Rahmen der linea-
ren Theorie entkoppelt sind, knnen sie (wie in der TM-Lehre blich) getrennt
voneinander betrachtet werden. Diese Begriffserweiterung des Stabs tangiert
nicht die klare Abgrenzung zum Modell des Balkens, der im Gegensatz zum
Stab auch Krfte quer zur Lngsachse sowie Biegemomente aufnehmen kann.

4.1 Deformation aus Torsion

Ausgangspunkt fr die berlegungen dieses Kapitels ist ein kleines Experi-


ment, welches einige Annahmen plausibel macht, die eine einfache Beschrei-
54 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

bung des Phnomens anhand mathematischer Formeln ermglichen.

Experiment

Verwendet wird ein runder Stab (Radius R) aus einem weichen, elastischen
Material wie zum Beispiel Gummi. Er wird mit einem Netz aus Linien (Krei-
sen und dazu orthogonalen, geraden Linien, vergleiche Abbildung) versehen.
Anschlieend wird der Stab an einem Ende fest eingespannt und am ande-
ren Ende durch ein gemigtes axiales Torsionsmoment beansprucht. Die-
ses Moment sei so gering, dass das Materialverhalten in guter Nherung als
linear-elastisch angenommen werden kann.

MT

Wir machen folgende Beobachtungen:


Die Stabenden verwlben sich nicht.
Die anfnglich geraden Linien in Richtung der Stabachse werden zu
Schraubenlinien, welche die radialen Kreise unter konstantem Winkel
schneiden.
Die Lnge des Stabes bleibt im Rahmen der Messgenauigkeit konstant.
Die aufgezeichneten Kreislinien bleiben unverndert erhalten.
Es tritt an keiner Position eine merkliche Verjngung des Stabes auf.

Annahmen

Aus diesen Beobachtungen lsst sich ableiten, dass im Rahmen der von uns
betrachteten Theorie folgende Annahmen zulssig sind:
1. In der Welle mit Kreis- bzw. Kreisringquerschnitt treten keine Verschie-
bungen in x-Richtung auf. (Lngenkonstanz)
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 55

2. Die Kreisform der Querschnitte bleibt erhalten. (Kreisformerhaltung)


3. Die Kreis- und Kreisringquerschnitte bleiben eben unter der Deformation.
4. Die Verdrehung in einem Querschnitt ist homogen, d. h. der Verdrehungs-
winkel ist konstant fr den ganzen Querschnitt.

Die von uns getroffene Annahme des Ebenbleibens der Querschnitte unter
Ergnzung
Torsionsbelastung lsst sich fr beliebige Querschnitte nicht aufrechterhalten.
Fast alle nicht runden Querschnitte haben die Eigenschaft, sich unter Torsi-
onsbelastung zustzlich zur Verdrehung zu verwlben.
MT

~ex undeformiert
~ez Verdrehung
z Verwlbung
~ey
y

Im Rahmen der linearen Elastizittstheorie ist eine Beschreibung der Torsion


ohne der Zusatzannahme des Ebenbleibens der Querschnitte mglich, aber
sehr aufwndig. Als wichtiges Ergebnis dieser Theorie soll hier nur angege-
ben werden, dass Kreisquerschnitte (im Rahmen dieser Theorie) unter Torsion
wirklich eben bleiben.
Dies rechtfertigt im Nachhinein neben den guten Ergebnissen unsere Zusatz-
annahme.

Beschreibende Gren fr Geometrie und Deformation

Aufgrund der Symmetrie des Problems wird hier zur Beschreibung der Geo-
metrie zweckmigerweise mit Zylinderkoordinaten gearbeitet. Ein beliebiger
Punkt P in der Welle ist eindeutig beschrieben durch:

x Abstand des Punktes P


von der y-z-Ebene
Winkel zwischen der z-
y Achse und dem Lot auf die
P x-Achse durch den Punkt.
r Abstand des Punktes von
der x-Achse.

x
Box 4.1
56 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

Als Verformungsgre in Richtung der -Koordinate, also fr die Verdrehung


der Querschnitte, fhren wir den Verdrehungswinkel bzw. Drillwinkel (x) ein.

(x1)
y
deformierte
Schnittebene x1
(x2)
x2
nicht deformierte
Schnittebene

MT

Aus obigen Ausfhrungen wurde deutlich, dass unter den genannten Vor-
raussetzungen der Verdrehungswinkel alleine die gesamte Deformation be-
reits vollstndig beschreibt. Ein Punkt (x, , r) erfhrt also die folgende Defor-
mation:

Box 4.2

Die x-Ableitung dieser Gre (x) = d


dx
(x) bezeichnet man als Verwindung
oder auch Verdrillung.

Geometrienderung eines infinitesimalen Elements die Gleitung

Um etwas ber die lokalen Deformationen aussagen zu knnen muss man das
Wissen ber die Deformation (Ebenbleiben der Querschnitte etc.) auf infinite-
simale Elemente dx, rd, dr bertragen:
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 57

vor der Drehung nach der Drehung

z z
x
dx
y y

Vorderseite

d

x x
r
dr
z z

y y

Rckseite

d

x x
Box 4.3

Durch die Lngenkonstanz bleibt die Dicke dx in x-Richtung fr alle Ele-


mente wie oben erhalten.
Die Seitenflchen in der Querschnittsebene (normal zur x-Achse) aller
solchen infinitesimalen Elemente bleiben undeformiert und werden nur
im Raum gedreht.
Die Deformation erhlt also den zum Element gehrigen Winkel d, die
radiale Dicke dr und den Abstand des Elementes von der x-Achse.
Diese Seitenflchen verdrehen sich gegeneinander. Dadurch erzeugt
man eine Scherung im infinitesimalen Element.
Schaut man von auen auf die Mantelflche, so uert sich die Scherung
folgendermaen:
vor der Drehung nach der Drehung
(Beobachter verfolgt die Drehung)

C
A C A
D
B D B
x

dx dx
x x + dx x x + dx
Box 4.4
58 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

Die Gleitung des Elementes lsst sich aus der folgenden Abbildung ableiten:

x
x + dx

x
Box 4.5

Man erhlt ausgehend von kleinen Scherungen (lineare Theorie!):

. rd r (x) dx
= tan = =
dx dx
Dies liefert fr die Gleitung eine Abhngigkeit nur von x und r:

Box 4.6

Die Unabhngigkeit von war aufgrund der Rotationssymmetrie zu erwarten.


Zusammenfassung:
Die Gleitung variiert linear mit dem Abstand von der Wellenachse. Sie
nimmt ihr Maximum an der ueren Berandung der Welle an:

R
(max) r

dx
max Rr

Ist wie in dem anfangs betrachteten Beispiel mit dem Gummistab eine
Konstante, so ist (x, r) = (r) entlang der Welle konstant.
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 59

Span-
nungen Ver-
stat RB (S-resultie- MATERIAL zerrungen
rende)
, MT

KINEMATIK
GGW $\gamma=r\phi$

uere Verform-
ungen kin RB
Last DGL

Box 4.7

4.2 Torsionsschubspannung, assoziierte Schubspannung

Da wir von kleinen Gleitungen ausgehen, knnen die Spannungen in guter


Nherung mit Hilfe des Hookeschen Gesetzes aus der Geometrienderung
berechnet werden.

Torsionsschubspannung

Die Verdrehung der Querschnittsflchen gegeneinander fhrt zu einer Ver-


scherung der entsprechenden Seitenflchen eines infinitesimalen Elementes
gegeneinander (Gleitung ). Nach dem Hookeschen Gesetz (Schubmodul G)

=G

folgt fr die Schubspannung, welche auf das Element wirkt:

Box 4.8

Die einzigen in der Querschnittsebene auftretenden Spannungen sind Schub-


spannungen in Umfangsrichtung wie in folgendem Bild dargestellt:
60 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

max

max
r

R
dA
x MTx
max

Normalspannungen x treten nicht auf, da auch keine Verformung in Stabach-


senrichtung vorliegt.

Assoziierte Schubspannungen

Falls nur die Schubspannungen auf den Querschnittsflchen wirken wrden,


wre das Momentengleichgewicht um die radiale Achse fr das infinitesimale
Element nicht erfllt. Dies lsst sich durch das Freischneiden eines komplet-
ten rumlichen infinitesimalen Elementes (Seitenflche in Querschnittsrich-
tung wie im Bild oben) zeigen. Deswegen mssen, wie auch schon im Ab-
schnitt 2.1 angedeutet, sogenannte assoziierte Schubspannungen in axialer
Richtung auftreten, die das Momentengleichgewicht um die radiale Achse si-
cherstellen. Diese mssen den gleichen Betrag wie die auf den Querschnitts-
flchen wirkenden Schubspannungen aufweisen.

A ds = r d

~er

~ex ~e

r
r

Box 4.9
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 61

Zusammenfassende Beschreibung des Spannungszustandes

Bei dem vorliegenden Belastungszustand einer kreiszylindrischen Welle


liegen in keiner Raumrichtung Normalspannungen vor.
Da die Querschnitte an sich unter der Verformung erhalten bleiben und
keine Verschiebungen in x-Richtung existieren, treten keinerlei Schub-
spannungen auf den Mantelflchen eines freigeschnittenen Teilzylinders
auf. Insbesondere ist diese Feststellung kompatibel mit der Vorstellung
von einem freien (unbelasteten) Wellenrand.

Da die Schubspannungen auf den Mantelflchen verschwinden, mssen


auch die assoziierten Schubspannungen in radialer Richtung verschwin-
den.
Auf die infinitesimalen Teilflchen einer Querschnittsflche wirken die
Torsionsschubspannungen (x, r). Sie bertragen das eingeleitete Mo-
ment durch die Welle.
Zu den Torsionsschubspannungen in den Querschnittsflchen gehren
assoziierte Schubspannungen in axialer Richtung. Sie wirken auf die
Schnittflchen senkrecht zur Mantelflche.

x
62 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

Span-
nungen MATERIAL Ver-
stat RB (S-Resultie- zerrungen
rende)

KINEMATIK
GGW
= r

uere Verform-
Last DGL ungen kin RB

Box 4.10

4.3 Zusammenhang zwischen Torsionsmoment und Schub-


spannungen

Das Torsionsmoment wird ber die Torsionsschubspannungen entlang der


Welle bertragen. Deshalb muss das resultierende Moment der Schubspan-
nungen in einem beliebigen Querschnitt gleich dem Torsionsschnittmoment
sein. Dazu werden durch ein Integral alle Krfte auf Flchenelemente dA auf-
summiert. Man beachte, dass die Flchenelemente dA mit zunehmendem Ra-
dius grer werden, siehe auch folgende Abbildung:

(r + dr)d
= rd
dr dA

rd

d
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 63

Insgesamt ergibt sich:

Durch Einsetzen von aus Kinematik und Materialgesetz erhlt man die Tor-
sionsformel:

MT (x) =

Box 4.11

Nun fassen wir die Terme, die nur von der Geometrie der Welle abhngen, in
der Gre
R4
IT :=
2
zusammen. IT wird als Torsionstrgheitsmoment oder auch polares Moment
bezeichnet. Es ergibt sich:

MT (x) = G IT (x)

Wir haben jetzt eine Gleichung fr (x) in Abhngigkeit von Geometriepara-


metern (R), Materialeigenschaften (G) und dem Schnittmoment.

Box 4.12

G IT wird auch als Torsionssteifigkeit der Welle bezeichnet. (Man beachte die
Analogie zur Dehnsteifigkeit EA beim Dehnstab!)
64 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

Zusammen mit den kinematischen ( = r ) und konstitutiven ( = G) Bezie-


hungen knnen wir nun den Schubspannungsverlauf im Querschnitt in Abhn-
gigkeit von Schnittmoment und Querschnittskennwerten (IT ) darstellen:

MT (x)
(x, r) = r
IT

Fr ein konstantes Schnittmoment MT verschwindet hierbei die x-


Abhngigkeit.
Durch Integration der Gleichung fr die Verdrillung ergibt sich fr den Verdre-
hungswinkel

Box 4.13

Fr den Fall einer ueren Last in Form eines verteilten Torsionsmoments


mj (x) lsst sich fr das Torsionsschnittmoment MT (x) im Stab eine Differen-
tialbeziehung herleiten (hnlich wie in TM I bereits fr Normalkraft, Querkraft
und Biegemoment ausgefhrt). Ausgangspunkt der Betrachtungen ist folgen-
des, infinitesimales Stabelement:

x dx

MT (x) mj (x) MT (x + dx)

Momentengleichgewicht um die x-Achse und Grenzbergang dx 0 liefert


schlielich:
MT (x + dx) MT (x) + mj (x) dx = 0
MT (x + dx) MT (x)
= mj (x)
dx
dx 0 : MT (x) = mj (x)

Durch Differenzieren der kinematischen Beziehung und Einsetzen dieses Zu-


sammenhangs erhalten wir schlielich die Differentialgleichung fr einen Tor-
sionsstab konstanter Torsionssteifigkeit:

MT (x) mj (x)
(x) = =
G IT G IT
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 65

Dies ist im folgenden TONTI-Diagramm zusammengefasst:


(MT (x))

Span- MATERIAL
nungen Ver-
stat RB (S-Resultie- = G zerrungen
MT 0 rende)
,

KINEMATIK
GGW
MT (x) = r

uere
Verform-
Last
DGL ungen kin RB
mj m
= GIjT

Box 4.14

Man beachte die Analogie zum Dehnstab. Diese Analogie tritt auch bei dem
im Folgenden auf torsionsbelastete Wellen angewandten Arbeitssatz zu Tage.

4.4 Arbeitsanteile aus Torsion

uere Arbeit an der mit einem Einzelmoment belasteten Welle

Eine statisch bestimmt gelagerte, kreiszylindrische Welle werde durch ein Ein-
zelmoment MD am freien Ende der Welle belastet. Fr den Torsionsmomen-
tenverlauf gilt dann bekanntlich:
MT (x) = MD = const.

MD > 0

x
l
MD
MT (x)

Whlt man ein geeignetes Koordinatensystem, so kann man (0) = 0 errei-


chen und gem unserer bisherigen berlegungen gilt fr diesen speziellen
Lastfall
x
(x) = MD
GIT
Wir wollen jetzt die Arbeit berechnen, die verrichtet wird, wenn die Welle durch
langsames Erhhen des ueren Momentes von 0 auf MD quasistatisch in den
deformierten Zustand berfhrt wird.
66 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

Nach der Definition der ueren Arbeit ist


Z (l)
W = MD () d
=0

Einsetzen des linearen Zusammenhangs zwischen Drehwinkel und Moment


liefert: Z (l) (l)
G IT G IT 2 G IT (l)2
W = d = =
=0 l l 2 =0 l 2

Die Konstante GIl T kann man mit Hilfe der im Kapitel Arbeit eingefhrten No-
menklatur als inverse Einflusszahl ll1 bezeichnen (siehe z. B. Analogie zur
f2
dort hergeleiteten Formel Wii = 1ii 2ii ).
Verwendet man hier wieder den Zusammenhang zwischen Moment und Dreh-
winkel, so erhlt man fr die am System geleistete uere Arbeit:

MD ()


(l)
Box 4.15

Auch diese Beziehung haben wir im Prinzip schon unter dem Begriff Eigenar-
beit einer ueren Kraft im Kapitel Arbeit kennengelernt. Sie wird an obigem
Bild noch einmal graphisch veranschaulicht.

uere Arbeit an mehrfach torsionsbelasteten Wellen

Wir betrachten nun die selbe Welle unter einer beliebigen Torsionsbelastung,
die sich wie folgt zusammensetzt:
n Einzelmomente MD,i , jeweils an der Stelle xi
Verteilte Torsionsmomentbelastung md (x)
Die gerade eben gemachten berlegungen sind im Rahmen der linearen
Theorie (genauso wie bei ueren Krften) auf die kombinierten Belastungen
bertragbar. Die gesamte uere Arbeit ist die Summe der einzelnen ueren
Arbeitsanteile und lautet:

n Z l
X 1 1
WA = (xi ) MD,i + (x) md (x) dx
i=1
2 x=0 2
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 67

Innere Arbeit bei beliebigen Torsionsmomentverlufen


Formnderungsarbeit

Analog zur Betrachtung am Dehnstab entsteht die Formnderungsenergie aus


der Arbeit, die die Schnittgre whrend der Belastung leisten. Fr den Torsi-
onsstab ist dies das Torsionsmoment MT , das wie die Belastung von 0 bis zum
Endwert ansteigt. Es leistet Arbeit auf dem Drehwinkel, der sich aus (x) dx
ergibt. Daraus folgt fr die durch das Schnittmoment verrichtete Arbeit:

Box 4.16

Der Faktor 1
2
ergibt sich dabei aus demselben Grund wie am Dehnstab.

Obige Formel kann aus der Berechnung der Formnderungsenergie in einer


Ergnzung
Scheibe der Dicke dx (Querschnittsflche A) mit Hilfe der allgemein gltigen
Beziehung Z 
1
d = : dA dx
A 2

abgeleitet werden werden. In dem Fall der wlbfreien Torsion reduziert sich
das Skalarprodukt zwischen Spannungs- und Verzerrungstensor einfach zu
Z 
1
d = dA dx
A 2

und ergibt mit


= r
die Beziehung

Z
1 1
d = r dA dx = MT (x) (x) dx
2 2
| A {z }
= MT

Zudem zeigt sich die strukturelle Gemeinsamkeit zum Dehnstab, fr den die
entsprechende Formel in Kapitel 3 lautete:
Z 
1
d = dA dx
A 2

Durch Integration ber die Lnge l der Welle folgt fr die gesamte vom Schnitt-
moment geleistete (innere) Arbeit:
Z l Z Z
1 l 1 l (MT (x))2
= d = MT (x) (x) dx = dx
0 2 0 | {z } 2 0 GIT
MT (x)
= GIT
68 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

Der Arbeitssatz fr torsionsbelastete Wellen

Der Arbeitssatz aus Kapitel 3 ist unter sehr allgemeinen Voraussetzungen, wie
sie auch in diesem Kapitel vorliegen, gltig. Er lsst sich somit auch fr torsi-
onsbelastete, kreiszylindrische Wellen formulieren:

Box 4.17

4.4.1 Das Prinzip der virtuellen Arbeit am eingespannten Torsionsstab

Problemstellung

Analog zum Vorgehen fr den Dehnstab in Kapitel 3 sei nun ein einseitig ein-
gespannter Torsionsstab gegeben:

MD

l
x

Wir wollen nun versuchen, die Verdrehung an einer Stelle b mit Hilfe von
Schnittmomenten (aus Momentengleichgewicht), konstitutiven Gleichungen
(aus Materialgesetz) und virtuellen Krften in Kombination mit dem Arbeits-
satz zu berechnen.

Der (virtuelle) Einheitszustand

Zur Ermittlung der Verdrehung wird zustzlich zur ursprnglichen Belastung


durch MD an der Stelle b ein virtuelles Moment der Strke 1 aufgebracht (alle
Lastaufbringungen erfolgen quasistatisch):

1
MD

b
l
x
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 69

Wir fhren folgende Bezeichnungen ein:

(x) Verdrehung infolge MD


(x) Verdrehung infolge 1
MT Schnittmoment infolge MD
MT Schnittmoment infolge 1

Da es sich um ein statisch bestimmtes System handelt, sind die Schnittmo-


mente mit Hilfe von Momentengleichgewichten direkt zu berechnen.

Aufstellen der Formnderungsenergie

Mit dem Schnittgrenverlauf und dem Materialgesetz ergibt sich sofort die
Formnderungsenergie des kombiniert belasteten Systems:
Z 2 Z Z l Z
1 l MT + MT 1 l MT2 MT MT 1 l MT2
= dx = dx + dx + dx
2 0 GIT 2 0 GIT 0 GIT 2 0 GIT

Die uere Arbeit

Fr die verschiedenen Belastungsreihenfolgen ergeben sich folgende Darstel-


lungen fr die uere Arbeit:

1
MD

+ 1 + MD

x x

Box 4.18

Die Unabhngigkeit von der Belastungsreihenfolge liefert ein Ergebnis, das wir
unter dem Namen Satz von B ETTI bereits kennen:

1 (b) = MD (l)

In Worten:
70 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

Die virtuelle Belastung 1 verrichtet infolge der realen Deformation die


selbe Arbeit wie die reale Belastung infolge der virtuellen Verdrehung.

Anwendung des Arbeitssatzes

Der Arbeitssatz angewendet auf das kombiniert belastete System besagt nun,
dass W = gilt. Da die obigen beiden Darstellungen von W quivalent sind
drfen wir eine auswhlen, die uns weiter hilft. Dies ist hier die zweite Formu-
lierung. Es ergibt sich:
1 1
W = 1 (b) + MD (l) + 1 (b) =
2 2
Z Z l Z
1 l MT2 MT MT 1 l MT2
= dx + dx + dx =
2 0 G IT 0 G IT 2 0 G IT

Die Arbeitsstze fr das nur mit 1 belastete System


Z
1 1 l MT2
1 (b) = dx
2 2 0 G IT
und das nur mit MD belastete System
Z l
1 1 MT2
MD (l) = dx
2 2 0 G IT
liefern daraus die Gleichung zur Berechnung der Verdrehung an der Stelle b
mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Arbeit:

Box 4.19

4.5 Kreisringquerschnitte

Fr Kreisringquerschnitte knnen dieselben berle-


gungen angewendet werden wie fr Kreisquerschnit-
te. Wir haben ja festgestellt, dass an herausgeschnitte- R2
nen Zylindermantelflchen keine Spannungen wirken. R1
Somit verhalten sich eine Reihe ineinandergestellter
Kreisringquerschnitte bezglich wlbfreier Torsion so
wie ein voller Zylinderquerschnitt.
Ein Unterschied tritt bei der Integration von der Schubspannung zum Torsions-
moment auf.
Z Z R2 Z 2 Z R2 Z 2
MT (x) = dA =
r |{z} r rd dr = r 2 d dr
Querschnitt r=R1 =0 R1 =0
Kraft auf dA
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 71

Das Ergebnis lautet wieder

MT (x) = G IT (x)

Der einzige Unterschied ergibt sich also in der Querschnittskenngre:

Box 4.20

Die restlichen Formeln fr Kreisquerschnitte sind auch hier gltig, wenn man
das entsprechende Torsionstrgheitsmoment einsetzt.

4.6 Statisch unbestimmte, wlbfreie Torsionsprobleme

Beispielhaft wird hier ein simples, einfach statisch unbestimmtes Torsionspro-


blem gelst.

Problemstellung

Ein Torsionsstab mit rundem Querschnitt (Torsionssteifigkeit GIT ) sei an bei-


den Enden (A und B) fest eingespannt. Im Punkt C wirke ein ueres Torsi-
onsmoment MD .

A MD
C
LAC
B
L LBC
x

Zu berechnen ist der Verlauf des Torsionsmomentes im Stab zwischen den


Punkten A und B.

Berechnung mit dem Kraftgrenverfahren

Das Vorgehen hier ist dasselbe wie fr den Dehnstab. Es wird ein statisch
bestimmtes System angesetzt, in dem die freigeschnitte Kraftgre (die Aufla-
gerreaktion an der rechten Einspannung) als Unbekannte X angesetzt wird.
72 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

MD
A
C X
B x

Das statisch bestimmte System ohne X wird wieder als 0-System bezeichnet,
das System ohne uere Last und nur mit X als X-System.

MD MD

x
C B
A

X
X
x B
A

Wir wollen nun wieder die bentigten Verdrehungen mit dem Prinzip der virtu-
ellen Arbeit berechnen. Aufbringen eines virtuellen Moments an der Stelle L
liefert den Momentenverlauf MT (x), der bentigt wird, um (L) zu berechnen.

1
1
x B
A

Das 1-System resultiert aus dem X-System durch die spezielle Wahl X = 1.
Die Verdrehung am Punkt B im 0-System ist mit dem Prinzip der virtuellen
Arbeit gegeben durch:
Z L Z LAC
MT (x) MT (x) 1 MD MD
10 = dx = dx = LAC
0 IT G 0 IT G IT G

Genauso lsst sich die Verdrehung am Punkt B im X-System berechnen


durch: Z L
MT (x) MT (x) 1X X
X11 = X dx = L =L
0 IT G IT G IT G
Die Kompatibilitt fhrt wegen

10 + X11 = 0

auf
LAC
X = MD
L
4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen 73

Superposition des 0- und des X-Zustands liefert das Ergebnis:


LAC LBC
MT,B = MD MT,A = MD
L L

Lsung ber Kompatibilittsbedingungen

MD
MT,A

MT,B
x

Wir wissen bereits, dass der Verlauf des Schnittmomentes auf beiden Seiten
der Stelle, an der MD eingeleitet wird, konstant ist:
MT,A

MT,B
MT,A

MT,B
x

MT,A
M LAC L
D
0 x

MT,B
Box 4.21

Somit ergibt sich durch Integration:

Box 4.22

MT,A LAC + MT,B LBC = 0


Gemeinsam mit dem Momentengleichgewicht
MT,A MT,B = MD
74 4. Torsion rotationssymmetrischer Wellen

erhlt man daraus


LAC LBC
MT,B = MD MT,A = MD
L L

Man erhlt somit dasselbe Ergebnis wie zuvor.

4.7 Rckblick

Unsere Betrachtungen haben sich auf wlbfreie Wellen beschrnkt.

Durch die Torsion werden die Querschnitte in der Welle gegeneinander


verdreht. Diese Verdrehung wird ber den Drillwinkel (x) beschrieben.

Die Gleitung berechnet sich aus der Verdrehung durch:

(x, r) = r (x)

Dies entspricht dem bentigten kinematischen Zusammenhang.

Die Schubspannung berechnet sich ber das Hookesche Gesetz aus


der Gleitung:
(r, x) = G (r, x) = G r (x)
Hier wird demnach das Materialgesetz eingebracht.

Der Drillwinkel an der Stelle x berechnet sich durch:


Z x
MT (x)
(x) = (0) + dx
x=0 G IT

Diese Gleichung verwendet zustzlich zu den vorangegangen Gleichun-


gen den Schnittgrenverlauf, welcher aufgrund von Gleichgewichten
ermittelt wird.

Torsion und Arbeit


Die Eigenarbeit eines ueren Momentes MD an der Stelle l be-
rechnet sich bei Torsionsstben durch:
1
W = MD (l)
2

Fr einen Torsionsstab ist die Formnderungsenergie gegeben


durch: Z
1 l (MT (x))2
= dx
2 x=0 G IT
Dnnwandige Hohlquerschnitte werden in Kapitel 11 behandelt.
5 Einfhrung in die
Balkenbiegung

Beim Balken handelt es sich bekanntlich um eine Struktur, deren Lnge gro
ist im Vergleich zu ihren weiteren Querschnittsgren. Des Weiteren ist der
Balken dadurch gekennzeichnet, dass er im Vergleich zum Dehnstab nicht nur
Lasten abtragen kann, die in der Stabachse wirken. Beim Balken treten somit
nicht nur Normalkrfte, sondern auch Querkrfte und Schnittmomente auf.
Im Beispiel des folgenden zusammengestckelten Balkens

F
h
l >> h

kann zum Beispiel das Gesamtobjekt als Balken betrachtet werden. Wenn man
allerdings an den lokalen Spannungen an der Stostelle oder den Beanspru-
chungen der Niete interessiert ist wre das Balkenmodell unzutreffend.
76 5. Einfhrung in die Balkenbiegung

Als Erster beschftigte sich mit ho-


her Wahrscheinlichkeit der groe
L EONARDO DA V INCI mit dem Problem
der Biegung. Er kam jedoch nur zu
rein qualitativen Aussagen, indem
er die Tragfhigkeiten verschiedener
Bauteile miteinander verglich. Den
Hauptverdienst an der Biegetheorie
hat G ALILEO G ALILEI (1564-1642). Er
bemhte sich im 16. Jahrhundert als
erster darum, die Widerstandsfhig-
keit, und in diesem Zusammenhang
auch die Biegung fester Krper zu
untersuchen. Er stellte z.B. fest, dass
ein hochkant gestellter Balken tragfhi-
ger sei als ein flachkant gestellter. Die
Lage der Drehachse aber ordnete er
am Rand des Balkenquerschnitts an
(siehe Ende des Kapitels).

5.1 Ebene (gerade) Biegedeformation

M N
y x
Q

Zuerst betrachten wir Balken mit rechteckigen Querschnittsformen (Hhe h,


Breite b). Wie im Bild dargestellt soll nur ein Biegemoment in y-Richtung auf-
treten. Fr Balken dieser Gestalt unter solchen Belastungen erhalten wir aus
Symmetriegrnden eine ebene (gerade oder auch einachsige) Biegung. Es
treten also nur Deformationen des Balkens in z-Richtung auf, die man mit w
bezeichnet.
Wir wollen nun den Einfluss des Schnittmomentes und der Normalkraft auf die
Deformation des Balkens untersuchen. Die Deformation, die von der Querkraft
herrhrt, wird erst in einem der folgenden Kapitel behandelt werden. An dieser
Stelle sei aber schon bemerkt, dass der Einflu der Querkraft hufig nicht we-
sentlich ist. Fr lange, schlanke Balken kann er sogar vernachlssigt werden
(B ERNOULLI-Hypothese).
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 77

Die Charakterisierung des Deformationszustandes


E D E E DD
x M M
G C G = G C = C

z A B A A BB

Unseren Betrachtungen legen wir folgende Beobachtungen bei der reinen Bie-
gung zu Grunde:
1. Die Balkenquerschnitte bleiben unter der Deformation eben (erste B ER -
NOULLIsche Hypothese). Des Weiteren bleibt die Form des Querschnit-
tes erhalten (die Durchsenkungen w hngen nicht von z ab, sondern nur
von x).
2. Querschnitte, die vor der Deformation senkrecht auf der Balkenachse
standen, stehen auch nach der Belastung noch senkrecht auf der (defor-
mierten) Balkenachse (zweite B ERNOULLIsche Hypothese). In diesem
Zusammenhang spricht man auch von einem schubstarren Balken (da ja
nur eine Schubverzerrung zu einer nderung des rechten Winkels fhren
wrde).
Fr die querkraftfreie Biegung sind diese beiden Hypothesen exakt erfllt. Tritt
Querkraft auf, so gelten diese Hypothesen nur noch nherungsweise. Fr lan-
ge, schlanke Balken sind aber die Ergebnisse, welche sich mit Hilfe dieser
Hypothese ableiten lassen, sehr gut.

Beschreibende Gren der Geometrienderung

Auer mittels der Durchbiegung w knnen wir den oben charakterisierten Ver-
formungszustand auch ber den Winkel (x) beschreiben, der die Verdrehung
des Balkenquerschnitts an der Stelle x gegenber dem undeformierten Quer-
schnitt bzw. gegenber der z-Achse angibt:

x dx

z x

z
w

Box 5.1
78 5. Einfhrung in die Balkenbiegung

Wir legen fest, dass der Verdrehungswinkel (x) im Sinne einer Rechtsschrau-
be in positive y-Richtung positiv gezhlt wird, d. h., in der dargestellten xz-
Ebene entgegen dem Uhrzeigersinn. Da die z-Achse nach unten zeigt, kann
(x) als negativer Steigungswinkel der Balkenachse an der Stelle x interpre-
tiert werden.
Des Weiteren sind die folgenden Bezeichnungen gebruchlich:

(x) Krmmung der Balkenachse an der Stelle x

R(x) zugehriger lokaler Krmmungsradius

Die Krmmung (x) ist ein Ma fr die lokale nderung des Steigungswinkels
Service
der Balkenachse an der Stelle x und kann wie folgt berechnet werden:

w (x)
(x) = q 3
1 + (w (x))2

Der Kreis, der die Balkenachse an der Stelle x berhrt und lokal sowohl die-
selbe Tangente als auch dieselbe Krmmung aufweist wie die Balkenachse,
wird Krmmungskreis an der Stelle x genannt. Sein Radius R(x) = (x)1
heit
Krmmungsradius.

5.2 Der Verzerrungszustand der reinen Balkenbiegung

Wir unterteilen nun unseren Balken in achsenparallele Fasern. Durch die Bie-
gung kommt es zu einer Lngennderung der Fasern:
Fasern knnen (lokal) gestaucht werden.
Fasern knnen (lokal) gestreckt werden.
Ein Faserabschnitt der Lnge dx (ein infinitesimales Element im Sinne der
kontinuumsmechanischen Beschreibung) erfhrt somit eine Lngennderung.
Die resultierende Dehnung beschreibt den zugehrigen Verzerrungszustand
vollstndig. Wir fhren wieder einige Begriffe ein:
d

x dx

R
(1 + 0) dx
w

z
w
z
x-Faser

lzdef
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 79

x-Faser Die Faser des infinitesimalen Elementes, welche vor der


Biegung mit der x-Achse zusammenfllt

0 (x) (Lngs-) Dehnung der x-Faser

(x, z) Dehnung einer beliebigen achsenparallelen Faser

Die Ausgangslnge aller Faserabschnitte ist dx. Die Lnge lzdef eines belie-
bigen Faserabschnittes nach der Deformation lsst sich mit Hilfe des Krm-
mungsradius R bestimmen zu

Box 5.2

Damit ergibt sich fr die Dehnung:

Box 5.3

Die x-Faser erfhrt nach Definition die Dehnung 0 (x). Auf ihr gilt also:

Box 5.4
80 5. Einfhrung in die Balkenbiegung

Einsetzen in die vorangegangene Gleichung liefert den Zusammenhang:

Box 5.5

Bei der reinen ebenen Biegung variiert die Lngsdehnung in einem


Balkenquerschnitt (affin) linear mit dem vertikalen Abstand von der Bal-
kenachse. Damit ist die Kinematik vollstndig beschrieben!

5.3 Spannungsverteilung infolge gerader Biegung (Einset-


zen des Materialgesetzes)

Die Deformation des Balkens fhrt ber Verzerrungen zu inneren Spannun-


gen im Krper. Ein Zusammenhang lsst sich ber das H OOKEsche Gesetz
herstellen:

z
Box 5.6

Die Kinematik (Dehnung der Fasern) fhrt also ber das Materialgesetz genau
zu einer Spannung in Faserlngsrichtung.

5.4 Zusammenhang zwischen Spannungen und Schnittgr-


en

Der vorher ermittelte Ausdruck fr die Spannung enthlt noch zwei unbekann-
te Gren (0 (x) und (x)) fr den Verzerrungszustand. Diese beiden Gren
knnen nun mit Hilfe einer Krfte- und einer Momentenbilanz am Balkenquer-
schnitt mit den Schnittgren in Zusammenhang gebracht werden.
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 81

Die Krftebilanz in Richtung der Balkenachse an einem Querschnitt (vgl. Dehn-


stab) lautet:

dA = b dz
(x, z) dA

Box 5.7

Des Weiteren kann man eine Momentenbilanz bezglich der y-Achse um den
Flchenmittelpunkt aufstellen:

z
dA = b dz
(x, z) dA

Box 5.8

Einsetzen des ber das Materialgesetz aus der Kinematik gewonnenen Span-
nungsverlaufes ergibt fr die Krftebilanz
Z
N (x) = E [0 (x) + (x) z] b dz
Balkenhhe

Mit der Abkrzung A = hb folgt

Box 5.9

Durch Auflsen nach 0 ist man in der Lage, die erste unbekannte Gre ber
die Schnittgren auszudrcken:

N (x)
0 (x) =
EA

Erinnert man sich hier zurck an den Dehnstab, so stellt man fest, dass
E0 (x) = NA(x) gerade den dort berechneten Normalspannungen infolge N
82 5. Einfhrung in die Balkenbiegung

entspricht:
N (x)
(x, z) = +E (x) z
A }
| {z
Dehnstabanteil

Die Momentenbilanz am Querschnitt liefert speziell fr unsere Geometrie:


Z h
2
M (x) = z (x, z) b dz
z= h
2

Einsetzen unseres -Verlaufes:

Box 5.10

Nach Auswertung des Integrals folgt:


M (x)
(x) = 3
E bh
12

3
Die rein aus der Geometrie bestimmte Gre Iyy := bh 12
wird als Flchen-
trgheitsmoment bezeichnet (das nchste Kapitel wird sich eingehender mit
solchen Geometriegren und ihren Anwendungen beschftigen). Die daraus
gebildete Gre EIyy heit Biegesteifigkeit (vgl. Torsionssteifigkeit GIT sowie
Dehnsteifigkeit EA).
Insgesamt hat man folgende additive Dekomposition der Normalspannung:

Box 5.11
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 83

In Worten:

Bei der ebenen Biegung eines Balkens mit Rechtecksquerschnitt ohne


Normalkraft liegt ein linearer Verlauf der Normalspannungen ber die
Querschnittshhe vor. Die x-Faser durch den Querschnittsmittelpunkt
ist die sogenannte neutrale Faser, auf der die Spannung verschwindet.
Infolge von Normalkraftbelastungen kann sich die Lage der neutralen
Faser verschieben, der Verlauf der Spannung ber die Querschnitts-
hhe bleibt aber linear. Die maximale Spannung tritt an einer der Posi-
tionen z = h2 auf.

M
y N

Nulllinie

Die historischen Anstze von G ALILEI, M ARIOTTE und N AVIER/C OULOMB


Ergnzung
Der zeitlich gesehen erste Ansatz zur Beschreibung einer Spannungsvertei-
lung infolge reiner Biegung wurde von G ALILEI (15461642) angegeben.
Darauf folgte der verbesserte Ansatz von M ARIOTTE (16501684). Dieser hatte
den wesentlichen linearen Verlauf ber die Hhe bereits erkannt.
Beide Anstze haben aber das Problem, dass sie eine zustzliche, unphysi-
kalische normalkraftfhrende Faser postulieren mssen, die die resultierende
Normalkraft bei reiner Biegung zum Verschwinden bringt. Dieses Problem ls-
te erst der Verlauf nach N AVIER (17951836) und C OULOMB (17361806) mit
der neutralen Faser im Balkeninneren.

G ALILEI (15641642) M ARIOTTE (16501684)

tatschlicher Verlauf
N AVIER (17951836)
C OULOMB (17361806)

Eine Kontrolle am infinitesimalen Element zeigt, dass nur der letzte Ansatz den
richtigen Zusammenhang zwischen Spannung und Verzerrung wiedergibt.
84 5. Einfhrung in die Balkenbiegung

5.5 Erste berlegungen zu schiefer Biegung

Schiefe Biegung tritt auf, wenn sich der Balken unter der Belastung nicht nur
wie bisher in z-Richtung, sondern zustzlich auch in y-Richtung verbiegt. Es
ergeben sich die folgenden Konsequenzen:
Die Lngsdehnung im Balkenquerschnitt an der Stelle x ist nicht mehr
nur von der Querschnittskoordinate z, sondern zustzlich auch von y ab-
hngig:
= (x, y, z)

Gem dem H OOKEschen Materialgesetz gilt dasselbe auch fr die Nor-


malspannung im Balkenquerschnitt:

= (x, y, z)

Die Querschnittsebenen des Balkens sind nun doppelt geneigt:

Gerade Biegung in der xz -Ebene

y
Gerade Biegung in der xy -Ebene schiefe Biegung
z
(uberlagert)

Wie zuvor bei der ebenen Biegung beschreibt der mit dem Schnittmo-
ment My (x) assoziierte Winkel z (x) die Verdrehung des Balkenquer-
schnitts an der Stelle x gegenber dem undeformierten Querschnitt bzw.
gegenber der z-Achse. Bei der schiefen Biegung kommt nun ein zweiter
Verdrehungswinkel y (x) infolge des Schnittmoments Mz (x) hinzu, den
die Querschnittsebene mit der y-Achse einschliet. Analog zu z (x) wird
y (x) im Sinne einer Rechtsschraube in positive z-Richtung positiv ge-
zhlt, d. h., bei nach rechts zeigender x-Achse und nach unten zeigender
y-Achse im Uhrzeigersinn. Infolgedessen kann y (x) als positiver lokaler
Steigungswinkel der Balkenachse innerhalb der xy-Ebene interpretiert
werden.
Analog zu den fr die ebene Biegung abgeleiteten Gleichungen ergeben
sich im Rahmen der linearen Theorie die folgenden Beziehungen fr die
Lngsdehnung (x, y, z) und die Normalspannung (x, y, z) im Balken-
querschnitt an der Stelle x:
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 85

Box 5.12

Die beiden Gleichungen hngen ber das H OOKEsche Materialgesetz


miteinander zusammen. Das Minuszeichen vor dem jeweils letzten Term
rhrt daher, dass z (x) dem negativen, y (x) hingegen dem positiven lo-
kalen Steigungswinkel der Balkenachse innerhalb der xz- bzw. xy-Ebene
entspricht.
Wir unterscheiden zunchst zwei Flle:
1. belastungsinduzierte schiefe Biegung
Eine Superposition zweier ebener Biegungen in y- bzw. z-Richtung fhrt
zu einer schiefen Biegung:

gerader Biegungsanteil

y
z
in der xy -Ebene
Box 5.13

Dies ist der einfachste Fall von schiefer Biegung, der im Wesentlichen
durch die vorherigen Gleichungen vollstndig beschrieben wird. Die mit
der xz- bzw. xy-Ebene assoziierten Biegungsanteile sind im Folgenden
separat illustriert:
86 5. Einfhrung in die Balkenbiegung

My > 0

y z
x x

Mz > 0

z y
y

Da die y-Achse im linken Bild und die z-Achse im rechten Bild in ent-
gegengesetzte Richtungen zeigen, wirken die zugehrigen Schnittmo-
mente My (x) und Mz (x) gem Schnittuferkonvention ebenfalls in ent-
gegengesetzte Richtungen. Aus diesem Grund verdreht sich der Bal-
kenquerschnitt infolge eines positiven Schnittmoments My (x) entgegen
dem Uhrzeigersinn innerhalb der xz-Ebene und infolge eines positiven
Schnittmoments Mz (x) im Uhrzeigersinn innerhalb der xy-Ebene. Da der
Definition der Verdrehungswinkel z (x) und y (x) jedoch dieselbe Vor-
zeichenkonvention zugrunde liegt wie der Definition der Schnittmomen-
te My (x) und Mz (x), sind z (x) und My (x) gleichgerichtet, ebenso y (x)
und Mz (x). Daher lassen sich wie zuvor fr einen Balken mit rechtecks-
frmigem Querschnitt die folgenden Beziehungen ableiten, in denen kein
Minuszeichen auftritt:
My (x) Mz (x)
z (x) = bh3
y (x) = 3
E 12 E hb
12

Nach Einsetzen in den zuvor aufgestellten Zusammenhang fr die Ver-


teilung der Normalspannung (x, y, z) ergibt sich
N(x) My (x) Mz (x)
(x, y, z) = + bh3 z hb3 y
A 12 12

Wirkt im Balken keine Normalkraft, kann diese Verteilung wie folgt gra-
fisch veranschaulicht werden:

y h i
(x)max (x )max

y
z

(x)max
N

(x )max z A
x

h i
(x)max + (x )max
5. Einfhrung in die Balkenbiegung 87

Im allgemeinen Fall fhrt die Normalkraft N(x) auf einen zustzlichen,


konstanten Spannungsanteil, der mit den beiden linearen Spannungsan-
teilen infolge der Schnittmomente My (x) und Mz (x) berlagert werden
muss:

M M
N


Nulllinie

2. schiefe Biegung infolge asymmetrischer Querschnittsgeometrie


Eine ebene Belastung fhrt nicht immer zu einer ebenen Biegung, son-
dern kann bei einem Balken mit einer bezglich der Querschnittsachsen
asymmetrischen Querschnittsgeometrie auch eine schiefe Biegung ver-
ursachen.
In Abschnitt 6.3, in dem die Biegung bei beliebigen Querschnittsgeometrien
behandelt wird, werden wir sehen, dass der zweite Fall durch eine sogenannte
Hauptachsentransformation in den ersten Fall bergefhrt werden kann.

5.6 Rckblick

Bei der ebenen Biegung ergibt sich ein linearer Normalspannungsver-


lauf ber den Querschnitt:
N(x) My (x)
(x, y, z) = E0 (x) + E (x) z = + z
A Iyy

Die Normalspannungen der schiefen Biegung hngen von x, y und z ab:

(x, y, z) = E0 (x) + Ez (x) z Ey (x) y


6 Querschnittskennwerte

Bereits in den vorangegangenen Kapiteln sind wir auf spezielle Integrale ber
Querschnittsflchen gestoen. Diese wollen wir uns hier in einem etwas all-
gemeineren Rahmen noch ein mal genauer anschauen, und die daraus ge-
wonnenen Erkenntnisse zur Beschreibung der allgemeinen (schiefen) Biegung
verwenden.
Integration ber eine Flche
Service
Die Integration ber eine rechteckige Flche kann direkt aus der eindimensio-
nalen Integration abgeleitet werden:
dy

y b

dA
dz
h

Das Flchenintegral ber diesen Flchentyp ist gegeben durch:

Box 6.1

Als leichte Abwandlung kann man ebene Flchen folgenden Typs mit Hilfe von
kartesischen Koordinaten integrieren:

g(y) Dazu werden wieder mit Hilfe eines


inneren Integrals die Flchen einzel-
ner infinitesimaler Streifen berechnet
y und deren Flchen anschlieend ad-
b diert. Die resultierende Berechnungs-
formel ist fast die selbe wie fr Recht-
h(y)
ecke, nur dass jetzt die Integrations-
z grenzen des inneren Integrals von der
Integrationsvariable des ueren Inte-
grals abhngen.
90 6. Querschnittskennwerte

Service

Box 6.2

Die Integrationen mssen nicht zwingend in kartesischen Koordinaten durch-


gefhrt werden. Fr rotationssymmetrische Gebiete bzw. Funktionen sind
Polarkoordinaten eventuell wesentlich besser geeignet.
dA
dr
r r d
y d
R

Fr Kreise wird das Integral z. B. mithilfe von Polarkoordinaten berechnet:


Z Z R Z 2 
f (y, z) dA := f (y(r, ), z(r, )) r d dr
r=0 =0
Z R Z 2 
=
f (r, ) r d dr
r=0 =0

Alle weiteren momentan bentigten Flchenintegrale lassen sich durch Bewe-


gung des Koordinatensystems und geeignete Zerlegungen auf diese einfachen
Typen reduzieren. Fr eine umfassendere Behandlung von Flchenintegralen
wird an dieser Stelle auf die Mathematikvorlesung und Standardliteratur zu
diesem Thema verwiesen.

6.1 Schwerpunkt

Gegeben sei eine beliebige Flche mit Flcheninhalt A in der yz-Ebene:


yS
y

zS Z
S A= 1 dA


z
6. Querschnittskennwerte 91

Die Koordinaten des Flchenschwerpunktes lassen sich berechnen aus den


Formeln Z
A yS = y dA

Z
A zS = z dA

Die berechneten Integrale bezeichnet man auch als Flchenmomente erster


Ordnung. Liegt der Ursprung eines Koordinatensystems im Schwerpunkt, so
wird dieses als Schwerachsensystem (oft auch Schwerpunktsystem) bezeich-
net. Die zugehrigen Koordinatenachsen nennt man Schwerachsen. Ist dies
der Fall, so verschwinden die obigen beiden Integrale.
Fr die Balkenbiegung berechnen wir Flchenschwerpunkte. Die Berechnung
des Massenschwerpunktes eines homogenen ebenen Krpers konstanter
Dichte fhrt aber auf exakt die selben Ausdrcke.

Beispiele

Der Schwerpunkt eines Rechtecks


b
dA(y)
y
dA(y,z)
dz dA(z)
S
h

dy

z
Man berechnet:

Box 6.3

Vllig analog:
Z h Z b
b2 1
bh yS = y dy dz = h yS = b
z=0 y=0 2 2
92 6. Querschnittskennwerte

Der Schwerpunkt eines rechtwinkligen Dreiecks


y
dy

h0 dA(y)
dz dA
(y,z)
dA(z)

b0
z

Box 6.4

2
zS = h0
3
Z h0 Z b0 hz Z h0
1 0 1 b20 2 b20 h0
b0 h0 yS = y dy dz = 2
z dz =
2 z=0 y=0 z=0 2 h0 6
1
yS = b0
3

6.2 Flchentrgheitsmomente

Der zweite spezielle Typ von Querschnittskennwerten, die im vorhergehenden


Kapitel vorkamen, waren Flchenintegrale ber Polynome zweiten Grades. Sie
traten auf, wenn das entsprechende Biegemoment aus der Normalspannungs-
verteilung im Balkenquerschnitt berechnet wurde.
Warum dieser Querschnittskennwert so wichtig ist, sieht man alleine daran,
wenn man versucht einen Balken mit rechteckigem, aber nicht quadratischem
Querschnitt in den zwei Symmetrieebenen zu biegen:

y y

z z

x x

Je nach Richtung der Belastung unterscheidet sich die Biegesteifigkeit des


Balkens wesentlich!
6. Querschnittskennwerte 93

6.2.1 Definition

Die Flchentrgheitsmomente einer ebenen Flche (Flchenmomente zwei-


ter Ordnung) sind gegeben als:
Z
Iyy := z 2 dA

Z
Izz := y 2 dA

Z
Iyz := zy dA

Z
Izy := yz dA

Die Einheit ist [m4 ]. Es gelten folgende Bezeichnungen:

Iyy Trgheitsmomente
Izz
Iyz Deviationsmomente
Izy

Deviationsmomente spielen eine Rolle, wenn die Beanspruchung auerhalb


der Symmetrieachsen erfolgt oder wenn der Querschnitt asymetrisch ist (wie
wir spter noch sehen werden).

Es gilt die Symmetrieeigenschaft:

Iyz = Izy

Die Matrixschreibweise des Trgheitstensors bezglich der gewhlten (karte-


sischen Koordinaten-) Basis lautet:
 
Iyy Iyz
I :=
Iyz Izz

Es liegt hier ein symmetrischer Tensor zweiter Stufe vor. Solche speziellen
Ergnzung
Tensoren sind in der Mechanik sehr verbreitet (vergleiche Spannungstensor,
Verzerrungstensor, Massentrgheitstensor etc.).

Ihre Matrixdarstellung ist vom gewhlten Koordinatensystem abhngig. Des-


halb lt sie sich durch geschickte Wahl des Systems stark vereinfachen.
Besonders bedeutsam ist folgende Tatsache: Mit Hilfe einer orthogonalen
Transformation (entspricht einer Drehung des Koordinatensystemes) lsst
sich ein symmetrischer Tensor zweiter Stufe auf Diagonalform bringen.

Nutzt man diese Tatsache aus, so lassen sich viele Vorgnge vereinfachen
und zustzliche Informationen gewinnen. Wir werden diese Eigenschaft zu-
erst im Zusammenhang mit dem Flchentrgheitstensor und spter im Kapitel
Spannungstransformationen auch mit Spannungstensoren verwenden.
94 6. Querschnittskennwerte

6.2.2 Beispiel: Rechteck im Schwerachsensystem

b
dA(y)
dA(y,z)
dz dA(z)
S
h
y

z
dy

Box 6.5

Z h Z b   
2 2
2 b3 b3 hb3
Izz = y dy dz = h =
z= h2 y= 2b 38 38 12

Box 6.6

6.2.3 Flchentrgheitsmomente und Schwerpunkte einiger einfacher


Querschnittsformen

Rechteckquerschnitt:

b bh3
Iyy =
12
h
2
S h
y
hb3
Izz =
12
b
2
z Iyz = 0
6. Querschnittskennwerte 95

Rechtwinkliges Dreieck:
v bh3
b Iyy = Iuu =
36
h
3 S
y u hb3
h Izz = Ivv =
36
b
3 h2 b2
z Iyz = Iuv = Iuz = Ivy =
72

Kreis:

r 4
r Iyy =
S 4
y
r 4
Izz =
4
z Iyz = 0

Halbkreis:
r r
4r
Iyy = 0.1098 r 4
y S 3

r 4
Izz =
8
z
Iyz =0

6.2.4 Symmetrische Querschnitte

Fr symmetrische Querschnitte verschwindet das Deviationsmoment, da zu je-


dem Flchenelement dA1 ein gleich groes Flchenelement dA2 mit gleichem
z-Wert und betragsmig gleichem y-Wert mit entgegengesetztem Vorzeichen
existiert (oder umgekehrt):

y
dA1 dA2

z1 = z2

y1 y2
z Box 6.7
96 6. Querschnittskennwerte

6.2.5 Verschiebung der Bezugsachsen der Satz von S TEINER

Hufig ist das Trgheitsmoment einer Flche bezglich eines Koordinatensys-


tems mit Ursprung im Schwerpunkt bereits bekannt (Tabellenwerke). Daraus
lsst sich das Trgheitsmoment bezglich eines translatorisch verschobenen
Koordinatensystems mit Hilfe des Satzes von S TEINER berechnen, ohne die
Integration wirklich durchzufhren.
Es gelten folgende Bezeichnungen:

ys
Koordinaten des Schwerpunktes der Flche im Koordinaten-
zs system mit Ursprung O
S Schwerpunkt der Flche
y
Koordinaten eines beliebigen Punktes bezglich des Koordina-
z tensystems durch O
y
Koordinaten eines beliebigen Punktes bezglich des Koordina-
z tensystems durch S

y Es gilt (die Integralgrenzen sind gege-


bene Geometriegren, die die Form
y ys
der Querschnittsflche beschreiben):
O
y Z yl Z zu (y)
Iyy,O = z 2 dz dy
Flche zs y=yr z=zo (y)
z
y S mit
z

yl : linker Rand
yr : rechter Rand
z z zu (y) : unterer Rand
zo (y) : oberer Rand

Wir substituieren jetzt


y = ys + y, z = zs + z
6. Querschnittskennwerte 97

Damit ergibt sich fr das Integral:


Z yl Z zu (y)
Iyy,O = (zs + z)2 dz dy =
y=yr z=zo (y)
Z yl Z zu (y)
= zs2 1 dz dy +
y=yr z=zo (y)
| {z }
Flcheninhalt
Z yl Z zu (y)
+2zs z dz dy +
y=yr z=zo (y)
| {z }
Schwerpunktintegral (=0)
Z yl Z zu (y)
+ z 2 dz dy
y=yr z=zo (y)
| {z }
Flchentrgheitsmoment im Schwerachsensystem

Das erste Integral ist der Flcheninhalt. Das zweite berechnet die z-Koordinate
des Schwerpunktes im Koordinatensystem mit dem Schwerpunkt als Ur-
sprung, daher ist es Null. Das letzte Integral ist das Flchentrgheitsmoment
der Flche bezglich der y-Achse. Kurz zusammengefasst ergibt sich dem-
nach:
Iyy,O = zs2 A + Iyy,S

Berechnet man die anderen Trgheitsmomente in analoger Weise, so erhlt


man:

Eigentrgheitsmomente,
d. h. bezglich der S TEINER-Anteil
Schwerpunktachsen y und z
Iyy,O = Iyy,S + zs2 A
Izz,O = Izz,S + ys2 A
Iyz,O = Iyz,S ys zs A

In Worten:

Die Trgheitsmomente bezglich der Achsen y und z, die zu den


Schwerachsen y und z parallel sind, ergeben sich aus den Eigentrg-
heitsmomenten zuzglich der S TEINER -Anteile.

Sind umgekehrt Iyy,O , Izz,O und Iyz,O bekannt, so erhlt man die Eigentrg-
heitsmomente aus

Eigentrgheitsmomente S TEINER-Anteil
Iyy,S = Iyy,O zs2 A
Izz,S = Izz,O ys2 A
Iyz,S = Iyz,O + ys zs A
98 6. Querschnittskennwerte

Vergleicht man verschiedene parallelverschobene Achsensysteme, so neh-


men die Trgheitsmomente fr das Achsensystem, das durch den Schwer-
punkt S verluft, die kleinsten Werte an.

6.2.6 Zusammengesetzte Querschnitte

Zusammengesetzte Querschnitte behandelt man mit dem klassischen divide


and conquer Konzept. Die Querschnittsflche wird in Teilflchen zerlegt, de-
ren Schwerpunkte und Trgheitsmomente bezglich paralleler Achsen durch
die Schwerpunkte bereits bekannt sind (Tabellenwerk wie oben, einfache Inte-
gration).

A1 S1
dA1
zs,1
S
zs,2 y
S2
dA2
A2

z
ys,2 ys,1

Anschlieend addiert man alle Teilflchenanteile und die zugehrigen


S TEINER -Anteile einfach auf (die Linearitt des Integrals machts mglich).
In obigem Beispiel hat man zum Beispiel

Box 6.8

Allgemein gilt fr n Teilflchen die Formel:


n
X n
X
2
Iyy = Iy i y i + zs,i Ai
i=1 i=1
n
X n
X
2
Izz = Iz i z i + ys,i Ai
i=1 i=1
n
X n
X
Iyz = Iy i z i ys,i zs,i Ai
i=1 i=1
6. Querschnittskennwerte 99

6.2.7 Drehung der Bezugsachsen

Definition: Hauptachsen

Es existiert immer ein Koordinatensystem, in dem die Deviationsmomente ver-


schwinden. Dieses wird als Hauptachsensystem bezeichnet, die zugehrigen
Koordinatenachsen als Hauptachsen.
Bei Querschnitten mit einer Symmetrieachse ist die Symmetrieachse gleich-
zeitig Hauptachse.
Im Rahmen der TMII ist ein Hauptachsensystem immer gleichzeitig Schwer-
achsensystem, d. h. der Koordinatenursprung liegt im Schwerpunkt.

Drehung der Bezugsachsen

Die Bezugsachsen ~ey , ~ez werden in mathematisch positiver Richtung um den


Winkel gedreht. Die neuen Koordinatenachsen werden mit ~e , ~e bezeichnet.

Box 6.9

Ein Punkt P sei gegeben durch die Koordinaten y, z im Ausgangskoordinaten-


system. Dem Bild entnimmt man die folgende Umrechnungsvorschrift:

Box 6.10

Auflsen nach den neuen Koordinaten liefert

= y cos + z sin

= y sin + z cos
100 6. Querschnittskennwerte

Damit ergibt sich beispielhaft fr das Trgheitsmoment I :

Box 6.11

Berechnet man analog die weiteren Trgheitsmomente, so erhlt man folgende


Transformationsvorschrift:

I = sin2 Izz + (2 cos sin ) Iyz + (cos2 ) Iyy

I = (cos2 ) Izz (2 cos sin ) Iyz + sin2 Iyy

I = cos2 sin2 Iyz cos sin (Iyy Izz )

Aus der letzten Zeile lsst sich folgern, dass fr einen Querschnitt, der Iyy = Izz
und Iyz = 0 erfllt, folgendes gilt: Jedes beliebige Schwerachsensystem ist
Hauptachsensystem, da stets das Deviationsmoment I verschwindet.

Die obige Transformation lautet in Matrixschreibweise


Ergnzung
       
I I cos sin Iyy Iyz cos sin
=
I I sin cos Iyz Izz sin cos

Kurz (symbolische Schreibweise):

I = T T I yz T

Die orthogonalen Transformationsmatrizen sind die beiden zueinander in-


versen Drehmatrizen (Drehung um ). Wird geeignet gewhlt, so kann
man den transformierten Trgheitstensor auf Diagonalgestalt bringen, was der
Hauptachsentransformation entspricht.
6. Querschnittskennwerte 101

Hauptachsentransformation

Nun mchte man das neue Koordinatensystem gezielt so whlen, dass das
Deviationsmoment I verschwindet:
 !
I = cos2 sin2 Iyz cos sin (Iyy Izz ) = 0
cos2 sin2 Iyy Izz
=
cos sin Iyz
Wegen
cos 2 = cos2 sin2
und
sin 2 = 2 cos sin
ergibt sich die Gleichung
2Iyz
tan 2 = ,
Iyy Izz
die nach dem Winkel aufgelst werden kann. Dreht man das ursprngliche
Koordinatensystem yz in mathematisch positivem Drehsinn um diesen Win-
kel, resultiert das Hauptachsensystem , bezglich dessen das Deviations-
moment I definitionsgem verschwindet. Gleichzeitig nehmen die beiden
Haupttrgheitsmomente I und I Extremalwerte an. Dies sieht man durch
Differenzieren der Transformationsvorschriften
 
I = sin2 Izz + (2 cos sin ) Iyz + cos2 Iyy
 
I = cos2 Izz (2 cos sin ) Iyz + sin2 Iyy
nach und anschlieendem Nullsetzen der Ableitungsfunktionen, wodurch
sich in beiden Fllen genau die vorherige Gleichung fr tan 2 ergibt.
Aufgrund der -Periodizitt der Tangensfunktion kann der Winkel nicht ein-
deutig bestimmt werden. Ausgehend von einer Lsung fr erhlt man unend-
lich viele weitere Lsungen durch Addieren oder Subtrahieren von Vielfachen
von 2 :
tan(2)
3
4 4

2Iyz
Iyy Izz

Anschaulich bedeutet dies, dass ein Hauptachsensystem durch eine Drehung


um ein Vielfaches von 90 wiederum in ein Hauptachsensystem bergeht.
Beschrnkt man den Drehwinkel jedoch auf den Bereich von 4 bis 4 ,
der mit dem primren Tangens-Ast assoziiert ist, erhlt man ein eindeutiges
Hauptachsensystem mit I = Imax > Imin = I im Falle von Iyy > Izz und
I = Imin < Imax = I im Falle von Iyy < Izz .
Weiterhin gelten die folgenden Tatsachen:
102 6. Querschnittskennwerte

Die Haupttrgheitsrichtungen sind Eigenvektoren einer symmetrischen


Matrix und stehen somit immer senkrecht aufeinander.
Eine Hauptachse ist stets mit dem maximalen Flchentrgheitsmoment
Imax , die andere Hauptachse mit dem minimalen Flchentrgheitsmo-
ment Imin des Querschnitts assoziiert. Unter Verwendung trigonometri-
scher Theoreme kann die folgende Formel hergeleitet werden:
s 2
Iyy + Izz Iyy Izz 2
Imax/min = + Iyz
2 2

Diese Aussagen lassen sich direkt auf die maximale/minimale Biegestei-


figkeit EImax/min eines Balkenquerschnitts bertragen.

Verdeutlichung am Beispiel:

Fr den folgenden Querschnitt gilt t << a und deshalb lassen sich smtliche
Eigentrgheitsmomente, in denen der Faktor t3 auftritt (d. h. jene der beiden
horizontalen Abschnitte), vernachlssigen.
Trgheitsmomente des yz-Systems:

t << a a
y 1
S

2 a

Box 6.12
6. Querschnittskennwerte 103

6.3 Biegung bei beliebigen Balkenquerschnitten

Mit den bisher gewonnenen Ergebnissen sehen wir, dass wir in den zuvor be-
trachteten Beispielen zur ebenen Biegung immer Hauptachsensysteme als Ko-
ordinatensysteme hatten. Nun werden wir die Biegung im allgemeinen Koordi-
natensystem formulieren.

Normalspannungsverlauf der allgemeinen Biegung (S WAINsche Formel)

Gebogen werde jetzt ein Balken beliebigen Querschnitts. Die Momentenbilanz


an einer Querschnittsflche lautet:
Z
My (x) = z (x, y, z) dA
Querschnitt
Z
Mz (x) = y (x, y, z) dA
Querschnitt

Mit dem aus der Kinematik ber das Materialgesetz gewonnenen Ausdruck
(x, y, z) = E0 (x) + Ez (x) z Ey (x) y
fr die Normalspannung (x, y, z) erhlt man

Box 6.13

Z Z
Mz (x) = E0 (x) y dA + Ez (x) yz dA
Querschnitt
Z Querschnitt

Ey (x) y 2 dA
Querschnitt

Verwendet man ein Koordinatensystem im Flchenschwerpunkt, verschwindet


jeweils das erste Schwerpunktsintegral und es ergeben sich die Formeln fr
die allgemeine Biegung:

Box 6.14
104 6. Querschnittskennwerte

In Matrixschreibweise:
     
My (x) Iyy Iyz z (x)
=E
Mz (x) Iyz Izz y (x)

Invertieren bzw. Auflsen nach den Winkelableitungen liefert:


     
z (x) 1 1 Izz Iyz My (x)
=
y (x) 2
E Iyy Izz Iyz Iyz Iyy Mz (x)

1 (Izz My (x) Iyz Mz (x))


z (x) = 2
E Iyy Izz Iyz
1 (Iyy Mz (x) Iyz My (x))
y (x) = 2
E Iyy Izz Iyz

Setzt man diese Ergebnisse in den Ausdruck fr die Spannung ein und berck-
sichtigt zustzlich die Dehnung der neutralen Faser infolge Normalspannung,
so ergibt sich die S WAINsche Formel:

Box 6.15

Es sei hier ausdrcklich darauf hingewiesen, dass die S WAINsche Formel nur
im Schwerachsensystem gilt (siehe Annahme in der Herleitung weiter oben).

Die S WAINsche Formel im Hauptachsensystem

Ist das gewhlte Koordinatensystem ein Hauptachsensystem, so vereinfacht


sich die eben ermittelte Formel wesentlich. Es ergibt sich die S WAINsche For-
mel im Hauptachsensystem:

Box 6.16

In Worten formuliert lautet dieses Ergebnis:

Im Hauptachsensystem ergibt sich die Normalspannung durch eine li-


neare Superposition der Spannungsanteile infolge Dehnung und zwei-
er gerader Biegungen um die Hauptachsen.
6. Querschnittskennwerte 105

Dies erklrt im brigen auch, wie es bei einer Momentenbelastung um ei-


ne Achse trotzdem zu einer schiefen Biegung kommen kann, nmlich genau
dann, wenn das Koordinatensystem kein Hauptachsensystem ist.

Verdeutlichung der S WAINschen Formel anhand eines Beispiels:

Gegeben sei ein Balken mit dem folgenden z-frmigen Querschnittsprofil, der
ausschlielich durch ein Biegemoment in y-Richtung belastet wird. Es soll die
daraus resultierende Verteilung der Normalspannung (x, y, z) ber den Quer-
schnitt betrachtet werden. Gem der S WAINschen Formel ist diese Verteilung
in z-Richtung linear vernderlich. Wrde es sich beim eingezeichneten Koordi-
natensystem um ein Hauptachsensystem handeln, wre die Normalspannung
in y-Richtung konstant und es ergbe sich der folgende qualitative Spannungs-
verlauf:

y
S

z
Box 6.17

Offensichtlich kann dieser Spannungsverlauf nicht der tatschliche sein, da


er mit einem Schnittmoment um die z-Achse verbunden wre, gem Annah-
me jedoch ausschlielich ein Schnittmoment um die y-Achse wirken darf. Das
Schnittmoment um die z-Achse kann durch eine weitere Spannungsverteilung
reprsentiert werden, die nun in y-Richtung linear vernderlich ist und im Fol-
genden separat skizziert wird:
106 6. Querschnittskennwerte

y
S

Box 6.18

Der wahre qualitative Spannungszustand ergibt sich durch eine Subtraktion


der zweiten Spannungsverteilung von der ersten, wodurch das Schnittmoment
um die z-Achse eliminiert wird:

y
S

z Nulllinie
Box 6.19

Man beachte, dass sich dieser endgltige, sowohl in y- als auch in z-Richtung
linear vernderliche Spannungszustand infolge eines ausschlielich in y-
Richtung aufgebrachten Biegemoments eingestellt hat. Dies spiegelt sich in
der allgemeinen S WAINschen Formel fr My (x) 6= 0, Mz (x) = 0 und Iyz 6= 0
wider. Das verwendete Koordinatensystem stellt also kein Hauptachsensys-
6. Querschnittskennwerte 107

tem dar und aufgrund des nichtverschwindenden Deviationsmoments Iyz 6= 0


resultiert aus einer ebenen Belastung durch das Biegemoment in y-Richtung
schlussendlich eine schiefe Biegung.

6.4 Rckblick

Definition des Flchenschwerpunktes:


  Z  
yS 1 y
= dA
zS A A z

Definition der Flchentrgheitsmomente:


Z Z Z
2
Iyy = z dA Izz = y 2 dA Iyz = yz dA
A A A

Der Satz von S TEINER erlaubt die Verschiebung der Bezugsachsen bei
der Berechnung von Flchentrgheitsmomenten.

Iyy,O = Iyy,S + zs2 A


Izz,O = Izz,S + ys2 A
Iyz,O = Iyz,S ys zs A

Es existieren immer Hauptachsensysteme, in denen das Deviationsmo-


ment Iyz verschwindet. Der Trgheitstensor kann durch Drehung um den
Winkel in dieses System transformiert werden. Dabei bestimmt man
aus
2Iyz
tan 2 =
Iyy Izz

Jede schiefe Biegung unter Normalkrafteinfluss ergibt sich aus einer li-
nearen berlagerung von Dehnung und zweier gerader Biegungen um
die Hauptachsen. Es stellt sich ein linearer Verlauf der Normalspannun-
gen ber den Querschnitt ein, der bzgl. eines Schwerachsensystems
durch die S WAINsche Formel beschrieben wird:
N(x) Izz My (x) Iyz Mz (x) Iyy Mz (x) Iyz My (x)
(x, y, z) = + 2
z 2
y
A Iyy Izz Iyz Iyy Izz Iyz

In einem Hauptachsensystem vereinfacht sich diese Formel zu

N(x) My (x) Mz (x)


(x, y, z) = + z y
A Iyy Izz

Bei nichtverschwindendem Deviationsmoment kann eine ebene Belas-


tung zu schiefer Biegung fhren.
7 Schubspannungen unter
Querkrafteinfluss

In diesem Kapitel werden prismatische Balken im Hauptachsensystem be-


trachtet. Wir wollen uns nun nicht mehr auf die Untersuchung des Einflusses
von Momentenwirkungen beschrnken, sondern wollen die Wirkung von Quer-
krften untersuchen. Im ganzen Kapitel beschrnken wir uns dazu auf ebene
Belastungen.

7.1 Das Auftreten von Schubspannungen infolge Querkraft

Am Anfang dieses Kapitels steht eine einfache Beobachtung. Ein Stapel ideal
glatter Bretter wird beidseitig gelagert und durch ein Gewicht in der Mitte be-
lastet. Einmal wird der Bretterstapel lose aufeinander gelegt, das andere mal
werden die Bretter fest verbunden (z. B. zusammengenagelt oder geklebt). Wir
stellen fest, dass sich die Bretter beim losen System gegeneinander verschie-
ben, whrend das zusammengefgte System als Ganzes abtrgt und somit
durch die Unterdrckung des Gleitens zwischen den Brettern die Durchsen-
kung reduziert ist.
F
F

Box 7.1

Wir folgern daraus, dass an der Abtragung der Belastung im zusammengefg-


ten System Spannungen zwischen den Bretterebenen beteiligt sein mssen.
110 7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss

z
Seitenansicht
Box 7.2

Die Wirkungsrichtung zeigt, dass es sich hierbei um Schubspannungen han-


deln muss:
zx 6= 0

Das Nageln, Kleben bzw. Schweien ermglicht eine bertragung des Schu-
bes zwischen den Lagen. An dieser Stelle sei noch einmal an die Konvention
fr die Richtung der positiven Schubspannung am positiven bzw. negativen
Schnittufer erinnert.
Zu den Schubspannungen zwischen den Brettern gehren, wie wir bereits im
einfhrenden Kapitel ber Spannungen gesehen haben, assoziierte Schub-
spannungen. Man bestimmt sie ber ein Momentengleichgewicht am infinite-
simalen dreieckigen Element:
dx dx
2 2

dz
P 2

dz
x 2
z
Box 7.3

Also treten auch in der yz-Querschnittsebene Schubspannungen auf:


xz = zx 6= 0

Erinnern wir uns an die Tatsache, dass Schnittgren stets Resultierende von
Spannungen sind, so kann man die Querkraft Q mit den Schubspannungen xz
in Beziehung setzen:

x
dA
xz
z
Box 7.4
7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss 111

Diese Beziehung besagt noch nichts ber den Verlauf der Schubspannung
ber den Querschnitt. Erste Aussagen ber den Verlauf kann man aber bereits
mit Hilfe der assoziierten Schubspannungen machen, wenn man bercksich-
tigt, dass diese auf der Auenseite der Randflchen des Balkens verschwin-
den mssen (freier, unbelasteter Rand!).

Q
Box 7.5

In dem Beispiel eines Rechtecksquerschnittes ist auf dem oberen Rand des
Querschnittes demnach
zx = xz = 0
Genauso kann man an den Seitenkanten folgern:
yx = xy = 0

Beachte, dass man diese Aussage fr die dazu senkrechten Schubspannun-


gen nicht machen kann, da die assoziierten Schubspannungen nicht auf den
Rand des Balkens sondern in seinem Inneren wirken.

Wir knnen sogar verallgemeinern: An ei-


nem freien Rand verschwindet die Normal- y

komponente der Schubspannung im Quer-


schnitt. Die Schubspannung verluft na-
he am Rand beliebiger Querschnittsfor-
men immer parallel zur Berandung. Das
Bild rechts zeigt qualitativ den Verlauf der
Schubspannung in einem Kreisquerschnitt: z
Box 7.6

Annahmen ber die Schubspannungen im Rahmen der technischen


Biegelehre

Um den Verlauf der Schubspannung ber den Querschnitt zumindest nhe-


rungsweise zu berechnen, sind in der technischen Biegelehre folgende Zu-
satzannahmen gebruchlich:
1. Wirkt die Querkraft Q(x) im Balken in z-Richtung, tritt im Balkenquer-
schnitt nur die Schubspannung xz auf. Die Schubspannung xy wird so-
mit vernachlssigt.
112 7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss

Beim Rechtecksquerschnitt ist diese Annahme tatschlich erfllt, bei run-


den Querschnittsformen wird sie sichtlich verletzt (siehe vorheriges Bild).
2. Die Schubspannung xz wird in y-Richtung, d. h., ber die Breite des Bal-
kenquerschnitts, als konstant angenommen:

Box 7.7

Auch diese Annahme ist nicht uneingeschrnkt gltig. Berechnet man


zum Beispiel die Schubspannungsverteilung in einem Rechtecksquer-
schnitt mit den Methoden der Kontinuumsmechanik (lineare Elastizitts-
theorie), so ergeben sich Verlufe der folgenden Form:
b

h
b
2

h
2

h
2

h
2

Box 7.8

Die Abweichung vom konstanten Verlauf ist umso deutlicher, je gedrun-


gener der Balken ist, d. h., je grer die Breite b des Balkenquerschnitts
im Vergleich zu seiner Hhe h ist.
Konsequenz: Die hier berechnete Schubspannung ist nicht als Schubspan-
nungsverteilung im eigentlichen Sinne zu verstehen, sondern als gemittelte
Schubspannung ber die Breite eines Querschnittsstreifens in y-Richtung.

7.2 Verlauf der (gemittelten) Schubspannungen

Wir betrachten jetzt einen symmetrischen Balken mit Hauptachsensystem im


Schwerpunkt. Es gelten folgende Bezeichnungen:

b (z) Balkenbreite in Abhngigkeit von der z-Koordinate


h0 z-Koordinate des obersten Balkenpunktes
hu z-Koordinate des untersten Balkenpunktes
7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss 113

Schneidet man eine Scheibe der Dicke dx aus dem Balken an der Stelle x
heraus und macht dann einen zweiten, horizontalen Schnitt, so ergibt sich
folgendes Bild (Es sind nur die bilanzierten Schnittgren und -spannungen
eingezeichnet. Beachte, dass die Richtungen der Spannungspfeile gem der
Vorzeichenkonvention festgelegt sind.):

A
d
+ dx dx

M dM
M+ dx dx
M
S
dM
M+ dx dx x

y x

z z dx
Box 7.9

Das Biegemoment fhrt zu einem linearen Normalspannungsverlauf ber den


Querschnitt. Aus einem horizontalen Krftegleichgewicht am dunkelgrauen Be-
reich ergibt sich:

Box 7.10

Die S WAINsche Formel im Hauptachsensystem (vorangegangenes Kapitel) er-


gibt unter Bercksichtigung von Mz 0, N 0 den Zusammenhang

M(x)
(x, z) = z
Iyy

Bercksichtigt man die noch aus der TM I bekannte Tatsache, dass

M (x) = Q(x)

folgt
114 7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss

Box 7.11

Dies liefert eine Formel zur Berechnung des Schubes aus der Querkraft:

Box 7.12

Mit den soeben eingefhrten Abkrzungen erhlt man

Q(x) Q(x)
zx (x, z) = s (z)A (z) = S(z)
b(z)Iyy b(z)Iyy

Bei s handelt es sich offenbar um die z-Koordinate des Flchenschwerpunk-


tes der in der yz-Ebene liegenden, dunkelgrauen Teilflche A bezglich des
Hauptachsensystems im Schwerpunkt des Gesamtquerschnitts. Die Abkr-
zung Z
S(z) = s (z)A (z) = z dA
A

wird in der Standardliteratur zur technischen Biegelehre als statisches Moment


der Teilflche A bezeichnet.
An dieser Stelle soll erneut darauf hingewiesen werden, dass auch obige For-
mel fr zx nur in einem Hauptachsensystem gilt.

7.3 Beispiel: Schubspannungsverlauf am Balken mit Recht-


ecksquerschnitt

Zur Illustration nehmen wir jetzt einen rechteckigen Querschnitt konstanter


Breite b und konstanter Hhe h. Die obige Formel wird dann zu
7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss 115

Box 7.13

Kurz:
   
Q (x) h2 2 Q (x) h2 2
zx (x, z) = z = 3 z
2 Iyy 4 2 bh
12
4
 
3 Q (x) 4z 2
= 1 2
2 bh h

Es ergibt sich also ein parabolischer Verlauf des Schubes ber die Quer-
schnittshhe. Er verschwindet an beiden Berandungen. (dies ist auch not-
wendig, da die assoziierten tangentialen Schubspannungen am freien Rand
verschwinden mssen). Das Maximum wird bei z = 0 angenommen, der Ma-
ximalwert ist
3 Q (x)
max =
2 bh

max
max Q A

y x N
z

7.4 Grenabschtzung fr die Schubspannungen am Bal-


ken

Bezeichne kMk den maximalen Wert des Biegemomentes und kQk den ma-
ximal auftretenden Wert der Querkraft im Balken. Mit der Balkenlnge L gilt
dann folgende Relation:
116 7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss

Box 7.14

(sprich: kMk ist in der Grenordnung von LkQk)


Fr die Spannungen x und xz gelten folgende Gleichgewichtsbeziehungen
(A bezeichnet hier wie blich die Querschnittsflche, h ist ihre Hhe):
Z Z
Q(x) = xz dA M(x) = x z dA
A A

Wir knnen also folgende Abschtzungen fr die Spannungen machen:

Box 7.15

Es resultiert:

Box 7.16

Bei langen, schlanken Balken dominieren demnach die Normalspannungen


im Balken. Bei speziellen Problemstellungen knnen die Schubspannungen
trotzdem von Bedeutung sein, selbst wenn sie im Vergleich zu den Normal-
spannungen klein sind und sich nicht wesentlich in der Verformung des Bal-
kens uern. Beispiele sind Schweinhte an gestckelten Stahlprofilen oder
hlzerne Balken, die besonders empfindlich auf Schub in Faserrichtung rea-
gieren.
7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss 117

Schweinaht

Ihrer Bemessung muss auch eine Betrachtung des Schubspannungsverlaufes


ber den Querschnitt zugrunde liegen.

7.5 Der Einfluss des von uns berechneten Schubes auf die
Deformation infinitesimaler Elemente

Durch den Schub erfahren die infinitesimalen Elemente eine zustzliche Defor-
mation. Aufgrund der komplexen Schubspannungsverteilung und 3D-Effekten
sieht die tatschliche Verformung einer Querschnittsebene des Balkens in et-
wa wie folgt aus:

xz (z)

Die Querschnitte bleiben demnach in der Realitt nicht eben, und noch dazu
verdrehen sie sich im Mittel auch noch gegenber der Balkenachse!

Mngel unseres bisherigen Balkenmodells

Der B ERNOULLI-Balken ignoriert diese Schubverformung (siehe B ERNOULLI-


Annahmen in Kapitel 5). Dies ist der Grund, warum er hufig als schubstarres
Balkenmodell bezeichnet wird.

Schubweiche Balken nach T IMOSHENKO

Um in einem ersten Modell die Schubverformung mit zu bercksichtigen ver-


zichtet man auf die zweite B ERNOULLIsche Annahme, dass die Querschnitt-
118 7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss

sebenen senkrecht auf der Mittellinie des gebogenen Balkens stehen. Dieses
Balkenmodell ist nach S TEPAN P ROKOFYEVICH T IMOSHENKO (18781972) be-
nannt und wird hufig als schubweicher Balken bezeichnet. Diese Modellie-
rung des Balkens ist zwar komplexer, bietet aber speziell im Hinblick auf die
numerische Simulation von Balken einige Vorteile.
Fr den T IMOSHENKO-Balken wird weiterhin angenommen, dass die Quer-
schnitte eben bleiben, aber es werden nun Verdrehungen der Querschnittsebe-
nen gegen die Normale auf die Balkenachse zugelassen:
xz (x)
w (x)

Q (x) Q (x)

z
(x)

dx
Box 7.17

Aus der Zeichnung entnimmt man, dass fr die mittlere Schubverformung


(Gleitung) eines infinitesimalen Elementes gilt:

Box 7.18

(Vergleiche dazu das einfhrende Kapitel ber Verzerrungen)


xz kann man nun ber das Hookesche Gesetz mit der Schubspannung xz in
Verbindung bringen. Wir mssen dazu (wegen der konstanten Gleitung) aber
eine konstante Schubspannung annehmen:
Q
xz :=
A

Der dadurch erzeugte Fehler wird in einem empirisch ermittelten Schubkorrek-


turfaktor aufgefangen:
xz = G xz
7. Schubspannungen unter Querkrafteinfluss 119

Damit erhlt man als Formel fr den schubweichen Balken:

Box 7.19

Fr den Rechtecksquerschnitt betrgt obiger Korrekturfaktor zum Beispiel


6
=
5

Demnach ist die mittlere Scherung hier um 20 Prozent grer als die Sche-
rung, die man bei konstanter Schubspannungsverteilung erhalten wrde. Eine
genaue Herleitung dieses Ergebnisses fr den Rechtecksquerschnitt auf der
Basis von Energiebetrachtungen folgt in Kapitel 9.2.1.

7.6 Rckblick

Die ber die Breite gemittelten Schubspannungen im Balken lassen sich


in guter Nherung ber die folgende Formel berechnen:
Z z
Q(x)
zx (x, z) = z b(z) dz
b(z) Iyy h0
| {z }
=: s (z)A (z) =: S(z)

Fr diese Formel wurde ein Hauptachsensystem vorausgesetzt.

Fr klassische Querschnittsformen wie Rechteck, Dreieck und Kreis


stellt sich ein parabolisches Schubspannungsprofil ein.
8 Biegelinie des Balkens

Ausgangspunkt fr dieses Kapitel sind die beiden bereits frher bei der Her-
leitung der S WAINschen Formel gewonnenen Zusammenhnge zwischen den
Neigungswinkeln der Querschnitte und den Biegemomenten:

1 (Izz My (x) Iyz Mz (x))


z (x) = 2
E Iyy Izz Iyz
1 (Iyy Mz (x) Iyz My (x))
y (x) = 2
E Iyy Izz Iyz

Wir werden diese Zusammenhnge nun verwenden, um die Biegelinie w(x)


des Balkens abzuleiten, indem wir die Winkelableitungen mit der Biegelinie in
Bezug bringen.

8.1 Differentialbeziehungen des schubstarren Biegebalkens

Dieses Kapitel betrachtet wie blich kleine Deformationen. Es gilt also die
Kleinwinkelnherung
tan fr 1

8.1.1 Die geometrische Beziehung zwischen dem Drehwinkel der Quer-


schnittsebene und der Biegelinie

Fr schubstarre Balken stehen die Querschnitte immer senkrecht auf der Bie-
gelinie. Im folgenden, ebenen Beispiel

(x)

w(x)
x
(x)

gilt deshalb
122 8. Biegelinie des Balkens

Box 8.1

Es soll daran erinnert werden, dass der Verdrehungswinkel (x) im Sinne einer
Rechtsschraube in positive y-Richtung positiv gezhlt wird und infolgedessen
als negativer Steigungswinkel der Biegelinie w(x) an der Stelle x interpretiert
werden kann.
Fr das Beispiel der rumlichen Biegung

z z

x My
wz (x)

Mz
wy (x)
y
x
y z
y

gilt analog

Box 8.2

8.1.2 Die Differentialgleichung fr die Biegelinie

Zusammenhang von Biegelinie und Schnittmoment

Im Fall der ebenen Biegung lautete der Zusammenhang zwischen Moment und
Verdrehungswinkel der Querschnittsebenen bekanntlich
M(x)
(x) =
EI

Zusammen mit dem soeben aufgestellten Geometriezusammenhang ergibt


sich der Zusammenhang zwischen Biegelinie und Moment bei der ebenen Bie-
gung:
8. Biegelinie des Balkens 123

Box 8.3

Die Krmmung der Biegelinie am Punkt x ist somit direkt proportional zum
Schnittmoment an dieser Stelle.
Entsprechend liefern die zu Beginn dieses Kapitels zitierten, bei der Herleitung
der S WAINschen Formel gewonnenen Zusammenhnge im Fall der schiefen
Biegung die folgenden Gleichungen:

wy (x) = y (x) =

1 (Iyz Mz (x) Izz My (x))


wz (x) = z (x) = 2
E Iyy Izz Iyz
Box 8.4

Im Hauptachsensystem vereinfacht sich dies zu

wy (x) = y (x) =

My (x)
wz (x) = z (x) =
EIyy
Box 8.5

Schiefe Biegung infolge einer ebenen Belastung

Die Schnittmomente eines Balkens seien My (x) 6= 0 und Mz (x) = 0. Das


Koordinatenssystem sei aber kein zum Querschnitt gehrendes Hauptachsen-
system, sondern es gelte Iyz 6= 0. Dann folgt fr die Krmmung bzw. zweite
124 8. Biegelinie des Balkens

Ableitung der Biegelinie:

1 Iyz My (x)
wy (x) = 2
E Iyy Izz Iyz
1 Izz My (x)
wz (x) = 2
E Iyy Izz Iyz

Daran sieht man noch einmal in aller Deutlichkeit, dass der Balken, obwohl
man nur in einer Richtung ein Moment aufbringt, sich in diesem Fall in beide
Raumrichtungen verbiegt.

Die Differentialgleichung fr die Biegelinie des B ERNOULLI-Balkens bei


ebener Biegung

Durch zweimaliges Differenzieren erhlt man wegen der aus der TM I bekann-
ten Differentialbeziehungen
)
M (x) = Q(x)
M (x) = q(x)
Q (x) = q(x)

fr die ebene Biegung mit EI = const. die Differentialgleichung der Biegelinie:

Box 8.6

Diese Differentialgleichung beschreibt zusammen mit geeigneten Randbedin-


gungen (freie Enden, Einspannungen etc.) die Biegelinie.
An dieser Stelle ist zu beachten, dass das Differenzieren nur bei glatten Ver-
lufen mglich ist. Werden an einem Balken Einzelmomente und Einzellasten
aufgebracht, so ist die Differentialgleichung nur abschnittsweise gltig. Die Ein-
zelabschnitte sind ber entsprechende Kopplungsbedingungen untereinander
zu koppeln.
8. Biegelinie des Balkens 125

Zusammenfassung der physikalischen Bedeutungen der Ableitungen

Insgesamt erhlt man Gleichungen fr folgende Gren:

w (x) Biegelinie

w (x) = (x) Verdrehungswinkel

EI w (x) = M (x) Moment

EI w (x) = Q (x) Querkraft

EI w IV (x) = q (x) verteilte Last

Die Randbedingungen an die Ableitungen der Biegelinie knnen deshalb unter


anderem aus Randmomenten etc. gewonnen werden.
Aus den wichtigsten Lagerungsarten ergeben sich beispielsweise folgende
Randbedingungen:

Lager kinematische statische


Randbedingungen Randbedingungen
w w M Q

gelenkiges Lager

Parallelfhrung

Einspannung 0 0 6= 0 6= 0

freies Ende

Box 8.7

Berechnung der Biegelinie durch Integration

Die Differentialgleichung kann durch schrittweise Integration unter Verwen-


dung geeigneter Integrationskonstanten gelst werden. Letztere sind aus den
Randbedingungen zu ermitteln.
126 8. Biegelinie des Balkens

8.1.3 Anwendungsbeispiel: Die Biegelinie eines statisch unbestimmten


Systems

Gegeben sei folgendes einfach statisch unbestimmte System:

q0

A B

x
L

Fr den Balken gelte EI = const.


Integration der Differentialgleichung

EI w IV (x) = q0

liefert:
EIw (x) = Q (x) = Q (0) q0 x

Box 8.8

 
1 x2 x3
w (x) = (x) = (0) + M (0) x + Q (0) q0
EI 2 6
1 h x2 x3 x4 i
w (x) = w (0) (0) x M (0) + Q (0) q0
EI 2 6 24
Es gelten folgende vier Randbedingungen:

Box 8.9
8. Biegelinie des Balkens 127

Die Biegelinie reduziert sich also sofort zu


 
1 x3 x4
w(x) = (0) x Q(0) q0
EI 6 24

Die verbleibenden Integrationskonstanten lassen sich durch Einsetzen der


Stelle L bestimmen:

Box 8.10

 
1 L2 L3
0 = w (L) = (0) Q(0) q0
EI 2 6

Diese zwei Gleichungen liefern ein lineares Gleichungssystem fr die beiden


Unbekannten Q (0) und (0). Auflsen ergibt:

q0 L3
(0) =
48EI
3
Q(0) = q0 L
8

Dies fhrt zu folgendem Endergebnis fr die Biegelinie:

q0 L3 3q0 L q0 q0  3 
w(x) = x x3 + x4 = L x 3L x3 + 2 x4
48EI 48EI 24EI 48EI

Den Verlauf zeigt folgendes Bild:

0
x

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass diese Lsung nur fr kleine Deforma-
tionen gltig ist, da die Herleitung der Differentialgleichung der Biegelinie auf
dieser Annahme beruht.
128 8. Biegelinie des Balkens

8.2 Biegelinien von schubweichen Balken

Nachdem wir nun in der Lage sind, die Biegelinie des schubstarren Balkens
fr kleine Deformationen vollstndig zu beschreiben, wollen wir im Folgenden
den Einfluss des Schubes auf die Biegelinie beleuchten.

Allgemeine berlegungen zur Biegelinie

Wir haben fr den schubweichen Balken bereits die folgende Gleichung abge-
leitet (Deformation des Balkenelementes mit Schub):
Q(x)
w (x) = (x) +
GA

Differenzieren dieses Ausdruckes fhrt mit der bekannten Formel fr die Win-
kelnderung
M(x)
(x) =
EI
zur Differentialgleichung
M(x) q(x)
w (x) =
EI GA

Diese kann durch Integration mit geeigneten Randbedingungen gelst werden.


Durch die Gestalt der rechten Seite sieht man weiter, dass die tatschliche Bie-
gelinie (nach dem T IMOSHENKO -Modell) sich additiv in einen Anteil aus schub-
starrer Biegung und einen Anteil aus Schub zerlegen lsst:

w(x) = wB (x) + wS (x)

Beispielrechnung

Als einfaches Beispiel kann man die Verformung eines Kragtrgers (quadrati-
4
scher Querschnitt, I = a12 , Elastizittsmodul E, Schubmodul G) unter einer am
Balklenende aufgebrachten Einzellast berechnen:

Q (x)
F
M (x)

F L

Moment und Querkraft sind bei diesem statisch bestimmten System sofort be-
rechenbar.
8. Biegelinie des Balkens 129

Die kinematischen Randbedingungen lauten:

Box 8.11

Vorsicht: Trotz der festen Einspannung gilt hier wegen der Schubverformung
w (0) 6= 0!
Mit der ersten Randbedingung ergibt sich:

Box 8.12

und somit 2
Lx x2 F 2Lx x2 F
w (x) = F+ 2
= 6 4
F+
EI Ga Ea Ga2
Nochmaliges Integrieren liefert unter Verwendung der zweiten Randbedingung
Z 3
x
Lx2 x3 F
w(x) = w(0) + w (x) dx = 6 4
F+ 2
x
|{z}
=0
0 | Ea {z } |Ga
{z }
Biegeanteil wB Schubanteil wS
130 8. Biegelinie des Balkens

3
Lx2 x F x
wB (x) = 6 Ea4 3 F wS (x) = Ga 2

Box 8.13

Die tatschliche Biegelinie ist nun die berlagerung der beiden Anteile.
Um den Einfluss der Schubdeformation an diesem Beispiel abzuschtzen, ver-
gleicht man die maximalen Auslenkungen wS (L) und wB (L):
F
wS (L) a2 G
L E  a 2
= 2 3 =
wB (L) 63L
F 4G L
Ea4

Fr lange, schlanke Balken (a L) ist der Biegeanteil aufgrund der quadrati-


schen Abhngigkeit vom Schlankheitsgrad sehr dominant!

8.3 Arbeitssatz fr die schubstarre Balkenbiegung

Die Durchsenkungen (Biegelinie) und Verdrehungen lassen sich, wie wir vor-
her gesehen haben, durch abschnittsweise Integration der Differentialglei-
chung der Balkenbiegung berechnen. Eine weitere oft sehr effiziente Mglich-
keit, diese Gren zu berechnen, ist, wie schon beim Dehnstab und bei der
Torsion, die Berechnung ber Arbeitsprinzipien.
Diese Arbeitsprinzipien haben wir zu Beginn des Semesters bereits allgemein
fr linear elastische Krper hergeleitet. In diesem Abschnitt werden sie noch
einmal wiederholt und fr den Spezialfall der ebenen Biegung dargestellt.

8.3.1 Formnderungsenergie bei ebener Biegung

Die Formnderungsenergie ist, wie wir bereits wissen, die integrale Summe
ber alle an den infinitesimalen Elementen verrichteten Arbeiten. In Kapitel 3
haben wir fr einen Dehnstab mit der Lnge l gem der folgenden Formel
berechnet: Z
1 l
Dehnstab = N(x) (x) dx
2 0
Wie beim Dehnstab treten in einem Balken unter ebener Biegung nur Normal-
spannungen (x, z) in axialer Richtung auf. Diese sind jedoch, ebenso wie die
Lngsdehnungen (x, z), nicht mehr ber den Querschnitt konstant, weshalb
der Integrand in der fr den Dehnstab gltigen Formel fr durch ein zustz-
liches Integral ber den Balkenquerschnitt ersetzt werden muss:
Z lZ
1
Biegung = (x, z) (x, z) dA dx
2 0 A
8. Biegelinie des Balkens 131

Mit unserem bekannten Zusammenhang zwischen Biegemoment und Normal-


spannung
M(x)
(x, z) = z
I
und dem daraus ber das H OOKEsche Gesetz folgenden Ausdruck fr die
Dehnung
M(x)
(x, z) = z
EI
lsst sich dieses Integral auch darstellen als

Box 8.14

Dieser Ausdruck steht in vlliger Analogie zu den bereits fr den Dehnstab und
fr Torsion erhaltenen Ausdrcken
Z Z
1 l N 2 (x) 1 l MT2 (x)
Dehnung = dx und Torsion = dx
2 0 EA 2 0 GIT

8.3.2 Energiebetrachtungen bei ebener Biegung

Unter den beiden Bernoullischen Hypothesen knnen sowohl Einzelkrfte,


verteilte Lasten, als auch Einzelmomente eine ebene Biegung induzieren. u-
ere Arbeit kann also auf mehreren Arten am System geleistet werden.
Eine an der Stelle x0 wirkende Einzelkraft F leistet Arbeit entlang der Durch-
biegung an dieser Stelle. Wirkt nur diese Kraft, so ist zum Beispiel:

Box 8.15
132 8. Biegelinie des Balkens

F (w)

F2
F2

F1 F1
F1

w1
w2
w1 w2 w

Ein an derselben Stelle einwirkendes ueres Moment M wrde aufgrund der


Verdrehung der Querschnittsflche Arbeit verrichten. Die entsprechende u-
ere Arbeit ist in diesem Fall
1
WA = M (x0 )
2

Wieder kann man die gesamte am System geleistete uere Arbeit gem
Arbeitssatz mit der gespeicherten Formnderungsenergie gleichsetzen.
Zudem gelten auch hier die Stze von B ETTI und M AXWELL. Der Satz von
M AXWELL lsst sich im Fall der ebenen Biegung sehr schn durch das folgen-
de Bild veranschaulichen:

1 1

i k i k

ik

ki

Die Verschiebung an der Stelle i infolge der Einheitslast an der Stelle k ist
gleich der Verschiebung an der Stelle k infolge der Einheitslast an der Stelle i:

ik = ki

Mit dem Arbeitssatz lsst sich die Durchbiegung in Richtung einer einzelnen
ueren Kraft berechnen (bzw. die Verdrehung an der Stelle eines einzelnen
ueren Momentes). Des Weiteren ist er zusammen mit den Stzen von B ETTI
und M AXWELL die Grundlage fr das allgemeiner anwendbare Prinzip der vir-
tuellen Arbeit (Speziallfall Balkenbiegung).
8. Biegelinie des Balkens 133

8.3.3 Das Prinzip der virtuellen Krfte angewendet auf die ebene Biegung

Genauso wie zum Beispiel im entsprechenden Kapitel bei der Torsion und
beim Dehnstab gezeigt wurde, lsst sich die Durchsenkung eines schubstarren
Balkens w (b) an einer Stelle b entlang des Balkens berechnen, indem man an
dieser Stelle b eine virtuelle Kraft 1 aufbringt, den korrespondierenden Momen-
tenverlauf M ausrechnet und anschlieend das folgende Integral auswertet:
Z
M (x) M(x)
1 w(b) = dx
Balkenlnge EI

Bei der schiefen Biegung ist es zweckmig, in ein Hauptachsensystem zu


wechseln. Dadurch ergeben sich zwei entkoppelte ebene Biegungen, auf wel-
che alle vorangegangenen berlegungen anwendbar sind.

Beispiel

Als Beispiel zur Veranschaulichung des Vorgehens wollen wir die Durchsen-
kung in der Mitte eines mit einer Gleichlast q belasteten Einfeldtrgers konstan-
ter Biegesteifigkeit EI berechnen. Das System und die Momentenlinie infolge
der ueren Belastung sind in der Abbildung gegeben.
L
M
qL2
q 8

wM

Um die Durchsenkung in der Feldmitte zu berechnen, bringen wir an dieser


Stelle eine virtuelle Kraft 1 in der gesuchten Richtung wM auf. Infolge dieser
Kraft ergibt sich ein linearer Momentenverlauf mit dem Maximalwert 1L 4
, wie er
in der Abbildung skizziert ist.
$\bar M$

$\bar 1$ $\oplus$ $\frac{\bar 1 L}{4}$

$w_M$

Box 8.16

Zur Berechnung der Durchsenkung muss gem der obigen Formel ber das
Produkt der beiden von x abhngigen Momentenlinien integriert werden. Fr
unser Beispiel sind die Funktionen der Momentenlinien
qx
M(x) = (L x)
2

x 0 x L2
2
M (x) =
Lx L < x L
2 2
134 8. Biegelinie des Balkens

Um das gesuchte Integral auswerten zu knnen, msste es erst in zwei Ab-


schnitte [0; L2 ]; [ L2 ; L] unterteilt werden und dann die jeweiligen Produkte aus-
gerechnet und integriert werden. Dieses Vorgehen ist offensichtlich etwas auf-
wndig und fehleranfllig. Alternativ gibt es auch eine einfachere und schnel-
lere Methode zur Auswertung des bentigten Integrals, die im Folgenden vor-
gestellt wird.
Das Integral des Produkts der beiden Verlufe wird mithilfe der sogenannten
Koppeltafel berechnet, die in der einschlgigen Literatur zu finden sind. In ihr
sind die Integrale der typischerweise bentigten Funktionenprodukte tabelliert.
Wir haben auf der folgenden Seite eine Auswahl dargestellt.
Die Benutzung erklren wir anhand unseres Beispiels. Wir suchen das Integral
2
des Produkts aus der Parabel M(x) mit dem Maximalwert qL8 und der Drei-
ecksfunktion M (x) mit dem Maximalwert 1L 4
. Das Ergebnis findet sich in der
Tabelle in der Zeile der Parabel (Nr. 9) und der Spalte des Dreiecksverlaufs
(letzte Spalte mit = = 21 ) und ergibt mit unseren Gren

Box 8.17

Da die beiden Momentenverlufe das gleiche Vorzeichen haben, erhlt das


Integral des Produkts ein positives Vorzeichen. Falls die beiden zu berlagern-
den Momentenverlufe unterschiedliches Vorzeichen haben, muss der Wert
aus der Tabelle mit negativem Vorzeichen verwendet werden.
Damit ergibt sich die Durchsenkung in Balkenmitte des Einfeldtrgers infolge
der Gleichlast zu Z L
1 5 qL4
wM = M Mdx =
EI 0 384 EI

Die Verwendung der Koppeltafel erleichtert die Auswertung des Integrals merk-
lich.
Da bei der Berechnung von statisch unbestimmten Systemen mit dem Kraft-
grenverfahren die Integrale der berlagerten Schnittgrenverlufe mehr-
mals bentigt werden, ist die Zeitersparnis in diesem Fall umso grer.
8. Biegelinie des Balkens 135

Koppeltafel
Z l
M M dx
0
136 8. Biegelinie des Balkens

8.3.4 Berechnung statisch unbestimmter Biegeprobleme

Wieder lassen sich die anhand der Dehnstabsysteme betrachteten Methoden


aus Kapitel 3 direkt auf die Balkenbiegung bertragen. Im Speziellen sind dies
der Satz von M ENABREA und das Kraftgrenverfahren.

Berechnung von Zwangskrften mit dem Satz von M ENABREA

Wir betrachten erneut das System von zuvor (EI = const.) und wollen den
Momentenverlauf im Balken berechnen.

q0

A B

x
L

q0
Zur Berechnung des Momentenver-
laufes stellt man diesen in Abhngig-
B
QA
keit einer Zwangskraft (hier Auflager-
x
kraft QA am linken Auflager) im sta-
L tisch bestimmten Hauptsystem auf.

QA
Q (x) = QA q0 x Die Querkraft infolge der ueren Be-
lastung und der noch unbekannten
Zwangskraft wird (z. B. durch Super-
position) berechnet.
Q A q0 L

Q(x) = QA q0 x
x2
M (x) = QA x q0 2 Der zugehrige Momentenverlauf er-
gibt sich (z. B. durch Integration) zu

Box 8.18
8. Biegelinie des Balkens 137

Damit ergibt sich fr die gespeicherte Formnderungsenergie:

 2
x2
Z L q0 2 + QA x
= = dx
0 2EI

Z   5 L3
1 L
2x
4
3 q02 L20 q0 14 L4 QA + Q2A
= q0 q0 x QA + Q2A x 2
dx = 3
2EI 0 4 2EI
Box 8.19

Der Satz von M ENABREA besagt nun, dass die Formnderungsenergie hin-
sichtlich Variation der statisch unbestimmten Reaktionen minimal werden
muss, d. h. es muss gelten:

Box 8.20

Daraus resultiert die statisch unbestimmte Auflagerkraft


3
QA = q0 L
8

Einsetzen von QA ergibt die gesuchte Momentenlinie im statisch unbestimmten


System:  
q0 3 2
M (x) = Lxx
2 4

2
q08L
9q0 L2
Mmax (x = 38 ) = 128

Anwendung des Kraftgrenverfahrens

Fr den im folgenden Bild dargestellten Balken (EI = const.) sind die Aufla-
gerreaktionen und die Durchsenkung an der Stelle D zu berechnen.
138 8. Biegelinie des Balkens

2F

A B C

a a a a

Wir verwenden folgende statisch bestimmte 0- und 1-Systeme:


2F

CV

a a a a
Box 8.21

Die Auflagerkrfte aufgrund der ueren Lasten ergeben sich zu

Box 8.22

5
2F a + F 3a = AV 4a AV = F
4
X 12
Kontrolle: V : F = 3F X
4
Es ergeben sich folgende Schnittgrenverlufe im 0- und 1-System:
8. Biegelinie des Balkens 139

0-System 1-System

Q0 (x) Q (x)
5
4F
1
1
4
F 2

21

74 F
M 0 (x) 7 M (x)
5 4F a
4F a

1a

Wir berechnen nun zuerst die Durchsenkung an der Stelle B aufgrund der
virtuellen Last 1 Z
M M
11 = dx
EI
unter Verwendung der Koppeltafel. Wir verwenden folgende Tabellenwerte fr
das Gesamtdreieck:

l = 4a l = 4a

l = 12 l l = 12 l l = 21 l l = 21 l

i = 1a k = 1a

Box 8.23

Weiter ist das Integral Z


M M 0
10 = dx
EI
140 8. Biegelinie des Balkens

zu berechnen, die Verschiebung der Stelle B im 0-System aufgrund der ue-


ren Lasten. Wieder verwenden wir die Koppeltafel, diesmal mittels einer Zerle-
gung in vier gleich lange Abschnitte:

1 1
6 [i1 (2k1 + k2 ) + i2 (k1 + 2k2)] l 6 [i1 (2k1 + k2 ) + i2 (k1 + 2k2)] l

1 1
3 ikl 3 ikl

i1 i2 i2 i
i i1

k k1 k2 k
k2 k1

l=a l=a l=a l=a

EI10 =

Box 8.24

    
1 5 1
. . . + (a) F a 2 a + (1a) +
6 4 2
  
6 1
+ Fa a + 2 (1a) +
4 2
   
1 6 1
+ (a) F a 2 (1a) + a +
6 4 2
   
7 1
+ F a (1a) + 2 a +
4 2
   
1 7 1
+ (a) Fa a =
3 4 2

11 3
= Fa
4
8. Biegelinie des Balkens 141

Die Kompatibilitt (Zwangsbedingung des verschieblichen Auflagers B) liefert:


33
0 = X 11 + 10 X= F
16

Es ergeben sich die Lagerkrfte


7 33 23
AV = F, BV = X = F, CV = F
32 16 32
und der berlagerte Momentenverlauf
M (x)
23
32 F a

9
16 Fa
Box 8.25

Das statisch bestimmte Ersatzsystem verformt sich bei diesem Momentenver-


lauf genauso wie das statisch unbestimmte System. Die Begrndung dafr ist,
dass der Balken nicht unterscheiden kann, ob eine Lagerkraft BV an der Stelle
B einwirkt, oder ob dies eine uere Kraft mit demselben Betrag ist.
Die Durchsenkung kann man deshalb z. B. mit Hilfe des Prinzips der virtuellen
Arbeit im statisch bestimmten Ersatzsystem berechnen!
realer Belastungszustand virtueller Belastungszustand
des Ersatzsystems fr das Ersatzsystem

a a a a a a a a
Box 8.26

Der Momentenverlauf im real belasteten Ersatzsystem ist bekannt (siehe


oben). Der zum virtuellen Belastungszustand gehrige Querkraftverlauf hat
die folgende Form:
142 8. Biegelinie des Balkens

Q (x) M (x)

3
4a
1
4a

34 a

Zu berechnen ist der Integralausdruck


Z
M M
wD = dx
EI

M ist dabei der vorher berechnete Momentenverlauf des statisch bestimmten


Ersatzsystems und M der Momentenverlauf fr den virtuellen Belastungszu-
stand des Ersatzsystems (vergleiche Bild von gerade eben).
Bei einer Zerlegung in vier Abschnitte (genauso wie vorher bei der Berechnung
von 10 ) folgt mit der Koppeltafel:
   
1 7 1
EI wD = (a) Fa a +
3 32 4
      
1 7 1 1
+ (a) Fa 2 a + a +
6 32 4 2
      
9 1 1
+ Fa a +2 a +
16 4 2
      
1 9 1 3
+ (a) Fa 2 a + a +
6 16 2 4
      
23 1 3
+ Fa a +2 a +
32 2 4
   
1 23 3
+ (a) Fa a =
3 32 4
37
= F a3
192
8. Biegelinie des Balkens 143

8.4 Rckblick

Analog zum Dehnstab ist die Dehnung der neutralen Balkenfaser auf-
grund Normalkraft gegeben durch

N(x)
0 (x) =
EA

Der Verdrehwinkel der Querschnittsebenen berechnet sich fr homoge-


ne Balken aus
M(x)
(x) =
EI
Fr kleine Deformationen (Kleinwinkelnherung) gilt folgender Zusam-
menhang zwischen Biegelinie und Verdrehwinkel:

w (x) = (x)

Fr den schubstarren Balken ist somit bei ebener Biegung die Krm-
mung der Biegelinie proportional zum Schnittmoment:

M(x)
w (x) =
EI
Insbesondere gilt fr die Biegelinie die Differentialgleichung

EIw IV (x) = q(x)

Fr den schubweichen Balken lsst sich die Biegelinie additiv in Anteile


aus schubstarrer Biegung und aus Schub zerlegen:

w(x) = wB (x) + wS (x)

Die Formnderungsenergie der ebenen Biegung lautet:


Z
1 M2
= dx
2 EI

Durchsenkungen lassen sich mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit wie
folgt berechnen: Z
M (x) M (x)
1w (b) = dx
EI
9 Allgemein belastete
Balkenstrukturen

Die bisher betrachteten Deformations- und Spannungszustnde Dehnung, Tor-


sion, Biegung und Schub beim Balken sollen in diesem Kapitel zusammenge-
fhrt werden. Der Balken unter einer allgemeinen Belastung wird behandelt.

9.1 Spannungszustand

Da wir ausschlielich von linear-elastischen Krpern und Strukturen ausge-


hen, knnen wir Spannungen, Dehnungen und Verformungen infolge einzelner
Lastflle superponieren. Fr Normalspannungen haben wir dies schon bei der
schiefen Biegung des Balkens kennen gelernt. Nun wollen wir auch andere
Spannungen mit in die Betrachtung nehmen. Dazu das folgende Beispiel:

a
C A
x1
y1 a
z1 y2
A
x2
z2
F
B Fz = 53 F b
Fy = 54 F

Es handelt sich um einen abgewinkelten Kragtrger mit Kreisquerschnitt (Ra-


dius R), der unter einer rumlichen, also nicht in nur einer Ebene wirkenden
Kraft steht. Die Koordinatensysteme sind in der Schwerachse gegeben. Um
die Beanspruchung zu analysieren, berechnen wir zunchst die Schnittgren
im System. Da es sich um ein statisch bestimmtes System handelt, lassen sich
diese einfach aus dem Gleichgewicht berechnen:
146 9. Allgemein belastete Balkenstrukturen

N Mxi

Fy Fz b

Qzi Myi

Fz Fz b
Fz a

Mzi
Qyi
Fy b


Fy

Wir wollen nun smtliche auftretenden Spannungen in der Schnittflche A A


berechnen. Jede Schnittkraft reprsentiert einen speziellen Spannungsverlauf,
der jeweils einen Beitrag zum gesamten Spannungsverlauf leistet.
Normalkraft N

x
y
z

Box 9.1

Wie beim Dehnstab erzeugt eine Normalkraft einen konstanten Span-


nungsverlauf ber den Querschnitt:
N Fy
xN = = 2
A R

Querkraft Qz
Die Querkraft erzeugt einen parabolischen Schubspannungsverlauf in z-
Richtung. Weiterhin entstehen Schubspannungen in y-Richtung, da am
ueren, freien Rand aus Gleichgewichtsbetrachtungen eine tangentiale
Schubspannungsrichtung herrschen muss (vgl. Kap. 7). Sie sind jedoch
kleiner als die Schubspannungen in z-Richtung und werden hier nicht
weiter betrachtet.
9. Allgemein belastete Balkenstrukturen 147

x
y
z
Box 9.2

Die Schubspannungen in z-Richtung berechnen sich aus

Qz Qz Sy (z)
xz (z) =
Iy b(z)

Der Maximalwert liegt bei z = 0, wo sich das statische Moment zu

4R R2
Sy (z = 0) =
3 2
ergibt. Mit dem Trgheitsmoment des Kreises resultiert dies in
2R3
Qz 4Fz
xz (z = 0) = Fz R4 3 =
4
2R 3R2

Querkraft Qy
Die Querkraft in y-Richtung ist im Schnitt A A gleich 0, weshalb sich
hieraus auch keine Spannungen ergeben.
Torsionsmoment Mx

x
y
z
Box 9.3

Das Torsionsmoment erzeugt gem dem Kapitel ber Torsion des Kreis-
querschnitts eine linear ber den Radius r verteilte Schubspannung, die
zirkulr und als zugeordnete Schubspannung axial wirkt.

Mx Mx
x (r) = r
IT

Am ueren Rand des Schafts wirkt die maximale Schubspannung

Mx Fz b 2Fz b
x (r = R) = R4
R=
2
R3
148 9. Allgemein belastete Balkenstrukturen

Biegemoment My

x
y
z
Box 9.4

Biegung fhrt zu einer linearen Verteilung der Normalspannungen. Aus


Biegung um die y-Achse ergibt sich
My z
xMy =
Iy
Die maximale Biegespannung wirkt stets an den ueren Rndern des
Querschnitts, in diesem Fall bei z = +R, z = R als Zug- bzw. Druck-
spannung. Mit dem Flchentrgheitsmoment des Kreises ergibt sich fr
eine Stelle 0 a a
Fz aR 4Fz a
xMy (z = R) = R4
=
4
R3

Biegemoment Mz

x
y
z
Box 9.5

Auch hier ergibt sich eine lineare Verteilung der Normalspannungen, nun
in y-Richtung. Der Maximalwert liegt bei y = +R, y = R und berechnet
sich mit
Mz y
xMz =
Iz
zu
Fy bR 4Fy b
xMz (y = R) = R4 = 3
4
R

Die gesamte Spannungsverteilung ergibt sich aus der berlagerung der ein-
zelnen Belastungsflle. Allerdings mssen die Richtungen der wirkenden
Spannungen bei der berlagerung bercksichtigt werden. Nur Spannungen
mit gleicher Wirkungsrichtung knnen addiert werden. Damit ist nur die Be-
rechnung der insgesamt wirkenden Normalspannung leicht durchzufhren,
nmlich
9. Allgemein belastete Balkenstrukturen 149

Box 9.6

Fr die Schubspannung muss eine genaue Analyse der Betrge und Wir-
kungsrichtungen erfolgen, um deren maximale Beanspruchung zu finden.
Daraus ergeben sich zwei Fragestellungen. Einerseits mchte man eine inge-
nieursmig fassbare Vorstellung von an einem Punkt im Bauteil herrschenden
Spannungen bekommen. Im rumlichen Fall hat man es mit sechs Spannungs-
komponenten zu tun, deren Wirkungsweise sich auch noch unterscheidet. Um
dieses Problem zu lsen, werden im anschlieenden Kapitel Methoden darge-
stellt, mit denen anschaulichere Spannungswerte berechnet werden knnen.
Die zweite Frage ist die der Konsequenz der herrschenden Spannung fr die
Beanspruchbarkeit des Bauteils. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten,
sie wird selbstverstndlich stark von dem verwendeten Werkstoff beeinflusst.
Ebenfalls im anschlieenden Kapitel behandeln wir Hypothesen, die das Ver-
sagen abhngig von herrschenden Spannungen vorauszusagen versuchen.
Sobald man ein Kriterium fr Versagen bei einem Spannungszustand festge-
legt hat, kann man das System mit den oben dargestellten Formeln analysie-
ren und den kritischen Versagenspunkt finden.

9.2 Verformungszustand

Zunchst wollen wir uns jedoch mit der Verformungsberechnung eines allge-
mein belasteten Balkens beschftigen, die wir mit dem Prinzip der virtuellen
Krfte durchfhren.
Wie im vorigen Abschnitt gezeigt, ruft die schrg angreifende Kraft einen Span-
nungszustand hervor, der sich aus mehreren einzelnen Zustnden zusammen-
setzt. Zu all diesen Zustnden korrespondieren natrlich auch entsprechende
Verformungen. Um sie zu berechnen, wenden wir die Energieprinzipien aus
dem Kapitel 3 an. Die folgende Tabelle gibt eine bersicht ber die Arbeits-
und Energieanteile, die sich aus den verschiedenen Spannungszustnden er-
geben. Sie zeigt weiterhin die entsprechenden virtuellen Arbeitsanteile, die wir
spter zur Anwendung des Prinzips der virtuellen Krfte bentigen.
150 9. Allgemein belastete Balkenstrukturen

Verformungsursache Formnderungsenergie virtuelle Arbeit

Normalkraft N

Biegemoment My
Rl Mz2 Rl
Biegemoment Mz 1
2 0 EIz
dx 0
Mz Mz
EIz
dx
Rl Mx2 Rl
Torsionsmoment Mx 1
2 0 GIT
dx 0
Mx Mx
GIT
dx

Querkraft Qy
Rl Qz2 Rl
Querkraft Qz 1
2 0
z GA dx 0
z Qz
z QGA dx

Box 9.7

Die gesamte Formnderungsenergie ergibt sich aus der Summe der einzelnen
Anteile
Z  
1 l N2 My2 Mz2 Mx2 Q2y Q2z
= + + + + y + z dx
2 0 EA EIy EIz GIT GA GA

9.2.1 Einfluss der Schubverformung, Schubkorrekturfaktor

In der Tabelle stehen vor den Verformungsanteilen infolge der Querkrfte die
Faktoren y und z . Sie heien Schubkorrekturfaktoren und ihre Herkunft soll
in diesem Abschnitt erlutert werden.
Wie im Kapitel 7 dargestellt, ist die Schubspannungsverteilung in einem Balken
nicht fr jede Querschnittsform gleich. Fr den Rechteckquerschnitt gilt ein
parabolischer Verlauf, der entsprechend dem Abschnitt 7.3 als Funktion

Box 9.8

geschrieben werden kann. Setzt man dies in die allgemeine Form der infinite-
simalen Formnderungsenergie
Z
1
d = 2 dA dx
2G A

ein, so erhlt man


9. Allgemein belastete Balkenstrukturen 151

 2 Z h  2 !2
1 9 Q 2 2z
d = 1 b dz dx
2G 4 A h2 h

Box 9.9

Fr den Rechteckquerschnitt ergibt sich also ein Schubkorrekturfaktor = 56 .


Allgemein ist der Schubkorrekturfaktor von der Querschnittsform abhngig. Fr
den Kreisquerschnitt gilt = 43 und fr dnnwandige Querschnitte kann n-
herungsweise ASteg A
angesetzt werden, wobei A den Flcheninhalt des
gesamten Querschnitts und ASteg den Flcheninhalt der parallel zur Querkraft-
richtung orientierten Abschnitte des Querschnitts bezeichnen.
Der Einfluss der Schubverformung auf die Gesamtverformung hngt einerseits
von der Querschnittsform ab, genauer gesagt vom Schlankheitsgrad = il .
q
Darin bezeichnet i den sogenannten Trgheitsradius, der als i = AI definiert
ist. Je schlanker ein Querschnitt ist, desto geringer ist der Einfluss der Schub-
verformung. Weiterhin haben die Querdehnzahl und der Schubkorrekturfak-
tor, der selbst wieder von der Querschnittsform abhngt, einen Einfluss. Die
Frage, ob Schubverformung bercksichtigt werden muss, kann nicht allgemein
beantwortet werden. Fr dynamische Beanspruchungen haben sie beispiels-
weise einen deutlichen Einfluss. Fr statische Berechnungen von schlanken
hohen Balken kann sie meist vernachlssigt werden.

9.2.2 Verformungsberechnung mit virtueller Arbeit

Um die Verformung an einer bestimmten Stelle der Struktur zu berechnen,


wenden wir das Prinzip der virtuellen Krfte an. Dazu bringen wir eine Kraft
bzw. ein Moment in Richtung der gesuchten Verfomung auf und berechnen die
innere und uere virtuelle Arbeit. Fr das Beispiel des geknickten Schaftes
sei die durch die Einzelkraft F hervorgerufene Verschiebung f des Kraftan-
griffspunkts B in Richtung von F gesucht. Dazu wird in Richtung von f bzw. F
eine virtuelle Kraft 1 aufgebracht und die sich ergebenden Schnittkrfte aus-
gerechnet. Da alle Schnittkraftverlufe infolge der virtuellen Kraft 1 affin bzw.
proportional zu denjenigen infolge der realen Belastung F sind, knnen sie
durch Multiplikation mit dem Faktor F1 sehr einfach berechnet werden und sind
im Folgenden dargestellt:
152 9. Allgemein belastete Balkenstrukturen

N Mx

4 3
5 1 5 1 b
a
C A
x a
y
Qz My
A 3
z 5
1 a

f, F, 1 3 3
b 5 1 5 1 b
B 3
4

Mz
Qy
4
5 1 b


4
5 1

Die Verschiebung f berechnet sich nun sehr einfach mit den Anteilen aus der
obigen Tabelle
Z a
N N
1 f = dx
0 EA
Z a Z b
My My My My
+ dx + dx
0 EIy 0 EIy
Z a Z b
Mz Mz Mz Mz
+ dx + dx
0 EIz 0 EIz
Z a
Mx Mx
+ dx
0 GIT
Z b
4 Qy Qy
+ dx
0 3 GA
Z a Z b
4 Qz Qz 4 Qz Qz
+ dx + dx
0 3 GA 0 3 GA

Um die jeweiligen Integrale auszuwerten, bedient man sich am einfachsten der


sogenannten Koppeltafeln, wie sie zum Beispiel auf Seite 135 zu finden sind.
Damit berechnet sich die Verschiebung f zu
9. Allgemein belastete Balkenstrukturen 153

f=

16 F b2 a 1 16 F b3
+ +
25 EIz 3 25 EIz
|{z}

2
9 Fb a
+
25 GIT

 
4 9 Fa 9 Fb
+ +
3
|{z} 25 GA 25 GA

Box 9.10

Es wird deutlich, dass sich die Verschiebung aus den einzelnen Anteilen sum-
miert. Dabei dominieren Anteile mit geringen Steifigkeiten (z.B. EIy als Biege-
steifigkeit oder GIT als Torsionssteifigkeit) und groen Beanspruchungen, wie
dies aus der praktischen Anschauung zu erwarten ist. Fr numerische Berech-
nungen ist es hufig sinnvoll, eine Referenzsteifigkeit, beispielsweise EIy , zu
definieren und dann die Gleichung zum Beispiel in der Form

Box 9.11

zu schreiben. Weiterhin ist sofort ersichtlich, dass ein Verformungsanteil nicht


beachtet werden muss, wenn dessen Steifigkeit sehr viel grer als die
anderen Steifigkeiten ist, sofern nicht ein analoger Grenunterschied auf
Beanspruchungsseite vorliegt. Bei Rahmenbauteilen ist dies hufig der Fall,
wenn zum Beispiel die Dehnsteifigkeit sehr viel hher als die Biegesteifigkeit
ist. Eine vereinfachende Annahme in der Modellbildung ist dann oft, dass
EA gesetzt wird.
Nach diesem Prinzip lassen sich die Verformungen von Balkenstrukturen recht
einfach berechnen. Auch statisch unbestimmte Systeme unter kombinierten
154 9. Allgemein belastete Balkenstrukturen

Belastungen knnen mit dieser Methode berechnet werden, indem statisch


unbestimmte Kraftgren eingefhrt werden und die Verformungsbedingun-
gen mithilfe des Prinzips der virtuellen Krfte gelst werden. Die jeweiligen
Last- und Einheitsspannungszustnde ergeben sich dann stets aus der ber-
lagerung der einzelnen Spannungszustnde.

9.3 Rckblick

Spannungszustand aus allgemeiner Belastung


Spannungen aus mehreren Lastfllen knnen aufgrund des linear-
elastischen Verhaltens superponiert werden. Die Wirkungsrichtung der
Spannung muss bercksichtigt werden, was bei Schubspannungen
hufig schwierig ist. Fr Normalspannungen ist dies aufgrund der fest-
gelegten Wirkungsrichtung eindeutig und es ergibt sich die aus der
schiefen Biegung bekannte Formel
N My z Mz y
x = xN + xMy + xMz = +
A Iy Iz

Verformungszustand aus allgemeiner Belastung


Auch die Verformungen lassen sich aus den einzelnen Anteilen super-
ponieren. Sie berechnen sich am einfachsten mit Energieprinzipien. Die
entsprechenden Anteile fr Formnderungsenergie und virtuelle Arbeit
sind in der Tabelle dargestellt.

Verformungsursache Formnderungsenergie virtuelle Arbeit


Rl N2
Rl
Normalkraft N 1
2 0 EA
dx N N
0 EA
dx
Rl My2 Rl My My
Biegemoment My 1
2 0 EIy
dx 0 EIy
dx
Rl Mz2 Rl
Biegemoment Mz 1
2 0 EIz
dx 0
Mz Mz
EIz
dx
Rl Mx2 Rl
Torsionsmoment Mx 1
2 0 GIT
dx 0
Mx Mx
GIT
dx
Rl Q2 Rl
Querkraft Qy 1
2
y dx
0 y GA 0
y Qy
y QGA dx
Rl 2 Rl
Querkraft Qz 1
2
Qz dx
0 z GA 0
z Qz
z QGA dx

Zur Berechnung der Schubverformung sind die Korrekturfaktoren y


und z zu bercksichtigen, die von der Querschnittsform abhngen.
10 Allgemeine Spannungs- und
Dehnungszustnde

Wie im vorigen Abschnitt gezeigt, berlagern sich in linear-elastischen Struk-


turen die einzelnen Spannungs- und Dehnungszustnde zu dem Gesamt-
zustand. Eine leicht zu fassende Vorstellung vom Gesamtzustand ist den-
noch schwer zu erlangen, da sich unterschiedliche Wirkungsrichtungen und
im dreidimensionalen Fall auch immerhin je sechs Komponenten fr Span-
nung und Dehnung ergeben. Um jedoch die Einwirkung und Beanspruchung
auf eine Struktur zu verstehen, ist eine anschauliche Form der Darstellung
von Spannungs- und Dehnungszustand wnschenswert. Dies kann ber die in
diesem Kapitel zu behandelnden Hauptspannungen und -richtungen bzw. die
Hauptdehnungen und -richtungen gelingen.

10.1 Transformation

Wir erinnern uns an das Kapitel 3, wo wir die kontinuumsmechanische Darstel-


lung von Spannungen am infinitesimalen Element definiert haben. Wir haben
gesehen, dass der Spannungstensor den Spannungszustand an einem Punkt
im Kontinuum vollstndig beschreibt. Das folgende Bild zeigt noch einmal die
am jeweils positiven Schnittufer herrschenden Spannungskomponenten, bezo-
gen auf das x, y, z-Koordinatensystem.

y
yz yx
zy xy
xz x
z zx
x
z
156 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

Diese Spannungskomponenten sind offensichtlich abhngig von dem gewhl-


ten Koordinatensystem, im Gegensatz zum Spannungstensor selbst. Durch
Drehung des Koordinatensystems ndern sich die Werte der einzelnen Span-
nungskomponenten. Wie wir sehen werden, lsst sich ein Drehwinkel und da-
mit ein neues Koordinatensystem finden, in dem die einzelnen Spannungs-
komponenten Extremwerte annehmen. Die zugehrigen Richtungen werden
dann als Hauptspannungsrichtungen bezeichnet. Das Prinzip entspricht dem
der Achsentransformation bei der Bestimmung von Haupttrgheitsachsen ei-
nes Balkenquerschnitts.
Um die Darstellung zu erleichtern, betrachten wir statt des rumlichen infinite-
simalen Wrfels eine zweidimensionale Scheibe. Von den sechs Spannungs-
komponenten bleiben dann drei brig.

x xy xz  
Scheibe x xy
= [ij ] = yx y yz =
yx y
zx zy z

Dieses zweidimensionale Spannungsfeld wird nun um den Winkel gedreht.


y
y

yx
xy

x

x

Um die Spannungen an der gedrehten Schnittflche berechnen zu knnen ver-


wenden wir die Gleichgewichtsbeziehungen. Dazu schneiden wir ein Dreieck
aus der Scheibe so aus, dass die eine Kante die gedrehte Schnittflche re-
prsentiert, die anderen beiden Dreieckskanten jedoch in den ursprnglichen
Koordinatenachsen x, y liegen:

y
d


x
dy

xy

x
yx

y
dx
Box 10.1
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 157

Das Krftegleichgewicht in und Richtung liefert mit dy = d cos und


dx = d sin

Box 10.2

Weiterhin gilt xy = yx und man erhlt

= x cos2 + y sin2 + 2xy sin cos

= (x y ) sin cos + xy (cos2 sin2 )

Aus der zweiten Gleichung folgt insbesondere die Beziehung

( + 90 ) = (),

die die Assoziiertheit von Schubspannungen widerspiegelt.


Analog zur Normalspannung lsst sich die Normalspannung ermitteln,
indem man ein Dreieck betrachtet, dessen Schnittflche um + 2 gedreht ist.
Mit sin( + 2 ) = cos und cos( + 2 ) = sin lsst sich berechnen als

= x sin2 + y cos2 2xy sin cos

Diese Gleichungen entsprechen exakt den Transformationsvorschriften fr Fl-


chentrgheitsmomente bei der Drehung von Querschnittkoordinatenachsen.
Die Drehung lsst sich ebenso als Matrixprodukt schreiben
       
cos sin x xy cos sin
=
sin cos xy y sin cos

= TT xy T

Weiterhin knnen die Gleichungen mit Hilfe der Additionstheoreme

cos2 = 21 (1 + cos(2)), 2 sin cos = sin(2)


sin2 = 12 (1 cos(2)), cos2 sin2 = cos(2)

umformuliert werden zu der gebruchlichen Form


158 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

Box 10.3

10.2 Hauptspannungen

Mit den gegebenen Formeln lassen sich die Spannungen fr jeden Winkel ei-
nes gedrehten Koordinatensystems berechnen, wobei sich die Komponenten
stets ndern. Es gibt jedoch eine ausgezeichnete Richtung, fr die die Kom-
ponenten Extremwerte annehmen, die offensichtlich fr die Charakterisierung
des Spannungszustands interessant ist.
Diese Eigenschaft ist auch zu erwarten, da die Transformationsvorschrift fr
die Drehung von Spannungskoordinatenachsen der von Querschnittskoordi-
natenachsen entspricht.
In den Hauptrichtungen sind die Eintrge der Hauptdiagonalen der Span-
nungsmatrix extrem (vgl. Iy , Iz ) und die Schubspannung verschwindet. Die
beiden extremen Spannungswerte heien Hauptspannungen.
Die Berechnung der Hauptspannungsrichtungen erfolgt ber die Beziehungen
d
d
= 0, d
d

= 0 bzw. = 0. Analog zu den frheren Ausfhrungen zu Haupt-
achsen ergeben sich die aufeinander senkrecht stehenden Hauptrichtungen
zu

Box 10.4

Diesen Winkel eingesetzt erhlt man nach trigonometrischen Umformungen


die Werte fr die beiden Hauptspannungen
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 159

Box 10.5

Die beiden Spannungen 1 und 2 werden blicherweise so nummeriert, dass


gilt 1 > 2 . Ein Koordinatensystem, dessen Achsen zu den Hauptrichtungen
parallel sind nennt man, wie bekannt, Hauptachsensystem. Die 1-Achse zeigt
dabei in Richtung von 1 , die 2-Achse entsprechend in Richtung von 2 .

Bemerkungen zu Hauptspannungen

Hauptspannungen spielen in der Mechanik eine wichtige Rolle, weshalb hier


einige Eigenschaften erklrt werden sollen.
Hauptspannungen knnen selbverstndlich sowohl positive, als auch ne-
gative Werte annehmen (im Gegensatz zu Haupttrgheitsmomenten).
Ebenso kann eine Hauptspannung negativ (also Druck) und die ande-
re positiv (Zug) sein.
Die Summe der beiden Hauptspannungen 1 + 2 ist gleich der Summe
der beiden Normalspannungen in jeder anderen Koordinatenrichtung

1 + 2 = x + y = +

Sie variiert also nicht bei einer Koordinatentransformation und wird des-
halb Invariante des Spannungszustands genannt. Ebenso ist die Deter-
minante der Spannungsmatrix x y xy 2
in jedem Koordinatensystem
gleich und damit eine weitere Invariante. Solche Invarianten dienen dem-
nach sehr gut zur Charakterisierung eines Spannungszustands.
Der spezielle Sonderfall, dass die Hauptspannungen genau gleich sind
1 = 2 lohnt eine genauere Beschreibung. Die Transformationsformeln
zeigen, dass in diesem Fall die Gleichheit fr alle Schnittrichtungen gilt

1 = x = = 2 = y =

und die Schubspannungen in jedem Fall verschwinden. Dieser Span-


nungszustand wird hydrostatisch genannt, da er ebenso den Zustand ei-
ner Flssigkeit charakterisiert, deren Druck an einem Punkt in jede Rich-
tung gleich ist.
Mit den Gleichungen fr die Spannungstransformation lsst sich auch ein
spezieller Drehwinkel berechnen, fr den die Schubspannung maximal
wird. Aus der Bedingung
d
=0 (x y ) cos 2 2xy sin 2 = 0
d
160 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

folgt der Winkel , fr den die Schubspannung maximal wird:


x y
tan 2 =
2xy

Aus den beiden Gleichungen fr die Hauptspannungsrichtungen und


die Hauptschubspannungsrichtungen lsst sich ableiten, dass sich die
Winkel und genau um 45 unterscheiden. Allerdings gilt fr
die Hauptschubspannungsrichtungen nicht, dass die Normalspannungen
verschwinden, vielmehr wirkt in dieser Lage in beide Richtungen eine
mittlere Normalspannung, die wir mit M bezeichnen. Einsetzen des Win-
kels ergibt die Gleichungen zur Berechnung der Spannungen:

Box 10.6

Die maximale Schubspannung lsst sich auch aus den Hauptspannun-


gen berechnen

Box 10.7

Das folgende Bild visualisiert den Zusammenhang zwischen den Normalspan-


nungen x und y , der Schubspannung xy , den Hauptspannungen 1 und 2 ,
der Hauptschubspannung max und der gemittelten Normalspannung M :
y 2 2 M
yx 1 M max
xy 1
x max
y

= + 4
x
Box 10.8
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 161

Die Kenntnis von Hauptspannungen und deren Richtung ist zur Beurteilung
des Spannungszustands von groer Bedeutung. Anstatt drei Spannungskom-
ponenten unterschiedlicher Natur (zwei Normalspannungen, eine Schubspan-
nung) im zweidimensionalen Fall, deren Wirkung und Wirkungsrichtung unter-
schiedlich ist, charaktersisieren nur zwei Hauptspannungen als Normalspan-
nungen den Zustand, die man sich deutlich besser vorstellen kann.
Die Bedeutung spiegelt sich auch in den folgenden Versuchen wider, wo sich
die jeweiligen Hauptspannungen und -richtungen an den Versagensarten zei-
gen. Es handelt sich um einen reinen Torsionsversuch und einen reinen Zug-
versuch. Bekanntermaen entstehen im ersten Versuch Schubspannungen
in zirkulrer und axialer Richtung, im zweiten Zugspannungen in Stablngs-
richtung. Untersucht werden zwei unterschiedliche Materialien, das erste ist
duktil (z.B. gewalzter Stahl), das zweite sprde (z. B. rohes Eisen). Duktile
Materialien versagen aufgrund zu hoher Schubspannungen, whrend sprde
Werkstoffe aufgrund zu hoher Zugspannungen versagen. Die jeweiligen Ver-
sagensbilder sind in der folgenden bersicht dargestellt:
Torsionsstab Zugstab

Duktiles Material

Schubversagen

Sprodes Material

Zugversagen

Box 10.9

Die Versagensformen lassen sich ber die wirkenden Hauptspannungen vor-


hersagen. Der duktile Werkstoff versagt im Torsionsfall am Querschnitt senk-
recht zur Achse, wie auch die maximale Schubspannung wirkt. Im Zugversuch
versagt er nach Einschnrung mit einem Rissquerschnitt unter 45 , da in die-
ser Richtung die maximale Schubspannung wirkt (vgl. oben mit y = 0). Fr
sprdes Material ist es genau umgekehrt. Beim Zugversuch reit der Stab an
der senkrechten Querschnittsflche, whrend er beim Torsionsversuch an der
45 -Flche reit, wo fr reinen Schub die maximalen Zugspannungen wirkten.
Zur weiteren Verdeutlichung betrachten wir nun einen Kragtrger unter ei-
ner Einzellast am ueren Ende. Untersucht man die Spannungsverteilung
an mehreren Punkten innerhalb des Balkens und berechnet anschlieend
die Hauptspannungsrichtungen, kann man eine Darstellung der sogenannten
Spannungstrajektorien erreichen. Sie stellen Verbindungslinien in Richtung der
162 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

jeweils herrschenden Hauptspannungsrichtungen dar, wobei wir Zugspannun-


gen als durchgezogene Linien und Druckspannungen als gestrichelte Linien
darstellen.

Box 10.10

Diese Skizzen erleichtern das Vorstellungsvermgen des Spannungsflusses


und der Lastabtragung in Bauteilen und ermglicht damit unter Umstnden
auch die Vorhersage von Rissausbreitung und die Auswahl von entsprechen-
den Gegenmanahmen.

10.3 Hauptdehnungen

In Kapitel 2 haben wir die allgemeine Form von Dehnungen im Kontinuum


kennen gelernt. Es ergab sich eine Abhngigkeit der Komponenten der Verzer-
rungsmatrix bzw. des Verzerrungstensors vom gewhlten Koordinatensystem.
   
x xy x 21 xy
= = 1
yx y
2 yx
y

Auch hier haben wir die Mglichkeit, das Bezugskoordinatensystem zu drehen,


und zwar mit denselben Zusammenhngen wie schon fr Querschnittswerte
und Spannungen:

1

2
=

Box 10.11

Die Hauptdehnungsrichtungen berechnen sich aus


xy
tan 2 =
x y
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 163

und die Hauptdehnungen zu


s 2
x + y x y 1
2
1,2 = +
2 xy
2 2

Wenn man die Zusammenhnge des allgemeinen H OOKEschen Gesetzes


zwischen Spannung und Dehnung in die Bestimmungsgleichung fr die Haupt-
dehnungsrichtungen einsetzt, erhlt man

tan 2 =

Box 10.12

Ein Vergleich mit der Gleichung zur Bestimmung der Hauptspannungsrichtun-


gen zeigt, dass die beiden Richtungen identisch sind. Es entspricht der Vorstel-
lung, dass die Hauptverzerrungen auch in den Richtungen der Hauptspannun-
gen wirken mssen. Dies gilt allerdings nur fr isotropes, elastisches Material.
Folglich lassen sich die Hauptdehnungen im Hauptachsensystem einfach be-
rechnen als

Box 10.13

Whrend die Bedeutung von Hauptspannungen darin liegt, die Beanspruchung


von Material bzw. Bauteil zu bestimmen, liegt die der Hauptdehnungen bzw.
der Transformation von Dehnungen darin, die Verformung zu charakterisie-
ren. Bei der Beurteilung von Strukturen denkt man hufig in Verformungen,
weil diese leichter vorstellbar sind. Weiterhin sind sie im Gegensatz zu Span-
nungen der experimentellen Messung leichter zugnglich. Dehnungen knnen
ber sogenannte Dehnmessstreifen gemessen werden, deren elektrischer Wi-
derstand von der Dehnung abhngt. ber eine Dehnungsmessstreifenrosette
kann der Dehnungszustand eines Bauteils vollstndig bestimmt werden und
ggfs. mit den angegebenen Gleichungen umgerechnet werden. Im Bild sind
unterschiedliche Anordnungen der Rosette dargestellt:
164 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

b
a c
b
b
a c
c x 60
60
b x

45
a
c 45
x
a

10.4 M OHRscher Spannungskreis

Die Transformationszusammenhnge von Flchentrgheitsmomenten, Span-


nungen und Dehnungen lassen sich hervorragend an dem nach OTTO M OHR
(18351918) benannten Kreis veranschaulichen. Der bekannteste Vertreter ist
der Spannungskreis, den wir im Folgenden ausfhrlich behandeln wollen.
Durch Umstellen und Umrechnen der Transformationsbeziehungen fr die
Spannungen lsst sich folgende Form erreichen, wodurch der Drehwinkel
eliminiert wird:
 2  2
1 2 x y 2
(x + y ) + = + xy
2 2

Die Werte auf der rechten Seite sind bei einem gegebenen Problem bekannt
und wir fhren den Parameter r ein:

Box 10.14

Mit der schon eingefhrten Spannung M = 21 (x + y ) ergibt sich somit die


Gleichung

Box 10.15

Sie gilt sowohl fr = als auch fr = , weshalb die Indizes und


weggelassen werden knnen.
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 165

Eine derartige Gleichung beschreibt einen Kreis in der -Ebene mit dem Mit-
telpunkt (M , 0) und dem Radius r. Der Spannungszustand wird durch den
Kreis eindeutig beschrieben und jeder Punkt auf dem Kreis (also jeder Punkt,
der die Gleichung erfllt) gehrt zu einem Spannungszustand mit der zuge-
hrigen Schnittrichtung bzw. dem zugehrigen Koordinatensystem. Dies zeigt
eine Umformung der Kreisgleichung
1 
r2 = (x + y )2 4(x y xy
2
) ,
4
die ausschlielich aus invarianten Termen besteht. Somit knnen anhand des
Kreises die Spannungen zu jedem beliebigen Schnitt abgelesen und die Extre-
malwerte der Spannungen sowie die zugehrigen Achsenrichtungen bestimmt
werden.
Wenn die Spannungen x , y und xy an einem Punkt bekannt sind, lsst sich
der Spannungskreis konstruieren. Dazu werden die Normalspannungen unter
Beachtung der Vorzeichen auf der (horizontalen) -Achse eingezeichnet. An
beiden Stellen wird anschlieend xy angetragen, und zwar vorzeichenrichtig
bei x (Punkt A) und entgegen der positiven -Achsrichtung bei y (Punkt B).
Der Mittelpunkt M des Kreises und damit M ergibt sich als Schnittpunkt der
Verbindungslinie AB mit der -Achse.

y
yx
xy
x x
xy
yx
A y

x
Box 10.16
166 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

Die Konstruktion des Kreises ist mit drei gegebenen Gren mglich. Dies
knnen entweder die drei Spannungen einer Schnittrichtung sein oder eine
Kombination aus einzelnen Spannungen einer Schnittrichtung und Hauptspan-
nungen. Die folgende Abbildung zeigt noch einmal alle erkennbaren Zusam-
menhnge am M OHRschen Spannungskreis:


M y
max yx

M 45 xy
x x
M xy
E yx
max
M
A y
Haupt- 2 45
max
achsen 1
1 xy
2

C 2 M D
xy
2
B
y

y y +x x y
M = 2 2

1
x

Hinweise zur Interpretation der Abbildung:


Der M OHRsche Spannungskreis beschreibt den lokalen Spannungszu-
stand an einer bestimmten Stelle im betrachteten Krper. Dieser loka-
le Spannungszustand wird bezglich des Koordinatensystems xy durch
die beiden Normalspannungen x und y sowie die Schubspannung
xy = yx charakterisiert, wie rechts oben in der Abbildung zu sehen ist.
Mithilfe dieser drei Spannungsgren lsst sich gem dem zuvor erlu-
terten Verfahren der gesamte M OHRsche Spannungskreis konstruieren,
der zum betrachteten lokalen Spannungszustand gehrt. Jeder Punkt
auf dem M OHRschen Spannungskreis korreliert mit einem bestimmten
Koordinatensystem, das der Beschreibung dieses lokalen Spannungs-
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 167

zustands zugrunde liegt. Konkreter gilt: Wandert man im Uhrzeigersinn


den M OHRschen Spannungskreis entlang und berstreicht dabei einen
Mittelpunktswinkel von 2, entspricht dies einer Drehung des Koordina-
tensystems um den halben Winkel entgegen dem Uhrzeigersinn.
Aufgrund der zuvor hergeleiteten Beziehung tan 2 = 2 xy
x y
besitzt der
Winkel AMD die Gre 2 . Um entlang des M OHRschen Spannungs-

kreises vom Punkt A zum Punkt D bzw. von der Spannung x zur Haupt-
spannung 1 zu gelangen, muss daher im Uhrzeigersinn ein Mittelpunkts-
winkel von 2 berstrichen werden. Dies entspricht einer Drehung des
ursprnglichen Koordinatensystems xy um den halben Winkel entge-
gen dem Uhrzeigersinn, woraus das Hauptachsensystem 12 resultiert.
Da der Punkt A mit der Spannung x und der Punkt D mit der Haupt-
spannung 1 assoziiert ist, wird die x-Achse nach der Drehung des Ko-
ordinatensystems zur 1-Achse und die y-Achse dementsprechend zur
2-Achse. Unter Ausnutzung der Gleichschenkligkeit des Dreiecks ACM
lsst sich leicht zeigen, dass der Winkel MCA gerade die Gre be-
sitzt, weshalb die Hauptspannungen 1 und 2 gem Abbildung parallel
bzw. senkrecht zur Strecke AC wirken.
Ausgehend vom Punkt D, der mit der Hauptspannung 1 assoziiert ist,
erreicht man den Punkt E, der mit der Hauptschubspannung max asso-
ziiert ist, indem man entlang des M OHRschen Spannungskreises ent-
gegen dem Uhrzeigersinn einen Mittelpunktswinkel von 90 berstreicht.
Dies entspricht einer Drehung des Hauptachsensystems 12 um 45 im
Uhrzeigersinn, woraus die Hauptschubspannungsrichtungen resultieren.
Man kann unter Verwendung des Sehnentangentenwinkelsatzes zeigen,
dass der Winkel CAE stets 45 betrgt, weshalb die Hauptschubspan-
nung max gem Abbildung parallel bzw. senkrecht zur Strecke AE wirkt.

Die folgenden drei Sonderflle wollen wir noch betrachten:


einachsiger Zug/Druck:
Dieser Spezialfall reprsentiert den Spannungszustand des eindimen-
sionalen Dehnstabs. Hierbei herrscht ausschlielich eine Normalspan-
nung, alle anderen Spannungen sind 0. Folglich tangiert der zugeh-
rige M OHRsche Kreis die -Achse. Die maximale Schubspannung tritt
in Schnitten unter 45 auf, was unseren bisherigen Betrachtungen ent-
spricht.

0
M = 2

max
0
2 = 0 1 = 0 max = 2
M
0

45
Box 10.17
168 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

reiner Schub:
Der zweite Spezialfall ist der des reinen Schubes, wie er zum Beispiel
bei Torsion am Kreisquerschnitt auftritt. Hierbei ist nur die Schubspan-
nung 0 6= 0, die beiden Normalspannungen sind gleich 0 (x = y = 0).
Der Mittelpunkt fllt in diesem Fall auf den Ursprung und die Hauptspan-
nungswerte ergeben sich zu 1/2 = 0 und treten ebenfalls in Schnitten
unter 45 auf.

1 = 0
0 max
2 = 0 1 = 0

2 = 0

45
Box 10.18

hydrostatischer Spannungszustand
Fr einen hydrostatischen Spannungszustand gilt wie vorher erwhnt
x = y = 0 und xy = 0. Der Kreis wird damit zu einem Punkt auf
der -Achse mit dem entsprechenden Wert und alle Schubspannungen
verschwinden.

0

0
0
0

Box 10.19

10.5 Festigkeitshypothesen

Mit den Erkenntnissen der letzten Abschnitte knnen wir den Spannungs- und
Dehnungszustand in einem Bauteil berechnen und damit vorhersagen. Die
letztlich entscheidende Frage bei der Konstruktion ist allerdings, ob ein Bauteil
einer bestimmten Belastung widerstehen kann.
Diese Frage hngt selbstverstndlich von der Beanspruchbarkeit des verwen-
deten Materials ab. Experimentell lsst sich zum Beispiel die Fliegrenze einer
Materialprobe im Zugversuch ermitteln. Fr alle denkbaren mehrdimensiona-
len Spannungszustnde ist dies jedoch nicht so einfach mglich. Folglich sind
Kriterien hilfreich, nach denen ein Versagen des Materials im mehrdimensio-
nalen Zustand abgeschtzt werden kann, und zwar aufgrund von Parametern,
die zum Beispiel im eindimensionalen Zugversuch ermittelt werden knnen.
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 169

Ein solches Kriterium nennt man Festigkeitshypothese. Es wird eine zu be-


rechnende Gre, die Vergleichsspannung V definiert, die eine (in der Re-
gel experimentell bestimmte) maximal zulssige Spannung bzw. Festigkeit zul
nicht berschreiten darf:
V zul

Da sich die Eigenschaften von heutigen Materialien sehr stark unterscheiden,


existiert eine groe Anzahl an Festigkeitshypothesen, die das entsprechen-
de Materialverhalten mehr oder weniger genau widergeben. In diesem Zu-
sammenhang sei auch kurz das Gebiet der Materialforschung angesprochen,
welches versucht, das reale Materialverhalten in mathematisch anwendbare
Form als Materialgesetz zu formulieren. Beides sind Gebiete der aktuellen For-
schung. Wir wollen im Weiteren nur auf wenige einfache Festigkeitshypothesen
eingehen.

10.5.1 Normalspannungshypothese

Die naheliegendste Festigkeitshypothese geht davon aus, dass Versagen ein-


tritt, wenn die grte Hauptspannung

Box 10.20

gleich der Zugfestigkeit eines Werkstoffs ist, bzw. die kleinste Hauptspannung
gleich der Druckfestigkeit. Fr sprde Materialien erscheint diese Festig-
keitshypothese sinnvoll, wie die Bilder in Abschnitt 10.3 zeigen. Die Grenze
dieser Betrachtungsweise wird jedoch sofort klar, wenn man den im folgenden
dargestellten zweidimensionalen Spannungszustand analysiert. In beiden
Fllen herrscht die gleiche maximale Hauptspannung 1 , der Zustand ist
jedoch grundstzlich verschieden und ein entsprechendes Bauteil wird bei
unterschiedlichen Grenzspannungen versagen.

2 2

1 1

10.5.2 Schubspannungshypothese

hnlich motiviert ist die Festigkeitshypothese vom Versagen beim berschrei-


ten einer maximalen Schubspannung. Sie ist vom Verhalten duktiler Werkstof-
fe abgeleitet, vergleiche ebenfalls die Bilder in Abschnitt 10.3. Im zweidimen-
170 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

sionalen Fall ist die maximale Schubspannung nach dem vorigen Abschnitt
max = 12 (1 2 ). Bei einachsigem Zug ist demnach max = 21 zul . Daraus
ergibt sich die Vergleichsspannung

Box 10.21

Mit Hilfe der Gleichungen fr die Hauptspannungen lsst sich die Hypothese
im xy-Koordinatensystem formulieren

Box 10.22

Diese Hypothese wurde im Jahr 1864 von H. T RESCA aufgestellt und wird
hufig nach ihm benannt (T RESCA-Kriterium).

10.5.3 Hypothese der Gestaltnderungsenergie

Bei dieser deutlich komplexeren Hypothese wird die Materialbeanspruchung


durch denjenigen Energieanteil charakterisiert, der zur nderung der Gestalt
bei gleichbleibendem Volumen fhrt. Der Spannungszustand und damit die ge-
samte Formnderungsenergie werden in zwei Teilzustnde aufgespalten. Der
erste beschreibt die reine Volumennderung, also den hydrostatischen Anteil
der Formnderungsenergie. Es kann gezeigt werden, dass sich die Volumen-
nderung aus der invarianten Determinante des Verzerrungstensors berech-
nen lsst und somit nicht vom gewhlten Koordinatensystem abhngt. Der
zweite Zustand beschreibt dann die Gestaltnderung und damit die Gestal-
tnderungsenergie, bei gleichbleibendem Volumen. Die beiden Zustnde sind
in der folgenden Skizze dargestellt:
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 171

Volumennderung Gestaltnderung

Anhand des folgenden zweidimensionalen Beispiels soll die Aufspaltung ei-


nes Dehnungstensors in einen Volumennderungsanteil und einen isochoren
Anteil demonstriert werden:

Box 10.23

nsd ist dabei die Anzahl der Raumdimensionen (im vorliegenden Fall zwei) und
ij das bereits bekannte K RONECKER-Symbol, das im Falle gleicher Indizes
den Wert 1 und ansonsten den Wert 0 annimmt. Der Volumennderungsan-
teil Vol des Verzerrungstensors wird durch eine Diagonalmatrix mit identi-
schen Hauptdiagonalelementen verkrpert und beschreibt daher eine in al-
172 10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde

len nsd Raumrichtungen gleichmig verlaufende Streckung oder Stauchung.


Die identischen Hauptdiagonalelemente erhlt man durch eine Mittelung der
Dehnungen kk in den nsd Raumrichtungen. Eine nderung der Gestalt des
Krpers tritt nicht auf, da smtliche Nebendiagonalelemente bzw. Scherungen
null sind. Fr den isochoren Anteil isochor des Dehnungstensors ist hingegen
eine verschwindende Spur charakteristisch, d. h., die Summe der Hauptdia-
gonalelemente ergibt null. Im Rahmen der fr kleine Deformationen gltigen
linearen Theorie bedeutet dies, dass sich die Dehnungen in den nsd Raum-
richtungen im Hinblick auf eine Volumennderung gegenseitig ausgleichen.
Gleichzeitig treten als Nebendiagonalelemente dieselben Scherungen auf wie
im gesamten Dehnungstensor . Diese Scherungen verursachen zwar eine
Gestaltnderung, jedoch ebenfalls keine Volumennderung, weshalb das Vo-
lumen des Krpers insgesamt konstant bleibt.
Die Hypothese der Gestaltnderungsenergie beruht auf der Tatsache, dass
Werkstoffe, insbesondere Stahl, nicht flieen (plastifizieren), wenn sie unter
einem hydrostatischen Spannungszustand stehen. Demnach hat M. H UBER
im Jahr 1904 festgestellt, dass Versagen eintritt, sobald die Gestaltnderungs-
energie im Bauteil der Gestaltnderungsenergie der Zugprobe im Versagens-
fall entspricht. Das gleiche Kriterium wurde unabhngig auch von R. VON M I -
SES und H. H ENCKY definiert, weshalb es manchmal auch unter diesen Na-
men zu finden ist.
Ohne auf die Herleitung einzugehen, geben wir die Formeln zur Berechnung
der Vergleichsspannung (hufig auch VON M ISES-Spannung genannt) fr den
zweidimensionalen Fall an:

Box 10.24

Fr duktile Werkstoffe liefert diese Festigkeitshypothese die beste berein-


stimmung mit experimentellen Ergebnissen. Fr sprde Werkstoffe liefert die
Normalspannungshypothese gute Ergebnisse.
10. Allgemeine Spannungs- und Dehnungszustnde 173

10.6 Rckblick

Transformationsbeziehungen
Sowohl die Spannungs- als auch die Dehnungskomponenten lassen
sich in gedrehte Koordinatensysteme umrechnen. Die Transformations-
beziehungen sind stets die gleichen. Fr Spannungen lauten sie
1 1
= (x + y ) + (x y ) cos 2 + xy sin 2
2 2
1 1
= (x + y ) (x y ) cos 2 xy sin 2
2 2
1
= (x y ) sin 2 + xy cos 2
2

Hauptspannungen bzw. Hauptdehnungen


Es existieren ausgezeichnete Richtungen, in denen die herrschenden
Spannungen Extremwerte annehmen:
Hauptnormalspannungen
2xy
tan 2 =
x y
s 2
x + y x y 2
1/2 = + xy
2 2

Hauptschubspannungen
x y
tan 2 =
2xy
s 2
x y 2
max = + xy
2
1 1
M = (x + y ) = (1 + 2 )
2 2

Ebenso existieren Hauptdehnungen und deren Richtungen, die sich


analog berechnen lassen und fr isotropes Material gleich den Rich-
tungen der Hauptspannungen sind.

M OHRscher Spannungskreis
Die Beziehungen lassen sich als Kreis darstellen, der den betrachteten
Zustand vollstndig beschreibt. Seine Konstruktion ermglicht das Ab-
lesen gesuchter Werte und erleichtert das Verstndnis fr herrschende
Zusammenhnge.

Festigkeitshypothesen
Mit ihrer Hilfe kann abgeschtzt werden, wie weit ein gewisser Span-
nungszustand von einem bestimmten Versagenskriterium entfernt liegt.
Wir haben nur die einfachsten Hypothesen erlutert: Normal- und
Schubspannungshypothese und Hypothese der Gestaltnderungsener-
gie.
11 Spezielle Spannungs- und
Dehnungszustnde

Alle in dem letzten Kapitel gefundenen Beziehungen lassen sich direkt auf
den allgemeinen dreidimensionalen Fall erweitern. Fr die vollstndige und
exakte Beschreibung eines Spannungszustands einer realen Struktur ist die
dreidimensionale Darstellung erforderlich. Allerdings werden die Gleichungen
damit unhandlicher und die Anzahl der Variablen steigt. Es lohnt sich also dar-
ber nachzudenken, ob nicht die mechanische Einsicht in ein gegebenes Pro-
blem eine Vereinfachung rechtfertigt. Ergebnis solch einer Vereinfachung war
beispielsweise die eindimensionale Behandlung des Dehnstabs. Mit den nun
gewonnenen Erkenntnissen lassen sich weitere besondere Spannungs- bzw.
Dehnungszustnde finden, die die Lsung der damit verbundenen Ingenieurs-
aufgaben deutlich erleichtern. Auf einige dieser besonderen Flle gehen wir in
den folgenden Abschnitten ein.

11.1 Ebener Spannungszustand

Der sogenannte ebene Spannungszustand entspricht im Grunde genommen


dem bereits betrachteten zweidimensionalen Fall (siehe u. a. Kapitel 10). Auch
in der Realitt spielt er jedoch fr eine Vielzahl von Anwendungen eine groe
Rolle. Erste Voraussetzung fr diese Vereinfachung ist eine ebene Struktur
konstanter, sehr kleiner Dicke, die man als Scheibe bezeichnet. Weiterhin wer-
den nur uere Krfte betrachtet, die in der Strukturebene liegen. Da deshalb
aufgrund der Gleichgewichtsbedingungen die Normalspannung senkrecht zur
Ebene an den Oberflchen verschwinden muss, kann angenommen werden,
dass diese Spannung in der gesamten Struktur gleich null ist (z 0). Auf-
grund der kleinen Dicke der Scheibe kann zudem davon ausgegangen wer-
den, dass die restlichen Spannungskomponenten ber die Dicke konstant sind.
Innerhalb der Ebene stellt sich deshalb ein zweidimensionaler Spannungszu-
stand mit den Variablen x , y und xy ein, der aus dem dreidimensionalen
Spannungstensor aus Kapitel 2 durch Streichen der 3. Zeile und 3. Spalte her-
vorgeht.
 

= [ij ] = x xy
yx y

Das zugehrige H OOKEsche Gesetz kann mit z 0, xz 0 und yz 0


176 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

vom bereits bekannten, dreidimensionalen Fall (siehe Abschnitt 2.3) abgeleitet


werden. In Matrixschreibweise lautet es

x 1 0 x
y = E 2 1 0 y
(1 )
xy 0 0 1
2
xy

Zu beachten ist, dass sich trotz des ebenen Spannungszustands im Allgemei-


nen durchaus Dehnungen senkrecht zur Ebene einstellen, schlichtweg auf-
grund der Querkontraktion. Diese wichtige Erkenntnis wird auch bei Betrach-
tung des ebenen Verzerrungszustands im nchsten Abschnitt deutlich.
Das folgende Bild zeigt ein Beispiel fr einen ebenen Spannungszustand, in
dem aufgrund Querkontraktion Dehnungen quer zur Scheibenebene auftreten,
da sie nicht durch entsprechende Lagerung verhindert werden:

y
x
z

11.2 Ebener Verzerrungszustand

Sozusagen das Gegenstck zum ebenen Spannungszustand ist der ebene


Verzerrungszustand. Hier lsst sich der Dehnungszustand einer Struktur als
zweidimensionales Feld vereinfachen. Zur Anwendung kommt diese Vereinfa-
chung bei unendlich langen Strukturen. Dabei wird wiederum eine Scheibe
konstanter Dicke (z. B. T = 1) der Struktur betrachtet, bei der die Belastung
nicht ber die Dicke variiert. Deshalb variiert auch die Dehnung in Dicken-
richtung nicht. Die Scheibe ist sozusagen zwischen den anderen unendlich
vielen Scheiben eingeklemmt, weshalb z 0 gilt und sich folgender ebene
Verzerrungszustand einstellt:
 
x xy
= [ij ] =
yx y

Er ist vom dreidimensionalen Fall aus Kapitel 2 abgeleitet. Wiederum gilt auf-
grund der Querkontraktion, dass die Spannung in z-Richtung ungleich null ist,
was genau der Vorstellung des Einklemmens der Scheibe entspricht. Ein Bei-
spiel zeigt das folgende Bild eines langen Trgers:
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 177

x
z

Auch fr diesen Fall lsst sich der Zusammenhang von Spannungen und Ver-
zerrungen aus dem dreidimensionalen H OOKEschen Gesetz ableiten (z 0,
xz 0 und yz 0):

x 1 0 x
y = E
(1+)(12)
1 0 y
12
xy 0 0 2
xy

11.3 Kesselformeln fr Innendruck

Eine weit verbreitete Aufgabe in der industriellen Anwendung ist die Konstruk-
tion von Gastanks und Rohrleitungen unter Druckbelastung. Die Berechnung
der herrschenden Spannungen in den Wnden ist dafr erforderlich. In den
allermeisten Fllen ist die Dicke t der Wnde sehr viel kleiner als der Radi-
us r, weshalb wir von dnnwandigen Kesseln oder Rohren sprechen. Fr die
Berechnung der Spannungen knnen wir deshalb die Spannungen in radia-
ler Richtung vernachlssigen, was der Annahme des ebenen Spannungszu-
stands entspricht.

Zylindrische Kessel und Rohre

Wir betrachten einen zylindrischen Kessel unter Innendruck p mit der Wand-
strke t und dem Radius r:

2r
178 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Mit zwei Schnitten lassen sich die Spannung x in Achsrichtung und die Span-
nung in Umfangsrichtung berechnen. Zuerst schneiden wir mit einer hori-
zontalen Ebene durch den Mittelpunkt ein Halbkreisrohr heraus:

2r

p
t
l

Die konstante Druckverteilung im Rohr ergibt eine vertikale Kraft von 2rl p
auf die geschnittene Innenflche. Vertikales Gleichgewicht fhrt zu

Box 11.1

Die Lnge l krzt sich, die Spannung ist also unabhngig von der Lnge
des Kessels bzw. Rohrs und in Umfangsrichtung konstant.
Den zweiten Schnitt fhren wir mit einer vertikalen Ebene, die weit genug von
den Rndern des Kessels oder Rohrs entfernt ist:

Wiederum herrscht die Druckverteilung auf der geschnittenen Innenflche und


das horizontale Gleichgewicht ergibt fr die Lngsspannung

Box 11.2
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 179

Die beiden Gleichungen werden Kesselformeln genannt. Es muss allerdings


darauf hingewiesen werden, dass im Bereich der Abschlusswnde des Kes-
sels oder auch an den Enden eines offenen Rohres ein weitaus komplexerer
Spannungszustand herrscht, auf den wir hier nicht weiter eingehen wollen (vgl.
Literatur zu Schalen).

Kugelfrmige Kessel
p
p

Als weiteres Beispiel wollen wir noch einen kugelfrmigen Kessel untersu-
chen, der ebenfalls unter einem Innendruck p steht. Der dargestellte horizon-
tale Schnitt fhrt auf die Gleichgewichtsbeziehung

Box 11.3

Das Ergebnis stimmt mit dem fr die Umfangsspannung x des letzten Bei-
spiels berein. In dem Kessel herrscht folglich in beiden skizzierten Richtungen
die Spannung = pr 2t
. Da bei einer Kugel in jeder beliebigen Schnittrichtung
die gleichen Zusammenhnge bestehen, muss die Spannung = pr 2t
auch in
jeder beliebigen Richtung wirken.

Kontrolle des angenommenen Spannungszustands

Zum Abschluss noch ein Kommentar zu dem von uns angenommenen Span-
nungszustand. Wir sind fr die Berechnung davon ausgegangen, dass die
Spannungen senkrecht zur Wandung vernachlssigt werden und die Span-
nungen innerhalb der Wandebene konstant ber die Dicke verteilt sind. Es
lsst sich aus Gleichgewichtsbetrachtungen an den beiden Oberflchen sa-
gen, dass die Spannung auf der Innenseite gleich dem Innendruck p und
auf der Auenseite gleich null ist. Wegen r t sind die Spannungen innerhalb
der Wandebene gem den hergeleiteten Formeln, in denen diese Spannun-
gen stets mit rt skalieren, um ein Vielfaches hher als die Spannung senkrecht
dazu. Damit ist unsere Annahme gerechtfertigt.
180 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

11.4 Dnnwandige Balkenquerschnitte

Wie wir gerade gesehen haben, lsst sich die Untersuchung des Spannungs-
zustands einer Struktur deutlich vereinfachen, wenn es sich um eine dnne
Struktur handelt und man dies fr den grundstzlich mglichen Spannungszu-
stand bercksichtigt. Dies gilt auch fr Balken, deren Querschnitte aus dnnen
Wnden zusammengesetzt sind. Die Auenmae wie Breite und Hhe des
Querschnitts sind also gro gegenber den Wandstrken t. Die Geometrie
kann dann mit guter Nherung ber die Profilmittellinien angegeben werden.
Weiterhin knnen fr die Berechnung der Flchentrgheitsmomente die Terme
dritter Ordnung der Dicke (t3 ) vernachlssigt werden. Der Anteil von Flanschen
in Querschnitten, die senkrecht zur z-Achse liegen, beschrnkt sich folglich auf
den S TEINER-Anteil.
Diese Art von Querschnitten ist in der praktischen Anwendung sehr weit ver-
breitet, da sie geforderte Anforderungen sehr effizient, das heit mit ver-
gleichsweise wenig Material erfllen knnen. Als Beispiele seien die schon
bekannten I-Profile genannt, die Biegebelastungen effizient abtragen knnen
(vgl. Berechnung des Flchentrgheitsmoments). Ein weiteres Beispiel sind
Hohlprofile, wie zum Beispiel Tragflchen von Flugzeugen, die mit wenig Ma-
terial und damit Gewicht hohen Belastungen widerstehen knnen.
Weil diese Strukturen so verbreitet sind, gehen wir in den folgenden zwei Ab-
schnitten genauer darauf ein und zeigen die Konsequenzen und Berechnungs-
methoden auf. Die Gemeinsamkeit beider Abschnitte ist die Tatsache, dass
aufgrund der Dnnwandigkeit Annahmen zum Schubspannungsverlauf getrof-
fen werden knnen.

11.4.1 Schub infolge Querkraft an dnnwandigen Querschnitten

Wir untersuchen als einen typischen dnnwandigen offenen Querschnitt ein


U-Profil, das in z-Richtung belastet ist, was zu einer Querkraft Qz und damit,
wie wir sehen werden, unter anderem zu Schubspannungen xz fhrt. Die zur
z-Richtung zugehrigen Indizes wollen wir der bersichtlichkeit halber weglas-
sen.
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 181

h x
y
z

s3
t
Box 11.4

Fr die Beschreibung des Schubes infolge Querkraft fhren wir eine Wandko-
ordinate s ein, die der Profilmittellinie folgt. Der Schubverlauf wird in Abhn-
gigkeit von dieser Koordinate s ermittelt anstatt in Abhngigkeit von den Quer-
schnittskoordinaten y und z. Aufgrund der Dnnwandigkeit knnen folgende
Annahmen zur Verteilung der Schubspannungen getroffen werden:
Da die Schubspannungen an den (belastungsfreien) Oberflchen verschwin-
den mssen, verlaufen die Schubspannungen randparallel und damit tangenti-
al zur Profilmittellinie. Schubspannungen quer zur Mittellinie werden vernach-
lssigt. Weiterhin knnen die Schubspannungen ber die (geringe) Dicke als
konstant angenommen werden.
Aufgrund dieser Annahmen kann die Berechnung sehr gut mit dem Schubfluss
als resultierendem Kraftfluss durchgefhrt werden.

Box 11.5

Fr unser U-Profil verwenden wir die drei Profilkoordinaten s1 , s2 , s3 , um den


Schubfluss in den beiden Flanschen und dem Steg zu berechnen. Dazu be-
trachten wir, wie schon zur Herleitung des Schubs an Vollquerschnitten, einen
herausgeschnittenen Teil der Lnge dx und mit der Querschnittsflche A . Die
wirkenden Spannungen sind in der folgenden Abbildung dargestellt. Am freien
Ende mssen alle Schubspannungen verschwinden: sx (s = 0) = 0.
182 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

dx

A
sx(s) +
x dx
s

y x
z

Box 11.6

Aus Gleichgewicht in x-Richtung ergibt sich die Gleichung fr den Schubfluss


bzw. die Schubspannungen:

Box 11.7

Aus Kapitel 7 ist der folgende Zusammenhang zwischen der Normalspannung


und der Querkraft Q bekannt, der in einem Hauptachsensystem mit Ursprung
im Schwerpunkt des Querschnitts angeschrieben werden kann:
d Q
= z
dx I

Unter Verwendung des statischen Moments S(s) der Teilflche A als Funktion
von der Wandkoordinate s folgt fr die Schubspannung xs :

Box 11.8
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 183

bzw.
QS(s)
T (s) =
I
Zur Erinnerung sei noch einmal erwhnt, dass sich das relevante Flchentrg-
heitsmoment I unter Ausnutzung der Dnnwandigkeit vereinfacht berechnet
zu  2 !  
th3 h th3 b
I= +2 bt = 1+6
12 2 12 h

Da sowohl die Querkraft Q als auch das Flchentrgheitsmoment I an einer


gegebenen Stelle x konstant sind, hngt der Verlauf der Schubspannungen
xs (s) bzw. des Schubflusses T (s) ber den dortigen Querschnitt in Abhngig-
keit von der Wandkoordinate s mageblich vom statischen Moment S(s) der
Teilflche A ab. Mit den gegebenen Abmessungen knnen wir fr den oberen
Flansch berechnen:

Box 11.9

Daraus ergibt sich der Schubflussverlauf entlang des oberen Flansches zu


Q ht
T (s1 ) = s1
I 2

Die Schubspannungen nehmen demnach linear mit s1 zu und wirken wegen


des positiven Vorzeichens in Richtung der Koordinate s1 .
Um den weiteren Verlauf entlang des Steges zu berechnen, verwenden wir
die Koordinate s2 . Dafr mssen wir das statische Moment des Flansches als
Startwert bercksichtigen. Dies fhrt auf

Z s2
S(s2 ) = S(s2 = 0) + z t ds2 =
| {z } 0
= S(s1 = b)

Box 11.10

Zu beachten ist hier, dass z nicht mehr konstant ist, sondern von s2 abhngt,
was sich auf das Integral auswirkt. Folglich ist der Verlauf nun quadratisch in
s2 .
184 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Fr den Schubfluss ergibt sich schlielich


 
QS(s2 ) Q t 2 ht htb
T (s2 ) = = s2 + s2 +
I I 2 2 2

Als letztes berechnen wir den Verlauf im unteren Flansch. Fr die Profilkoordi-
nate s3 haben wir die positive Richtung nach links festgelegt. Der Startpunkt ist
das freie Ende des Flansches, weshalb wir keinen Startwert fr das statische
Moment und den Schubfluss bentigen (T (s3 =0)=0). Der Verlauf berechnet
sich zu

Z s3 Z s3
h ht
S(s3 ) = z t ds3 = t ds3 = s3
0 0 2 2

Box 11.11

Das negative Vorzeichen des Schubflusses zeigt an, dass der reale Schubfluss
entgegen der positiven Richtung von s3 gerichtet ist, also von links nach rechts.
Wir berprfen die Rechnung anhand einer Gleichgewichtsbetrachtung an der
unteren Profilecke:

Box 11.12

Das Gleichgewicht ist somit erfllt, der endgltige reale Schubfluss lsst sich
entlang des Profils skizzieren:

Box 11.13
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 185

Beispiel I-Trger
s2 Als zweites Beispiel wollen wir kurz
auf einen I-Trger eingehen, wie er
s1 in der Abbildung dargestellt ist. Die
Berechnung erfolgt wiederum mit ein-
s3 zelnen (eingezeichneten) Wandkoor-
dinaten si . Die Schubflussverlufe im
s5 Flansch knnen wir jeweils von aus-
sen kommend mit dem gleichen Prin-
s4 zip wie bisher berechnen.
Q

Am Kreuzungspunkt kann jedoch der Startwert nicht sofort abgelesen werden,


da hier drei Schubflsse zusammenkommen.

xA

dx T2dx T1dx

(x +
x dx)A
x

T3dx

Der Schubfluss verzweigt sich also. Das Problem lsst sich wiederum mit Hil-
fe einer Gleichgewichtsbetrachtung lsen. Fr jeden Wandabschnitt ist mit der
Wandkoordinate si gleichzeitig die positive Richtung des Schubflusses fest-
gelegt. Damit lsst sich das Gleichgewicht am Knoten aufstellen, wobei die
Anteile aus den Biegenormalspannungen verschwinden, wenn man beliebig
nah an dem Kreuzungspunkt schneidet (A 0). Zum Beispiel am oberen
Kreuzungspunkt mit den in der Skizze gewhlten Koordinatenrichtungen si :

Box 11.14

Allgemein lautet die Knotenpunktsgleichung


(
X mit Ti > 0 wenn Ti zum Knoten hin gerichtet
Ti = 0
i
mit Ti < 0 wenn Ti vom Knoten weg gerichtet
186 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Die Schubflsse in den einzelnen Querschnittsbereichen i ergeben sich zu


Z
Q si
Ti (si ) = z(si )t(si )dsi + Ti0
I si =0

Fr das I-Profil ergibt sich insgesamt der folgende qualitative Schubflussver-


lauf infolge Qz .

Schnitt durch Steg

Falls an einem Querschnitt mehrere Kreuzungspunkte mit mehreren Verzwei-


gungen existieren, so lassen sich dennoch alle Startwerte der Integrale mit ei-
nem Gleichungssystem aus den Knotenpunktsgleichungen und entsprechen-
den Randbedingungen fr verschwindenden Schubfluss an den freien Rn-
dern berechnen.

Schubmittelpunkt

Wir betrachten noch einmal das U-Profil des letzten Abschnitts. Es handelt
sich offensichtlich um ein zur y-Achse symmetrisches, allerdings zur z-Achse
unsymmetrisches Profil, bei dem der Flchenschwerpunkt (SP) innerhalb des
Us liegt. Der Ursprung des beschreibenden Koordinatensystems liegt im Fl-
chenschwerpunkt (siehe Bild rechts). Im Folgenden untersuchen wir einen
Balken mit U-Profil, der mit einer Einzellast in z-Richtung belastet ist, die im
Schwerpunkt angreift. Wir stellen fest, dass sich der Balken einerseits, wie er-
wartet, um die y-Achse biegt, er sich jedoch zustzlich um seine Lngsachse
verdreht (siehe Bild links).

P S
y

y A

z
z
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 187

Es stellt sich die Frage, warum sich der Balken bei einem derartigen Belas-
tungsfall verdreht? Um dies zu verstehen, wollen wir in einem ersten Schritt
den Schubspannungsverlauf infolge Qz , den wir im vorherigen Abschnitt be-
reits berechnet haben und der im Bild rechts nochmals dargestellt ist, durch
die Spannungsresultierende Qz statisch quivalent ersetzen. Integration der in
z-Richtung wirkenden Schubspannungen ber die Steghhe ergibt natrlich
genau die Spannungsresultierende Qz , whrend sich die Kraftwirkungen in y-
Richtung der Schubspannungen in den beiden Flanschen gerade aufheben.
Damit der reale Spannungsverlauf durch Qz statisch quivalent ersetzt wer-
den kann, muss die Lage der Wirkungslinie von Qz so bestimmt werden, dass
neben der Kraftwirkung auch die Momentenwirkung des Spannungsverlaufs
bezglich jedes beliebigen Bezugspunktes gleichwertig durch Qz ersetzt wird.
Der Einfachheit halber whlen wir als Bezugspunkt den Schnittpunkt A zwi-
schen unterem Flansch und Steg. Da die Schubflussresultierenden des unte-
ren Flansches und des Steges keinen Hebelarm zu dem Bezugspunkt haben,
brauchen wir nur den oberen Flansch zu bercksichtigen. Somit knnen wir
den zunchst unbekannten Abstand e der Wirkungslinie von Qz von der Steg-
mittelebene berechnen (siehe Skizze), welcher statische quivalenz von Qz
und dem abgebildeten Schubspannungsverlauf ermglicht:
.
=

Qz =

y S
e
=
A
z

Box 11.15

mit  
th3 b
Iy = 1+6
12 h

Der im Abstand e zur Stegmittelebene berechnete Angriffspunkt der Quer-


kraft Qz heit Schubmittelpunkt (SMP). Fr allgemeine Querschnitte (d. h.,
Querschnitte, die ber keine Symmetrieebene verfgen) msste in quiva-
lenter Weise die z-Koordinate des Schubmittelpunkts berechnet werden, um
die Momentenwirkung von Querkrften Qy ebenfalls korrekt zu erfassen. Wie
wir in Abschnitt 11.4.2 sehen werden, fhrt der oben dargestellte, ber die
188 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Wandstrke t konstante Schubspannungsverlauf aus Querkraft zwar zu einer


Scherdeformation des Balkens, allerdings zu keiner Verdrillung der Querschnit-
te. Dieses Wissen wollen wir im Folgenden als gegeben voraussetzen. Unter
dieser Voraussetzung wenden wir uns nochmals der anfnglichen Frage zu,
warum sich ein Balken, der durch Lasten quer zur Balkenachse auerhalb des
Schubmittelpunkts belastet wird, verdreht. Die folgenden beiden Bilder sollen
diese Fragestellung nochmals illustrieren:

Links wird das U-Profil mit einem Gewicht in der Schwerpunktsebene belastet
und verdreht sich. Im rechten Bild ist die Last in der Schubmittelpunktsebene
angebracht und der Trger verdreht sich nicht. Betrachten wir zunchst letztere
Konfiguration, fr die sich die beiden folgenden schematischen Schnittbilder
ergeben:

Qz

F F
y y
e e

z z

Die durch die uere Belastung F verursachten Schubspannungen infolge


Querkraft (im linken Schnittbild am negativen Schnittufer eingezeichnet) kn-
nen hinsichtlich ihrer Kraft- und Momentenwirkung statisch quivalent durch
die resultierende Querkraft Qz im Abstand e vom Steg, d. h., im Schubmittel-
punkt, ersetzt werden (im rechten Schnittbild am negativen Schnittufer einge-
zeichnet). Das Krftegleichgewicht in z-Richtung ergibt:

Qz = F
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 189

Da die beiden Krfte Qz und F denselben Abstand zur x-Achse aufweisen,


betragsmig gleich gro sind und in entgegengesetzte Richtungen wirken, ist
kein zustzliches Schnittmoment um die x-Achse (Torsionsmoment) am nega-
tiven Schnittufer erforderlich, um das Momentengleichgewicht des Balkenele-
ments bezglich der x-Achse zu gewhrleisten. Das heit, in der Schnittebene
wirken lediglich die im linken Schnittbild dargestellten Schubspannungen infol-
ge Querkraft, die gem Annahme keine Verdrillung der Querschnitte verur-
sachen. Das belastete Balkenende verdreht sich daher nicht um die x-Achse.
Natrlich ruft die uere Belastung F neben den Schubspannungen zustzlich
Normalspannungen bzw. ein resultierendes Schnittmoment My am negativen
Schnittufer hervor, da sonst das Momentengleichgewicht um die y-Achse nicht
erfllt wre. Diese zustzlichen Schnittgren sind fr die vorliegende Frage-
stellung jedoch unwesentlich und wurden deshalb der bersichtlichkeit halber
in den Schnittbildern nicht eingezeichnet.
Nun betrachten wir noch den Trger, bei dem die uere Last in der Schwer-
punktsebene bzw. auerhalb des Schubmittelpunkts des U-Profils eingeleitet
wird. Im folgenden schematischen Schnittbild wurden die durch die uere Be-
lastung F verursachten Schubspannungen infolge Querkraft wiederum durch
die resultierende Querkraft Qz im Schubmittelpunkt ersetzt:

Qz
MT
e

SM P F
y
e
ySMP

Das Krftegleichgewicht in z-Richtung liefert erneut:

Qz = F

Da die uere Last F in diesem Fall nicht mehr denselben Abstand zur x-
Achse aufweist wie die innere Querkraft Qz , ist ein zustzliches Torsionsmo-
ment MT (vom Betrag MT = F ySM P , wobei ySM P die y-Koordinate des Schub-
mittelpunkts bezeichnet) in der Schnittebene notwendig, um Momentengleich-
gewicht des Balkenstcks bezglich der x-Achse zu gewhrleisten. Dieses
zustzlich auftretende Torsionsmoment MT fhrt letztlich zur Verdrillung der
Balkenquerschnitte und somit zu einer Verdrehung des belasteten Balkenen-
des um seine Lngsachse. Bei einer auerhalb des Schubmittelpunkts auf den
Balken wirkenden Querbelastung ergibt sich der Gesamtschubspannungsver-
lauf daher als berlagerung der beiden Schubspannungsverlufe infolge der
190 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Querkraft Qz und des Torsionsmoments MT (siehe Abschnitt 11.4.2). Natr-


lich entstehen darber hinaus wiederum Normalspannungen bzw. ein resultie-
rendes Schnittmoment My infolge Biegung, die in der Skizze wiederum nicht
eingezeichnet wurden.
Ausgehend von derartigen Betrachtungen definiert man, dass die mit Schub-
spannungen assoziierten Schnittgren Qy , Qz und MT am Schubmittelpunkt
des Querschnitts angreifen, whrend die mit Normalspannungen assoziierten
Schnittgren N, My und Mz am Flchenschwerpunkt des Querschnitts an-
greifen:

Qz
SM P
SP
y Qy My
N
MT
Mz
x
z

Diese Definition kann man sich auch durch folgende berlegungen plausibel
Ergnzung
machen: Wie wir aus der TM I wissen, kann eine Kraft statisch quivalent paral-
lel zu ihrer Wirkungslinie verschoben werden, wenn die sich daraus ergebende
nderung ihrer Momentenwirkung durch ein zustzlich aufgebrachtes Krfte-
paar bzw. Moment kompensiert wird. Folglich knnten die vorhin betrachte-
ten, entlang des U-Profils verlaufenden Schubspannungen infolge Querkraft
auch durch eine resultierende Querkraft Qz im Flchenschwerpunkt (anstatt im
Schubmittelpunkt) und ein zustzliches Schnittmoment um die x-Achse ersetzt
werden. Dieses Schnittmoment drfte letztendlich jedoch keine Torsion bzw.
Verdrillung der Balkenquerschnitte verursachen, da gem Abschnitt 11.4.2
auch die ursprnglichen Schubspannungen entlang des U-Profils nur zu ei-
ner reinen Scherdeformation des Balkens, nicht jedoch zu einer Verdrillung
der Balkenquerschnitte fhren. Aus diesem Grund wre der bereits aus Kapi-
tel 4 bekannte und in Abschnitt 11.4.2 wieder aufgegriffene Zusammenhang
(x) = MGIT (x)
T
zwischen der Verdrillung (x) und dem Schnittmoment MT (x)
um die x-Achse ungltig und fr die mathematische Beschreibung von allge-
meinen Torsionsproblemen nicht mehr geeignet. Um dies zu vermeiden und
sicherzustellen, dass eine verschwindende Querschnittsverdrillung immer mit
einem verschwindenen Schnittmoment um die x-Achse einhergeht, wird der
Schubmittelpunkt des Querschnitts als Angriffspunkt der resultierenden Quer-
kraft Qz definiert, womit eine Parallelverschiebung von Qz und die damit ver-
bundene Einfhrung eines zustzlichen Schnittmoments um die x-Achse hin-
fllig werden.

Whrend wir uns mit dem Schubmittelpunkt als Angriffspunkt der Querkrfte
bereits beschftigt haben, bleibt die Frage, warum als Angriffspunkt der Nor-
malkraft der Flchenschwerpunkt gewhlt wird. Wie bereits im Kapitel 5.4 ge-
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 191

zeigt wurde, verschwindet die Momentenwirkung einer ber den Querschnitt


konstanten Normalspannung bezglich des Flchenschwerpunktes. Folglich
darf auch die Normalkraft als Spannungsresultierende, die den Zustand kon-
stanter Normalspannung reprsentiert, keine Momentenwirkung bezglich des
Flchenschwerpunkts aufweisen. Die Normalkraft muss also durch den Fl-
chenschwerpunkt verlaufen. Wirkt als uere Belastung auf einen Balken bei-
spielsweise eine Kraft Fx in Balkenlngsrichtung, die auerhalb des Flchen-
schwerpunkts angreift (Versatz a), so kann diese statisch quivalent durch eine
Kraft Fx im Flchenschwerpunkt (ebenfalls in Balkenlngsrichtung) und ein zu-
stzlich zu bercksichtigendes Biegemoment (Betrag: Fx a) ersetzt werden,
wodurch eine berlagerung aus konstanter Lngsdehnung und Biegung ent-
steht:

SP y
y a
N N N a

x x
z z

Zusammenfassend wollen wir festhalten:

Satz. Als Angriffspunkt der Querkrfte (Qy , Qz ) ist der Schubmittelpunkt defi-
niert. Nur falls die Wirkungslinien aller von auen auf den Balken einwirkenden
Kraftkomponenten quer zur Balkenachse durch den Schubmittelpunkt verlau-
fen und keine ueren Torsionsmomente auf den Balken einwirken, tritt in den
Querschnitten kein Torsionsmoment zustzlich zu den Querkrften auf und die
verursachte Biegung bleibt torsionsfrei.

Ferner gilt:

Satz. Als Angriffspunkt der Normalkraft N ist der Flchenschwerpunkt defi-


niert. Nur falls die Wirkungslinien aller von auen auf den Balken einwirkenden
Kraftkomponenten parallel zur Balkenachse durch den Flchenschwerpunkt
verlaufen, tritt in den Querschnitten kein Biegemoment infolge der Normalkrf-
te auf und die verursachte Normaldehnung fhrt zu keiner Biegung.

Die Lage des Schubmittelpunkts lsst sich entsprechend dem obigen Vorge-
hen fr jeden Querschnitt eindeutig berechnen. Symmetrieachsen sind stets
geometrische Orte fr den Schubmittelpunkt. Bei doppel- und punktsymme-
trischen Querschnitten fallen Schubmittelpunkt und Schwerpunkt zusammen.
Weiterhin liegt fr Querschnitte, die sich nur in einem Punkt verzweigen, der
Schubmittelpunkt im Verzweigungspunkt, da die Schubflussresultierenden Ri
kein Moment bezglich dieses Punktes erzeugen.
192 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

11.4.2 Torsion an dnnwandigen Querschnitten

Die Torsion von allgemeinen Querschnitten bedarf einer aufwndigen Behand-


lung. Wir haben uns in Kapitel 4 deshalb auf Kreis- und Kreisringquerschnit-
te beschrnkt. Bei dnnwandigen Querschnitten kann man aufgrund der An-
nahmen, die fr die Spannungsverteilung und spter auch fr die Verformung
gemacht werden knnen, noch brauchbare vereinfachte Berechnungsformeln
aufstellen. Da dnnwandige Strukturen in der Technik hufig eingesetzt wer-
den, wollen wir die Berechnung im Folgenden genauer betrachten. Wir unter-
scheiden dabei geschlossene (Hohl-)Profile und offene Profile.

Geschlossene dnnwandige Querschnitte

Das dnnwandige Profil kann wie vorher ber die Profilmittellinie charakteri-
siert werden, fr die wir die Koordinate s einfhren, und ber die Wandstrke
t(s), die vernderlich sein kann. Wie fr den Schubfluss infolge Querkraft kann
auch fr die Torsion am dnnwandigen Querschnitt ein ber die Dicke konstan-
ter Schubspannungsverlauf (s) angenommen werden, der immer in Richtung
der Profilmittellinie wirkt (zugeordnete Schubspannungen mssen aus Gleich-
gewichtsgrnden an freien Rndern verschwinden).

T (s) = (s) t(s)

Im folgenden Bild ist ein Hohlprofil unter reiner Torsionsbelastung dargestellt,


an dem wir wie gewohnt ein Element herausschneiden und Gleichgewichtsbe-
trachtungen anstellen. Hierbei sind als wirkende Spannungen die Schubflsse
am Querschnitt und die zugeordneten Schubflsse eingetragen.
dAm

T TA
ds dx ds
t
tA
T
O T
T+ x dx TB
MT
tB
x

r
Box 11.16

Als Voraussetzung wollen wir wie schon beim Vollkreisquerschnitt annehmen,


dass eine Verwlbung des Querschnitts nicht behindert wird. Unter Verwlbung
versteht man die Deformation in Lngsrichtung (x-Richtung), die bei einem
allgemeinen Querschnitt auftreten kann (vgl. Kapitel 4). In diesem Fall treten
infolge Torsion keine Lngsspannungen auf, weshalb sich aus dem Gleichge-
wicht in x-Richtung ergibt:
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 193

T = T (x)

Box 11.17

Demnach ist der Schubfluss an der Stelle x konstant ber den gesamten Quer-
schnitt und wirkt tangential zur Profilmittellinie.
Wir bentigen nun noch einen Zusammenhang zwischen den Schubspannun-
gen bzw. dem Schubfluss und dem Torsionsmoment als reprsentative Schnitt-
gre. Das resultierende Schnittmoment MT (x) bezglich eines zunchst be-
liebigen Bezugspunkt 0 ist

MT (x) =

ausgedrckt mit der Dreiecksflche dAm = 1


2
r ds

MT (x) =

Box 11.18

Dabei ist Am die von der Profilmittellinie umschlossene Kernflche. Die Integra-
tion verluft entlang der Profilkoordinate s einmal um den Querschnitt herum,
was mit dem Kreis im Integralzeichen angedeutet ist (Umlaufintegral).
Schlielich ist die Schubspannung (erste B REDTsche Formel)

Box 11.19
194 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Offensichtlich herrscht die grte Schubspannung an der Stelle der kleins-


ten Wanddicke max = tmin
T
= M
WT
T
mit dem Torsionswiderstandsmoment WT =
2Am tmin .
Nun wollen wir noch den Zusammenhang zwischen der nderung des Ver-
drehwinkels (um die x-Achse) (x) und dem Torsionsmoment MT (x) finden.
Ziel ist es, einen Ausdruck entsprechend dem Zusammenhang beim Kreis-
querschnitt = GI
MT
T
zu finden. Die noch unbekannte Gre IT bestimmen wir
ber den Arbeitssatz und eine Gegenberstellung der inneren Arbeit.
Es galt fr den Kreisquerschnitt die folgende Beziehung:
Z
MT MT
1 = dx
GIT
Fr einen beliebigen dnnwandigen Hohlquerschnitt ist allgemein anzuschrei-
ben:

Box 11.20

Es soll daran erinnert werden, dass es sich hierbei um die von den virtuellen
Schubspannungen infolge eines virtuellen Torsionsmoments vom Betrag 1
entlang der realen Scherungen geleistete Fremdarbeit handelt.
Mit =
G
und = MT
2Am t
bzw. = 2A MT
mt
folgt
ZZ
MT MT 1
1 = tdsdx
l A 2Am t 2Am t G
Z  I 
MT MT ds
= dx
l G 4A2m t
Z
! MT MT 1
= dx
l G IT
Damit knnen wir als Torsionstrgheitsmoment des Hohlquerschnitts einfhren
(mit dA = tds)

Box 11.21

Zusammen mit der Gleichung zur Berechnung der Verdrehung


MT
=
GIT
ist dies die zweite B REDTsche Formel.
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 195

Offene dnnwandige Querschnitte

Offene dnnwandige Querschnitte lassen


MT 0
sich hufig aus schlanken Rechtecken
konstanter Wandstrke zusammensetzen
y t
(z. B. I-, T-, L- oder U-Profile). Wir kn-
nen daher aus der Betrachtung eines ein- z
x

zigen schlanken Rechteckquerschnitts auf


das Gesamtverhalten infolge Torsion sol-
cher Profile schlieen. a
In der Abbildung rechts ist solch ein schlan-
kes Rechteckprofil unter konstanter Torsi-
MT 0
onsbelastung dargestellt.

Bei der Ableitung der Formeln fr den


dnnwandigen offenen Querschnitt stellt
man sich vor, der Querschnitt bzw. Quer-
t schnittsteil wre aus einer Vielzahl von
ineinander geschachtelten Hohlquerschnit-
ten aufgebaut, wie in nebenstehender Ab-
bildung (Dicke berhht) dargestellt.
Jeder Hohlquerschnitt hat die Breite dy.
Der Schubflussverlauf eines Hohlquer-
schnitts ist konstant. Basierend auf der
0 Ineinanderschachtelung dieser konstanten
Abschnitte kann ein linearer Verlauf ber
die Dicke t angenommen werden.
Die Bedingung, der Querschnitt sei dnn-
a S wandig, ist dann erfllt, wenn die Strzone,
y also der Bereich, in dem kein gleichfrmi-
dy z ger Schubfluss herrscht, klein im Vergleich
zur Gesamtlnge a bleibt. Dann kann mit
guter Nherung die Kernflche angesetzt
werden zu
Strzone

Am (y) = 2y a

Der Faktor 2 ergibt sich daraus, dass die


Breite eines Hohlquerschnitts gleich 2y ist.
Box 11.22
Die linear vernderliche Schubspannung
(y) im Rechteck ist
0
(y) = y
t/2

Mit der Formel fr den Schubfluss am Hohlquerschnitt bertrgt ein Teilquer-


schnitt mit dem Schubfluss dT = (y)dy den Anteil dMT des gesamten angrei-
fenden Torsionsmoments
0 2
dMT = 2Am (y)dT = 2 2ya (y)dy = 8a y dy
t
196 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Das gesamte Torsionsmoment des dnnwandigen Rechteckquerschnitts er-


gibt sich als Resultierende der Torsionsmomentenanteile aller Hohlquerschnit-
te durch Integration von y = 0 bis y = 2t .

Box 11.23

Die maximale Schubspannung tritt am Rand des Profils


auf, wie in nebenstehender Abbildung klar wird.
)
max
max = (y = t/2) = 0

Damit knnen wir auch ein Torsionswiderstandsmo-


ment definieren
MT
max =
WT
mit
1
WT = at2
t 3

Wir wissen also, dass fr den Fall reiner Torsion dnnwandiger, offener Quer-
Ergnzung
schnitte (zumindest in ausreichender Entfernung von Eck- bzw. Knickstellen)
die Schubspannungsverteilung einen linearen Verlauf ber die Wandstrke t
mit Nulldurchgang in der Mittelfaser annimmt. Aus den vorherigen Abschnitten
wissen wir auerdem, dass die Schubspannung infolge Querkraftbelastung als
nherungsweise konstant ber die Wandstrke angenommen wird. Ein allge-
meiner Schubspannungsverlauf kann im Rahmen der linearen Theorie deshalb
immer als berlagerung eines linearen Anteils aus Torsion und eines konstan-
ten Anteils aus Querkraft aufgefasst werden:

Gesamt T orsion Querkraf t

= +

t t t
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 197

Nun verstehen wir auch, weshalb der in Abschnitt 11.4.1 betrachtete, ber die
Wandstrke konstante Schubspannungsverlauf aus Querkraft zu keiner Ver- Ergnzung
drillung der Querschnitte fhrte. Der Grund dafr ist, wie wir seit diesem Ab-
schnitt wissen, dass eine Querschnittsverdrillung dnnwandiger, offener Quer-
schnitte immer mit einem linear ber die Wandstrke vernderlichen Schub-
spannungsverauf einhergeht. Im brigen zeigt diese Betrachtungsweise ei-
ne Analogie zur bereits in Kapitel 5 diskutierten Normalspannungsverteilung
(ber der Querschnittshhe) infolge Normalkraft und Biegemoment auf. Die
Gesamtnormalspannungsverteilung setzte sich aus einem linearen Biegean-
teil mit Nulldurchgang im Flchenschwerpunkt und einem konstanten Normal-
spannungsanteil aus Normalkraft zusammen.

Mit der zweiten B REDTschen Formel lsst sich nun das Torsionstrgheitsmo-
ment IT in analoger Weise ableiten:

Box 11.24

Ist ein dnnwandiges Profil aus i schmalen Rechtecken zusammengesetzt, die


denselben Schubmodul G besitzen und sich allesamt auf die gleiche Art und
Weise verdrehen, lsst sich das Torsionstrgheitsmoment IT des gesamten
Profils mithilfe der Gleichung = GI
MT
T
nherungsweise wie folgt berechnen:
MT MT,i
G = = = const.
IT IT,i
P
MT i MT,i
X MT,i X 1X 3
IT = = = = I T,i = ai ti
G G i
G i
3 i

Fr die im Querschnittsteil i auftretende maximale Schubspannung max,i gilt:


I
MT,i MT IT,i MT IT,i MT 13 ai t3i MT
max,i = = T
= = 1 2 = ti
WT,i WT,i IT WT,i IT 3 ai ti IT

Die maximale Torsionsschubspannung max im gesamten Querschnitt betrgt


somit

Box 11.25
198 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

und wirkt im Querschnittsteil mit der grten Wandstrke tmax . Schlielich


definieren wir noch das Widerstandsmoment WT des gesamten Querschnitts
wie folgt:

Box 11.26

Vergleich von offenen und geschlossenen Profilen

Wir betrachten das Beispiel eines dnnwandigen Quadratprofils.


t Fr den Fall des geschlossenen Qua-
dratrohrs ergibt sich fr das Torsions-
trgheitsmoment
t
y a

IT,geschlossen =

z Box 11.27

t Fr den Fall des geschlitzten (offenen)


Quadratrohrs ergibt sich fr das Torsi-
onstrgheitsmoment
t
y a

IT,offen =

z Box 11.28

Als Verhltnis der Steifigkeiten folgt


IT,geschlossen 3  a 2
= 1, da t a
IT,offen 4 t

Allgemein besitzen offene dnnwandige Querschnitte eine deutlich geringere


Torsionssteifigkeit als geschlossene.
Wir betrachten auch noch die Beanspruchung, also die maximale Schubspan-
nung infolge eines Torsionsmoments MT . Fr den geschlossenen Querschnitt
ergibt sich
11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde 199

Box 11.29

Fr den offenen gilt hingegen

Box 11.30

Das Verhltnis ist demnach


max,geschlossen 4at2 2t
= 2 = 1,
max,offen 2a t 3 3a
wodurch klar wird, dass die maximale Spannung im geschlossenen Profil deut-
lich geringer ist als im offenen.
Abschlieend soll noch einmal bemerkt werden, dass die allgemeine Torsi-
on bzw. Wlbkrafttorsion aufgrund des Zusammenspiels zwischen Verdrehung
und Verwlbung des Querschnitts deutlich aufwndiger zu lsen ist. Im Rah-
men dieses Skripts haben wir uns deshalb auf Einzelflle beschrnkt, fr eine
tiefgreifendere Darstellung verweisen wir auf die Literatur.

11.5 Rckblick

Ebener Spannungszustand
Aus der Bedingung z 0 kann der 3D-Zustand in einen 2D-Zustand
mit x , y , xy berfhrt werden. Das Hookesche Gesetz fr den ebenen
Spannungszustand lautet

x 1 0 x
y = E 2 1 0 y
(1 )
xy 0 0 1
2
xy

Ebener Dehnungszustand
Auch hier kann ein 2D-Zustand betrachtet werden (z 0)

x 1 0 x
y = E
(1+)(12)
1 0 y
12
xy 0 0 2
xy
200 11. Spezielle Spannungs- und Dehnungszustnde

Kesselformel
Fr die Spannung eines Zylinder-Kessels unter Innendruck gilt in Kreis-
umfangsrichtung
pr
=
t
und in Zylinderrichtung (genauso wie im kugelfrmigen Kessel berall)
pr
x =
2t

Querkraftschub am dnnwandigen Balkenquerschnitt


Der Schubspannungsverlauf ist konstant ber die (dnne) Wanddicke
t(s) und wird mit dem Schubfluss T (s) entlang der Profilmittellinie be-
rechnet. Hierzu werden Wandkoordinaten si eingefhrt. Es gilt

QS(s) QS(s)
T (s) = bzw. xs (s) =
I It(s)

Um torsionsfreie Biegung zu erhalten, ist der Angriffspunkt der Quer-


krfte (bzw. der Lasten) im Schubmittelpunkt anzusetzen. Seine Lage
lsst sich aus der Momentenwirkung der Schubflussresultierenden be-
rechnen.

Torsion am dnnwandigen geschlossenen Balkenquerschnitt


Infolge Torsion verlaufen die Schubspannungen konstant ber die Di-
cke und der Schubfluss konstant ber den Querschnitt. Es gelten die
folgenden Formeln mit Am als Kernflche (B REDTsche Formeln)

MT = GIT = 2Am T
MT MT
(s) = max = mit WT = 2Am tmin
2Am t(s) WT
2
4A
IT = H dsm
t(s)

Torsion am dnnwandigen offenen Balkenquerschnitt


Am offenen Balkenquerschnitt verlaufen die Schubspannungen linear
ber die Dicke. Ist er aus Rechtecken der Hhe hi zusammengesetzt
gilt nherungsweise
MT 1X 3
IT = = ai ti
G 3 i
P
MT MT 1 i ai t3i
max,i = ti max = mit WT =
IT WT 3 tmax
12 Stabilittsversagen durch
Knicken

An dieser Stelle wollen wir ein aus der TM I bekanntes Thema erneut auf-
greifen. Dort haben wir statische Gleichgewichtslagen bezglich ihres Stabi-
littsverhaltens charakterisiert. Die Gleichgewichtslage wurde dann als stabil
bezeichnet, wenn das System nach einer kleinen Auslenkung wieder in die
ursprngliche Gleichgewichtslage zurckkehrt.
Fr konservative Systeme wurde gezeigt, dass die Gleichgewichtslage genau
dann stabil ist, wenn die zugehrige Potentialfunktion V ein Minimum hat:

instabil stabil

Dies ist quivalent dazu, dass im ausgelenkten System eine rckstellende


Kraftwirkung auftritt, gegen die bei der Auslenkung Arbeit geleistet wird. Diese
rckstellende Kraft drckt dann das gestrte System wieder in den Ausgangs-
zustand zurck:

instabil stabil

Im instabilen Fall hingegen entfernt sich das System nach einer Strung auf-
grund der Kraftwirkung weiter aus der Gleichgewichtslage.
In diesem Kapitel wollen wir nun speziell Gleichgewichtslagen von Stben un-
ter Druckbelastung untersuchen.

12.1 Verzweigen von Gleichgewichtspfaden

Wir betrachten ein einfaches System aus einem drehbar gelagerten starren
Balken und einer Drehfeder. Die Wirkungslinie der ueren Kraft F sei unab-
hngig von der Auslenkung immer in vertikaler Richtung:
202 12. Stabilittsversagen durch Knicken

l sin l sin
F
F F

l

c c

Mc

Box 12.1

Der Drehwinkel und das Federmoment Mc () seien in diesem Abschnitt


rechtsdrehend als positiv angenommen. Es gilt somit

Mc () = c

Im Weiteren beschrnken wir uns auf positive Werte von < 90 . Negative
Werte mssen aus Symmetriegrnden die selben Ergebnisse liefern.

Existenz mehrerer Gleichgewichtslagen

Im unausgelenkten Zustand ( = 0) befindet sich das System offensichtlich im


statischen Gleichgewicht. Aus dem Zusammenspiel zwischen Federwirkung
und uerer Belastung knnen aber noch weitere Gleichgewichtslagen ent-
stehen. Diese kann man finden, indem man das Momentengleichgewicht am
ausgelenkten System aufstellt:

Box 12.2

Fr 0 ist sin . Somit existiert fr Fcl > 1 zustzlich zum unausge-


lenkten Zustand noch eine weitere Gleichgewichtslage. Diese lsst sich zum
Beispiel grafisch als Schnitt zwischen den Kurven und Fcl sin bestimmen:
12. Stabilittsversagen durch Knicken 203


Fl
c
sin =


Fl
c sin



sin 90

Fr 0 ergibt sich also folgendes Bild:

c c
F l
F > l

Gleichgewichtslagen =0 =0
Fl
= c
sin

Stabilitt der Gleichgewichtslagen

Wir haben jetzt gesehen, dass ab einem kritischen F mehrere Gleichgewichts-


zustnde vorliegen knnen. Wir stellen uns nun die Frage, ob die jeweiligen
Zustnde stabil sind. Dazu betrachten wir eine Gleichgewichtslage (beschrie-
ben durch den Winkel ) und stren diese durch eine kleine Auslenkung :

$M_c$

Box 12.3

Durch diese Strung wird das System aus dem Gleichgewicht gebracht. Ins-
besondere verschwindet die Momentensumme nicht mehr, sondern es ergibt
sich ein resultierendes Gesamtmoment Mr (Vorzeichendefinition wie fr und
Mc ), das auf den Balken wirkt:
204 12. Stabilittsversagen durch Knicken

Box 12.4

Ist Mr < 0, so hat es rckstellenden Charakter. Dies bedeutet, dass es


versucht, den Balken wieder in die (stabile) Gleichgewichtslage zurck zu
drcken. Im Fall Mr > 0 hingegen wrde es ein weiteres Abkippen des Bal-
kens zur Folge haben. Dieser Fall entsprche einem instabilen Gleichgewicht.
Da wir von kleinen Strungen ausgehen, knnen wir den Sinus-Term in der
vorherigen Formel in Abhngigkeit von linearisieren, d. h., durch ein linea-
res TAYLOR-Polynom um den Entwicklungspunkt ersetzen:

. d sin
sin( + ) = sin + = sin + cos
d

Es folgt fr das resultierende Gesamtmoment Mr ():

Mr () = F l (sin + cos ) c ( + )
= F l sin c + [F l cos c]
| {z }
=0
= [F l cos c]

Damit knnen wir nun folgende Aussagen machen:


Fr die Gleichgewichtslage = 0 ist

Mr () = [F l c]

Wir mssen hier abhngig von der Belastung F drei Flle unterscheiden:
1. Fr F < cl hat das resultierende Moment rckstellenden Charakter.
In diesem Fall ist nmlich der Klammerausdruck [F l c] negativ
und somit wirkt das Moment entgegen der Strung. Die Gleichge-
wichtslage = 0 ist damit stabil fr F < cl .
2. Fr F > cl wirken Moment und Strung in die selbe Richtung. Das
Gleichgewicht ist somit instabil.
3. Fr F = cl entsteht in erster Nherung kein resultierendes Moment
durch die Strung. Es liegt ein indifferentes Gleichgewicht vor.
Die zweite Gleichgewichtslage = Fcl sin tritt nur auf, falls F > cl . Mit
dem , welches die Gleichung lst, gilt dann
.
Mr () = [F l cos c]
12. Stabilittsversagen durch Knicken 205

sin
Fr die Funktionen cos und
gilt fr 0 < < 90 :

1
sin()

0.8

0.6 cos ()
sin
cos < 0.4

0.2

0
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4
[rad]

Deswegen ist fr > 0


 
. sin
Mr () = [F l cos c] < F l c

In den Ausdruck auf der rechten Seite kann man die Bestimmungsglei-
chung fr die Gleichgewichtslage einsetzen. Es ergibt sich damit:

sin

Mr () < F l c = 0

| {z }
= Fcl

Das resultierende Moment wirkt hier somit als rckstellendes Moment


der Auslenkung entgegen (Fall < 0 analog). Die zweite Gleichge-
wichtslage ist somit (sobald sie auftritt) stabil.

Verhalten des Systems bei ansteigender Belastung

Aus den Stabilittsbetrachtungen lassen sich folgende Schlsse ziehen, falls


man das Ausgangssystem mit einer langsam ansteigenden Kraft F belastet:
Fr F < Fkrit := cl befindet sich das System in der Ausgangskonfiguration
in einer stabilen Lage.
Fr F Fkrit = c
l
verzweigen die Gleichgewichtslagen in drei Pfade:
F
stabil stabil

instabil

Fkrit
stabil


Box 12.5
206 12. Stabilittsversagen durch Knicken

Das System kann nun bei einer Erhhung der Belastung ber Fkrit einen
der drei Pfade einschlagen. Ist dies einer der beiden stabilen Pfade, so
wird das System diesen auch bei kleinen Strungen nicht mehr verlas-
sen. Ist es hingegen der instabile Pfad, so kann durch eine kleine St-
rung, wie sie in der Realitt immer vorkommt, das System den Pfad ver-
lassen. Das System geht dann in einem der beiden stabilen gekippten
Zustnde ber. Dieser bergang ist mit einer deutlich greren Auslen-
kung als die Strung verbunden. In der Praxis sind solche groen Aus-
lenkungen meistens nicht erwnscht.

12.2 Stabilittsbetrachtung beim Biegebalken

Wir wollen nun die berlegungen, die wir vorher fr ein System aus einem
starren Balken und einer Feder angestellt haben, auf das Problem eines ent-
sprechend belasteten elastischen Balkens (EI = const., Lnge l) bertragen.
Dazu wird der Balken mit einer Kraft F belastet und es wird untersucht, ob
auch dann Gleichgewicht herrschen kann, falls an einer Stelle w (x) 6= 0.
Dabei beschrnken wir uns im Wesentlichen auf die vier von L EONHARD E U -
LER im Jahr 1744 angegebenen Knickflle:

F F F F

Der zweite E ULER-Fall

Wir beginnen unsere berlegungen mit dem zweiten Fall:

w (x)
F
F
B

x x
A z w (x)
12. Stabilittsversagen durch Knicken 207

Wie vorher versuchen wir in der ausgelenkten Konfiguration ein Gleichgewicht


aufzustellen:

w (x)
F
BH = 0 M
N

Q
AH = 0

AV = F F

Es ergibt sich das Schnittmoment

Box 12.6

Mit der Differentialgleichung

M(x)
w (x) =
EI
fr die Biegelinie aus Kapitel 8 ergibt sich daraus

Box 12.7

bzw.
EI
w (x) + w (x) = 0
F
Dies ist die sogenannte Knickdifferentialgleichung. Sie ist eine homogene, li-
neare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Ihre
allgemeine Lsung lautet
r ! r !
F F
w(x) = C1 cos x + C2 sin x
EI EI

C1 und C2 sind reelle Konstanten, die aus den Randbedingungen der Glei-
chung berechnet werden mssen.
208 12. Stabilittsversagen durch Knicken

Homogene, lineare Differentialgleichungen lst man oft ber den Ansatz


Service
w (x) = ex

Einsetzen dieses Ansatzes in die Differentialgleichung liefert eine algebraische


Gleichung fr , das sogenannte charakteristische Polynom der Differential-
gleichung. In unserem Fall heit das
 
F F x 
x F
0=
w (x) + w (x) = e + e (x) = + ex ,
2
EI EI EI

also
F
+ 2 = 0
EI
Die Nullstellen (Eigenwerte der charakteristischen Polynoms) sind komplex:
r
F
1,2 = i
EI
Mit ihnen hat man zwei Basislsungen berechnet, das sogenannte Fundamen-
talsystem: F F
i EI x i EI x
w1 (x) = e , w2 (x) = e
Aufgrund der Linearitt der Gleichung sind beliebige berlagerungen dieser
beiden Lsungen wieder Lsung der Gleichung:
F F
w (x) = C1c w1 (x) + C2c w2 (x) = C1c ei EI x + C2c ei EI x

Es sind dabei C1c , C2c beliebige komplexe Konstanten (entspricht vier Freiheits-
graden!). Ist man wie in unserem Fall nur an reellen Lsungen interessiert, so
kann man mit Hilfe der Identitten

eix = cos (x) + i sin (x)

Cjc = Re Cjc + i Im Cjc , j = 1, 2


den Realteil der Lsung abspalten und erhlt mit den zwei reellen Konstanten
C1 und C2 die allgemeine reelle Lsung der Differentialgleichung:
r ! r !
F F
w (x) = Re (C1c w1 (x) + C2c w2 (x)) = C1 cos x + C2 sin x
EI EI

Die beiden reellen Freiheitsgrade bestimmt man dann aus geeigneten Rand-
bedingungen. Genaueres zur Theorie dieser Differentialgleichungen entnimmt
man der Vorlesung zur Hheren Mathematik.

In unserem Fall lauten die Randbedingungen

w(0) = 0 w(l) = 0
12. Stabilittsversagen durch Knicken 209

Aus der ersten Bedingung folgt sofort


r ! r !
F F !
w(0) = C1 cos 0 +C2 sin 0 =0 C1 = 0
EI EI
| {z } | {z }
=1 =0

und aus der zweiten Bedingung ergibt sich die Gleichung


r !
F !
w(l) = C2 sin l =0
EI

Neben der trivialen Lsung C1 = C2 = 0 (dem unausgelenkten Balken) knnen


somit auch Lsungen mit r !
F
sin l =0
EI
auftreten. Dies ist genau dann der Fall, wenn gilt:
r
F
l = n, n N
EI

Auflsen nach F ergibt:


EI 2
F = n2 , nN
l2
q
F
EI
= n
l
wird als Eigenwert der Differentialgleichung bezeichnet, die zuge-
hrige Lsung  n 
wn (x) = C2 sin x
l
heit Eigenlsung oder Eigenform. Wir stellen fest:
Fr Belastungen kleiner als
EI 2
Fkrit :=
l2
existiert nur eine Gleichgewichtslage.
Fr F = Fkrit verzweigen die Gleichgewichtslagen. Es kann zu einem
Ausknicken des Balkens gem der ersten Eigenform
 
w1 (x) = C2 sin x
l
kommen. Hhere Eigenformen sind fr praktische berlegungen meist
nicht von Interesse, da bei ansteigendem F zunchst die erste Eigenform
in Erscheinung tritt.
Wchst F nach Ausknicken des Balkens weiter an, treten nichtlineare
Verformungen auf, wodurch die im Rahmen der linearen Theorie herge-
leiteten Beziehungen ungltig werden. Diese Einschrnkung ist fr uns
jedoch unwesentlich, da wir uns primr fr den Grenzzustand F = Fkrit
interessieren, der fr Stabililttsversagen durch Knicken relevant ist.
210 12. Stabilittsversagen durch Knicken

Den Abstand zwischen den Nulldurchgngen des Schnittmoments in der ers-


ten Eigenform bezeichnet man als freie Knicklnge sk . Im vorliegenden E ULER -
Fall ist der Balken an beiden Enden drehbar gelagert, weshalb die freie Knick-
lnge genau dem Abstand zwischen den Auflagern bzw. der Lnge des Bal-
kens entspricht:
sk = l

EI 2
l Fkrit = l2

Box 12.8

Wir werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels sehen, dass auch jeder der
drei anderen E ULER-Flle durch eine charakteristische freie Knicklnge be-
schrieben und dadurch letztendlich auf den zweiten E ULER-Fall zurckgefhrt
werden kann. Die fr den zweiten E ULER-Fall gltige Gleichung

EI 2
Fkrit =
l2
kann also wie folgt auf alle vier E ULER-Flle verallgemeinert werden:

EI 2
Fkrit =
s2k

Der erste E ULER-Fall

Aufgrund der festen Einspannung am unteren Ende des Balkens muss gelten:

F
w (0) = 0
w (0) = 0
12. Stabilittsversagen durch Knicken 211

Wieder kann ber ein Gleichgewicht am verformten Balken eine entsprechen-


de Knickdifferentialgleichung aufgestellt werden (diesmal ergbe sich eine in-
homogene Gleichung), die dann gelst werden muss, um den ersten Knickfall
zu beschreiben. Eine elegantere Methode ist, den ersten E ULER-Fall auf den
zweiten zurckzufhren:
F F
F

2l
$M$ $F$

$M$ $F$

F
Box 12.9

Berechnet man nmlich die Lsung fr den zweiten E ULER -Fall anhand eines
Balkens mit doppelter Lnge, so ergeben sich bei einem Schnitt auf halber H-
he genau die Schnittgren, wie sie als Auflagerkrfte fr den ersten E ULER -
Fall charakteristisch sind.
Legt man den Ursprung des Koordinatensystems wie zuvor in den fiktiven
unteren Auflagerpunkt des Balkens mit doppelter Lnge, folgt aus der ers-
ten Eigenform des zweiten E ULER-Falls sofort die erste Eigenform des ersten
E ULER -Falls:
   

w1 (x) = C2 sin x = C2 sin x , x [l; 2l]
2l sk

Es ist zu beachten, dass fr die axiale Koordinate x der Bereich [l; 2l] relevant
ist, da der Kragbalken des ersten E ULER-Falls quivalent ist zur oberen Hlfte
des fiktiven Balkens mit doppelter Lnge.
Die Knicklnge sk im ersten E ULER-Fall betrgt dementsprechend

sk = 2l

und die kritische Last Fkrit ergibt sich daraus zu

EI 2 EI 2
Fkrit = =
s2k 4l2
212 12. Stabilittsversagen durch Knicken

sk EI 2
l l= 2 Fkrit = 4l2

Der dritte E ULER-Fall

Der dritte E ULER-Fall ist statisch unbestimmt. Um ihn zu berechnen, ist es


zweckmig, eines der Auflager durch eine entsprechende Kraftwirkung zu
ersetzen und diese so zu bestimmen, dass sie mit den Randbedingungen kon-
sistent ist:

F
F F
w (x) z AH
x AH s
Q (x)
N (x)
M (x)

w (x)

Ein Momentengleichgewicht am rechts abgebildeten Balkenabschnitt liefert


M(x) F w(x) + AH x = 0

Mit der Differentialgleichung


M(x) = EIw (x)
fr die Biegelinie des Balkens ergibt sich die Knickdifferentialgleichung
F AH
w (x) + w(x) = x
EI EI
Im Gegensatz zu den Knickdifferentialgleichungen im ersten und zweiten
E ULER -Fall haben wir es nun mit einer inhomogenen, linearen Differentialglei-
chung mit konstanten Koeffizienten zu tun. Ihre allgemeine Lsung lautet
r ! r !
F F AH
w(x) = C1 cos x + C2 sin x + x
EI EI F
12. Stabilittsversagen durch Knicken 213

Die drei Unbekannten AH , C1 und C2 knnen ber die Randbedingungen


w(0) = 0 w(l) = 0 w (l) = 0
miteinander in Bezug gesetzt werden. Ist man an nichttrivialen Lsungen inter-
essiert, so entsteht dabei ein nichtlineares Gleichungssystem, das nherungs-
weise gelst werden muss. In Analogie zum ersten und zweiten E ULER-Fall
ergeben sich die folgenden Beziehungen fr die Knicklnge sk und die kriti-
sche Last Fkrit :
1 EI 2 EI
sk l 0,7l Fkrit = 2
4,492 2
1,43 sk l

Die zugehrige Eigenform sieht aus wie folgt:


F

sk = 0.7l
Fkrit = 4.492 EI
l2
l

Wendepunkt mit
w (x) = M (x) = 0

Die Lnge des Balkenabschnitts zwischen dem oberen Auflager und dem
schnittmomentfreien Wendepunkt in der Balkenlinie entspricht definitionsge-
m der freien Knicklnge sk = 0,7l. Da dieser Balkenabschnitt durch den
zweiten E ULER-Fall vollstndig beschrieben wird, kann der dritte E ULER-Fall
mittels sk auf den zweiten E ULER-Fall zurckgefhrt werden.

Der vierte E ULER-Fall

Den vierten E ULER-Fall behandelt man analog zum dritten. Die Schiebehlse
am oberen Ende des Balkens wird durch eine horizontale Auflagerkraft AH und
ein zustzliches Auflagermoment MA ersetzt:

MA MA
F
F F
w (x) z AH
AH s
x Q (x)
N (x)
M (x)

w (x)
214 12. Stabilittsversagen durch Knicken

Das Momentengleichgewicht am rechts abgebildeten Balkenabschnitt lautet


M(x) F w(x) + AH x + MA = 0

Nach Einsetzen der Differentialgleichung fr die Biegelinie des Balkens erhlt


man die folgende Knickdifferentialgleichung:
F AH MA
w (x) + w(x) = x+
EI EI EI
Im Vergleich zur Knickdifferentialgleichung im dritten E ULER-Fall ist auf der
rechten Gleichungsseite ein weiterer inhomogener Term hinzugekommen, der
sich ebenfalls in der allgemeinen Lsung niederschlgt:
r ! r !
F F AH MA
w(x) = C1 cos x + C2 sin x + x+
EI EI F F

Die vier Randbedingungen


w(0) = 0 w (0) = 0 w(l) = 0 w (l) = 0
fhren auf die Beziehungen
MA
C1 = C2 = 0 AH = 0
F
und knnen unter der Zusatzbedingung
r
F
l = n 2, n N
EI
nichttrivial erfllt werden. Fr die mit der ersten Eigenform assoziierte kritische
Last Fkrit und die zugehrige Knicklnge sk gilt demnach:
4EI 2 ! EI 2 l
Fkrit = = sk =
l2 s2k 2

Die Eigenform sieht aus wie folgt:


F
Wendepunkt

l 4EI 2
$s_k$ Fkrit = l2

Wendepunkt
Box 12.10
12. Stabilittsversagen durch Knicken 215

Wiederum sieht man sehr schn, dass der Balkenabschnitt zwischen den bei-
den schnittmomentfreien Wendepunkten in der Balkenlinie durch den zweiten
E ULER-Fall vollstndig beschrieben wird und der vierte E ULER-Fall demnach
ber die freie Knicklnge sk auf den zweiten E ULER-Fall zurckgefhrt werden
kann.

12.3 Rckblick

Es gibt drei Arten von Gleichgewichtslagen:


stabil
instabil
indifferent

Um Aussagen ber die Stabilitt von Gleichgewichtslagen zu machen,


muss das Verhalten des Systems bei kleinen Strungen aus dem
Gleichgewicht betrachtet werden. Treten rckstellende Reaktionen auf,
ist das Potential in der Gleichgewichtslage minimal und der Zustand ist
stabil.

Bei Balken kann es nach berschreitung einer kritischen Druckbelas-


tung zum Versagen durch Knicken kommen.

Die kritischen Lasten fr die vier E ULER-Flle entnimmt man folgender


Aufstellung:

F F F F

sk
sk
l 2
sk sk

l
sk = 2l sk = l sk = 0.7l sk = 2

Die Gre sk wird als freie Knicklnge bezeichnet und erlaubt eine Rckfh-
rung smtlicher E ULER-Flle auf den zweiten E ULER-Fall mittels der allge-
meingltigen Beziehung
EI 2
Fkrit =
s2k

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