Shadowrun - Roman - 005 - 2XS PDF
Shadowrun - Roman - 005 - 2XS PDF
Shadowrun - Roman - 005 - 2XS PDF
Band 06/4943
ISBN 3-453-06211-6
Fr HTL
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W enn man von dieser Geschichte berhaupt sagen kann, da sie irgendwo
einen Anfang hat, dann wohl bei einer Frau mit Kanone.
Es war einer von diesen Tagen gewesen. Ich war vllig fertig, so mde, da ich
kaum die Augen offenhalten konnte, als ich die zwei Treppenabstze zu meiner
Bude in den La Jolla-Apartments erklomm. (Lassen Sie sich nicht zum Narren
halten. Der Name mag ja ziemlich schick klingen, aber das ist auch so ungefhr
alles auf der D Street in Auburn, was dieses Attribut fr sich in Anspruch nehmen
kann.) Eine Auswahl von Schnitt- und Schrfwunden an Hals und Brust machte
sich bemerkbar, und eine hliche Quetschung an meinem linken Oberschenkel
wo mein gepanzerter Duster mit Mhe und Not ein Kleinkalibergescho aufge-
halten hatte pochte dumpf. Auf der Habenseite stand der beglaubigte Kredstab
in meiner Hosentasche, der von Nuyen berflo und eine behagliche Wrme
auszustrahlen schien. Ich konnte nie ganz sicher sein, wenn ich mit Anwar, dem
Schieber, Geschfte machte, aber diesmal hatte er mir das volle Honorar gezahlt.
Ich war froh, den Flur, der zu meiner Tr fhrte, leer vorzufinden. Die Si-
cherheitsmanahmen im La Jolla sind ein Witz; ernsthafte Schwierigkeiten kn-
nen sie nicht verhindern, aber sie reichen im allgemeinen aus, um die Chippies,
Punks und Penner drauen zu halten. Das war auch ganz gut so. Erledigt, wie ich
war, htte ich mich bestimmt nicht sonderlich geschickt dabei angestellt, irgend-
einen halbbetrunkenen Penner zu berreden, mir Platz zu machen. Ich schlurfte
die paar Schritte zur Tr, sperrte sie auf und trat seufzend ein.
Das Signallmpchen an meinem Telekom blinkte, wobei jedes Blinken fr ei-
nen Anruf stand, der whrend meiner Abwesenheit eingegangen war. Bei neun
hrte ich auf zu zhlen. Was konnte ich schon erwarten, nachdem ich fast fnf
Tage nicht im Sprawl gewesen war? Eine Zeitlang hatte ich ein Funktelefon mit
mir herumgeschleppt, damit jedoch sofort aufgehrt, als das verdammte Ding
bei einem Beschattungsauftrag pltzlich losgeschrillt hatte. Ich hatte vergessen,
den Summer abzustellen, und mir wre fast der Kopf weggeschossen worden. Im
Augenblick war ich jedenfalls nicht in Stimmung, mich mit am Telekom hinter-
lassenen Nachrichten abzugeben, aber es war immerhin mglich, da einer der
Anrufe mit einem Fall in Verbindung stand, den ich gerade bearbeitete. Vielleicht
lag sogar ein Angebot vor, einen neuen Fall zu bernehmen.
Fall. Warum nicht das Wort benutzen, mit dem die meisten Leute das bezeich-
nen wrden, was ich tue? Shadowrun.
Fr mich gibt es einen Unterschied, darum. Andere Leute sehen ihn vielleicht
nicht, aber fr mich spielt er eine Rolle. Die Umstnde mgen mich dazu ge-
zwungen haben, mich durch die Schatten zu schlngeln, aber ich betrachte mich
ausdrcklich nicht als Shadowrunner. Ein Shadowrunner nimmt gewhnlich jede
Arbeit an, die physisch zu bewltigen er in der Lage ist: Extraktionen, Daten-
diebstahl, Transport, Schutz, sogar in manchen Fllen unverhohlenen Wet-
work. Was mich betrifft, ich bin whlerisch. Ich bernehme Beschattungen, Wie-
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derbeschaffung, ich mache sogar den Leibwchter, wenn ich der Ansicht bin, der
Leib, den ich bewache, ist es wert, am Leben zu bleiben. Aber ich mu immer
das Warum kennen, bevor ich einen Job bernehme, und der Grund mu mir
zumindest ansatzweise einleuchten.
Die Welt ist ein dsterer Ort und voller Leute, die entweder ihren Spa daran
haben, sie noch dsterer zu machen, oder sich einen Dreck daraus machen, was
dabei herauskommt. Ich bin nicht so beschrnkt zu glauben, ich knnte diesen
Trend ganz allein ins Gegenteil verkehren, aber ich kann zumindest darauf ver-
zichten, alles noch schlimmer zu machen. Und selbst wenn ich alles noch schlim-
mer machen wollte die Konkurrenz wre einfach zu gro.
Erinnern Sie sich noch, als vor ungefhr zwlf Jahren alte ich meine wirklich
alte Geschichten von hartgesottenen Privatdetektiven aus der Zeit vor SimSinn
pltzlich gro in Mode kamen? Total verstaubtes Zeug, das vor ungefhr einem
Jahrhundert spielte, aber bei einigen Leuten schien es echt anzukommen. Wenn
ich in jenen alten Zeiten im Geschft gewesen wre, htte ich wahrscheinlich
eine Lizenz, ein Bro vielleicht mit meinem Namen auf der Milchglastr, De-
rek Montgomery, Ermittlungen und eine Kanone gehabt. Und jetzt? Keine
Lizenz, und mein Bro ist genau da, wo ich mich zufllig gerade aufhalte. Im-
merhin hab ich die Kanone.
Das Pochen in meinem linken Oberschenkel erinnerte mich daran, da letzteres
unglcklicherweise auch auf alle anderen zutrifft. Und zu viele Leute sind sich
nicht zu schade, ihre Kanone auch zu benutzen, egal wie geringfgig der Anla
ist. Nehmen Sie zum Beispiel heute. Der Knabe, der auf mich scho, hatte nicht
mal was mit dem Fall zu tun, den ich gerade bearbeitete. Er war blo irgendein
Chiphead, der wahrscheinlich einen Chip von Slade, der Scharfschtze einge-
worfen und beschlossen hatte, seine Streetline Special in eine Gruppe Fugnger
zu entleeren. Ich war nur zufllig zur falschen Zeit am falschen Ort.
Der Knabe hatte auch nicht viel mehr Glck. Der Bursche neben mir ging die
ganze Sache sehr gelassen und sehr professionell an, indem er einen magischen
Feuerball auf den Chiphead abscho und ihn auf der Stelle grillte. Dann bog der
Magier ganz genauso gelassen in eine Gasse ein, und das wars dann. So ist das
Leben (und das Sterben) in der Erwachten Welt.
Nun, zumindest konnte ich all dem fr die nchsten zwlf Stunden den Rcken
kehren. Noch besser, ich wrde mir keine Sorgen um Leute machen mssen,
die mit ner Kanone auf mich zeigten. Und wenn sie es doch taten, wrde ich
viel zu tief schlafen, um irgendwas davon mitzubekommen. Ich versetzte der
Wohnungstr einen Tritt, so da sie ins Schlo fiel, vergewisserte mich, da das
Magnetschlo in Betrieb war, und hngte meinen Duster an einen Haken in der
Ecke. Die graue Tnche des verregneten Zwielichts der Auburner Dmmerung
sickerte durch das teilweise polarisierte Fenster und erfllte die Ein-Zimmer-Bu-
de mit einem den, trben Licht, das perfekt mit meiner Stimmung harmonierte.
Ich erwog kurz, Licht zu machen, und entschied mich dann dagegen. Ich konnte
das Bett auch im Dunkeln finden, und das war eigentlich alles, was ich wollte.
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Einen flchtigen Augenblick dachte ich an etwas zu essen. Mein Magen fhlte
sich an wie eine geballte Faust, doch selbst die halbe Minute, die es dauern wr-
de, eines der Sojafertiggerichte zu erhitzen, die sich im Khlschrank stapelten,
war gleichbedeutend mit einer halben Minute, die ich nicht schlief. Einfache
Entscheidung. Ich setzte mich auf die Bettkante, zog die Stiefel aus und lie
mich, ansonsten vollstndig bekleidet, rckwrts aufs Bett fallen. Ich schwre,
ich schlief bereits, als mein Kopf aufs Kissen sank.
Ich trieb durch einen warmen, schlfrigen Nebel, als die Trglocke lutete.
Wahrscheinlich einer meiner Nachbarn, der mir einen Hflichkeitsbesuch ab-
statten wollte. Verpi dich und verrecke! schrie ich mit aller mir zu Gebote
stehenden nachbarschaftlichen Hflichkeit.
Der Bldmann an der Tr begriff den zarten Wink nicht. Die Glocke lutete er-
neut. Mit einem weiteren nachbarschaftlichen Fluch whlte ich auf der Bettkon-
sole herum, wobei ich ein mittleres Chaos anrichtete, bis ich die Fernbedienung
fand. Ich drckte den richtigen Knopf und ffnete ein Auge, um einen Blick auf
den Telekomschirm zu werfen.
Die winzige berwachungskamera, die in der Wand ber der Tr versteckt
war die Geflligkeit eines Chummers , erfate das Bild meines Besuchers und
bertrug es auf den Schirm. Ich ffnete auch das andere Auge, um besser sehen
zu knnen.
Trotz der durch den steilen Blickwinkel der Kamera hervorgerufenen perspek-
tivischen Verkrzung war die Besucherin diese zustzliche Mhe ganz entschie-
den wert. Gro und schlank knapp unter eins achtzig, schtzte ich , mit kur-
zen, glatten kupferroten Haaren. Aus dieser Perspektive war es schwierig, Zge
zu erkennen, aber der Blickwinkel der Kamera zeigte mir die verchromte Daten-
buchse, die ich ansonsten vielleicht nicht sofort bemerkt htte. Ihre Kleidung war
nicht unbedingt Haute Couture, aber sie lag qualitativ ein ganzes Stck ber al-
lem, was man auf den Straen im Sdwesten Auburns zu sehen bekommt, insbe-
sondere nach Sonnenuntergang. Der auf Taille geschnittene graue Kunstlederan-
zug betonte die fesselnden Kurven ihres Krpers eher, als sie zu verbergen, aber
unter Bercksichtigung von Ort und Zeit ich htte darauf gewettet, da die
Jacke mindestens ebenso gepanzert wie schick war. Ich taxierte sie auf mittlere
Konzernangestellte. Doch das Aussehen ihrer Kleidung verriet mir, da sie nicht
um des Kicks willen im Auburn der Arbeiterklasse war, ihre hbsche Haut zu
Markte zu tragen jenes idiotische Spielchen, das manche Sprawling nennen.
Nein, dafr wren ihre Klamotten neuer gewesen, htten aber lter ausgesehen.
Ich drckte auf einen anderen Knopf der Fernbedienung. Un was wollnse?
grollte ich.
Der Rotschopf fuhr beim Gerusch meiner Stimme zusammen und sah sich
dann nach dem Sprecher um. Ihre khlen grauen Augen suchten die Wand in
der Umgebung der Tr ab und schienen den Standort der Kamera praktisch
augenblicklich auszumachen. (Interessant, dachte ich. Du mut was von Technik
verstehen, um mein Spielzeug so rasch zu finden.)
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Derek Montgomery? fragte sie. Ihre Stimme war tief und geschmeidig, doch
von einem scharfen Unterton der Nervositt durchdrungen. Ich fragte mich, wie
es wohl war, sie meinen Namen ohne diese Schrfe sagen zu hren.
Was wollen Sie? wiederholte ich, indem ich ein wenig deutlicher sprach.
Ich wute, sie konnte mich nicht sehen, aber ich hatte das seltsame Gefhl, jene
Augen seien fest auf meine gerichtet. Ich will mit Ihnen reden, sagte sie ruhig.
Es ist wichtig. Es geht ... Sie zgerte.
... um Leben und Tod? beendete ich den Satz fr sie.
Wenn sie die Ironie in meiner Stimme bemerkte, lie sie sich jedenfalls nichts
anmerken. Ja, kam es wie aus der Pistole geschossen zurck. Ja, genau, dar-
um geht es.
Ich gnnte ihr eine abschlieende Musterung. Ihre Kleidung verriet Geld, ihr
Auftreten verriet Geld. Wenn man in meinem Geschft ist, besteht das Problem
nicht darin, Leute zu finden, die die Dienste eines Detektivs wollen, sondern
darin, Leute zu finden, die diese Dienste auch bezahlen knnen.
Ja, nun, kann sein, brummelte ich. Und wer sind Sie?
Ich rechnete mit irgendeinem Straennamen, doch sie berraschte mich. Ich
heie Jocasta Yzerman, sagte sie nchtern.
Na schn. Geben Sie mir ne Sekunde. Ich schaltete das Licht ein und die
berwachungskamera aus und kletterte aus dem Bett. Ein Blick in den Spie-
gel verriet mir, da meine Augen blutunterlaufen waren und meine Kleider aus-
sahen, als htte ich darin geschlafen wen wunderte es. Ich fuhr mir mit den
Fingern durch das Haar und zerzauste dabei die Seite, die auf dem Kissen gele-
gen hatte und ziemlich plattgedrckt war. Dann ging ich zur Tr und ffnete sie
schwungvoll.
Kommen Sie rein, sagte ich, indem ich ihr Platz machte.
In Fleisch und Blut sah meine Besucherin sogar noch besser aus als auf dem
Schirm. Die dnne gespannte Linie ihrer Lippen verriet, da sie offensichtlich
irgendwas bedrckte, aber ich stellte mir lieber vor, wie diese Lippen wohl bei
einem Lcheln aussahen. Als sie eintrat, hatte sie fr meine Bude nicht mal ei-
nen flchtigen Blick brig. Wie ich es mir gedacht hatte, war sie absolut aufs
Geschft fixiert.
Nehmen Sie Platz, sagte ich, whrend ich die Tr hinter ihr schlo und das
Magnetschlo nicht nur einmal, sondern gleich zweimal berprfte. Dann drehte
ich mich zu ihr um und bedachte sie mit meinem besten professionellen Poker-
face.
Jocasta Yzerman stand beinahe zitternd vor Wachsamkeit mitten im Zimmer.
Doch nach der ersten Millisekunde nahm ich ihre Haltung nicht mal mehr zur
Kenntnis, weil sich meine gesamte Aufmerksamkeit auf die Waffe konzentrierte,
die pltzlich und scheinbar aus dem Nichts in ihrer linken Hand aufgetaucht war.
Offiziell ist der Colt America L36 als leichte Pistole klassifiziert, kaum mehr als
ein Spielzeug: Kaliber fnf Millimeter mit einem acht Zentimeter langen Lauf.
Doch selbst die leichteste Pistole scheint ein Kaliber so gro wie ein U-Bahn-
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Tunnel zu haben, wenn man direkt auf ihr Geschftsende schaut. Der Art nach zu
urteilen, wie das Laserzielgert auf dem Lauf vor meinem Gesichtsfeld flackerte,
war das rubinrote Fadenkreuz auf einen Punkt zwischen meinen Augen gerichtet.
Ich ma die Entfernung zwischen uns. Ein paar Meter. Wenn ich versuchte,
mir ihre Kanone zu schnappen, wrde ich es fast schaffen, bevor sie einen Schu
herausbekam. Ich wrde verdammt nah dran sein, aber nah dran zhlt nur beim
Hufeisenwerfen, bei Handgranaten und beim Tanzen. Statt dessen zeigte ich ihr
also meine leeren Hnde, zwang ein entwaffnendes Lcheln auf meine Lippen
und bemhte mich um meinen besten Immer-mit-der-Ruhe-Tonfall.
Hey, immer mit der Ruhe, sagte ich irgendwie lahm. Wenn es ein Problem
gibt, knnen wir darber reden und ...
Mit einer Stimme so kalt wie Stahl schnitt sie mir das Wort ab. Sie haben
meine Schwester umgebracht.
Und jetzt bringen Sie mich um? Hrt sich wirklich vernnftig an.
Wiederum entging ihr die Ironie. Das stimmt. Sie haben Lolita umgebracht.
Lolita ... Da kam mir die Erleuchtung. Es lag wohl an meiner allgemeinen
Benommenheit, da mir ihr Familienname nicht bekannt vorgekommen war. Lo-
lita Yzerman, ein Name aus der Vergangenheit. Wir hatten uns vor ein paar Jah-
ren kennengelernt als ich ihr aus einer wirklich blen Klemme geholfen hatte. Es
hatte gar nicht lange gedauert, bis wir ne ziemlich heie Geschichte miteinander
am laufen hatten, aber dann gab Lolita mir den Laufpa und verdrngte mich aus
ihrem Leben, wahrscheinlich weil sie sich dachte, ein Chummer wie ich sei nicht
gerade ein Gewinn fr ein smartes, ehrgeiziges Mdchen wie sie. Es war jetzt
fast ein Jahr her, seit wir uns zuletzt gesehen hatten.
Und jetzt war sie tot. Die kleine Lolly mit dem berschumenden Lachen und
den groen blauen Augen.
Genau Lolita, sagte Jocasta Yzerman und ri mich damit zurck in die
Gegenwart. Ich bin froh, da Sie sich an ihren Namen erinnern knnen.
Diesmal war es an mir, die Ironie zu ignorieren. Hey, schauen Sie, ich kenne
Lolita ... kannte sie, wir hatten da was am laufen. Wahrscheinlich wissen Sie das.
Aber das letzte Mal, da ich mit ihr geredet habe, das letzte Mal, da ich sie gese
hen habe, war irgendwann Anfang letzten Jahres. Ich hab Ihre Schwester nicht
umgebracht. Warum sollte ich auch?
Beim Reden beobachtete ich ihre Augen. Die Augen eines Menschen knnen
einem ne ganze Menge verraten. Wenn auch vielleicht sonst nichts, kann man
doch immerhin manchmal erkennen, ob jemand abdrckt und wann er abdrckt.
In Jocastas grauen Augen war ein Schatten von ... irgendwas. Es war vielleicht
nicht unbedingt Zweifel, aber es reichte, um mir Mut zu machen. Wie unbewegt
sie die Kanone auch hielt, ihre Augen verrieten mir, da sie sie nicht wirklich
benutzen wollte. Sie hatte sich fr diesen Augenblick berwunden, und wahr
scheinlich konnte sie sich weit genug berwinden, um tatschlich abzudrcken.
Aber sie wollte es eigentlich nicht. Sie wollte irgendeinen Grund finden, mir
nicht das Leben zu nehmen. Und das war ein Verlangen, da ich nur untersttzen
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konnte.
Sie hatten Ihre Grnde, sagte sie.
Was fr Grnde? fragte ich, indem ich die Hnde ausbreitete und einen win-
zigen Schritt zurckwich. Jocasta bemerkte die Bewegung und reagierte voll-
kommen natrlich darauf: Sie ging ein paar Schritte vorwrts. Die Entfernung
zwischen uns war etwas geringer geworden. Nicht viel, aber es war ein Schritt in
die richtige Richtung. Was fr Grnde? wiederholte ich.
Um Ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sagte Jocasta kalt. Es war der
einzige Weg, sie davon abzuhalten. Sie zu erpressen.
Ich starrte sie an. Erpressung ... Klar, nach allem, was ich ber Lolly wute,
wre sie durchaus fhig gewesen, jemanden zu erpressen, wenn der Einsatz hoch
genug war. Aber ich war sicher, sie hatte nicht genug ber mich gewut.
Glauben Sie mir, sagte ich, indem ich zur personifizierten Aufrichtigkeit
wurde, Lolly konnte mich gar nicht erpressen, weil sie nichts gegen mich in der
Hand hatte. Wieder wich ich einen Schritt zurck, wieder trat Jocasta vor. Dies-
mal verkrzte der kleine Tanz die Entfernung zwischen uns auf unter zwei Meter.
Und keinen Augenblick zu frh, denn irgendwas in ihren Augen vernderte
sich. Als sie sprach, klang ihre Stimme schneidender, angestrengter. Sie holte
ihre Wut nach oben, so da sie in der Lage sein wrde abzudrcken. Sie lgen,
fauchte sie. Sie sind ein Lgner und ein Mrder. Sie haben irgendwas Mieses
getan, und meine Schwester wute davon, also haben Sie sie umgebracht. Sie
haben meine Schwester umgebracht. Sie schrie jetzt, ihr Zustand nherte sich
der Hysterie. Ihr Finger spannte sich um den Abzug. Stirb, du verfluchter Hu-
rensohn!
Im gleichen Augenblick wurde ich aktiv. Ich drehte mich zur Seite, Rumpf und
Kopf schwangen nach unten und nach links, whrend mein rechter Fu herum
und nach oben sauste. Gerade noch rechtzeitig. Jocastas schallgedmpfte Pistole
hustete einmal, und die Kugel verursachte ein Gerusch wie ein Peitschenknall,
als sie die Luft schrecklich nah bei meinem Kopf durchschnitt und dann irgend-
wo hinter mir etwas zersplitterte. Mein rechter Fu schwang durch und knallte
gegen die Innenseite von Jocastas Handgelenk. Ein perfekter Entwaffnungs-
Sensentritt. Dieser Tritt htte meine Ausbilder bei Lone Star mit Stolz erfllt,
obwohl es ihnen wahrscheinlich leid getan htte, da Jocastas Kugel nicht ge-
troffen hatte.
Der Adrenalinsto mute mich mehr als blich aufgepeppt haben. Als ich den
Bewegungsimpuls gebremst und mich abgefangen hatte, sah ich, da der Tritt
mehr bewirkt hatte, als die Pistole abzulenken und Jocastas Griff darum zu bre-
chen. Ich hatte die Frau buchstblich von den Beinen getreten. Sie lag verkrmmt
und wimmernd auf dem Boden und prete ihr sehr wahrscheinlich gebrochenes
rechtes Handgelenk gegen den Bauch.
Ich zgerte. Nicht weil ich dachte, sie mache mir etwas vor. Der Tritt war so
hart gewesen, da mein Fu sogar trotz des Adrenalins schmerzte. Meine Ge-
fhle waren es, die mir einen Streich spielten. Ein Teil von mir war froh, meinen
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Mchtegern-Mrder leicht verletzt vor mir liegen zu sehen, zumindest bis zu ei-
nem gewissen Grad. Htte ich nicht reagiert, wrde ihre kleine Kugel die Denk-
fabrik von Derek Montgomery ber die Wnde des Apartments verteilt haben.
Ein anderer Teil von mir sah eine leidende Frau, und ich reagierte auf die vor-
hersehbare Weise. Sie hatte mich nicht tten wollen. Das war etwas, von dem
sie dachte, da sie es tun mute, etwas, zu dem sie sich hatte zwingen mssen,
und etwas, das ihr wahrscheinlich den Rest ihres Lebens mit Gewissensbissen
verdorben htte. Ich hob ihre Kanone auf und steckte sie mir in den Hosenbund.
Dann kniete ich mich neben sie.
Jocasta hatte sich zu einer embryonalen Haltung zusammengerollt, ihre schlan-
ken Schultern bebten unter den tiefen Schluchzern, die sich ihrer Kehle entran-
gen. Ich wartete ein paar Sekunden, bevor ich ihr vorsichtig eine Hand auf den
Rcken legte, wobei ich sorgfltig darauf bedacht war, die Geste so asexuell wie
mglich ausfallen zu lassen. Sie scheute nicht vor meiner Berhrung zurck,
aber ich sprte, wie sich ihre Rckenmuskeln spannten, als knne sie ihre Haut
so irgendwie einem hassenswerten Kontakt entziehen.
Ich seufzte. Okay, wenn sie es so haben wollte. Ich stand auf, zog die Kanone
aus dem Hosenbund und legte sie auf einen Tisch in Reichweite. Dann setzte
ich mich in den einzigen Sessel des Apartments. Je nachdem, wie zh sie war,
mochte es eine ganze Weile dauern, bis Jocasta sich zusammenri. Ich konnte es
mir ebensogut bequem machen, whrend ich wartete. Ich stellte das Massagesy-
stem an, eine weitere Geflligkeit des Chummers, der die berwachungskamera
installiert hatte, dann gab ich mich ganz der warmen Umarmung des Armsessels
hin. Und ich beobachtete sie.
Sie brauchte berhaupt nicht lange. Geistig sehr zh, diese Jocasta Yzerman.
Eigentlich nicht weiter berraschend, wenn man ihre Schwester kannte. Zuerst
hrten die Schluchzer auf, dann das Zittern. Schlielich entrollte sie sich lang-
sam. Als ich ihr Gesicht wieder sehen konnte, war es vollkommen trnenfrei,
und auch ihre Augen waren nicht gertet oder aufgequollen. Ich warf einen Blick
auf ihr rechtes Handgelenk und kam mir wie ein mieser Schweinehund vor. Es
war bereits angeschwollen und verfrbte sich, obwohl ich es nicht fr gebrochen
hielt. Sie schien keinen Gedanken daran zu verschwenden, als sie sich erhob, als
sei der Schmerz ihrer Beachtung nicht wert.
Fasziniert betrachtete ich sie. In ihren Bewegungen lag eine Grazie, eine Art
Gelassenheit, die zuvor nicht dagewesen war. Es war, als htte ihre wenngleich
erfolglose Mordmission sie auf irgendeine Weise innerlich befreit. Ihre Au-
gen ruhten stetig auf meinem Gesicht. Sie zeigten keinen Ha, sie zeigten keine
Furcht. Wenn sie berhaupt etwas zeigten, dann Resignation, fast Fatalismus.
Ihre Miene war unbewegt, ein wenig unbewegter, und ich htte sie fr tot erklrt.
Es tut mir leid, sagte sie ruhig, ohne eine Spur von Gefhl in der Stimme.
Ich werde jetzt gehen.
Ich war aus dem Sessel heraus, bevor sie einen Schritt machen konnte. Ich
wollte nach ihrer Schulter greifen, zog meine Hand aber im letzten Moment zu-
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rck. Ich hatte auch zuvor schon emotionale Beherrschung gesehen und was
geschieht, wenn sie verloren geht. Ich wollte nichts tun, was derartiges auslsen
konnte. Statt dessen streckte ich nur den Arm wie eine Schranke aus, um ihr den
Weg zu versperren. Nein, sagte ich, gehen Sie nicht.
Sie sah mir in die Augen. Warum nicht? Wiederum nicht die geringste Spur
von irgendwas in ihrer Stimme, nicht mal Neugier.
Was eine ziemliche Ironie war, weil Neugier genau das war, was mich im Au-
genblick verzehrte. Bei dieser ganzen verfluchten Geschichte gab es einige Din-
ge, die ich besser erfahren sollte. Fr die Dame mute mir jedoch eine bessere
Antwort einfallen.
Ich versuchte locker zu klingen. Ach, ich wei nicht, lavierte ich. Nennen
Sie es unangebrachte Gastfreundschaft, aber es kommt mir einfach nicht richtig
vor, wenn jemand hereinschneit, mich zu erschieen versucht und dann wieder
geht, bevor ich ihm wenigstens einen Drink anbieten konnte.
Die Antwort fiel wie erwartet aus: Ein Haufen Schweigen. Zumindest ging sie
jetzt nicht mehr auf die Tr zu. Ich zgerte einen Augenblick, dann ergriff ich
ihre Schulter. Sanft und sehr langsam drehte ich sie um. Ich sprte wieder, wie
sich ihre Muskeln verkrampften, aber sie bewahrte sich ihre uerliche Beherr-
schung. Ich schob sie kaum merklich in Richtung Sessel.
Setzen Sie sich, sagte ich. Ich wrde mich gerne etwas unterhalten.
Sie ging widerstandslos in die Richtung, in die ich sie geschoben hatte. Die
Grazie war immer noch da, aber jetzt haftete ihr etwas Automatenhaftes an. Ihr
Verstand hatte die volle Kontrolle ber ihren Krper, aber diese Kontrolle lag
unterhalb der Bewutseinsschwelle wie bei einem Autopiloten. Es war wie eine
Form wachen Schlafwandelns. Sie drehte sich um und lie sich in den Sessel
fallen.
Das bewirkte eine Reaktion. Ich hatte das Massagesystem nicht abgeschaltet,
und es lief immer noch auf Hochtouren. Als Rcken und Ges den Sessel be-
rhrten, zuckten alle ihre Muskeln, und sie schwebte buchstblich ein paar Zen-
timeter ber der Sitzgelegenheit. Dann wirkte sich die Schwerkraft aus, und sie
sank in die Umarmung des Sessels zurck. Diesmal kmpfte sie nicht dagegen
an. Ihr ganzer Krper schien zu erschlaffen, und die Augenlider sanken auf Halb-
mast. Dennoch hielt sie den Blick weiterhin auf mich gerichtet.
Ich betrachtete sie ein paar Augenblicke, dann setzte ich mich auf die Bettkan-
te. Es tut mir leid wegen Lolly, sagte ich leise.
Wiederum keine Antwort. Ich seufzte. Ich hatte schon zuvor derart zugeknpf-
te Leute gesehen. Gewhnlich erwachen sie von selbst aus ihrer Starre, weil
pltzlich irgendwas in ihnen zerbricht manchmal im denkbar ungeeignetsten
Augenblick. Es gibt jedoch ein paar, die einfach nicht loslassen knnen. Jocasta
war zusammengebrochen, als sie bei mir auf dem Boden gelegen hatte, aber nur
fr ein paar Minuten. Das war kathartisch gewesen, hatte jedoch offensichtlich
nicht gereicht. Die Tatsache, da es berhaupt dazu gekommen war, gab mir die
Hoffnung, da sie auch noch den Rest des Weges zurcklegen wrde. Es bedurf-
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te lediglich des richtigen Anstoes.
Warum mache ich mir deswegen berhaupt Gedanken? fragte ich mich wieder-
um. Das war nicht mein Problem. Sie hatte schlielich beschlossen, mich umzu-
bringen, und sie konnte verdammt gut mit den Konsequenzen dieser Entschei-
dung leben. Ich sollte sie einfach sich selbst berlassen; zum Teufel mit Jocasta
Yzerman! Aber aus verschiedenen Grnden war diese Lsung nicht annehmbar.
Ich bin kein Idealist. Ein Idealist knnte in der Welt des Jahres 2052 nicht lan-
ge berleben. Tatschlich bin ich so kalt und hart wie jeder andere, wenn ntig.
Aber das bedeutet nicht, da es mir Spa macht, einer Situation den Rcken zu
kehren, in der ich helfen knnte. Natrlich gab es noch einen anderen Grund. Ich
hatte Lolita Yzerman gekannt. Ich glaube, ich knnte sie sogar geliebt haben.
Jetzt war sie tot. Es war zu spt, Lolly zu helfen, aber ich konnte ihrer Schwester
Jocasta helfen.
Haben Sie ein Bild von Lolly? fragte ich sanft. Jocasta nickte. Sie griff in
ihre Tasche und zog ein handflchengroes Holo hervor. Sie reichte es mir.
Nein, sagte ich kopfschttelnd. Sie sehen es sich an.
Sie zgerte, vielleicht weil ihr klar wurde, was ich beabsichtigte, aber dann
tat sie es. Sie starrte das Holo einen Augenblick an, bevor sich ihre Zge vor
Kummer verzerrten. Das Holo entglitt ihren pltzlich gefhllosen Fingern. Mit
einem leisen Klagelaut sackte sie im Sessel zusammen und nach vorn. Die Stirn
berhrte ihre Knie, und sie hielt sich den Kopf, als wolle sie verhindern, da ihr
der Schdel explodierte. Wiederum wurde ihr Krper von keuchenden Schluch-
zern geschttelt.
Ein wenig verlegen wandte ich mich ab. Da ich nicht weiter in den Kummer
dieser weinenden Frau eindringen wollte, hob ich das vergessene Holo auf und
betrachtete es.
L olita Yzerman. Das Holo war offensichtlich von einem Amateur aufgenom-
men worden, denn es war ein wenig unscharf und die Perspektive etwas ver-
rckt. Aber es war gut genug. Unverwechselbar Lolly, die aus dem Holo lchelte.
Oberflchlich betrachtet, gab es zwischen Lolly und Jocasta keine Familien-
hnlichkeit. Jocasta war gro, whrend Lolly klein war, gewelltes blondes Haar
und strahlende blaue Augen hatte. Jocasta war schlank, wirkte irgendwie herb
und streng, wohingegen Lolly an den richtigen Stellen reizvoll gerundet war.
Doch wenn man nher hinsah, konnte man die hnlichkeit erkennen. Die glei-
chen Wangenknochen. Der gleiche Mund ein wenig klein fr das Gesicht, aber
mit guten Zhnen. Und natrlich die Datenbuchse, die beide oben in ihrer rech-
ten Schlfe hatten.
Lolly Yzerman. Sie hatte mir ein wenig von ihrer Lebensgeschichte erzhlt.
Ich hatte nicht automatisch jedes Wort geglaubt, aber einige Dinge hatten ganz
eindeutig wahr geklungen. Ihr Vater, David Yzerman, war ein freischaffender
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Computer-Designer von bedeutendem Ruf. Lollys Begabung fr Mathematik
und Naturwissenschaften war frh zu Tage getreten, also war es nur logisch, da
sie den Spuren ihres Vaters folgte. Im zarten Alter von fnfzehn hatte sie sich an
der Universitt von Washington fr Informatik eingeschrieben und weniger als
drei Jahre spter als Washingtons jngste Akademikerin aller Zeiten graduiert.
Ich vermute, ihr Vater hat sie bei der Ausbildung ebenfalls untersttzt. Schon als
Studentin erledigte Lolly auf Bestellung Programmierjobs fr eine ganze Wagen-
ladung lokaler Gesellschaften, whrend sie die ganze Zeit an ihrer ungewhnli-
chen Laufbahn bastelte.
Wie vorauszusehen, kam sie zu dem Schlu, sie brauche eine Datenbuchse, um
wirklich voranzukommen, doch ihr Vater weigerte sich, auch nur darber nach-
zudenken, seine Tochter unter den Laser zu schicken, bevor sie einundzwanzig
war. Und wie vorauszusehen, kmmerte sich Lolly einen Drek darum, was ihr
Vater sagte. Sie schlo noch ein paar Vertrge ab, um die ntigen Nuyen zu ver-
dienen, und lief dann fort, um sich operieren zu lassen. Sie war immer noch erst
siebzehn, glaube ich. Lollys Vater bestrafte sie, als sie mit der glnzenden neuen
Datenbuchse an Ort und Stelle nach Hause zurckkehrte, aber Lolly war sicher,
da er insgeheim sehr stolz auf sie war. Sie lachte, als sie mir davon erzhlte.
Die Auftrge kamen von berall her: Matrixprogrammierung, Systemanaly-
sen, Hardwaredesign und vielleicht sogar ein paar schattige Matrix-Runs, aber
darber redete sie nie. Bis dato ein Universalgenie, begann Lolly sich nun zu
spezialisieren. Sie hatte schon immer gerne Rtsel gelst, und bald fand sie ihre
berufliche Heimat in der Signalverstrkung und im Waschen. Waschen ist eine
Mischung aus Kunst und Wissenschaft, bei der ein von Hintergrundrauschen be-
gleitetes Signal aufgefangen und dann von allen Verzerrungen befreit wird. Ihr
Ziel war immer gewesen, fr die UCASSA, die UCAS Space Agency, zu arbei-
ten, um dort die aus dem Weltraum aufgefangenen Signale zu verstrken oder,
anders ausgedrckt, das Verhltnis von Signal und Rauschen S/R-Verhltnis
genannt zu verbessern. Doch sie war immer noch sehr jung und brauchte mehr
Erfahrung, bevor sie den Job ihrer Wahl annehmen konnte. Und darum unter-
schrieb sie bei Avatar Security Technologies, einer Tochtergesellschaft von Lone
Star, um Erfahrung zu sammeln.
Lone Star braucht ebenfalls Spezialisten fr Signalverstrkung, aber aus ganz
anderen Grnden als die UCASSA. Wenn Lone Star Ermittlungen durchfhrt, ist
die Standardprozedur die, das Telekom jeder Person anzuzapfen, die irgendwas,
und sei es auch noch so wenig, mit dem Gegenstand der Ermittlungen zu tun
hat. Richtig, jeder Person, ob sie eines Verbrechens verdchtig ist oder nicht.
Eine Verletzung der persnlichen Rechte? Moralisch und ethisch gesprochen:
Sie habens erfat, Chummer. Aber dem Buchstaben, wenn auch nicht dem Gei-
ste des Gesetzes nach, ist diese Praxis koscher. Das heit, zumindest so lange,
wie Lone Star jeden, dessen Leitung angezapft wurde, davon benachrichtigt ...
innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten nach Entfernung der Wanze. Aber
kann Lone Star diese Einschrnkung nicht einfach dadurch umgehen, indem man
die Wanzen fr immer und ewig an Ort und Stelle lt? Sie habens schon wieder
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erfat, Chummer. Die Lone Star-Beamten sind fr ihre Vergelichkeit berch-
tigt, wenn es ums Benachrichtigen geht.
Jedenfalls mu sich jemand um den Datenwust kmmern, den die Wanzen
produzieren. In Seattle ist dieser Jemand Avatar, und genau dort endete Lolly.
Wanzen und Abhranlagen sind fr ihre starken Nebengerusche berchtigt. Die
Signale werden von all jenem elektronischen Drek verwischt, den heutzutage
einfach jeder zu Hause hat. Sicher, die zeitgenssische Software fr Signalver-
strkung und die automatischen Filteralgorithmen sind hochentwickelt und erste
Sahne, aber manchmal sind sie eben nicht sahnig genug. Was dann gebraucht
wird, ist jenes undefinierbare Etwas, jene ausschlielich menschliche Kunstfer-
tigkeit, die bei manchen Leuten angeboren zu sein scheint. Zu diesen Leuten
gehrte auch Lolly, und der Signalwasch-Job htte auch speziell fr sie erfunden
worden sein knnen. Sie erzhlte mir, sie wrde dem Geschwtz auf den Bn-
dern niemals zuhren. Das, was die Verdchtigen sagten, interessiere sie einen
Drek. Das einzige, was zhle, sei, die Datenstrme so zu bearbeiten, da das S/R-
-Verhltnis den letzten Kick kriege.
Und auf diese Weise sind Lolly und ich uns damals begegnet. Whrend ich fr
einen Angestellten von Lone Star einen ziemlich schattigen Auftrag erledigte,
fand ich rein zufllig heraus, da sich die kleine Lolly ziemlich tief in den Drek
geritten hatte. Scheint so, als sei Lolly, die damals erst zwanzig war, in irgendei-
ne machiavellistische politische Auseinandersetzung verstrickt gewesen, bei der
sie irgendeinen Burschen erprete, der ihr berufliches Fortkommen zu blockieren
versuchte, weil sie seine sexuellen Antrge abgewiesen hatte. Die Geschichte
war Lolly ber den Kopf gewachsen. Wegen eines Hebels, den ich im Laufe der
Arbeit an meinem eigenen Fall entdeckt hatte, war ich in der Lage, ihr aus der
Klemme zu helfen, was ich dann auch aus reiner Menschenfreundlichkeit tat. Als
ihr Widersacher daraufhin die Firma wechselte, war Lolly aus dem Schneider.
In der Zwischenzeit hatten wir eine leidenschaftliche Affre begonnen, die fnf
erschpfende Wochen dauerte.
In dieser relativ kurzen Zeitspanne erfuhr ich eine ganze Menge ber Lolita
Yzerman. Wegen ihres Aussehens machte sie auf viele Leute den Eindruck einer
lebenslustigen Blondine, die nicht mehr im Kopf hatte als die Absicht, sich ein
flottes Leben zu machen. Falsch. Das war eine Maske, die sie trug, und es war
eine gute.
Wenn man es jedoch schaffte, sie zu durchschauen, sah man eine berechnende
Person, die rcksichtslos das zu bekommen versuchte, was sie wollte. Ein Teil
von mir litt ziemliche Qualen, als Lolly unsere Beziehung abbrach, doch ein
anderer Teil war der Ansicht, da ich vielleicht glcklich davongekommen war.
Ihre Ttowierungen drckten es wohl am besten aus. An den Fukncheln hat-
te sie sich jeweils eine Ttowierung machen lassen, die unter UV-Licht babyblau
leuchtete. Die linke lautete: Gute Mdchen kommen in den Himmel. Die rechte
besagte: Bse Mdchen kommen berall hin. Lolly Yzerman kam berall hin.
Und jetzt war sie tot. Ich legte das Holo beiseite und betrachtete Jocasta.
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Sie rang noch mit der Fassung, schien den Kampf aber wohl doch zu gewin-
nen. Das Gesicht ruhte zwar noch auf ihren Knien, aber das unkontrollierte Zuc-
ken ihrer Schultern hatte aufgehrt. Zhe Frau. Der zweite Schock war schlimm
gewesen. Manche Menschen wrden sich davon erst nach Monaten erholt haben
und dann auch nur, wenn sie einen guten Seelenklempner fanden.
Ich versprte das starke Verlangen nach einem Drink. Das Bedrfnis nach
Schlaf war mir vllig vergangen erstaunlich, was ein Laserzielgert zwischen
den Augen alles bewirken kann , aber mein Verstand fhlte sich infolge des
Adrenalinkaters wie geschmolzenes Blei an. Die Bar befand sich in Reichweite
des Bettes (sehr bequem), also brauchte ich nicht mal aufzustehen. Ich go mir
einen guten Schluck als Scotch getarnten Synthahol ein, zgerte und schenkte
Jocasta dann ebenfalls einen Drink ein.
Als ich mich umdrehte, sa sie aufrecht und betrachtete mich unverwandt. Ihre
khlen grauen Augen blickten klar und konzentriert. Zwar immer noch emoti-
onslos, aber wach und aufmerksam. Jene letzte Katharsis schien sie ein wenig
aufgerichtet zu haben, zumindest an der Oberflche. (Obwohl ich die Trume,
die sie wahrscheinlich hatte, nicht mit ihr teilen wollte.) Wie ich schon sagte,
zhe Frau. Wortlos reichte ich ihr den Drink.
Ich beobachtete ihre Hand, als sie das Glas nahm. Stetig, nicht das geringste
sichtbare Zittern. Sie neigte den Kopf kaum merklich in einer Geste, die ein
Dankesnicken htte sein knnen, und nahm einen Schluck. Angesichts des Ge-
schmacks verzog sie ein wenig das Gesicht, entweder weil sie keinen Scotch
mochte, oder weil sie echten Scotch mochte, aber sie nahm gleich noch einen
Schluck. Dann senkte sie das Glas.
Ihr Schweigen und ihr stetiger Blick, der immer noch auf mein Gesicht fixiert
war, weckten in mir ein unbehagliches Gefhl. Ich nippte an meinem Drink,
hauptschlich deswegen, um irgendwas zu tun. Dann fragte ich: Knnen Sie
mir sagen, was passiert ist?
Lolita ist erschossen worden, aus ganz kurzer Entfernung, mitten ins Gesicht.
Ihre Stimme klang nicht so monoton wie zuvor, aber sie war leidenschaftslos,
als beschreibe sie die jngsten Schwankungen der Brsenkurse und nicht den
Mord an ihrer Schwester. Es ist in ihrem Apartment passiert. Die Polizei sagte,
offensichtlich htte sie jemandem die Tr geffnet, den sie kannte und dem sie
vertraute. Und dieser Jemand hat sie erschossen. Sie sagte Jemand, aber in
ihren Augen stand immer noch Sie womit sie natrlich mich meinte.
Wie haben Sie mich damit in Verbindung gebracht? hakte ich nach. Woher
kannten Sie berhaupt meinen Namen?
Sie zuckte die Achseln. Ich wute die ganze Zeit von Ihnen. Lolita hat mir von
Ihrer ... Beziehung erzhlt. Zum erstenmal lie Jocasta ein wenig Unbehagen
erkennen.
Wir hatten eine Affre miteinander, stellte ich trocken fest. Aber Sie wis-
sen auch, da sie keine zwei Monate gedauert hat, und danach hatten wir keinen
Kontakt miteinander.
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Bis sie Sie zu erpressen begann.
Ich seufzte. Schon wieder Erpressung. Weswegen? Und wie sind Sie ber-
haupt daraufgekommen?
Sie hat mir vor zwei Tagen eine Nachricht geschickt, am Tag bevor ... bevor
sie gestorben ist. An dieser Stelle htte ihre eisige Selbstkontrolle sie fast ver-
lassen. Das fand ich irgendwie beruhigend. Zh mochte sie sein, aber sie war ein
Mensch.
Und woher wuten Sie, wo Sie mich finden konnten?
Sie sah mich an, als sei ich ein Idiot. Lolly hat es mir gesagt.
Interessant. Soviel ich wute, hatte Lolly keine Ahnung gehabt, wo ich wohnte.
Gut, sie hatte meine Telekomnummer, aber ich war ein paarmal umgezogen, seit-
dem wir uns das letztenmal gesehen hatten. Erzhlen Sie mehr ber die Nach
richt, sagte ich.
Sie war verngstigt und wurde sich gerade darber klar, wie gefhrlich Sie
sind. Darum hat sie mir auch alles darber erzhlt.
Mir kam ein Gedanke. Eine gesprochene Nachricht?
Sie schttelte den Kopf, und ihr kupferfarbenes Haar flatterte. Nein, nur eine
schriftliche.
Noch interessanter. Aber dem wrde ich spter nachgehen. Was hat sie ge-
sagt? Womit wollte sie mich denn angeblich erpressen?
Das hat sie nicht gesagt, erwiderte Jocasta langsam. Sie hat mir nur mitge-
teilt, Sie htten irgendwas Schlimmes getan. Sie seien zu weit gegangen das
waren ihre Worte. Und wenn sie davon etwas durchsickern liee, wrde das Ihre
hoffnungsvolle Beziehung mit Lone Star ruinieren.
Ich stie ein verbittertes Lachen aus, vor dem sie zurckzuckte. Ach, Drek,
fauchte ich fast. Wissen Sie, wie meine hoffnungsvolle Beziehung mit Lone
Star aussieht? Ich wartete nicht auf ihre Antwort. Sie suchen nach mir. Sie
versuchen mich aufzuspren. Ich habe ihr Ausbildungsprogramm durchlaufen,
ich wollte nmlich Bulle werden. Dann fand ich heraus, was das bedeuten wrde,
und bin abgesprungen. Sowas gefllt denen bei Lone Star berhaupt nicht. Ich
glaube, die Tatsache, da ich noch lebe, beleidigt ihr empfindliches Konzern-
feingefhl. Meine hoffnungsvolle Beziehung besteht darin, da sie versuchen,
mich zu finden, und ich versuche, nicht gefunden zu werden.
Ich schluckte meinen rger herunter ber Lone Star zu reden, bringt mich
immer in Rage , und nahm noch einen Schluck Scotch-Ersatz.
Ihre Augen ruhten immer noch auf mir, aber jetzt konnte ich frmlich sehen,
wie sich die Rdchen drehten, als sie das Gehrte durchdachte. Aber Sie haben
fr Lone Star gearbeitet, sagte sie schleppend. So haben Sie Lolita kennenge
lernt.
Ja, sicher, ich hab ein paar Jobs fr einzelne Angestellte von Lone Star erle-
digt, aber das war alles Schattenkram, alles inoffiziell und vertraulich. Fr Lone
Star selbst? Nein. Meine Bezahlung wrde aus einer ausbruchssicheren Zelle
oder einer Neun-Millimeter-Migrne bestehen. Ich schnaubte. Aber ich nehme
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an, Sie glauben mir nicht. Passen Sie mal auf, fuhr ich etwas ruhiger fort. Die
letzten paar Tage waren ziemlich hart, und ich fhle mich wie Drek. Ich werde
jetzt meine Anrufe durchgehen wo ich nun schon mal wach bin , aber dann
gehe ich wieder ins Bett. Sie knnen gern Ihren Drink beenden, und danach kn-
nen Sie gern die Tr benutzen. Wenn Sie noch mal ber die Sache reden wollen,
rufen Sie mich in sechsunddreiig Stunden oder so noch mal an.
Ich kehrte ihr den Rcken, rckte auf dem Bett ein Stck seitwrts, bis das
Telekom in Reichweite war, und drehte den Sichtschirm ein wenig, so da ich
ihn besser sehen konnte. Dann drckte ich auf Nachricht wiederholen. Augen-
blicklich wurde der Schirm vom Wieselgesicht Anwars, des Schiebers, erhellt.
Dirk, begann er, aber da hatte ich auch schon auf Stop gedrckt. Ich ber-
prfte Datum und Uhrzeit in der unteren rechten Ecke. Mittwoch, 13. November
2052 vor sechs Tagen also. Wahrscheinlich die Aufforderung, einen Lagebe-
richt zum Fall zu geben. Nun, den Lagebericht hatte er vor ein paar Stunden
bekommen Fall abgeschlossen , und ich hatte meine Bezahlung mitgenom-
men. Zum Teufel mit Anwar. Ich drckte auf Lschen und forderte die nchste
Nachricht an.
Wieder Anwar, Freitag, 15. November. Lschen. Nchste Nachricht.
Der Schirm erhellte sich wiederum. Noch ein Wiesel, nicht Anwar, aber noch
einer seines Schlages. Montgomery, knurrte das Wiesel, der Kredstab, den
Sie mir geschickt haben, ist nicht gut. Ich bin sehr unzufrieden.
Ach ja? knurrte ich meinerseits das Bild an. Die Bezahlung von Anwar wr-
de mehr als ausreichen, ausstehende Schulden, einschlielich derjenigen, die ich
bei dem Wiesel hatte, zu decken. Er konnte bis morgen warten. Lschen. Nchste
Nachricht.
Diesmal blieb der Schirm leer. Nur eine Stimme. Ich konnte mir schon denken,
wer es war. Die vertraute Stimme, die aus dem Lautsprecher kam, besttigte
meinen Verdacht. Mr. Dirk, sagte die kultivierte Stimme glatt, hier spricht Mr
.... Johnson. Ich mchte nur eine Besttigung, da Sie tatschlich an dem Fall ...
Ich drckte auf Stop. Es gab keinen Grund, Jocasta geschftliche Dinge mith-
ren zu lassen. Dieser spezielle Mr. Johnson hatte vor einer Woche von irgendwo
aus dem Osten Chicago, seinem Akzent nach zu urteilen mit einem simplen
Sprauftrag angerufen. Eine vermite Angestellte, und der groe wohlwollende
Konzern wollte sichergehen, da ihr nichts Schlimmes zugestoen war (von we-
gen). Und jetzt wollte Johnson wie Gott und die Welt auch einen Lagebericht.
Morgen. Speichern diesmal. Nchste Nachricht.
Das nchste Bild und die Stimme trafen mich wie ein Stromschlag. Instinktiv
blickte ich ber die Schulter. Jocasta war kerzengerade aufgesprungen und starr-
te auf den Bildschirm.
Kein Wunder. Aus dem Telekom betrachteten mich die groen blauen Au-
gen von Lolita Yzerman. Anstatt ihres vertrauten Zwinkerns begrte mich ein
Schatten, den ich sehr gut kannte. Angst. Lolly ngstigte sich zu Tode. Ich blickte
flchtig auf die Datumsanzeige: Samstag, 16. November 2052. Vorgestern. Ein
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Tag, bevor Lolly weggepustet worden war. Ich beugte mich vor.
Derek, sagte Lollys Bildnis leise, wenn du da bist, geh bitte ran. Ich mu
mit dir reden. Sie wartete ein paar Augenblicke, dann senkte sie ihren norma-
lerweise stetigen Blick. Als sie wieder aufsah, war der Schatten in ihren Au-
gen dunkler geworden. Ich nehme an, du bist nicht da, fuhr sie traurig fort.
Mein Herz flog ihr zu. Armes kleines Mdchen, jetzt ein totes kleines Mdchen.
Wenn du zurckkommst, ruf mich bitte an. Meine Nummer ist noch die alte.
Es ist ... sie zgerte es ist echt wichtig. Ich glaube, ich sitze ziemlich tief
im Drek. Sie zwang ein Lcheln auf ihr Gesicht, aber es war ein erbrmlicher
Versuch. Ruf mich an, wiederholte sie. Ich warte auf deinen Anruf. Ich krieg
dich, Dirty Dirk.
Ich hieb auf die Taste, die das Abspielen der brigen Nachrichten beendete,
lehnte mich zurck und starrte auf den leeren Schirm. Ich krieg dich, Dirty
Dirk. Einer von Lollys Sprchen, Worte aus der Vergangenheit. Ich versprte
den Drang, eine Wiederholung der Nachricht aufzurufen, um ein letztes Mal in
jenen tiefgrndigen blauen Augen zu versinken. Doch ich widerstand der Versu-
chung. Ich wute, wie weh es tun wrde. Mir fiel ein Spruch von einem meiner
alten Chummer bei Lone Star ein. Manche Mdchen sind wie Malaria, Derek,
mein Lieber, pflegte Patrick Bambra zu sagen, insbesondere dann, wenn er dem
Whiskey zugesprochen hatte. Und wenn du sie einmal im Blut hast, wirst du sie
nie wieder los. Ich fragte mich mig, ob Patrick Lolly gekannt hatte.
Mit einiger Anstrengung verjagte ich die Depression, die sich ber mich zu
legen drohte. Ich drehte mich zu Jocasta um.
Und starrte wiederum in die Mndung der L36, whrend mich der Ziellaser
blendete. Ich hatte das verfluchte Ding einfach auf dem Tisch direkt neben dem
Armsessel liegen gelassen. Ich konnte nicht bei klarem Verstand gewesen sein.
Wenn ich nicht so verdammt mde gewesen wre, htte ich niemals etwas derart
Dmliches getan.
Bevor ich noch irgendwas sagen konnte, nahm Jocasta den Finger vom Abzug,
und der Laser erlosch. Dann entspannte sie den Hahn und legte den Sicherungs-
flgel um, alles auf eine sehr geschftsmige Art und Weise. Sie streckte mir die
Waffe wie ein Geschenk entgegen. Es tut mir leid, sagte sie. Ich habe mich
geirrt. Das war kein Erpresser, der mit seinem Opfer redet ... oder mit seinem
Mrder. Ich schaute auf die Pistole und schttelte den Kopf. Mit einem Nicken
verstaute sie die kleine Waffe in einem Beutel an ihrem Grtel.
Etwa eine halbe Minute lang breitete sich Schweigen zwischen uns aus. Ich
fhlte mich emotional zu ausgehhlt, um ein Gesprch zu beginnen, und sie war
zu sehr mit der Prfung meines Gesichts beschftigt. Es mute ihrer Musterung
standgehalten haben, weil sie mich mit einem dnnen geschftsmigen Lcheln
bedachte. Sie sagten, Sie bernehmen auch Schattenarbeit? Ich nickte. Neh-
men Sie auch meine Nuyen?
Ich war versucht, ihr zu sagen, was sie mit ihrem Geld machen konnte. Ich
glaubte nicht, da ich Jocasta Yzerman sonderlich mochte, aber das konnte gut
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damit zu tun haben, da sie in den letzten zwanzig Minuten zweimal mit ner
Kanone auf mich gezeigt hatte. Doch dann schaute ich ihr wieder in die Augen
und sah den Schmerz, der immer noch in ihnen stand und noch lange Zeit darin
stehen wrde. Sie hatte eine Schwester verloren. Was hatte ich verloren? Eine
Ex-Flamme? Nicht mal das, nicht mal eine echte Freundin. Nur ein paar Stunden
Schlaf und ein wenig Stolz.
Ich nickte. Klar. Keiner von uns brauchte zu sagen, worin der Job bestand.
Sie lchelte kaum merklich. Wie hoch ist Ihr Satz? fragte sie. Sie fummelte
in einem anderen Beutel an ihrem Grtel herum und holte einen Kredstab her-
aus. Einen dreifach beringten beglaubigten Kredstab. Jocasta Yzerman stieg auf
Montgomerys Soziokonomischer Leiter um eine Stufe und fiel auf Montgo-
merys Intelligenzskala um eine. Ein beglaubigter Kredstab ist bares Geld, man
bentigt keinerlei Identittsnachweis. Und ich habe ein paar Nachbarn, die sie
fr einen einfach beringten Kredstab mit Vergngen geeken wrden.
Ich winkte ab. Darber reden wir spter. Ich wei nicht, ob ich berhaupt
irgendwas tun kann.
Sie akzeptierte das mit einem Nicken und schob den Kredstab wieder in den
Beutel zurck. Dann zog sie eine Karte heraus und gab sie mir. Hier ist meine
Telekomnummer, sagte sie wiederum lchelnd. Diesmal sah das Lcheln fast
echt aus. Rufen Sie mich an, wenn Sie irgendwas fr mich haben. Sie glttete
ihre Hosenbeine mit den Handflchen und holte tief Luft. Jetzt gehen Sie besser
zu Bett. Sie sehen aus wie Drek.
Vielen Dank, erwiderte ich, vielleicht ein wenig sarkastisch. Schlieen Sie
beim Rausgehen die Tr hinter sich. Ich wollte mich gerade wieder auf dem
Bett ausstrecken, als mir ein Gedanke kam. Wie sind Sie hergekommen?
Mit einem Taxi.
Wartet es auf Sie?
Nein.
Drek. Sie rechnen damit, ein Taxi anhalten zu knnen?
Klar. Warum auch nicht?
Sie kennen Auburn nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Ich hievte mich auf
die Beine. Ich fahre Sie nach Hause. Ich angelte meinen Duster vom Haken
und traf alle notwendigen Manahmen, nach drauen zu gehen.
Sie wollte Einwnde erheben, aber als sie sah, da meine Vorbereitungen eine
eingehende berprfung meines Colts vom Typ Manhunter einschlossen, hielt
sie den Mund. Gescheites Mdchen. Ich lie den massiven Metallklumpen in
das eingearbeitete Halfter des Dusters zurckgleiten und ffnete die Tr. Nach
Ihnen, sagte ich galant.
Einer der ganz wenigen Grnde, aus dem ich die La Jolla Apartments mag, ist
der, da sie so ungefhr das einzige Gebude sind, das einen eigenen gesicherten
Parkplatz hat. Gut, Tor und Schlsser wrden die echten Profis nicht aufhalten,
aber es ist zumindest ein gewisser Schutz vor den Straenaffen, die einen gepark-
ten Wagen nur so zum Zeitvertreib demolieren. Die Profis wrden ihre Zeit nicht
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mit meiner Karre verschwenden. Die Karosserie ist die eines ganz normalen 47er
Chrysler-Nissan Jackrabbit, total verbeult und runtergekommen, und insgesamt
sieht der Wagen aus wie ein Stck Drek. All jene Kleinigkeiten, die den Wagen
zu einem wertvollen Besitz machen, sind wohlverborgen und von auen nicht
zu sehen.
Ich ffnete die Tren und startete den Motor, whrend Jocasta alle Mhe hatte,
ihre langen Beine im Innern des Wagens zu verstauen. Sie wissen, wie sich ein
normaler Jackrabbit mit Petrochem-Antrieb anhrt: Wie ein Paar Stiefel in einem
Wschetrockner. Nun, der Motor meines Babys singt. Dem Blick nach zu urtei-
len, den mir Jocasta zuwarf, hatte sie den Unterschied bemerkt. Ich lchelte nur
und schaltete die Kontrollsysteme ein.
Quincy, derselbe Bursche, der fr das Sicherheitssystem in meinem Apartment
verantwortlich war, hatte auch meinen Wagen auf Vordermann gebracht. (Quincy
und ich haben ne prima Vereinbarung. Dank irgendwelcher grauen Kontakte
kauft er sein technisches Spielzeug zu Grohandelspreisen. Ich bezahle dafr,
und er baut sie mir umsonst ein. Es ist eine Symbiose. Ich bekomme die brand-
neusten Errungenschaften praktisch umsonst, und Quincy kann dann mit all der
hbschen Hardware herumspielen.) Jocasta glotzte nur, als ich das berkopf-
Display und das Navigations-Subsystem einschaltete. Wo wohnen Sie? fragte
ich lssig.
Sechsundfnfzigste Sd, sagte sie. Ecke Yakima.
Ich hob eine Augenbraue also doch Tacoma , sagte aber nichts, als ich den
Bestimmungsort in das Navsystem eingab. Auf dem Schirm erschien eine Karte,
auf der die direkteste Route eingezeichnet war. Wie ich vermutet hatte, fhrte sie
ber Route 18 und Highway 5, dann nach Sden, bis man das Tacoma-Aroma
roch.
Jocasta sah fasziniert zu, whrend ich das Navsystem anwies, den Autopiloten
mit den einzelnen Stationen des Weges zu fttern. Erstaunlich, sagte sie kopf-
schttelnd. Sowas habe ich bisher nur in einem Nightsky gesehen. Ich grinste
nur, obwohl ich einen Nightsky noch nie von innen gesehen habe. Hat er auch
Riggerkontrollen?
Jetzt war ich es, der den Kopf schttelte. Wrde mir nichts bringen. Ich
strich mir das Haar aus der Stirn, um ihr metallfreie Schlfen zu zeigen. Keine
Datenbuchse. Ich bin nicht verdrahtet.
Das berraschte sie. Ist das kein Nachteil in Ihrem ... Ihrem Beruf?
Ich schttelte den Kopf und setzte den Jackrabbit in Gang. Das war ein Thema,
ber das ich nicht gerne nachdachte. Sicher, die meisten Runner, die ich kenne,
haben irgendwelche Cyberhilfen. Zumindest Datenbuchsen. Ich denke schon,
da es Zeiten gegeben hat, wo ich mir ein Smartgun-Interface oder verbesserte
Sehfhigkeit gewnscht habe. Aber ich habe immer irgendeinen Grund gefun-
den, mich nicht verdrahten zu lassen. Es kommt mir einfach nicht richtig vor.
Vielleicht bin ich auch nur unsicher, aber die Vorstellung, auch nur ein winzi-
ges Stck meiner selbst Dirk Montgomerys zu verlieren, schmeckt mir eben
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nicht.
Die Fahrt verlief schweigend. Als wir durch die mit Apartments bersten H-
gel westlich von Auburn fuhren, leuchtete der Sprawl namens Gro-Seattle wie
eine Versammlung aufgepeppter Glhwrmchen, ein ausgedehntes Lichtermeer,
das bis zum Horizont zu reichen schien. Sein Funkeln erfate auch den Himmel,
der so mit chemischen Verunreinigungen und seinem blichen Teufelsgebru
verschiedener Toxine angereichert war, da die Luft selbst in einem stumpfen
roten Licht zu glhen schien. Die Stadt erstrahlte unterhalb einer festen Wol-
kendecke, die das Licht wiederum zur Erde reflektierte. Highways wurden so zu
schimmernden Flssen, und die hheren Gebude zu Pyramiden oder vielfarbig
gefrbten Krallen, die sich nach oben reckten, als wollten die Konzerne auch
noch die Wolken in Besitz nehmen.
Es war leicht zu erkennen, wann wir in Tacoma einfuhren. Die Gebude waren
hher, die Lichter heller. Selbst die Wagen auf den Straen waren teurer. Toyo-
ta Elites ersetzten Jackrabbits, und Mitsubishi Nightskys nahmen den Platz der
Westwind 2000 ein. Sogar die Luft schien sauberer, frischer zu sein, aber ich
wute, das war nur eine Illusion.
Historisch gesehen, ist Tacoma ein verrckter Ort. Die Stadt war mal eine
verschlafene kleine Hinterwldlergemeinde. Auf den Bildern aus der Zeit um
die Jahrhundertwende sieht sie aus wie eine typische amerikanische Kleinstadt.
Dann strmte das Geld herein, und Seattles arme Verwandte machte sich davon.
Der Taco Dome lag bereits ein ganzes Stck rechts hinter uns, als mich das Nav
daran erinnerte, die Abfahrt zur Sechsundfnfzigsten Strae zu nehmen. Ich fuhr
rechts ab, dste das Autobahnkreuz entlang und folgte der Sechsundfnfzigsten,
einer breiten, gut beleuchteten Strae, in stlicher Richtung. Die Gebude auf
beiden Seiten waren hoch, wahrscheinlich achtzig und mehr Stockwerke. Ein
weiterer Unterschied zwischen Auburn und Tacoma. Ich htte gewut, da ich
mein gewohntes Gelnde verlassen hatte und nicht mehr in meinem Element
war, selbst wenn ich die reichen Typen nicht gesehen htte, die auf dem Brger-
steig spazierengingen. (Spazierengehen? Nachts?)
An der Ecke Sechsundfnfzigste und Yakima bog ich auf Jocastas Anweisung
rechts ab. Nette Gegend, in der sie wohnte, und so ganz anders als alles, was wir
auf der Sechsundfnfzigsten passiert hatten. Hohe Gebude schienen hier nicht
angesagt zu sein. Die Huser, die die Strae flankierten, waren niedrig, drei oder
vier Stockwerke, und sahen in jeder Hinsicht wie jahrhundertealte Sandsteinge-
bude aus. (Natrlich alles nur Schein. Der Sandstein war in Wirklichkeit Bau-
plastik und Stahlbeton mit gemaserter Fassade, die wahrscheinlich irgendeine
Art von Panzerung enthielt. Und wenn die Huser lter als zehn Jahre waren,
wrde mich das echt berrascht haben. Echter Sandstein htte sich mittlerweile
durch die tzenden Bestandteile der Luft lngst in formlose Sandhaufen verwan
delt.)
Da ist meine Wohnung, sagte Jocasta, schrg nach vorn deutend. Sie lchelte
angesichts meiner Reaktion. Nicht das ganze Ding, nur die Hlfte des Dachge-
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schosses. Ich taxierte das Haus. Nur das halbe Dachgescho war vielleicht
viermal so gro wie meine Bude. Geld. Eindeutig Geld.
Ich drckte leicht auf den Knopf, der die Tr ffnete. Ich rufe Sie an, wenn ich
was fr Sie habe, sagte ich.
Aber sie hrte mir gar nicht zu. Anscheinend ein wenig bestrzt betrachtete sie
einen metallgrauen Westwind, der zwei Wagen vor uns parkte.
Was ist los? fragte ich.
Sie schttelte den Kopf und sagte nur: Tony.
Tony? Heit das rger?
Sie schttelte wiederum den Kopf. Nicht in dem Sinn, der Ihnen vorschwebt.
Sie schwieg einen Augenblick. Es ist Tony DeGianetto. Wir waren ... wir ...
Ich lie sie vom Haken, indem ich verstndnisvoll nickte.
Ich habe die Geschichte vor einer Woche beendet. Ich dachte, die Trennung
sei von beiden Seiten in freundschaftlichem Einvernehmen erfolgt, und habe da-
her die Schlssercodes nicht ndern lassen. Sie sah verrgert aus, vielleicht aber
auch ein wenig besorgt. Ich vermute, er ist zurckgekommen.
Ich wartete darauf, da sie fortfuhr, doch dazu schien sie nicht geneigt zu sein.
Sie schien auerdem nicht geneigt zu sein, aus meinem Wagen auszusteigen. Ich
seufzte. Soll ich mit Ihnen kommen?
Na ja ... Sie zgerte. Tony ist nicht gefhrlich. Aber ich will wirklich nicht
mit ihm reden. Ich will das alles nicht noch mal durchkauen. Wrde es Ihnen
etwas ausmachen?
Es machte mir etwas aus. Ich war mde, und ich war nicht in der Stimmung, fr
Jocasta Yzerman den Beschtzer zu spielen. Aber was sollte es? Absolut nicht,
sagte ich mit so viel ehrlicher berzeugung, wie ich heucheln konnte.
Als wir aus dem Wagen stiegen, sah ich hinauf zum Dachgescho des Sand-
steinhauses. Kein Licht. Ich wies Jocasta daraufhin.
Sie zuckte die Achseln. Vielleicht ist er gerade erst gekommen.
Wie auf ein geheimes Stichwort ging am obersten rechten Fenster das Licht an.
Gefolgt von einem viel helleren Licht. Eine Feuerblume blhte auf, und das
Fenster kippte auf die Strae.
Ich versuchte Jocasta zu Boden zu reien, in Deckung, aber die Schockwelle
warf mich um. Etwas Hartes knallte gegen meinen Hinterkopf ich glaube, es
war mein Wagen , und die Lichter gingen aus.
I ch konnte nicht lnger als ein paar Sekunden lang weg gewesen sein. Als ich
die Augen ffnete, regnete immer noch diverser Drek vom Himmel auf Brger-
steig und geparkte Wagen. Meine Ohren klingelten, und in meinem Kopf hm-
merte es, als benutze jemand die Innenseiten meiner Trommelfelle als ... nun,
als Trommeln eben. Die gesamte Vorderseite meines Krpers fhlte sich an, als
sei ich geradewegs gegen eine Mauer gelaufen, und mein Hinterkopf pochte wie
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verrckt. Aber ich war noch am Leben, und das lie alles ertrglich erscheinen.
Jocasta lag neben mir auf dem Rcken. Ihre Augen waren offen und bewegten
sich, aber sie waren glasig und folgten jedenfalls keinem Vorgang in der wirkli-
chen Welt. Ich schaute mich um in der Erwartung, von allen Seiten Schaulustige
zusammenlaufen zu sehen.
Keine Schaulustigen. Dann fiel mir wieder ein, wo ich war. Tacoma ist nicht
Auburn, wo die Menschen normalerweise dem Unheil entgegeneilen, nur um
zu sehen, was gerade den Bach runtergeht. Hier hatten die Fugnger, die noch
Sekunden zuvor auf der Strae gewesen waren, ein bewundernswertes Kunst-
stck in puncto Verschwinden vorgefhrt. Auer Jocasta und mir war die einzige
Person auf dem Brgersteig buchstblich auf dem Brgersteig. Schlaff auf dem
Zement ausgebreitet. Und der Klumpen von irgendwas, den die Explosion in sei-
nen Schdel getrieben hatte, schien anzudeuten, da er sich auch so schnell nicht
wieder erheben wrde, zumindest nicht aus eigener Kraft.
Jocastas Sandsteinhaus stand noch ein Beispiel moderner Bautechnik , und
selbst die falsche Steinfassade schien nicht sonderlich mitgenommen zu sein.
Die beiden Fenster in der obersten rechten Ecke waren jedoch verschwunden,
und in den berresten von Jocastas einstigem Apartment brannte ein munteres
Feuerchen.
Jocasta regte sich und sagte irgendwas, aber ich verstand es nicht, da es durch
das Klingeln in meinen Ohren bertnt wurde. Dann hrte ich zwar etwas, doch
etwas ganz anderes. Das Gerusch war noch weit weg, aber es war unverkenn-
bar rasch nher kommendes Sirenengeheul. Logisch. Keine Menschenseele auf
der Strae, aber wahrscheinlich war jeder PANIKKNOPF im Umkreis von drei
Blocks gedrckt worden und sandte jetzt sein Signal aus.
PANIKKNPFE und Sirenen bedeuteten Lone Star, und das bedeutete, es
wurde Zeit zu verschwinden. (Ich selbst war auch noch nicht wieder so richtig
beieinander, aber immerhin weit genug, um mir zumindest das zusammenzu-
reimen.) Ich fate Jocasta unter den Achseln und zog sie auf die Fe. Dann
ffnete ich die Beifahrertr und schob sie in den Wagen. Als ich schlielich auf
dem Fahrersitz sa, startete ich den Motor und machte, da ich wegkam. (Klar,
ich wei, da es immer ganz schlecht ist, den Schauplatz eines Verbrechens zu
verlassen. Und ein berstrzter Abgang wie dieser konnte durchaus manche Leu-
te dazu bringen, sich zu fragen, ob der Bursche in dem roten Jackrabbit wohl
irgendwie in die Sache verwickelt war, aber, ehrlich gesagt, kmmerte mich das
einen feuchten Drek.)
Mein Gleichgewichtssinn war im Eimer, wahrscheinlich aufgrund des Gehr-
schocks, und meine Tiefenwahrnehmung spielte mir auch weiterhin seltsame
Streiche, was alles in allem nicht sehr hilfreich beim Fahren war. Das Steuerrad
bewegte sich andauernd unter meinen Hnden, wenn sich Quincys aufgemotzter
Autopilot einmischte (Mehr nach links, Bldmann), um uns davor zu bewah-
ren, in Huser und andere unbewegliche Objekte zu rasen. Jocasta beobachtete
mich mit weit aufgerissenen, ngstlichen Augen, aber sie hatte so viel Verstand,
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den Mund zu halten. Oder vielleicht konnte ich sie auch blo nicht hren.
Als wir schlielich wieder in nordstlicher Richtung auf dem Highway 5 fuh-
ren, lie das Klingeln in meinen Ohren langsam nach. In dem Ausma, in dem
die normale Geruschkulisse wieder zurckkam, lieen auch die wilde Panik und
die Paranoia, die in meiner Brust tobten, nach. Ich lockerte den Wrgegriff, mit
dem ich das Lenkrad umklammert hielt, und lie die Geschwindigkeitsanzeige
auf dem berkopf-Display von unerhrt auf bertrieben absinken.
Jocasta sah zwar immer noch ein wenig aus, als habe sie ein Explosionstrauma
erlitten, aber sie hatte sich unter Kontrolle. Da ich nicht wute, was ich sagen
wollte, versuchte ich es auf die behutsame Tour. Tut mir leid, sagte ich.
Sie schttelte langsam den Kopf. Ich sollte mich mies fhlen, sagte sie lei-
se. Tony ist tot. Ihre grauen Augen fixierten mich und baten schweigend um
Verstndnis. Aber ich kann mich nicht mies fhlen. Ich bin viel zu beschftigt,
mich darber zu freuen, da ich nicht tot bin.
Ich lchelte trstend. So ist es immer, versicherte ich ihr. Sie sind nicht kalt
oder gefhllos. Sie sind noch am Leben, obwohl jemand anders das nicht wollte.
Das ist Grund genug, sich gut zu fhlen. Spter haben Sie noch Zeit genug zum
Trauern.
Jocasta nickte, schwieg aber ein paar Minuten lang. Whrend sie den Blick
ber die rechts an ihr vorbeihuschenden Lichter wandern lie, ging ich noch ein
paar Kilometer mit dem Tempo herunter. Jetzt war nicht der richtige Moment
fr einen Strafzettel wegen berhhter Geschwindigkeit. Dann sprte ich ihre
Augen wieder auf mir ruhen und sah zu ihr hinber.
Warum? Ihre Stimme war leise, knisterte aber buchstblich vor Spannung.
Ich zuckte die Achseln und drckte mich vor der Antwort, die ihr nicht gefallen
wrde.
Aber damit wollte sie sich nicht zufriedengeben. Warum? wiederholte sie.
Lose Enden, antwortete ich mit einem Seufzer. Man lt seine Werkzeuge
nicht so einfach herumliegen, nachdem man sie benutzt hat.
Sie runzelte die Stirn, whrend sie darber nachdachte. Es dauerte nur ein paar
Sekunden, bis ich das Begreifen in ihren Augen aufblitzen sah. (Gescheite Lady,
dachte ich wieder.) Erklren Sie, was Sie damit meinen.
Ich zuckte wiederum die Achseln. Ich wute, sie hatte es sich schon selbst
zusammengereimt, aber vielleicht wollte sie es mich aussprechen hren. Je-
mand hat Ihre Schwester umgebracht. Wir wollen ihn mal X nennen, sagte ich,
korrigierte mich jedoch augenblicklich. Oder sie. Jedenfalls hat X Ihnen eine
Nachricht geschickt, angeblich von Lolly, und ganz allgemein alles so arrangiert,
da Sie in meine Wohnung kommen und mich wegpusten wrden. Dann gehen
Sie nach Hause und sprengen sich bequemerweise in Stcke. Ich tte Lolly, Sie
tten mich, und dann ausgleichende Gerechtigkeit verlieren Sie bei einem
Unfall das Leben.
An dieser Stelle unterbrach sie mich. Unflle sprengen keine Apartments in
die Luft.
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Klar tun sie das. Besonders, da Sie in Ihrer Kche mit Sprengstoff rumgespielt
haben nur fr den Fall, da Sie meinen Wagen verminen muten. Sie starrte
in mein grinsendes Gesicht. Na klar, versicherte ich. Wollen wir wetten, die
Spurensuche findet Beweise, da Sie einen Vorrat von C6Plastiksprengstoff oder
etwas hnlichem in Ihrem Kchenschrank hatten? Auf jeden Fall habe ich Lolly
ermordet, Sie haben mich ermordet, und dann sind Sie in Ihre eigene Falle ge-
tappt. Alles erledigt. Wir sind aus dem Weg, und X ist total aus dem Schneider.
Sie schwieg fast eine volle Minute lang. Ich konnte ihren Verstand fast tic-
ken hren, whrend sie alles durchdachte. Sie mssen recht haben, sagte sie
schlielich. Man hat mich programmiert und dann geopfert. Sie hat man nur
geopfert. Sie schnitt eine Grimasse. Ich kann es nicht glauben. So etwas pas-
siert einfach nicht.
Vielleicht nicht in Ihrer Welt.
Ich konnte erkennen, da sie sich nach meiner Welt erkundigen wollte, sich
dann jedoch eines Besseren besann.
Wir nherten uns der Meridian Avenue. Zeit, einen Entschlu zu fassen, wo
ich berhaupt unterkriechen sollte. Und dann war da noch Jocasta, um die ich
mich kmmern mute. Sie tauchen besser eine Weile unter, bis ich wei, was
hier berhaupt los ist, sagte ich. Ich kann Ihnen ne sichere Bleibe beschaffen,
wenn Sie eine brauchen. Nicht unbedingt, was Sie gewhnt sind, aber ...
Das regle ich schon, unterbrach sie mich. Ich kann bei Kollegen unterkom-
men.
Wo?
Sie dachte ein wenig darber nach. Sie knnen mich auf der Hundertachten
rauslassen. Am Sdende.
Bellevue. Beaux Arts, um genau zu sein. Noch mehr Geld als Tacoma. Die
Neugier gewann die Oberhand. Was machen Sie eigentlich? fragte ich. Bei
welchem Konzern sind Sie? Sie lchelte ein wenig. Bei keinem Konzern. Ich
bin eine Neo-kologin an der Puget-Sund-Universitt.
Ich warf einen Blick auf ihr mageschneidertes Kunstleder und schnaubte.
Die PSU mu die Gehlter erhht haben.
Nein, sie bezahlen dort immer noch Drek. Aber KCPS zahlt besser als b-
lich.
KCPS. Eine der Schul- und Bildungs-Tridstationen des Metroplex. Irgendeine
Erinnerung rhrte sich in meinem Hinterkopf.
Dann fiel es mir ein. Die Erwachte Welt, platzte es aus mir heraus.
Jocasta lchelte jetzt ziemlich breit. Sie sehen sich die Sendung an? Ich htte
nicht gedacht, da so etwas auf Ihrer Linie liegt.
Ich ignorierte den feinen Seitenhieb. Ich habe sie mir ein paarmal angese-
hen. Hauptschlich, um dich zu sehen, fhrte ich den Satz in Gedanken weiter.
Sie knnen mich ruhig fr beschrnkt halten, aber ich bin mehr an Sugetieren
interessiert, die wie Jocasta Yzerman aussehen, als an Novopossums oder Me-
tapedes.
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Nun, das erklrte das Geld. Tridmoderatoren kassierten Unsummen, auch
wenn sie solche Einschaltquotenflops wie Die Erwachte Welt prsentierten. Es
erklrte auch das Gefhl der Vertrautheit, das an mir nagte, seitdem ich Jocasta
zum erstenmal in Fleisch und Blut gesehen hatte. Okay. Beaux Arts also.
Ich fuhr den Highway 5 bis zur Route 99, dann nach Osten in die relativ ruhige
Schlafzimmergemeinde Renton und dann nach Norden auf die 405 durch New-
port Hills. Als wir auf die Abfahrt zur Intercity 90 zuhielten, begannen sich die
Gebude zu beiden Seiten des Highways zu verndern. Grtenteils handelte es
sich immer noch um Apartmentblocks, nur da sie grer, sauberer und neuer
waren als die in Renton und Newport. Whrend in den beiden sdlichen Bezir-
ken hauptschlich Lohnsklaven und Manager der unteren und mittleren Gehalts
stufe wohnten, war Beaux Arts der Ort, wo viele hochrangige Konzernexecs ihre
Penthuser hatten. Ich erinnerte mich an den Katalog mit den Sicherheitsbeurtei-
lungen, den ich mal berflogen hatte, als ich noch bei Lone Star war. Die Agen-
tur gab Beaux Arts das Prdikat Luxusklasse, Sicherheitsbeurteilung dreifach-A.
Besser geht es nicht.
Ich wurde etwas langsamer und bog nach Westen auf die Intercity 90 ab, fuhr
bis zur East Channel Bridge und dann nach rechts auf den Bellevue Way. Wieder
rechts auf die 113. Avenue Sdost, dann auf die 108. und hinein ins tiefste, dun
kelste Beaux Arts. Helle Lichter wuchsen in den Himmel ber mir. Als ich die
Zeichen des guten Lebens im Geiste mit meiner eigenen Bude in Auburn und
mit meiner Endstation fr heute nacht verglich, entschlpfte mir ein ungewollter
Seufzer. Es war verdammt schwer zu glauben, da all diese Orte in ein und der-
selben Stadt lagen.
Wohin jetzt? fragte ich Jocasta.
Sie knnen mich hier rauslassen.
Ich wollte schon protestieren, beherrschte mich aber. Bellevue ist schlielich
Bellevue, und Beaux Arts ist eine der wenigen Gegenden, wo jemand mit Joca-
stas Aussehen ber die Strae gehen kann, ohne zum unfreiwilligen Spielzeug
einer Gang zu werden. Mich wurmte ein wenig, da sie mir nicht so weit traute,
um mich genau wissen zu lassen, wo sie blieb, aber nur ein wenig. Es gibt Zeiten,
zu denen nicht einmal ich mir vllig vertraue, und ich kenne mich eine ganze
Ecke besser, als Jocasta Yzerman dies tat.
Dann versuchte ich es mit Nachdenken und realisierte, da das Beaux Arts Vil-
lage ein Stck weiter die Strae hinauf lag. Das Village ist eine kleine Enklave
mit Mauern und Toren, die viel besser bewacht sind als manche Banken. Die
Huser sind untereinander durch groe Bume getrennt echte Bume , und
von den meisten hat man einen berwltigenden Ausblick auf den East Channel
oder den schwer bewachten Jachthafen sdlich der Brcke. Ich lchelte Jocasta
gtig an. Es ist das Village, sagte ich milde. Sie zuckte ein wenig, und ich
wute, ich hatte sie erwischt.
Ich fuhr jedoch nicht bis zum Village. Da ich weder auf mich noch auf meinen
Wagen Aufmerksamkeit lenken wollte, ffnete ich nur die Beifahrertr. Nicht
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vergessen, sagte ich, als sie ihre langen Beine aus dem Wagen schwang. Blei-
ben Sie untergetaucht und halten Sie sich bedeckt. Lassen Sie niemand wissen,
wo Sie sich aufhalten oder da Sie noch am Leben sind. Eigentlich sollten wir
jetzt beide tot sein. X macht vielleicht nicht zweimal den gleichen Fehler.
Sie zuckte ein wenig zusammen, fing sich aber sofort wieder. Was ist mit
Lone Star? fragte sie. Sie werden nach mir suchen, nachdem ...
Zum Teufel mit ihnen, fauchte ich aus Prinzip. So ist es sicherer. Wir wis-
sen nicht, wer X ist und welche Verbindungen er hat. Vielleicht hat er Connec-
tions, die bis in den Star hineinreichen. Werden Ihre Kollegen Sie decken?
Darber mute sie erst mal nachdenken, was mich etwas beunruhigte. Dann
hellte sich ihre Miene auf, und sie antwortete: Ja. Er ist mir was schuldig, ziem-
lich viel sogar.
Wiederum kam die Neugier hoch, aber ich verbi mir die auf der Hand liegen-
de Frage. Okay, gab ich meinen Segen. Aber halten Sie Kontakt mit mir. Ich
will gar nicht erst nach Ihrer Nummer fragen, aber nehmen Sie meine. Ich gab
ihr eine Geschftskarte, ohne Adresse. Rufen Sie mich morgen an. Wenn ich
nicht da bin, hinterlassen Sie eine Nachricht.
Sie steckte die Karte ein, ohne einen Blick darauf zu werfen. Sie fahren nicht
nach Hause?
Ich schnaubte. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich mute schon fter
mal von der Bildflche verschwinden. Wo ich auch bin, Sie knnen mich immer
unter dieser Nummer erreichen. Also machen Sie Gebrauch davon, okay? Mor-
gen?
Sie nickte, schlo die Wagentr, wandte sich ab und drehte sich gleich wieder
um. Ich lie das Fenster herunter. Tut mir leid, da ich Sie in diese Sache hin-
eingezogen habe, sagte sie leise. Sie sah so bestrzt aus, da ich mir die geist-
reiche Erwiderung, die mir auf der Zunge lag, verkniff.
Kein Problem, entgegnete ich geschmeidig. Ich war in dem Augenblick
drin, als X mich zu seinem Lockvogel auserkor. Sie sind nur dem Drehbuch
gefolgt.
Sie bi sich auf die Lippe, wobei sie der besorgte Gesichtsausdruck nur noch
hbscher machte. Eine Nanosekunde erwog ich vorzuschlagen ach wie auf-
richtig , da sie eine bessere Chance hatte, den morgigen Tag zu erleben, wenn
sie bei mir unterschlpfte. Doch dann verwarf ich die Idee und alle schmutzigen
Gedanken, die damit einhergingen. Ein kleines Abenteuer mit Jocasta Yzerman
wre bestimmt toll gewesen, aber ich war wirklich mde. Und wenn ich sie sp-
ter, aus welchen Grnden auch immer, loswerden mute, wrde ein Verhltnis
alles nur erschweren.
Ich rufe Sie an, sagte sie und wandte sich dann zum zweitenmal ab. Die
schmutzigen Gedanken kehrten beim Anblick ihrer kleiner werdenden Rckan-
sicht zurck, aber ich zerstampfte sie wie eine Horde Kchenschaben. Ich schlo
das Fenster wieder und fuhr los.
Bellevue war eine ziemliche Fahrstrecke von Tacoma und meiner eigentlichen
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Operationsbasis in Auburn entfernt, doch bis zu meiner Zweitbude war es beque-
merweise nur ein Katzensprung. Ich fuhr wieder zurck auf die Intercity 90 und
richtete die stromlinienfrmige Nase des Jackrabbit nach Osten. Als ich die Rou-
te 405 erreichte, bog ich nach Norden, dann nach rechts auf die alte Woodinville
Redmond Road ab und schlielich in die Woodinville-Duvall Road ein.
In dem Augenblick, als ich die 405 verlie, nderte sich die Szenerie drama-
tisch. Ich war in Redmond den Barrens , und jeder, der jemals dort gewesen
ist, wei, man kann die Grenze zu diesem Bezirk gar nicht bersehen. Die Ge-
bude wurden pltzlich niedriger, als seien die schlanken Giganten von Bellevue
an den Knien abgetrennt worden, whrend vereinzelte Inseln blauweien Lichts
aus Kohlenstofflampen den gelben Schein der Natrium-Straenbeleuchtung ver-
drngten. Ich war wieder im Jahr 2050, als Gouverneur Schulte zu dem Schlu
gekommen war, die Barrens brauchten lediglich eine bessere Beleuchtung. Un-
ter unglaublichem Kostenaufwand hatten die Techniker der Stadt unter dem
Schutz Lone Stars und der Metroplex-Garde berall dort, wo sie gefahrlos
hinkamen, ultrahelle Kohlenstofflampen angebracht. Die Bewohner der Barrens
hatten darauf in typisch warmherziger Redmond-Manier reagiert indem sie die
meisten zerschossen. Die kleinen Erhebungen wurden hier und da von betonier-
ten Abwasserkanlen durchschnitten. Ich konnte das faulige und surehaltige
Wasser, das gewhnlich grozgig mit toten Hunden oder Schlimmerem garniert
ist, nicht sehen und dank des Atemluftfilters des Jackrabbit auch nicht riechen.
Als ich am Cottage Lake vorbei war, trat ich aufs Gaspedal, bis die Geschwin-
digkeitsanzeige auf dem berkopf-Display warnend rot zu blinken begann.
Dank Quincy, er sei ewig gepriesen, nahm sich die aktive Radaufhngung der
Schlaglcher und Unebenheiten an, whrend der Motor wie ein Banshee heul-
te. Zu meiner Linken durchschnitten Mndungsblitze die Nacht, aber die Unan-
nehmlichkeiten kamen nicht einmal in meine Nhe. Die Crimson Crush-Gang
scho heute nacht einfach nicht geradeaus. Jenseits der Paradise Lake Road ging
ich ein wenig vom Gas. Die Crusher spielten niemals stlich der Kreuzung, weil
sie wuten, die Rusted Stilettos wrden sie zum Frhstck verspeisen, falls sie
es doch taten.
Nach links auf die High Bridge Road, dann wieder links auf den Jasmine Bou-
levard kein Jasmin, und es war auch ganz bestimmt kein richtiger Boulevard
und in das als Purity bekannte Gebiet. Ein wirklich bler Teil der Barrens, wenn
man ein Auenseiter ist, aber in Purity herrscht eine Art Kodex, den man in Red-
mond nicht oft findet. Der Kodex ist simpel: Leg dich nicht mit mir, dann leg
ich mich auch nicht mit dir an (es sei denn, jemand bezahlt mich entsprechend
dafr). Das gilt jedoch nur, wenn man ortsansssig ist.
Und in gewissem Sinn war ich das. Ich hielt mir eine Zweitwohnung in Purity
und zahlte mein Schutzgeld einer amerindianischen Straengang in dem Gebiet.
Unser Deal sah so aus, da ich meine Nuyen zahlte und sie die Bude benutzen
aber nicht mibrauchen konnten, wenn ich nicht da war. Bei den meisten ande-
ren Gangs mu man sich den Kopf untersuchen lassen, wenn man sich auf so ei-
nen Deal einlt. Sie brauchen die Bude nur einmal benutzt zu haben, und wenn
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man wiederkommt, ist sie bis auf die Bodenfliesen ausgerumt. Wahrscheinlich
wird man auerdem noch von ein paar groen Jungs erwartet, die einen um alles
Wertvolle erleichtern, was man zufllig bei sich hat oder vielleicht auch um
die Zahnfllungen, wenn sie gerade militant drauf sind. Aber diese Gang hat
Ehrgefhl. Vielleicht liegt es an ihrem stammesgeschichtlichen Hintergrund. Je-
denfalls, wenn man sie einmal gekauft hat, bleiben sie bei der Stange, zumindest
solange man nicht von jemand anders berboten wird. Mein Geheimnis ist, ich
bezahle ihnen mehr, als jeder, der in den Barrens lebt, sich leisten kann.
Ich parkte den Jackrabbit in einem ehemaligen Eckladen, der wegen Geschfts-
aufgabe geschlossen hatte, da jemand die Vorderfront mit einem Granatwerfer
zum Einsturz gebracht hatte. Das ist meine Privatgarage, fr die ich denselben
Deal wie fr meine Bude abgeschlossen habe. Dann ttigte ich den Hflichkeits-
anruf beim Anfhrer der Gang, einem eiskalt aussehenden Straensamurai, des-
sen Namen ich niemals erfahren habe, lie ihm einen beglaubigten Kredstab zur
Deckung der Kosten fr die nchsten paar Monate zukommen und trottete hinauf
zu meinem Apartment.
Meine Wohnung in Auburn ist klein, aber die Bude in Redmond wrde be-
quem hineinpassen und noch genug Platz fr einen Pool-Tisch und ausreichend
Freiraum fr das Ausfhren der Ste lassen. Der einzelne Raum war leer wie
immer, wenn ich hereinschneite, aber ich sah massenhaft Beweise dafr, da er
es noch nicht lange war. Auch das war absolut normal. Nachdem ich ber leere
Chip-Behlter und benutzte Hilfsmittel zur Familienplanung hinweggestiegen
war, warf ich erstmal das Telekom an. Wie immer berprfte ich als erstes die
Benutzereintrge. Wie erwartet, hatten die Amerindianer Ferngesprche gefhrt,
aber zumindest besaen sie auch weiterhin soviel Anstand, sie einer anderen
Nummer in Rechnung zu stellen. Gouverneur Schultz Nummer, wie ich mit
Freuden registrierte.
Ich tippte den Telekomcode fr mein Apartment in Auburn ein. Als das an-
dere Gert die Verbindung herstellte, schaltete ich ein tolles kleines Utilitypro-
gramm ein, das mir Buddy, eine brandheie Deckerin aus meiner Bekanntschaft
vermacht hatte. Das Programm, dessen Aufgabe es ist, mit der rtlichen Tele
komgesellschaft Schlitten zu fahren, berzeugt den Computer der Zentralver-
mittlung davon, da die beiden Telekoms das eine in Auburn, das andere in
Redmond tatschlich ein Gert sind, das (elektronisch gesprochen) unter mei-
ner Auburner Nummer beheimatet ist. Bei eingehenden Anrufen klingeln beide
Gerte. Ich kann alle Funktionen meines Auburner Telekoms von Purity aus ab-
rufen und kann von den Barrens Anrufe ttigen, whrend die Computer Stein und
Bein schwren wrden, da die Gesprche von der Ecke Dritte Strae Sdwest
und D in Auburn kommen. Raffiniert und potentiell lebensrettend. Wenn das Pro-
gramm aktiviert war, mute man schon besser als sehr gut sein, um mich ber die
Eintrge im Telekomnetz aufzuspren.
Whrend die beiden Gerte die notwendigen Formalitten austauschten, um
gemeinschaftlich die Computer des Lokalen Telekommunikationsgitters an der
Nase herumzufhren, lehnte ich mich zurck und dachte ber meinen nchsten
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Zug nach. Diese Geschichte mit Lolly, Jocasta und unserem mysterisen X stand
auf meiner Priorittenliste verstndlicherweise ganz weit oben. Aber ich hatte
auch noch andere Eisen im Feuer: eine Reihe von Fllen Honorarflle. Ich
konnte sie nicht einfach vergessen, ohne sowohl meiner Straenreputation als
auch meinem Bankkonto irreparablen Schaden zuzufgen. Was ich jedoch tun
konnte, war, die Intensitt meiner Nachforschungen ein wenig zurckzuschrau-
ben.
Das Telekom verkndete piepend seine Bereitschaft, also rief ich eine Liste
aller eingegangenen Nachrichten auf. Die Liste verriet mir nicht die Identitt
eines Anrufers, aber sie nannte mir Zeit und Datum der Nachricht und in den
meisten Fllen auch die LTG-Nummer, von der aus der Anruf gettigt worden
war. Ich arbeitete mich durch die Liste und lschte dabei berholte Nachrichten
wie jene von Anwar, dem Schieber. Ein paar andere, deren Ausgangsnummer ich
kannte, versah ich mit einem Vermerk, die das Telekom anwiesen, das bliche
Bin-beschftigt-rufe-zurck-sobald-ich-Zeit-habe auf sie loszulassen.
Blieben noch zwei Mitteilungen, von denen keine eine Ausgangsnummer auf-
wies. (Das weckte natrlich mein Interesse. Jemand mit der richtigen Hardware
wrde kaum Probleme haben, die Ausgangsnummer zu unterdrcken, aber das
Knowhow war nicht allgemein verbreitet.) Die Tatsache, da beide Mitteilungen
mit dem Vermerk nur Ton versehen waren, gab mir einen Hinweis darauf, wer
der Anrufer war. Ich klickte die erste an und drckte auf Abspielen.
Ich hatte richtig geraten. Die ausdruckslose, gelassene Stimme mit dem Anflug
eines Akzents war unverkennbar. Mein Mr. Johnson aus Chicago (wahrschein-
lich). Mr. Dirk, sagte er, ich nehme an, da Sie die Sache weiterverfolgen,
die wir vor ein paar Tagen besprochen haben. Der Vorschu fr eine Woche ist
bereits vom Gesellschaftskonto abgebucht worden, was, wie ich annehme, be-
deutet, da Sie noch zu unserer Abmachung stehen. Kontaktieren Sie mich bit-
te unter Beachtung der vereinbarten Arrangements zwecks Besttigung. Vielen
Dank.
Pedantischer Pinkel. Ich rief die nchste Nachricht auf.
Die Datumsanzeige besagte, da sie frher an diesem Abend eingegangen war,
ungefhr um die Zeit, als Jocasta und ich herabregnenden Trmmern auszuwei-
chen versucht hatten. Mr. Dirk, leierte dieselbe Stimme, die Dringlichkeit
dieser Angelegenheit hat sich soeben vergrert. Wir glauben, da sich unsere
... unser Aktivposten in unmittelbarer Gefahr befindet. Ich wrde es aueror-
dentlich begren, wenn Sie Ihre Bemhungen entsprechend verstrken wr-
den. Ich wrde es auerdem begren, wenn Sie das Anhalten Ihres Interesses
an unserer Vereinbarung besttigen knnten. Ich wrde es vorziehen, wenn ich
niemanden damit beauftragen mte. Ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen.
Vielen Dank.
Ich knurrte innerlich. Ich mag es nicht, wenn man mich beaufsichtigt, auch
nicht aus der Ferne wie in diesem Fall, und ich mag ganz bestimmt keine ver-
hllten Drohungen. Klar, Mr. Kon Johnson wrde mir einen anderen Runner
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auf den Hals hetzen, wenn er zu der Ansicht kam, ich sei mit meinem Honorar
durchgebrannt. Aber er sollte meinen Professionalismus so weit respektieren,
mich nicht daran zu erinnern.
In einem Punkt hatte der Pinkel jedoch recht. Ich war ein wenig nachlssig
mit meinen Lageberichten gewesen. Ich holte die Tastatur heraus und tippte eine
rasche Notiz, die ich an das schwarze Brett einer Mailbox abschickte, die Mr.
Johnson benannt hatte. Im wesentlichen besagte sie: Ich bearbeite den Fall,
und rufen Sie, verdammt noch mal, nicht mehr an, war jedoch etwas hflicher
formuliert.
Nachdem das erledigt war, lehnte ich mich zurck und berdachte den Fall. Ich
war von Mr. Johnson angeheuert worden, um eine Konzernangestellte namens
Juli Long aufzuspren, die aus dem Konzern verschwunden und dann anschei-
nend in Seattle wieder aufgetaucht war. Der Konzern mache sich Sorgen, hatte
Mr. Johnson mir mitgeteilt, da irgendwas faul war; man frchtete um Julis Si-
cherheit. Mein Job bestand ganz einfach darin, sie zu finden, aus allen gefhr-
lichen Verstrickungen im Plex zu befreien und in ein Flugzeug nach Osten zu
setzen.
Lie man all die Sorgen des Konzerns beiseite, blieb das simple Aufspren
einer Ausreierin. Aus irgendeinem Grund hatte Juli ihre informelle Kndigung
eingereicht, indem sie vom Konzern weggelaufen war. Dem Wortlaut von Mr.
John-sons Anweisungen nach zu urteilen, klang es nicht nach einer Entfhrung
oder einer Extraktion durch einen anderen Konzern. Juli floh nicht zu etwas, zum
Beispiel zu einem anderen Job. Sie floh vor etwas. Ich wute nicht, wovor, und
ich mute es auch gar nicht wissen. Ich habe gesehen, wie das Konzernleben fr
eine Lohnsklavin wie Juli aussieht, und ich wre ebenfalls geflohen.
Eine junge Frau mit wenig oder gar keiner finanziellen Rckendeckung John-
son hatte sich in diesem Punkt sehr deutlich ausgedrckt , die zum erstenmal
in den Seattle-Metroplex kommt. Keine Freunde, keine Konzernarme, die sie
beschtzen. Rohes Fleisch fr die Raubtiere der Strae. Es war praktisch Gewi-
heit, da Juli Long in ein paar Tagen im Hafenbecken treibend auftauchen wrde.
Das hatte ich auch Johnson gegenber erwhnt, aber er verlangte, ich solle die
Suche trotzdem durchfhren. Wenn ich recht und es Juli erwischt hatte, sollte
ich ihm einen unwiderlegbaren Beweis fr ihr vorzeitiges Ableben schicken. Ich
hatte nicht viel unternommen, sondern lediglich eine Routine an meinem Tele-
kom in Gang gesetzt, alle Nachrichtenquellen und Datenfaxe nach dem Namen
Juli Long und ihrer Beschreibung zu durchforsten. Wahrscheinlich wrde ich ein
wenig mehr Mhe in die Geschichte investieren mssen. Letzten Endes.
Ich zog meine Brieftasche und holte die Kopie ihres Dossierkonterfeis heraus.
Sah wie ein nettes Mdchen aus. Sauber geschnittenes, flaumiges blondes Haar.
Erinnerte mich an Lolly.
Verdammt, ich wurde langsam morbide. Das passiert immer, wenn ich fertig
bin. Ich dachte an das frhe Schlafengehen, das ich mir vorgenommen hatte, und
lachte. Ich steckte das Bild wieder in meine Brieftasche, schaltete das Telekom
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auf Standby und brach auf dem Bett zusammen. Bilder flossen ber die Innensei-
te meiner Augenlider. Explosionen, Pistolenmndungen, Laserzielgerte. Aber
hauptschlich junge blonde Frauen: Manchmal Lolly, manchmal Juli Long. Sie
folgten mir hinab in die dunkle Grube des Schlafes.
D er frhe Morgen ist eine der ruhigsten Zeiten im Dschungel. Die nchtlichen
Raubtiere lassen es mit der Nacht bewenden, und in die Tagjger kommt
gerade erst Leben. Dasselbe gilt fr Redmond und auch aus denselben Grnden.
Ich wei nicht, was mich am nchsten Morgen um kurz nach 08.00 weckte.
Vielleicht war es die Ruhe. Die Nchte in Redmond sind normalerweise von
Sirenengeheul, dem Drhnen vorbeifahrender Citymaster oder tieffliegender
Gelbjacken und sogar sporadischen Schuwechseln erfllt. Ich drehte mich in
der relativen Stille um und versuchte wieder einzuschlafen.
Aber das Vergessen wollte sich einfach nicht einstellen. Nach fnfzehn Minu-
ten fruchtloser Bemhung gab ich es auf und zwang meinen steifen Krper aus
dem Bett. Ich trug immer noch meinen Duster, und die Panzerplatten hatten sich
im Schlaf in mein Fleisch gedrckt. Ich tastete mit der Hand unter meinem Hemd
herum. Den Wlsten und Vertiefungen nach zu urteilen, denen ich dabei begeg-
nete, hatte ich mich ber Nacht in irgendeine Art aufrecht gehendes Grteltier
verwandelt. Das pate: Mein Mund fhlte sich an, als htte ich ein paar Ameisen
verspeist. Ich fluchte mich bis zum Waschbecken durch, lie einen Becher mit
lauwarmem Wasser vollaufen und splte mir den Mund aus. (Ich schluckte das
Wasser nicht, nein, Sir. Echte Barrens-Bewohner scheinen eine Resistenz gegen
Ruhr und andere hnlich angenehme Arten von Zeitvertreib zu entwickeln, aber
ich habe noch nie lange genug hier herumgehangen, als da mein Immunsystem
das Programm htte durchziehen knnen.) Auf Koffein basierende Wachmacher
waren die einzigen rezeptfreien Drogen, die ich mir in letzter Zeit neben Alkohol
genehmigte. Ich schttete mir ein paar davon auf die Handflche und schluckte
die bitteren Pillen trocken. Whrend ich darauf wartete, da das konzentrierte
Koffein mein zentrales Nervensystem auf Trab brachte, sank ich vor dem Tele-
kom zusammen und schaltete es wieder auf Betrieb.
Eine meiner besten Methoden fr das Lsen von Problemen ist die, darber zu
schlafen. Die Wahrheit ist, mein Unterbewutsein scheint ein paar Dutzend IQ-
Punkte gescheiter als mein Bewutsein zu sein und auch besser zu funktionieren,
wenn ich ihm sozusagen nicht ber die Schulter sehe. Wenn ich versuche, mich
durch irgendwas hindurchzupuzzeln, brauche ich meinem Bewutsein hufig
nur eine Pause zu gnnen. Ich pflegte dies in Form krperlicher Ertchtigung
zu tun, was schmerzhaft ist, oder auch in Form von Alkohol, was letzten En-
des noch schmerzhafter ist. Mittlerweile neige ich dazu, einfach zu schlafen,
und ich kann diese Pausen sogar als notwendig rechtfertigen, um meinen Krper
fr den immerwhrenden Kampf um Gerechtigkeit in Form zu halten. Wenn ich
aufwache, springt mir die Antwort, die ich suche, oft direkt ins Gesicht, wobei
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sie in der Regel von einer geistigen Notiz wie Hier haben wirs, Schwachkopf
begleitet wird.
Als ich letzte Nacht abgeschaltet hatte, war die Frage gewesen, was als nch-
stes zu tun war. Die Antwort, die mein Unterbewutsein ber Nacht ausgegraben
hatte, bestand in einem Namen: Naomi Takahashi.
Ich hatte Naomi kennengelernt, whrend wir uns durch die Ausbildung bei
Lone Star kmpften. Wir muten uns derselben Schinderei unterziehen, die dar-
auf angelegt war, unseren Willen zu brechen, doch wir waren beide fest ent-
schlossen, unseren Willen nicht brechen zu lassen. Das war so ungefhr alles,
was wir gemeinsam hatten. Sie betrachtete den Star als Mglichkeit, der Kon-
trolle ihrer wohlhabenden Familie zu entkommen. Ich war dem Programm als
eine Art falsch verstandener Therapie gegen das Schuldgefhl beigetreten, das
mich nach dem Tod meiner Eltern bei einem ziellosen Straentumult heimsuch-
te. Trotz unserer Unterschiede erkannten wir beide sehr bald, da die Ausbildung
bei Lone Star eine sehr wirkungsvolle Art der Gehirnwsche ist, ein Programm,
das darauf abzielt, alle Rekruten in brutale, mitleidlose Mordwaffen zu verwan-
deln. Naomi, ich und ein anderer Bursche namens Patrick Bambra der Chum-
mer, der Frauen mit Malaria verglich schworen, wir wrden uns unser Hirn
niemals waschen lassen, und wir hingen in einer Art Gruppe fr gegenseitige
Untersttzung zusammen wie die Kletten. Wir nannten uns sogar die Drei Mus-
ketiere, was nur belegt, wie idealistisch und bldsinnig romantisch wir waren.
Patrick flog dann ziemlich schnell aus dem Programm, hauptschlich deshalb,
weil ihn selbst die seelenzerfressende Brutalitt des Stars nicht dazu bringen
konnte, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Naomi und ich berwanden
uns jedoch und schafften es, wobei unsere Persnlichkeit im wesentlichen intakt
blieb (glaube ich ganz zumindest).
Obwohl die Ausbildung darauf abzielte, uns in Schlger und Straenmonster
zu verwandeln, zerstrte sie uns nicht so weit, da wir uns mit diesem Schicksal
abgefunden htten. Naomi beantragte die Versetzung ins Archiv und bekam sie
auch genehmigt. Ich schied ganz einfach aus und verzog mich in die Schatten.
Naomi und ich hielten die Verbindung aufrecht, doch nur sporadisch und sehr
vorsichtig. Sie ist der einzige Freund innerhalb des Lone Star-Systems, den ich
noch habe, aber sie se ganz tief im Drek, wenn ihre Bosse das herausfnden.
Ich hatte in den vergangenen paar Jahren ein paar Einzahlungen auf Naomis Ge-
flligkeitskonto gemacht, hauptschlich dadurch, da ich ein wenig Schattenar-
beit erledigt hatte, um Freunden und Kollegen von ihr aus der Patsche zu helfen.
Jetzt war es an der Zeit, einen Teil dieser Schulden einzutreiben.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach halb neun. Das bedeutete, sie war
in der Arbeit. Ich whlte nur Ton am Telekom und tippte Naomis Durchwahl-
nummer ein. Ein paar Sekunden spter wurde der Schirm durch ihr Bild erhellt.
Naomi Takahashi war so schn wie an dem Tag, als ich ihr zum erstenmal bege-
gnet war. Ihre Stirn runzelte sich ein wenig unter den schwarzen Ponyfransen, als
sie registrierte, da der Anruf kein Bild prsentierte, aber ihre melodische Stim-
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me lie keinen Unterton der Frustration erkennen. Lone Star, Archivabteilung.
Ich schraubte meine Stimme ein paar Tne tiefer als gewhnlich und verlieh ihr
eine raspelnde Schrfe. Ein Stimmanalysegert lie sich dadurch natrlich nicht
tuschen, dafr wahrscheinlich aber jeder Aufseher, der zufllig mithrte. h,
ja, grollte ich, ich will Joe Dar-tog-non sprechen. Isser zufllig in der Nhe?
Naomis Miene vernderte sich nicht, aber ich sah das Erkennen in ihren Man-
delaugen aufblitzen. Selbst mit meiner verstellten Stimme mute ihr die verball-
hornte Betonung von DArtagnan, dem vierten Musketier aus der Literatur, den
entscheidenden Hinweis geben. Es tut mir leid, Sir, sagte sie geschmeidig,
wir haben hier niemand dieses Namens.
Verflucht, fauchte ich, whrend ich ihre Vorstellung geno. Bis dann. Als
ich die Verbindung unterbrach, sah ich noch ihr subtiles Zwinkern, nicht mehr als
ein leichtes nervses Zucken. Nachricht erhalten und verstanden.
Ich stand auf und reckte mich. Ich wute, Naomi wrde bei der ersten Gele-
genheit eine Pause machen, um mich von einem sicheren Telekom irgendwo
anders anzurufen. Ich wute nicht, wie lange es dauern wrde. Aber wie ich
Naomi kannte, nicht lange.
Um mir die Zeit zu vertreiben, schaltete ich das Telekom auf Trideomodus um
und flegelte mich aufs Bett. Es geht doch nichts ber n kleines geistloses Trid,
wenn man die Zeit totschlagen will. Am besten etwas mit minimalem Inhalt und
unzureichend bekleideten Bhnendekorationen. Etwas wie Das Neue Glcks-
rad.
Aber zufllig geriet ich in eine Nachrichtensendung und brachte einfach nicht
die Energie auf, aufzustehen und auf einen anderen Kanal zu schalten. Die Spre-
cherin, eine Platinblonde mit runderneuerten Zhnen und vergrerten sekund
ren Geschlechtsmerkmalen plapperte alles ber den jngsten Bandenkrieg her-
aus, whrend sie die ganze Zeit ein Lcheln aufgesetzt hatte, das eher in ein
Schlafzimmer gepat htte. Ihre uere Erscheinung war wenigstens eine geeig-
nete Ablenkung, solange ich ihr nicht zuhrte.
Das war natrlich leichter gesagt als getan. Bei Nachrichtensendungen wird
der Soundkanal immer elektronisch verstrkt und zustzlich noch mit Ultraschall
unterlegt, so da sich die Nachrichten ins Hirn des Betrachters schmeicheln. Na-
trlich ist das ganz einfach ein Trick zur Verbesserung der Einschaltquoten, der
es schwieriger macht, abzuschalten oder den Kanal zu wechseln.
Das hinter der Blondine ablaufende Video wechselte von den blichen, profes-
sionell gegltteten Bildern chaotischer Gemetzel zu einem fesselnderen Anblick.
Wir blickten auf die nchtliche Stadtlandschaft von Seattle herab. Den Vibratio-
nen und der Art nach zu urteilen, wie stndig die Perspektive wechselte, mute
sich die Kamera an Bord eines Hochgeschwindigkeitsflugzeugs, vielleicht auch
eines kleinen Hubschraubers, befinden. Es erinnerte mich an Kriegsberichterstat-
tung. Ich fing an, den Geschehnissen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Und jetzt ein KONG-Exklusivbericht, sagte die Platinblonde gerade. In der
letzten Nacht war ein Team mit ferngesteuerten Kameras unterwegs mit einem
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von Crashcart unterhaltenen Notfallfahrzeug.
Oho. Ich setzte mich auf. Crashcart war neu im Metroplex, aber die Gesell-
schaft hatte nur ein paar Monate gebraucht, um ihre Anwesenheit mit Macht
sprbar zu machen. Sie stand in direkter Konkurrenz zu DocWagon, dem me-
dizinischen Notfall- und Rettungsdienst, und schlug sich berraschend gut. Ein
Teil ihres Erfolgs war darauf zurckzufhren, da sie Klienten von DocWagon
mit niedrigeren Tarifen abwarb oder neue Mitglieder anzog, die sich die Tarife
der Konkurrenz nicht leisten konnten. Aber hauptschlich beruhte er auf ihrer
besonderen Guerilla-Marketing-Taktik.
Alle in der Stadt kreuzenden Fahrzeuge von Crashcart fhrten Scanner mit sich,
die auf dieselben Kanle wie DocWagons Empfnger eingestellt waren. Spter,
als DocWagon seine Sendungen zu verschlsseln begann, wurden die Scanner
mit der entsprechenden Dekodier-Ausrstung gekoppelt. Wenn ein Fahrzeug
von DocWagon einen Notruf hchster Dringlichkeitsstufe hereinbekam sagen
wir, es hatte jemanden in jenem Stadtteil erwischt, den manche Medienwitzbol-
de MZM oder Militrzone Mitte nennen , fuhr ihm das nchste Fahrzeug von
Crashcart hinterher. Crashcart lie immer das Trauma-Team von DocWagon den
ersten Rettungsversuch unternehmen. Nur, wenn das DocWagon-Team gegeekt
wurde oder einen besonders heien Rettungsversuch abbrechen mute, griff
Crashcart ein und versuchte, es besser zu machen. In fast einem Dutzend Fllen
war Crashcart in der Lage gewesen, das Opfer herauszuholen, nachdem Doc-
Wagon versagt hatte. Was es fr Doc-Wagon noch schlimmer machte, war die
Tatsache, da drei dieser Rettungsversuche hohen Konzerntieren gegolten hat-
ten, die mit DocWagon einen Super-Platin-Mitgliedsvertrag abgeschlossen hat-
ten. Verstndlicherweise waren eine ganze Reihe anderer Super-Platin-Klienten
in ihrer Treue zu DocWagon schwankend geworden. Wenn man 75 000 Nuyen
im Jahr bezahlt, erwartet man schlielich das Beste. Ein paar waren bereits zu
Crashcart gewechselt.
Klar, die Anwlte von DocWagon schrien unentwegt, die ganze Sache sei ge-
trkt und Crashcart heuere Straenabschaum an, um die DocWagon-Fahrzeuge
zu Klump zu schieen und dann einen fixen Abgang zu machen, wenn die Kisten
von Crashcart eintrafen. Aber sie hatten keine Beweise. Crashcart machte sich
nicht einmal die Mhe, die Vorwrfe zu dementieren. Sie jagten lediglich wei-
terhin ihren Slogan in den ther: Warum den ersten nehmen, wenn man den
Besten kriegen kann?
Die Platinblonde auf dem Bildschirm plapperte immer noch. Gestern gegen
Mitternacht fing das Fahrzeug mit dem KONG-Team an Bord einen DocWagon-
Notruf hchster Dringlichkeitsstufe auf. Die Sendung identifizierte das Opfer als
Daniel Waters, Journalist und Trideopersnlichkeit bei einem kleineren regiona-
len Sender.
Kleinerer regionaler Sender? Das war ein Heuler. Wie wahrscheinlich jeder
andere im Plex auch, kannte ich Waters Namen und konnte mir mhelos das
onkelhafte Halblcheln vor Augen fhren, das sein Markenzeichen war. Er war
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der Topmoderator von KOMA, der regionalen Tochtergesellschaft von ABS, und
ganz entschieden kein Unbedeutender. Tatschlich schienen die meisten Leu-
te im Sprawl Waters fr einen Born der Wahrheit zu halten, der vielleicht eine
winzige Stufe unter Gott dem Allmchtigen rangierte, und Waters hatte die Ein-
schaltquoten, die das belegten.
In bereinstimmung mit Crashcarts Vollmachten, fuhr die Sprecherin fort,
hielt sich das Fahrzeug mit dem KONG-Team heraus, whrend das Trauma-
Team von DocWagon seinen Rettungsversuch unternahm. Danach, nun ... sie
lchelte breit genug, um ihre Ohren zu verschlucken die Bilder sprechen fr
sich selbst.
Das Videofenster, das hinter der Blondine zu sehen war, dehnte sich aus,
bis es ihr Bild auslschte und den ganzen Schirm ausfllte. Gleichzeitig ent-
fernte sich der Nachthimmel des Plex vom Betrachter, als der Kameramann sei-
ne Zoomlinse neu einstellte. Zum erstenmal konnte ich genug vom Innern des
Flugzeugs sehen, um es als Merlin, einen kleineren Bruder des kippflgeligen
Osprey II. zu identifizieren. Die Maschine glich in ihrem Design einem Federa-
ted Boeing Commuter. Ich konnte auerdem erkennen, da die Kamera durch die
offene Tr auf der Steuerbordseite filmte. Rechts davon befand sich eine klobige
Gestalt, aber das Licht reichte nicht aus, um Nheres auszumachen.
Ich war sowieso nicht an dem interessiert, was sich im Innern der Merlin be-
fand. Die Action spielte sich drauen ab.
Die Merlin kreiste in einer Hhe von weniger als dreihundert Metern ber ei-
nem der kleinen Parks, die die Ostseite der City zieren. (Und die verwandeln
sich fr Fugnger nach Einbruch der Dunkelheit in Todesfallen. Wenn Daniel
Waters dort herumgewandert war, verdiente er alles, was ihm widerfahren war.)
Ein weiteres Flugzeug hing in der Luft ber den Bumen und Bschen. Es war
eine einrotorige Hughes WK-2 Stallion, etwas grer als eine Merlin. Das regel-
mige Aufblitzen ihrer Positionslichter beleuchtete das DocWagon-Logo auf
ihren Seiten.
Die Stallion versuchte niederzugehen, konnte jedoch keinen sicheren Lande-
platz ausmachen. In der Dunkelheit des Parks wimmelte es von Mndungsblit-
zen grokalibriger Gewehre und rasch verblhenden Feuerblumen, die nur aus
schweren automatischen Waffen stammen konnten. Auftreffende Kugeln schlu-
gen blauweie Funken auf der Panzerung der Stallion.
Das Trauma-Team von DocWagon lie sich den Beschu nicht widerspruchslos
bieten. Ich konnte die Flammen ihrer Antwortsalven aus den Geschtzffnungen
der Stallion zngeln sehen. Aber die Widersacher am Boden waren gut verbor
gen, whrend das Flugzeug ein riesiges schwebendes Ziel war. Obendrein war
offensichtlich, da das DocWagon-Team wesentlich schwcher bewaffnet war.
ber das Ende des Kampfes bestand kein Zweifel, und es kam rasch. Ein
Schu von unten mute an einer empfindlichen Stelle eingeschlagen sein, weil
die Maschine pltzlich unkontrolliert bockte und aus dem Gehuse ihres Back-
bordmotors Rauch quoll. Der Lrm der beiden Motoren der Merlin bertnte al-
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les andere, aber ich konnte mir das Bansheegeheul vorstellen, als der Steuerbord-
Turbojet der Stallion mit der zustzlichen Belastung kmpfte.
Das DocWagon-Trauma-Team war angeschmiert, und es wute das. Immer
noch unkontrolliert bockend, tastete sich die Stallion hher und brachte Entfer-
nung zwischen sich und den Park.
Das Crashcart-Team reagierte, noch bevor die andere Maschine den Luftraum
ber dem Park verlassen hatte, und das mit beinahe militrischer Przision. Der
Motorenlrm nderte sich, als sich die Flgel der Merlin drehten und die Ma-
schine wie ein Stein auf den Park zu fiel. Die Nacht erhellte sich wieder, als die
Schtzen am Boden das Feuer auf die neue Bedrohung erffneten.
Das war der Augenblick, in dem ich erfuhr, was die klobige Gestalt zur Rech-
ten des Videobilds war. Ein blendender Lichtstrahl, der in jeder Hinsicht wie ein
Todesstrahl aus einem alten Science Fiction-Film aussah, zerteilte die Dunkel-
heit. Ein Gerusch, als wrde eine riesige Segeltuchplane zerfetzt oder vielleicht
King Kong furzen, ein kolossales Reien, das kein Ende nahm, lie den winzigen
Lautsprecher meines Telekoms klappern. Der Lichtstrahl wanderte ber den Bo-
den, und ich konnte erkennen, wie Bume und Bsche unter seiner Berhrung
zersplitterten.
Einen Augenblick taten mir die Schtzen am Boden leid. Die Gestalt in der
Merlin mute eine 7,62-mm-Minikanone, wahrscheinlich ein GE M134, sein,
eine Waffe nach Art der Gatling-Kanone mit einer Feuergeschwindigkeit von ein
paar tausend Schu pro Minute. blicherweise war jede sechste oder achte Ku-
gel ein Leuchtspurgescho. Und selbst dieser geringe Anteil reichte aus, um den
Kugelhagel wie einen durchgngigen Lichtstreifen aussehen zu lassen.
Ich konnte ein paar Mndungsblitze erkennen, als die Bodenschtzen zurck-
schssen, aber nicht viele. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, legt
sich mit einer Minikanone an.
Alles bebte, als die Merlin hart aufsetzte. Der Kameramann nahm rasch die
andere Seite des Flugzeugs ins Visier und zeichnete gerade noch auf, wie ein
Trupp von vier bewaffneten und gepanzerten Gestalten aus der anderen Tr in
die Dunkelheit sprang. Der Kameramann wollte ihnen folgen, doch eine andere
klobige Gestalt erhob sich und versperrte ihm den Weg. Die Kamera schwenkte
wieder zur Backbordtr.
Der Mann an der Minikanone hatte sein Dauerfeuer eingestellt und nahm jetzt
ausgewhlte Ziele unter Beschu. Die Mndungsblitze waren hell genug, um die
Videokamera wirksam zu blenden, was es unmglich machte, die Ziele wahr-
zunehmen. Der Kanonier mute mit einem Blitzkompensator ausgerstet sein,
sonst wre er selbst geblendet worden. Ich konnte kein Gegenfeuer ausmachen.
Entweder waren die Schtzen alle tot, oder sie hatten sich in sichere Gefilde
abgesetzt.
Es ruckte erneut, und die Merlin war wieder in der Luft. Versptet schwenkte
der Kameramann zur anderen Seite. Die bewaffnete Gruppe war wieder an Bord
und mit ihnen ein in ballistisches Tuch gehlltes Bndel, das menschliche For-
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men aufwies. Die Kamera zoomte nher heran, und das bekannte Gesicht von
Daniel Waters fllte den Schirm aus. Sein kurzes graues Haar war blutverklebt,
und seine Haut sah wie altes Pergament aus.
Das Bild erstarrte und schrumpfte dann wieder zu einem Videofenster hinter
der drallen Blonden zusammen. Ein weiteres erfolgreiches Rettungsunterneh-
men von Crashcart, gurrte sie, und ein weiterer Exklusivbericht von KONG.
Ihr Multimegawatt-Lcheln verblate, um von einem Ausdruck der Besorgnis
abgelst zu werden, der ungefhr so echt war wie ihr Dekollete. Viel Glck fr
dich, Daniel, sagte sie mit einem leichten Stocken in der Stimme. Du weit,
wir alle drcken dir die Daumen. Von wegen.
Das Telekom klingelte und meldete einen Anruf, was mir einen Vorwand gab,
das Trid abzustellen. Ich hieb auf die entsprechenden Tasten, und die Blondine
verschwand, um durch Naomi Takahashis Gesicht ersetzt zu werden. Dem ver-
schwommenen Hintergrund nach fhrte sie das Gesprch von einem ffentlichen
Straenkom. Ein blitzendes Icon in der oberen linken Schirmecke besttigte, da
sie den Geruschdmpfer heruntergezogen hatte. Ich nahm an, da sie auerdem
die Bildschirmpolarisation eingeschaltet hatte, so da nur sie sehen konnte, was
darauf war. Als ich sah, da sie angemessene Vorsichtsmanahmen getroffen hat-
te, drckte ich auf die Taste, die meine Videokamera anstellte.
Naomi lchelte, als mein Gesicht auf ihrem Schirm erschien, aber es war ein
besorgtes Lcheln. Also wute sie, was los war, zumindest einen Teil. Ihre er-
sten Worte besttigten meine Vermutung. Du scheinst mitten in einem hbschen
Komplott zu stecken, Chummer. Hast du irgendwelche neuen Feinde, von denen
ich noch nichts gehrt habe?
Ich kicherte. Nur ein Rotkopf mit ner Kanone. Nichts Ungewhnliches.
Mein Lcheln verblate. Zum Geschft. Erzhl mir was ber Lolita Yzerman.
Was sagt der Star dazu?
Naomi wurde augenblicklich sachlich. Nicht viel. Sie halten den Deckel
drauf. Kurtz bearbeitet die Sache.
Das waren schlechte Neuigkeiten. Mark Kurtz. Ich erinnerte mich an diesen
elenden Wichser noch aus den Tagen meiner Ausbildung, und ich war sicher, da
er sich auch noch an mich erinnerte. Kurtz war einer der Hauptgrnde gewesen,
warum ich ausgestiegen war, und ich hatte dafr gesorgt, da er es wute. Der
Mann war absolut rcksichtslos und so hartnckig wie ein Pitbullterrier. Wenn er
einmal eine Witterung aufgenommen hatte, konnte ihn nichts am wenigsten die
Fakten davon ablenken.
Ich vermute, ich bin der Hauptverdchtige, richtig? fragte ich.
Chummer, du bist der einzige Verdchtige.
Das mute ich erst mal einen Moment verdauen. Dann fragte ich: Willst du
mich nicht fragen, ob ich es getan habe?
Sie wrdigte mich darauf keiner Antwort. Ich nehme an, du bist nicht zu Hau-
se.
Du nimmst richtig an. Kurtz war also auf den Fall angesetzt, und sie hatten
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den Deckel ganz fest zugeschraubt. Tja, vielen Dank, Naomi. Ich wei, du ris-
kierst deinen Hals.
Kein Problem, erwiderte sie grinsend. Dann kann ich also davon ausgehen,
da du dir den Bericht nicht ansehen willst? Sie wedelte mit einem Chip vor der
Videokamera herum.
Ich glotzte ihn einen Augenblick sprachlos an und grinste dann. Freunde wie
Naomi findet man nicht sehr oft. Vielleicht einmal im Leben, wenn man Glck
hat. Ich machte mir einen Augenblick Gedanken ber das Risiko, das sie einge-
gangen war, und schob dann alle Gewissensbisse beiseite. Zum einen lie es sich
nicht mehr rckgngig machen. Und zum anderen glaube ich, Naomi wei mehr
ber Lone Stars Archivcomputer als der Hersteller.
Willst du ihn nun, oder was? neckte sie mich.
Ich lachte. Rein damit und ab, Lady. Der Star bezahlt dich nicht fr stunden-
lange Abwesenheit whrend der Dienststunden.
Worauf du dich verlassen kannst, pflichtete sie mir bei. Achtung, es geht
los. Whrend ihr Videobild den Chip in die Konsole des Telekoms einlegte,
wies ich mein Gert an, eine Datei zu ffnen, um die Daten in Empfang zu neh-
men. Das Gert piepte und summte ein paar Sekunden, in denen es das ber-
mittelte speicherte, frhlich vor sich hin und blinkte dann zum Zeichen der
Beendigung des Vorgangs. Ich tippte eine Verifizier-Routine ein, und Telekom
und Chip konferierten ber die Frage, ob das Erhaltene mit dem Abgeschickten
bereinstimmte. Ein oder zwei Sekunden spter blinkte eine Schriftliste mit der
Besttigung auf.
Ich hab alles, Chummer, sagte ich. Arigato gazai-mashta. Ich bin dir was
schuldig.
Sie winkte ab. Halt den Kopf unten, Dirk, sagte sie mit ernster Miene. Wie
ich Kurtz kenne, wird er diese Geschichte als Mglichkeit betrachten, mit dir ein
fr allemal ins reine zu kommen. Erst geeken, dann den Leichen die Fingerab-
drcke abnehmen, du weit, was ich meine? Ich nickte. Und dann ist da noch
der Bursche, dem du es berhaupt zu verdanken hast, da du in dieser Klemme
steckst, fuhr sie fort. Hast du irgendeine Idee, wer es sein knnte?
Vielleicht nach Durchsicht des Berichts. Im Augenblick nicht.
Tja, nun ... Sie sah jetzt wieder besorgt aus, also beglckte ich sie mit mei-
nem besten zuversichtlichen Ganovenlcheln. Mir kam es nicht besonders ber-
zeugend vor, aber Naomi schien es mir abzukaufen. Ihre Stirn glttete sich, und
ihre Augen funkelten wieder. Okay, ich mach Schlu. Wir bleiben in Verbin-
dung, omae. Neh?
Worauf du dich verlassen kannst, versprach ich. Kopf unten. Ich schenkte
ihr noch ein Rebellenlcheln und unterbrach die Verbindung. Sobald ihr Bild
verschwunden war, geschah dasselbe mit meinem Lcheln. Das lag nicht daran,
da mir Naomi, abgesehen von dem Teil ber Kurtz, nichts erzhlt hatte, was
ich nicht schon wute, sondern unser Gesprch hatte mir endgltig die Realitt
dessen, was vorging, vor Augen gefhrt. X, wer er/sie/es auch war, hatte bereits
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einmal versucht, mich aus dem Weg zu rumen. Warum nicht ein zweites Mal?
Und Kurtz wrde ihm frohen Herzens helfen und dann meine Leiche verhaften.
Ach, seis drum, ein weiterer Tag in den Schatten.
Ich zog meinen Stuhl nher an den Telekomschirm und rief die Datei auf, die
Naomi mir berspielt hatte. Ich erkannte die bliche Titelzeile einer Lone Star-
Akte und grinste. Naomi mochte keine halben Sachen. Anstatt nur ein paar Bro-
samen mitgehen zu lassen, hatte sie die ganze verdammte Akte genommen. Ich
lie die Zeilen ber den Bildschirm wandern und begann zu lesen.
Und sah sofort, da Naomi recht hatte. Ich steckte mitten in einem hbschen
Komplott.
Der erste Teil des Berichts befate sich mit der Untersuchung des Tatorts und
gab im wesentlichen das wieder, was Jocasta bereits erzhlt hatte. Lolita war auf
dem Rcken liegend direkt hinter der Tr ihres Luxusapartments im achtund
vierzigsten Stock mit einem hlichen Loch in der Stirn gefunden worden. Das
Loch sei sternfrmig, besagte der Report, was auf eine Kontaktwunde hindeute:
Der Pistolenlauf habe sie berhrt, als der Schu abgegeben worden sei, und die
expandierenden Gase htten ihre zarte Gesichtshaut zerfetzt. Die Tr sei unver-
schlossen gewesen, ohne jegliches Anzeichen fr ein gewaltsames Eindringen.
Auch gebe es keinen Hinweis darauf, da die Leiche bewegt worden sei. Die
Rekonstruktion des Tathergangs gestaltete sich demzufolge recht simpel. Jemand
war an die Tr gekommen, jemand, den Lolly gekannt und dem sie ausreichend
vertraut hatte, um ihm die Tr zu ffnen. Der Mrder war hereingekommen,
hatte Lolly eine Kanone vors Gesicht gehalten und ihr das Hirn zu ihrem hb-
schen blonden Hinterkopf hinausgepustet. Als Todeszeit nannte der Bericht die
Zeitspanne zwischen 20.00 und 20.20 Uhr am 17. November.
Ich hielt mit dem Lesen inne und lehnte mich zurck. Die Sprache des Reports
war faktisch, auf klinische Weise emotionslos, was es dem Leser leicht mach-
te, so zu tun, als sei alles eine intellektuelle bung. Und genau das wird damit
bezweckt. Aber dann und wann quetschte sich die hliche Realitt durch die
Tatsachen. Ein junges vielversprechendes Leben war ausgelscht worden. Das
unersetzliche Individuum namens Lolita Yzerman existierte jetzt nur noch in den
Erinnerungen derer, die sich was aus ihr gemacht hatten.
Ich rieb mir die Augen, die durch das angestrengte Bildschirmstarren ein wenig
trnten, und setzte dann die Scrollautomatik wieder in Gang.
Die Detektive von Lone Star hatten all den blichen Kram unternommen: Das
Anrufverzeichnis von Lollys Telekom berprft, die Videoaufzeichnung der
Kamera in der Lobby ihres Apartmenthauses durchgesehen und ihr Geldinstitut
dazu gebracht, ihre Finanzsituation offenzulegen. Einige Schlsselstellen fielen
mir ins Auge.
Laut Anrufverzeichnis hatte Lolly am Samstag, dem 16. November, kurz vor
Mitternacht ein Gesprch mit meiner LTG-Nummer gefhrt. Das Gesprch war
nicht gespeichert worden, aber ich wute, da es sich dabei um die Nachricht
handelte, die sie mir hinterlassen hatte und in der sie mich um Hilfe bat. Das Ver-
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zeichnis erwhnte zwar meinen Namen nicht, aber niemand ist besser als Lone
Star, wenn es darum geht, eine LTG-Nummer zu ihrem Besitzer zurckzuverfol-
gen. Das war der erste Strang, der mich mit Lollys Tod in Verbindung brachte.
Dann die Aufzeichnung der berwachungskamera. Am Sonntag dem 17. um
20.11 hatte eine Gestalt in einem langen Duster und mit tief ins Gesicht gezo-
genem Hut die Lobby betreten und den Fahrstuhl zum achtundvierzigsten Stock
genommen. Um 20.14 Uhr war die Gestalt wieder aufgetaucht und hatte das
Gebude verlassen. Das war gerade genug Zeit, mit dem Hochgeschwindigkeits-
aufzug raufzufahren, an Lollys Tr zu klingeln, das Blondchen zu geeken und
wieder nach unten zu fahren. Aber da war noch mehr. Als die Gestalt die Haustr
ffnete, hatte eine Windb den Hutrand so weit verschoben, da die Kamera zu-
mindest einen Teil ihres Gesichts erfat hatte. Ich starrte ein paar Minuten lang
auf das Standbild der Videoaufzeichnung. Entweder hatte ich einen Zwillings
bruder einen mrderischen Zwillingsbruder oder X, der Mrder, war magisch
aktiv. Das von der Videokamera festgehaltene Gesicht war meines. Der zweite
Strang!
Schlielich Lollys Bankeintrge. Ihr Finanzgebaren war, gelinde gesagt, chao-
tisch. Sie verdiente viel Geld und gab viel aus, schien das Konzept der minimalen
Kontendeckung nicht zu begreifen. Aber es gab ein Schema, und der Star hatte es
rasch herausgefunden. In den letzten neun Monaten hatte sie zwlf sporadische
Einzahlungen gemacht, jede ber genau 10 000 Nuyen und alle aus derselben
Quelle. Und diese Quelle war ...? Dreimal drfen Sie raten, und die ersten beiden
zhlen nicht. Das war der dritte Strang, der sich mit den anderen beiden zu einem
Strick verflocht. Und der Strick bildete eine Schlinge.
Ein sehr hbsches Komplott.
Okay, ich wute, da ich unschuldig war; und ich wute auch, wie es gemacht
worden war. Illusionsmagie kann Kameras zum Narren halten, was mein Gesicht
auf dem berwachungsvideo erklrte. Bankcomputersysteme sind ziemlich si-
cher, aber ein paar von den Deckern, die sich in der Matrix tummeln, konnten
mhelos einen berweisungsbeleg trken, insbesondere, wenn niemand mehr
da war, der die Summen abheben konnte, die ich angeblich berwiesen hatte.
Und der Anruf? Tja, der war echt und lediglich ein Bonus fr X. Wie es aussah,
hatte Lolly mich angerufen, um die Schraube fr weitere 10K Nuyen anzuzie-
hen. Meine Antwort hatte darin bestanden, kurz bei ihr reinzuschauen und ihre
Schdelarchitektur dauerhaft zu verndern.
Klar, ich konnte mir das alles zusammenreimen. Aber meine Schlufolgerun-
gen beruhten auf der Tatsache, da ich wute, ich hatte Lolly nicht umgelegt.
Ohne diese Schlsselinformation? Lone Star wrde mit allem hinter mir her sein,
was sie hatten.
Zeit fr ein wenig Logik. Wie konnten sie mich aufspren? Zuerst die offen-
sichtlichen Mglichkeiten. Wie meine LTG-Nummer. Theoretisch ist es eine
simple Aufgabe fr einen brandheien Decker oder fr die Telekomgesellschaft
selbst eine LTG-Nummer mit dem Standort des Gerts zu verbinden. (Ich rede
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hier von stationren Telekoms, nicht von transportablen Gerten.) Darauf auf-
bauend, htte Lone Star bereits in meiner Bude in Auburn stehen mssen.
Glcklicherweise ist es nicht so simpel. Buddy, der Decker-Wohltterin, die
mich mit dem netten kleinen Utilityprogramm fr mein Telekom versorgt hat,
ist es auch gelungen, das Standortproblem zu lsen. Soweit es die Selbstdiagno-
se- und Suchroutinen des rtlichen Telekommunikationsnetzes betrifft, existiert
meine LTG-Nummer nicht mehr. Sie hat existiert, wurde aber ein paar Stunden
vor dem Versuch des Aufsprens gelscht egal wann der Versuch gestartet
wird. Was die fr das Zustandekommen der Verbindungen zustndigen Routi-
nen betrifft, ist die Nummer problemlos erreichbar. Erste Sahne, was? Und ich
mu nicht mal eine Telekomrechnung bezahlen. (Okay, okay, ich wei, das hrt
sich alles ein wenig verworren an. Aber bedenken Sie, in wie viele unabhngige
Abteilungen groe Computersysteme aufgeteilt sind. Und wie viele Operatoren
und sogar Konzerndecker den Diagnoseroutinen trauen. Ach ja, die Wunder
unseres digitalen Zeitalters ...)
Wie sonst konnte mir der Star auf die Spur kommen? Durch die SIN vielleicht?
Aber ich habe keine. Fhrerschein, Bankkonten, medizinische Unterlagen? Ent-
weder besitze ich so etwas nicht, oder sie laufen unter SINs, die mir nicht geh-
ren.
Die Schlufolgerung? Es ist schwer, einen Schatten aufzuspren. Lone Star
wrde sich auf Techniken besinnen mssen, wie sie von den Cops im letzten
Jahrhundert angewandt wurden.
Ah, aber was ist mit der Magie? Tja, wenn ich Lolly tatschlich kaltgemacht
htte, wre ich vielleicht ein wenig ins Schwitzen geraten. Ein guter Magier
oder Schamane konnte mich theoretisch ber einen am Tatort zurckgelassenen
frischen Blutstropfen, abgebrochenen Fingernagel, vielleicht sogar einen abge-
schlten Hautfetzen aufspren. Aber da ich es nicht getan hatte, wrde sie jede
derartige Spur zu jemand anderem nmlich X fhren.
Natrlich konnte es durchaus sein, da der Star glaubte, er htte mich am Wic-
kel. Jeder, der dem Ausbildungsprogramm Lone Stars beitritt, ist gezwungen,
Blut- und Gewebeproben abzugeben, die der Personalakte beigefgt werden. In
der offiziellen Begrndung dafr heit es, die Proben wrden genommen, um
Probleme mit Abstoung oder Inkompatibilitt von Krperteilen zu vermeiden,
falls sie einen nach einer Dienstverletzung wieder zusammenflicken mssen. Ich
habe den hlichen Verdacht, die Proben dienen in Wirklichkeit dazu, da Lone
Stars Magier jemanden auf astralem Weg aufspren knnen, wenn der Betreffen-
de sich entschliet, von dem Verein abzuspringen. Das ist auch der Grund, wa-
rum mein erster Shadowrun, der stattfand, noch bevor ich meinen inoffiziellen
Abschied nahm, meinen Blut- und Gewebeproben galt, die ich durch etwas er-
setzte, das mich nicht in Schwierigkeiten bringen konnte. Wenn jene mutmali-
chen Magier mich anhand jener Proben aufspren wollten, wrden sie bei einem
rudigen Hinterhofkater in Redmond landen, vorausgesetzt, kein Penner hatte
ihn in der Zwischenzeit verspeist.
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Ich entspannte mich ein wenig. Soweit ich es beurteilen konnte, war ich so
sicher wie eh und je. Lone Star hatte mich in den Jahren seit meinem Abschied
nicht aufgesprt, und ich glaubte nicht, da sich daran jetzt etwas ndern wrde.
Doch was ist mit Jocasta? dachte ich mit einem Ruck. Derjenige, der ihr die
Bombe ins Apartment gepflanzt hatte, mochte durchaus im Besitz von irgend-
was sein, das es ihm gestattete, sie magisch zu verfolgen. Rituelle Magie kann
noch gemeiner sein als C6 Plastiksprengstoff. Andererseits, wenn Jocasta es sich
im Beaux Arts Village gemtlich gemacht hatte, war sie wahrscheinlich okay.
Die meisten Enklaven dieser Art sind durch hermetische Zirkel, Elementargei-
ster, sogar durch parabiologische Zwitterwesen wie Piasmen oder Hllenhunde
geschtzt die den Astralraum mit ebensolcher Leichtigkeit berwachen knnen
wie die irdische Welt. Das sollte eigentlich reichen, um Jocastas wohlgeformten
Arsch zu retten.
Okay, ich hatte also etwas Luft zum Atmen. Was ganz gut war. Mein Kopf
schmerzte von der Kombination aus zu wenig tiefem Schlaf und zuviel tiefem
Nachdenken. Um mich geistig von Lolly und Lone Star abzulenken, rief ich das
Ergebnis der Suchroutine auf, die ich in Gang gesetzt hatte, um Hinweise auf Juli
Long zu finden.
Zu meiner berraschung hatte ich einen Volltreffer gelandet. Ich lie den ge-
samten Text auf dem Bildschirm erscheinen und berflog ihn rasch.
Dann nahm ich das Bild aus meiner Brieftasche und betrachtete es ein letztes-
mal. Das war keine gute Woche fr junge Blondinen. Die Tatsache, da ich es
vorausgesehen hatte, machte es auch nicht besser.
Juli Long war am Pier 23 im Wasser treibend aufgefunden worden. Tot, natr-
lich.
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Bent folgte ebenfalls den Fustapfen seines Vaters, doch mit dem Unterschied,
da es ihm gefiel. Sein Dad war ein brandheier orthopdischer Chirurg, und
Bent ging zur medizinischen Hochschule, als sei er dafr geboren. Als es fr
ihn an der Zeit war, sich zu spezialisieren, entschied er, die Orthopdie sei nicht
sein Hauptinteresse, aber das stie bei Sigurdsen Senior auf keinen Widerstand.
Bent folgte dem pathologischen Zweig, und als er graduierte magna cum laude
, zog sein alter Herr an den Strippen, so da er von City Health in den fr den
Sprawl Seattle zustndigen gerichtsmedizinischen Stab berufen wurde. (Genau,
ein Gerichtsmediziner, der Bursche, der Tote auseinandernimmt, um herauszu-
finden, wem oder was sie ihren Zustand zu verdanken haben. Ich schtze, Bent
bevorzugt Patienten, die nicht maulen und ihn mit Sicherheit nicht auf Fahrls-
sigkeit oder Kunstfehler verklagen.)
Jedenfalls hielten Bent und ich ber die Jahre den Kontakt aufrecht. Als meine
Eltern umkamen, war er da, um sich hemmungslos mit mir zu besaufen und dann
dafr zu sorgen, da ich mich nicht vor die U-Bahn warf. Und als ich Lone Star
entkommen war, lie er mir sofort ber Naomi Takahashi mitteilen, da er immer
noch mein Freund sei, auch wenn ich neuerdings SINlos war. Danach trafen wir
uns auch weiterhin. Nicht regelmig, nicht oft. Wir kamen vielleicht alle paar
Monate einmal zusammen, um unsere Grohirnrinde mit Alkohol zu maltrtie-
ren. Unsere Freundschaft war eine von denjenigen, bei denen es nicht notwendig
ist, sich oft kurzzuschlieen, bei denen man wei, da der andere auch nach ein
paar Jahren noch fr einen da ist.
Und so hatte ich keine Bedenken, die LTG-Nummer von Bents Labor einzutip-
pen (wobei mich ein weiteres von Buddys tollen Utilityprogrammen abschirmte).
Praktisch sofort erschien Bents pausbckiges Gesicht auf dem Schirm. Ja?
Er starrte stirnrunzelnd auf einen, wie ich wute, leeren Schirm. Bents Bild war
durch den schtzenden berzug aus transparenter Plastikfolie, die aus ebenso
offensichtlichen wie belkeitserregenden Grnden das Labortelekom bedeckte,
ein wenig verschwommen. Als ich ihn sah, schaltete ich meine Videokamera
hinzu.
Sein Stirnrunzeln verschwand augenblicklich und wurde von einem Lcheln
abgelst, das sein Gesicht erhellte und seine blauen Augen funkeln lie. Wenn
Bent Sigurdsen lchelt, sieht er wie die Edamer Katze aus. Man rechnet jeden
Augenblick damit da er unsichtbar wird und nur dieses Lcheln zurcklt.
Hey, Chummer, strahlte er, ist schon lange her. Wie stehn die Aktien?
Ich war versucht, es ihm zu sagen, aber das htte ihm nur die Laune verdorben.
Und es gefiel mir nicht besonders, Bent die Laune zu verderben, wenn es auch
anders ging. Also zuckte ich die Achseln. Ganz gut. Hab ne Menge Kram am
laufen. (Klassisches Understatement.) Und bei dir?
Ich htte nicht fr mglich gehalten, da sein Grinsen noch breiter werden
konnte, aber das tat es. Knnte nicht besser sein.
Mir war klar, da er auf dem besten Weg war, in Fachsimpeleien zu verfallen
zweifellos eine detaillierte Beschreibung, wie sein letzter Kunde im Leichen-
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schauhaus gelandet war , also lie ich diesen Gedankenzug entgleisen, bevor er
richtig auf Touren kommen konnte. Ich hab was Geschftliches, Bent. Hast du
n paar Minuten Zeit?
Klar, sagte er sofort. Fr einen Chummer immer. (Ist es ein Wunder, da
ich Bent so sehr mochte?) Er deutete ber die Schulter, wahrscheinlich auf sei-
nen Arbeitstisch, der gndigerweise nicht im Bild war. Jane Doe hier hat es
nicht eilig. Was kann ich fr dich tun?
Juli Long, sagte ich und skizzierte dann, was ich ber den Abschied der flau-
migen Blonden von der Mhsal des Irdischen wute. Besteht die Mglichkeit,
da du ihre Akte aufrufen und mir eine Kurzfassung des Berichts geben kannst?
Bents Lcheln war whrend meiner Ausfhrungen verschwunden. Jetzt schaute
er traurig in die Videokamera, und es war kaum zu bersehen, da er um jung Juli
trauerte. (Zum hundertstenmal fragte ich mich, wie jemand, der so sensibel auf
menschliche Tragdien reagiert wie Bent, diesen Job verrichten konnte.) Kein
Problem, sagte er. Der Bericht mte abrufbereit sein. Long, Juli ... richtig?
Ich nickte, und schon attackierte er die Tastatur des Telekoms mit der Begeiste-
rung eines Teenie-Deckers. Fr einen Moment dachte ich, ich wrde bis auf den
Anblick seines Gesichts bei der Arbeit nichts mitbekommen, aber dann erinnerte
er sich lange genug an meine Existenz, um mein Display mit seinem zu kop-
peln. Das Videobild schrumpfte auf ein Viertel zusammen und wurde zu einem
Fenster in der oberen Schirmecke, whrend der Rest des Displays enthllte, was
sich auf seinem Monitor zeigte. Ich sah zu, wie er die Such-Syntax eingab, und
war angenehm berrascht, wie schnell zwei digitalisierte Bilder von Juli Long
nebeneinander auf dem Schirm aufblitzten. Eines war das gleiche Bild, das ich
in meiner Brieftasche hatte: Juli warf ein teuflisches Grinsen in die Kamera. Das
andere Bild zeigte ein identisches Gesicht, aber vollkommen unbewegt. Wre
nicht die bluliche Zyanose-Verfrbung ihrer Lippen gewesen, htte ich mich
vielleicht berzeugen lassen, da sie nur schlief. Der Rest des Schirms war mit
Text gefllt, aber Bent blendete ihn rasch aus meinem Display aus. Vertrau-
lich, erklrte er mit einem entschuldigenden Unterton. Ich sage dir, wenn sich
was Interessantes findet. Ich unterdrckte ein Grinsen. Bents Fhigkeit zu ka-
tegorisieren erstaunte mich immer wieder, aber natrlich war jetzt nicht die Zeit,
den Witz mit ihm zu teilen.
Seine kornblumenblauen Augen huschten hin und her, whrend er den Text
berflog. Es dauerte vielleicht eine Minute, und es fiel mir schwer, den Mund zu
halten und nicht zu versuchen, ihn zur Eile anzutreiben, besonders, als ich sah,
wie er vor berraschung die Augenbrauen hob und die Lippen spitzte. Schlie-
lich war er durch. Und? soufflierte ich.
Interessanter Fall, uerte er sich zgernd. Ich wnschte, sie wrde ber
meinen Tisch laufen. Dann sah er mich schuldbewut an. Ich glaubte nicht, da
das Mikro meines Telekoms empfindlich genug war, um das Knirschen meiner
Zhne zu bermitteln, aber vielleicht irrte ich mich auch. Herzversagen, stellte
er fest. Anscheinend durch den Chip hervorgerufen, den sie gerade benutzte.
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Nun war es an mir, die Augenbrauen zu heben und die Lippen zu spitzen. Seit
wann ist SimSinn gut genug, Menschen umzubringen?
Er schttelte den Kopf. Dahinter steckt noch mehr.
Ich wartete, bis mir klar wurde, da er ohne Ansporn nicht fortfahren wrde.
Und?
Bent sah aus, als fhle er sich unbehaglich, und ich wute, ich strapazierte die
Grenzen dessen, was er leichten Herzens tat. Freundschaft ist ne groe Sache
fr Bent, aber er hat ein ganz eigenes, irgendwie gewundenes Gefhl fr Ethik.
Ich beobachtete, wie Freundschaft und Prinzipien miteinander rangen, und war
erleichtert, als die Freundschaft gewann. Hier ist noch ein Verweis auf eine
andere Datei, verriet er mir. Klassifizierung L-S-S.
Was bedeutet? fragte ich, obwohl ich es mir denken konnte.
Lone Star Sicherung, besttigte Bent. Lone Star hat die Zusatzdatei aus
irgendeinem Grund mit einem Sicherheitssiegel belegt.
Kommst du daran vorbei?
Einen Augenblick sah er fast beleidigt aus, dann kehrte sein Lcheln zurck.
Natrlich. Die Frage ist ...
Wirst du es tun? beendete ich den Satz. Knnte ziemlich interessant sein,
Chummer. Etwas, das selbst du noch nie gesehen hast. SimSinn, bei dem man
stirbt ...
Wie ich erwartet hatte, schluckte er den Kder. Ja, sann er, ja, knnte inter-
essant sein. Dann sah er auf, und unsere Blicke trafen sich. Tief in jenen strah-
lenden blauen Augen war ein Glanz, der mir verriet, da er ganz genau wute,
was ich tat, aber es war ihm egal. Deine LTG-Nummer ist noch dieselbe? Ich
nickte. Dann rufe ich dich zurck. Keine Bange, Chummer. Und damit unter-
brach er die Verbindung.
Ich lehnte mich mit hinter dem Kopf verschrnkten Hnden zurck. Wenn Bent
Sigurdsen sagte, er werde mich zurckrufen, dann tat er das auch. Das war auch
ganz gut so. Der Star versiegelt die Akte einer Leiche nicht, wenn es sich nicht
um etwas wirklich Ungewhnliches handelt. Ich erwog kurz, mich ans Telekom
zu hngen und meinen Mr. Johnson aus dem Osten mit einem Lagebericht zu
versorgen, aber dann lie ich den Gedanken fallen. Er konnte warten, bis ich
die Antwort auf ein paar andere Fragen gefunden hatte. Juli Long ging ganz be-
stimmt nirgendwo mehr hin.
Der nchste Tag brach kalt und grau an. Kein Regen, aber die Wolken waren
wie schmutziges Blei, und in der Luft hing eine frostige Feuchtigkeit, von der
ich Kopfschmerzen bekam. (Vielleicht lag es auch an der halben Flasche Ersatz-
Scotch, die ich getrunken hatte, um die Trume zu verjagen.)
Lolita Yzerman war ganz nah bei mir gewesen, als ich letzte Nacht einzuschla-
fen versucht hatte. Klein Lollys Gedenkgottesdienst war fr heute, Donnerstag,
den 21. November angesetzt. Aber ich hatte einen ganzen Kbel verdammt guter
Grnde, nicht hinzugehen. Erst als ich Mittwoch nachts ins Bett kletterte und
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dann meinen Verstand nicht abschalten konnte, wurde mir klar, wie sehr mich
Lollys Tod mitnahm.
Ich versuchte es ber eine Stunde, aber mein Verstand wollte einfach nicht mit-
machen. Schlafen? Nichts zu machen, Stmper. Immer, wenn sich jenes warme
Gefhl des Schwebens einzustellen schien, fegte mir irgendein Bild von Lolly
durchs Hirn ein Lcheln, eine Redewendung oder etwas Intimeres , und dann
war ich wieder wach und wurde immer kribbliger. Die schlimmsten Momente
waren die, wenn ich den schattenhaften Fremden mit meinem Gesicht die Kano-
ne heben und sie gegen Lollys Stirn pressen sah ...
Ich ertrug es ungefhr neunzig Minuten, bis ich einlenkte und nach der Flasche
Synthahol griff. Nur der schaffte es schlielich, Lolly und alles andere aus mei-
nem Hirn zu verjagen, so da ich endlich einschlief.
Heute morgen mute ich natrlich dafr ben. Hinter meiner linken Augen-
braue hatte sich ein dumpfer Kopfschmerz huslich niedergelassen und schien
wenig geneigt, wieder auszuziehen. Ich akzeptierte den Schmerz als Teil meiner
Bue dafr, da ich Lollys Begrbnis versumte. Als weitere Bue beschlo ich,
etwas zu tun, was mir sehr unangenehm war und ich deshalb vor mir hergescho-
ben hatte. Ich mute mich mit Buddy treffen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Buddy, die Deckerin, ist eine gute Freundin
von mir. Ich respektiere sie, vertraue ihr, mag sie sogar. Aber nicht von Angesicht
zu Angesicht, und besonders nicht, wenn ich unter dem Wetter leide.
Jeder hat eine Vergangenheit, aber Buddys ist interessanter als die der meisten.
Nach meinen Erfahrungen fangen die meisten brandheien Decker als typisch
langweilige Computerfreaks an. Oft hngen sie sich ins Decken einfach deshalb
rein, weil sie mit Maschinen besser zurechtkommen als mit Menschen. Doch
Buddy ist von der anderen Seite zum Decken gekommen. Sie war ursprng-
lich mit neurobiologischen Forschungen an der Uni beschftigt, wo ihr ein paar
bedeutende Durchbrche auf dem Gebiet der berwachung gelangen. Wie alle
Wissenschaftler mute sie sich mit Computern vertraut machen und entwickel-
te mit der Zeit ein besonderes Interesse an den verschiedenen Techniken, das
menschliche Hirn mit der Elektronik zu koppeln. Der logische nchste Schritt fr
sie war, auf diesem Gebiet Forschung zu betreiben.
Das liegt alles eine ganze Weile zurck, es mu so um 2027 gewesen sein,
bevor aus dem Decken das wurde, was es heute ist. Buddy war auf dem letzten
Stand und hatte auerdem noch einen Hintergrund, der sie von anderen Wissen-
schaftlern im Computerbereich unterschied: Sie kannte sich nicht nur mit Hard-
ware und Software aus, sie wute auch eine Menge ber die Wetware das
Hirn.
Als whrend des Crashs von 29 die Axt fiel, blieben der Regierung ihre Qua-
litten nicht verborgen. Buddy war eine der ersten Personen, die fr das ver-
besserte Echo Mirage-Programm rekrutiert wurden, und wurde spter Mitglied
jenes Kaders, der den Hauptangriff gegen das Computervirus fhrte, welches die
Datennetze der Welt lobotomisierte. Alle Angehrigen von Echo Mirage waren
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Freiwillige, und Buddy htte sich das um nichts auf der Welt entgehen lassen.
Doch sie zahlte einen hohen Preis fr diese Erfahrung.
Die Cyberdecks, die das Echo Mirage-Team benutzte, waren im Vergleich zu
den Spielzeugen, die man heutzutage in jedem Radio Shack mitnehmen kann,
barbarisch. Die Software war noch schlimmer. Nach allem, was ich davon ver-
stehe was herzlich wenig ist , wimmelten die Personaprogramme von Bugs
und strzten ebensooft ab, wie sie funktionierten. Und ohne Personaprogramm
zur Abschirmung ist es die nackte Psyche des Deckers, die sich der fremdartigen
Welt der Computermatrix stellt. Die meisten Leute wissen, da vier Mitglieder
des Echo Mirage-Teams starben, whrend andere mit zerrttetem Verstand oder
in einem Zustand leeren Dahinvegetierens daraus hervorgingen. Buddy berleb-
te und blieb sogar funktionstchtig, aber sie blieb nicht ganz unversehrt.
Vielleicht hatte sie schon immer eine Tendenz in diese Richtung gehabt, viel-
leicht war es ausschlielich das Ergebnis ihrer Erfahrungen. Wie auch immer, sie
kam aus dem Echo Mirage-Programm mit etwas heraus, das die Seelenklempner
eine Bipolare Strung nennen. Auf gut Deutsch bedeutet das, sie ist manisch-
depressiv, doch mit einer Besonderheit: Auf dem Hhepunkt ihres Zyklus ist sie
ungefhr so down wie ich an einem schlechten Tag. Auf dem Tiefpunkt ist sie
durch und durch paranoid. Offensichtlich hat sie das nicht davon abgehalten, im
Laufe der Jahre ein paar bedeutende Kontrakte an Land zu ziehen. Ich vermute,
den Konzernen ist es im Grunde vllig egal, wie kaputt ein Decker ist, solange
er seine Leistung bringt. (Auerdem ist Paranoia nicht der schlechteste Daseins
zustand im Sprawl.)
Die persnliche Bedeutung von all dem fr mich war, da ich nie wute, in
welcher Phase des Zyklus sich Buddy augenblicklich befand. Anrufen half
nicht: Sie ging niemals ans Telekom. Man hinterlie einfach eine Nachricht und
hoffte das Beste.
Und genau das tat ich. Ich tippte ihre Nummer ein, wartete die Aufforderung
zum Sprechen ihres Anrufbeantworters ab sehr informative fnf Sekunden Stil-
le, gefolgt von einem Piepton , und teilte ihr mit, da ich vorbeikommen wrde.
Da weitere Vorkehrungen unmglich waren, sprang ich in meinen Wagen und
fuhr nach Sden auf die 405. Ich stellte den Verkehrsfunk, falls irgendwas los
war, von dem ich wissen sollte.
Und stie zum erstenmal in meinem Leben auf Gold. Wie es schien, hatte sich
irgend etwas Groes und mit Tentakeln bewehrtes aus dem Lake Washington auf
die Fahrbahn der Route 520-Brcke geschleimt, die Bellevue mit der Innenstadt
verbindet. Nachdem es ein paar Fahrzeuge verspeist hatte, war das Ding zurck
ins Wasser geschleimt. Der Sprecher empfahl allen Autofahrern, eine alternative
Route zu whlen. Ohne Drek. Ah, die Wunder der Erwachten Welt.
Natrlich nahm ich mir die Empfehlung zu Herzen. Meine alternative Route
fhrte mich ber die 405, bis sie nach Westen abbog, dann den Ambaum Boule-
vard entlang und nach White Center. Buddy hatte eine Wohnung in der Roxbury
Street. Es war eine ziemlich gerumige Bude fast unterm Dach des hchsten Ge-
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budes in dem Stadtteil. Da die Fenster des Apartments nach Westen rausgingen,
hatte sie einen groartigen Ausblick auf den Pugetsund und Vashon Island.
Die Aussicht bedeutete Buddy jedoch nichts, sondern erinnerte sie nur dar-
an, wie endlos und bedrohlich die Auenwelt war. Ein paar Tage nach ihrem
Einzug hatte sie die groen, wunderschnen Fenster mit Folien aus verstrktem
Bauplastik berzogen. Sie hatte auch die Tr, die Wnde, sogar den Fuboden
verstrkt und jeden mglichen Zugang mit Sicherheitseinrichtungen verkabelt.
(Whrend sie all diese Vernderungen vornahm, hatte Buddy mich gebeten, ihr
einen Mechaniker fr Klimaanlagen zu empfehlen, der sich auch mit Starkstrom
auskannte. Ich hatte den offensichtlichen Schlu gezogen und angenommen,
da sie sich von ihm ein paar unangenehme berraschungen fr all diejenigen
einbauen lassen wollte, die versuchten, durch den Entlftungsschacht einzubre-
chen.) Gleichzeitig mbelte sie die Schallisolierung des Apartments auf. Was
auch ganz gut so war, wenn man Buddys andere Besessenheit bercksichtigte.
Diese andere Besessenheit ist Percussion. Ich habe es mir so zusammenge-
reimt, da sie schon immer auf schwere Percussionsmusik mit Unmengen von
Polyrhythmen gestanden hat. Nach ihrer Echo Mirage-Zeit wurde ihr Geschmack
immer abseitiger, bis ihr keine kommerziell erhltliche Musik mehr gefiel. Das
war der Zeitpunkt, als sie sich einen Drumcomputer baute, den sie darauf pro-
grammierte, eigene Polyrhythmen zu schreiben und zu spielen, wobei sie wahn-
sinnig komplexe Gewichtungsalgorithmen benutzte, um die Maschine dazu zu
bringen, bei dem Zeug zu bleiben, das sie angenehm findet. Und das ist die Krux
der ganzen Geschichte. Fr jeden anderen klingt Buddys Musik wie Straen-
arbeiten oder so, als wrde man mit Steinen unter den Radkappen herumfahren.
Um es noch schlimmer zu machen, spielt sie das Zeug so laut, da ich mich
wundere, da der Sea-Tac-Flughafen noch nicht mit seinem Umzug gedroht hat.
(Als belanglose Funote sei hinzugefgt, da ich vor einer Weile dachte, ich
htte herausgefunden, da Buddy ihren Straennamen von Buddy Rich, einem
ziemlich heien Jazzdrummer aus dem vergangenen Jahrhundert, entlehnt hat.
Buddy besttigte meine Spekulation weder, noch stritt sie sie ab, sondern erklrte
nur spttisch, auch wenn Richs Musik nicht erbrmlich simplizistisch gewesen
wre, sei sie sowieso durch die Blser und den ganzen darbergelegten Drek
versaut.)
Das war also der Grund dafr, warum ich einen Besuch bei Buddy als eine Art
Bue betrachtete. Eine paranoide, depressive Trommelschtige war an einem
Donnerstagmorgen gewi keine Gesellschaft nach meinem Geschmack.
Ich parkte auf der Achtundzwanzigsten Avenue Sdwest direkt um die Ecke
von Buddys Wohnung, und versuchte dann vergeblich, mich zwischen den
schweren und wahrscheinlich surehaltigen Regentropfen, die zu fallen be-
gonnen hatten, hindurchzuschlngeln. Ich nannte dem Portier in seiner kugel
sicheren Zelle meinen Namen und war erleichtert, als der Trsummer ertnte
und ich somit hereindurfte. Zumindest war Buddy soweit beieinander, mich auf
die Okay-Liste der Wache zu setzen. Ich nahm den Fahrstuhl zum vierzigsten
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Stock, wo ich ausstieg und nach links den Flur entlangging.
Buddy mute mich mit ihren Sicherheitssystemen berprft haben und zu dem
Schlu gekommen sein, da ich wirklich ich war und keine direkte Bedrohung
darstellte. Mechanische Schlsser, Riegel und Ketten klirrten. Magnetschlsser
klickten. Die Tr ffnete sich einen Spalt. Ich setzte mein bestes beruhigendes
Lcheln auf. Hoi, Buddy, rief ich. Kann ich reinkommen?
Die Tr ffnete sich etwas weiter und entlie einen Lrm, als wrde eine Viel-
zahl epileptischer Drummer Schlge austauschen. Ich versuchte mein Lcheln
aufrechtzuerhalten, bi die Zhne zusammen und betrat das Apartment.
Buddy hatte es so eilig, hinter mir abzuschlieen, da sie mir einen heftigen
Schlag mit der Tr versetzte. Dann machte sie sich daran, das runde Dutzend
Verriegelungen, die sie geffnet hatte, um mich einzulassen, wieder zu versper-
ren. Ihr Vertieftsein gab mir Gelegenheit, sie eingehend zu betrachten.
Sie war eine schmchtige Frau, klein und zartknochig. Ich wute, da sie An-
fang Fnfzig war, aber sie wre auch fr mindestens das Doppelte durchgegan-
gen. Als wir uns zum erstenmal begegnet waren, hatte ich gedacht, sie sehe aus
wie jemand, der auf dem Totenbett liegt, und seitdem war es von mal zu mal
schlimmer geworden. Buddy hatte keinen wie auch immer gearteten Muskel-
tonus, was schlicht und ergreifend daran lag, da sie niemals irgendwas tat, das
auch nur vage krperlicher Natur war. Und sie war nur deshalb kein Fettklo,
weil sie nur dann etwas a, wenn sie sich daran erinnerte ... was selten vorkam.
Die leichenhnliche Blsse ihrer Haut half auch nicht, aber was konnte man
schon von jemandem erwarten, der wahrscheinlich seit Jahren das Haus nicht
verlassen hatte?
Das Zombie-Aussehen wurde durch ihr Kostm vervollstndigt, das aus meh-
reren Metern grauen Stoffs bestand, der wie ein Sari um ihre Gestalt gewickelt
war. Die Aufmachung sah zwar aus wie ein Beerdigungsschleier, aber ich wute,
da der graue Stoff tatschlich ballistisch war. Buddys Paranoia war wieder am
Werk. Ihr graues Haar war brutal kurz geschnitten, und die ganze rechte Seite ih-
res Kopfes war kahl, so da den drei verchromten Datenbuchsen in ihrer Schlfe
nichts in die Quere kommen konnte.
Als sie die letzte Kette vorgelegt hatte, musterte sie mich mit hellen Vogelau-
gen. Dann schenkte sie mir das lngste Lcheln, das ich jemals auf ihrem spitzen
Gesicht gesehen habe: Mindestens eine Millisekunde. Ich atmete auf. Sie mute
dem Hhepunkt ihres Zyklus ziemlich nah sein.
Jetzt, wo diese Sorge ausgerumt war, strmten andere Bedenken zurck, de-
ren grte ein immenses akustisches Unwohlsein war. Hey, Buddy! schrie
ich ber den Hintergrundlrm hinweg. Kannst du die Trommeln vielleicht ne
Winzigkeit leiser stellen?
Sie schnitt ein finsteres Gesicht. Sie sind leise, schnappte sie. Aber dann lie
sie sich erweichen. Aus den Tiefen ihres ballistischen Saris holte sie eine Fernbe-
dienung und drckte auf einen Knopf. Der Lrmpegel der gestrten, spastischen
Percussion fiel von schmerzhaft auf lstig. Ich kannte sie gut genug, um nicht
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noch einmal zu fragen. Weiter wrde sie nicht gehen.
Ich folgte Buddy durch den Korridor ins Wohnzimmer. Wie jede andere hori-
zontale Oberflche war auch der Fuboden mit Massen von Ausdrucken, Chips
in Chipetuis, experimentellen Schalttafeln, die Medusenhupter aus optischen
Fasern ausspien (und hier und da sogar echte und authentische Metalldrhte),
Werkzeugen, Instrumenten und all dem anderen Drek bedeckt, den man in jedem
elektronischen Labor oder Bastlerladen findet. Auf einem Ehrenplatz in der Mitte
des Raumes stand Buddys Baby: ein magefertigtes Fairlight Excalibur Cyber-
deck. Es war von einer verblffenden Phalanx Peripherie-Mlls umgeben, der
auf eine vllig unverstndliche Weise mit dem Deck verdrahtet war. Mit einer
Beweglichkeit, die ihr Aussehen Lgen strafte, lie Buddy sich neben dem Deck
in einem perfekten Lotussitz nieder und starrte mich dann voller Ungeduld an.
Ich sah mich nach einem Platz zum Hinsetzen um, aber Buddy schien immer
noch an ihrer alten berzeugung festzuhalten, da Mbel berflssig waren, da
es doch Fubden gab. Es gab einen kleinen Tisch und einen einzelnen Stuhl,
aber beide waren unter irgendwelchem Schrott begraben. Der Fuboden also.
Bevor ich mich setzen konnte, verzog Buddy das Gesicht, langte zum Stuhl
hinber und fegte alles darauf zu Boden. Ich nickte dankbar und nahm Platz.
Nun? wollte Buddy wissen. Auch eine gutgelaunte Buddy war noch tzend
genug.
Datendiebstahl, antwortete ich schroff. Ich kannte die beste Methode, mit
ihr umzugehen, und hatte mir auf der Fahrt zu ihr einen entsprechenden Plan zu-
rechtgelegt. Avatar Security Technologies. Ich will, da du in ihre Arbeitsauf
zeichnungen hackst ...
Avatar ist Lone Star. Warum gerade die?
Habe ich jemals jemanden namens Lolita Yzerman erwhnt? Buddy scht-
telte den Kopf. Sie war ich zgerte eine Freundin. Jetzt hat sie jemand
gegeekt. Ich will herausfinden, warum.
Sie war bei Avatar? Ich nickte.
Abhrarbeit, verkndete Buddy. Hat wahrscheinlich was gehrt, das nicht
fr ihre Ohren bestimmt war.
Buddy mag ein wenig sonderbar sein, aber sie ist bestimmt nicht auf den Kopf
gefallen. Ein oder zwei Bemerkungen von mir hatten ihr gereicht, um sich in un-
gefhr zwei Sekunden zusammenzureimen, was mich mehrere Minuten geistige
Schwerarbeit gekostet hatte. Du hasts erfat, sagte ich. Ich will herausfin-
den, was nicht fr ihre Ohren bestimmt war. Kannst du das?
Sie schnaubte nur. Natrlich konnte sie das. Paranoid oder nicht, sie hatte das-
selbe aufgeblasene Ego wie jeder andere Decker, der seinen Namen zu Recht
trug.
Und wirst du es tun?
Sie dachte einen Augenblick darber nach eine lange Zeit fr Buddy. Zum
Standardtarif?
Ich dachte an meinen Kontostand und seufzte. Zum Standardtarif.
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Sie warf mir ein weiteres Millisekundenlcheln zu. Ist die Nuyen wert, ver-
kndete sie. Du kommst mit.
Tut mir leid, Buddy, erinnerte ich sie. Keine Datenbuchse, weit du noch?
Sie schnitt wieder eine Grimasse. Immer noch ein Feigling?
Ich lchelte. Immer noch ein Feigling.
Spielt keine Rolle. Ich hab da was speziell fr dich aufgelesen. Ein fest einge-
bautes Trampnetz. Sie zeigte auf den HighTech-Schrott, der sich um das Exca-
libur stapelte. Du kannst mitkommen, Buchse oder nicht.
Ich sah sie schief an, berrascht, da sie sich tatschlich um das Elektrodennetz
bemht haben sollte. Hchstwahrscheinlich war es eine kommerziell erhltliche
Konstruktion, die fr jene gedacht war, die das volle SimSinn-Erlebnis erfahren
wollten, ohne fr ein Datenbuchsen-Implantat berappen zu mssen. Ich hatte ge-
legentlich eins benutzt und wahrscheinlich immer noch eins fr mein altes Atari
Simdeck in der hintersten Ecke irgendeines Schranks vergraben, aber ich hatte
nie daran gedacht, eines dazu zu benutzen, um die Matrix zu besuchen. Immerhin
hrte es sich durchaus vernnftig an. Die internen Systeme eines Cyberdecks
waren wirklich nur SimSinn-Schaltkreise, deren Aufgabe es war, die Quasi-Rea-
litt der Computerdaten in eine multisensorische Symbolform zu bersetzen, die
leicht verstndlich war.
Ich mute zu lange nachgedacht haben vielleicht eine oder zwei Sekunden.
Selbst an ihren besten Tagen whrt Buddys Geduld nicht ewig. Komm schon,
sagte sie. Besuch mal die Matrix.
Und darin lag natrlich eine gewisse Faszination. Wohin man sich auch wen-
det, berall hrt oder liest man etwas ber die virtuelle Realitt namens Matrix.
Aber wenn man keine Datenbuchse in seinem Schdel hat, kann man sie niemals
direkt erfahren, jedenfalls hatte ich das geglaubt. Und wenn das stimmt was alle
behaupten, dann entgeht einem eine so reiche Erfahrung, als sei man blind ge-
boren. (Tatschlich ist der zweitbeste Decker, den ich kenne, blind, und er wre
auer sich vor Freude, wenn er sich niemals auszustpseln brauchte. In der Ma-
trix kann er nmlich sehen.)
Also war die Versuchung recht gro. Aber dasselbe galt auch fr die Angst oder
Feigheit nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich hatte mir nie eine Datenbuchse ein-
bauen lassen, weil mir die Idee, da jemand in meinem Verstand herumpfuschte,
nicht gefiel. Ich war nicht sicher, ob mir die Idee, da dieses Herumpfuschen von
auen in Gestalt elektrischer Strme kam, besser gefiel. Das Hirn ist empfind-
lich. Ein kleiner elektrischer Impuls am falschen Platz, und Dirk Montgomery
verbringt den Rest seines Lebens in dem Glauben, er sei eine Orange.
Hast du das Gert gebaut, Buddy? Ich bemhte mich, meine Stimme mg-
lichst gleichgltig klingen zu lassen.
Buddy schttelte den Kopf. Ich habs von VRI in Cheyenne bekommen. Eines
ihrer neusten. Beta-Testmodell.
VRI und Cheyenne beschwichtigten ein paar von meinen ngsten. Die Firma
ist eine der besten der Welt, und Cheyenne ist die Quelle eines Groteils der
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erhltlichen Spitzentechnologie fr Decker. Aber Beta-Testmodell war nicht
unbedingt vertrauenerweckend. Du sollst es auf Bugs untersuchen? fragte ich.
Keine Bugs, sagte Buddy mit jener Art von Gewiheit, die man gewhnlich
mit Naturgesetzen oder Geboten auf Steintafeln assoziiert. Es ist das Beste,
was es gibt, aber zu teuer, um kommerziell erfolgreich sein zu knnen. Ich zeige
ihnen, wie sie es billiger machen knnen.
Dann ist es also sicher?
Sie schnaubte. Ich habs ausprobiert, sagte sie entschieden. Hat mir nicht
im geringsten geschadet.
Ich betrachtete ihr Totenkopfgesicht, sah, wie die Ungeduld in ihren Augen
Gestalt annahm, und seufzte. Ich wute die Zeichen zu deuten. Wenn ich nicht
mitmachte, wrde sie sich sperren und mir nicht helfen. Die Wahl vor der ich
stand, lie sich leicht in Worte kleiden, aber nur schwer treffen. Sollte ich das
Risiko eingehen, mir von Buddys Trampnetz das Hirn grillen zu lassen, oder
aufstehen und gehen und darauf warten, da mir unser mysterser X eben dieses
Hirn aus dem Schdel pustete? Entscheidungen, Entscheidungen ...
Letzten Endes war es der Gedanke, tatschlich die Matrix zu bereisen, der den
Ausschlag gab, glaube ich. Ich stehe auf neue Erfahrungen. Eines Tages wird
mich das wahrscheinlich umbringen, aber vielleicht nicht heute. Ich seufzte noch
einmal und nickte. Ich bin dabei.
Buddy bedachte mich mit einem weiteren Millisekundenlachen, einem beifl-
ligen. Ich glaube, Buddy mag mich, zumindest so sehr, wie sie berhaupt jeman-
den mgen kann, und sie glaubte offensichtlich, ich htte die richtige Wahl ge-
troffen. Sie beugte sich vor und whlte in dem Haufen Techno-Drek neben ihrem
Excalibur herum. Augenblicke spter zog sie etwas hervor, das wie eine Dornen-
krone mit einem paar Dutzend haardnner, daraus hervorquellender Glasfasern
aussah. Der Apparat wurde durch ein paar Riemen und Bnder einschlielich
eines Kinnriemens vervollstndigt, um ihn auf dem Kopf seines Trgers (Opfers)
in der richtigen Position zu halten. Ja, es war ein Beta-Testmodell. Ihm fehlte die
Ergonomie der gegenwrtig kommerziell erhltlichen Gerte. Buddy hielt das
Netz vorsichtig, fast mit einer Art Verehrung, als sei es die Krone des Knig-
reichs. Sie erhob sich auf die Knie und nherte sich mir in der Absicht, mir das
Ding auf den Kopf zu setzen.
Wenn ich noch aussteigen wollte, war jetzt der richtige Moment dafr. Ver-
dammt, natrlich wollte ich, aber ich hielt den Mund. Buddy setzte mir das Ding
auf den Kopf. Es war wie die schreckliche Parodie einer Krnung. Die winzigen
dornenartigen Elektroden pikten meine Kopfhaut, und die Riemen fhlten sich
kalt und fremdartig auf meiner Haut an, als Buddy sie festzog.
Whrend ich mich an das Gefhl zu gewhnen versuchte, dieses Ding auf dem
Kopf zu tragen, und mich bemhte, das saure Brennen in meinem Magen zu
unterdrcken, lie Buddy sich wieder in den Lotussitz nieder, die Sohlen ihrer
kleinen Fe gegen die Decke gerichtet. Sie nahm das Cyberdeck und legte es
sich bequem in den Scho. Dann nahm sie das Verbindungskabel und stpselte
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es in eine der drei Buchsen in ihrer rechten Schlfe. Der Stecker rastete mit
einem metallischen Knacken ein, das ich beraus beunruhigend fand. Buddys
Finger flogen ber die Tastatur, vermutlich lie sie irgendein Diagnoseprogramm
durchlaufen.
Nach einigen Sekunden, die mir wie Stunden vorkamen, sah sie zu mir herber.
Fertig? Ich traute mich nicht, ein Wort zu sagen, also nickte ich nur. Okay,
sagte sie. Phase eins. Sie drckte eine Taste.
U nd ich war blind. Verdammt was fr ein irres, schreckliches Gefhl. Ich hatte
mir immer vorgestellt, Blindheit msse wie eine alles umhllende Schwrze
sein, aber das hier war berhaupt nicht so. Schwrze ist ein Attribut von irgend-
was. Blindheit ist nichts. Ich hate und frchtete sie. Ich hrte ein wimmerndes
Gerusch und realisierte, da es meine eigene Stimme war.
Cool bleiben, riet mir Buddy. Ihre Stimme war so kristallklar und zuver-
sichtlich wie eh und je. Das ist nur das Vorbereiten der Bhne. Und jetzt ist
Showtime. Ich hrte das leise Klicken eines Tastendrucks, und die Realitt der
Matrix berschwemmte mein Hirn.
Wie soll man die Matrix beschreiben? Die Wissenschaftler nennen sie eine
konsensuelle Halluzination, eine virtuelle Realitt. Whrend meiner Ausbil-
dung bei Lone Star hatte ich die verwsserte Form einer Virtuellen Realitt
erlebt: Das trifft auf jeden zu, der schon einmal in einem Flugsimulator gesessen
oder auch nur ein paar von den besseren Trideospielen gespielt hat. Ich glaubte
auf die Matrix vorbereitet zu sein. Ich glaubte, es wrde wie in einem Simulator
sein, nur etwas intensiver: Vom Ausma her anders, doch in der Art ganz genau-
so.
Falsch! Meine berzeugung, ein Simulator htte mich auf die Matrx vorberei-
tet, war so naiv wie der Glaube eines Kindes, durch das Anschauen eines Soft-
pornos wisse es, wie ein Stndchen im Heu abluft. Selbst im besten Simulator
wei man ganz tief drinnen, da man sich in einem Simulator befindet und nicht
dort, wo einem die Sinne sagen. Aber in der Matrix ist man, und das wei man
auch verdammt genau. Zum Teufel mit der Tatsache, da mein Krper immer
noch in Buddys Bude hockte. Ich das Ich, welches zhlt, das Ich, welches
diesen Krper gewhnlich bewohnt war in der Matrix, und mehr gab es dazu
nicht zu sagen.
Mein erster Eindruck war der von Ausdehnung. Die Matrix ist gro. So gro
wie eine Welt, so gro wie ein Universum. Es gibt einen Horizont, aber er ist
weit weg und eher eine Begleiterscheinung der Perspektive wie der Flucht-
punkt in der Kunst statt eines Krmmungsphnomens wie in der wirklichen
Welt. (Tatschlich rufen Entfernungen beim Beobachter das seltsame Gefhl der
Nichtlinearitt hervor, wenn das irgendeinen Sinn ergibt. Es ist so und hier
spre ich wirklich die Unzulnglichkeit der Worte , als vergrerten sich die
Entfernungen um so schneller, je weiter etwas entfernt ist. Als sei die Matrix auf
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irgendeinen nichteuklidischen Raum gepfropft. Oder vielleicht auch nicht.)
Mein zweiter Eindruck? Die Matrix ist wunderschn! Der pechschwarze Him-
mel ist von intermittierenden Lichtstrahlen in mehr Farben berzogen, als es
Bezeichnungen gibt, und jeder sieht so fest wie Stahl aus. Der Boden ist eben-
falls schwarz und weist dasselbe Netz verwobener Linien aus. Und im Raum
zwischen ihnen sind groe leuchtende Icons verstreut, die Knoten innerhalb der
Matrix reprsentieren. Ich konnte die Gestalt der mir am nchsten gelegenen
Icons erkennen eine spiegelblanke Kugel, eine rubinrote Pyramide, ein Ab-
bild der Space Needle, eine Pagode, die in einem blendenden Grn erstrahlte ,
aber die entfernteren Icons waren lediglich Lichtflecken. Am Elektronenhorizont
verschmolzen die einzelnen Icons, bis sie aussahen wie eine impressionistische
Stadtlandschaft, die in einen sternenlosen Himmel strahlte.
Und da erkannte ich ganz genau, wo ich war. Wenn das Abbild der Space
Needle mastabsgetreu war, hing ich sehr hoch an jenem schwarzen Himmel,
vielleicht ein paar tausend Meter hoch, und hatte nichts unter mir. Mein erster
Impuls war, mich nach Buddy umzusehen, und das war der Augenblick, in dem
ich meinen zweiten greren Schock erlitt. Ich konnte meinen Krper nicht kon-
trollieren (wenn ich hier berhaupt einen Krper besa; ich konnte ihn jedenfalls
nicht sehen). Mein Hirn sendete die Befehle, den Kopf zu drehen, aber mein
Blickfeld vernderte sich nicht. Es war, als sei ich paralysiert.
Ich gebe es offen zu: Ich geriet in Panik. Ich rief: Buddy! und war nur ein
klein wenig erleichtert, als ich meine Stimme hrte.
Dann erscholl Buddys Stimme in meinen Ohren, so nah und unmittelbar, als
stnde sie direkt neben mir. Keine Panik, Chummer, sagte sie. Ich bin hier.
Ihre Stimme klang irgendwie anders, aber zuerst war ich nicht sicher, woran das
lag. In welcher Phase ihres Zyklus sich Buddy auch befand, ihre Stimme hatte
immer einen angespannten Unterton. Aber nicht jetzt. Zum erstenmal, seitdem
ich sie kannte, klang Buddy entspannt.
Gut fr sie. Ich war weit entfernt vom Entspanntsein. Ich kann mich nicht
bewegen, schrie ich fast. Und wo bist du?
Sie kicherte. (Die Buddy, die ich kenne, kichert nicht.) Bleib cool, riet sie
mir wieder, trlich kannst du dich nicht bewegen. Ich hab den Zauberstab,
verstehst du? Du bist nur ein Passagier. Pa auf. Nun vernderte sich mein
Blickfeld, als bewegte ich den Kopf hin und her und auf und ab. Und wo ich
bin? Ich bin hier, und wenn wir przise sind du bist es nicht. Du hast dich nur
an meine Sinne angehngt. Begriffen?
Ich antwortete nicht gleich, da sich mein Verstand mit dieser Vorstellung anzu-
freunden bemhte. Dann, aus heiterem Himmel, hatte ich ein Bild vor Augen, das
mir dabei half. Whrend meiner Ausbildung bei Lone Star hatte ich eine berwa
chungsdrohne der Art bedient, die fr Rigger noch so eine Datenbuchsen-Con-
nection konzipiert ist und normalerweise auch von ihnen gesteuert wird, aber
beim Star gab es auch manuelle Kontrollsysteme. Man setzt ein Kopfset auf,
komplett mit Videoschirm-Brille und Stereolautsprechern, das einen mit den
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Sinnen der Drohne verbindet. Whrend man sie mit einer kleinen Handsteue-
rung lenkt, sieht man alles, was die Drohne sieht. Das war im wesentlichen auch
die Situation, in der ich mich hier befand, nur da sich die Kontrolleinheit in
Buddys Hnden befand und nicht in meinen. Damit konnte ich leben.
Begriffen? Bei der Wiederholung der Frage klang bereits wieder Buddys
vertrauter Unterton der Ungeduld durch.
Begriffen, erwiderte ich.
Okay, dann kanns ja losgehen. Sie kicherte wieder. Halt deine Hirnzellen
fest und genie die Reise.
Es war, als sei ich an einer Rakete festgebunden. Wir kippten ab, rasten mit
einer Geschwindigkeit abwrts, die vollkommen lcherlich war. Kurz bevor wir
uns in den Boden bohrten, zogen wir hoch und tauchten Hals ber Kopf in einen
glhenden Lichtstrahl ein. Als uns das hellblaue Leuchten umschlo, beschleu-
nigten wir noch mehr. Obwohl ich wute, da mein Krper sicher und behaglich
in Buddys Apartment sa, hatte ich das Gefhl, als prete mir das Tempo smt-
liche Luft aus den Lungen.
Der Flug hatte erst Sekunden gedauert, als wir auch schon wieder aus dem
leuchtenden Datenstrang herausschossen. Unmittelbar vor uns befand sich ein
gewaltiges Matrix-Konstrukt, das ich sofort erkannte. Es war das kastenhnliche
Lone Star-Gebude mit dem gewaltigen fnfzackigen Stern auf der Seite. Sein
goldener Spiegelglanz reflektierte alle Lichter der Elektronenwelt.
Wir sind da, informierte mich Buddy unntigerweise.
Willkommen zu Hause, murmelte ich.
Wir drifteten nher an das Lone Star-Konstrukt heran, und zum erstenmal
konnte ich meinen Krper sehen, der sich auf der funkelnden Oberflche des
Star spiegelte. In Wirklichkeit war es natrlich Buddys Krper oder vielmehr
das Icon, das sie sich ausgesucht hatte. Ich sah eine wunderschne Frau Anfang
Zwanzig. Ihr Krper war schlank, fast perfekt, ihre Miene drckte Wrme und
Mitgefhl aus, und ihr flieendes Haar hatte die Farbe polierten Ebenholzes. Die
Frau trug ein elegantes Abendkleid, das im funkelnden Glanz grnen Laserlichts
erstrahlte.
War dies das Bild, welches Buddy von sich hatte? Die Vorstellung war grotesk
und lcherlich, bis mir klar wurde, wie tragisch das Ganze war. Natrlich sah sie
sich selbst so. In jungen Jahren, als sie noch ein aufgehender Stern am Forscher
himmel gewesen war, hatte sie wahrscheinlich so ausgesehen. Und vor ihrem
geistigen Auge sah sie sich wahrscheinlich immer noch so. Und was war mit
der wandelnden Leiche, die der Rest der Welt sah? Das war nur ein Gefngnis,
Chummer, ein Gefngnis aus Fleisch, in welches das junge Mdchen hineingera-
ten war. Kein Wunder, da Buddy die meiste Zeit in der Matrix verbrachte. Das
war der einzige Ort, an dem sie sie selbst sein konnte.
Der funkelnde Goldstern ffnete sich vor uns wie ein Vorhang, der zurckge-
zogen wird. Ich war zu sehr in meine Gedanken vertieft gewesen, um mitzube-
kommen, was Buddy getan hatte. Ich versetzte mir im Geiste eine Ohrfeige und
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zwang meine Aufmerksamkeit wieder auf die Vorgnge um mich herum. Als
wir durch die Wand traten, kamen wir in einen von Tren gesumten Flur, der
sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Wegen der grauen Farbe von
Decke, Boden und Wnden htte er ein echter Korridor in einem echten Broge-
bude sein knnen, nur da die Tren tatschlich Barrieren aus schimmerndem
Licht waren. Wir glitten den Flur in gemchlichem Schrittempo entlang.
Wo sind wir? fragte ich.
Im Avatar-Verzeichnis von Lone Stars Datenspeicher, sagte Buddy. Hier
endet alles Zeug, das von Avatar rausgeht.
Ich wollte mich nervs umsehen, aber natrlich konnte ich das nicht. Ich wu-
te, ich war gar nicht wirklich da, doch das Gefhl, sich innerhalb der Einrich-
tungen des Star zu befinden, war entschieden ungemtlich. Was ist mit den
Sicherheitsvorkehrungen?
Wir sind durch die Hintertr rein, erklrte sie. Der Vordereingang ist mas-
siv gesichert, aber einmal drin, ist alles nur noch trivialer Drek.
Warum? Das ergibt doch berhaupt keinen Sinn.
Klar tut es das. Wenn du an deiner Brotr n echt heies Sicherheitssystem
hast, packst du dir dann auch noch deine Schreibtischschubladen mit Alarm-
anlagen voll? Ein Zuviel an Sicherheit beeintrchtigt die Empfindlichkeit des
Systems und damit seine Reaktionsfhigkeit.
Ich wute, ich lenkte Buddy mit meinen Fragen ab, aber ich konnte einfach
nicht aufhren. Wie sind wir dann hier so einfach reingekommen?
Durch die Hintertr, wiederholte sie ungeduldig. Ich kenne den Chummer,
der die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Teil des Systems angelegt hat. Ich
war es, der ihm alles beigebracht hat, was er wei, und er ist ein phantasieloser
kleiner Schwachkopf. Benutzt immer dieselben Tricks.
Whrend sie weiterredete, gingen wir weiter den Korridor entlang, wobei wir
stndig den Kopf drehten, um uns die zahllosen Tren anzusehen, an denen wir
vorbeikamen. Pltzlich murmelte Buddy: Aha, und wir blieben vor einer Tr
stehen, die sich, soweit ich das beurteilen konnte, in nichts von den anderen
unterschied. Ich erwog, Buddy zu fragen, woher sie wute, da es hier war, ent-
schied mich jedoch dagegen.
Okay, murmelte Buddy mehr zu sich selbst, jetzt wirds interessant. Der
alabasterhutige Arm von Buddys Icon glitt in mein Blickfeld. Die schlanke
Hand hielt ein Skalpell, dessen Klinge wie Diamant glitzerte. Mit auerordent-
licher Zartheit fuhr Buddy mit dem Skalpell von oben nach unten an der schim-
mernden Barriere entlang, die die Tr blockierte. Die Barriere knisterte und teilte
sich unter dem Skalpell wie ein Vorhang. Als das Skalpell den Boden erreichte,
verschwand die Barriere vllig.
Was als nchstes geschah, ging so schnell, da ich es kaum mitbekam. In dem
Augenblick, als die Barriere zu existieren aufhrte, sprang eine schattenhafte
Gestalt direkt an uns vorbei auf den Flur. Ich dachte zuerst, mein Verstand htte
ausgesetzt: Die Gestalt war ein US-Sheriff aus der Zeit des Wilden Westens mit
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Sporen und Hut und Stern und allem.
Buddy reagierte augenblicklich. Mein Blickfeld wirbelte herum, und Buddys
Arm kam wieder in Sicht. Doch diesmal hielt er ein riesiges Ding von einem
sechsschssigen Revolver. Sie sttzte die brutale Waffe mit der anderen Hand
und gab einen einzelnen Schu ab, der den Sheriff in den Nacken traf. Die Kugel
holte ihn sauber von den Beinen, und als er auf dem Boden aufschlug, flackerte
die Gestalt und verschwand. Sein staubiger Hut, der ihm vom Kopf gerissen wor-
den war, hielt sich einen Augenblick lnger, dann flackerte auch er und lste sich
ebenfalls auf. Buddy ffnete die Hand, und der Sechsschsser war verschwun-
den.
Was, zum Teufel, war das? fragte ich atemlos.
Leben und Sterben in der Matrix, Dummerchen, sagte sie gutgelaunt. Auf
dem Eingang war Weies Ice. Als ich durchbrach, versuchte es ein Aufsprpro-
gramm zu starten, aber ich habe es inoffiziell annulliert. Keine groe Sache.
Wenn ich den Kopf htte schtteln knnen, htte ich es getan. Bist du sicher,
da es kein anderer Decker war?
Auf keinen Fall. Jeder Decker, der diesen Namen zurecht trgt, wre geblie-
ben, um es auszufechten. Ich erinnerte mich an das Drhnen des Revolvers in
der Hand von Buddys Icon und war aufrichtig dankbar, da wir nicht in irgend-
welche Decker-Zweikmpfe verwickelt worden waren.
Als wir durch die offene Tr in den Raum dahinter traten, keuchte ich, glaube
ich, vor Verblffung laut auf. Ausgehend von der Gre des Korridors, hatte ich
das typische Drei-Quadratmeter-Lohnsklaven-Bro erwartet. Die Matrix hatte es
mir wieder grndlich besorgt. Wir befanden uns in einem Zimmer, das man nur
als Raum bezeichnen konnte. Die Wnde standen ein wenig weiter auseinander,
als die Tr breit war, aber sie erstreckten sich nach vorn und nach oben, bis sie in
der Unendlichkeit verschmolzen. Und diese Wnde sahen aus wie etwas aus ei-
nem Tequila-gespeisten Alptraum. Sie schienen aus rechteckigen Blcken unter-
schiedlicher Gre zu bestehen, und jeder Block war mit einer wirbelnden Wolke
aus leuchtenden Symbolen gefllt, manche nur mit Nullen und Einsen, man-
che mit alphanumerischen Symbolen und manche mit griechischen Buchstaben,
grinsenden Gesichtern und anderem Drek (vielleicht verschlsselte Dateien).
Wie vorauszusehen, verschwendete Buddy keine Sekunde mit Halslockerungs-
bungen, was bedeutete, ich konnte bei weitem nicht so viel von diesem son-
derbaren Raum sehen, wie ich wollte. Sie ging einfach langsam weiter, wobei
sie mit den Innenseiten ihrer perfekten Hnde die Oberflche der unendlichen
Wnde entlangfuhr. Lolita Yzerman, richtig? fragte sie.
Ich versuchte zu nicken, natrlich vergebens. Du hasts erfat, sagte ich statt
dessen.
Wir blieben stehen und richteten unseren Gemeinschaftsblick auf eine Wand.
Buddy prete beide Handflchen dagegen, und die beiden Blcke, die sie be-
rhrte, leuchteten schwach auf. Wird langsam wrmer, murmelte sie. Ohne
Warnung, als sei dies die natrlichste Sache der Welt und in dieser Welt konnte
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das sehr wohl sein , erhoben wir uns vom Boden und schwebten steil aufwrts.
Im Steigen berhrte Buddy einen Block nach dem anderen, wobei sie jeden unter
ihren Fingern zum Aufglhen brachte.
Schlielich verharrten wir. Lolita Yzerman, verkndete Buddy. Sie berhrte
einen Block direkt vor uns, und er flammte rubinrot auf. Dann glitten ihre Hnde
durch die Wnde des Blocks, und die Symbole darin wirbelten wie ein Daten-
Sandsturm um ihre Finger.
Kannst du die Dateien ausladen? fragte ich.
Keine Chance. Das wrde Drek auslsen, wie du ihn noch nie gesehen hast.
Aber wir knnen die Dateien durchsehen.
Dann los.
Es war, als htte mir jemand ein transparentes Computerdisplay vor die Nase
gesetzt. Ich konnte immer noch die Wand und Buddys Hnde sehen, aber ber
dieses Bild lief ein bernsteinfarbener Text, und zwar so schnell, da ich ihn nicht
lesen konnte. Geht das auch etwas langsamer? fragte ich.
Buddy schnaubte, aber der Text spulte sich jetzt nicht mehr so rasend ab. Fr
mich jedoch immer noch zu schnell, um ihn zu lesen. Ich spielte mit dem Ge-
danken, noch einmal zu fragen, entschlo mich jedoch dagegen. Buddy wute
ebensogut wie ich, wonach wir suchten, und ihr wrden lohnende Daten ohnehin
eher als mir auffallen. Also schwieg ich.
Dein Chummer war nicht allzuweit oben in der Hierarchie, was? fragte Bud-
dy.
Ich versuchte ein Achselzucken. Keine Ahnung. Warum fragst du?
Das ist alles nur Drek, womit sie beschftigt war. Bekannte von vermeintli-
chen Steuerbetrgern. Nichts, weswegen man umgelegt werden knnte. Alles
geringfgiger, schbiger Kram.
Ich dachte an die Anstrengungen, die der mysterise X unternommen hatte.
Daran war nichts Geringfgiges, Schbiges oder Unbedeutendes. Irgendwas
mu da sein, sagte ich fest. Wenn du tiefer grbst, findest du es auch.
Buddy antwortete nicht, aber ihr Schweigen war in sich schon eine Rge. Der
Text nahm wieder Geschwindigkeit auf, und ich war schlau genug, mich nicht
zu beschweren. Der Text raste noch ein paar Sekunden herunter und hielt dann
abrupt an. Ich hrte, wie Buddy vor berraschung und Frustration scharf einat-
mete.
Was ist los? fragte ich.
Halt die Klappe, war alles, was sie sagte, ganz die alte Buddy. Sie zog eine
Hand aus der Wand und schob sie in einen anderen Block. Mehr Text flog an
meinen Augen vorbei, diesmal jadegrn und im Format einer Verzeichnisliste,
aber immer noch viel zu schnell, um etwas lesen zu knnen. Sie zog die andere
Hand heraus und steckte sie in einen dritten Block. Eine weitere Verzeichnisliste,
ein weiteres rgerliches Zischen von Buddy. Dann zog sie beide Hnde aus der
Wand, und alle Blcke wurden wieder stumpf. Mist! spie sie aus. Ein groer
roter Knopf materialisierte in der Luft vor uns. Buddy drckte ihn mit einem
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schlanken Finger nieder.
Und wir waren wieder in der wirklichen Welt. Ich sa im Sessel in Buddys
Apartment und hielt krampfhaft die Lehnen umklammert. Buddy die wirkliche,
wandelnder Leichnam-Buddy hockte vor mir auf dem Fuboden, das leichen-
hafte Gesicht zu einer Grimasse verzerrt. Sie zog das Kabel aus der Schlfe und
stellte das Cyberdeck beiseite.
Was, zum Teufel, ist passiert? wollte ich wissen. Buddy antwortete nicht,
sondern zupfte nur an den Glasfasern des Kabels herum. Ich lste die Riemen
des Trampnetzes, setzte die Dornenkrone ab und lie sie unsanft zu Boden fallen.
Was ist passiert? beharrte ich.
Buddy scho in die Hhe und fing an, mit abgehackten Bewegungen im Apart-
ment auf und ab zu marschieren. Jetzt war auch die alte, vertraute paranoide
Buddy wieder da. Sackgasse, sagte sie schlielich.
Was soll das heien?
Sie lie sich wieder im Lotussitz nieder, umklammerte die Knie mit beiden
Hnden und schaukelte mit kaum verhohlenem rger hin und her. Die Auf-
zeichnungen sind verschwunden, sagte sie. Nicht gelscht. Verschwunden.
Das ergab natrlich berhaupt keinen Sinn. Ich schluckte meine eigene Fru-
stration herunter und bemhte mich, meine Stimme beruhigend klingen zu las-
sen. Buddy, murmelte ich, ich brauche dich, Chummer. Du mut mir sagen,
was du damit meinst. Was hast du entdeckt? Benutze einfache Worte, Omae, als
wrdest du dich mit einem Baby unterhalten. Okay?
Buddy setzte ihre Schaukelei ein paar Augenblicke fort, und ich hatte schon
Angst ich sei nicht durchgedrungen. Aber dann sah ich, wie die Anspannung ih-
ren Krper verlie. Sie sah auf und gnnte mir ein weiteres Stroboskop-Lcheln.
Du weit was dein Chummer bei Avatar gemacht hat nicht? Ihre Stimme klang
beinahe so entspannt wie in der Matrix.
Sie hat Wanzenaufzeichnungen gewaschen.
Signalverstrkung, besttigte Buddy. Sie bewahren immer zwei Kopien
von allem auf. Die Originalaufzeichnung und die verstrkte Version. Okay? Ich
nickte. Sie fhren auch Listen, wer an welcher Aufzeichnung gearbeitet hat und
an welchem Fall.
Und ...?
Und die meisten Listen und Aufzeichnungen sind verschwunden. Die Origi-
nalaufzeichnungen, an denen sie gearbeitet hat, und die verstrkten Versionen.
Gelscht?
Nicht gelscht. Bei jeder normalen Lschung einer Datei wird eine Lschmar-
ke gesetzt, die einerseits anzeigt, da eine Datei da war, und andererseits festhlt,
wer die Lschung genehmigt hat. Keine Marken, nirgendwo Marken. Die Eintr
ge sind einfach verschwunden. Aus Sicht des Systems waren sie berhaupt nie
vorhanden.
Aber das waren sie? fragte ich verwirrt.
Natrlich waren sie das, verflucht noch mal. Auf der Dateiebene findet sich
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kein Eintrag. Auf der Ebene der Speichermedien gibt es eine Reihe von Clustern,
die jenen Dateien zugeordnet waren, und jetzt sind diese Cluster frei. Verstehst
du?
Cluster sagten mir berhaupt nichts, aber ich nickte ermutigend. Und was
bedeutet das?
Die Stellung von Buddys Mundwinkel verriet mir, da sie vom Babygeschwtz
genug hatte. Du bist dran, schnappte sie.
Okay, seufzte ich. Die Dateien waren also da, sind es aber nicht mehr. Zwei
Mglichkeiten. Nummer eins: Jemand ist in das System gedeckt und hat die
Dateien ganz einfach weggepustet. Aber um das zu schaffen, mte es schon ein
ziemlich heier Decker gewesen sein, richtig?
Novahei, besttigte Buddy.
Also Nummer zwei, fuhr ich fort. Lone Star hat die Dateien selbst ausra-
diert. Sie knnten das? Ein schroffes Nicken von Buddy. Was bedeutet, sie
vertuschen ... irgendwas. So oder so heit das, es geht nicht um Kleinkram. Was
ich bereits wei. Ich erhob mich mde. Danke, Buddy. Ich berweise dir das
Geld, wenn ich zu Hause bin. Ich ging zur Tr.
William Sutcliffe.
Ich drehte mich um. Buddy sa immer noch auf dem Fuboden und beobach-
tete mich. Wie bitte?
William Sutcliffe. Es war seine Leitung. Ein Chummer von ihm stand unter
Verdacht also haben sie Sutcliffes Leitung angezapft.
Und wer ist William Sutcliffe?
Ich will verdammt sein, wenn ich das wei, schnappte Buddy. Du bist der
Schnffler.
Ich beeilte mich, von dort zu verduften und flog dann fast zu meiner Bude in den
Barrens. Unterwegs zermarterte ich mir das Hirn nach irgendeinem Hinweis, um
diesen William Sutcliffe unterbringen zu knnen. Nichts zu machen, Chummer.
Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie von ihm gehrt. Aber Buddy hatte
recht, ich bin ein Schnffler, und ich konnte verschiedene Fhler ausstrecken, um
unseren Mr. Sutcliffe aufzuspren. Die vermeintliche Sackgasse war nicht ganz
so wasserdicht, wie es den Anschein hatte.
Das Lmpchen fr eingegangene Anrufe blinkte an meinem Telekom, also lie
ich mich vor dem Schirm nieder und drckte die entsprechende Tastenkombina-
tion. Der Schirm erhellte sich, und als ich sah, wer es war, schien sich der Raum
gleich mit zu erhellen.
Die junge Frau, die mich vom Schirm anlchelte, war eher attraktiv denn
schn, die Linien ihres Gesichts waren bestenfalls utilitaristisch. Aber ihre brau-
nen Augen funkelten vor Leben, und ihr Lcheln war strahlend wie die Sonne.
Hoi, Bruderherz, sagte meine Schwester Theresa. Tut mir leid, da ich dich
verpat hab. Ich wollte nur mal anrufen, um dich wissen zu lassen, da ich auch
noch lebe. Ich hoffe, bei dir steht alles zum besten, und sie zuckte unmerklich
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die Achseln ich schtze, das wars dann schon. Bis spter, Derek.
Nachdem das Bild verschwunden war, starrte ich den Schirm noch ein paar
Sekunden mit einem Klumpen im Hals an. Theresa hat diese Wirkung auf mich,
immer. Das liegt zum einen daran, da sie meine kleine Schwester ist mit fnf-
undzwanzig ist sie sechs Jahre jnger als ich , und zum anderen ist sie der einzi-
ge nahe Verwandte, den ich noch habe. Aber es steckt noch etwas mehr dahinter.
Ich erinnerte mich an die alten Zeiten, als wir heranwuchsen. Theresa war als
Kind gro und schlaksig und schien nur aus Sommersprossen und verschramm-
ten Knien, pltzlichem Enthusiasmus und unschuldigem Gelchter zu bestehen.
Sie war diejenige mit der Phantasie, aber diese reichte fr uns beide. Selbst in der
aufsssigen Phase meiner Jugend war Theresa einer der wenigen beruhigenden
Einflsse in meinem Leben. Ich glaube, sie hat mir meine geistige Gesundheit
bewahrt.
Doch dann entwickelten wir uns auseinander. Als Teenager mu man einige
der wichtigsten Lektionen im Leben lernen: Da die Welt ein dsterer und ge-
fhrlicher Ort ist und man sich damit auseinandersetzen mu, wenn man zurecht-
kommen will. Theresa lernte den ersten Teil, aber nicht den zweiten. Statt dessen
versuchte sie sich von der Welt um sie herum zu isolieren. Sie vertiefte sich in
Bcher, Trideo und in alles, das die groe bse Welt daran hindern konnte, in ihre
Realitt einzudringen.
Aber genau das tat sie natrlich mit Macht in dem Jahr, als ich zweiund-
zwanzig und Theresa se sechzehn war. Ich hatte gerade eine der schlimmsten
Auseinandersetzungen berhaupt mit meinem alten Herrn gehabt. Es war der
Abend, an dem ich ihm erzhlte, ich htte die Informatik geschmissen htte
tatschlich die ganze Universitt von Washington geschmissen. Er rastete vllig
aus, was mir zuvor schon klar gewesen war, wurde aber nicht handgreiflich
was ich bedauerte, weil ich ansonsten eine Rechtfertigung gehabt htte, ihm die
Zhne in den Hals zu schieben. Statt dessen beschrnkte er die Gewalt auf die
verbale und emotionale Ebene. Das machte es natrlich nur noch schlimmer. Ich
strmte aus dem Haus und wnschte ihm von Herzen den Tod.
Am nchsten Morgen wurde ich dann benachrichtigt. Der Idiot hatte meinen
Wunsch wrtlich genommen. Nachdem ich gegangen war, hatte er meine Mut-
ter zu einer Spazierfahrt eingeladen, wahrscheinlich um sie nach der hlichen
Szene mit ihrem Sohn zu beruhigen. Aus welchem Grund auch immer, er fuhr
jedenfalls in eine Gegend, die von einer besonders militanten Gang fr sich be-
ansprucht wurde, die sich selbst die Junk Yard Dogs nannte. Und dann Gott
verdamme ihn in die tiefste Hlle hielt mein alter Herr an, und die beiden
stiegen aus, um etwas frische Luft zu schnappen. Die Dogs waren in jener Nacht
unterwegs, um zu spielen, und meine Eltern waren fr sie leichte Beute. Im Po-
lizeibericht hie es, sie seien schnell gestorben, und ich will das auch glauben.
Mir ging die Sache schon ziemlich an die Nieren, aber Theresa ri es fast in
Stcke. Sie blieb bei mir, whrend ich, so gut es ging, versuchte, sie wieder zu-
sammenzusetzen. Von Anfang an war klar, da sie nicht damit fertig wurde, aber
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ich belog mich selbst, indem ich mir einredete, da sie es schon schaffen und sich
wieder in den Griff bekommen wrde.
Dann verschwand sie eines Abends, keine Nachricht, kein gar nichts. Ich wur-
de fast verrckt, aber ich konnte sie nicht finden. Etwa eine Woche spter tauchte
sie wieder auf und tat so, als sei sie nur mal fr ne Stunde oder so fort gewesen.
Ich machte ihr die Hlle hei, aber sie stand nur da, schluckte alles und bedachte
mich mit diesem hohlen Lcheln. Und da sah ich die glnzende neue Datenbuch-
se und das Glasfaserkabel, das zu dem SimSinn-Spieler an ihrem Grtel hinun-
terlief. Theresa hatte einen besseren Weg gefunden, der Welt zu entkommen.
Sie blieb noch ein paar Monate bei mir. In dieser Zeit versuchte ich, ihren
Chipkonsum zu berwachen und in Grenzen zu halten. Die ersten paar Wochen
verbrachte sie einen Groteil ihrer wachen Stunden damit, sich SimSinn-Drek
direkt ins Hirn zu jagen. Doch danach wurde sie ein wenig zurckhaltender. Sie
war immer noch ein User, aber zumindest war sie nicht der vollkommen schtige
Chiphead, als den ich sie schon gesehen hatte.
Ich denke, ich bin ziemlich hart mit ihr umgesprungen. Wie ein selbstgerechter
Abstinenzler machte ich sie immer wieder herunter, weil sie berhaupt Chips
einwarf und weil sie sie benutzte, um der Realitt zu entkommen. (Und zur
selben Zeit kurbelte ich die Synthahol-Industrie tchtig an.) Ich machte sie zu
sehr herunter. Ein paar Wochen, bevor ich bei Lone Star in die Grundausbildung
einsteigen sollte, kam ich nach Hause und mute feststellen, da sie verschwun-
den war. Die Nachricht, die sie hinterlassen hatte, machte unmiverstndlich und
schmerzhaft klar, da sie auch ohne meine Vorhaltungen und Maregelungen zu-
recht kam. Sie wrde woanders unterkommen, bei Leuten, die nicht so verdammt
engstirnig seien. Die Nachricht war auf ein Stck Papier gekritzelt, das um ihren
Kredstab gewickelt war. Meine kleine Schwester war endgltig ausgeflippt.
Ich versuchte sie zu finden, auch noch, als ich schon lngst in der Ausbildung
war. Doch selbst mit den Mitteln des Star ist es praktisch unmglich, ein Mit-
glied der SINlosen Unterschicht aufzuspren. Sechs Monate spter war ich im-
mer noch auf der Suche, gelangte aber von Tag zu Tag mehr zu der Ansicht, da
sie denselben Weg wie unsere Eltern genommen hatte.
Dann, aus heiterem Himmel, rief sie mich an. Natrlich von einem ffentlichen
Telekom, so da ich ihr auf diese Weise nicht auf die Spur kommen konnte. Ich
schrie sie eine Weile an, und sie hrte nur zu, bis ich mich beruhigt hatte. Und
dann redeten wir miteinander und kamen zu einer Art Annherung. Keiner von
uns wrde seine Sicht der Welt dem anderen zuliebe ndern. Aber was war daran
falsch? Fr den Augenblick hatten wir beide gefunden, was wir brauchten. Ich
hatte den Star, sie hatte ihre Chummer manche davon Chipheads oder BTLler,
aber nichtsdestoweniger ihre Chummer. Wir redeten, und etwas Seltsames ge-
schah.
Wir wurden Freunde. Nicht Geschwister, nicht groer Bruder und kleine Schwe-
ster, sondern Freunde. Wir hnelten einander nicht, wir hatten unterschiedliche
Ansichten ich dachte, sie sei ausgeklinkt, sie dachte, ich machte mir etwas vor
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, aber das war in Ordnung, bestimmt. Es war eine seltsame Erkenntnis.
Seit damals stehen wir in regelmigem Kontakt. Sie will mir nicht sagen, wo
sie sich aufhlt, also ist es immer Theresa, die anruft. Wahrscheinlich hat sie
Angst, ich wrde irgendwas Dmliches tun, wie zum Beispiel versuchen, ihr
Geld oder dergleichen Drek zu schicken, und sie hat recht. Zweimal bat sie mich
um Hilfe, nachdem sie sich in irgendwelchen Drek gesetzt hatte, aber es war in
beiden Fllen nicht allzu ernst. Ich freue mich auf ihre Anrufe und wnschte,
wir knnten uns mal wieder von Angesicht zu Angesicht sehen. Aber das liegt
jenseits dessen, was sie zuzulassen bereit ist, und da sie diejenige ist, die alles in
der Hand hat, mu ich damit leben.
Ich war jetzt froh, da sie angerufen hatte. Es tat gut, das Gesicht von zumin-
dest einer Blondine zu sehen, die nicht im Leichenschauhaus lag.
W ie sprt man jemanden auf, von dem man nur den Namen kennt William
Sutcliffe, zum Beispiel? Da gibt es verschiedene Mglichkeiten, Chum-
mer. Manche legal, die meisten nicht. Selbstverstndlich erhhen sich die Er-
folgschancen mit der Illegalitt der Mittel. (Nennen Sie das ruhig Montgomerys
Gesetz. Copyright wird nicht beansprucht, entsprechend sind die Lizenzgebh-
ren.) Nichtsdestoweniger beschlo ich, es zunchst mit den legalen Methoden
zu versuchen.
Es gibt ein paar Datenbank-Suchroutinen, die gerade fr diese Dinge mage-
schneidert sind. Es ist, als wrde man durch ein Telefonbuch fr ganz Nordame-
rika blttern oder auch darber hinaus, wenn man die Suchroutine entsprechend
ausdehnt. Das Suchprogramm whlt sich durch die LTG- und RTG-Besitzerli-
sten fr den Fall, da Mr. Sutcliffe zugestimmt hat, seine LTG-Nummer in die
allgemein zugnglichen Listen aufnehmen zu lassen. In der wahrscheinlicheren
Situation, da er das nicht hat, gibt es hnliche Dienste, welche die Angestell
tenverzeichnisse der Konzerne obwohl die Anzahl der Konzerne, die sich be-
reit erklren, die Information freizugeben, verdammt klein ist und sogar elek-
tronische Publikationen, Nachrichtenfaxe und Zeitungen durchforsten.
Nach allem, was Buddy mir erzhlt hatte, konnte der gute Mr. Sutcliffe recht
gut ein ziemlich kleiner Fisch und Lone Star bzw. Avatar nur aufgefallen sein,
weil er der Chummer eines Steuerbetrgers war. In diesem Fall standen die
Chancen recht gut, da diese oberflchliche Suche etwas zu Tage frdern wrde.
Der Augenschein lie jedoch vermuten, da Sutcliffe eben kein kleiner Fisch
war. Die Leute werden nicht umgebracht, weil sie einen kleinen Fisch abhren.
Also rechnete ich damit, da die legalen Suchroutinen nur die erste Runde sein
wrden und ich einen ernsthaften und scheulich illegalen digitalen Steptanz
auffhren mute. Ich mute jedoch ganz unten anfangen. Wer wei? Vielleicht
hatte ich Glck.
Ich schrieb gerade die effektivste Suchroutine und war in Schwei gebadet, als
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das Telekom klingelte. Ich erwog kurz, den Anruf ber den Beantworter laufen
zu lassen, berlegte es mir dann aber anders. Ich drckte die Taste fr nur Ton
und brummte: Ja?
Der Schirm erhellte sich mit dem Bild Jocasta Yzermans. Ihr Haar glnzte wie
poliertes Kupfer, perfekt betont durch ihr elfenbeinfarbenes Jackett und das jade-
grne Augen-Make-up. Sie sah aus wie eine Million Nuyen. Ihre Stirn runzelte
sich, whrend sie auf einen, wie ich wute, leeren Schirm starrte. Ich schaltete
eiligst meine Videokamera hinzu, und prompt sah sie erleichtert aus. Mr. Mont-
gomery, sagte sie frmlich.
Nennen Sie mich Derek, schlug ich vor. Oder Dirk.
Sie zgerte. Ich konnte erkennen, wie sie zwischen zu formlos und zu un-
hflich schwankte. Sie lste das Problem salomonisch, indem sie sich fr keine
der beiden Mglichkeiten entschied. Haben Sie irgendwas herausgefunden?
Jetzt war es an mir zu zgern. William Sutcliffes Name war ein Hinweis, aber
ich wute nicht, ob er sich bezahlt machen wrde. Nicht wirklich, sagte ich.
Ihre Miene umwlkte sich augenblicklich. Eine ungeduldige Frau, diese Ms.
Yzerman. Ich gehe gerade einigen Mglichkeiten nach, fgte ich rasch hinzu.
Aber sie hrte gar nicht zu. Ich habe etwas, sagte sie gereizt. Aber ich wei
nicht, ob ich mir berhaupt die Mhe machen soll, es Ihnen zu erzhlen.
Groartig. Ich knirschte mit den Zhnen, lie meine Stimme jedoch desinter-
essiert klingen. Ist Ihr Anruf. Wenn Sies alleine durchziehen wollen, sagte ich
achselzuckend, brauchen Sie mir nur zu sagen, wohin ich den Kranz schicken
soll.
Sie bi sich auf die Lippe. Ich konnte erkennen, da sie den Schock des Bom-
benanschlags ebensoschnell wie Lollys Tod berwunden und sich eiskalt unter
Kontrolle hatte. Sie wollte nichts mit mir zu tun haben: Sie traute mir nicht,
und sie mochte mich nicht (ber Geschmack lt sich nicht streiten). Anderer-
seits brauchte sie Hilfe. Ansonsten htte sie mich gar nicht angerufen. Ich zwang
mich, still zu sein und einfach abzuwarten. Schlielich wurde die harte Linie
ihres Krpers weicher. Jemand versucht, mich zu erreichen, begann sie. Ich
wei nicht, wer, aber er hinterlt Nachrichten in der ganzen ...
Wo? unterbrach ich sie.
Sie zuckte die Achseln. An meinem Arbeitsplatz, in der Universitt. Keine
Sorge, sagte sie schnippisch. Ich bin nicht dort gewesen. Ich habe mir die
Botschaften fernmndlich kommen lassen. So dmlich bin ich nun doch nicht.
Ich wollte ihr schon von den verschiedenen Aufsprroutinen erzhlen, die man
in praktisch jeder Deckerbude im Dutzend findet, aber dann fiel mir wieder ein,
da sie im Kommunikationsgeschft ttig war, wenn auch nur peripher. Viel-
leicht hatte sie es ja doch richtig gemacht. Okay, willigte ich ein. Machen
Sie weiter.
Er will sich mit mir treffen. Er sagte, er wte, woran Lolita gearbeitet hat, be-
vor sie umgebracht wurde. Er sagt er htte eine Kopie der Abhraufzeichnung.
Eine Kopie der Aufnahme, die Lolly gerade gewaschen hatte? Das wrde uns
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eine Menge Hintergrundinformationen verschaffen, wenn es keine Falle war ...
aber natrlich war es eine. Also hat er eine Zeit und einen netten sicheren Ort
fr das Treffen festgesetzt, richtig? sagte ich sarkastisch.
Nein, Sie Schwachkopf, schnauzte sie zurck. Ich sagte doch, ich habe
nicht mit ihm gesprochen, und er hat nichts von einem Treffen gesagt. Ich soll
ihn heute nacht anrufen, damit wir darber reden knnen.
Das lie mich dann doch aufhorchen. Er hat eine LTG-Nummer hinterlas-
sen?
Da ich ihn anrufen soll, mu er das ja wohl, oder?
Ich ignorierte den Sarkasmus in ihrer Stimme. Geben Sie sie mir.
Sie dachte einen Augenblick darber nach und willigte dann ein. Ich ffnete ein
Datenfenster auf dem Telekom und tippte die Zahlen ein, die sie mir nannte. Sie
ffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich schnitt ihr das Wort ab. Lassen
Sie mir ein paar Sekunden.
Ich legte sie auf eine Warteschleife und vergrerte das Datenfenster, bis es
den gesamten Schirm ausfllte. Das konnte etwas Groes sein. Ich startete eine
meiner hchst illegalen Suchutilities und gab die LTG-Nummer ein. Das Utility-
Programm hatte zehn Sekunden daran zu knabbern, dann spie es einen Haufen
Text auf meinen Schirm. Volltreffer! krhte ich. Ich verstaute meinen Fund im
Speicher und holte Jocasta aus dem elektronischen Niemandsland zurck.
Okay, teilte ich ihr munter mit. Ich werde mich mit ihrem mysterisen
Wohltter treffen. Um welche Zeit sollen Sie ihn anrufen?
Um Mitternacht. Aber ich sagte Ihnen doch schon, wir haben noch kein Tref-
fen vereinbart ...
Zumindest glaubt er das, warf ich hmisch ein und berspielte Jocasta die
Daten, die meine Suchroutine ans Tageslicht befrdert hatte. Sehen Sie die
Adresse? Die LTG-Nummer, die er Ihnen gegeben hat, gehrt zu einem station-
ren Telekom, und da ist es in die Wand gestpselt. Heute nacht um Mitternacht
besteht eine recht gute Chance, da Ihr namenloser Freund vor diesem Telekom
sitzt und auf Ihren Anruf wartet. Und ich werde ihm einen kleinen Besuch ab-
statten.
Ihr Blick war fest. Jene grauen Augen lieen widerwillige Zustimmung erken-
nen, aber in ihnen stand auch stahlharte Entschlossenheit. Ich wute, was sie
sagen wrde, bevor sie den Mund aufmachte. Wir werden ihm einen Besuch
abstatten. Schlielich war es meine Schwester, die umgebracht wurde.
Und es ist mein Hals, der dafr auf dem Richtblock liegt, wollte ich erwidern.
Aber ich hatte mich bereits entschlossen, sie in diesem Punkt gewhren zu las-
sen. Wenn sie ihren wohlgestalteten Krper in Gefahr bringen wollte, bitte sehr.
Ich war nicht fr ihre Sicherheit verantwortlich. Wenn andererseits der heutige
Anruf den Zweck verfolgte, Jocasta in eine Falle zu locken woran ich keine Se-
kunde zweifelte , dann drehte unsere berraschungsparty den Spie um, und es
war nicht verkehrt einen zustzlichen Mann (in diesem Fall eine Frau) und eine
zustzliche Kanone mitzubringen. Also sagte ich: Okay, Omae. Sie kommen
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mit. Wo soll ich Sie abholen?
Sie schttelte den Kopf. Wir nehmen meinen Wagen. Ihren knnte man vor
meiner Wohnung in Tacoma gesehen haben.
Ich blinzelte. Sie haben einen Wagen?
Selbstverstndlich. Ich habe ihn nicht genommen, als ... in jener ersten Nacht
... Als ich kam, um Sie umzubringen, meinte sie so da ich nicht durch den
Wagen identifiziert werden konnte.
Also hast du lieber ein Taxi genommen, dachte ich. Echt clever, Jocasta. Na-
trlich lie ich mir meine Gedanken nicht anmerken. Ich nickte nur zustimmend.
Dann fahren Sie also. Holen Sie mich um dreiundzwanzig Uhr fnfzehn an der
Redmond Citypromenade ab. Ich werde eine weie Nelke tragen.
Sie schnaubte. Humorgeschdigt, schlo ich. Wo fahren wir hin? fragte sie.
Ich grinste. In die Innenstadt.
Ich lie mich in die Polster des Beifahrersitzes sinken und lchelte. Beim Warten
hatte ich Rat-das-Auto mit mir gespielt, und jetzt empfand ich eine gewisse
Selbstgeflligkeit, weil ich richtig getippt hatte. Jocasta fuhr einen Hyundai-
AMC Harmony, ein gutes Einstiegsmodell fr Execs in die Luxusklasse. Bei
der Farbe hatte ich jedoch danebengehauen. Ich hatte mir ein stumpfes Kon-
zernschwarz vorgestellt, keineswegs ein Apfelrot. Vielleicht gab es in Jocastas
Persnlichkeit irgendwas, das mir bisher entgangen war. Oder vielleicht lag es
auch nur daran, da das rote Modell gerade zum Verkauf gestanden hatte.
Jocasta trug einen anderen schiefergrauen Maanzug aus Kunstleder mit Ac-
cessoires aus poliertem Stahl und Hematit, und sie sah aus, als sei sie direkt
dem Magazin Corporate Woman entsprungen. Die passende Handtasche lag zu
meinen Fen, und ich hatte mich bereits davon berzeugt, da ihr Colt America
L36 die Pistole mit dem Ziellaser, mit der ich bereits persnliche Bekannt-
schaft geschlossen hatte darin war.
Meine Garderobe stand in bemerkenswertem Kontrast zu ihrer: Ein schwar-
zer Geschftsanzug, bestehend aus einem engsitzenden Rollkragenhemd und
schwarzer Hose, die auch als Trikothose durchgegangen wre, sowie meinem
zuverlssigen Duster. Mein einziges Accessoire war der Colt Manhunter, und der
war zu meinem allergrten Bedauern farblich nicht auf meine brigen Klamot-
ten abgestimmt. Als sie angehalten hatte, um mich einsteigen zu lassen, war mir
Jocastas vor Abscheu verzogene Miene nicht entgangen. Tja, okay, klar, ich sah
aus wie irgendein Stck Drek von der Strae, das die Ratte hereingeschleift hat.
Aber mein Duster konnte eine Salve abhalten, die Jocasta durchlchern wrde,
und ich war auerdem verdammt sicher, da mich keine klimpernden Juwelen
verraten konnten und ich nicht in einer Tr hngenbleiben wrde oder mir irgen-
dein anderer Drek dieser Art zustie.
Ich hatte Jocasta gesagt, wir wrden in die Innenstadt fahren, also brachte sie
uns sofort auf die Route 520, auf der sie nach Westen fuhr. Jetzt sah sie zu mir
herber und fragte: Wohin fahren wir?
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In die tiefste dunkelste Innenstadt. Westlake Center. Suite 4210.
Der Verkehr war praktisch gleich Null, als wir ber die Schwebebrcke und in
die Lichter von Seattle Mitte hineindsten, die in den Himmel leckten. Jocasta
kannte sich in der Innenstadt aus, wie ich mit Freuden registrierte, so da ich ihr
nicht sagen mute, welcher Weg der schnellste war. Wir folgten der 1-5 nach
Sden, verlieen dann den Freeway und fuhren ber die Fifth Avenue auf das
Seattle Center zu.
Das Westlake Center gibt es seit ber sechzig Jahren, aber in dieser Zeit hat
es einige bedeutende nderungen erfahren. Als es Ende der 80er Jahre des letz-
ten Jahrhunderts erbaut wurde, ersetzte es den alten Sdbahnhof der Monobahn.
(Das war noch zu einer Zeit, als die Monobahn nur von der Ecke Westlake Ave-
nue und Olive Way bis zum Seattle Center und zurck fuhr, bevor die Strecke zu
jener kreisfrmigen Route ausgebaut wurde, die sie heute nimmt.) Ursprnglich
war es ein dreigeschossiges Einkaufszentrum, wobei man den Monobahnhof ins
oberste Gescho integriert hatte.
Seitdem haben sich die Dinge verndert. Ungefhr zur selben Zeit, als die Mo-
nobahnstrecke ausgebaut und die veraltete Alweg-Monobahn mit Radantrieb
durch die topaktuelle Magnettechnik ersetzt wurde, bemerkte irgendein Stadt-
planer, wie ineffizient die Raumausnutzung im Westlake Center war. Nur drei
Stockwerke? In der Seattler Innenstadt? Jetzt macht aber mal halblang, Chum-
mer.
Und so erhob sich bald der Westlake Tower in den smogverhangenen Him-
mel. Mit dem renovierten Westlake Center am Fue wurde der Tower zu ei-
nem sechzig Stockwerke hohen Magnet fr Mitglieder der mittleren bis oberen
Konzernexekutive. Als der Tower seinerzeit ffnete, zog ich zum Spa meine
besten Klamotten an und schaute beim Vermietungsbro vorbei. Sie wollten
mir noch nicht mal die Vorfhrsuite zeigen, bevor ich nicht nachwies, da mein
Kredstab aller Ehren und ihrer Bemhungen wert war was ich natrlich ver-
weigerte. Als ich ging, hrte ich jedoch ein paar zahlungskrftigere Kunden ber
die Mieten tratschen. Eine kleine Suite im vierten Stock das war derjenige di-
rekt ber dem Monobahnhof und daher offensichtlich der Bereich der niedrigsten
Mieten kostete dreiig-K Nuyen pro Monat. Jocastas mysteriser Wohltter
wohnte im sechsundvierzigsten Stock, hoch genug, um einen guten Blick auf die
Stadt zu haben, und ganz zweifellos auch mit einer Miete, die hoch genug war,
eine ganze Reihe kleinerer Gesellschaften zu ruinieren. Sowas gibt einem doch
zu denken, oder?
Jocasta steuerte den Harmony auf die Stewart Street und in das Parkhaus un-
ter dem Tower. Der Parkwchter schaute in den Wagen, und sein Gesicht lie
doch einigen Zweifel erkennen, als er mich musterte. Aber er ffnete das Tor
und lie uns nach unten fahren. Jocasta und ich tauschten ein rasches Grinsen
ber die geckenhaft aussehenden schwarzen Handschuhe und den Zorro-Hut des
Wchters, aber meine Belustigung hielt sich angesichts der Gerchte ber die
Sicherheit im Westlake Center in Grenzen. Tod in Menschengestalt war das, was
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mir zu Ohren gekommen war trotz des dmlichen Outfits. Und jene gelack-
ten schwarzen Handschuhe waren in Wirklichkeit Schockhandschuhe mit genug
Saft, um selbst einem Troll jegliches Interesse zu verderben.
Es war kurz nach 23.30 Uhr, und alle Geschfte im Center wrden geschlossen
haben. Einige von den Restaurants und die Bierkneipe namens Noggins wr-
den noch eine oder zwei Stunden geffnet haben, und auf den Zeitparkebenen
stand immer noch eine Reihe von Wagen. (Die Wagen der Mieter standen, wie
ich wute, nett und behtet ein paar Ebenen weiter unten.) Jocasta folgte den
Leuchtzeichen, die Aufzug zur Westlake Tower Lobby verkndeten, und parkte
so nah bei den Aufzgen, wie sie konnte.
Sie stellte den Motor ab. Wir sind da, sagte sie, aber wie kommen wir nach
oben? In der Lobby mssen sich doch Sicherheitsbeamte aufhalten.
Ich lchelte, um die Tatsache zu verheimlichen, da ich diese Frage auch nicht
beantworten konnte ... noch nicht. Ich war ziemlich zuversichtlich, da wir ir-
gendwie einen Weg finden wrden, an jeder Art Sicherheitsvorkehrung vorbei zu
kommen. Vielleicht liegt das an meinem Anflug kindlicher Unschuld. Vertrauen
Sie mir, sagte ich treuherzig. Sie wrdigte diese Bemerkung nicht einmal mit
einem hhnischen Schnauben.
Wir waren aus dem Wagen, und Jocasta schaltete gerade die Alarmanlage ein,
als ich es hrte: Das explosive Rhren grovolumiger Motorrder, das durch die
betonierte Enge des Parkhauses hallte. Mehrerer Motorrder, was in mir kein be-
sonders angenehmes Gefhl wachrief. Eine Motorradgang in Stimmung wrde
ihre Zeit nicht damit verschwenden, im unterirdischen Parkhaus des Westlake
Centers herumzugondeln, aber ich war nicht mal in der Stimmung, mich mit
ein paar Mchtegerns auseinanderzusetzen. Ich schnappte mir Jocastas rechten
Ellbogen und bugsierte sie zu den Aufzgen.
Wir schafften es nicht rechtzeitig. Die schweren Maschinen rhrten sich immer
noch stckchenweise nher, als das erste Motorrad schlitternd vor uns zum Ste-
hen kam. Es war eine von diesen neuen japanischen Raketen mit einer Antriebs
turbine, die selbst voll aufgedreht nicht viel lauter als ein elektrischer Ventilator
ist. Die Maschine sah schnell und gemein aus, und ihr Fahrer pate zu ihr.
Er war der klassische Elf gro und schlank, hohe Wangenknochen, leicht
spitz zulaufende Ohren und trug eine mahagonifarbene Lederkluft, eine Nu-
ance heller als seine Haut. Um das rechte Handgelenk trug er irgendein klobiges
Armband. Ich konnte nichts damit anfangen, aber es kam mir vage vertraut vor.
Seine kleinen Locken waren kurz geschnitten und rot gefrbt. Als er uns angrin-
ste, begriff ich zunchst nicht, warum er eine fast greifbare Aura der Bedrohung
auszustrahlen schien ... dann sah ich, da seine Zhne spitz zugefeilt waren.
Charmanter Bursche. Ich versuchte die Farben auf dem Rcken seiner Jacke zu
erkennen, aber er stand so, da ich sie nicht sehen konnte.
Der Elf lie den Gashebel los und streckte die Hand, als wolle er die Finger ent-
krampfen. Die Beschlge auf seinen fingerlosen Handschuhen fingen das Licht
perfekt ein. Es wirkte fast theatralisch, aber ich fhlte mich ein wenig zu sehr
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gestret, um seine Vorstellung wirklich genieen zu knnen.
Guten Abend, ihr Helden, sagte der Elf mit samtweicher Stimme. Wir woll-
ten wohl gerade nach oben fahren, wie? Nun, vielleicht wrdet ihr vor eurem
Abgang noch gern ein wenig mit meinen Freunden und mir, h, plaudern.
Auf dieses Stichwort trafen auch die anderen Maschinen ein. Drei, um genau
zu sein, zwei Harleys und noch eine von diesen leisen Kamikaze-Schleudern.
Die Harley-Fahrer waren menschlich. Der Bursche auf der Suzuki Aurora war
ein Ork, der auch fr einen Troll durchgegangen wre. Alle drei trugen dieselben
mahagonifarbenen Lederklamotten wie ihr Anfhrer. Das Drhnen schmerzte
mir krperlich in den Ohren und rief klopfende Erschtterungen in meiner Brust
hervor. Als einer der Harley-Fahrer nur so zum Vergngen am Gasgriff drehte,
sprte ich, wie Jocasta neben mir zusammenzuckte. Meine Ohren klingelten wie
Glocken.
Der Anfhrer sagte wieder etwas. Zumindest bewegten sich seine Lippen, aber
ich konnte ber dem Lrm, der immer noch durch die unterirdische Enge hallte,
kein einziges Wort verstehen. Ich schttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen
...
Und mein Blick fiel auf den Ork, der die Aurora fuhr. Er hielt etwas in der
Hand, und seine Augen zuckten zwischen diesem Etwas und uns hin und her.
Dann nickte er dem Anfhrer kaum merklich zu.
In meinem Bauch brannte pltzlich Angst wie ein Klumpen schmutzigen Eises.
Obwohl ich es nicht sehen konnte, wute ich, was der Ork in der Hand hielt: Ein
Holo von einem von uns oder sogar von uns beiden. Falle!
Mit aller Kraft stie ich Jocasta nach links zwischen zwei geparkte Wagen und
warf mich dann hinterher. Whrenddessen sah ich die Maschinenpistole des Elfs
aus dem Halfter gleiten. Die Zeit schien sich zu dehnen, und alles bewegte sich
pltzlich mit qulender Langsamkeit. Ich sah, wie der Lauf der Maschinenpistole
hochkam, sah den Elf den Abzug drcken. Die ersten Kugeln prallten vom Bo-
den ab, whrend der Rckschlag den Lauf nach oben und auf mich zu ri.
Dann war ich hinter dem Wagen und prallte gegen Jocasta, so da wir beide zu
Boden gingen. Kugeln fuhren in die Karosserie des Wagens, aber keine durch-
schlug sie. Ich griff nach Jocasta und kroch mit ihr unter den nchsten Wagen in
der Reihe. Ihre Augen waren geweitet, und sie war totenbleich, aber sie schien
sich unter Kontrolle zu haben. Ich kam zu dem Schlu, da sie wohl nicht zu-
sammenbrechen und uns damit beide geeken wrde. Dann gab es eine drhnende
Erschtterung, die mir bis tief in die Knochen fuhr, und der Wiederverkaufswert
des ersten Wagens, hinter dem wir Schutz gesucht hatten, sank drastisch. Einer
der Motorradfahrer hatte schwere Artillerie dabei oder ich betete, da es nicht
stimmte war magisch aktiv. Nun, eins nach dem anderen. Whrend immer noch
Wagentrmmer zu Boden klapperten und dadurch die Gerusche unserer Be-
wegungen bertnten, zog ich Jocasta noch einen Wagen weiter und dann eine
Reihe hher. Die taktische Entscheidung war simpel: So schnell wie mglich und
soviel wie mglich Distanz und Metall zwischen uns und die Motorradfahrer
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legen.
Natrlich wuten sie das ebensogut wie ich, und sie waren im Vorteil, was
Geschwindigkeit anbelangte. Wir hatten die Nase nur so lange vorn, wie wir uns
zwischen oder unter den geparkten Wagen halten konnten, wohin sie uns nicht so
leicht folgen konnten. Unglcklicherweise bedeutete das, wir waren mehr oder
weniger festgenagelt. Die Doppelreihe der Wagen, in der wir uns versteckten,
war vielleicht zwanzig Wagen lang, aber wir wrden niedergemht werden, so-
bald wir uns aus dieser Deckung hervorwagten, um beispielsweise zum Aufzug
oder zu Jocastas Wagen zu rennen, der in einer anderen Reihe stand. Ich mute
einen Weg finden, die Chancen ein wenig auszugleichen. Dunkelheit, vielleicht.
Ich sah auf und erwog, die Deckenlampen auszuschieen. Aber ich sah sofort,
da es zu viele gab. Ich hatte nicht genug Munition, um sie alle zu erwischen,
und die Motorradfahrer wrden mir nicht gengend Zeit lassen. Sobald ich unse-
ren Standort verriet, wrden sie ber uns herfallen.
Der Betonbau hallte von Motorenlrm wider. Die Maschinen fuhren wieder
los, wobei sie sich zweifellos teilten, um uns einzukreisen. Ich lie Jocasta los,
zog meine Pistole und legte den Sicherungsflgel um. Die zweieinviertel Kilo
Metall lagen beruhigend in der Hand. Ich umklammerte die Waffe wie einen
Talisman und ging in die Hocke, bereit, einen raschen Blick ber die Haube des
Wagens neben mir zu werfen. Die Motorrder fuhren, und ihr Motorenlrm gab
mir einen Hinweis auf ihre ungefhre Position. Aber die Echos waren so trge-
risch, da ich mich mit den Augen berzeugen mute. Ich griff die Pistole noch
fester und wappnete mich innerlich.
Gerade als ich den Kopf heben wollte, erhaschte ich eine Bewegung aus dem
Augenwinkel. Ich fuhr herum.
Es war der Ork auf seiner turbinengetriebenen Aurora. Whrend die Harley-
Fahrer ihre Hobel aufheulen lieen, htte ich seine Annherung niemals hren
knnen, was natrlich genau das war, worauf der Ork gebaut hatte. Er grinste
bsartig, eine Hand am Gasgriff seiner Maschine, die andere ber dem Kopf,
als sei er bereit, einen Baseball zu werfen. Aber das war kein Baseball in seiner
Hand. Es war ein Ball aus wirbelnder, leuchtender Energie, irgendein Zauber,
und er war bereit, ihn auf uns zu schleudern. So schnell ich konnte, ri ich den
Manhunter hoch. Mein Zeitgefhl war immer noch im Turbomodus, also hatte
ich massenhaft Zeit, das widerliche Grinsen des Orks noch breiter werden zu
sehen.
Wir wuten beide, da ich es nicht schaffen wrde. Seine Muskeln spannte
sich, als er Anstalten traf, den Zauber loszulassen.
Und dann blinkte pltzlich der winzige rote Fleck zwischen seinen Augen, die
sich weiteten, als ein niedliches Loch zwischen seinen Brauen erschien und sein
Kopf zurckgeworfen wurde. Der Zauber was auch immer entlud sich, scho
hoch, prallte dann von der niedrigen Decke ab und brachte einen Wagen zwei
Reihen weiter zur Explosion. Ork plus Motorrad kippten um und landeten mit
dumpfem Knall.
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Ich sah zu Jocasta hinunter. Sie deutete mit ihrem Colt America immer noch
auf die Stelle, wo sich das Gesicht des Orks befunden hatte. Der Finger lastete
immer noch mit ausreichend Druck auf dem Abzug, um den Ziellaser weiterhin
in Betrieb zu halten. Sie war stocksteif, als sei sie aus Marmor gemeielt. Dann
begann ihre Hand zu zittern. Die Pistole schwankte, und der Laser erlosch. Ich
ergriff ihre Schulter, sprte sie bei der Berhrung zusammenfahren. Sie sah mich
mit benebelten Augen an. Ich wute, was jetzt in ihr vorging. Sie hatte zum
erstenmal einen Menschen erschossen. Sicher, sie war mit ihrer Waffe vertraut
und wahrscheinlich verdammt gut im Scheibenschieen. Aber sie hatte noch
nie auf ein lebendiges Wesen geschossen, hatte noch nie persnlich und aus der
Nhe erlebt, was ihre kleine Pistole Fleisch und Blut antun konnte. Ich drckte
ihre Schulter und schenkte ihr mein bestes beruhigendes Schei-auf-die-Welt-
Lcheln, whrend ich sie gleichzeitig im Geiste anschrie, es zu vergessen und zur
Tagesordnung berzugehen. Ich war ziemlich erleichtert, als sich ihre Lippen zu
einem schwachen Lcheln kruselten. Bleiben Sie hier, sagte ich und bewegte
mich dann im Watschelgang vorwrts was meinen Knien nicht besonders gut
tat , indem ich den Kopf unten hielt.
Einen Wagen weiter streckte ich den Kopf kurz heraus, um zu sehen, was die
anderen Motorradfreaks machten. Wie ich es anhand des Motorenlrms schon
vermutet hatte, knatterten die Harleys um den immer noch frhlich vor sich hin
brennenden Wagen herum, der durch den Zauber des Orks demoliert worden
war. Doch nicht sie bereiteten mir Kopfzerbrechen, sondern ihr Anfhrer. Mit
seiner verteufelt leisen Maschine konnte er berall sein, und ich wrde es erst
wissen, wenn er mich mit seiner Maschinenpistole in Stcke scho. Ich riskierte
einen raschen Rundumblick.
Und da war er, eine Reihe weiter, und fuhr im Schritttempo auf uns zu. Wie ein
guter General hatte er seine Truppen fortgeschickt, um sich den Schauplatz des
Tumults aus der Nhe anzusehen, whrend er anderswo herumgondelte fr den
Fall, da der gegrillte Wagen eine Ablenkung war. (Was er auch war, wenn auch
eine unabsichtliche.) Ich duckte mich wieder und berdachte meine Mglichkei-
ten. Die Karre des toten Orks war eine verfhrerische Mglichkeit, aber einen
Augenblick spter verwarf ich sie wieder. Ich kann ein Motorrad fahren, aber ich
gehre nicht zu den Besten und kann es nicht mal annhernd mit dem Mitglied
einer Motorradgang aufnehmen.
In diesem Augenblick griff Jocasta nach meinem Fuknchel. Ich war so ber-
reizt, da meine Reflexe nicht wuten, ob ich sie wegpusten oder laut aufschrei-
en sollte. Ich lste das Problem, indem mir ein kleines kindisches Migeschick
unterlief. Ich funkelte sie an.
Aber sie schaute gar nicht in meine Richtung. Sie zeigte ber den freien Mittel-
gang. Ich folgte ihrem Finger und fing an zu grinsen.
Da gab es weitere Aufzge, die jedoch nicht in die Lobby des Westlake Tow-
ers, sondern zur Einkaufspromenade im Westlake Center fhrten. Die Fahrsthle
selbst ntzten uns nichts. Ich konnte uns frmlich davor stehen und auf die Kabi-
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ne warten sehen, whrend wir ein paar Kilo Hochgeschwindigkeitsblei schluck-
ten.
Nein, danke. Aber neben den Aufzgen befand sich eine rote Tr mit der Auf-
schrift Notausgang. Da wir uns unter der Erde befanden, muten sich hinter
dieser Tr Treppen befinden, die zur Promenade fhrten. Genau das, was wir
brauchten. Wenn die Treppen nicht ungewhnlich breit oder die Motorradfreaks
nicht ungewhnlich gut waren, gab es keine Mglichkeit fr sie, ihre Maschinen
mit nach oben zu nehmen. Was bedeutete, wir wrden auf einer Stufe stehen, was
die Mobilitt betraf, aber wir wrden den Hhenvorteil haben, whrend wir jene
Treppen raufflitzten. Perfekt.
Perfekt wenn wir die Treppen erreichten, ohne unterwegs durchlchert zu
werden. Die Harley-Fahrer waren fr die wenigen kostbaren Sekunden, die wir
bentigten, aus dem Rennen. Aber der Anfhrer auf seiner Kamikaze-Schleuder
wrde uns in dem Augenblick sehen, in dem wir aus der Deckung hervorbrachen,
und uns in ein Sieb verwandeln. Ich riskierte noch einen Blick in der Hoffnung,
er knnte wenden oder in eine andere Richtung fahren. Kein Glck. Ich wute,
da uns die Zeit davonlief. Wahrscheinlich blieben uns nur noch Sekunden, bis
die Harley-Fahrer zu dem Schlu kamen, da der brennende Wagen uninteres-
sant war, und sich wieder zu ihrem Bo gesellten.
Die Treppe, zischte ich Jocasta zu. Machen Sie sich bereit. Sie nickte und
spannte sich fr den Spurt.
Ich spannte mich ebenfalls, aber nicht, um zu rennen. Noch nicht: Ich mute
den Elf ablenken, und auf subtile Weise war da nichts zu machen. Ich streckte
den Kopf noch einmal ber die Haube des Wagens hinaus und packte meine
Pistole fester, um das Zittern in der Hand zu unterdrcken. Der Kopf des Elfs
zuckte abwechselnd nach rechts und links, whrend er die Wagenreihe abfuhr.
Ich wartete, bis er in die falsche Richtung sah ...
Jetzt. Ich kam hoch und legte an. Ich zog viermal durch, und der groe Man-
hunter brllte seine Antwort hinaus. Der Rckschlag ri mir fast die Hand ab,
und die akustischen Vollzugsmeldungen waren wie Schlge auf meine ohnehin
mihandelten Ohren. Ich wei, da ich ihn mit dem ersten Schu und vielleicht
auch mit dem zweiten traf. Mir kam es mehr darauf an, die Schsse schnell ab-
zugeben, als gegen den Rckschlag anzukmpfen, um auf dem Ziel zu bleiben,
so da der dritte und vierte Schu danebengingen. Aber sie lagen wahrscheinlich
so knapp daneben, da er sie hren konnte (und wenn Sie jemals den Peitschen-
knall einer knapp vorbeifliegenden Kugel aus einem Manhunter gehrt haben,
wissen Sie, wie sehr einen das ablenken kann). Jedenfalls wurde er nach hinten
geworfen, als habe er einen Tritt gegen die Schulter bekommen, und sein Motor-
rad kippte um. Ich glaubte nicht, da ich ihn schwer verletzt hatte die Leder-
klamotten waren mit Sicherheit gepanzert , aber zumindest war er fr ein paar
Sekunden auer Gefecht.
Los! rief ich Jocasta zu. Sie rannte wie ein Hase auf den Notausgang zu,
und ich war ihr dicht auf den Fersen. Sie stie die Tr auf und jagte hindurch.
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Ich folgte ihr, als um mich herum Kugeln in Wand und Trrahmen schlugen. Ich
wartete nicht erst ab, um zu sehen, was los war, sondern ich war ziemlich sicher,
da Freund Elf uns einen Abschiedsgru hinterher schickte. Ich knallte die Tr
hinter mir zu und sah mich nach irgendwas um, mit dem man sie verbarrika-
dieren oder absperren konnte. Doch bei dieser Tr handelte es sich schlielich
um einen Notausgang, was bedeutete, die Tr war so konstruiert, da sie nicht
versperrt werden konnte. Ich gab dieses Vorhaben dann auch sofort auf und jagte
hinter Jocasta her, die Betontreppen hinauf. Breite Treppen, breit genug fr die
Kamikaze-Schleuder, aber immerhin zu schmal fr die Harleys.
Eine Treppe, zwei Treppen, und das Blut pochte mir noch lauter in den Ohren
als unsere stampfenden Schritte. Wir waren auf der Hlfte der dritten, als ich
die metallene Notausgangstr auffliegen hrte, begleitet vom Geknatter einer
Maschinenpistole. Die Freaks hatten sich gedacht, wir knnten es vielleicht mit
einem Hinterhalt versuchen, und gingen jetzt kein Risiko ein. Ich wnschte mir
eine Granate oder etwas gleichermaen Unerfreuliches, was man die Treppe run-
terwerfen konnte, um die Kids zu beschftigen, aber natrlich habe ich nie das
passende Geschenk bei mir.
Noch eine halbe Treppe, und ich hrte das Gerusch, vor dem ich mich ge-
frchtet hatte: Das Heulen einer hochdrehenden Turbine. Freund Elf hatte seine
Maschine mitgebracht und ging die Treppen an. Wir hatten nicht mehr viel Zeit.
Auf dem Absatz dieser Treppe ri Jocasta die Tr auf und blieb stehen. Einen
Augenblick spter stand ich neben ihr. Vor uns lag ein kurzer Flur. Direkt rechts
neben uns war ein weiterer Notausgang, dessen Tr mit einer Paniksperre verse-
hen war. Wahrscheinlich fhrte er nach drauen. Am anderen Ende des Flurs war
eine hell gestrichene Tr mit der Aufschrift Zur Promenade.
Nach drauen auf die Strae? Oder auf die Promenade mit ihren Menschen-
massen und dem dmlichen Wachpersonal (hoffentlich). So gesehen, fiel die
Wahl nicht schwer. Kommen Sie, schrie ich und ri Jocasta beinahe von den
Beinen, als ich auf die Tr zur Promenade zu rannte. Dem Geruschpegel nach
zu urteilen, war uns der Elf dicht auf den Fersen. Ich durchlebte einen entsetz-
lichen Augenblick, als sich der Trknopf keine Paniksperre hier nicht sofort
drehte. Aber dann probierte ich es anders herum, und die Tr ffnete sich pro
blemlos. Erst im letzten Augenblick dachte ich daran, meine Kanone zu verstau-
en, dann traten wir durch die Tr und schlossen sie hinter uns.
Wir standen einen Augenblick da, berwltigt von der Verwandlung. Von der
Leben-und-Tod-Welt der Tiefgarage waren wir direkt in das Alles-wie-Immer ei-
ner protzigen Konzernpromenade geschneit. Helle Lichter, auf geschmackvolle
Weise die Aufmerksamkeit fesselnde Schaufensterauslagen, sogar ein paar ver-
frhte Weihnachtsdekorationen hingen hier und da. Es waren nicht viele Leute
unterwegs, da die meisten Geschfte bereits geschlossen hatten, aber die paar
Kunden, die noch aus den Restaurants und Bars kamen oder hineingingen, waren
in hnlichem Stil oder zumindest derselben Qualitt gekleidet wie Jocasta.
Ich war ziemlich fehl am Platz.
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Wen kmmerte das? Einer der Westlake-Sicherheitsbeamten, ein Troll, der mit
seinem Zorro-Hut wie ein echter Geck aussah, beugte mich mit unheilvollem
Blick. Wenn wir schnell genug von hier wegkamen, wrden Zorro samt seiner
Truppe und die Freaks sich vielleicht gegenseitig beschftigen, bis wir uns ver-
zogen hatten.
Ich konnte das Turbinenmotorrad des Elfs selbst durch die geschlossene Tr
hren. Wir hatten keine Zeit. Ich griff wieder nach Jocastas Ellbogen und zog sie
von der Tr weg. Zorro, der Troll, stand ber uns im Zwischengescho und mu-
sterte uns ber das Glasgelnder hinweg. Je frher er in die Action einbezogen
wurde, desto besser.
Hey, Wache, rief ich ihm winkend zu. Wir brauchen Hilfe hier unten. Unten
ist irgendwas los.
Er scho einen finsteren Blick auf uns ab, und ich sah ihn etwas in sein Kopfset
murmeln. Dann fuhr er die Rolltreppe zu uns hinunter. Er legte die schwarz be-
handschuhten Hnde zusammen und drckte, und die Schultern seiner Uniform
rissen beinahe in den Nhten, als sich seine Muskeln bewegten. Na schn, ich
war beeindruckt. Jocasta und ich entfernten uns weiter von der Tr und steuerten
die nach oben fhrende Rolltreppe an. Ein nach Konzern aussehendes Prchen
war auf dem Weg nach oben. Als die beiden den Troll passierten, gnnte dieser
ihnen einen kurzen Blick und tippte in flchtigem Gru an die Hutkrempe.
Deshalb war er auch abgelenkt, als die Nottr aufflog und der Elf auf die Pro-
menade donnerte. Der Troll wirbelte herum und ri seine blutunterlaufenen Au-
gen sperrangelweit auf. Er griff nach seiner Waffe, griff schnell danach.
Doch der Elf hatte seine Maschinenpistole bereits drauen und schubereit. Er
zog den Abzug durch und leerte den gesamten Munitionsclip in den Troll, bevor
dessen Waffe auch nur aus dem Halfter heraus war. Der Troll stand einfach nur
da, und einen Augenblick dachte ich, seine gepanzerte Uniform htte es tatsch-
lich geschafft. Aber dann scho das Blut aus einer Vielzahl von Kopfwunden,
und er strzte vornber Krach, Peng die Rolltreppe hinunter. Die Konzern-
frau schrie, und ihr Partner warf sich sehr mutig flach auf den Boden, um es ihr
allein zu berlassen, alles Blei, das in ihre Richtung geflogen kam, zu absorbie-
ren. Ich rannte die Rolltreppe hinauf und zog Jocasta hinter mir her. Ich stie
die Konzernbraut beiseite, und ich glaube, ich trat ihrem Verehrer auf den Hals.
Jocastas hochhackige Stiefel muten einen empfindlicheren Teil seiner Anatomie
getroffen haben, weil er schrill aufschrie.
Ich riskierte einen raschen Schulterblick. Der Elf hatte einen neuen Clip in
seine Waffe eingelegt und legte gerade los. Kugeln schlugen Funken auf den Me-
tallstufen der Rolltreppe und prallten als Querschlger davon. Die Kugeln entris-
sen der Konzernbraut einen heiseren Schrei und warfen sie als blutiges Bndel
auf die Stufen. Der Elf benutzte wieder seinen Lieblingstrick, indem er die Waffe
mit dem Rckschlag auf sein Ziel uns zuwandern lie. Wir hatten vielleicht
eine Sekunde. Aber wir waren am Ende der Rolltreppe angelangt. Ich warf mich
vorwrts, wobei ich Jocasta mit mir nach unten ri. Bevor ich auf dem Boden
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landete, knallte etwas mit der Wucht eines Baseballschlgers gegen meinen lin-
ken Ellbogen. Ich hatte das Gefhl, als stnde pltzlich mein Arm in Flammen.
Ich verbi mir eine laute Obsznitt und rollte vom Ende der Rolltreppe weg.
Schnell sah ich mich um. Keine Wache hier oben.
Warum nicht? Hatten die Schwachkpfe die Schsse und das Motorrad nicht
gehrt?
Das Motorrad ... Ich duckte mich und riskierte einen raschen Blick die Roll-
treppe hinunter. Konzernbraut und Konzernbubi lagen immer noch auf der
Rolltreppe, perfekte Hindernisse. (Hindernisse? Ja. Ein guter Fahrer kann auf
ebenem Gelnde ber einen flach ausgestreckten Krper fahren, ohne ein ber
miges Sturzrisiko einzugehen. Aber nicht auf einer Rolltreppe. Der Elf konnte
es vielleicht schaffen, aber vermutlich wrde er ber das Schutzgitter segeln,
bevor er wute, wie ihm geschah.) Der Elf durchschaute die Situation ebenfalls.
Er stand am Fu der Rolltreppe und drehte wtend am Gas, whrend er die bei-
den Hindernisse anfunkelte. Was bedeutete, er sah nicht in meine Richtung. Ich
zog den Manhunter und zielte auf sein dunkles Gesicht. Wie man uns bei Lone
Star beigebracht hat und wie der Trollwchter mit fr ihn endgltigen Folgen
bemerkt hatte , bewahrt einen selbst der beste Krperpanzer der Welt nicht vor
einem Kopfschu. Ich schaltete den Ziellaser dazu, um ganz sicherzugehen ja-
woll, mitten im Gesicht und streichelte zweimal den Abzug.
Aber der Wichser mute das Aufblitzen des Lasers gesehen haben. Er warf
sich zur Seite, gerade als die groe Pistole losdonnerte, und schickte mir einen
schnellen Feuersto entgegen, der mich dazu veranlate, mich in Deckung zu
wlzen. Beinahe, verdammt. Ich kroch auf allen vieren zu Jocasta, die sich hinter
einer Bank aus synthetischem Marmor verkrochen hatte. Sie hatte ihre Pistole
herausgeholt und zielte damit auf das obere Ende der Rolltreppe. Gute Idee. Ich
schlo mich ihr an und nahm dasselbe Ziel aufs Korn. Wenn der Elf die Rolltrep-
pe heraufkam was er tun wrde, das wute ich , wrden wir ihn von seiner
schicken Karre pusten. Bis dahin war dann hoffentlich die Westlake-Sicherheit
eingetrudelt, um sich der beiden Fusoldaten anzunehmen.
Die Leiche der Konzernmieze erreichte das Ende der Rolltreppe, gefolgt von
dem Konzernbubi. Er lebte noch, und in dem Augenblick, in dem er oben ange-
kommen war, hechtete er ber sein verflossenes Rendezvous und steuerte unbe-
kannte Gefilde an. Ich wischte mir kalten Schwei von der Stirn und bemhte
mich um eine ruhige Hand. Der Elf mute jeden Augenblick kommen.
Ein donnernder Schu aus einer Schrotflinte und ein Schrei erklangen hinter
uns. Ich sah mich um. Der Konzernbubi war auf dem Boden zusammengebro-
chen und fast in zwei Teile gespalten. Ein Dutzend Meter weiter war eine mit
mahagonifarbenem Leder bekleidete Gestalt aus einem Durchgang zwischen
zwei Ladenfronten getreten. Er legte eine neue Patrone in die Kammer seiner
groen Schrotflinte ein und richtete die Mndung auf uns. Ich rollte herum und
schickte ein paar Kugeln in seine Richtung. Keine Chance, ihn zu treffen, aber er
war so damit beschftigt, sich zu ducken und Deckung zu suchen, da sein eige-
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ner Schu weit danebenging. Ein Schaufenster explodierte in tausend Scherben,
und die gut gekleideten Puppen darin fielen auseinander.
Ich schickte ihm noch eine Kugel entgegen, schrie Jocasta zu, Weg hier! und
rannte in die andere Richtung. Jocasta zgerte ich glaube, sie wollte immer
noch dem Elf eins verpassen , aber die Klugheit setzte sich schlielich durch.
Beim Rennen wollte sie wissen: Wo ist der denn hergekommen?
Ich zuckte die Achseln und versetzte mir dann im Geiste einen Tritt. Der Elf auf
dem Motorrad hatte dieselbe Treppe genommen wie wir. Aber die beiden ande-
ren Burschen konnten jeden anderen Weg einschlielich der Aufzge genommen
haben. Der zweite Harley-Fahrer konnte berall sein, sogar hinter der nchsten
Ecke. Wir bogen scharf nach rechts ab, in einen der Arme der kreuzfrmigen
Promenade.
Und der andere Freak war hinter der nchsten Ecke. Direkt dahinter, etwa einen
Meter. Nachdem wir wie ein Gterzug um diese Ecke kamen, hatte er gerade
noch genug Zeit die Augen aufzureien, bevor ich in ihn hineinpflgte. Er flog
in eine Richtung, seine Kanone in eine andere, also jagte ich ihm aus nchster
Nhe eine Kugel in die Brust, und wir rannten weiter. Ein weiteres Schaufenster
zersplitterte hinter uns, diesmal jedoch aufgrund von automatischem Feuer. Das
bedeutete, Freund Elf hatte die Rolltreppe bezwungen und war wie der Teufel
hinter uns her.
Wir nahmen eine weitere scharfe Rechtskurve und kamen schlitternd zum
Stehen. Ein paar Meter vor uns standen zwei Sicherheitsbeamte vom Typ Zor-
ro, die Waffen gezogen und bereit, uns auf der Stelle zu geeken. Ich versuchte
ein unbefangenes Lcheln aufzusetzen, aber es ist schwer, harmlos auszusehen,
wenn man zweieinviertel Kilo Ziellaser-untersttztes Metall in der Hand hlt.
Keine Bewegung! schnauzte einer der Zorro-Cops. Fallen lassen, jetzt!
fgte sein Partner hinzu. Ich bewegte mich nicht und wollte gerade den Manh-
unter fallen lassen.
Und da trat Jocasta vor. Ihre Hnde waren leer. Ihr Colt war auf wunderbare
Weise verschwunden. Ihre Haltung war aufrecht, ihre Miene reserviert, und sie
sah mit jeder Faser ihres Krpers wie ein hoher Konzernexec aus. Er ist mein
Leibwchter, ihr Idioten, schnauzte sie zurck. Die Killer sind hinter uns.
Ihre Vorstellung war tadellos. Die Zorro-Cops sahen das auch so. Die beiden
Kanonen schwankten.
Diesen Augenblick whlte Freund Elf, um mit flammender Maschinenpistole
um die Ecke zu biegen. Ein Zorro-Cop wurde herumgerissen und ging zu Boden,
whrend das Blut aus seinem Hals sprudelte, und ich sprte etwas gegen die
Rckseite meines Dusters hmmern. Der andere Wchter verlegte seinen Ziel-
punkt von meinem Nasenrcken auf einen Punkt hinter mir und feuerte eine
schnelle Salve ab. So nah vor ihm konnte ich den berdruck der MP wie Schlge
auf meinem Gesicht spren. Ich schickte dem Elf obendrein noch eine Kugel aus
dem Manhunter entgegen.
Der Freak hatte eigentlich in unsere Richtung fahren wollen, aber der uner-
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wartete Bleihagel nderte seine Meinung. Er beendete die Kurve nicht, sondern
fuhr geradeaus ber die Kreuzung. Unser Sicherheitsmann plapperte irgendwas
von Motorradgangs in sein Kopfset und nahm zu Fu die Verfolgung auf. (Ein
klassischer Fall von heldenhaftem Mut und fehlendem Verstand, wenn man mich
fragt.) Er umrundete die Ecke, und die Promenade hallte vom automatischen
Feuer wider. Ich hrte das hohe Jaulen der MP des Elfs und das tiefere Rhren
der MP des Zorro-Cops. Nein, mehr als eine dieser Waffen. Die Zorro-Cops tra-
fen doch noch in grerer Anzahl ein.
Was auch gut so war. Whrend sich Sicherheit und Freaks gegenseitig behark-
ten, konnten Jocasta und ich uns rar machen. Ich kehrte dem Spektakel den Rc-
ken und begann wieder zu laufen, wobei ich im Vorbeigehen nach Jocastas Arm
griff. Sie schttelte mich mit einem Fluch ab, folgte mir jedoch.
Wir befanden uns in einem kleineren Nebenarm der Promenade, und vor uns
befand sich eine Wand aus Glas. Die Lichter des nchtlichen Seattle leuchte-
ten hindurch, wenn auch ein wenig verschwommen und mit einem grnlichen
Schimmer vom kugelsicheren Transparex. Waren wir in einer Sackgasse gelan-
det?
Nein. Dort war eine Tr, ein weiterer Notausgang. Mit Jocasta auf den Fersen
lste ich die Paniksperre, und wir rannten in die kalte Nachtluft hinaus. Rechts
von uns war eine Betontreppe, links eine Rollstuhlrampe. Ich hrte mich die
Einrichtung von Rollstuhlrampen lauthals verfluchen. Wenn der Elf das Spie-
rutenlaufen mit den Wachen berstand, wrde er mit seiner Karre problemlos
die Rampe herunterrasen knnen. Wir nahmen die Treppe. Zwei Abstze, und
wir waren auf Straenniveau. Als ich stehenblieb, vermied es Jocasta soeben,
in mich hineinzulaufen. Ich zgerte, da sich mein Orientierungssinn bei unserer
Hatz durch die Promenade vllig in Luft aufgelst zu haben schien. Ich brauch-
te einen Augenblick, um alles auf die Reihe zu bekommen. Mich umschauend,
sah ich die groen beleuchteten Reklametafeln auf uns herabfunkeln: Eine fr
die Universelle Bruderschaft (Sei Alles, Was Du Sein Kannst), die andere fr
Fiberwear Wegwerfkleidung (Die Zukunft Ist zum Wegwerfen). Das verriet
mir, da wir auf dem Olive Way gelandet und etwa in sdstlicher Richtung
unterwegs waren. Die Umgebung des Westlake Centers ist weit und offen, eine
Art gepflasterter Park, und erstaunlich gut erleuchtet. Zu dieser Nachtzeit war die
Gegend vllig verlassen.
Nun, fast vllig. Ich sah einen meiner ehemaligen Kollegen einen Lone Star-
Motorradbullen, die brave Seele , der die Fnfte entlanggondelte und sich damit
von uns entfernte. Ich kam mir ziemlich exponiert vor.
Ich wollte schon wieder nach Jocastas Arm greifen, besann mich dann im letz-
ten Moment aber doch eines Besseren. Lassen Sie uns von hier verschwinden,
sagte ich auer Atem.
Was ist mit meinem Wagen?
Ich verkniff mir die Bemerkung, was genau sie mit ihrem Wagen anstellen
konnte. Holen Sie ihn morgen frh ab, riet ich ihr. Ich zahle auch die Park-
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gebhr.
Sie kochte, folgte mir aber dennoch, als ich den Olive Way berquerte. Zwi-
schen der Vierten und Fnften konnte ich eine Gasse ausmachen, deren Mn-
dung dunkel, sicher und einladend aussah. Mir war nach einem Sprint zumute,
aber ich hatte nicht mehr gengend Kraft, also verfiel ich in einen schmerzhaften
Trab. Whrend ich dahintrottete, warf ich einen Blick auf meine Uhr. Erst kurz
vor Mitternacht. In die letzten paar Minuten hatten wir eine ganze Menge hinein-
gepackt. Tja, so ist nun mal das Leben in der Grostadt.
Wir waren halb ber den Olive Way gekommen perfekt beleuchtet von den
Straenlaternen , als ich hinter uns einen weiteren Feuersto hrte, dann, wie
irgendwas Zerbrechliches zu Bruch ging, und schlielich ein frenetisches Heu-
len, das mittlerweile schon fast etwas Vertrautes an sich hatte. Zwar wute ich
bereits, was ich sehen wrde, aber ich schaute mich trotzdem um. Das Blauwei
eines Hochintensitts-Halogenscheinwerfers flackerte im Zickzack ber die
beleuchtete Glaswand des Westlake Centers. Der Elf war immer noch unterwegs
und wrde sich tatschlich bald zu uns gesellen. Jocasta sah es ebenfalls, und wir
legten einen Zahn zu. Hinein in die Gasse, und das Westlake Center entzog sich
unserem Blick.
Gassen sind sich alle sehr hnlich, ob sie sich nun in Redmond oder in der
Innenstadt hinter dem Mayflower Park Hotel befinden, wo wir jetzt gelandet
waren. Dieselben blau gestrichenen Mllcontainer, dieselben Aasfresser, sowohl
vier- als auch zweibeinig, die darauf warten, da man irgendwas Dmliches tut.
Diese Gasse rannten wir entlang, als sei der Teufel hinter uns her. Wir waren ein
paar Dutzend Meter von der Straeneinmndung entfernt, als ich die Bremse
zog. Die Gasse wurde durch zwei Mllcontainer, die einander ber die Leere
hinweg anstarrten, auf vielleicht sechs Meter Breite verengt. Ich zeigte auf den
Container zur Linken und versuchte Jocasta Anweisungen zuzukeuchen.
Sie begriff augenblicklich, was ich meinte, was sehr gut war, weil ich zu inten-
siv atmete, um zusammenhngend reden zu knnen. Ihre Pistole lag wieder in
ihrer Hand, als sie sich hinter den massigen Metallcontainer duckte. Das Schie-
fergrau ihrer Kunstlederklamotten verschmolz mit den Schatten, und sie ver-
schwand beinahe. Perfekt.
Ich tauchte in die Deckung des anderen Containers und hrte das Scharren
entweder einer groen Ratte oder eines kleinen Penners, als sich die oder der Be-
treffende beeilte, mir nicht in die Quere zu kommen. Mit meiner Kanone in der
Hand ging ich in die Hocke und schob den Kopf um die Ecke des Containers, um
die Gasseneinmndung zu beobachten. Ich berdachte kurz die Mglichkeiten
des Elfs, von denen er mehrere hatte. Wegen seines Vorgehens in der Promenade
glaubte ich in ihm jedoch den direkten, Mitten-ins-Gesicht-Typ erkannt zu ha-
ben. Die Chancen standen gut, da er uns in diese Gasse hatte rennen sehen, und
eben jene Chancen besagten, da er mit dem Gasgriff in der einen und seiner MP
in der anderen Flosse hinter uns her kommen wrde. Ich hrte das rasch nher
kommende Heulen einer hochgezogenen Turbine und spannte mich.
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Eines mu man diesem Elf wirklich lassen: Er hatte Mumm. Keinen Verstand,
aber echt Mumm. Er kam hereingedonnert, wobei er sich so tief in die Kurve
legte, da die Auspuffrohre seiner Karre auf dem Straenbelag Funken sprh-
ten. Sein Scheinwerfer blendete mich so sehr, da ich das Mndungsfeuer seiner
Waffe nicht mehr sehen konnte. Ich hrte und sprte jedoch, wie die Kugeln in
meinen Container einschlugen, und wute sehr wohl, da er die Gasse entlang
rauschte. Ich duckte mich tiefer, so da mein Gesicht auf Kniehhe war, und
zielte mit dem Manhunter.
Es war Jocasta, die trotz meiner Bereitschaft das Feuer erffnete. Ihr kleiner
Colt spie einmal Feuer, und der Scheinwerfer des Motorrads explodierte. Entwe-
der ein auergewhnlich guter oder ein extrem glcklicher Schu. So oder so,
ich wrde mich nicht deswegen beklagen. Durch die verschwimmenden roten
Nachbilder konnte ich seine Silhouette vor dem Hintergrund der erleuchteten
Gasseneinmndung sehen. Ich pflanzte ihm den Zielpunkt auf die Brust ein
Kopfschu war im Augenblick zu unsicher und zog den Abzug sechs-, sieben
mal durch. Die groe Kanone klickte leer in meiner Hand.
Jocasta legte sich ebenfalls mchtig ins Zeug, aber sie wandte den Trick an, den
die Filmcowboys niemals herausbekommen: Sie zielte auf das Pferd. Ihre Ku-
geln lieen die Funken vom Rahmen des Motorrads sprhen und trafen schlie-
lich den Treibstofftank, der in einer Stichflamme explodierte. Elf und Motorrad
gingen getrennte Wege. Er rutschte ber den Asphalt, prallte gegen eine Haus-
wand und schlug mit dumpfem Knall gegen Jocastas Container.
Jocasta bekam den Elf. Ich bekam das Motorrad. Brennend und funkenspr-
hend krachte es vor meinen Container. Die Gesetze der Impulsbertragung be-
wirkten, da der berderte Container einen krftigen Schub in meine Richtung
erhielt und das Metall gegen meine Schulter knallte. Ich vollfhrte einen viertel
Auerbachsalto und landete auf dem Kopf. In den nchsten paar Augenblicken
tat ich das, was man in einer derartigen Situation normalerweise tut: Ich sah den
hbschen bunten Sternen vor meinen Augen zu.
Ein schrilles Kreischen durchdrang das, was von meinem Bewutsein noch
brig geblieben war, das und Jocasta, die meinen Namen rief. Ich zwang mich
auf die Knie, weiter kam ich nicht. Sie packte meinen Arm jetzt wute ich, wie
irritierend das war und zerrte mich auf die Beine. Eine Sekunde schwankte ich,
dann schttelte ich den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen. Es schmerzte
teuflisch, brachte jedoch in der Tat ein wenig Klarheit zurck.
Das Kreischen war immer noch in meinen Ohren. Eigentlich berraschend, da
ich gedacht hatte, es sei eine Begleiterscheinung meiner innigen Bekanntschaft
mit dem Straenasphalt. Ich sah mich nach seinem Ursprung um.
Es war der Elf. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte ich, er schrie vor
Schmerzen wegen seines gebrochenen Rckgrats, aber dann dmmerte es mir. Es
war sein Armband. Kein Wunder, da es so vertraut ausgesehen hatte. Ich hatte
etwas hnliches whrend meiner Ausbildung bei Lone Star zu Gesicht bekom-
men, obwohl ich niemals selbst so eines besessen hatte. Es war einer der ber-
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wachungsmonitore der Lebensfunktionen, die DocWagon seinen Super-Platin-
Kunden aushndigt. Sobald dem Kunden irgendwas Kritisches zustt und
ich schtze, ein gebrochenes Genick fllt in diese Kategorie , ruft der Monitor
sofort einen von DocWagons Rettungswagen, whrend er ein ohrenbetubendes
Geheul von sich gibt, um alle Welt wissen zu lassen, da es jemanden erwischt
hat.
Mein vom Schock betubter Schdel hatte daran eine Weile zu kauen. Super-
Platin kostet fnfundsiebzig K pro Jahr. Echtes Geld, also, und keineswegs eine
Summe, von der man erwarten wrde, da sie ein Motorradfreak und sei er der
Gangbo berappen knnte. Und DocWagon ist sehr sorgfltig bei der berpr-
fung der Bonitt seiner Klienten.
Nun, darber konnte ich mir spter noch Gedanken machen. Jocasta zupfte
an meinem Arm, whrend sie stndig Lassen-Sie-uns-von-hier-verschwinden-
Gerusche machte. Klang wie eine gute Idee. Ich verfiel in einen schlurfenden
Trab, und wir verschwanden von dort.
Wir hielten uns in dunklen Gassen und berquerten auf diese Weise die Pine
Street. Wir hatten gerade die Pike Street einen Block weiter erreicht, als wir die
Sirene hrten und uns in den Schatten duckten. Es war ein Rettungswagen, wie
ich erwartet hatte, dessen Blaulicht und Sirene berstunden machten. berra-
schenderweise war es jedoch ein Wagen von Crashcart, nicht DocWagon. Ich
lugte um die Ecke, als der Rettungswagen mit quietschenden Reifen nach links
auf die Fifth einbog und verschwand. Sonderbar und immer sonderbarer.
W ir hielten eins von den neuen Automatentaxis an und fuhren wieder zu-
rck nach Bellevue. Jocasta hatte einen Kredstab keinen namentlich ge-
kennzeichneten in das dafr vorgesehene gefrige Maul des Taxis geschoben
und unseren Fahrtwunsch auf dem Tastschirm eingegeben. Dann hatte sie sich
in den Sitz gekuschelt und von der Welt im allgemeinen und mir im besonderen
zurckgezogen. Offensichtlich hatte sie einen ziemlichen Bra, wie mein alter
Chummer Patrick Bambra es ausgedrckt htte.
Doch es war keine normale Wut. Soviel war klar. Sie hatte eine gereizte, nerv-
se Unterstrmung, als benutze ihr Verstand die Wut, um nicht darber nachden-
ken zu mssen, was wir gerade erlebt hatten. Ich konnte den darin liegenden Reiz
sehr gut verstehen. Ich wnschte mir fast einen hnlichen Abwehrmechanismus.
Wir nherten uns der Brcke ber den Lake Washington, als ich sah, wie das Zit-
tern bei ihr einsetzte und sie die Lippen so fest zusammenprete, da sie beinahe
verschwanden. Der Schock fra sich jetzt durch die Fassade ihrer Wut. Wie sehr
ihr Unterbewutsein auch versuchen mochte, den Deckel daraufzuhalten, ihr
Verstand wrde die Schrecken des Erlebten nicht lnger zurckhalten knnen.
Ich konnte es als therapeutisches Manver rechtfertigen, um ihr zu helfen,
den Abwehrmechanismus aufrechtzuerhalten, der ihr dabei half, die Fassung zu
bewahren. In Wirklichkeit tat ich es natrlich aus dem absolut selbstschtigen
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Grund, da ich nicht mit Jocasta in einem geschlossenen Wagen sein wollte,
wenn sie innerlich auseinanderfiel. Ich sagte etwas, von dem ich glaubte, da es
ihrer Wut neue Nahrung geben wrde. Wir sind reingelegt worden, bemerkte
ich.
Sie sprang sofort darauf an und funkelte mich mit blitzenden Augen an. Sie
haben es verpatzt, spie sie mir ins Gesicht. Es htte keine Falle werden ms-
sen, wenn wir ehrlich gespielt htten. Ich wollte etwas sagen, aber sie schnitt
mir das Wort ab. Ich bin noch nicht fertig. Wenn ich angerufen htte, und zwar
so, wie ich es sollte, wre mir vielleicht ein anderer Ort fr ein Treffen genannt
worden. Fr ein sicheres Treffen.
Ich schaffte drei Worte: Aber die Motorradfreaks ...
Und sie legte wieder los. Sie waren da, um den Kontakt zu schtzen, falls
wir irgendwas Schwachkpfiges unternehmen wrden, wie zum Beispiel der Te-
lekomnummer nachzugehen. Wenn wir ehrlich gespielt htten, wren uns die
verfluchten Freaks nie ber den Weg gelaufen.
Das knnen Sie nicht wissen, protestierte ich.
Ich wei, da wir es versaut haben, scho sie zurck, und ich wei, da der
Kontakt fr uns verloren ist. Er wird mir nicht noch mal vertrauen. Und mehr
sagte sie nicht, weder zu diesem Thema noch zu einem anderen.
Sie kochte immer noch das Zittern der Wut war strker als das Schlottern der
Angst , als sie in Beaux Arts ausstieg. Ich beorderte das Taxi nach Purity und
fhlte mich sofort wie ein Stck Drek, da ich sie so gehen lie. Ich sah aus dem
Rckfenster, aber sie war bereits auer Sicht. Der wolkenverhangene Himmel
ffnete daraufhin wieder seine Schleusen, was absolut perfekt zu meiner Stim-
mung pate.
Am nchsten Morgen, Samstag, dem 23. November, schlief ich lange, und die
Bewohner Puritys waren bereits dabei, sich das Mittagessen zusammenzusteh-
len, als ich mich der Welt wieder anschlo. Die Schrammen an Ellbogen, Rc-
ken, Schulter und Kopf in dieser Reihenfolge durch Schlge von Kugel, Kugel,
Mllcontainer und Gasse verursacht nahmen alle Farben des Regenbogens an,
und ich fhlte mich sehr, sehr alt. Ich erwog kurz, Jocasta anzurufen, um mich
fr letzte Nacht zu entschuldigen, aber dann fiel mir wieder ein, da ich ihre
Nummer nicht hatte.
Ich trank gerade die erste Tasse Soykaf des Tages, als das Telekom summte.
Das grinsende Gesicht Bent Sigurdsens veranlate mich, die Videokamera zu-
zuschalten.
Sein Grinsen verblate ein wenig, als er mich sah. Hoi, Dirk, sagte er mit
einem Anflug von Besorgnis in der Stimme. Alles in Ordnung, Chummer?
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar, mehr aus Gewohnheit als aus dem
Glauben, es knne tatschlich helfen, und zuckte die Achseln. Wie knnte es an
so einem prchtigen Novembermorgen anders sein?
Nachmittag, korrigierte er mich.
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Was auch immer. Hast du irgendwas fr mich?
Er nickte. Was weit du ber 2XS?
To excess?*
Mh-mh. Zahl und Buchstaben: Zwo X-ray Sierra. Weit du irgendwas dar-
ber?
Ich schttelte den Kopf. Hab noch nicht mal davon gehrt.
Bent blickte finster drein, eine Miene, fr die sein Gesicht absolut ungeeignet
ist. Ich wnschte, ich knnte dasselbe sagen, bemerkte er traurig. Im Augen-
blick ist es eine echte Geiel der Strae. Lone Star, sogar das FBI, reien sich
den Arsch auf, um das Zeug auszumerzen oder zumindest rauszubekommen, wo-
her es kommt. Ich drfte dir das gar nicht sagen, aber bis jetzt heit es berall nur
Fehlanzeige. Niemand scheint den Finger drauflegen zu knnen.
Ich nickte verstndig. Und was ist 2XS?
Ein Chip. Ein neuer Chip.
Nur ein Chip?
Er seufzte. Ein Chip, wie SimSinn ein Chip und BTL ein Chip ist. Okay?
Ich rgerte mich ein wenig ber seine Knappe-Worte-knappe-Stze-fr-den-
Idioten-Methode, nickte jedoch. Okay.
Denk an den Unterschied zwischen einem SimSinn- und einem BTL-Chip.
SimSinn lt dich einen Film erleben, aber mit allen fnf Sinnen statt nur zwei-
en. BTL bewirkt dasselbe, verstrkt aber die sensorischen Signale bis an die
Grenzen des Mglichen. Er hielt inne, um sich davon zu berzeugen, da ich
folgen konnte. Jetzt nimm einen BTL-Chip ...
Okay, okay, warf ich ein. Ich habs begriffen.
Nun, 2XS ist der nchste Schritt. Wie BTL, aber es knallt auch auf der phy-
siologischen Ebene rein: Adrenalin, Endorphine, die ganze Palette, einfach al-
les. Offensichtlich kommt sich der Benutzer vor, als knne er die Welt regieren,
whrend der Chip luft. Aber er entfaltet seine Wirkung auf einer derart grund-
legenden Ebene, da man ihn nicht auf einem normalen SimSinn-Spieler laufen
lassen kann. Er mu in eine Datenbuchse gesteckt werden, so da er direkt ins
Hirn knallt.
Und natrlich ist er suchterzeugend wie nur was.
Er nickte. Klar. Physisch und psychisch. Einmal dran geschnuppert, und du
willst nichts anderes mehr.
Und natrlich zieht dich das Zeug runter, so da du am Ende bist, wenn du es
ein paarmal eingeworfen hast?
Ja, besttigte Bent. Ist ziemlich bel.
Ja, echote ich. Es klang auch ziemlich bel. BTL-Chips Better Than Life
waren schon schlimm genug. Anders als normale SimSinn-Chips hatten BTL-
Chips keinen Regler, keinen Begrenzer fr die Intensitt der Sinnesaufzeichnung.
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Eine harte Woche fr Blondinen.
Ich hatte keinen Grund, weiterhin Ausflchte zu machen, also kmmerte ich
mich um die Modalitten meiner Anstellung betreffend Long, Juli Carole (ver-
storben). Unter Benutzung der Standardkanle machte ich Ansprche auf die
Leiche geltend, wobei ich die Beschftigungs- und Lebensdaten benutzte, die
mir mein in Chicago beheimateter Mr. Johnson gegeben hatte. Dann leitete ich
alles in die Wege, da Julis sterbliche berreste in die wohlwollend ausgebreite-
ten Arme ihrer frheren Konzernheimat berfhrt wurden.
Um meine Gefhle zu schonen, bemhte ich mich, die menschliche Dimension
auszusparen, indem ich mich auf die Aspekte des Versands konzentrierte. Natr-
lich war das aussichtslos. Julis Holo steckte immer noch in meiner Brieftasche,
und ich wollte es nicht herausnehmen und vernichten, weil ich es dann htte
betrachten mssen. Die Frage, die mir stndig durch den Kopf ging, lautete: Hat-
te sie vor oder nach ihrer Ankunft in Seattle mit den 2XS-Chips Bekanntschaft
gemacht? Manchmal macht mir mein selbstgewhlter Beruf wirklich Spa. Dies
war keiner dieser Momente.
Ich hatte gerade den Schirm ausgeschaltet und mich zurckgelehnt, um ein
wenig auszuruhen, als das Telekom wieder summte. Ich wollte wieder ins Bett
gehen, aber es konnte was Wichtiges sein. Jocasta vielleicht?
Ich drckte die Taste, um den Anruf anzunehmen, aber der Schirm blieb dun-
kel. Okay, nur Ton konnten auch zwei spielen. Ich lie die Videokamera ausge-
schaltet. Ja? sagte ich.
Bist du das, Derek, mein Alter? Die Stimme war melodisch und ein wenig
schrill, doch eindeutig mnnlich, und weckte die Vorstellung lachender irischer
Augen.
Ich mute unwillkrlich grinsen. Patrick, du verdammter Taugenichts, rhrte
ich. La blo die Finger von meiner Tochter!
Er brauchte einen Augenblick, um sich zu fassen, dann war er wieder da, seine
Stimme die Vernunft in Person: Ach, Derek, du weit doch, ich wrde nie mit
deiner Tochter rummachen, wo ich doch gerade mit deiner Mutter im Bett liege.
Dann lachte er. Ist n Vergngen, deine Stimme wieder mal zu hren, Junge.
Der Humor hat mir in den vergangenen Tagen traurigerweise gefehlt.
Ach? Ist das der Grund, warum ich dein Gesicht nicht zu sehen kriege?
Einer von den Gsten dieses hervorragenden Etablissements scheint ein paar
Bit aus der Videokamera entfernt zu haben. Der Humor in seiner Stimme ver-
blate. Ich bin in Schwierigkeiten, Derek. Ich mu mit jemandem darber re-
den.
Und ich hab den Schwarzen Peter gezogen?
Er schwieg so lange, da ich mich schon fragte, ob die Verbindung unterbro-
chen worden war. Dann sagte er leise: Nein, so ist es nicht, berhaupt nicht.
Du bist in diesen Dingen viel besser als ich, Derek. Ich hrte ein grimmiges
Kichern. Ich glaube, du bist so, wie ich sein wollte, wenn ich mal gro bin,
wrdest du mir nicht ein wenig Angst einjagen.
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Ich seufzte. Melodramatisch, aber so war Patrick nun mal. Was ist los? fragte
ich.
Nicht ber diese Leitung, sagte er rasch. Wir mssen uns treffen.
Warum?
Ich kann dir das jetzt nicht erklren, sagte er. Und zum erstenmal konnte
ich hren, was sich hinter seiner Fassade aus Humor verbarg: eine anstndige
Portion Angst. Ich bin in einem Laden namens Superdad. Er ist in Kingsgate.
Kenn ich. Ich kann heute abend da sein, sagen wir um zwanzig ...
Nein! Er schrie fast, um dann etwas ruhiger hinzuzufgen: Nein. Kannst du
es nicht schneller schaffen? Sofort?
Ich seufzte wieder. Ich hatte schon genug am Hals, auch ohne mir Gedanken
machen zu mssen, wie man Patrick wieder einmal aus dem Drek ziehen konn-
te. Aber, zum Teufel damit, er war ein Freund, und ich war nicht ganz zynisch
genug, Freundschaft einfach in den Wind zu schreiben. Zumindest noch nicht.
Okay. Gib mir eine Stunde. Und ich unterbrach die Verbindung, bevor er mir
danken konnte.
Ich kuschelte mich in meinen Sessel und betrachtete den Rest in der Flasche mit
Synth-Scotch schlielich stand die Sonne schon irgendwo ber der Rahnock
, verwarf die Idee jedoch wieder. Ich vermute, der Gedanke, in eine Flasche
zu tauchen, um sich zu verstecken, war durch Patricks Anruf ausgelst worden.
Patrick Bambra hat diese Wirkung auf eine ganze Menge Leute: Er bringt sie
zum Trinken und leistet ihnen dann Gesellschaft. Es war eine Weile her, seit
wir das letztemal etwas voneinander gehrt hatten. Zuletzt miteinander geredet
hatten wir ein paar Monate nach meinem Absprung bei Lone Star, als er mich
schweigebadet anrief und mich bat, ein paar ziemlich stmmigen Schuldenein-
treibern die Idee auszureden, die Architektur seiner Kniegelenke neu zu gestal-
ten. Es klang, als sei etwas hnliches wieder passiert.
Was mich nicht im geringsten berraschte. Patricks Bemerkung, er wolle so
sein wie ich, wenn er gro wre, hatte einen Funken Wahrheit an sich. Nach-
dem er aus Lone Stars Ausbildungsprogramm geflogen war, hatte er fast ein Jahr
herumgetndelt und hier und da komische Jobs bernommen. Dann schied ich
bei Lone Star aus und strzte mich in den Ermittlungstrubel. Und Patrick ent-
schied praktisch augenblicklich, das sei der Beruf fr ihn, jedenfalls habe ich es
so verstanden. Also fhlte ich mich auf eine ganz verdrehte Art und Weise fr ihn
verantwortlich. Genau das, was mir jetzt noch gefehlt hatte.
Kingsgate ist einer der weniger appetitlichen Bezirke der Redmond Barrens, und
das will etwas heien. Es liegt stlich vom Highway 405 und gegenber vom
Juanita-Bezirk Bellevues, und zu behaupten, es htte schon bessere Tage gese-
hen, ist eine kosmische Untertreibung. Kurz nach der Jahrtausendwende, bevor
Seattle wirklich auseinanderzufallen begann, wurde Kingsgate als das nchste
Bellevue gehandelt. Die Stadtplaner rechneten damit, da die High-Tech-Unter-
nehmen, die sich in Bellevue ausbreiteten, ber die 405 nach Kingsgate rberlec-
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ken und ihr Geld mitbringen wrden. Ein paar Jahre lang schien es zu klappen,
dann ging irgendwas ziemlich schief. Die erfolgreichen Mieter zogen aus den
protzigen Industrieparks und den der Innenstadt nacheifernden Brogebuden
aus, und ihre weniger erfolgreichen Rivalen konnten sich die astronomischen
Mieten nicht leisten. Wenn die Besitzer dieser Gebude sofort reagiert und die
Mieten gesenkt htten, wre vielleicht noch etwas zu retten gewesen. Aber sie
blieben in der Erwartung hart, die Dinge wrden sich schnell wieder ndern.
Natrlich taten die Dinge das nie. Die Anzahl leerstehender Gebude schnellte
ins Uferlose, das Einkommen fr die Hausbesitzer fiel. Diese kamen mit ihren
Kredittilgungen in Rckstand, und schlielich standen die Banken mit unzhli-
gen leerstehenden Husern in den Hnden da und wuten nicht, was sie damit
anfangen sollten. Kurzfristig hatte man Hoffnung, das brige Redmond knne
Kingsgate irgendwie aus dem Drek ziehen, aber natrlich war Kingsgate ein
Omen dafr, was dem Rest der Gegend noch blhte.
Und so entstand das Kingsgate von heute. Haufenweise protzige Brogebude,
die bis auf die Penner und anderen inoffiziellen Bewohner leer sind. berwach-
sene Industrieparks, die rivalisierenden Banden nur allzu hufig als Schlachtfeld
dienen. Obwohl der Rest der Barrens ziemlich schnell in Chaos und Vergessen
abglitt, sollten Sie sich immer vor Augen halten, da es Kingsgate zuerst und am
besten tat.
Superdad war eine schbige Kaschemme, die sich im Erdgescho des ehemali-
gen Gebudes der Seattle Silicon befand. Eine flackernde Neonreklame drauen
verkndete GI LS LIVE G RLS. Ich stie die Tr auf und marschierte in die
relative Dunkelheit. Rhythmische Musik pulsierte aus billigen Lautsprechern,
wurde jedoch vom Lrm eines auf den Sportkanal eingestellten Trideos fast vl-
lig verschluckt. Meine Nase wurde vom Gestank nach schalem Bier und anderen,
noch unangenehmeren Dften attackiert. Einen Augenblick spter hatten sich
meine Augen an die Beleuchtung, oder vielmehr an den Mangel daran, gewhnt,
und ich sah mich um.
Der Raum war nicht gro fr eine Kneipe, vielleicht zwanzig Quadratmeter. Er
wurde von einer groen U-frmigen Bar beherrscht, die mit einem schlaksigen
jungen Burschen besetzt war, der so mit Chips vollgedrhnt war, da er fast
vibrierte. Hinter der Bar befand sich eine Bhne, auf der ein mchtig ausgestat-
tetes Ork-Teeniemdchen oben ohne tanzte. Irgendwie beeindruckt von ihrem
Talent, sah ich ihr einen Augenblick lang zu: Es ist schwierig, so vollstndig und
beharrlich nicht im Takt zu tanzen, wie sie es tat. Ihre Augen waren nach oben
verdreht, so da nur das blutunterlaufene Wei zu sehen war, und sie schien fr
ihre Umgebung absolut blind und taub zu sein und nur fr sich allein zu tanzen.
Was auch gut so war, da ihr niemand auch nur die geringste Beachtung schenk-
te. An der Bar saen zwei stmmige Orks, von denen einer dem Urban Brawl-
Spiel im ber der Bhne angebrachten Trideo zusah. Der andere hatte sein Ge-
sicht auf den schmutzigen Bartresen gepflanzt und blies Luftblasen in eine Pftze
aus verschttetem Bier. Die beiden anderen Gste saen an einem Tisch, so weit
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wie mglich von der Bhne entfernt, gewiefte Straenwiesel, die in eine intensi-
ve Geschftsbesprechung vertieft waren. Ich schtze, der Nachmittagsbetrieb ist
es nicht, was Superdad am Laufen hlt.
Ich schlenderte zur Bar. Der bedrhnte Bartender spielte mit einer Flasche
Whiskey, indem er sie hoch in die Luft warf und wieder auffing. Whrend er
sie mit der rechten Hand jonglierte, scho pltzlich seine linke vor und deutete
mit einem schmierigen Zeigefinger auf meine Brust. Sie? bellte er. Was zu
trinken?
Ich schttelte den Kopf. Ich treff mich hier mit jemandem, verriet ich ihm.
Er stellte die Flasche auf der Bar ab und musterte mich rasch. Dann nickte er.
Hinten, sagte er, indem er mit dem Daumen ber die Schulter wies.
Ich dankte ihm und ging durch die Tr links von der Bar, auf die er gezeigt
hatte. Ich fand mich in einem kurzen Korridor wieder, der von einer einzigen
nackten Glhbirne an der Decke erhellt wurde. Es gab zwei weitere Tren, die
eine direkt vor mir mit der Aufschrift Garderobe (ergnzt durch einen unbeholfen
aus Goldfolie ausgeschnittenen Stern), die andere mit der Aufschrift Bro. Ich
hllte mich enger in meinen gepanzerten Duster Paranoia, ich wei, aber selbst
Paranoide haben Feinde und sprte das Gewicht des Manhunter im Halfter.
Whrend ich noch herumstand, ffnete sich die Tr zur Garderobe, und ein
winziges Mdchen kam heraus. Sie trug nichts auer einigen Kilo silberner
Ketten, und ihr Haar hatte denselben Schimmer wie ihre Kleidung. Sie warf
mir ein kesses Lcheln zu, als sie sich an mir vorbeiquetschte vollkommen
berflssigerweise, da ich den Eingang nicht blockierte und verschwand dann
durch die Tr zur Bar. Ich mute lcheln. Manchmal bietet einem dieser Job die
interessantesten Belohnungen. Ich ging den Flur entlang und klopfte an die B-
rotr. Ich hrte drinnen Bewegung und dann ein zaghaftes Ja?
Ich bin es, Patrick.
Die Tr ffnete sich, und da stand Patrick Bambra und lchelte mich verlegen
an. Ah, Derek, sagte er, du bist ein erfreulicher Anblick. Komm rein. Ich
registrierte, da sein Atem nach Whiskey roch. Er trat zurck, und ich folgte
ihm ins Bro, ein kleines Zimmer, das mit Bierkisten, einem Schreibtisch und
einer rostigen Metallkoje vollgestopft war. Er setzte sich auf das Bett, welches
alarmierend quietschte, und deutete auf den Schreibtischstuhl. Ich schlo die Tr
hinter mir, dann setzte ich mich ebenfalls.
Ein paar Augenblicke betrachtete ich ihn einfach nur. Mit einer Gre von ber
zwei Metern und dnn wie eine Bohnenstange sah Bambra lcherlich aus, wie er
mit angewinkelten Armen und Beinen auf dem niedrigen Bett sa und scheinbar
nur aus Gelenken zu bestehen schien. Er schien seit unserer Zeit beim Star nicht
einen Tag lter geworden zu sein. Er war drei Jahre jnger als ich, aber mit sei-
nem jungenhaften, sommersprossigen Gesicht und leuchtend roten Haarschopf
sah er noch mal zehn Jahre jnger aus. Er trug immer noch die dnne Krawatte
und die silbernen Kragenecken, die immer sein Markenzeichen gewesen waren.
Ich wartete ein paar Sekunden, aber er schien das Gesprch nicht erffnen zu
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wollen. Was liegt an, Patrick? sagte ich schlielich.
Er zgerte, nicht fhig oder gewillt Augenkontakt herzustellen. Er rutschte un-
behaglich auf dem Bett herum. Mit dieser offensichtlichen Geste der Verlegen-
heit htte er jeden anderen zum Narren halten knnen, aber ich wute, da er
noch einmal durchging, was er mir erzhlen wollte und was nicht. Ich seufzte
und stellte mich innerlich darauf ein, weniger als die ganze Geschichte zu hren.
Ich bin da in was reingeraten, das etwas zu haarig fr mich ist, glaub ich, sagte
er schlielich. Manche Leute wollen mich anscheinend tot sehen.
Du arbeitest an einem Fall? Er nickte. Worum geht es?
Er sah wieder weg. Willst du nen Drink? fragte er pltzlich. Er griff un-
ter das Bett und zog eine halb leere Flasche mit synthetischem irischen Whis-
key darunter hervor. Einen Moment studierte er das Etikett. Er ist gar nicht so
schlecht, echt nicht. Ich schttelte den Kopf. Tja, ich denke, ich genehmige
mir noch einen. Ich hab ihn ntig. Er griff erneut unter das Bett und brachte ein
schmieriges Glas zum Vorschein. Er go sich einen krftigen Schluck ein, dachte
kurz darber nach und verdoppelte die Menge. Dann sah er mich wieder an und
hielt mir die Flasche hin. Bestimmt nicht?
Worum geht es in dem Fall, Patrick?
Patrick stellte die Flasche ab und nahm einen Schluck aus dem Glas. Sein aus-
geprgter Adamsapfel hpfte beim Schlucken auf und nieder. Ich wei nicht,
ob ich dir das sagen kann, Derek, mein Alter, sagte er gedehnt. Du weit, wie
das ist, der Ehrenkodex und die Vertraulichkeit, zu der wir uns verpflichten ...
Ich schaltete die Stimme in meinem Kopf ab, da ich wute, da er noch eine
Weile so weitermachen konnte. (Bei Lone Star hatte einer unser Mitschler die
Vermutung geuert, Patrick Bambra msse den Blarneystein gekt haben. Ein
anderer war zu dem Schlu gekommen, der Stein msse Patrick gekt haben.)*
Als das Wasser seiner Mhlen schlielich sprlicher flo, fixierte ich ihn mit
kaltem Blick. Du hast gesagt, du brauchtest meine Hilfe, erinnerte ich ihn.
Es war, als sei er mit heier Luft aufgepumpt worden und jemand habe eine
Nadel in ihn hineingestochen. Er schien in sich zusammenzusacken. Dann nickte
er und schlug die Augen nieder. Ich erzhle dir, was ich wei, sagte er ruhig.
Eine Frau hat mich angeheuert, um ihrem Mann zu folgen. Keine besonders
noble Geschichte, aber ich brauchte das Geld. Jedenfalls verfolgte ich den Fall
eine Weile. Vor ein paar Tagen nahmen die Dinge dann eine Wendung, und die
Sache bekam eine persnlichere Note. Ich holte Luft, um nhere Erluterungen
zu verlangen, aber er fuhr eiligst fort. Ich kann dir nichts darber erzhlen,
Derek, also frag mich nicht. Ich wrde nicht nur mein Leben aufs Spiel setzen,
verstehst du? Ich nickte widerwillig. Ich fand heraus, da ich jemand anderen
aufspren mute, fuhr er fort, jemanden, der der Universellen Bruderschaft
angehrt. Du kennst die Bruderschaft?
* Anmerkung des bersetzers: Der Blarneystein ist ein sagenhafter Stein in der Burg-
mauer von Schlo Blarney in Cork County, Irland. Es heit, da ein Mensch, der
diesen Stein kt, ein Experte fr Schmeicheleien wird.
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Natrlich. Teufel, man konnte kaum ein paar Blocks weit gehen, ohne eine
Reklametafel der Bruderschaft oder irgendeinen Kerl an der Straenecke Propa-
gandazettel verteilen zu sehen. Erzhl weiter.
Also ging ich zur Bruderschaft, um sie aufzuspren ... die Person. Er muster-
te mich eindringlich, um festzustellen, ob ich seinen Lapsus mitbekommen hatte,
aber ich hatte eine ausdruckslose Miene aufgesetzt, obwohl ich innerlich grinste.
Ich reimte mir folgendes zusammen: Freund Bambra, der behauptete, den Frau-
en abgeschworen zu haben, bevor er das zwanzigste Lebensjahr erreichte, hatte
sich in jemanden verliebt, in den er sich nicht htte verlieben drfen. Cherchez
la femme, keine Frage.
Ich hab mich die Hierarchie raufgelogen, fuhr er fort, bis ich auf jemanden
in so hoher Position gestoen bin, da er die Person, hinter der ich her war, ein-
fach kennen mute. Aber er hat gemauert, die Schotten absolut dicht gemacht.
Patricks blitzende, uncharakteristisch ernste Augen suchten meine. Er wollte
mich auerdem zur Ruhe setzen, Derek.
Ich starrte ihn an. Zur Ruhe setzen war ein alter Spionage-Ausdruck, den
einer unserer damaligen Lone Star-Kameraden ausgegraben und wir dann bei
jeder sich bietenden Gelegenheit benutzt hatten. Im wesentlichen bedeutete er,
da jemand zuerst scho und dann der Leiche die Fingerabdrcke nahm. Sag
das noch mal. Reden wir hier ber dieselbe Universelle Bruderschaft? stie
ich unglubig hervor. Die Bruderschaft, die ich kannte, war ein lockerflockiger
Liebeskult, eine von diesen Nchstenliebe-Vereinen, die auf alle rhrseligen Ge
schichten reinfallen, und von denen gibt es im Sprawl reichlich. Ein Ttungs-
befehl und die Friede-sei-mit-dir-Bruder-Show der Universellen Bruderschaft
paten einfach nicht zusammen.
Patrick lchelte matt. Das war auch mein erster Gedanke, gab er zu, aber
mein Wort drauf. Ich geb mir alle Mhe, mit diesem feinen Herrn ins Gesprch
zu kommen, und als nchstes fliegen mir Kugeln um die Ohren. Mir gefllt das
nicht, Derek. Das hat mir noch nie gefallen.
Ich formte ein T mit meinen Hnden. Auszeit, sagte ich. Ich mu mehr
darber wissen. Du kannst mir nicht sagen, wen du gesucht hast, richtig? Er
schttelte rasch den Kopf. Was ist mit dem Kerl in der Bruderschaft?
Klar, und das eine kann ich dir sagen: Sein Name hat sich fr immer in mein
Hirn eingebrannt. Es handelt sich um einen gewissen Mr. William Sutcliffe.
I ch schttelte den Kopf, um klar zu werden. Man sagt, die Welt ist klein, aber
das hier war absolut lcherlich. Vielleicht war es an der Zeit, meine eher skep-
tischen Ansichten in bezug auf Synchronizitt neu zu berdenken.
Patrick beobachtete mich, und seinen klaren Augen entging nicht viel. Knnte
es sein, da du diesen Herrn kennst? fragte er.
Ich war nicht in der Stimmung, ber Lolly oder die Tatsache zu reden, da sie
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Sutcliffes Bnder wusch, als es sie erwischt hatte. Ich hab den Namen schon
mal gehrt, antwortete ich vorsichtig. Wann hast du dich mit ihm getroffen?
Das war gestern.
Oh.
Patrick wartete, da ich noch mehr sagte. Tja, sagte er zgernd, als offen-
sichtlich war, da ich nichts hinzuzufgen hatte. Ich schtze, es luft auf folgen-
des hinaus: Ich brauche deine Hilfe.
Wie soll ich dir helfen? Ich kann nicht den Leibwchter fr dich spielen. Ich
wei nicht, ob du es schon gehrt hast, aber hinter mir sind auch n paar Leute
her.
Ja, das hab ich schon gehrt.
Aber du machst das ganz richtig. Such dir n Pltzchen, wo du ne Weile un-
tertauchen kannst. Tu dich mit anderen Runnern zusammen, am besten n paar
Muskeln.
Er nickte. Das hatte ich mir auch schon berlegt. Aber die Sache ist die, auf
die Weise hab ich keine Bewegungsfreiheit.
Ich lchelte und schttelte den Kopf. Wenn du mir nicht sagen willst, wen
du suchst, kann ich dir dabei nicht viel helfen, oder? Er wich meinem Blick
aus und starrte zu Boden. Aber es gibt eine Sache, die ich tun kann, fuhr ich
fort. Ich habe selbst Grnde, William Sutcliffe auf den Zahn zu fhlen. Wenn
ich irgendwas herausfinde, das du gebrauchen knntest, gebe ich es sofort an
dich weiter. Falls du fr mich dasselbe tust: Alles, was du erfhrst, sagst du mir.
Karimasu-ka?
Ich verstehe, Derek, sagte er rasch, und seine Stimme klang aufrichtig. Pa-
trick Bambra frchtete um sein Leben, und er wrde tun, was notwendig war, um
dieses Leben zu schtzen. Ich bin dir was schuldig.
Ich winkte ab. Wo hast du Sutcliffe gefunden?
Er ist im Stift der Bruderschaft in Redmond. Ecke Belmont und Waveland.
Dann vernderte sich seine Miene und drckte echte Besorgnis aus. Aber ich
wrde nicht persnlich dorthin gehen, Alter. Stell die falschen Fragen, und sie
knnten beschlieen, dich ebenfalls zur Ruhe zu setzen. Und ich wte dann
nicht, welche die falschen Fragen waren.
Ich schttelte den Kopf. So bld bin ich nicht. Er sah ein wenig beleidigt
aus als htte ich hinzugefgt, auch wenn du es bist , sagte aber nichts. Ich
stand auf. Du hast meine Nummer. Melde dich von Zeit zu Zeit, dann sage ich
dir, was ich herausgefunden habe. Und du rufst sofort an, wenn du irgendwas fr
mich hast. Ich ffnete die Tr und stand schon halb im Flur, als mir etwas einfiel
und ich mich noch einmal umdrehte.
Wenn ich du wre, wrde ich eine Vereinbarung mit dem Barmann treffen.
Er soll dich warnen, wenn irgend jemand herumschnffelt. Er wute nicht, wer,
zum Teufel, ich war, hat mir aber trotzdem sofort gesagt, wo du bist. Ich htte
durchaus derjenige sein knnen, der dich zur Ruhe setzen wollte. Ich lie ihn
auf dem Bett sitzen und bla werden und an diesem beunruhigenden Gedanken
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herumknabbern.
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Suche nach einem William Sutcliffe, beginnend bei der Universellen Bruder
schaft. So schnell wie mglich, Standardgebhren mit und das tat weh einem
20-Prozent-Bonus bei Lieferung bis morgen.
Ich hngte mit dem Gefhl ein, da ich Fortschritte machte. Unglcklicherwei-
se konnte ich in den nchsten Stunden persnlich nicht viel tun, um die Dinge
voranzutreiben. Ich lie noch mal alle Mglichkeiten Revue passieren, wie ich
Sutcliffe aufspren konnte. Buddy kmmerte sich bereits um alle brokratischen
Zugangswege. Magie? Ich bin kein Magier, aber selbst die brandheiesten Prak-
tiker dort drauen wrden keine groe Hilfe sein. Soweit ich wute, konnte
man niemanden magisch aufspren, wenn man nichts als einen Namen hatte.
(Oder vielleicht doch? Wenn mittlerweile jemand herausbekommen hatte, wie
das funktionierte, wrde das bedeuten, da mich Lone Stars Magier eines Tages
finden konnten, wohin ich mich auch wandte. Mir wurde klar, da es eindeutig in
meinem allerbesten Interesse stand, mich, was magische Forschung anbelangte,
besser auf dem laufenden zu halten.)
Was war mit der persnlichen Note? Ich konnte im Stift der Bruderschaft auf-
tauchen und versuchen, Sutcliffe auf die altmodische Tour aufzuspren. Aber
das schien keine besonders gute Mglichkeit zu sein, wenn man bedachte, da
ich auf seinem Heimatgelnde operieren wrde und keine Ahnung hatte, wie
weit sich die Korruption wenn es das war innerhalb der Organisation der
Bruderschaft erstreckte. Wenn ich nicht besonders gut oder mit besonders viel
Glck gesegnet war, worauf ich mich lieber nicht verlassen wollte, wrde ich wie
Patrick enden: Mit einem Preis, der auf meinen Kopf ausgesetzt war.
Nein, wie schwierig es auch sein mochte: Das Beste, was ich im Augenblick
tun konnte, war zu warten.
Ich glaube, es war Karl Marx, der Religion als Opium fr das Volk bezeich-
net hat. Natrlich kannte der gute Karl noch kein Trideo. An jenem Nachmittag
verlor ich mich mit einer Art perverser Befriedigung im kulturellen dland. Ma-
chen wir uns nichts vor, wer knnte solche Perlen wie Unter den Sternen, eine
Comedy-Serie ber ein schnes, aber naives Rockgroupie, oder diesen Heuler
ber eine Familie mit ein klein wenig unblichen Beziehungen zwischen den
Generationen, Leck mich, Tantchen, nicht genieen? Ich sprte frmlich, wie
sich mein Verstand in Haferschleim verwandelte.
Es war kaum spter als 18.00 Uhr, als ich mich durch die Abendnachrich-
tenshows schaltete. Computeranimierte Moderatoren auf KORO, zwei uerst
gelehrte Politikwissenschaftler auf KSTS, eine ausgeprgt weibliche Blondine
auf KONG (ein paarmal wieder zurckschalten auf diesen Kanal), ein Krawall-
journalist auf dem Piratenkanal FOAD, der einen Hochgeschwindigkeits-Rap
vorfhrte. Und Daniel Waters auf KOMA.
Genau, Daniel Waters, derselbe Bursche, den sie am Dienstag aus dem Park
gerettet hatten. Heute war Sonntag, und der Kerl war bereits wieder auf Sen-
dung. Gut, er sah aus wie Drek: Tief in den Hhlen liegende Augen, eine grere
Ausbuchtung unter der einen Schulter seiner mageschneiderten Jacke, bei der
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es sich nur um eine Bandage oder einen Gipsverband handeln konnte, und einen
bllichen Teint, der ihn halb tot wirken lie. (Htten sie das nicht mit Make-up
richten knnen? fragte ich mich gelangweilt. Aber dann wurde mir klar, warum
sie die Blsse wahrscheinlich gelassen hatten, wie sie war, oder sogar noch ver-
strkt hatten. Journalist stirbt beinahe, besteht jedoch darauf, auf seinen Mo-
deratorenstuhl zurckzukehren, kaum da er die knstliche Lunge nicht mehr
braucht. Das trifft einen doch, oder nicht?) Ich rief mir das Bild von Waters
Gesicht aus jener Nachrichtensendung ins Gedchtnis: Kalkweie Haut, kurzes
blutverklebtes Haar. Und jetzt? Er sah matschig aus, das stand fest, aber er war
auf den Beinen. Und was die Aura beinahe gottgleicher Weisheit betraf, die er
gewhnlich ausstrahlte, sie hatte um kein Jota abgenommen. Wenn berhaupt,
schien sie noch greifbarer zu sein als sonst. Ich schtze, die Leute haben Laza-
rus nach seiner Auferstehung auch ein wenig mehr Aufmerksamkeit angedeihen
lassen als vorher. Seine Co-Moderatorin war ebenfalls nicht immun gegen die
Verwandlung. Jedesmal, wenn die Kamera auf sie schwenkte, hatte sie ihre strah-
lenden blauen Augen starr auf Waters gerichtet und trug eine Miene bedingungs-
loser Bewunderung auf ihrem Cheerleadersen Gesicht zur Schau.
Wenn Waters ihre Beachtung zur Kenntnis nahm, lie er sich jedenfalls nichts
davon anmerken. Wie ein echter Profi konzentrierte er sich ganz auf den Job. Ob-
wohl ich erkennen konnte, da es ihn teuer zu stehen kam. Alle paar Sekunden
verengten sich seine Augen ein wenig, als kmpfe er gegen eine Schmerzwelle
an. Zum erstenmal tat mir der alte Knabe wirklich leid: Er war noch nicht wieder
so weit, zurck an die Arbeit gehen zu knnen, aber seine Produzenten pochten
zweifellos auf das Kleingedruckte in seinem Vertrag, um ihn dazu zu zwingen.
Das Telekom summte und meldete einen Anruf. Aus irgendeinem Grund wollte
ich Daniel Waters nicht abschalten, also lie ich das Trideobild auf ein kleines
Fenster in der oberen rechten Ecke des Schirms zusammenschrumpfen und dreh-
te den Ton ab. Dann beantwortete ich den Anruf.
Es war Jocasta, also schaltete ich sofort meine Videokamera dazu und sagte
hallo.
Sie lchelte, ein wenig unbehaglich. Immer noch in Sorge wegen vergangener
Nacht, vermutete ich. Ihre ersten Worte besttigten das. Zwei Dinge, sagte sie
brsk. Erstens, ich mchte mich fr letzte Nacht entschuldigen. Zweitens, es hat
zwar eine Weile gedauert, aber mittlerweile habe ich begriffen, was Sie in dem
Taxi wirklich taten, als Sie mich so dmlich angemacht haben. Ich wollte mich
nur bedanken.
Ich konnte ihrem Gesicht ansehen, da ihr eine Entschuldigung ungefhr so
leichtfiel wie mir. Und ich konnte auerdem erkennen, und zwar so deutlich wie
nur irgendwas, da ihr das, was sie als Mangel an Kaltbltigkeit im Moment der
Gefahr betrachtete, schwer zu schaffen machte. (Warum, wei ich nicht. Ich wr-
de sagen, neun von zehn Personen auf der Strae glauben, sie knnten offen auf
Menschen schieen und Leute umbringen, die sie umzubringen versuchen, ohne
hinterher viel daran zu kauen zu haben. Alle bis auf die sehr seltenen Ausnahmen
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sind im Irrtum.) Doch Jocasta das an dieser Stelle zu sagen, htte schulmeister-
lich geklungen, also begngte ich mich mit einem Achselzucken.
Ihre Miene wurde weicher, als habe sie sich einer schmerzhaften Pflicht entle-
digt. Wo stehen wir jetzt? fragte sie.
William Sutcliffe, erwiderte ich. Es waren seine Abhrbnder, an denen
Lolly gearbeitet hat. Ihr Gesicht erhellte sich, und ich konnte ihren Enthusi-
asmus buchstblich spren. Puh, machte ich. Im Augenblick hab ich ber
ihn nicht viel mehr. Nur seinen Namen. Er findet sich in keiner ffentlichen Da-
tenbank, aber ich hab einen Decker auf ihn angesetzt, der ein paar schattigeren
Hinweisen nachgeht. Je nachdem, wie tief gebuddelt werden mu, knnte das
einige Zeit dauern. Tage, vielleicht eine Woche.
Das ernchterte sie rasch, und ich konnte sie nachdenken sehen. Nach ein paar
Augenblicken nickte sie. Was kann ich tun, um die Dinge ein wenig zu be-
schleunigen?
Ich war drauf und dran, die Verbindung zur Universellen Bruderschaft zu er-
whnen, nur fr den Fall, da sie irgendeinen Draht zu der Gruppe hat, der mir
nicht zugnglich war. Doch dann wurde meine Aufmerksamkeit vom Trideofen-
ster in der Schirmecke angezogen.
Daniel Waters zog immer noch seine Journalistenmasche ab, aber offensicht-
lich fiel es ihm immer schwerer. Er zuckte und zitterte, als leide er an Delirium
tremens oder Veitstanz, und es sah ganz so aus, als verliere er die Kontrolle ber
seine linke Gesichtshlfte.
Was ist los? fragte Jocasta scharf.
Trideokanal vier. Irgendwas luft da schief. Und damit vertauschte ich die
Fenster, so da Daniel Waters den gesamten Schirm ausfllte, whrend Jocasta
in die Ecke verbannt wurde. Ich drehte den Ton auf.
Waters war in ernsthaften Schwierigkeiten. Auf dem greren Bildschirm wirk-
te das Zucken viel ausgeprgter, und sein vertrauter, perfekt intonierter Bariton
ging aus dem Leim. Im einem Augenblick war er noch der alte Daniel Waters,
Einschaltquotenknig, im nchsten klang er wie ein hirngegrillter Chipschtiger.
Ich starrte in makaberer Faszination auf den Schirm.
... und die Abgeordneten trafen mit dem Finanzminister zusammen, sagte
Waters gerade, um ber die Ratsamkeit einer weiteren Ausdehnung der Kredite
fr den Dritten Weltkrieg zu diskutieren. Er hielt inne, blinzelte einen Moment
verwirrt. Dann kehrte sein onkelhaftes Lcheln zurck, und er fuhr fort: Ent-
schuldigung, das mu natrlich heien, um ber die Ratsamkeit einer weiteren
Ausdehnung der Kredite fr den Dritten Weltkrieg zu diskutieren. Er sah sich
um, als habe er ein merkwrdiges Gerusch gehrt, um dann wieder direkt in die
Kamera zu blinzeln. Mit seinen Augen war jetzt eine Vernderung vorgegangen,
und mir wurde klar, da sie in die Unendlichkeit gerichtet waren, als betrachte er
tatschlich sein Publikum und nicht den Teleprompter.
Er runzelte verwirrt die Stirn. Wissen Sie, sagte er in angelegentlichem Kon-
versationston, ich will verdammt sein, wenn ich wei, was hier vorgeht. Er
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zuckte, ein Krampf, der seinen gesamten Krper erbeben lie, als sei er eine
Marionette, die von einem epileptischen Puppenspieler kontrolliert wurde. Die
linke Gesichtshlfte sackte herab, und jene Mundseite verzog sich zu einem
Schmollen. Er rollte mit den Augen. Man soll mich in Drek tauchen ..., rhrte
er pltzlich.
Bis zu diesem Augenblick mute der Produzent dem Spektakel ebenso fas-
sungslos zugesehen haben wie ich. Jetzt schien ihm jedoch urpltzlich klar ge-
worden zu sein, da er irgendwas tun mute. Die Kamera schwenkte zur Seite
auf die attraktive Co-Moderatorin. Keine Hilfe von dort. Sie starrte Waters mit
weit aufgerissenem Mund an. Schwenk zurck auf Waters. Der rollte wild mit
den Augen, und sein halbes Gesicht war schlaff wie rohes Fleisch, keinerlei Mus-
keltonus. Seine perfekte Aussprache war zu einem unverstndlichen Gemurmel
degeneriert und hrte sich in etwa an wie Ah wugga wah ah wugga wugga.
Seine Hnde, eigentlich sein ganzer Krper, flatterten heftig wie eine Fahne im
Sturm. Er packte seine Jacke und ri wie verrckt an ihr herum. Sein Mikrofon
lste sich vom Revers und polterte dann zu Boden. Waters rechtes Auge ffne-
te sich weit, quoll beinahe aus seinem kalkweien Gesicht. Er griff wiederum
nach seiner Jacke nein, nach seiner Brust. Noch einmal ein krampfhaftes Zuc-
ken, dann kippte er vornber. Mit dumpfem Krach knallte sein Gesicht auf den
Schreibtisch.
Der Schirm verdunkelte sich fr einen Moment, dann fllte er sich mit dem
Bild einer harmlosen Stadtlandschaft mit dem KOMA-Logo in der unteren Ecke.
Allem Anschein nach waren die Abendnachrichten frs erste vorbei.
Ich dehnte Jocastas Fenster wieder auf Bildschirmgre aus. Haben Sie das
gesehen? fragte ich.
Sie zuckte die Schultern. Ich bin berrascht, da so etwas nicht schon lngst
passiert ist. Sie wissen, wie weit verbreitet der Gebrauch von Drogen und Chips
in der Unterhaltungsindustrie ist.
Klar, sagte ich, aber sie achten peinlich genau auf die Dosierung, bevor sie
auf Sendung gehen. Das ist KOMA, wissen Sie noch? Die spielen in der Ober-
liga. Das ist kein Piratensender, wo es keine Rolle spielt, ob sich die Talente das
Hirn grillen. Jedenfalls steckt noch mehr dahinter. Ich erzhlte ihr von Waters
Rettung aus dem Park. Schon wieder Crashcart, sagte ich.
Jocasta blieb unbeeindruckt. Nchste Woche wird er in einem Rehazentrum
fr Drogenschtige wieder auftauchen, prophezeite sie.
10
N atrlich tat er das nicht. Am Mittwoch, dem 27. November, kam die offiziel-
le Verlautbarung, da Daniel Waters, Moderator der Extraklasse, gestorben
war. Keine weiteren Einzelheiten zur Todesursache, nur da er hinber war. Kein
Begrbnisgottesdienst, kein: Schicken Sie Ihre Spenden an die Daniel Waters-
KOMA-Gedchtnis-Stiftung etc.
102
Ich hatte massenhaft Zeit, mir die letzten paar Tage durch den Kopf gehen zu
lassen. Buddy hatte mir eine kurze Botschaft zukommen lassen, da sie auf der
elektronischen Jagd nach William Sutcliffe war. Ich rief zurck, um sie zu bitten,
mir regelmige Lageberichte zu geben, doch das von Buddy zu verlangen, war
so, als verlange man von einem Fisch zu pfeifen. Ich hatte meine eigenen Quel-
len angezapft, jedoch schnell realisiert, da Mr. Sutcliffe fr meine begrenzten
Fhigkeiten zu tief vergraben war. Jocasta rief jeden Tag an, um sich ber mei-
ne Fortschritte zu informieren. Zwar machte es mir nichts aus, mich mit ihr zu
unterhalten, aber es irritierte mich doch, da ich nichts Positives zu berichten
wute.
Die brige Zeit tat ich fast nichts. Ich legte meine anderen Flle auf Eis, so
da ich in meinem Apartment herumhngen konnte. Zum einen wollte ich
Buddys Anruf nicht verpassen. Zum anderen legte ich keinen Wert darauf, die
Aufmerksamkeit des mysterisen X zu erregen, der meiner Existenz ein Ende
bereiten wollte.
Mit anderen Worten, ich hatte massenhaft Zeit zum Nachdenken. Ich ging den
Zwischenfall mit den Motorradfreaks mindestens hundertmal durch, und jedes-
mal schien der Lebenszeichen-Monitor von Crashcart, den der Elf getragen hat-
te, grere Bedeutung anzunehmen und mehr Fragen aufzuwerfen. Ich rief Cras-
hcart direkt an, wobei ich vorgab, ein Konzernexpedient zu sein, der sich ber
die Vorteile von Crashcart im Vergleich mit DocWagon ein Bild machen will. Sie
berschlugen sich frmlich, mir alle notwendigen Informationen zu geben, um
eine Entscheidung fllen zu knnen.
Offenbar bekam man einen Lebenszeichen-Monitor nur dann, wenn man sich
fr den Exekutiv-Diamant-Service entschied, der im wesentlichen dem Super-
Platin-Vertrag von DocWagon hnelte: Eine unbegrenzte Anzahl kostenloser
Wiederbelebungen, kostenloser Rettungsdienst in Situationen der Kategorie
Extrem Lebensbedrohend (obwohl dem Kunden fr Crashcart-Angestellte, die
im Verlauf einer besonders heien Extraktion gegeekt werden, Sterbegelder in
Rechnung gestellt werden), ein Rabatt in Hhe von sechzig Prozent auf um-
fassende medizinische Behandlung und zehn Prozent Rabatt auf Cyberersatz-
Technologie. Und all das zum Supervorteilspreis von 65 000 Nuyen pro Jahr.
Verglichen mit DocWagons Super-Platin-Gebhr von fnfundsiebzig K pro Jahr
war es ein Supervorteil. Aber fnfundsechzig K jhrlich sind ein gutes Stck au-
erhalb der Reichweite eines durchschnittlichen Motorradfreaks, es sei denn ...
Tja, es sei denn, jemand anders zahlt die Taxe (warum?), oder der Freak ist
in Wirklichkeit mehr, als er zu sein scheint (was?), oder es gibt eine Verbin-
dung zwischen besagtem Freak und Crashcart selbst (hh?). Die ersten beiden
Mglichkeiten brachten meine grauen Zellen wieder auf Trab: War Freund Elf
irgendwie mit dem mysterisen X liiert? Ich hatte keine Informationen und kei-
ne unmittelbare Mglichkeit, welche zu bekommen, also stellte ich die Fragen
zurck. Die dritte Mglichkeit kam mir vollkommen unwahrscheinlich vor, aber
sie sorgte dafr, da mir Crashcart auch weiterhin im Kopf herumspukte.
103
Dann gab Daniel Waters den Lffel ab, nachdem er auf hchst spektakulre
Weise im nationalen Trideo aus der Rolle gefallen war. Interessant, aber schein-
bar zusammenhanglos abgesehen von der Tatsache, da er von Crashcart aus
dem Park herausgeholt worden war. Das waren zwei sonderbare Vorflle, und in
beide war Crashcart auf die eine oder andere Art verwickelt. Es war kein starkes
Bindeglied, und zu jeder anderen Zeit htte ich die ganze Geschichte als zuflli-
ges Zusammentreffen abgetan. Aber im Moment hatte ich gerade sowieso nichts
zu tun.
Nein, wir wollen ehrlich sein: Ich wurde einfach verrckt dabei, nur auf Buddy
zu warten, bis sie endlich den Drek ber Sutcliffe ausgrub. Ich war bereit, jedem
Hinweis nachzugehen, egal wie absurd, nur um berhaupt etwas zu tun.
Also rief ich noch einmal Bent Sigurdsen an. Er freute sich, von mir zu hren,
was allein schon fast die Mhe wert war. Hoi, Dirk, grinste er. Wir mssen
damit aufhren, uns auf diese Weise zu unterhalten. Er war offensichtlich in
seinem Labor, trug Handschuhe, die ihm bis zu den Ellbogen reichten, und einen
grnen Overall. Zum Glck fr meine Verdauung hatte er entweder noch nicht
mit seinem Tagewerk begonnen oder eine Pause zwischen seinen Kunden einge-
legt und die Arbeitskleidung gewechselt.
Das kannst du laut sagen.
Was kann ich diesmal fr dich tun? Oder ist das ein Hflichkeitsanruf?
Wenn das alles vorbei ist, schulde ich dir ein Essen. Meine Rechnung, Restau-
rant und Men deiner Wahl.
Er krhte vor Freude. Schon gebucht. Sorg dafr, da dein Kredstab was aus-
hlt. Ich sthnte innerlich. Bent hat etwas von einem Gourmet, und als ich ihm
das letztemal ein Essen ausgab, hatte er sich McDuff ausgesucht. Stimmt genau,
das McDuff, und die Rechnung hatte sich fr uns beide auf ber dreihundert
Nuyen belaufen.
Ich schtze, ich mu mir mein Essen verdienen, fuhr Bent fort. Was
brauchst du diesmal?
Daniel Waters, sagte ich schlicht. Was ist mit ihm passiert?
Der Teufel soll mich holen, wenn ich das wei. Ist der Einschaltquotenkrieg
ein wenig ausgeufert? Nein, ich mach nur Spa. Sein Grinsen verblate. Weit
du, das ist echt ne gute Frage. Man sollte doch meinen, er mte ber meinen
Tisch wandern, aber er liegt nicht in der Reihe. Warum nicht, frage ich mich.
Bents Mundwinkel verzogen sich zu einem Schmollen, als sei er persnlich be-
leidigt, es nicht mit Waters zu tun zu bekommen. Wer wei, vielleicht war er das
wirklich. Er wandte sich vom Schirm ab, um sich an einem anderen Terminal
zu schaffen zu machen. Whrend er auf die Tastatur einhmmerte, vertiefte sich
sein Schmollen.
Schlielich drehte er sich wieder zu mir um. Sie haben ihn sich letzte Nacht
vorgenommen, sann er. Eindeutig nicht SVW. Das berraschte mich ein we-
nig, obwohl ich vermute, das sollte es nicht: Auch Gerichtsmediziner haben ihre
Standardvorgehensweise. Sie haben Labor Eins benutzt das ist mein Labor ,
104
aber sie haben einen von ihren Leuten fr den Job mitgebracht.
Zu jeder anderen Zeit htte mich Bents mrrische Reaktion amsiert. Jetzt hat-
te ich jedoch andere Dinge im Kopf. Wer sind sie?
Er blinzelte. Lone Star. Wie du schon vermutet hast du wrdest nicht blo
wegen irgendeiner Leiche anrufen.
Ich lie ein (absolut getrktes) selbstzufriedenes Grinsen ber mein Gesicht
huschen. Wenn Bent mir Anerkennung fr Intuition angedeihen lassen wollte,
die ich nicht besa, bitte schn. Erzhl mir, was passiert ist, sagte ich.
Er zuckte die Achseln. Steht nicht viel drin. Sonntagabend ist er zusammenge-
brochen und dann sofort ins Koma gefallen, wie du weit. Wie ich nicht wute,
aber ich hielt den Mund. Er wies keinerlei zerebrale Aktivitt mehr auf, als der
Wagen eintraf, um ihn abzuholen.
Crashcart, richtig?
Bent schttelte den Kopf. Nein, alle Angestellten von KOMA sind noch bei
DocWagon unter Vertrag. Warum?
Ach, nichts. Weiter.
Bent warf einen raschen Blick auf das andere Terminal. Da ist nicht mehr
viel. Ins Harborview eingeliefert um siebzehnnulldrei am 24. November 2052.
Lebenserhaltungssysteme abgeschaltet um zweiundzwanzigfnfzehn am 26.
November letzte Nacht. Autopsie begonnen zweiundzwanzigeinundfnfzig
das ist schnell , beendet, oh, einszehn heute morgen. Er zog wieder sei-
nen Schmollmund, aber diesmal war es ein Ausdruck der Verwirrung, nicht des
Beleidigtseins. Waters kratzt um zweiundzwanzigfnfzehn die Kurve, und der
Lone Star-Doc fngt sechsunddreiig Minuten spter an zu sbeln, sagte er ge-
dehnt. Und die Fahrt vom Harborview bis hierher dauert zwanzig Minuten, ber
den Daumen gepeilt. Er sah mich erwartungsvoll an.
Es dauerte einen Augenblick, dann hatte ich es begriffen. Klingt als htten sie
auf seinen Tod gewartet. Wir unterhalten uns doch ber Lone Star, oder nicht?
Bent grinste. Nicht gerade eine Organisation, die fr ihre humanitre Gesin-
nung berhmt ist, aber ich glaube, wir knnen getrost davon ausgehen, da Lone
Star nicht routinemig Nachrichtensprecher geekt. Womit stehen wir dann da?
Ich konnte ihm jetzt besser folgen. Der Star ist echt daran interessiert, woran
er abgekratzt ist, sagte ich. Woran ist er also abgekratzt? Ich lachte humorlos.
Die Akte ist gesichert und verschlsselt, richtig?
Mit allen Schikanen. Ich soll mal nen Blick reinwerfen, nehme ich an. Ich
wollte schon nicken, zgerte dann aber. Es mu der Zweifel auf meinem Gesicht
gewesen sein, der ihn kichern lie. Cool bleiben, Dirk, riet er mir. Das ist
ganz gewhnliche Abteilungspolitik. Kein Problem.
Wahrscheinlich hat Lolly dasselbe gesagt. Ich nickte, aber mir war nicht wohl
dabei. Du rufst zurck?
Sobald ich was habe. Bis spter. Und er unterbrach die Verbindung. Was
mich mit noch weniger Beschftigung und noch mehr Grbelei zurcklie.
105
Eine Bemerkung zu Bent Sigurdsen: Wenn er sagt, er ruft zurck, dann ruft er
zurck. Objektiv war nicht viel mehr als eine Stunde vergangen obwohl es
mir so vorkam, als sei ein Vielfaches dieser Zeit verstrichen , als das Telekom
summte. Ich drckte auf die entsprechende Taste, und Bents Gesicht fllte den
Schirm. Er war nicht im Labor buchstblich das einzige Mal, da ich mit ihm
telefoniert habe, wenn er woanders war. Den Hintergrund bildete eine Fenster-
wand mit Blick auf den Sund und Bainbridge Island in der Ferne.
Ich habe etwas, sagte er, aber ich wei nicht, was ich, verdammt noch mal,
davon halten soll. Er legte eine Pause ein, in der er mich mit seinen blauen Au-
gen fixierte. Woran genau arbeitest du eigentlich, Dirk?
Jetzt war es an mir, eine Pause einzulegen. Meine erste Reaktion war, die
Schotten dicht zu machen und Bent gegenber einen wohlklingenden Spruch
abzulassen, etwa in der Art, es sei besser, wenn er das nicht erfhre. Aber dann
mute ich mich fragen, besser fr wen? Bent wrde sehr wahrscheinlich eher in
irgendwas hineinstolpern, das die Aufmerksamkeit unseres mysterisen X erreg-
te, wenn er nicht wute, was los war. Wie kann man seinem Feind aus dem Weg
gehen, wenn man nicht wei, wer er ist? Hinzu kam noch mein Verlangen, es
irgend jemandem zu erzhlen.
Um es kurz zu machen, ich redete mir alles von der Seele. Beginnend mit
Jocastas Auftritt in meinem Auburner Apartment, erzhlte ich ihm die ganze Ge-
schichte bis zu diesem Moment. Wenn ich irgendwas auslie, dann war es ein
schlichtes Versehen.
Als ich geendet hatte, war sein durchdringendes Starren weicher geworden. Ich
konnte erkennen, da er im Innern seines Herzens um Lolly und die anderen, die
gestorben waren, trauerte. Danke, da du mir die Wahrheit erzhlt hast, sagte
er schlicht. Das ist gut zu wissen. Schtze, ich hab mir schon Sorgen gemacht
... Er brach ab.
Ob ich noch auf der richtigen Straenseite arbeite? Er nickte ein wenig ver-
legen. Mach dir nichts draus, Chummer, sagte ich. So sind die Schatten eben.
Manchmal wei ich es nicht einmal. Also, was kannst du mir erzhlen?
Es ist ziemlich verdreht. Laut Autopsie zeigte Waters viele derselben Sympto-
me wie Juli Long.
Ich dachte einen Moment lang nach. Du meinst, Daniel Waters war 2XS-
schtig?
Das ist ja das Verdrehte. Der Bericht fhrt dieselben neurophysiologischen
Aspekte auf wie bei Juli Long. Es hat ganz klar den Anschein, als seien hnliche
Prozesse abgelaufen.
Was ist daran so verdreht? sagte ich und wiederholte dann Jocastas Kom-
mentar, wie weit verbreitet der Gebrauch von Drogen und Chips in der Unterhal-
tungsindustrie sei.
Bent lchelte grimmig. Mag sein, aber Daniel Waters hatte keine Datenbuch-
se.
Ich zuckte die Achseln. Dann hast du dich vielleicht geirrt, vielleicht kann
106
man es ber einen ganz gewhnlichen SimSinn-Spieler laufen lassen.
Er schttelte den Kopf, noch bevor ich geendet hatte. Keine Spur. Ich hab
mich ein wenig umgetan. Die Abschwchung des Signals bei einem Kopfset
wrde 2XS wirkungslos machen. Das htte praktisch denselben Effekt wie bei
einem normalen SimSinn-Chip. Und das reicht auf keinen Fall, um das zu verur-
sachen, was Waters zugestoen ist.
Wenn Bent Sigurdsen dermaen entschieden klingt, diskutiert man nicht mit
ihm. Ich hatte die Erfahrung gemacht, da er wei, wovon er redet. Okay,
sagte ich, was ist dann also vorgefallen?
Ich wei es nicht. Aber das ist nicht das einzig Seltsame an dem Bericht. Sieh
dir das an.
Er beugte sich vor, um auf seiner Telekomtastatur herumzuhmmern, und mein
Schirm teilte sich. Die eine Hlfte zeigte Bent, die andere eine Lone Star-Datei-
berschrift mit einer Masse Text darunter. Ich berflog den Text. Er wimmelte
von medizinischen Fachausdrcken, mit denen der Zustand des verstorbenen
Daniel Waters beschrieben wurde.
Das ist der Bericht, besttigte mir Bent, was ich mir bereits gedacht hatte.
Er war verschlsselt, aber ich habe ihn decodiert. Jetzt pa auf.
Bent drckte eine Taste, und der Bericht lief ber meinen Schirm. Zu schnell
fr mich, um ihn zu lesen, aber ich konnte erkennen, da es ein ganz norma-
ler Text war. Und dann pltzlich war er das nicht mehr. Anstelle der blichen
alphanumerischen Zeichen sah ich nur noch ein Durcheinander komischer,
bildhnlicher Zeichen, griechischer Buchstaben, mathematischer Symbole, und
so weiter. Mein Telekom summte arhythmisch, whrend der Haufen Drek vor-
beizog. Dann war es vorbei, und wir waren wieder in einem normalen Text. Bent
drckte eine andere Taste. Der Bericht verschwand, und sein ernstes Gesicht
erfllte wieder den ganzen Schirm.
Was war das? Die Worte sprudelten aus meinem Mund, obwohl ich glaubte,
es bereits zu wissen.
Es gibt einen Abschnitt, der unter Benutzung eines anderen Algorithmus
verschlsselt worden ist, erhrtete Bent meine Vermutung. Ich habe ihn zu
knacken versucht, aber keine Chance. Wenn der Rest des Berichts schon einer
verschlossenen Tr gleicht, dann ist dieser Abschnitt wie ein Tresorraum.
Ich dachte einen Augenblick nach. Kannst du mir den Text rberschicken?
Vielleicht kann ich jemanden finden, der ihn knacken kann.
Er grinste. An mir solls nicht liegen. Bereit zum Empfang? Ich gab die ent-
sprechenden Befehle ein. Fang an, sagte ich. Der Transfer dauerte nur Sekun-
den, und mein Telekom summte, um den Empfang zu besttigen. Empfangen
und verifiziert, verkndete ich. Noch etwas, das ich wissen sollte?
Das wars einstweilen, sagte Bent mit einem Kichern. Aber wenn der Text
geknackt ist, wirst du mich wahrscheinlich brauchen, um ihn zu bersetzen.
So weit war ich auch schon. Danke, Chummer.
De nada. Wir sprechen uns spter. Machs gut, Dirk. Er unterbrach die Ver-
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bindung.
Ich lehnte mich zurck. Es kam mir so vor, als htte ich mich in einen Krimi
eingeschaltet, der schon dreiig Minuten lief, so da ich alle wichtigen Hin-
tergrundinformationen verpat hatte. Nichts schien sich auf eine logische und
offensichtliche Weise zusammenzufgen. Aber ich versprte eine makabre
Gewiheit, da so ungefhr alles, was letzte Woche passiert war, irgendwie zu-
sammenhing. Es war extreme Paranoia als gbe es diesen Groen Plan, den sie
erdacht hatten, und ich sei nur ein Bauer, der das Pech hatte zu spren, da er nur
ein Bauer war. Es gefiel mir berhaupt nicht.
Ich tat mein Bestes, um das Gefhl abzuschtteln, um die Bilder schreckli-
cher Wahrheiten hinter der Fassade der Realitt auszusperren. Alles wrde einen
Sinn ergeben, wenn ich die Teile des Puzzles auf die richtige Art und Weise
zusammensetzte. Und das grte Puzzleteil war der doppelt verschlsselte Ab-
schnitt in dem Bericht des Gerichtsmediziners von Lone Star.
Wenn Bent ihn nicht knacken konnte, bestand nicht die mindeste Hoffnung,
da ich es konnte. Ich brauchte einen Profi Buddy? Aber das wrde bedeu-
ten, sie aus ihrer Suche nach William Sutcliffe herausreien zu mssen, und ich
glaubte immer noch, da das die Hauptspur war. Buddy war die Beste, die es
gab, aber vielleicht brauchte ich gar kein Schwergewicht, um die Lone Star-
Verschlsselung zu knacken. Bestimmt gab es andere Decker, die fhig, verfg-
bar und billiger waren. Ich rief die Datenbank mit meinen Kontakten auf und
berflog sie.
Sie nannte sich Rosebud und war eine Zwergin. Wir trafen uns in einer Bar na-
mens The Mad Woman auf der Einundfnfzigsten Strae Nordost. Rosebud war
untersetzt und muskuls mit kurzen Armen und Beinen. Ihr Krperbau erinnerte
mich an einen Hydranten. Als ich die Bar betrat, sa sie bereits in einer im Dun-
keln liegenden Nische im hinteren Teil. Whrend sie mich zu sich winkte, holte
ich mir an der Bar einen Krug mit Bier und zwei Glser. Sie grinste mich unter
ihrem widerspenstigen Schopf haselnubrauner Haare an und streckte die Hand
aus.
Ich nahm sie und sprte ihre Finger, die so dick wie Bratwrste meine
schmerzhaft fest ergriffen. Ich versuchte mich zu revanchieren, so gut es ging,
hatte aber keine Chance. Rosebud go sich ein Glas Bier ein, trank die Hlfte
davon und fllte ihr Glas auf. Quasi als nachtrglichen Einfall schenkte sie mir
ebenfalls ein. Dann, und erst dann, begann sie zu sprechen.
Ist lange her, grollte sie mit einer Stimme, die viel zu tief und rauh fr je-
manden namens Rosebud* war. Die Geschfte laufen gut. Bin jetzt Manager.
Ich erinnerte mich an meine erste Begegnung mit Rosebud, die stattfand, kurz
nachdem ich mit dem Star Schlu gemacht hatte. Nach ihrer Graduierung in
Matrixprogrammierung war sie auf die Mrchen hereingefallen, Shadowruns
seien eine leichte Art, haufenweise Nuyen zu scheffeln und noch dazu im gan-
Tatschlich war ich ein wenig in Eile, aber es wre unhflich gewesen, das Ge-
schftliche zu regeln und dann sofort zu verschwinden. Insbesondere, nachdem
Rosebud mir nur zweihundert abgenommen hatte, wo ich mit einem K rechne-
te. Also geschah es mit leicht benebeltem Kopf und trockenem Mund, als ich
schlielich heimwrts fuhr.
Bent antwortete augenblicklich, als ich ihn anrief. Hast dus? fragte er und
grinste dann breit als ich den Chip vor die Videokamera hielt. Das war schnelle
Arbeit.
Ich legte den Chip ins Telekom ein und jagte die entschlsselte Datei durch die
Leitung in Bents Gert. Sieh sie dir an, sobald du Zeit hast, sagte ich.
Sobald ich hier fertig bin, Chummer, versicherte er mir. Hast du selbst
schon einen Blick hineingeworfen?
Ich schttelte den Kopf. Es htte mir sowieso nichts gesagt. Ruf mich an,
wenn du Bescheid weit.
Worauf du dich verlassen kannst. Bis spter, Dirk.
Ich unterbrach die Verbindung, lehnte mich in meinen Sessel zurck und rieb
mir die schmerzenden Augen. Dann sah ich mich in dem verwahrlosten kleinen
Apartment um. Das letzte, was ich wollte, war, hier herumzusitzen, aber ich hielt
es fr besser, in der Nhe des Telekoms zu bleiben. Verdammt. Das Warten ist
immer das Schwerste.
11
E s endete damit, da ich das tat, was ich normalerweise immer tue, wenn ich
auf etwas warten mu: Ich schlief. Und diese Angewohnheit kann ich sogar
rechtfertigen. In der Ausbildung bei Lone Star pflegte man uns zu sagen: Schlaf
ist eine Waffe ein toller Spruch und einer, den sie meiner berzeugung nach
irgendwo geklaut haben. Was ich also an jenem Mittwochabend tat, war, eine
Waffe zu schmieden.
Tatschlich schlief ich so fest, da ich beinahe das Summen des Telekoms
berhrt htte. Als es schlielich in meinen betubten Verstand eindrang, wlzte
ich mich mit benommenem Schdel und verschwommenem Blick herum, um
einen Blick auf die Uhr zu werfen. Nullfnfdreiig. Es mute Bent sein.
Richtig geraten. Wie nicht anders zu erwarten, sah er schauderhaft munter aus
frisch, ausgeruht und bereit, den Tag anzugehen. Ich hatte einen Geschmack
im Mund, als sei etwas darin gestorben, und fr einen Moment hate ich Bent.
111
Guten Morgen, Dirk, schwrmte er.
Blaargh, sagte ich, oder irgendwas in der Art.
Ich dachte, du wolltest das hier so schnell wie mglich hren, fuhr er fort.
Dann verblate sein Lcheln ein wenig, als ihm mein bemerkenswerter Mangel
an Klarheit auffiel. Willst du dir erst noch einen Soykaf oder irgendwas holen,
bevor wir anfangen?
Ich nickte wortlos und stolperte in die Kochnische des Apartments. Der Vor-
gang, mir in der Mikrowelle einen Becher Soykaf hei zu machen, gab mir die
Zeit, die ich brauchte, um die Schlfrigkeit aus meinen grauen Zellen zu vertrei-
ben. Und der erste Schluck Soykaf absichtlich zu hei vollendete den Job.
Als ich mich schlielich vor das Telekom setzte, fhlte ich mich fast wieder wie
ich selbst. Was hast du fr mich? fragte ich.
Bents Miene wurde ernst. Mehr, als du hren willst, wrde ich sagen. Du bist
da in eine ziemlich trbe und dstere Sache reingeraten, Chummer. Kein Wun-
der, da Lone Star den Deckel draufhlt.
Bei jedem anderen (Patrick Bambra, zum Beispiel) htte ich diese Erffnung
als melodramatisch oder beginnende Paranoia abgetan. Bent neigt jedoch nicht
zu derartigen Anfllen mentaler Schwche. Ich versprte das tzende Brennen
der Neugier im Magen, als ich ihn aufforderte: Weiter.
Bents Augen verlieen mein Gesicht um scheinbar einen Punkt ber meiner
rechten Schulter zu betrachten. Einen Augenblick versprte ich den Drang,
mich umzusehen echte Paranoia , doch dann wurde mir klar, da Bent seinen
Schirm geteilt haben mute, so da er den Bericht lesen konnte, whrend er sich
mit mir unterhielt. Ich zwang mich zu entspannen, so gut es ging.
Und das sind die Informationen, die Lone Star unter Verschlu hlt. Du wirst
gleich verstehen, warum. Als Crashcart Waters aus dem Hubbell Street Park her-
ausgeholt hat, war er ziemlich bel zugerichtet. Eintrittswunde links posterior,
oberhalb des Scapulae ...
Ich unterbrach ihn. Bitte, Klartext, Bent.
Er nickte. Gut. Jemand hat fast seinen halben Krper weggepustet. Waters
wurde von einer Schrotflinte in den Rcken getroffen, knapp ber dem linken
Schulterblatt. Der Schu hat ihm das Clavicula sein Schlsselbein herausge-
rissen und den grten Teil seines linken Schultergelenks pulverisiert. Betrcht-
liche Nervenschden, massiver Blutverlust, Knochenfragmente in den Lungen
... Er htte an Ort und Stelle sterben mssen, wenn nicht am Blutverlust, dann
zumindest am Schock.
Aber das tat er nicht.
Bent lchelte. Er war ein zher Dreckskerl, kein Zweifel.
Nach allem, was du sagst, mte er eigentlich immer noch im Krankenhaus
liegen.
Stimmt, und dazu komme ich noch. Tatschlich war die Natur der Verletzung
jedoch dergestalt, da die Behandlung ziemlich auf der Hand lag. Vor zwanzig
Jahren htte man nicht das Geringste fr ihn tun knnen. Aber heute ...
112
Cyber-Ersatz.
Du hasts erfat, Chummer. Ein interessanter Job auerdem. Sie verpaten
ihm keinen ganzen Arm, sondern nur einen Teil der Schulter. Die Implantation
war kein Problem, aber die Tatsache, da es zwei grere Interfaces ...
Ich hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. Klingt nach einem bedeuten-
den Eingriff. Aber er war wann wieder auf den Beinen? Drei Tage spter?
Er war auf den Beinen, sagte Bent. Aber er htte es nicht sein drfen. Sie
hatten die Cyberware nicht mal voll aktiviert. Und selbst die Teilaktivierung, die
sie vorgenommen haben, kam noch zu frh.
Warum haben sie es dann getan?
Das weit du ebensogut wie ich. Vertragliche Verpflichtungen. KOMA
brauchte ihn so schnell wie mglich wieder auf Sendung, und da er ein guter
kleiner Lohnsklave war, folgte er ihrem Ruf, bereit oder nicht. Bent sah mr-
risch aus. Wenn ich irgendwas in diesem Fall zu sagen gehabt htte, wre er
mindestens noch einen Monat im Bett geblieben.
Woran ist er also gestorben? fragte ich. Doch wohl bestimmt nicht am post-
operativen Schock oder hnlichem Drek.
Natrlich nicht, und an der Stelle wird es unheimlich. Daniel Waters starb an
einer neurophysiologischen Reaktion auf einen Schaltkreis in der Hardware des
Cyber-Ersatzes.
Ich schttelte den Kopf: Das ergab keinen Sinn. Irgendeine Art von Absto-
ung, also? Aber ich dachte, du httest gesagt ...
Ich wei, was ich gesagt habe, fuhr Bent dazwischen. La mich ausreden.
Er starb an einer uerst negativen Reaktion auf einen Schaltkreis in der Cy-
ber-Hardware. Aber dieser Schaltkreis hatte dort berhaupt nichts zu suchen. Er
war eine neurologische Kopplung, die weder etwas mit motorischen Funktio-
nen noch mit sensorischen Nerven zu tun hat. Das ist so, als wrdest du deinen
Wagen auseinandernehmen und eine Kaffeemhle am Getriebe finden. Sie hat
dort schlicht und einfach nichts zu suchen. Und es war dieser ... Er suchte nach
dem richtigen Wort, ... fremde Schaltkreis, der Waters umgebracht hat. Er hat
sein Hirn mit irgendwelchen Signalen gefttert, die sein zentrales Nervensystem
durcheinandergebracht haben. Es ist mglich, da die Wirkung nicht tdlich ge-
wesen wre, wenn sie die Hardware nicht aktiviert htten, solange er sich noch
in einem derartig geschwchten Zustand befand. Jedenfalls neige ich zu dieser
Ansicht.
Und was war das fr eine Hardware? fragte ich.
Was Lone Star unter anderem verschleiern will, ist die Tatsache, da sie es
nicht wissen. Ihr Gerichtsmediziner hat den Schaltkreis beschrieben, aber als er
auf seine Funktionsweise zu sprechen kam, benutzte er eine politisch akzeptable
Phrase, die nichts anderes bedeutet als Ich will verdammt sein, wenn ich das
wei.
Ich sprte, wie mir ein kalter Schauer das Rckgrat hinunterlief. Aber du
weit es, nicht wahr, Bent.
113
Er nickte zgernd. Ja, aber nur, weil ich mir schon den Fall Juli Long angese-
hen habe. In diesem Schaltkreis findet praktisch dieselbe Technologie Verwen-
dung wie bei 2XS-Chips.
Ich starrte auf den Schirm. Ich wute nicht, was ich sagen sollte. Also war es
so, als wrde er stndig einen 2XS-Chip einwerfen?
Nicht genau, korrigierte mich Bent. Die Intensitt mu viel niedriger ge-
wesen sein.
Aber im Prinzip ...
Im Prinzip, ja.
Ich schttelte den Kopf. Zu viel, zu merkwrdig. Wo ist der Job ausgefhrt
worden? Ich durchforstete mein Gedchtnis nach dem Namen des Hospitals, in
das Waters nach seiner Rettung gebracht worden war. In Harborview?
Nicht in einem Hospital. Crashcart hat ihn mitgenommen und in die Crash-
cart-Zentralklinik mit angeschlossenem Body-Shop gebracht. Die haben den Job
ausgefhrt.
Dann hat Crashcart den 2XS-Schaltkreis installiert?
Wenn es wirklich einer war.
Hr mal, sagte ich, wenn 2XS so tdlich ist, wie sehen dann die Symptome
aus?
Ich kann nur Vermutungen anstellen.
Na, dann stell Vermutungen an, fauchte ich.
Er blinzelte, nickte jedoch. Ich vermute er betonte das Wort man er-
lebt krperliche und geistige Desorientierung. Gedchtnislcken. Heftige
Stimmungsumschwnge. Verlust der motorischen Kontrolle, offensichtliche
Lhmungserscheinungen. Auf einer tieferen Ebene Rhythmusstrungen, viel
leicht Verlust der Homostasie ...
Und der Tod wrde verursacht durch ...?
Progressives Versagen der Nervenfunktionen. Zunchst wren die hheren
zerebralen Funktionen an der Reihe, also wahrscheinlich irreversibles Koma,
gefolgt vom schlielichen Stillstand des gesamten autonomen Nervensystems.
Ich fixierte Bent mit meinem hrtesten Blick. Chummer, sagte ich, du weit
nichts ber diese Dinge, karimasu-ka? Vielleicht hast du die Dateien geklaut,
aber du hast sie nicht entschlsselt, und du hast sie nie durchgesehen. Du hast sie
einfach nur mir gegeben. Du weit nichts. Begriffen, Omae?
Er nickte zgernd. Ich wnschte, es wre so, sagte Bent.
Wie bin ich nur in diese Sache reingeraten? fragte ich mich. Ich lag auf dem Bett
und starrte an die Decke. Es war noch nicht mal sechs Uhr morgens, aber es war
bereits einer von jenen Tagen.
Etwas ziemlich bles ging vor. (Kaum eine berraschung, dies war schlielich
der Sprawl.) Whrend ich aus der einen Verschwrung unserem mrderischen
X schlau zu werden versuchte, war ich auf etwas gestoen, das wie die nchste
Verschwrung aussah. Gab es irgendeine Verbindung?
114
Meine erste Reaktion bestand aus einem schallenden Nein und dem Verlangen,
Daniel Waters, Juli Long und 2XS als falsche Daten aus meinem Verstand zu l-
schen. Aber bei nherer Betrachtung schien es eine dnne Verbindung zu geben
und zwar in Gestalt keines anderen als unseres Elf-Motorradfreaks. Er schien im
Augenblick die zentrale Gestalt zu sein. Er stand mit der Person in Verbindung,
die Jocasta angerufen und behauptet hatte, Informationen ber Lolly zu besitzen.
Die Wahrscheinlichkeit, da er und sein Ork-Lieutenant nur rein zufllig ins un-
terirdische Parkhaus des Westlake Center gefahren waren, um dort in der Gegend
herumzuballern, war verschwindend gering. Er stand auerdem mit Crashcart
in Verbindung, was die beste Erklrung fr seinen Exekutiv-Diamant-Vertrag
mit dieser Gesellschaft war, den er sich eigentlich gar nicht htte leisten knnen
drfen. Und zwischen Crashcart und 2XS gab es eine Verbindung, dokumentiert
durch das verfrhte Ableben von Daniel Waters.
Obwohl ich keinen Beweis hatte echt oder eingebildet , um die Theorie
zu sttzen, hatte ich das unbestreitbare Gefhl, da es ein weiteres Bindeglied
gab, das alles miteinander verband. A stand in Beziehung zu B, B stand in Be-
ziehung zu C und D. Was, wenn D irgendwie zu A in Beziehung stand? Und
was, wenn der ganze Buchstabensalat irgendwie mit X verbunden war? Sagen
wir, beispielsweise, in Gestalt einer Verbindung zwischen William Sutcliffe und
Crashcart?
Ich schttelte den Kopf. Reine Paranoia, sagte mir ein Teil meines Verstandes.
Aber ein anderer Teil fragte sich, ob ich paranoid genug war. Ein Paranoider ist
manchmal im Besitz aller Fakten ...
Was ich also brauchte, waren alle Fakten. Insbesondere mute ich mehr ber
Crashcart in Erfahrung bringen, die Gesellschaft, die fr die medizinischen
Dienstleistungen verantwortlich war, und den Konzern, dem sie gehrte (falls
vorhanden). Diese Art von Informationen war ber die Matrix zu beziehen, aber
die Art Hintergrund-Drek, die ich wirklich wollte, wrde in den tiefsten Schatten
verborgen sein. Wiederum brauchte ich einen Decker. Rosebud? Nein, fr diesen
Run nur das Beste. Es mute Buddy sein.
Ich trank noch einen Becher Soykaf um mich zu sthlen, dann whlte ich ihre
Nummer. Sie hatte den Text auf ihrem Anrufbeantworter insofern gendert, da
es jetzt einen gab: Verpi dich und verrecke [piep]. Im stillen verfluchte ich
Buddys Kommunikationsgebaren und hinterlie eine Botschaft, die im wesent-
lichen besagte: Grab alles ber Crashcart aus und achte besonders auf Verbin-
dungen mit Sutcliffe. Ich legte auf, wobei mir Visionen leergefegter Kredstbe
durch den Kopf gingen. Wenn man das Beste will und das war Buddy , zahlt
man sich dumm und dmlich. Und einer der Hauptnachteile, ein SINloser Schat-
ten zu sein, ist der, da man nicht einfach die Hnde hochwerfen und den Kon-
kurs erklren kann. Kein Geld, kein Leben. Und es gab immer Organschmuggler
Schwarzmarkthndler fr Transplantate , die einem etwaige Schulden buch-
stblich aus den Rippen schnitten.
Was sollte ich jetzt also tun? Buddy wrde mich irgendwann, wenn es ihr pa-
115
te, zurckrufen. Bent hatte mir alles gegeben, was er konnte, und ich wollte ihn
nicht noch tiefer hineinziehen. Dito Naomi. Mit Jocasta konnte ich reden, aber
sie hatte mir immer noch nicht ihre Nummer gegeben. Wahrscheinlich konnte
ich ihr via KSTS oder Universitt eine Nachricht zukommen lassen, aber das war
nicht unbedingt das, was ich im Augenblick wollte.
Ich warf einen Blick auf das Bett und dachte, es sei immer noch frh genug,
um sich getrost noch einmal schlafen legen zu knnen. Aber mein Verstand war
hellwach, und ich kam zu dem Schlu, da ich an dieser Waffe lange genug ge-
schmiedet hatte.
Ich htte frher daran denken sollen. Wenn man will, da das Telekom klingelt,
braucht man nur eine Dusche zu nehmen. Splitternackt und vor Seifenschaum
triefend sprintete ich durch das Zimmer und drckte auf die Empfangstaste, aber
erst, als ich mich vergewissert hatte, da die Videokamera abgeschaltet war, und
zwar ebenso aus Grnden der Diskretion wie auch der Sicherheit.
Ich kannte das Gesicht nicht, das auf dem Schirm erschien. Es war ein junger
Ork, vielleicht Anfang Zwanzig. Die Seiten seines Kopfes waren kahlgeschoren
und seine Haare zu einer vielfarbigen Irokesensichel aufgetrmt. Er trug eine
Motorradlederjacke, nicht allzu sauber, doch dafr mit einem Kragen, der mit
synthetischem Leopardenfell gefttert war. Ich wute, da die Kombination aus
Sichel und Kragen die Gang identifizierte, in der er Mitglied war, aber ich konnte
die Farben im Moment nicht unterbringen, und auerdem war es mir auch voll-
kommen gleichgltig. Dem etwas unscharfen Bild nach zu urteilen, rief er von
einem ffentlichen Telekom aus an.
Ja? bellte ich.
Er schnitt dem, wie ich wute, leeren Schirm eine Grimasse. Dirk Montgo-
mery?
Ich zgerte. Ich vermute, meine Paranoia hatte mich eingeholt. Ich kann ihm
was ausrichten.
Nun war es an ihm zu zgern. Teri hat mir diese Nummer gegeben.
Teri ... Theresa? schnappte ich.
Ja, genau, Theresa Montgomery. Ich mu mit ihrem Bruder sprechen.
Das tust du schon. Warum?
Sie is ausgeflippt, ziemlich schlimm, wies aussieht. Vielleicht hat sie n
schlechten Chip eingeworfen, vielleicht zu viele. Keine Ahnung.
Ich schlo die Augen. Ich hatte mich vor diesem Anruf gefrchtet, jedoch in
gleichem Mae damit gerechnet. Ich denke nicht da ich jemals wirklich ge-
glaubt habe, aus meiner Schwester wrde letzten Endes kein Chiphead werden.
Was ist passiert? fragte ich ruhig.
Keine Ahnung, plapperte er mit einem Unterton der Rechtfertigung drauf
los. Ich war nich da, als es passierte. Sie ich wei auch nich sie is irgendwie
fickerig geworden. Hat vergessen, wer sie is, fing an zu schreien.
Wie geht es ihr jetzt?
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Sie is nich hier ...
Wo ist sie? schrie ich. Ich konnte erkennen, wie der Ork mit dem Gedanken
spielte, einfach aufzuhngen, also zwang ich mich zu einem umgnglicheren
Tonfall. Tut mir leid, sagte ich. Aber sie ist meine Schwester. Als ihr gesehen
habt, da sie in Schwierigkeiten ist, habt ihr sie irgendwohin gebracht, richtig?
Er zgerte, seine streitschtige Miene hellte sich ein wenig auf. Inne Klinik,
sagte er. Wir ham sie inne Straenklinik gebracht.
Ich knirschte mit den Zhnen. Seit dem Tod unserer Eltern unterhielt ich fr
Theresa einen Grundlagenvertrag mit DocWagon. Ich hatte ihre Karte immer
noch in meiner Brieftasche. Aber sie hatte sich geweigert, sie zu nehmen oder
sich bei DocWagon registrieren zu lassen. Das htte bedeutet, sie htte ihren
Wohnsitz angeben mssen, und wahrscheinlich frchtete sie, da ich die Daten
benutzen wrde, um sie aufzuspren. Ich hatte den Vertrag in der vergeblichen
Hoffnung aufrechterhalten, da Theresa mich anrufen wrde, falls ihr irgendwas
zustiee, und mir so Gelegenheit geben wrde, falls notwendig, ein Rettungsteam
von DocWagon in Marsch zu setzen. Ich wollte diesen Orkbubi anschreien und
ihn zur Hlle und wieder zurck wnschen, weil er meine Schwester in irgend-
eine Pennerklinik gebracht hatte, wo sie doch auf einer anstndigen DocWagon-
Krankenstation htte liegen knnen.
Aber natrlich konnte der Ork nicht wissen, da Theresa bei DocWagon ver-
sichert war, und es klang ganz so, als sei sie nicht in der Verfassung gewesen,
es jemandem zu erzhlen. Wie gern ich dem Ork auch die Schuld gegeben htte
konnte ich das? Was, wenn er mich berhaupt nicht angerufen und sich voll-
kommen von Theresa distanziert htte?
Ich gab mir alle Mhe, meine Stimme ruhig und friedlich klingen zu lassen.
Okay, ihr habt sie also in eine Straenklinik gebracht. Wohin? In welche Kli-
nik?
Ich war das nich, sagte der Ork. So wie die drauf war ... Keine Chance, sie
auf ner Karre im Zaum zu halten. Fitz hat sie in seim Wagen gefahrn.
Wohin hat Fitz sie gebracht?
Zur UB. Zur Universellen Bruderschaft, die ham Kliniken und die Behand-
lung is umsonst ...
Welches Stift?
Ecke Meridian und Dreiundzwanzigste. Das is das nchste.
Ecke Meridian und Dreiundzwanzigste. Das war in Puyallup, im Bezirk Wild-
wood Park, um genau zu sein. Mit dieser Erinnerungssttze konnte ich nun auch
die Banden-Farben des Orks unterbringen. Das Leopardenfell und die Irokesen-
sichel bedeuteten, da der Ork zu den Night Prowlers gehrte. Verglichen mit
echten gesellschaftlichen Abweichlern wie den Tigers und den Ancients sind
die Prowlers Waschlappen oder Trnentiere, die sich im allgemeinen auf we-
niger endgltige Formen schwerer Ttlichkeit und bewaffneten Raubberfalls
beschrnkten. Aber es sind trotz allem noch Leute, denen man nicht gern im
Dunkeln begegnet. Die Vorstellung, da Theresa mit ihnen herumhing, bedrck-
117
te mich mehr als nur ein wenig.
Wann ist das alles abgegangen? fragte ich ihn.
Letzte Nacht, ziemlich spt. Er zuckte die Achseln. Drei, vielleicht vier, als
sie den Rappel kriegte.
Danke fr den Anruf, sagte ich und meinte es auch so.
Der Ork lchelte beinahe, aber natrlich wre ein Lcheln viel zu uncool ge-
wesen. Geschenkt, sagte er. Ich mag Teri. Sie is echt Sahne. Wenn du sie vor
mir siehst, sag ihr, Pud sagt Hoi. Und damit unterbrach Pud, das Ork-Banden-
mitglied, die Verbindung.
Ich rief das Telekomverzeichnis auf, suchte die Nummer des Stifts der Bru-
derschaft in Puyallup heraus und drckte die Taste, um den Anruf zu ttigen.
Ich war hocherfreut, eine echte Vermittlung an den Apparat zu bekommen ein-
schlielich Dekollete, krausem Blondhaar, makellosen berkronten Zhnen und
allem. Nicht nur, da eine echte Vermittlung in der Regel besser aussieht als die
Videokonstrukte der automatischen Telekomzentralen, die in der Konzernwelt
stark verbreitet sind, man kann sich mit ihr auch unterhalten.
Vielen Dank fr Ihren Anruf bei der Universellen Bruderschaft, sagte sie,
und es klang, als ob sie es so auch meinte. Wie kann ich Ihnen helfen?
Sie haben eine Klinik in Ihrem Stift?
Sie nickte. Haben wir, sagte sie stolz. Eine Klinik mit kostenloser Behand-
lung fr all jene Unglcklichen, die sich weder eine Versicherung noch die nor-
male Gesundheitsvorsorge leisten knnen. Das ist nur einer der zahllosen Wege,
auf denen wir zum Baum des Lebens im Sprawl beitragen.
Ich lie sie ihr Sprchlein aufsagen, aber es kostete mich alle Selbstbeherr-
schung, die ich aufbringen konnte. Ich wollte mich nach einer Ihrer Patientin-
nen erkundigen, sagte ich.
Sie runzelte die Stirn, eine nette kleine Affektiertheit, fr die ich sie in meiner
gegenwrtigen Stimmung htte erwrgen knnen. Es tut mir auerordentlich
leid, begann sie wie erwartet, aber wir knnen keine Informationen ber unse-
re Patienten herausgeben ...
Sie ist meine Schwester, bellte ich. Ihr Name ist Theresa Montgomery oder
vielleicht auch Teri. Sie wurde sehr frh heute morgen eingeliefert. Sagen Sie
mir zumindest, wie es ihr geht. Eigentlich wollte ich sagen, ob sie noch lebt,
aber im letzten Augenblick wollten die Worte dann doch nicht herauskommen.
Ein Ausdruck echter Besorgnis erschien auf dem Gesicht der Vermittlung.
Das tut mir ja so leid. Sie mssen sich groe Sorgen machen. Ich werde in den
Unterlagen nachsehen. Ihr Gesicht verschwand und wurde von der Videoauf-
zeichnung eines Quatschkopfs ersetzt, der unentwegt ber die philantropischen
Projekte der Bruderschaft plapperte. Ich drehte den Ton leiser und kaute Finger-
ngel.
Krauskopf tauchte rasch wieder auf. Jetzt machte sie einen verwirrten Eindruck
auf mich. ... sehr leid, Mr. Montgomery, sagte sie, whrend ich den Ton wieder
aufdrehte, wir haben keine Eintragung ber eine Theresa oder Teri Montgomery
118
oder eine Person hnlich klingenden Namens.
Vielleicht konnte sie ihren Namen nicht mehr nennen, vielleicht hat sie auch
einen falschen genannt. Sie ist Ende Zwanzig, gro, hat kurze blonde Haare ...
Es tut mir leid, wiederholte die Vermittlung entschlossen, aber Ihre Schwe-
ster ist nicht hier.
Woher wissen Sie das?
Sie bi sich auf die Lippen. Eigentlich drfte ich Ihnen das gar nicht sagen,
aber aus den Unterlagen geht hervor, da wir seit gestern abend, zweiundzwan-
zig Uhr dreiig berhaupt keine Aufnahmen hatten. Sind Sie sicher, da Ihre
Schwester hierher gebracht worden ist? Es gibt andere Kliniken, in denen ko-
stenlos behandelt wird.
Ich zgerte. Pud, der Ork, hatte es zwar gesagt, aber schlielich hatte Fitz sie
weggebracht, und Pud war nicht mitgefahren. Nein, sagte ich der Vermittlung
ich bin nicht sicher. Danke fr Ihre Zeit.
Ich schaltete das Telekom ab, bevor sie mir einen zweifellos geschmacklosen
Spruch zum Abschied mit auf den Weg geben konnte. Ich schnappte mir meinen
Duster und vergewisserte mich, da meine Pistole im Halfter steckte. Ich hatte
einen Besuch bei einer Gang zu machen.
12
I n Puyallup sieht es hnlich aus wie in Purity, mit dem Unterschied, da ersterer
sich offenbar aus den Trmmern zu erheben versucht, whrend Redmond fr
seinen Zustand anscheinend vollkommen blind ist. Der Meridian-Bezirk gehrt
noch zu den besseren. Keine ausgebrannten Wagen auf den Brgersteigen, und
die meisten Huser haben noch Tren und Fenster. Nichtsdestoweniger liegt der-
selbe Geruch kaum verhohlener Gewaltttigkeit in der Luft und die Lone Star-
Patrouillen sind immer gut bewaffnet und nach Einbruch der Dunkelheit beson-
ders auf der Hut.
Ich parkte meinen Wagen auf einem bewachten Parkplatz an der Siebzehn-
ten Strae gegenber vom Wildwood Park. Ich unterschrieb beim Wchter auch
noch fr einen nichtexistierenden zweiten Wagen, um zu gewhrleisten, da es
mehr in seinem Interesse lag, den Wagen fr mich zu bewachen, als ihn den rt-
lichen Assen im Ausschlachten zu berlassen. Dann schlenderte ich die Dreiund-
zwanzigste Avenue entlang, mitten ins Herz des Territoriums der Night Prowlers.
Shaikujin sind immer verblfft wie leicht es ist, Leute aufzuspren, wenn man
einmal ihre Wohngegend kennt, aber genau das ist der Grund, warum es so wich-
tig ist, dafr zu sorgen, da potentielle und tatschliche Feinde nicht wissen, wo
man herumhngt. Fr Gangs und ihre Mitglieder ist das natrlich gar nicht so
einfach. Durch ihre Farben sind sie gebrandmarkt, und jeder, der sie gesehen hat,
kennt die wahrscheinlichen Stellen, an denen man sie finden kann. Um nicht ge-
funden zu werden, mu man sich irgendwo anders verkriechen. Bei einer Gang
bedeutet das, man mu auf dem Territorium einer anderen Gang untertauchen.
119
Was wiederum bedeutet, da man seine Farben ablegen mu was kein Banden-
mitglied mit auch nur ein klein wenig Selbstachtung gern tun wird , so da ei-
nen die Gang, dessen Territorium man betreten hat nicht als warnendes Beispiel
fr jeden mit territorialen Ambitionen mibraucht.
Fr mich war das gleichbedeutend damit da ich zuversichtlich sein konnte,
Pud den Prowler aufspren zu knnen. Es kostete mich weder zuviel Zeit noch
zu viele Nuyen. Ich brauchte lediglich ber die Dreiundzwanzigste zu schlen-
dern, fr ein ungeniebares Frhstck am rtlichen Soykaf-Stand ein schreiend
hohes Trinkgeld zu geben, dann fnf Schachteln Js zu kaufen und zu vergessen,
sie mitzunehmen, und mir schlielich woanders noch ein weiteres Frhstck zu
kaufen eine Mahlzeit, die ich ein paar Pennern in einer Seitengasse schenkte.
Und die ganze Zeit quatschte ich jeden an und fragte nach den Prowlers im all-
gemeinen und einem jungen Ork namens Pud im besonderen.
Wie Rosebud es formuliert htte, es war geistlos. Nach einer Stunde hatte ich
so viel Hintergrundwissen, da ich wahrscheinlich ein Pamphlet mit dem Titel
Ein Tag im Leben des Pud und seines Chummers Fitz htte schreiben knnen.
Pud und Fitz ein Troll, logo neigten dazu, den Tag mit einer Runde Red-Eyes
in The Mill, einer Spelunke in der Nhe, zu begren. Danach fhrte sie ihr Stun-
denplan in eine Auswahl von Billardsalons und SimSinnhallen, immer wieder
unterbrochen von Spazierfahrten durch ihr Territorium. Schlielich pflegten sie
den Tag mit heftigen Stoff-Sessions in der Nhe der Quelle und vielleicht einem
netten kleinen Zerstreuungsstndchen (oder was auch immer) mit den Ladies
von Hades zu krnen, einer Frauengang, die das Territorium auf der anderen Sei-
te der Shaw Road fr sich beanspruchte. In meinen Ohren klang das ganz nach
einem erfllten Leben.
Natrlich war es nur der Anfang von Puds geschftigem Tag, der mich inter-
essierte. Ich sah auf die Uhr: kurz vor Zehn, was bedeutete, The Mill war die
sicherste Wette.
The Mill hatte einst Jimbos Schnellreinigung beheimatet. Man konnte immer
noch sehen, wo die alten Neonrhren von der Wand gerissen worden waren.
Das einzige Fenster in der schmalen Vorderfront war getnt, so da man von der
Strae nicht hineinsehen konnte. Das einzige Erkennungsmerkmal des Etablis-
sements war ein kleines verrostetes Schild an der Tr.
Frhstck war nicht die beste Tageszeit fr The Mills. Als ich durch die Tr
trat, sah ich nur zwei Gste an der Bar sitzen, einen Alki, der sich die erste Mahl-
zeit des Tages einflte, und Pud den Ork. Pud war gerade mit seinem zweiten
Red-Eye einer Mixtur aus Bier und Tomatensaft, die ich persnlich widerwr-
tig finde beschftigt, jedoch nicht so sehr in sein Frhstck vertieft, nicht auf-
zusehen und mich mit dem Bsen Blick zu strafen, als ich hereinkam. Ich zuckte
zusammen, als er mich fixierte, aber dann erinnerte mich der logische Teil mei-
nes Verstandes daran, da ich die Kamera whrend unseres Telekomgesprchs
ausgeschaltet hatte. Ich hockte mich ans Ende der Bar, fnf Hocker von Pud
entfernt zu dessen Rechten, und bestellte ruhig eine Bloody Mary beim sichtlich
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gelangweilten Barmdchen. Whrend sie den Drink mixte, berlegte ich, wie ich
Pud ansprechen sollte.
Der Drink kam, und ich nahm einen Schluck. Zu wenig Dill, wie vorauszuse-
hen, und ich glaube, der Gin war verwssert. Ich drehte mich halb in Richtung
Pud und hob mein Glas. Er sah zu mir herber und verzog die Lippen. Teri
bedankt sich, sagte ich so laut und deutlich, da er meine Stimme erkennen
konnte.
Ich beobachtete die Augen, um ja nicht seine erste Reaktion zu verpassen. Es
sind immer die Augen, die einem verraten, wenn man eine taktische berra-
schung gelandet hat. Und ich sah, da das der Fall war.
Wenn ich jedoch mit einer schuldbewuten Reaktion gerechnet hatte, wurde
ich enttuscht. Die Augen des jungen Orks ffneten sich vor berraschung ein
wenig weiter, dann teilten sich seine Lippen zu einem Grinsen. Vollkommen auf-
richtig gemeint, darauf htte ich wetten mgen. Es geht ihr gut? fragte er. Das
is Sahne. Dann fiel ihm wieder ein, wer er war, wo er war und welche Rolle er
zu spielen hatte. Er setzte wieder seine normale Schmollmiene auf. Du bis ihr
Bruder, wa?
Ich nickte. Teri hat mir erzhlt, wo ich dich finden kann, also bin ich vorbei-
gekommen, um mich persnlich zu bedanken. Ich brachte das mglichst schnell
vor, so da ihm eventuelle Lcher in meiner Geschichte nicht auffallen wrden.
Dann traf ich ihn mit einer Bemerkung, die ihn ablenken mochte, zumindest ein
wenig. Kann ich dir noch n Frhstck kaufen?
Er beugte den geleerten Red-Eye vor sich auf der Bar und grinste unwillkr-
lich. Klar, warum nich? Er schnippte mit dem Fingernagel gegen das Glas,
um das Barmdchen auf sich aufmerksam zu machen, dann zeigte er auf seinen
Drink. Noch einen. Diesmal mit Ei drin.
Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, aber ich schaffte es, mein Lcheln bei-
zubehalten. Frhstck fr Champions, bemerkte ich.
ne verwichste Eins, stimmte mein neuer Kumpan zu.
Ich sah mich angelegentlich um. Wo steckt Fitz? Ich wollte ihm auch n Frh-
stck ausgeben.
Kein Schimmer. Pud zuckte die Achseln. Er is zurckgekommen, nachdem
er Teri abgeliefert hat, dann isser abgezischt. Hab ihn seitdem nich mehr gesehn.
Ich merkte mir das zwecks spterer Verwendung. In den nchsten paar Minu-
ten schlrfte ich lediglich in kumpelhaftem Schweigen meinen Drink, wobei ich
versuchte, die grotesken Schlrfgerusche von links zu ignorieren.
Ich versuche herauszufinden, was nun genau mit Teri passiert ist, sagte ich
schlielich. Ich glaube, die rzte wollen das auch wissen. Wie ist das eigentlich
alles abgegangen? Pud warf mir einen Seitenblick zu, und ich sah einen Ansatz
von Zweifel in seinen Augen. Teri kann sich kaum noch an was erinnern, fgte
ich hastig hinzu.
Er nickte, und der Zweifel verschwand. Teri wirft abends gern noch n paar
Chips ein. In n letzten paar Wochen hat sie was Neues probiert.
121
Weit du, was?
Er zuckte vielsagend die Achseln. Nee, geht mich nix an. Ich hab mit dem
Drek nix zu tun. Ich zieh das richtige Leben vor. Beim Lcheln entblte er
seine gelb verfrbten Hauer.
Sie hat letzte Nacht also gechippt ..., soufflierte ich.
Ja, wie ich schon sagte. Ich hab ein getrunken, so da ich um die Zeit n
bichen benebelt war. Schtze, s war so ungefhr Eins, als sie komisch wurde.
Was heit komisch?
Er schmollte ein wenig, offensichtlich etwas vergrtzt, da ich ihn stndig
unterbrach. Na, zum Beispiel, da sie verga, was sie sagte. Da sie n Satz
anfing und dann mittendrin umschaltete und ganz was anderes sagte. Sie wu-
te irgendwie, da ihr das passierte, und zuerst war sie echt vonner Rolle, dann
kriegte sie ne Scheiangst. Als nchstes fing sie an zu zittern. Ich dachte, sie is
vielleicht aufm schlechten Chip, aber ich hab nachgesehn, und sie hatte gar nix
eingeworfen. Er grinste schief und zeigte mir eine eigroe Quetschung hinter
dem rechten Ohr. Teri pates nich, da ich an ihrem Kopf rumfingerte, also hat
sie mir eins mit nem Ziegelstein verpat. Is gar nich ihre Art.
Ich nickte. Du hast recht. Das ist nicht ihre Art.
Dann is das Zittern so schlimm geworden, da sie nich mehr stehn konnte.
Jedesmal, wenn sie aufstehen wollte, is sie einfach wieder umgekippt. Da ham
wir uns dann gedacht, wir mten was unternehmen. Es is nmlich so, da wir
Teri alle Sahne finden, selbst Drekheads wie Random. Wir wuten nich, wo wir
sie hinbringen sollten. Ich glaub, Fitz is auf die Idee mit der Bruderschaft gekom-
men. Diese Nchstenliebe-Burschen sind komisch, aber auf der Strae heit es,
ihre Klinik is die beste.
Also hat Fitz sie in seinem Wagen hingefahren?
War nich wirklich seiner, vertraute mir Pud an. Er hatten sich mehr so frn
Abend geliehn. Ganz am Schlu schien Teri drber wegzukommen, hat mir Fitz
erzhlt. Aber er wollte nix riskiern, also hatter sie trotzdem hingefahrn.
Hat er sie einfach an der Tr rausgelassen?
Nee, er is mit rein gegangen. Hat sogar n Souvenir mitgebracht. Er griff in
seine Tasche und zog einen kleinen Gegenstand heraus, den er auf die Bar warf.
Ich beugte mich vor, um ihn besser betrachten zu knnen. Es war ein poliertes
silbernes Namensschild mit Velcro-Rcken. In das Metall war das Pyramidenlo-
go der Universellen Bruderschaft und der Name J. Bailey, E.K. graviert.
Pud kicherte. Keine Ahnung, wie er da rangekommen is. Dieser Fitz, ich
knnt mich immer abrollen ber den.
Nachdem ich The Mill verlassen hatte, spulte ich die Unterhaltung immer wieder
vor meinem geistigen Auge ab. Doch so oft ich sie auch durchging, es lief immer
nur auf zwei Mglichkeiten hinaus.
Erstens: Puds Troll-Chummer Fitz hatte tatschlich irgendwann in den frhen
Morgenstunden eine ausgeflippte Theresa in der Klinik der Universellen Bruder-
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schaft abgeliefert. Dort hatte er einer Neigung zum Kleindiebstahl nachgegeben
und das Namensschild der Eingetragenen Krankenschwester J. Bailey mitgehen
lassen. Untersttzende Beweise waren das Namensschild und die Tatsache, da
Pud sich wirklich etwas aus Theresa zu machen schien.
Die andere Mglichkeit war die, da Fitz Theresa irgendwo anders hingebracht
und sich aus irgendeinem Grund groe Mhe gegeben hatte, Pud davon zu ber-
zeugen, sie sei in der Klinik der Bruderschaft. Der untersttzende Beweis fr
diese Theorie kam von Ms. Krauskopf in der Telekomvermittlung des Stifts. An-
sonsten sprach wenig dafr: Fitz Abwesenheit heute morgen kam nicht mal als
Indiz in Frage.
Alles lief auf die Frage hinaus, wem ich glaubte. Der Vermittlung in der Bru-
derschaft oder einem Troll, der Mitglied bei den Night Prowlers war. Im Augen-
blick war es ein totes Rennen. Also galt es als erstes, Fitz aufzuspren.
Nein, als allererstes galt es, die Mglichkeit eines harmlosen Irrtums zu eli-
minieren. Ich fand eine ffentliche Telekomzelle, klebte ein Kaugummi auf die
Linse der Videokamera und rief noch einmal die Bruderschaft an.
Ich geriet an eine andere Vermittlung, die diesmal dunkelhaarig und dunkel-
hutig war, doch dasselbe blitzende Lachen prsentierte. Vielen Dank fr Ihren
Anruf bei der Universellen Bruderschaft, sagte sie dasselbe Sprchlein auf wie
ihre Kollegin. Wie kann ich Ihnen helfen?
Ich erwiderte das Lcheln. Knnen Sie mir den Namen des verantwortlichen
Leiters Ihrer Klinik nennen?
Tja, nun, sicher. Das ist Dr. Phyllis Dempsey. Sie hat die Stelle gerade von Dr.
Boris Chernekhov bernommen und ...
Knnte ich bitte mit Dr. Dempsey sprechen?
Sie zgerte. Drfte ich fragen, worum es geht?
Ich schttelte den Kopf. Tut mir leid, es ist etwas Persnliches.
Es tut mir auerordentlich leid, aber ich frchte, es ist gegen die Vorschriften,
persnliche Gesprche zu vermitteln. Ich kann Sie mit Dr. Dempseys Anrufbe-
antworter verbinden, und Sie knnen eine Nachricht hinterlassen.
Ich hinterlasse die Nachricht lieber gleich bei Ihnen. Sagen Sie Phyllis, meine
Frau wei alles, und der Drek ist echt am dampfen ...
Die Vermittlung ri die Augen auf. Ich ... ich ... verbinde Sie sofort, stotterte
sie. Warten Sie einen Moment. Sie berlie mich wieder dem Propagandaser-
mon der Bruderschaft. Ich hatte diesen Trick in einer der Detektivgeschichten
gelesen, die Patrick Bambra mir vor Jahren geliehen hatte. Gut zu wissen, da
sich manche Dinge niemals ndern.
Es dauerte nicht lange, bis Dr. Phyllis Dempsey an den Apparat ging. Sie war
eine statuenhafte schwarzhutige Elfin mit leicht krausem Haar, das zu einer ge-
schftsmigen Brste geschnitten war. Sie hatte volle, bewegliche Lippen, die
aussahen, als lachten sie gern, aber im Moment waren sie zu einer dnnen Linie
zusammengepret, und ihre haselnubraunen Augen funkelten vor Wut. Also
gut, fauchte sie, Sie haben Ihre kleine Schau vor Glory abgezogen und wahr-
123
scheinlich fr einigen Tratsch gesorgt wonach ich wirklich keinen Bedarf habe.
Also sollten Sie mir jetzt besser sagen, warum, zum Teufel, ich Lone Star nicht
wegen Ntigung auf Ihren hlichen Arsch ansetzen soll.
Ich mute grinsen. Gute, ehrliche Wut war erfrischend, auch wenn sie gegen
mich gerichtet war. Ich gelangte zu der Auffassung, da ich unter anderen Um-
stnden Gefallen an Phyllis Dempsey gefunden htte. Ich entschuldige mich fr
die List, Doktor, sagte ich beschwichtigend. Es war ein billiger Trick. Aber ich
mu wirklich mit Ihnen sprechen. Direkt, nicht ber Ihren Anrufbeantworter.
Ich war jetzt in Fahrt und rollte ber ihren Versuch einer Antwort hinweg. Heute
morgen bekam ich einen Anruf, da etwas mit meiner Schwester passiert sei und
sie ein Freund hier in Ihrer Klinik abgeliefert habe.
Der harte Zug um die Mundwinkel der rztin wurde ein klein wenig weicher.
Sie haben schon einmal angerufen, nicht wahr? Candy sagte, irgendein in seine
Schwester vernarrter Bruder habe nach einer nichtexistenten Patientin gefragt.
Ich dachte, es knnte ein Fehler vorliegen. Unterlagen werden schon mal ver-
schlampt, das kommt in den besten Organisationen vor.
Das rief ein minimales Lcheln hervor. Ja, stimmte sie zu, Unterlagen wer-
den tatschlich schon mal verschlampt. Aber ich kann Ihnen versprechen, nicht
in diesem Fall. Ich bin seit Mitternacht hier Gott sei Dank habe ich ab morgen
wieder ganz normale Mittagsschicht. Und ich habe den Bericht der Null-Vier-
hundert-Schicht geprft. Also kann ich mich persnlich fr die Tatsache verbr-
gen, da wir keine Neuzugnge hatten. Ein seltener Fall, aber so ist es nun mal.
Ich seufzte. Vielen Dank, Doktor, sagte ich. Ich glaube Ihnen.
Ein echtes Lcheln jetzt mde, aber aufrichtig. Sie schwieg einen Augenblick.
Wenn das, was Sie sagen, stimmt, kann ich mir vorstellen, was Sie gerade
durchmachen, und ich hoffe wirklich, da Sie Ihre Schwester finden. Dann ver-
hrteten sich ihre Stimme und ihre Zge wieder. Und wenn Sie irgend so ein
Schmierfink sind, hoffe ich, da man Sie in einer dunklen Gasse geekt. Der
Schirm erlosch.
Ich kicherte, whrend ich meinen Spaziergang ber die Dreindzwanzigste fort-
setzte. Ich habe schon immer behauptet, da mir Frauen mit einer starken Per-
snlichkeit gefallen. Phyllis Dempsey gehrte eindeutig in diese Kategorie. Ich
machte mir im Geiste eine Notiz, sie mal zu besuchen, wenn das alles vorbei war
wenn ich so lange lebte.
Aber abgesehen davon, wo stand ich nach ihrer Geschichte? Wenn ich der gu-
ten rztin glaubte und das tat ich , dann fhrte sie mich direkt zu Fitz, dem
Night Prowler. Also wieder zurck zum Geschft von heute morgen mit jedem
reden, so grozgig mit meinem Geld umgehen, wie ich konnte, doch diesmal
mit Hauptaugenmerk auf den Troll. Diesmal war es nicht so einfach, weil ich Pud
nicht wissen lassen wollte, da ich hinter Fitz her war, oder schlimmer noch, dem
jungen Ork ber den Weg zu laufen, whrend ich herumschnffelte. Wir waren
unter relativ freundlichen Umstnden auseinandergegangen, aber hinter seinem
Chummer herzuschnffeln, war nicht sonderlich freundlich, und drei Red-Eyes
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selbst mit Ei knnten dann auch nicht mehr so viel guten Willen erkaufen
wie frher.
Ich verbrachte den Rest des Vormittags damit, in den Straen des Wildwood
Park-Bezirks von Puyallup herumzulaufen. Massenhaft Hinweise ein drei Me-
ter groer Troll mit Irokesensichel und Lust zum Herumpbeln ist nicht leicht
zu bersehen oder zu vergessen , aber keiner fhrte zu irgendwas. Bei meinen
Wanderungen sah ich Pud ein paarmal, aber er war immer allein, und glckli-
cherweise sah er mich nicht. (Tatschlich kam mir der Gedanke, er sei vielleicht
ebenso daran interessiert seinen Chummer aufzuspren wie ich.)
Es war fast 14.00 Uhr, als ich entdeckte, da ich einen Schatten hatte. Viel-
leicht htte ich sie schon frher bemerkt, wenn ich nicht so mde gewesen wre.
Vielleicht auch nicht. Sie war eine junge Orkfrau, wahrscheinlich nicht viel lter
als zehn, was bedeutete, sie war krperlich entwickelt wie ein zwanzigjhriger
Mensch ein groer zwanzig Jahre alter Mensch. Ich hatte sie noch nie zuvor
gesehen, aber ich erkannte die leuchtend gefrbte Irokesensichel und den Kragen
aus unechtem Leopardenfell an ihrer Motorradjacke. Warum verfolgte mich ein
Mitglied der Night Prowlers?
Ich beobachtete sie ein paar Minuten lang, wobei ich jedoch nicht zu erkennen
gab, da ich sie ausgemacht hatte. Fr einen Amateur machte sie ihre Sache
ziemlich gut. Schien ein natrliches Talent dafr zu haben. Ich erinnerte mich
an den Ausbilder von Surveillance Tradecraft, unter dem ich beim Star gelitten
hatte. Fr eine Schlerin wie dieses Mdchen htte er einen Mord begangen.
Natrlich beantwortete das immer noch nicht die Frage, warum sie mich be-
schattete. Ich ging im Geiste noch mal das Gesprch mit Pud durch und war mehr
denn je davon berzeugt da er mir seine subjektive Wahrheit erzhlt hatte. Die-
ser Schatten ... Bedeutete er, da es innerhalb der Night Prowlers unterschied-
liche Gruppierungen gab? War alles schon vorgekommen. Innerhalb der Gangs
gibt es fast ebensoviel Politik und Hickhack wie innerhalb der groen Konzerne.
Whrend ich immer noch nicht zu erkennen gab, da ich meinen Schatten ent-
deckt hatte, ging ich die Dreiundzwanzigste weiter in Richtung Westen entlang,
whrend ich meine Mglichkeiten abwog.
Ich glaube, es war die Erinnerung an Dr. Dempseys Direktheit, die mich mei-
nen Entschlu fassen lie. Na schn. Die direkte Methode also.
Whrend ich ein Interesse an der Schaufensterauslage von Fiberwear-Kleidung
(Die Zukunft ist zum Wegwerfen) vortuschte, musterte ich beilufig die Strae
voraus. Vielleicht fnfundzwanzig Meter vor mir war die Mndung einer winzi
gen Einkaufsstrae, die von zwei hohen Gebuden flankiert wurde. Perfekt. Ich
beschleunigte meine Schritte ein wenig. Nicht genug, um Verdacht zu erwecken,
sondern nur so viel, um die Entfernung zwischen mir und dem Orkmdchen zu
vergrern. Mein Plan war die Einfachheit selbst: In der Gasse untertauchen und
eine Deckung finden, whrend mein Schatten sich verlocken lie, die Gasse zu
betreten. Dann wrde ich sie mir vornehmen mglichst ohne Gewalt und defi-
nitiv, ohne sie dabei umzubringen und schnell ein bichen Frage und Antwort
125
mit ihr spielen.
Die Gasse war noch zehn Meter entfernt, dann fnf, dann ... huschte ich um die
Ecke und prete mich gegen die Hauswand. Ich scho einen schnellen Rundum-
blick ab. Htte gar nicht besser sein knnen, eine Sackgasse mit einem Mllcon-
tainer und Drekhaufen. Lang genug, da es mit Sicherheit keine Einmischung
aus Richtung der Strae geben wrde, und mit keinem anderen Weg hinaus als
dem zur Strae. Perfekt. Ich trabte weiter hinein, wobei ich mich nach einem
guten Versteck umsah.
Bewegung voraus. Ich schtze, mein Gehirn hatte bereits auf Kampfmodus
umgeschaltet. Aus dem Augenwinkel registrierte ich eine Bewegung in einem
Abfallhaufen und sprang ohne nachzudenken zur Seite. Der Knall einer groka-
librigen Pistole und das Jaulen des Querschlgers, als die Kugel von der Haus-
wand hinter mir abprallte, kamen simultan. Ein Hinterhalt. Eigentlich htte ich
jetzt tot sein mssen, aber jemand war entweder zu ungeschickt oder zu unge-
duldig. Ich zog meinen Manhunter und schickte eine Kugel die Gasse hinun-
ter, mehr, um den Kopf meines Mchtegern-Mrders unten zu halten, als in der
Hoffnung, irgendwas zu treffen. Dann wirbelte ich herum und rannte. Hinter
mir erklangen Schsse aus mehr als einem Lauf, das stand fest , und tdliche
Wespen summten an meinen Ohren vorbei.
Ich spurtete aus der Gasse und bog scharf links zurck auf die Dreiundzwan-
zigste. Im Laufen sah ich mich um. Die Verfolger waren noch nicht aus der Gasse
aufgetaucht aber die kleine Miss Ork kam mir, ein Schieeisen von der Gre
ihres Arms schwingend, entgegen. Ohne stehenzubleiben, jagte ich eine Kugel
in den geparkten Wagen direkt neben ihr. Sie kreischte und warf sich in die Dec-
kung von besagtem durchlcherten Wagen, als ich auch schon die schweren,
bestiefelten Laufschritte meiner Verfolger aus der Gasse herausschallen hrte.
Gott sei Dank sollte Er existieren waren die Prowlers nur eine Straengang.
Wren sie eine Motorradgang gewesen, htte ich mich nicht nur mit ihren Kano-
nen, sondern auch mit ihren Maschinen auseinandersetzen mssen.
Natrlich zahlt es sich nie aus, zu sehr zu verallgemeinern. Das Aufheulen
eines hochtourigen Motors erinnerte mich daran. Ich konnte die Maschine noch
nicht sehen, aber ich wute, da sie kam. Okay, nderung der Taktik. Ein paar
Augenblicke zuvor waren die Brgersteige ziemlich belebt gewesen, als ich in
die Gasse eingebogen war. Und jetzt? Wie leergefegt, Chummer. Es scheint, die
Leute aus Puyallup knnen, was zgige Abgnge betrifft, mit den Bewohnern der
Barrens konkurrieren. Ohne bewegliche Deckung sprich Fugnger war es
abseits der Strae besser. Eine andere Gasse vielleicht?
Nein, ein Stck voraus war etwas Besseres. Es war wohl einmal eine Motor
radvertretung gewesen, aber wie viele andere Geschfte hatte sie unter den nega-
tiven Auswirkungen der wirtschaftlichen Rezession und all dem Drek zu leiden
gehabt. Ein Rolltor, das ohne Zweifel zur Werkstatt fhrte, eine einzelne Tr
fr die Kunden und ein kleines, bermaltes Schaufenster. Mit hochgerissenen
Armen, um Kopf und Gesicht zu schtzen, warf ich mich durch das Fenster, den
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Krper bereits fr die Rolle nach der Landung zusammengekrmmt. Das Glas
zersplitterte in eine Million Scherben. Ich kam mit der Schulter auf, vollfhrte
eine elegante Rolle und ging sofort in die Hocke. Alles wre perfekt gewesen,
htte nicht die Ladentheke im Weg gestanden, mit der mein Kopf Bekanntschaft
machte, so da hinter meinen Augenlidern ein ganzes Feuerwerk losging. Ich
berwand die Dunkelheit, die mich bermannen wollte, kam taumelnd auf die
Beine und schwankte in den dunklen Ausstellungsraum.
Ich sah mich um, whrend die letzten Sterne des Feuerwerks langsam vor mei-
nen Augen verblaten. Der Ort war perfekt: Dunkel, mit einer hohen Decke und
nur zwei Tren. Eine zur Ladentheke (mit der kopffrmigen Beule darin), die
andere vermutlich zur Hintergasse. Ich erwog, sofort durch die Hintertr zu ver-
schwinden, aber ich konnte nicht wissen, ob davor nicht schon ein paar Prowlers
warteten. Auerdem konnte ich immer noch zu meinem Frage-und-Antwort-
Spiel kommen, wenn ich hier aushielt und meine Karten richtig ausspielte ...
Ich whlte meine Stellung sehr sorgfltig hinter einem der massiven Metall-
pfeiler, die den Deckenkran sttzten, der ber mir hing. Ich duckte mich und
richtete meine Aufmerksamkeit und meine Waffe auf einen Punkt zwischen den
beiden Tren. Nach meinem Erlebnis im Westlake Center wrde sich niemand
mehr von hinten an mich heranschleichen.
Gedmpfte Stimmen von der Vorderfront des Ladens, Glassplitter, die unter
Stiefeln knirschten. Ich sttzte meine Kanone gegen den Pfeiler und dachte im
letzten Moment daran, das Laserzielgert abzuschalten. Auf diese Entfernung
war die Sicht auch ohne Zielhilfe gut genug, und in der Dunkelheit wrde der
Laser nur meine Position verraten.
Eine kleine Gestalt sprang in die Trffnung, von rckwrts perfekt beleuch-
tet, so da sie nach einem Ziel fr meine Pistole aussah. Ich zog den Abzug des
Manhunter zweimal durch. Die schweren Geschosse schlugen mitten in die Brust
der Gestalt ein, wahrscheinlich direkt in ihren Krperpanzer. Das war sehr gut
so. Ich war hier nicht auf Tote aus. Die Gestalt taumelte zurck und verschwand.
Noch eine Gestalt, noch zwei Schsse, und der Eingang war wieder frei. Zeit,
die Stellung zu wechseln. Ich gab weitere vier Schsse ab, die ich diesmal durch
die dnnen Wnde beiderseits der Tr jagte. Ich wollte Verwirrung erzeugen,
und nach den Schreien und Flchen zu urteilen, hatte ich das auch geschafft. Ich
flitzte durch die Halle und duckte mich hinter einen anderen Pfeiler nher bei der
Hintertr.
Von vorn waren einige gedmpfte Gerusche zu hren, dann nichts mehr. In der
pltzlichen Stille hrte ich ein schwaches metallisches Kreischen.
ber mir. Ich sah auf. Die kleine Miss Ork kroch eine der Streben entlang, mit
denen der Kran an der Decke befestigt war. Da sie beide Hnde bentigte, um
sich an der Strebe festzuhalten, hatte sie ihre Kanone zwischen die Zhne ge
klemmt. Jesus, sie ist ein Gespenst, dachte ich. Das Amateurgehabe auf der Stra-
e war alles nur Schau gewesen. Dies war es, was sie wirklich konnte. Irgendwie
hatte sie sich ins Gebude geschlichen, war dann wiederum irgendwie dort
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hinaufgeklettert und hatte jetzt fast die perfekte Position erreicht, um mir von
oben eine Kugel in den Schdel zu jagen. Versuchs mal damit, Krperpanzer.
Meine Pistole ruckte instinktiv hoch und pendelte sich auf ihren Nasenrcken
ein. Unsere Blicke trafen sich, und ich sah, wie sich ihre Augen weiteten. Sie
hatte keine Mglichkeit, ihre Kanone rechtzeitig in Anschlag zu bringen, und
sie wute es. Ich sah, wie die Erkenntnis des unvermeidlichen Todes von ihrem
Bewutsein Besitz ergriff.
Natrlich drckte ich nicht ab. Ich wirbelte herum, machte zwei Schritte auf
die Hintertr zu. Vier grokalibrige Kugeln gefolgt von meinem Stiefel knallten
gegen das Schlo, und die Tr sprang auf. Ich spurtete hindurch und auf die
Gasse.
Wenn irgendwelche Prowlers dort gewartet htten, wre es aus mit mir gewe-
sen. Ich rechnete damit, jeden Augenblick von Kugeln durchlchert zu werden,
als ich mich nach links wandte und die Gasse entlangstrmte. Zu meiner Rechten
ffnete sich eine weitere Gasse nein, mehr ein enger Zugangsweg. Ich nahm
ihn, ohne nachzudenken. Vor mir erhob sich eine Mauer, an der eine verrostete
Leiter hing. Ich strzte die Leiter hinauf, als htte ich einen Raketentreibsatz auf
dem Rcken.
Ich stand auf dem Dach eines niedrigen Hauses, dessen ebene Flche nur von
einem Fahrstuhlschacht und ein paar kleinen, zylindrischen Ventilatoren durch-
brochen war. Ich verhielt einen Augenblick, um mich zu orientieren. Siebzehnte
Strae. Das bedeutete, mein Wagen befand sich in dieser Richtung. Ich wandte
mich nach rechts und trabte ber das Dach.
Ich hatte gerade den ersten Ventilator passiert, als eine Gestalt hinter dem Fahr-
stuhlschacht vortrat. Es war Pud der Prowler mit einem kalten Gesichtsausdruck
und einer Beretta 200ST in der Hand. Ihr Lauf schwankte nicht, und ihr Ziel
punkt war offensichtlich meine Oberlippe. Ich wurde zu Eis. Der Manhunter
steckte wieder im Halfter. Mit nur einer freien Hand htte ich die Leiter nie ge-
schafft. Und keine Chance, da ich die Waffe ziehen konnte, bevor Pud abdrck-
te. (Die Ironie in der hnlichkeit meiner Situation mit derjenigen der kleinen
Miss Ork entging mir keineswegs. Ich war nur nicht in der Stimmung, um sie
gebhrend zu wrdigen.)
Verrat mir eins, sagte Pud ruhig. Warum hastus getan?
Langsam sehr langsam streckte ich meine geffneten Handflchen aus.
Wenn ich wte, wovon du redest, htte ich vielleicht sogar ne Antwort fr
dich.
Warum hastu Fitz umgelegt? Er war mein Chummer. Trnen glitzerten in
den Augen des Orks, und ich zog ein halbes Jahrzehnt von meiner Schtzung
seines Alters ab. Jung oder nicht, die Kanone schwankte kein bichen, und sein
Finger war um den Abzug gespannt. Noch ein paar Gramm mehr Druck, und ich
war erledigt.
Tut mir leid, sagte ich, wobei ich versuchte, meine Stimme so aufrichtig wie
mglich klingen zu lassen. Ich wute nicht mal, da er tot ist.
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Ja, klar. Die anderen Prowlers sagen, du httest den ganzen Tag nach Fitz
gesucht. Sieht ganz so aus, als httest du ihn gefunden, was?
Ich sprte langsam wieder etwas Hoffnung. Puds Kanone hatte sich keinen
Millimeter bewegt, aber die Tatsache, da er noch nicht abgedrckt hatte, war
auch schon etwas. Ich mute daran denken, wie schnell Orks krperlich erwach-
sen werden. Pud sah aus wie Anfang Zwanzig, aber wahrscheinlich war er erst
fnfzehn oder so. Vermutlich hatte er noch nie jemanden gegeekt, oder wenn
doch, dann wohl nur in der Hitze eines Kampfes. Mich kaltbltig abzuknallen,
war etwas ganz anderes. Hoffte er, da ich es ihm ausreden wrde? Aus den Au
genwinkeln berprfte ich meine Alternativen. Der zylindrische Ventilator war
sehr nah, aber er wrde mir nur einen Augenblick lang Deckung bieten. Wenn ich
leben wollte, mute ich schnell reden. Und keinen Drek, die Wahrheit und nichts
als sie in der Hoffnung, da Pud sie mir abkaufte.
Ich hab Fitz gesucht das stimmt, sagte ich ruhig. Aus dem gleichen Grund,
warum ich dich gesucht hab. Ich wollte mit ihm reden.
ber deine Schwester? fauchte er. Das pat doch vorne und hinten nich.
Den ganzen Aufwand nur, um Danke zu sagen?
Nein. Ich holte tief Luft und ging das Risiko ein. Ich hab dich angelogen.
Die Klinik der Bruderschaft sagt, meine Schwester ist nie dort eingetroffen. Ich
wollte herausfinden, was passiert ist. Darum hab ich Fitz gesucht. Ich hielt kurz
inne, um ihm einen Moment Zeit zum Nachdenken zu geben. Was ist mit dei-
nem Freund passiert? fragte ich.
Zum erstenmal schwankte die Kanone ein wenig. Jemand hat ihm die Keh-
le rausgerissen, sagte Pud mit rauher Stimme. Drben im Park. Die anderen
Prowlers ham gehrt, da du Fitz suchst. Sie denken, du bisses gewesen.
Du aber nicht, sagte ich sanft. Wenn ich ihn gegeekt htte, warum sollte ich
dann noch nach ihm suchen? Genau das hab ich nmlich getan, als sie versucht
haben, mich umzulegen.
Pud schttelte den Kopf. Ich wei nich, schrie er fast. Du verwirrst mich.
Ich wollte lediglich Teri finden, setzte ich nach. Ich wollte nur meine
Schwester finden.
Pud fauchte. Der Lauf seiner Kanone bewegte sich, und er zog durch. Die klei-
ne automatische Pistole spie Feuer, und die Kugeln zerfetzten das Bauplastik des
Ventilators neben mir. Die Splitter verschrammten mir Wange und Hnde, aber
ich rhrte mich nicht. Die Beretta klickte leer, und Pud funkelte mich an.
Mach, da du hier wegkomms, zischte er.
Ich machte.
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I ch schaffte es bis zum Wagen. Erst dann kriegte ich das Zittern. Knappe Ent-
scheidungen, zu viele und zu knappe. Nur ein paar Sekunden Unterschied im
Timing, und die kleine Miss Ork htte mir ein Paar zustzliche Nasenlcher in
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die Schdeldecke gebohrt. Und wenn Pud auch nur um eine Winzigkeit abge-
brhter gewesen wre, htte er seine Beretta in mein Gesicht geleert. Ich wurde
langsam zu alt fr diesen Drek.
Whrend ich nach Hause gondelte, lautete die Frage, die mich vorrangig be-
schftigte, natrlich: Wer hat Fitz umgelegt? Ich war es nicht, und ich glaubte
auch nicht da es Pud war oder doch? Der Gedanke war zwar paranoid, aber
dadurch wurden die Mglichkeiten auch nicht sonderlich eingeengt. Und das
fhrte zur nchsten Frage: Stand der Tod des Trolls mit Theresas Verschwinden
in Verbindung? Vielleicht hatte Fitz sie berhaupt nicht zur Klinik der Bruder-
schaft gebracht, und jemand hatte ihn kaltgemacht, um ganz sicherzugehen, da
ihr wirklicher Bestimmungsort nie ans Licht kam. Die Frage schien nur noch
mehr Dunkelheit und Schatten aufzuwerfen.
Es war eine Erleichterung, in mein vertrautes Apartment zurckzukehren. Als
ich eintrat, begrte mich das Summen des Telekoms. Ich sprintete hin und htte
in meiner Hast beinahe eine leere Whiskeyflasche durch das Fenster gekickt. Ich
drckte auf die Empfangstaste. Hallo, japste ich.
Ein verhutzeltes Gesicht erschien auf dem Schirm. Wurde aber auch ver-
dammt Zeit, grollte Buddy.
Ich setzte mich vor das Telekom und schaltete die Videokamera zu. Danke fr
den Rckruf, Buddy. Hast du irgendwas?
Sie schaute ein wenig geqult drein, angesichts meines Mangels an Zutrauen,
trlich hab ich was. Ich hab was ber Crashcart. Willst du die Datei?
In einer Minute. Gib mir das Wichtigste erst mal mndlich.
Buddy verzog das Gesicht. Sieh die Datei durch, dann kannst du Fragen stel-
len. Ihr Bild verschwand, und der Schirm fllte sich mit Text. Ich beeilte mich,
eine neue Datei zu ffnen, um die eingehenden Daten zu speichern.
So viel war es gar nicht. Entweder hatte Buddy nicht viel ausgraben knnen,
oder sie hatte den Text bereits auf den wichtigen Drek reduziert. (Das beunru-
higte mich ein wenig. Wer wute schon, was Buddy fr wichtig hielt?) Aber ich
konnte deswegen im Moment nichts unternehmen, also fing ich an zu lesen.
Der erste Abschnitt befate sich mit Management und Besitzverhltnissen der
Crashcart Medical Servives Corporation und ihrer Tochterfirma Crashcart Cli-
nics Inc. die ihre Hauptniederlassungen beide hier in Seattle hatten. Buddy hatte
gute Arbeit geleistet und die Aufsichtsrte fr beide Konzerne identische Li-
sten sowie die Vorstandsmitglieder aufgefhrt. Ich berflog die Namen auf der
Suche nach einem, den ich kannte William Sutcliffe, vielleicht? , aber es kam
nichts dabei heraus.
Die Besitzverhltnisse waren hnlich detailliert erklrt. Anscheinend befand
sich Crashcart MSC, die Muttergesellschaft, im privaten Besitz von fnf Per-
sonen, die in den Aufsichtsrten sowohl der Mutter als auch der Tochter saen.
Oberflchlich betrachtet war das vllig normal, und nicht einmal der Fiskus
konnte daran Ansto nehmen. Aber Buddy hatte noch tiefer gegraben und in die
Art und Weise Einsicht genommen, wie Gelder und Kredite durch die Organisati-
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on flossen. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, wurde es rasch offensichtlich,
da vier der fnf Besitzer tatschlich nur Strohmnner waren. Ja, klar, sie exi-
stierten, saen in den Aufsichtsrten und stimmten ab, aber sie waren trotzdem
nur Makulatur. Die eigentliche Macht war der fnfte Aktionr, ein Elf namens
Dennison Harkness. Laut Buddys Analyse zhlte nur seine Stimme. Die anderen
vier Aktionre stimmten mit ihm; ein oder zwei stimmten auch mal gegen ihn,
wenn er wollte, da es nach echter Demokratie aussah. Aber in Wirklichkeit wa-
ren sie nur Marionetten, und Harkness zog an den Fden. Lie man alle Tnche
auer acht, wurde das groe und aufstrebende medizinische Imperium Crashcart
von einem einzigen Mann regiert.
So schien es jedenfalls. Buddy war noch einen Schritt weiter gegangen. Wie
sich herausstellte, war auch Harkness selbst nicht Elf im eigenen Hause. Ihn hat-
te ein multinationales Konglomerat namens Yamatetsu Corporation (Hauptbro
in Kyoto, Niederlassungen berall, von Adelaide bis Zrich) in der Tasche, und
er tanzte nach ihrer Pfeife. Interessant, klar.
Aber war es auch von Bedeutung?
Ich fragte Buddy, welche Geschfte Yamatetsu in Seattle betrieb.
Sie antwortete nicht direkt, sondern der Text auf meinem Schirm spulte weiter,
ohne da ich die Tastatur berhrte, bis er schlielich wieder zum Stillstand kam.
Danke, sagte ich und berflog den Abschnitt.
Yamatetsu war ein typischer Multi, und zwar dergestalt, da er weder Produkte
herstellte noch Dienstleistungen anbot. Statt dessen kaufte und verkaufte, verge-
waltigte und plnderte er andere Firmen, die alle mglichen Produkte von Win-
deln bis zum Nervengas herstellten oder so verschiedenartige Dienstleistungen
wie Wohnraumdesign und Konzernsicherheit anboten.
Nein, das stimmte nicht ganz. Laut Buddys Nachforschungen unterhielt der
Konzern eine Abteilung, die Produkte fr den militrischen Markt entwickel-
te. Sie wurde ISP genannt fr Integrierte Systemprodukte und war keine
Tochtergesellschaft sondern tatschlich Bestandteil der Mutter. ISP war im
Sprawl ansssig. Irgendwo. Es war keine bestimmte Adresse angegeben. Ich las
den Abschnitt noch einmal in dem Bemhen zu verstehen, was ISP eigentlich tat.
Sie entwickelten keine Waffen, wie ich zunchst angenommen hatte. Statt des-
sen arbeiteten sie an etwas, das Sympathetische-Parasympathetische Integrierte
Suprarenale Erregungs-Systeme (SPISES) oder Booster-Technologie genannt
wurde. Ich durchforstete Buddys Bericht von vorne bis hinten nach einer nhe-
ren Erklrung, was diese Booster-Technologie eigentlich bewirkte, fand jedoch
nichts.
Was ist dieser Booster-Kram denn nun? fragte ich.
Buddys mrrisches Gesicht erschien in einem kleinen Fenster in einer Ecke
meines Schirms. SPISES sie sprach es SPY-seas aus sind Schaltkreise
fr Cyberware oder auch fr direktes Einstpseln. Sie tippte gegen ihre Daten-
buchse. Erhht Sinnesschrfe, Konzentration, Kraft, Reaktion, all den Drek.
Sagen sie jedenfalls, fgte sie hinzu.
132
Das klang wie verdrahtete Reflexe, vielleicht noch mit Talentsoft gekoppelt.
Das sagte ich auch Buddy.
Drek. Das ist uerlich, knstlich. SPISES macht es auf natrliche Weise.
Sorgt nicht nur fr Adrenalinaussto, sondern regt auch die Endorphine an.
Eine Neonrhre mit der Aufschrift Idee blinkte durch meinen Verstand, aber
ich stellte den Gedanken zunchst zurck. Ich wrde ihn mit jemandem von an-
derem wissenschaftlichen Kaliber als Buddy besprechen mssen, bevor ich sa-
gen konnte, ob er einen Sinn ergab. Erstklassige Arbeit, sagte ich. Danke. Du
suchst weiter nach William Sutcliffe, okay?
Buddy schnaubte. Hab ihn schon gefunden. Ich fhrte meine Imitation des
nach Luft schnappenden Fisches vor, und sie grinste flchtig. Harter Job. Ver-
dammt hart. Wird dich einiges kosten. Natrlich wrde es mich einiges kosten,
aber darber konnte ich mir spter noch Gedanken machen. Hier ist er.
Ein Bild wie aus einem Dossier erschien auf dem Schirm. Der Knabe sah ab-
solut neutral aus: Offensichtlich mittelgro, Haare mittelbraun, nichts Markantes
in oder an seinem Gesicht. Sah aus wie eine Null oder meinetwegen wie ein
Buchhalter. Wer ist er also, fragte ich. Was ist er, wo ist er?
Harter Job, wiederholte sie. UCAS-Militr, darum hat es so lange gedau-
ert.
Er gehrt zur Armee?
Sie zuckte die Achseln. Glaub schon. Hat aber weder Uniform noch Dienst-
grad.
Ziviler Berater, vielleicht? sann ich. Dann sah ich die Ungeduld auf Buddys
Gesicht. Okay, okay, ich habs begriffen. Was macht er also?
Er hat was mit Beurteilung und Beschaffung von Verstrkersystemen fr Per-
sonen zu tun. Sie sah mich erwartungsvoll an, offensichtlich wartete sie darauf,
da ich etwas sagte. Da ich irgendeine Verbindung herstellte. Ich antwortete
nicht sofort und konnte genau erkennen, wie sich mit jeder Sekunde mehr Fru-
stration und Verachtung bei ihr aufbauten. Buddy wartet schneller als jeder an-
dere, den ich kenne.
Verstrkersysteme fr Personen ... Und dann sah ich die Verbindung, auf die
Buddy lauerte. Er macht Geschfte mit Yamatetsu, platzte es aus mir heraus.
Buddy, du verblffst mich.
Das besnftigte sie, wie ich erfreut zur Kenntnis nahm. Sie nickte. Er hat es
angeleiert, da sie dem Verein SPISES vorfhren, besttigte sie. Die endglti-
ge Bewertung ist fr Frhjahr bis Sommer angesetzt.
Ich schttelte den Kopf. Die Sache wurde langsam zu mchtig und komplex.
Teile des Puzzles fhrten zu noch mehr Teilen, die zwar irgendwie zusammenzu-
passen schienen, aber ich hatte immer noch keinen Schimmer, was fr eine Art
Bild sie letzten Endes ergaben. Dann schttelte ich die Teile im Geiste durchein-
ander, und zwei von ihnen wechselten den Platz und fgten sich zu einem ganz
anderen Muster zusammen. Ich hatte pltzlich eine Hypothese, die Sinn ergab.
Ich wute, da militrische Beschaffung, insbesondere im Bereich spitzentech-
133
nologischer Systeme, ein Megamillionen-Nuyen-Geschft ist. Wenn der Yama-
tetsu-Konzern seinen Booster-Drek bei der Armee der UCAS loswerden konnte,
wie wrde dann seine Gewinnkurve aussehen? Verdammt gut, konnte ich mir
denken. Und jeder Konzern, der den Namen verdiente, wrde alles Erforderli-
che tun, um einen derartigen Vertragsabschlu unter Dach und Fach zu bringen.
Bis hin zu Bestechung in Gestalt von Zahlungen grerer Nuyen-Betrge an
jemanden in der Beurteilungs- und Beschaffungsinfrastruktur. An jemanden wie
zum Beispiel William Sutcliffe. Wie empfindlich wrden wohl beide Parteien
Yamatetsu und Sutcliffe reagieren, wenn sie herausfanden, da Sutcliffes
Telekomleitung angezapft worden war und Lone Star mglicherweise eine Auf-
zeichnung davon hatte, wie sie das Abzweigen der Gelder besprachen? Verflucht
empfindlich. So empfindlich, da sie die Person, die das Band wusch Lolly ,
und jeden anderen mit der geringsten Chance, hinter den Drek zu kommen, gee-
ken wrden? Um Pud, den Prowler, zu zitieren: ne verwichste Eins.
Ich grinste. Es pate zusammen und beantwortete eine ganze Menge Fragen.
Vielleicht waren die Verbindung zu Crashcart und 2XS berhaupt nicht von Be-
deutung. Wie, wenn die Rechte nicht wute, was die Linke tat? Mglich. Der
Lolly-Sutcliffe-Aspekt mochte Yamatetsus ISP-Abteilung beinhalten, whrend
der Crashcart-Waters-2XS-Aspekt nur den Crashcart Medical Services-Konzern
betraf, und die beiden hatten nicht das geringste miteinander zu tun.
Und was war mit dem Kontrakt auf Patrick Bambra? Ich konzentrierte mich
wieder auf den Schirm, der mir eine ziemlich vergrtzte Buddy zeigte. Wie
sieht seine Verbindung zur Universellen Bruderschaft aus? fragte ich sie.
Sutcliffe ist Mitglied. Vor drei Jahren beigetreten. Jetzt macht er Freiwilligen-
arbeit fr sie. Hilft bei der Ausbildung ihrer Anwlte und Berater. Sie fixierte
mich mit einem Killerblick. Das wars, erklrte sie. Schieb deinen Kredstab
rein und aus.
Danke, Buddy, wiederholte ich noch einmal, als ich meinen Kredstab in den
Schlitz des Telekoms schob und Geld berwies. Eine Menge Geld. Ich wei
deine Arbeit wirklich zu schtzen. Aber es war niemand mehr da, der meinen
letzten Satz hrte. Buddy hatte die Verbindung in dem Augenblick unterbrochen,
als die Transaktion beendet war, und somit bedankte ich mich bei einem leeren
Schirm.
Ich lehnte mich zurck. Mein Blick fiel auf eine fast volle Flasche Synthahol,
die ich mir tags zuvor gekauft hatte. Ich hatte mir einen Drink verdient, und
vielleicht wrde er dabei helfen, die alten grauen Zellen auf Touren zu bringen.
Ich go mir einen anstndigen Schluck unanstndigen Pseudo-Whiskey ein und
machte es mir wieder auf dem Bett gemtlich, um nachzudenken.
Je nher ich meine Hypothese in Augenschein nahm und nach Lchern ab-
klopfte, desto besser schien alles zusammenzupassen. Der Bestechungsaspekt
und die Unter-dem-Tisch-Verbindung zwischen Sutcliffe und Yamatetsu vermit-
telten mir ein Gefhl von Stimmigkeit. Ich htte Geld darauf gewettet, da der
Teil stand. Ich war noch immer nicht zu hundert Prozent davon berzeugt, da
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dies der Grund fr Lollys Tod war, aber alles andere konnte kein Zufall sein. Also
95 Prozent. Die Verbindung zwischen Crashcart und 2XS? Der Fall Waters lie
darauf schlieen, bewies sie aber nicht. Vielleicht 80 Prozent. Und nominelle 70
Prozent Wahrscheinlichkeit fr keine Verbindung zwischen Sutcliffe und Cras-
hcart.
Was war mit Patrick? Vielleicht war Sutcliffe ziemlich fickerig und hatte ein-
fach berreagiert, als Patrick mit seiner Schnffelei begonnen hatte. Patrick wu-
te nichts und interessierte sich weder fr Yamatetsu noch das UCAS-Militr, aber
Sutcliffe glaubte das vielleicht nicht. In diesen Teil hatte ich wenig Vertrauen:
Vielleicht 30 Prozent Zuversicht.
Theresa und der verblichene Fitz? Keine Informationen. Mglicherweise ein
indirekter Zusammenhang dergestalt, da Puds Beschreibung von Theresas
Symptomen unangenehm nach 2XS-Sucht klang. (Zum Teufel mit Theresa da-
fr, da sie ein Chippie geworden war.) Kein fester Zusammenhang mit Fitz
Tod. Das war okay: Zuflle gibt es immer wieder, und nur ein Paranoider glaubt
da alle Vorflle miteinander in Verbindung stehen.
Zufrieden genehmigte ich mir einen guten Schluck Whiskey. Ich hatte alles
unter einen Hut gebracht.
Abgesehen von einer winzigen, nagenden Idee, derjenigen, die mir gekom-
men war, als Buddy die Booster-Technologie beschrieben hatte. SPISES klang
gar nicht so anders als 2XS, neh? Natrlich, selbst wenn das stimmte, mute
das nicht notwendigerweise etwas zu bedeuten haben. Konvergente Evolution
kommt bei Technologien ebenso vor wie bei Lebensformen, und ntzliche Ent-
deckungen ziehen hin und wieder schdliche Entwicklungen nach sich. Aber die
Idee lie mir keine Ruhe, und ich mute sie besttigen oder verwerfen.
Das hie natrlich nichts anderes als Bent. Fr einen Augenblick fhlte ich
mich schuldig, weil ich so viel von seiner Zeit in Anspruch nahm, aber dann fiel
mir das Dinner wieder ein, das ich ihm schuldete. Er wrde das Konto ausglei-
chen, dessen war ich mir sicher.
Hoi, Bent, sagte ich, als sein Gesicht auf dem Schirm erschien. Lange nicht
gesehen.
Fast acht Stunden, kicherte er. Was liegt an?
Ich hatte Bent im Labor angerufen, aber an dem unscharfen Hintergrund konn-
te ich erkennen, da er zu Hause war. Er mute ein Kom mit dem anderen ver-
bunden haben. Offensichtlich wollte er nichts Interessantes verpassen. Ich will
dich nicht allzu lange aufhalten, versprach ich, aber diese Geschichte knnte
ganz interessant sein. Hast du jemals von SPISES gehrt?
Er blinzelte, dann schttelte er den Kopf. Da klingelt nichts bei mir.
Was ist mit Booster-Technologie?
In welchem Zusammenhang?
Militrisch. Aufpeppen physischer Reaktionen, diese Art von Drek.
Er wollte wieder den Kopf schtteln, dann zgerte er. Wofr steht SPISES?
Ich zermarterte mir das Hirn, um mich zu erinnern. Sympathetische-Para-
135
irgendwas-renales Erregungssystem. Okay, okay, ich bin kein Experte, warf ich
ein, als Bent grinste.
Ohne Drek, aber jetzt klingelts, sagte er. Ich hab was darber in medizini-
schen Journalen gelesen, aber ich kenne mich nicht so mit den Einzelheiten aus.
So, wie ich das sehe, ist SPISES, zumindest theoretisch, die nchste logische
Entwicklung nach Reflexboostern. Seine Augen schlossen sich halb, und seine
Stimme wurde weniger lebhaft, fast monoton, als er auf Vorlesungsmodus schal-
tete. Ich gab mir alle Mhe, ihm zu folgen.
Bei normalen Reflexboostern mu man winzig kleine, Initiatoren genannte
Gerte direkt in den Kortex der Adrenalindrsen die Suprarenalen oder Neben-
nieren und in andere Drsen einsetzen. Wenn du also den Turbo einschalten
willst, nimmt ein neuroelektrisches Interface die entsprechende neurale Aktivitt
auf praktisch eine Art Startkommando und heizt ins Hirn implantierte Kon-
trollchips an, welche dann wiederum die Initiatoren aktivieren. Deine Nebennie-
ren schtten Adrenalin aus, und du wirst aufgepeppt. Kannst du mir folgen? Ich
nickte langsam. Die Einrichtung normaler Reflexbooster ist, wie du dir sicher
vorstellen kannst, ein ziemlich gewaltsamer Eingriff. Interface, Kontrollchips
und Initiatoren plus die ganze untersttzende Technologie, Klebechips und jede
Menge Verdrahtung, um die Verbindung zwischen den Einzelteilen herzustellen.
Der erforderliche Eingriff ist wesentlich gewaltsamer als bei Talent-Cyberware
und Muskelersatz und das will einiges heien. Kannst du mir immer noch
folgen?
Ich nickte wieder. Und SPISES-Booster-Technologie ist kein so gewaltsamer
Eingriff, richtig? scho ich ins Blaue.
Er lchelte breit. Richtig. Theoretisch liegt er in einer ganz anderen, viel klei-
neren Grenordnung. Wie ich das sehe, funktioniert die Geschichte folgender-
maen: Wenn eine nicht verdrahtete Person einen Adrenalinsto braucht sagen
wir, sie ist ngstlich oder wtend , schickt das Nervensystem einen Aktivie-
rungsimpuls an die Nebennieren. Er zgerte. Ich vereinfache alles sehr stark,
vielleicht zu sehr.
Ich mu den Drek schlielich nicht einbauen, sagte ich grinsend. Vereinfa-
che, benutz den Osterhasen als Analogie, wenn es sein mu, aber erklr mir, was
dieses Zeug bewirkt. Okay?
Bent lachte schallend. Kein Osterhase, sondern ich gebe dir hier einen echten,
stark abstrahierten berblick. Er hielt inne, um seinen Gedankengang wieder-
aufzunehmen. Jedenfalls fragten sich die Burschen, die mit Booster-Technolo-
gie der zweiten Generation experimentieren: Warum sollen wir unsere Drhte
und Initiatoren einsetzen, wenn der Krper seine eigenen hat? Mit anderen Wor-
ten, das Gehirn und die Nerven. Ihrer Ansicht nach brauchten sie der betreffen-
den Person lediglich die bewute Kontrolle ber die neuralen Mechanismen zu
geben, die der Krper bereits benutzt, um Adrenalin und andere neurochemische
Substanzen auszuschtten. Theoretisch knnte man die kleine Booster-Box in
die Datenbuchse einer Person einlegen. Wenn der Bursche auf Touren kommen
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will, denkt er einfach den entsprechenden Befehl. Die Booster-Box nimmt den
Befehl auf und schickt dann einen Impuls zum richtigen Teil des Hirns, was
wiederum ein mchtiges Signal an die Nebennieren auslst. Wenn man bereits
eine Datenbuchse hat, braucht man nur noch die Box einzustpseln. Oder wenn
man irgendwelche Cyberware trgt, ein Arm, ein Auge, irgendwas, hngt man
den Booster-Schaltkreis einfach an die Cyberware an und benutzt das neurale
Interface, das bereits an Ort und Stelle ist. Und diese Art von Reflexboosting
ist wiederum theoretisch vllig natrlich, weil sie die krpereigenen Mecha-
nismen benutzt.
Klingt unglaublich, sagte ich. Warum gibts das nicht auf der Strae?
Bent wirkte nachdenklich. In der Praxis ist es niemals so einfach. Erinnerst
du dich noch an deinen Vergleich bei 2XS? Als wrdest du den Motor eines
Wagens im Bruchteil einer Sekunde von null Umdrehungen in den roten Bereich
jagen? Genau das bewirkt Booster-Technologie. Wenn man der Literatur Glau-
ben schenken darf, hat sie noch nie jemand an Menschen oder Metamenschen
ausprobiert. Nur an Hunden, und das Resultat war ein Haufen echt schneller,
echt gemeiner Hunde, die echt frh gestorben sind. Ich denke, ne ganze Menge
Leute glauben, da sie die Sache nie richtig hinkriegen und diese Technologie in
eine Sackgasse fhrt.
Darber dachte ich ein paar Sekunden nach, dann fragte ich: Was wrdest
du sagen, wenn ich dir erzhlte, da irgend jemand sie da drauen vermarktet?
Booster-Technologie? Ich wrde sagen, jemand wird am Ende mit ner Men-
ge echt schneller, echt toter Klienten dastehen, es sei denn, jemand hat einen gr-
eren Durchbruch erzielt, aber noch nichts davon in der Literatur verffentlicht.
Er beugte sich vor. Wer vermarktet sie, und wer kauft?
Der Yamatetsu-Konzern verkauft.
Er schttelte den Kopf. Nie gehrt. Und der Kunde?
Potentiell das UCAS-Militr.
Ich glaube, das ergibt auf eine schreckliche Art und Weise einen Sinn, sagte
er bedchtig. Wie bist du darauf gestoen, Dirk?
Ich bin ehrlich davon berzeugt, da du besser dran bist, wenn du das nicht
weit. Er akzeptierte das mit einem Nicken. Und jetzt werde ich dir noch eine
Frage stellen. Gibt es irgendwelche hnlichkeiten zwischen der, wie hast du sie
genannt, Booster-Technologie der zweiten Generation und 2XS?
Bent schwieg fr einen Augenblick. Manchmal bringt mich die wissenschaft-
liche Geisteshaltung zur Verzweiflung, sagte er schlielich. Wir lernen, Dinge
zu klassifizieren, und deswegen entgehen uns Verbindungen und Beziehungen,
die fr andere Leute offensichtlich sind. Er sah mir direkt in die Augen. Was
die Beantwortung deiner Frage betrifft: Ja, die beiden Technologien knnten sich
sehr hnlich sein. Knnten, betonte er noch einmal. Die Wirkung ist sehr hn-
lich. Bis jetzt war mir gar nicht aufgefallen, wie hnlich. Die tatschlichen Tech-
nologien knnten jedoch Lichtjahre auseinander liegen, verstehst du?
Ich nickte. Ich verstehe.
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Er schwieg wieder fr einen Augenblick, dann fragte er sehr ruhig: Woran
arbeitest du gerade, Dirk?
Ich zgerte. Hr mal, Bent, ich halte es fr besser, wenn du mich nicht mehr
anrufst, Chummer. Wenn ich diese Geschichte berstanden hab, melde ich mich
wieder bei dir. Verstehst du, was ich damit sagen will?
Sein Lcheln verschwand augenblicklich. Er nickte zgernd. Ich verstehe.
Keine Sorge. Ich kann auf mich aufpassen. Er hielt kurz inne. Aber wenn es
wirklich haarig wird, ruf mich an, okay? Du kannst nicht alle Drachen selbst
erschlagen, neh?
Danke, Bent. Du hrst bald wieder von mir.
Halt dich aus der Schulinie. Bis spter, Chummer.
Ich unterbrach die Verbindung und lehnte mich zurck. Ich fhlte mich sehr
einsam. Wenn ich mit Vermutungen richtiglag, sa ich in einer Runde mit ein
paar ziemlich gewichtigen Spielern. Und wenn unser mysteriser und mrde-
rischer X einer dieser beiden Gruppen angehrte, steckte ich bis zum Hals im
Drek.
Das Telekom summte erneut, und ich drckte auf die Empfangstaste. Ich hatte
eigentlich damit gerechnet, da es Bent war, der noch etwas vergessen hatte, und
war angenehm berrascht, statt dessen Jocasta zu sehen. Hoi, sagte sie. Ich
dachte, ich ruf mal an und horche, ob Sie irgendwas herausgefunden haben.
Ich zgerte, whrend sich meine Gedanken berschlugen. Meine erste Re-
aktion war, ihr dieselbe Abfuhr zu erteilen wie Bent, und zwar aus denselben
Grnden. Andererseits war sie bereits in die Sache verwickelt und steckte ebenso
tief mit drin wie ich, einfach deswegen, weil X sie ebenfalls zur Beseitigung
auserkoren hatte. Wrde ich ihr unter Bercksichtigung dieser Tatsache nicht ei-
nen Brendienst erweisen, wenn ich ihr wichtige Informationen vorenthielt? Ich
war gezwungen, die Frage mit ja zu beantworten. (Eine Woge der Erleichterung
splte ber mich hinweg, als ich zu diesem Schlu gelangt war. Es war egoistisch
und unwrdig, aber ich fhlte mich sehr einsam und sehr erdrckt, und ich wollte
verzweifelt mit jemandem reden.)
Sie beobachtete mich schweigend, whrend ich meine Selbsterforschung be-
trieb. Jetzt sah es fast nach Besorgnis in ihren Augen aus, als sie mich fragte:
Was ist los?
Das Spiel ist gerade sehr viel grer geworden, begann ich und erzhlte
ihr dann, was ich ber Sutcliffes Stellung beim Militr, Yamatetsus Booster-
Technologie und die Besitzverhltnisse im Falle Crashcart sowie die mglichen
hnlichkeiten zwischen SPISES und 2XS herausgefunden hatte ... Alles, ohne
jede Einschrnkung. Ich erzhlte ihr sogar vom Verschwinden meiner Schwester.
Und ich beendete meinen Bericht mit meinen Vermutungen, warum Lolly um-
gebracht worden war.
Ich mu zugeben, es war gut. Ich hatte schon viel ber die Macht der Katharsis
gehrt, aber ich glaube, ich hatte es bis dato noch nie richtig damit probiert. Das
Gewicht lastete immer noch auf meinen Schultern, die Spannung war immer
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noch in meiner Brust, aber jetzt kam mir alles ein wenig ertrglicher vor.
Jocasta schwieg eine Zeitlang, nachdem ich geendet hatte. Offensichtlich lie
sie sich das Gehrte durch den Kopf gehen. Danke, da Sie mir das von Ihrer
Schwester erzhlt haben, sagte sie leise. Ich wei Ihre Ehrlichkeit zu schtzen,
und es tut mir aufrichtig leid. Sie legte wieder eine Pause ein. Vielleicht hat
sie der Troll in eine andere Klinik gebracht. Oder vielleicht hat sie aus irgendei-
nem Grund selbst die Klinik gewechselt. Sie knnte im Augenblick irgendwo in
einem Bett liegen und darauf warten, da Sie sich bei ihr melden. Haben Sie es
woanders versucht? Vielleicht ist alles ganz harmlos.
Ich nickte. Sie knnten recht haben.
Ihre Stimme und Miene waren weicher geworden, als wir ber Theresa redeten,
doch jetzt kehrte ihr vertrautes geschftsmiges Gebaren zurck. Sie glauben,
da die Verbindung zwischen 2XS und diesem Booster-Drek von Bedeutung ist,
nicht wahr? fragte sie.
Ich hab das starke Gefhl, ja, aber immer noch keinen Beweis dafr.
Vertrauen Sie Ihrer inneren Stimme, sagte sie, um dann erneut zu zgern.
Ihnen ist doch klar, da Sie damit implizieren, Yamatetsu wirft 2XS auf den
illegalen Markt.
Es ergibt einen Sinn, sagte ich ein wenig rechtfertigend. Angenommen, es
ist dieselbe Technologie welcher Konzern wrde sich schon von einem anderen
gewinnbringenden Markt abwenden?
Sie schttelte den Kopf. Das kaufe ich nicht. Es wre ein zu groes Risiko. Da
mu es noch einen anderen Grund geben.
Welchen?
Ihr Freund, der Arzt ich hatte Bents Identitt zumindest bis zu einem ge-
wissen Grad geheimgehalten hat gesagt, es gbe keine Aufzeichnungen dar-
ber, da jemand Booster-Technologie an Menschen getestet hat, richtig? Ich
nickte. Aber Yamatetsu mute menschliche Tests durchfhren, bevor sie auch
nur daran denken konnten, die Technologie an die Armee zu verkaufen.
Ich konnte erkennen, worauf sie hinauswollte. Sie wollen damit sagen, sie
benutzen 2XS als Feldtest fr SPISES?
Knnte sein.
Ich grunzte. Es ergab zwar einen Sinn, klang aber aus irgendeinem Grund in
meinen Ohren noch nicht vllig korrekt. Als wrde ein Teil meines Verstandes
sagen: Nah dran, aber kein Volltreffer.
Wir bersehen irgendwas, murmelte ich.
Aber was?
Ich wnschte, ich wte es.
Und wie pat Crashcart in die ganze Geschichte hinein?
Eine Crashcart-Klinik hat Daniel Waters einen 2XS-Schaltkreis eingebaut.
Glaubt Ihr Freund, ergnzte Jocasta.
Ich sprang Bent zu seiner Verteidigung bei. Die Symptome sind dieselben, der
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Schaltkreis ist hnlich.
hnlich, betonte sie, nicht identisch. Wenn Sie mit der 2XS-SPISES-Ver-
bindung recht haben, hatten sie vielleicht vor, ihm einen Booster einzusetzen,
und haben es vermasselt.
Warum sollten sie das tun?
Vielleicht um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen? Sie stecken, wei
Gott mitten in einem Krieg mit DocWagon um die Marktanteile. Sie dachte
kurz nach. Oder es knnte eine andere Methode sein, Betatest-SPISES auf die
Strae zu bringen. Ihr Tonfall wurde lebhafter, whrend sie diesen Gedanken-
gang bis zum Ende verfolgte. Vielleicht ist das der Grund, warum Yamatetsu
Crashcart berhaupt ins Leben gerufen hat ... Als eine Mglichkeit, SPISES zu
verbreiten ...
Und ihre Wirkung zu beurteilen, fuhr ich fort. Sie bauen sie in jemand ein,
der bel zugerichtet wird, dann benutzen sie die Nachfolgeuntersuchungen, um
sich ein Bild zu machen, wie die Geschichte funktioniert.
Das ist auch der Grund, warum sie mit so harten Bandagen gegen DocWagon
kmpfen. Wenn sie DocWagon aus dem Geschft verdrngen knnen, ist das
Risiko geringer, da jemand herausfindet, was sie getan haben.
Eine Zeitlang hatte ich mich von Jocastas Enthusiasmus mitreien lassen.
Doch pltzlich verpuffte die Erregung. Die logische Struktur, die wir errichtet
hatten, besa einfach keinen inneren Zusammenhang. Wiederum hatte ich das
unabwendbare Gefhl, da wir etwas Entscheidendes bersahen. Wir hatten die
meisten Teile des Puzzles, und wir hatten sie zusammengesetzt, um ein Bild zu
erstellen. Aber ich hatte das Gefhl, wir hatten es versaut, indem wir ein paar
Teile dort eingesetzt hatten, wo sie ganz einfach nicht hinpaten. Ich schttelte
den Kopf.
Was ist? wollte Jocasta wissen.
Ich kauf es nicht.
Warum nicht?
Sie haben selbst gesagt, ich soll meiner inneren Stimme vertrauen. Es kommt
mir einfach nicht richtig vor.
Warum nicht? beharrte sie.
Ich kauf es einfach nicht. Ich sah sie fest an. Sie etwa?
Sie schien zu einer zornigen Erwiderung anzusetzen, um sich dann pltzlich
zu entspannen. Verlegen lchelnd, sagte sie: Nicht wirklich. Ich fhle mich ...
ich fhle mich berwltigt. Das Ausma dieser Geschichte, es ist ganz einfach
zuviel. Es kommt mir so vor, als sei es das einzig Logische, in ein tiefes Loch
zu springen und das Loch dann zu mir herunterzuziehen. Wissen Sie, was ich
meine? Aber Sie sind wahrscheinlich an so etwas gewhnt.
Reservieren Sie mir einen Platz in Ihrem Loch.
Sie lachte. Vielleicht. Dann wurde sie wieder ernst. Was werden Sie jetzt
tun?
Zusehen, da ich die fehlenden Teile finde. Aber zuerst will ich versuchen,
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meine Schwester aufzuspren.
Lassen Sie mich wissen, wie Sie vorankommen. Rufen Sie mich unter dieser
Nummer an. Eine LTG-Nummer erschien auf dem Schirm. Jocasta lchelte.
Ich hoffe. Sie finden sie.
Danke.
Sie unterbrach die Verbindung, bevor ich noch mehr sagen konnte.
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Vielleicht fhre ich ein behtetes Leben, aber ich habe noch nie zuvor einen
Chip-Deal abgewickelt. Die einzige Vorstellung, wie so etwas abluft, hatte ich
aus billigen Trideo-Shows. Sie wissen, welche Art ich meine anrchige Wohn-
gegenden und rattenverseuchte Chiphhlen, mit Kanonen wedelnde Dealer, die
wie der Abschaum der Menschheit aussehen und einen schnell ber den Haufen
knallen.
Wahrscheinlich gibt es derartige Orte. Aber als ich es schlielich geschafft hat-
te, Naomi davon zu berzeugen, da ich es ernst meinte, nannte sie mir eine
Adresse, die so weit von meiner geistigen Vorstellung entfernt war wie eben
mglich. Keine heruntergekommene Chiphhle in irgendeiner Pennergegend.
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Die Adresse gehrte ob Sies glauben oder nicht zu einem Trideoverleih in
einer Einkaufspromenade. Was ist nur aus der Welt geworden?
Gleich nach Beendigung meines Gesprchs mit Naomi berprfte ich das
Suchprogramm. Es hatte die Liste abgearbeitet und sich abgeschaltet, ohne einen
Treffer zu landen. Mit anderen Worten, Theresa Montgomery war von keiner
Krankenanstalt in Gro-Seattle offiziell aufgenommen worden. Verdammt.
Natrlich lautete das Schlsselwort offiziell. Jedes System hat seine Hinter-
tren. Es war vorstellbar, da Theresa irgendwo inoffiziell oder unter anderem
Namen aufgenommen worden war. Im Augenblick fehlten mir in beiden Fllen
die Mittel, um dem auf den Grund zu gehen. So sehr es auch schmerzte, ich
mute diese Angelegenheit zunchst aufs Abstellgleis schieben. Da ich nicht
die leiseste Ahnung hatte, wie ich in bezug auf Theresa weiter vorgehen sollte,
schien es mir das Beste zu sein, mit etwas anderem weiterzumachen und auf eine
Eingebung zu hoffen.
Der Trideoverleih befand sich in der Overlake Promenade in der Touristendorf-
Zone von Redmond. Gar keine schlechte Gegend fr Redmond: Die meisten
Fenster und Tren immer noch intakt, wenig Einschulcher in den Wnden
und weniger als 50 Prozent leerstehende Gebude. Der Verleih war ein typischer
Trideoladen. Es gab zwei Terminals natrlich vom Hersteller gehrtet , auf
denen Verzeichnisse und Kataloge abgerufen werden konnten, und ein halbes
Dutzend Schirme, die ausgewhlte Szenen aus den augenblicklich favorisier-
ten Verleihchips zeigten. Ein paar Augenblicke wurde ich von einer wandgroen
Aufmachung abgelenkt, auf der wechselweise Ausschnitte aus Neil, der Ork-
barbar XIV (Dialogbeispiel: Stirb, Drekfresser!) und Durch die kalte Kche
(Dialogbeispiel: Oh, o ja ...) zu sehen waren, aber ich schttelte den Trideo-
bann ab und schlenderte zur Ladentheke.
Die Aufsicht hatte ein Bursche ungefhr in meinem Alter, dessen Job es wahr-
scheinlich war, sich mit unbilligen Kundenwnschen auseinanderzusetzen, die
den Rahmen der Katalogterminals sprengten. Er sah ziemlich ordentlich aus
fast unnormal, wenn man die Gegend bercksichtigte und lchelte hflich, als
ich mich ihm nherte. Kann ich Ihnen irgendwie helfen? fragte er.
Ja, h, vielleicht, sagte ich mit einigem Unbehagen. Ich rief mir noch einmal
die Schlsselphrasen ins Gedchtnis, die Naomi erwhnt hatte. Ich, h, ich su-
che nach einem neuen Chip. Was echt Heies, wissen Sie?
Seine hfliche Miene vernderte sich nicht. Er gab mir einfach einen Ausdruck.
Das sind unsere neuen Titel, sagte er. Sehen Sie irgendwas, das Ihnen zu-
sagt?
Ich warf nicht mal einen Blick auf die Liste. Nicht wirklich. Ich glaube, ich
suche etwas ... Heftigeres. Etwas ... Exzessives?
Er nahm die Liste zurck. Ich frchte, ich wei nicht, was Sie meinen, sagte
er sanft.
Natrlich wute ich, was los war. Er kannte mich nicht. Ich konnte ein verdeck-
ter Ermittler von Lone Star sein. Also wrde er selbstverstndlich nicht freiwillig
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mit Informationen herausrcken. Wenn ich echt war, wrde ich genau sagen, was
ich wollte. War ich jedoch von der Drogenfahndung, konnte ich das nicht, weil
das Anstiftung war. Natrlich, ich kannte ihn ebenfalls nicht, und er konnte von
der Drogenfahndung sein. Ich war nicht sicher, aber ich nahm an, der Versuch,
2XS zu kaufen, war ebenfalls ein Verbrechen. Ich zgerte, dann beschlo ich, das
Risiko einzugehen.
Ich beugte mich vor, so da unsere Gesichter nur Zentimeter auseinander wa-
ren. Hren Sie, sagte ich, ich will 2XS, und ich hab das Herumtndeln satt.
Ich schob einen beglaubigten Kredstab ber den Tresen. Wollen Sie mein Geld
oder nicht?
Seine Miene vernderte sich immer noch nicht, aber der Kredstab verschwand.
Er ging auf normale Distanz und sagte: Wir sind immer gern zu Diensten. War-
ten Sie hier. Er verschwand nach hinten.
Ich sah mich nervs in dem leeren Geschft um und bereute, da mir diese
idiotische Idee jemals gekommen war. Er war rasch zurck, und zwar mit ei-
nem grellbunten Chip-Etui. Er gab es mir und sagte: Ich glaube, das wird Sie
zufriedenstellen.
Ich warf einen Blick auf das Etui. Der Titel des Chips lautete offensichtlich
Quartier zu vermieten, und das Titelbild machte berdeutlich und anatomisch
klar, welches Quartier gemeint war. Das Etui wirkte professionell eingeschweit.
Ich sah auf und hob eine Augenbraue. Wenn ich fnfhundert Nuyen laut Naomi
der augenblickliche Marktpreis bezahlt hatte und nicht mehr dafr erhielt als
einen Hardcore-Porno, wrde ich mit Sicherheit zurckkommen, um ein Wrt-
chen mit dem Verkufer zu reden. Er nickte kaum wahrnehmbar, und ich be-
schlo, das Thema jetzt nicht weiter zu verfolgen. Ich dankte ihm und ging.
Was, zum Teufel, tat ich eigentlich? Bent zufolge war 2XS ein tdlicher
Hammer, der nur via Datenbuchse benutzt werden konnte. Ich hatte weder den
Wunsch zu sterben noch eine Datenbuchse. Also, was wollte ich eigentlich?
Ich vermute, es war eine pervertierte Version des alten Erkenne-deinen-Feind-
Prinzips. Zumindest teilweise. Was auch vorging, 2XS schien im Zentrum der
Ereignisse zu stehen, und das Wissen, was der Chip genau bewirkte, wrde mir
vielleicht neue Einsichten vermitteln.
Ich mute auerdem erfahren, womit meine kleine Schwester ihren Verstand
gefttert hatte. Warum? Morbide Neugier, der Wunsch zu verstehen, wiederum
die Mglichkeit einer Einsicht. Suchen Sie sich was aus. Diese Grnde waren
der annehmbare Teil, aber vielleicht gab es noch einen anderen. Das Bedrfnis
zu beweisen, da ich mit etwas fertig werden konnte, das meine Schwester total
aus der Bahn geworfen hatte? Konnte ich wirklich so kleinkariert sein? Ich ver-
drngte diese unbequeme Mglichkeit aus meinen Gedanken.
Soviel zum Warum, aber was war mit dem Wie? Auf diese Frage gab es eine
nette einfache Antwort: Buddy.
Diesmal rief ich nicht vorher an ich ging einfach hin. Zum einen wollte ich
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es jetzt tun, solange ich noch den Mut aufbrachte. Zum anderen hatte ich eine
Entschuldigung zu kneifen, wenn Buddy beschlo, mich nicht einzulassen. Ich
nannte der Wache an der Tr meinen Namen und nahm mit ziemlich gemischten
Gefhlen zur Kenntnis, da er mich hereinnickte.
Ich fuhr den Aufzug zum vierzigsten Stock hoch, ging den Flur entlang und
klopfte an Buddys Tr. Dann trat ich ungefhr eine Minute lang unbehaglich
von einem Fu auf den anderen, in der ich zu entscheiden versuchte, ob ich noch
mal klopfen, lnger warten oder einfach verduften sollte. Ich neigte mehr und
mehr zu Mglichkeit drei, als die diversen Schlsser aufsprangen und sich die
Tr ffnete.
Buddy durchlief anscheinend gerade eine besonders ruhige Phase ihres Zyklus.
Der Drum-Computer spie immer noch seine frenetischen Licks aus, aber die
Lautstrke war ziemlich weit unten irgendwo knapp unterhalb des Drhnens
einer Harley im Leerlauf. Sie stand mit den Hnden in den Hften unter der Tr
und betrachtete mich mit raschen, vogelartigen Kopfbewegungen von oben bis
unten. Dann warf sie mir ein flchtiges Lcheln zu und trat zurck, um mich ein-
zulassen. Hoi, Dirk, sagte sie, wobei sie mir zum erstenmal tatschlich genug
Zeit lie, ganz hereinzukommen, bevor sie die Tr hinter mir zuknallte.
Hoi, Buddy. Ich hatte eigentlich die Absicht, gleich zur Sache zu kommen,
aber mein Mund war pltzlich wie ausgedrrt.
Sie musterte mich erneut. Du bist ziemlich fickerig, bemerkte sie. Fickerig
bis zum Gehtnichtmehr.
Wenn ich dermaen gestret war, da es sogar Buddy sprte, war ich zweifellos
fickerig bis zum Gehtnichtmehr. Ich brauch deine Hilfe, Buddy.
Sie warf mir noch ein Lcheln zu. Hatte ich mir schon gedacht. Komm mit.
Ich folgte ihr ins Wohnzimmer, sah berrascht, wie sie eine Fernbedienung aus
den Falten ihres ballistischen Sarongs zog und die Lautstrke des Drum-Compu-
ters um ein paar Dezibel zurckdrehte. Dann sank sie in den Lotussitz und starrte
zu mir auf. Worum gehts?
Ich sah mich um und stellte fest, da das Trampnetz immer noch mit ihrem
Cyberdeck verbunden zu sein schien. Ein Teil meines Verstandes fluchte: Eine
weitere Entschuldigung beim Teufel. Ich holte den 2XS-Chip heraus ich hatte
die grelle Verpackung auf dem Weg hierher weggeworfen und hielt ihn ihr hin.
Der ist so hnlich wie ein SimSinn-Chip, sagte ich. In meiner Nervositt ber-
nahm ich ihr eigenes barsches Sprachmuster. Ich will ihn einwerfen.
Sie betrachtete den Chip, nahm ihn jedoch nicht. Warum?
Ich wollte das nicht nher ausfhren. Diese Frage hatte ich mir selber schon
viel zu oft gestellt. Ich will das Trampnetz benutzen. Geht das?
SimSinn, klar. Sie starrte mir in die Augen. Ist mehr als SimSinn, nicht?
BTL?
Mehr als BTL. Es ist wichtig, Buddy. Kannst du es tun?
trlich kann ich.
Wirst du?
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Sie dachte lange darber nach. Zwei, vielleicht drei Sekunden. Dann zuckte sie
die Achseln und deutete auf den Stuhl. Setz dich.
Ich setzte mich. Sie nahm den Chip, drehte ihn zwischen den Fingern hin und
her. Dann sah sie mir wieder in die Augen. Mehr als BTL?
Ich nickte und schluckte einen faustgroen Klo herunter, der sich unerklrli-
cherweise in meiner Kehle gebildet hatte.
Ich will ein paar Einschrnkungen damit verbinden, sagte ich. Ich will, da
du ihn ich zgerte eine Minute lang laufen lt. Nur sechzig Sekunden.
Dann stellst du ihn ab. Und ich will, da du den Chip vernichtest. Vernichte ihn.
Verstanden?
Sie sah auf den Chip, dann wieder in meine Augen. Du hast ne Scheiangst
davor, sagte sie. Verdammt richtig, ich hatte eine Scheiangst. Wird er dich
fertig machen?
Ich wei nicht, sagte ich wahrheitsgem.
Dreiig Sekunden, korrigierte sie mich. Sie ttschelte ihr Excalibur mit ei-
nem knochigen Finger. Ich pa auf dich auf.
Komm nicht mit, Buddy, warnte ich sie, obwohl ich nicht einmal wute, ob
das mglich war.
Machst du Witze? schnaubte sie. Will ich meinen Verstand versauen? Ich
berwache deine Hirnstrme. Und dann machte sie sich an den Verbindungen
zwischen der Dornenkrone und ihrem Cyberdeck zu schaffen.
Ich dachte darber nach. Zur Standardausrstung eines durchschnittlichen
Decks gehrte es gewi nicht, aber wenn Buddy ein Elektroenzephalogramm
oder etwas hnliches, das Gehirnstrme aufzeichnete, in ihr Cyberdeck einge-
baut hatte, wrde ich mich wesentlich wohler fhlen. Ich zog meinen Duster aus
und legte ihn und meinen gehalfterten Manhunter auer Reichweite. Dann
versuchte ich eine bequeme Stellung auf dem harten Stuhl einzunehmen.
Buddy hatte ihre Vorbereitungen schnell getroffen. Nur zu bald setzte sie mir
das Trampnetz auf den Kopf. Buddy ..., begann ich.
Ich pa auf dich auf. Die Worte klangen schroff, aber ich glaubte, so etwas
wie echte Besorgnis aus ihrer Stimme herauszuhren. Oder war es nur meine
Einbildung? Sie verschnrte den letzten Riemen, sank wieder in ihren Lotussitz
und legte sich ihr Excalibur auf die Knie. Ich sah zu, wie sie den Chip in eine der
Buchsen des Decks einlegte. Sie sah zu mir auf und lchelte. Mrchenstunde,
sagte sie leise.
Ich glaube, ich wollte noch irgendwas sagen, da ich es mir berlegt htte.
Aber bevor ich auch nur die erste Silbe herausbrachte, drckte ihr skelettdnner
Finger eine Taste ...
Ich stehe auf einem Hgel und sehe auf das Schlachtfeld hinunter. Mein Helm
und meine Rstung fangen das goldene Licht der aufgehenden Sonne ein, und
die vielen darin eingearbeiteten Juwelen reflektieren funkelnde Lichtspeere. Ich
trage ein Vermgen am Krper, aber das ist nur angemessen und richtig. Meine
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Stellung als Knig ist mir durch Geburtsrecht gegeben, doch ich habe sie mir
zustzlich auch durch meine Leistung verdient. Noch nie hat mich ein Mensch im
Zweikampf besiegt, wenngleich es schon viele versucht haben. Ich hebe meine
Axt, spre ihr angenehmes Gewicht in meinen Hnden, fahre mit dem Daumen
ber die rituellen Kerben im Schaft. Ich habe Leben genommen, und ich werde es
wieder tun. Derlei ist mein Recht, meine Ehre und meine Pflicht.
Ich sehe Bewegung auf der Ebene unter mir. Es ist der Feind. Die Beute. Bald
werden wir diesen Hgel hinunterstrmen und ber sie herfallen wie Wlfe ber
eine Herde Schafe. Bald wird mein Krper im Kampfestaumel zittern, wird die
Melodie des Krieges in meinen Ohren singen. Bald wird meine Axt Blut schmec-
ken. Bald wird mir ein weiterer Sieg zufallen. Ein weiterer Sieg in der unend-
lichen Reihe all derer, die ich zuvor schon errungen habe. Eine weitere Zeile
der Saga, die mich als den grten Krieger dieses und jeden anderen Zeitalters
feiern wird.
Die Sonnenscheibe erhebt sich ber den Horizont. Einen Bogenschu hin-
ter mir hre ich die Gerusche meiner Armee, die sich fr die Schlacht gr-
tet. Der Rauch der Lagerfeuer beit slich in meine Nstern. Der Schlag der
Schwerter auf Schilde, der Schall der Fanfaren klingt in meinen Ohren. Meine
Brust schwillt an und knnte vor Freude ber den bevorstehenden Kampf plat-
zen. Ich frage mich flchtig, wie es wohl sein wrde, anders zu sein, als ich es
bin, sich zerbrechlich zu fhlen, sich sterblich zu fhlen. ngsten und den Un
wgbarkeiten des Zufalls unterworfen zu sein. Ich kann es mir nicht vorstellen.
Und warum sollte ich es auch nur versuchen? Ich bin, wie ich bin, und anders
wollte ich es auch gar nicht haben. Ich mache Anstalten, mich meinen Gefolgs-
mnnern anzuschlieen.
Ein Gerusch aus den Bumen zu meiner Rechten. Ich wirbele herum, meine
Axt kommt hoch. Acht Krieger des Feindes strzen mit gellendem Schlachtruf
und mit im Morgenlicht funkelnden Schwertern aus dem Dickicht. Sie wollten
mich hinterrcks berfallen, mich meuchlings hier erschlagen. Doch meine
Feinde wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben, sonst htten sie nicht nur acht
geschickt.
Ich strme ihnen entgegen. Meine Axt singt, als ich sie schwinge, scheinbar be-
gierig zu mhen, zu fllen. Ich brlle mein Vergngen in den Himmel, und meine
Stimme ist wie ein schrecklicher Schrei, der mit dem Fanfarenschall wetteifert.
Die Axt findet ihr Ziel. Eine Fontne heien Blutes ergiet sich ber mich ...
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verletzlich. Fr einen Augenblick wollte ich sie tten, die Haut dieses ach so be-
sorgten Gesichts von ihren Schdelknochen abziehen. Wie hatte sie mir nehmen
knnen, was ich hatte? Was ich war? Wo war meine Axt?
Meine ... meine was? Die Vision der Axt, der Rstung verblate, wurde zur
Erinnerung an einen Traum oder zur Erinnerung an eine Erinnerung. Sie hatte
keine Intensitt, nichts von der Leidenschaft, die mich Augenblicke zuvor noch
durchflutet hatte.
Dirk? sagte Buddy noch einmal. Ja, Buddy. Ich kannte sie. Ich kannte mich,
ich wute, wer ich war. Und dann splte das Gefhl eines Verlustes ber mich
hinweg wie eine Flutwelle. Ich htte schreien knnen. Ich htte weinen knnen.
Mein Blick zuckte zum Cyberdeck, das auf dem Fuboden lag. Etwas glitzerte.
Der Chip steckte immer noch in der Buchse. Ich versuchte nach dem Deck zu
greifen, aber meine Muskeln wollten mir nicht gehorchen.
Buddy erkannte, was ich vorhatte. Mit einer Geschwindigkeit, die ihr totenhn-
liches Aussehen Lgen strafte, bckte sie sich und nahm den Chip aus der Buch-
se. Warf ihn auf den Boden. Stampfte mit dem Absatz darauf, und er zerbrach in
unzhlige Splitter.
Und dann heulte ich auf, und die Dunkelheit wusch ber mich hinweg und
verschlang mich.
Ich kam wieder zu mir, und ich wute, wer ich war ... bin ... was auch immer.
Ich lag immer noch auf dem Boden. Ich ffnete die Augen.
Nicht mehr als ein paar Augenblicke konnten vergangen sein. Buddy hockte
neben mir, ihre khle Hand lag auf meiner Wange. Ich sah in ihr Gesicht, sah die
Angst und die Besorgnis. Dirk? sagte sie noch einmal. Und dem Unterton in
ihrer Stimme konnte ich entnehmen, wie die Frage gemeint war.
Ja, sagte ich. Ja, Dirk. Ich machte rasch eine emotionale Bestandsaufnah-
me, eine Art mentalen Selbsttest. In meinem Herzen waren immer noch Traurig-
keit und schwrzeste Depression, doch das alles wurde von einer schrecklichen
Furcht berlagert. Ich zwang mich in eine sitzende Stellung und betrachtete den
Boden. Ja, da lagen die Splitter des Chips. Er war wirklich zerstrt. Sie hatte ihn
zertreten. Ich fand das viel beruhigender, als ich es je fr mglich gehalten htte.
Bist du okay? fragte sie.
Ich dachte einen Augenblick darber nach. Jetzt ja, erwiderte ich. Ich fuhr
mir mit der Hand durch das Haar, rieb mir die Augen. Versuchte die berreste
jener Erinnerung wegzuwischen. Was ist passiert?
Ich hab deine zerebrale Aktivitt berwacht, sagte sie. Sie wurde offen-
sichtlich ziemlich durcheinander, suchte sie nach Worten sie vernderte sich.
Wurde anomal. Sah wie ein psychotisches Zwischenspiel aus. Wahnvorstellun-
gen, mehr als Wahnvorstellungen. Ich hab dich ausgestpselt. Sie deutete auf
das Glasfaserkabel, das an der Dornenkrone befestigt war, die ich immer noch
trug. Der Stecker lag auf dem Boden, war aus dem Cyberdeck herausgezogen
worden. Sie fixierte mich mit ihren klaren Augen. Was hast du erlebt?
Ich versuchte mich zu erinnern. Doch die Erinnerung war zu schmerzhaft
149
oder, korrekter ausgedrckt das Wissen, da mehr nicht zurckbleiben wrde ,
also versuchte ich statt dessen zu vergessen. Eine andere Welt, sagte ich.
Was war das fr ein Chip? Sie wischte mit dem Zeh ber die Kristallsplitter.
Er wird 2XS genannt.
Mehr als BTL?
Ich nickte. Wie lange ist er gelaufen?
Sie zuckte die Achseln. Zehn, zwanzig Sekunden.
Subjektiv war wesentlich mehr Zeit vergangen. Ich hatte bereits eine Bestands-
aufnahme meiner Emotionen gemacht. Jetzt versuchte ich, meinen Krper zu
fhlen, seinen Status herauszufinden.
Ich war unendlich mde, als wre ich Marathon gelaufen oder htte Urban
Brawl gespielt und dann drei Runden mit Neu, dem Orkbarbar, gerungen. Ich
legte zwei Finger auf das andere Handgelenk schwierig, so wie meine Hnde
zitterten und stoppte zehn Sekunden auf meiner Uhr, whrend ich meinen Puls
zhlte. Bei fnfunddreiig kam ich nicht mehr mit, und da waren die zehn Se-
kunden immer noch nicht um. Mir fiel Bents Bemerkung wieder ein, wie ruins
2XS fr den Krper war, und kam zu dem Schlu, da er die Wirkung um ein
paar Grenordnungen unterschtzt hatte.
Dann kam mir ein schrecklicher Gedanke. Buddy, fragte ich, wie effektiv
ist dieses Ding? Ich zog mir das Trampnetz vom Kopf.
Sie schttelte den Kopf. Nicht sehr, antwortete sie schlicht. Zwanzig oder
dreiig Prozent. Vielleicht.
Das schien das Zittern noch zu verschlimmern. Wenn man also, sagte ich,
whrend ich mich vergeblich bemhte, meine Stimme ruhig klingen zu lassen,
etwas direkt ber eine Datenbuchse laufen lt, kommt es einem intensiver
vor?
Unendlich viel.
Ach, Theresa ...
15
A uf der Heimfahrt traf mich immer wieder das niederschmetternde Gefhl der
Depression und eines verheerenden Verlusts mit derart brutaler Wucht, da
ich nach Luft schnappte. Die Episoden kamen ohne Vorwarnung, wenn ich am
wenigsten damit rechnete. Immer wenn ich dachte, ich htte die 2XS-Erfahrung
berwunden und sei wieder vllig normal, strzte alles wieder auf mich ein: Die
Erinnerung daran, meine Bestimmung zu kennen, zu wissen, da alles vollkom-
men der Kontrolle meines unbeugsamen Willens unterlag, da ich wute, da
alles, was ich tun wollte, richtig war, und zwar einzig und allein deshalb, weil
ich es wollte. Und schlimmer noch, die Erkenntnis, da ich diese fast gottgleiche
Sicherheit und Macht niemals wieder empfinden wrde.
Meine Hnde zitterten jedesmal so stark, da ich fast die Kontrolle ber den
Wagen verlor ich htte sie verloren, wre Quincys modifizierter Autopilot nicht
150
gewesen. Auerdem tanzte stndig die Frage am Rande meines Bewutseins:
Und wenn ich die Kontrolle verlor? Nun, da ich den mchtigen Krieger in sei-
ner juwelenverzierten Rstung fr immer verloren hatte, was wrde es da noch
ausmachen, wenn ich starb? Der Tod war die einzig sichere Mglichkeit, die
Erinnerung an diesen Verlust auszulschen ...
Wie die meisten Menschen hatte ich schon an Selbstmord gedacht, aber ledig-
lich als eine Art intellektueller bung. Immer nur im Kopf, niemals im Herzen,
und ich hatte ihn immer kurzerhand als die letzte Zuflucht des Feiglings abgetan.
Aber auf meiner Fahrt zurck nach Purity war Selbstmord kein Gedanke, son-
dern eine Mglichkeit, die ich tief in meinem Innersten ernsthaft in Erwgung
zog. Und das erschreckte mich unsagbar.
Was, wenn Buddy den 2XS-Chip nicht zerstrt htte? fragte ich mich. Was,
wenn ich ihn jetzt in der Hand htte und wte, da ich nur den Chip in einen
Spieler und das Kabel in meine Datenbuchse zu stecken brauchte (vorausgesetzt
ich hatte eine), um jene unbeschreiblichen Empfindungen zurckzuholen? Die
Antwort war ebenso simpel wie bengstigend. Ich wrde den Chip auf der Stelle
ablaufen lassen. Selbst in dem Wissen, da er meine Hirnwellen Amok laufen
lie, mir psychotische Wahnvorstellungen vermittelte und mich millimeterweise
umbrachte. Natrlich wrde ich ihn ablaufen lassen, und sei es nur, um den de-
pressiven Phasen zu entkommen. Bent hatte so verwichst recht gehabt, da man
nie mehr etwas anderes will, wenn man einmal 2XS gekostet hat.
Und dieser Horror war es, den sich meine kleine Schwester in ihr Leben geholt
hatte jedenfalls nahm ich das an. Sie war schon vor Jahren ein Chiphead ge-
wesen, also hatte sie sowieso die Tendenz zur elektronischen Wirklichkeitsflucht
und sie hatte die Datenbuchse. Selbst wenn sie nur einen einzigen 2XS-Chip
eingeworfen hatte, als Experiment vielleicht, war sie ein fr allemal und unwi-
derruflich schtig. Wieviel schlimmer wrden die depressiven Nachwirkungen
fr jemanden sein, der diese Chips ber Tage oder sogar Wochen benutzte? Wie-
viel grer die Anziehungskraft des Selbstmordgedankens?
Das war eine mgliche Erklrung fr Theresas Verschwinden und dazu eine,
die ich nicht unbercksichtigt lassen konnte, wie schmerzhaft der Gedanke auch
war. Ich lie noch einmal meine Unterhaltung mit der guten Dr. Dempsey von
der Klinik der Bruderschaft Revue passieren, wobei ich mich an ihre genauen
Worte zu erinnern versuchte. Sie hatte gesagt, niemand sei letzte Nacht aufge-
nommen worden. Das hie, offiziell. Arbeitete die Leiterin der Klinik aber in der
Aufnahme? Wohl kaum. Sie war auf Station oder im Operationssaal oder was
sie dort hatten, whrend in der Aufnahme irgendeine unwichtige Arbeitsbiene
Dienst tat.
Ich stellte mir ein anderes Szenario vor. Fitz bringt Theresa in die Eingangshal-
le der Klinik, klaut das Namensschild und verduftet wieder, um nicht offiziell in
die Geschichte verwickelt zu werden. Theresa, die an einer berdosis 2XS und
Nachdepressionen leidet, wandert hinaus auf die Strae und geekt sich vielleicht
selbst oder wird gegeekt oder klappt einfach nur in irgendeiner Gasse zusammen.
151
Die Arbeitsbiene in der Aufnahme hat noch keines der entsprechenden Formula
re ausgefllt, also ist Theresa auch nicht offiziell aufgenommen worden. Wrde
die Arbeitsbiene Dr. Dempsey von einem derartigen Vorfall unterrichten? Wahr-
scheinlich nicht. Das war eine Mglichkeit, Dempseys und Puds Geschichten
unter einen Hut zu bringen. Wenn es sich so abgespielt hatte, was durchaus im
Bereich des Mglichen lag, wrde ich die Parameter meiner Suche erweitern
mssen.
Als ich meine Bude erreichte, hatten sowohl die Hufigkeit der depressiven
Anflle als auch ihre Wucht drastisch nachgelassen. Fix und fertig warf ich mei-
nen Duster auf einen Stuhl. Das Bett sah warm und einladend aus, aber ich hatte
noch etwas zu tun, bevor ich schlafen gehen konnte. (Auerdem mu ich zuge-
ben, da mich der Gedanke an Schlaf und Trume im Augenblick ziemlich
erschreckte.) Ich sah auf die Uhr erst kurz nach dreiundzwanzig null-null Uhr
, setzte mich vor das Telekom und tippte Naomis Privatnummer ein.
Wie erwartet, erreichte ich nur ihren Anrufbeantworter. Also hinterlie ich mei-
ne Nachricht. Naomi, sagte ich zu ihrer Bildaufnahme, ich brauche noch was
anderes, und das hat Vorrang vor ich zgerte, nur fr den Fall, da Naomi sich
in bezug auf ihre saubere Leitung irrte der anderen Sache, ber die wir ge-
sprochen haben. Meine Schwester ist verschwunden, Naomi. Ich glaube, sie war
auf einem schlechten Chiptrip. Totaler Zusammenbruch. Kannst du die Akten
berprfen und nachsehen, ob sie aufgetaucht ist? MVA-Listen, Verbrechens
opfer, du kennst die Routine. Sie ist SINlos, was keine Hilfe sein drfte. Ihr
Vorname ist Theresa Mary. Ruf mich so schnell wie mglich an, okay? Danke
vielmals, Omae. Du hast was gut bei mir.
Ich hngte ein, programmierte einen Weckruf fr morgen frh neun Uhr und
legte mich aufs Ohr. Obwohl ich dringend Schlaf brauchte, weigerte er sich be-
harrlich zu kommen, whrend ich mich von einer Seite auf die andere wlzte.
Ein Teil von mir freute sich: Ich hatte immer noch Angst vor den Trumen, die
ich vielleicht haben wrde. Ich kam zu der Ansicht, ich knnte die Zeit ebenso-
gut sinnvoll nutzen, und ging im Geiste noch einmal alle Mglichkeiten durch,
die es gab, Theresa aufzuspren, und mir vielleicht entgangen waren. Magie,
vielleicht?
Ich bin ein Normalsterblicher, und die Kreise, in denen ich mich bewege, sind
es praktisch ausnahmslos ebenfalls. Nicht da ich ein Magophober bin wie man-
che Leute, denen ich schon begegnet bin. Nur hat es sich einfach so ergeben. Der
Hauptnachteil bei dieser Sache ist, da ich dazu neige, in weltlichen Kategorien
zu denken. Nicht, da ich die Magie vergesse das ist in der Sechsten Welt un-
mglich , aber sie spielt in meinen berlegungen nur selten eine grere Rolle.
Wenn ein Problem auftaucht, gehe ich es immer mit einer weltlich orientierten
Geisteshaltung an und warte mit weltlichen Lsungsversuchen auf. An die magi-
schen Mglichkeiten denke ich nur, wenn nichts anderes funktioniert hat.
Konnte also ein Magier oder Schamane Theresa fr mich finden? Theoretisch
ja, aber nach allem, was ich ber Magie wute, wrde der Betreffende etwas
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brauchen, das Theresa gehrte eine Haarlocke, ein Hautfetzen, etwas Blut oder
vielleicht etwas, das ihr gefhlsmig wichtig gewesen war. berflssig zu sa-
gen, da ich nichts Derartiges besa. Wenn sie bei den Night Prowlers herumge-
hangen hatte, wrden die sehr wahrscheinlich etwas in dieser Hinsicht Zweck-
dienliches haben. Das aber setzte die Zusammenarbeit mit mindestens einem
Prowler voraus. Bercksichtigte man, da sie mich nur Stunden zuvor zu geeken
versucht hatten, erschien mir diese Mglichkeit nicht bermig wahrschein-
lich. Was war mit Pud? Keine Chance, dachte ich. Er wrde mir keinen weiteren
Gefallen mehr tun, nachdem er mir schon den grten erwiesen hatte, indem er
mich am Leben lie.
Die Magie schien eine Sackgasse zu sein, zumindest auf der Grundlage mei-
nes limitierten Wissens. Ich konzentrierte mich wieder auf weltliche Nachfor-
schungsmethoden, und es war etwa um diese Zeit, als mich der Schlaf wie eine
schwarze Woge umhllte und das Licht bei mir ausging.
Das beharrliche Summen des Telekoms weckte mich. Ich sah auf die Zeitanzei-
ge. Neun Uhr.
Ich schttelte den Kopf, um die Spinnweben zu vertreiben. Die Trume waren
nicht so schlimm, wie erwartet, aber gewi auch kein Zuckerschlecken gewesen.
Glcklicherweise verblaten sie sehr schnell im grauen Morgenlicht, das durch
die teilweise polarisierten Fenster fiel. Ich stand auf und machte mir eine Kanne
Soykaf. Die erste Tasse trank ich so schwarz und hei, wie ich es gerade noch
ertragen konnte, um mich vollends aufzuwecken.
Was lag heute an? Ich versprte den Drang, Naomi anzurufen, um sie zu fra-
gen, ob sie schon etwas ber Theresa herausgefunden hatte. Oder um sie zu pie-
sacken, nehme ich an. Das war natrlich weder vernnftig noch fair. Wenn sie
noch in derselben Schicht war, wrde sie um nullachtdreiig mit der Arbeit be-
gonnen haben, was bedeutete, da sie vor etwa einer Stunde aufgestanden war.
Das mute auch der Zeitpunkt gewesen sein, als sie meine Nachricht abgehrt
hatte. Wie gut Naomi auch war, sie konnte in dieser Zeit noch keine bedeutenden
Fortschritte erzielt haben, insbesondere deshalb nicht, weil sie ihre inoffiziellen
Nachforschungen im geheimen ausfhren mute. Nein, ich mute ihr mehr Zeit
lassen, wie schwer mir das Warten auch fiel.
Was dann? Nicht viel. Ich konnte versuchen, etwas ber Yamatetsu zu erfahren,
aber Naomi war wesentlich geschickter und auch besser ausgerstet als ich. Ich
konnte das Straenpflaster in und um Puyallup lchern und nach irgendeiner Art
von Hinweis auf Theresas Schicksal Ausschau halten. Aber dieses Vorgehen bot
bestenfalls eine Auenseiterchance. Die Chancen standen viel besser, da ich
lediglich einen militanten Night Prowler finden wrde, den es in den Fingern
juckte, mich auf der Strae zu geeken.
Ich erwog, beim Stift der Universellen Bruderschaft in Puyallup hereinzu-
schneien, um ein Schwtzchen mit der Arbeitsbiene in der Aufnahme zu halten,
nahm dann aber Abstand davon. Die Person, die um neun Uhr morgens Dienst
tat, wrde nicht dieselbe sein, die ein paar Stunden nach Mitternacht in der Auf-
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nahme gesessen hatte. Also eine Sackgasse.
Aber ich mute einfach irgendwas tun. Nein, fgte ich rasch hinzu, ich mute
mit jemandem reden. Ich rief die Nummer auf, die mir Jocasta gegeben hatte,
und whlte.
Der Anruf wurde praktisch sofort entgegengenommen, doch der Schirm blieb
dunkel. Ja? Es war Jocastas Stimme.
Ich bins, sagte ich in den leeren Schirm hinein.
Sofort erhellte sich der Schirm, und Jocasta erschien. Sie trug einen Frottee-
bademantel, und ihr Haar war ein wenig zerzaust. Ich mute grinsen. Ich sah
sie zum erstenmal nicht in perfekter Konzernaufmachung. Und um ehrlich zu
sein, so sah sie viel besser aus. Viel verletzlicher und menschlicher. Ich schaltete
meine Kamera ein.
Morgen, sagte ich.
Ihr Blick glitt an ihrem Bademantel herunter, und sie zupfte ein wenig verlegen
am Aufschlag. Ja, das ist es. Dann sah sie mir wieder in die Augen. Irgendwas
Neues von Ihrer Schwester?
Ich war berrascht und erfreut , da dies ihre erste Frage war. Nichts Gu-
tes, sagte ich und gab ihr dann einen kurzen berblick ber meinen gestrigen
Tagesablauf. Ich lie lediglich das Intermezzo mit den Prowlers aus.
Als ich fertig war, musterte sie mich schockiert. Dieses 2XS klingt wie echter
Drek, sagte sie. Sie schttelte den Kopf und schien zu schaudern. Ich htte
nicht den Mut gehabt, es auszuprobieren. Ich zuckte die Achseln. Aber ich
kann verstehen, warum Sie sich solche Sorgen um Ihre Schwester machen, fuhr
sie fort. Was tun Sie sonst noch, um sie zu finden?
Ich erzhlte ihr von Naomi, nannte aber selbstverstndlich keinen Namen und
lie durchblicken, da meine Kontaktperson beim Star ein Mann war. Das
klingt gut, sagte sie. Was ist mit Magie?
Ich kenne persnlich keine Magier. Und ich wei nicht, ob mir berhaupt
einer helfen knnte. Man braucht etwas, das mit der betreffenden Person verbun-
den ist, oder nicht?
Das gilt nur fr rituelle Magie, glaube ich, sagte Jocasta nach einem Augen-
blick des Nachdenkens. Bestimmte Geister knnen eine Person auf astralem
Wege aufspren. Der Magier braucht lediglich ein mentales Bild von der Per-
son.
Das wute ich nicht. Der Gedanke beunruhigte mich. Er bedeutete, da ich
nicht einmal annhernd so sicher war, wie ich glaubte. Gibt es sonst noch was,
das ich wissen sollte?
Sie zuckte die Achseln. Ich bin keine Expertin. Bestenfalls eine Dilettantin.
Sie sollten mal mit Harold reden.
Warten Sie mal ne Sekunde. Sie sind eine Dilettantin? Wollen Sie damit sa-
gen, da Sie eine Magierin sind?
Sie sah wieder verlegen aus. Nein. Ich stehe auf der schamanischen Seite.
Aber ich bin keine Schamanin. Ich ... ich habe nur ganz flchtigen Kontakt mit
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der Macht, nicht mehr, und ich bin nicht in ihrem Gebrauch geschult.
Warum haben Sie nicht schon vorher was gesagt?
Es ist nie zur Sprache gekommen.
Erzhlen Sie mir davon. Was knnen Sie tun? Es knnte wichtig sein.
Sie zuckte wieder die Achseln. Ich kann nicht viel tun. Aber manchmal spre
ich Dinge. Es ... Sie zgerte, und es war offensichtlich, da es ihr unangenehm
war, darber zu reden.
Weiter, sagte ich beruhigend. Es interessiert mich. Wirklich.
Sie schwieg, und das Flackern ihrer Augen verriet mir, da eine interne Debatte
begonnen hatte. Schlielich nickte sie. Sie wissen, da die meisten Kinder un-
sichtbare Freunde haben? Ich hatte auch einen. Lolita hatte immer haufenweise
Freunde, aber ... Sie schttelte den Kopf, um diesen Gedankengang zu unter-
brechen. Einen Moment lang sah ich Jocasta als junges Mdchen vor mir mit
demselben verletzlichen Ausdruck in den Augen wie jetzt.
Ich fhlte mich allein behaglicher, glaube ich. Ich war zehn, als mir zum er-
stenmal klar wurde, da ... Sie zgerte wieder und versuchte es anders. Wir
wuchsen in Arbor Heights auf. Ich ging drauen spazieren damals war das
sicherer als jetzt und gab vor, da Sarah bei mir war. Sie errtete und schlug
die Augen nieder. Sarah war meine unsichtbare Freundin. Ich nickte, sagte
aber nichts.
Ich ging eine Hauptstrae entlang. Es war Marine View. Ich kann mich noch
so deutlich daran erinnern, als sei es gestern gewesen. Es war ein Sonntagmor-
gen, und es herrschte nicht viel Verkehr. An der Ecke ging ich ber die Strae.
Bei einer Ampel, fgte sie mit einem flchtigen Grinsen hinzu. Mit mir ging
ein Mann hinber. Er erinnerte mich sehr stark an meinen Vater. Er lchelte mir
zu und sagte, es sei ein schner Tag zum Spazierengehen. Wir waren halb ber
die Strae, als ich es hrte. Sie brach ab.
Weiter, ermunterte ich sie.
Wir waren halb drben, wiederholte sie, und ich hrte eine Stimme direkt
neben mir. Jocasta, sagte sie. Ich konnte es so deutlich hren wie, nun, wie
irgendwas. Zuerst dachte ich, es sei der Mann, aber es war nicht seine Stimme.
Es war auch nicht die Stimme eines Mdchens, nicht wirklich. Dann sagte sie
wieder: Jocasta. Ich sah zu dem Mann, aber er schien nichts gehrt zu haben.
Er ging einfach weiter. Und pltzlich wute ich es ich meine, ich wute es,
wirklich: Sarah hatte das gesagt. Sie zuckte die Achseln. Ich wei, das ergibt
keinen Sinn, und damals tat es das noch viel weniger. Aber ich war sicher, da
es Sarah war. Ich hatte Angst, aber ich wute, ich mute von der Strae herunter.
Ich drehte mich und rannte auf den Brgersteig zurck. Der Mann sah sich um.
Er war verwirrt und wollte irgendwas sagen ...
Ich glaubte zu wissen, was als nchstes kam.
Der Wagen kam sehr schnell um die Ecke. Ihre Stimme war fast ein Fl-
stern, und ich konnte die Erinnerung an das Entsetzen in ihren Augen sehen. Ein
schwarzer Acura Turbo Cabriolet. Ich kann ihn immer noch vor mir sehen. Selbst
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im Stand htte er noch schnell ausgesehen. Er rammte den Mann, und der hatte
berhaupt keine Zeit zu reagieren. Er traf ihn frontal, so hart, da sein Krper
zwanzig Meter weit flog, und ich wute, da er tot war. Der Fahrer wurde ein we-
nig langsamer, als wolle er anhalten. Aber dann gab er Vollgas und raste einfach
weg. Ich konnte mich wer wei wie lange nicht rhren, whrend die Menschen
zusammenliefen und die Polizei eintraf. Ich wute, wenn ich weitergegangen
wre, wenn Sarah nicht meinen Namen gerufen htte, wre ich genauso tot wie
der Mann. Das verngstigte mich mehr als alles andere.
Ich schwieg fr ein paar Augenblicke, nachdem sie geendet hatte. Ich konnte
mir die junge Jocasta leicht vorstellen, wahrscheinlich ziemlich steif und kor-
rekt und das kupferfarbene Haar genauso wie jetzt, wie sie auf dem Brgersteig
stand, whrend in ihre grauen Augen langsam ein Begreifen trat, das weit ber
das fr ihr Alter Normale hinausging. Haben Sie je herausbekommen, was ei-
gentlich passiert ist? fragte ich schlielich.
Ich wute es nie ganz sicher. Ich kann nur raten. Ich glaube, ich habe, ohne es
zu wissen, einen Geist beschworen. Vielleicht war es mein Bedrfnis nach einem
Freund, das ihn gerufen hat, die Kraft meines Wunsches, Sarah mge wirklich
sein. Aber ... ich wei es nicht.
Wie ging es spter weiter?
Sie zuckte die Achseln. Ich wuchs auf. Und natrlich erlaubte ich es mir nicht
mehr, an Sarah zu denken. Wenn ich mich an jenen Tag erinnerte, wute ich
immer mit allen mglichen, eminent logischen Erklrungen fr das Vorgefallene
aufzuwarten. Sie kennen das sicher: Ich htte den Wagen im Unterbewutsein
gehrt, und Sarahs Stimme sei nur eine Manifestation meiner eigenen Instinkte
gewesen. Diese Art Drek. Sie grinste. Ich bin immer wieder verblfft, wie gut
wir darin sind, uns selbst zu belgen.
In den nchsten zehn Jahren, fuhr sie fort, vernderte ich mich. Ich begann
diese ... diese Verwandtschaft mit dem Land zu spren, das ist die beste Art, wie
ich es erklren kann. Als seien wir ... verbunden, meine Seele und das Land. Sie
kicherte. Wenn ich einmal eine Idee habe, werde ich manchmal besessen davon.
Ich glaube, bei dieser war es so. Lolita fing an, mich Rothaut zu nennen, und
Dad ... Na ja, Dad war ziemlich angewidert von dem Interesse, das ich Biologie
und anderen dubiosen Fchern in der Schule entgegenbrachte. Und so kam ich
schlielich dazu, Neo-kologie an der PSU zu studieren. Ich machte schlielich
meinen Magister. Und da habe ich auch Harold kennengelernt.
Sie hatte den Namen schon einmal erwhnt. Wer ist Harold?
Harold-Der-In-Den-Schatten-Lebt, sagte sie. Makah, Hundeschamane, und
einer der besten Neo-kologen berhaupt. Er war mein Doktorvater. Ihrem
Tonfall und Augenausdruck zufolge wre ich jede Wette eingegangen, da er
noch mehr gewesen war als das. Aber natrlich sagte ich nichts. Er erkannte
etwas in mir, fuhr sie fort, etwas in meiner Aura. Er sagte, ich htte eine Spur
der Macht in mir, und da ich das Potential htte, eine Schamanin zu werden.
Und sind Sie es geworden?
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Ich versuchte dem Pfad zu folgen, sagte sie bedchtig. Mehr, um Harold
zu gefallen, glaube ich, als fr mich selbst. Ich bernahm sein Totem, Hund, und
versuchte zu lernen, was er mir beizubringen versuchte. Sie zuckte die Ach-
seln. Ich bin nicht sehr weit gekommen. Wahrscheinlich, weil es ein Weg ist,
den man nur beschreiten kann, wenn man von dem Verlangen danach beherrscht
wird, und das war ich nie. Ich war immer mehr an den intellektuellen Anforde-
rungen der Neo-kologie interessiert als an ... nun, an magischem Hokuspokus.
Und ich glaube, ich habe es Harold verbelt, da er versucht hat, jemanden aus
mir zu machen, der ich nicht bin.
Sie haben deswegen Schlu gemacht, scho ich ins Blaue.
Sie sah mich an. Einen Augenblick blitzen ihre Augen, dann wich der rger
gequlter Belustigung. Bin ich so leicht zu durchschauen? fragte sie. Sie ha-
ben natrlich recht. Ich habe deswegen Schlu gemacht. Aber wir haben danach
auch weiterhin noch zusammengearbeitet; das tun wir gelegentlich immer noch,
und wir sind auch immer noch enge Freunde.
Was haben Sie ber Magie gelernt?
Was glauben Sie wohl? Sie kicherte leise. Nicht so frchterlich viel. Manch-
mal kann ich astral wahrnehmen. Nicht immer und gewhnlich dann, wenn ich
es am wenigsten will. Und das wars auch schon. Einmal habe ich einen Geist
beschworen, obwohl Harold mir wahrscheinlich mehr dabei geholfen hat, als er
zugeben wollte. Aber er blieb gerade mal lange genug, um mir einen hllischen
Schrecken einzujagen. Sie dachte einen Moment lang nach. Soll ich mal mit
Harold reden?
Ich erwog es. Im Augenblick nicht, aber vielen Dank fr das Angebot. Viel-
leicht wenn das Weltliche nichts bringt. Ich will lieber niemanden in die Sache
verwickeln, wenn ich nicht mu.
Jocasta akzeptierte das mit einem Nicken. Was werden Sie in der Zwischen-
zeit unternehmen?
Warten, sagte ich schulterzuckend.
Was ist mit wie haben Sie ihn genannt? X?
Dasselbe. Mein Kontakt bei Lone Star riecht auch mal bei Yamatetsu rein.
Wenn ich mehr erfahre, wei ich vielleicht eher, was wir unternehmen knnen.
Ich bin ein guter Datenbeschaffer. Vielleicht kann ich auch ein bichen her-
umwhlen.
Ich dachte darber nach. Vielleicht, sagte ich zgernd. Sie mssen aber
sehr, sehr vorsichtig sein. Wenn Yamatetsu wirklich in diesen Drek verwickelt
ist, werden sie alles, was auch nur einigermaen relevant ist, mit Wachhund-
programmen gesichert haben. Und die wichtigen Dinge natrlich mit Ice und
mglicherweise Deckern.
Ich lasse die Finger von allem, was direkt mit Yamatetsu zu tun hat, sagte
sie scharf. Ich bin doch nicht bescheuert. Aber es ist ein Grundsatz der wissen-
schaftlichen Forschung, da man eine Menge ber einen unbekannten Vorgang
erfahren kann, wenn man seine Wirkung auf Vorgnge studiert, die man ver-
157
steht.
Ich hob beschwichtigend die Hnde. Sie sind die Expertin. Passen Sie nur auf,
da Sie dabei nicht umkommen. Ich zgerte, dann fgte ich hinzu: Das wre
eine ziemliche Verschwendung.
Ihre harte Miene wurde weicher. Das liegt nicht in meiner unmittelbaren Ab-
sicht. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lcheln, das gleichzeitig mde und
warm war. Ich schlage vor. Sie nehmen sich Ihren Ratschlag selbst zu Herzen.
Viel Glck wegen Theresa. Und damit war sie auch schon weg.
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E s heit, stille Wasser seien tief. Ich hatte mich mit dieser Redensart nie richtig
anfreunden knnen, da ich wute, da stille Wasser viel fter abgestanden
sind; aber auf Jocasta Yzerman traf sie zweifellos zu. Sie war fast das genaue
Gegenteil von Lolly, und das nicht nur im Aussehen. Lolly hatte der Welt immer
ein sanftes, verletzliches Gesicht gezeigt, aber die wirkliche Frau darunter war
so scharf und kalt wie ein Skalpell gewesen. Auf der anderen Seite hatte sich
Jocasta mir gegenber kalt und sprde gezeigt, als wir uns ber ihren Ziellaser
kennengelernt hatten. Ich hatte sie als zhes Konzernmiststck ohne Spur von
Menschlichkeit abgestempelt. Aber jetzt hatte ich hinter die Maske geschaut
nein, sie hatte mir gezeigt, was hinter der Maske steckte. Ich sah, da sie mensch-
licher, anteilnehmender und verletzlicher als Lolly war. Sonderbar und immer
sonderbarer, sagte Alice im Wunderland.
Ich lag auf dem Bett, starrte gegen die Decke und versuchte die Uhr zum
schnelleren Gehen zu zwingen. Es war ein langer Morgen und ein noch lngerer
Mittag gewesen. Ich hatte mir selbst versprochen, Naomi nicht vor 15.30 an-
zurufen. Jetzt war es 15.00 Uhr, und das war es schon seit einer halben Stunde
jedenfalls kam es mir so vor. Schlielich gab ich auf zum Wichs mit allen
Versprechen und rappelte mich auf. Ich tippte Naomis Durchwahlnummer ein
und verbrachte die Sekunden, in denen die Verbindung hergestellt wurde, damit,
mir mein Vorgehen zu berlegen. Diesmal kein DArtagnon, falls jemand die
Bedeutung erkannt hatte.
Der Schirm erhellte sich, doch nicht Naomis Bild tauchte auf. Die Frau, deren
Bild erschien, war zehn Jahre lter und trug eine Lone Star-Uniform. In Naomis
Abteilung trugen alle Angestellten Zivilkleidung. Was, zum Teufel, war los?
Das Gesicht der Frau htte aus Stein gemeielt sein knnen. Als sie den Mund
zum Sprechen ffnete, sah es aus, als hingen ihre Kiefer an Scharnieren. Die Be-
wegung stand mit keinem anderen Teil ihres Gesichts in Verbindung. Ihre Augen
waren wie Feuerstein. Lone Star Public Relations, sagte sie.
Ich unterbrach sofort die Verbindung und berprfte die Nummer, die ich ein-
gegeben hatte. Ja, es war Naomis Nummer. Vielleicht hatte der Telekomnetz-
Verteiler bei Lone Star gerade einen Anfall, sagte ich mir. Aber ich glaubte es
nicht.
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Ich warf meinen Duster ber und rannte fast auf die Strae, um ein Mnztele-
kom zu finden, das funktionierte, keine leichte Aufgabe in den Barrens. Als ich
schlielich eines fand, mute ich feststellen, da seine Videokamera in Ordnung
war, also zerschmetterte ich sie mit dem Kolben meiner Kanone, sehr zur Be-
lustigung zweier Punks, die sich das Schauspiel ansahen. Dann gab ich noch
einmal Naomis Nummer ein.
Und geriet wieder an Steingesicht und ihr Lone Star Public Relations.
Ja, h, hoi, sagte ich mit angerauhter Stimme. Ich, h, ich will Naomi Ta-
kahashi sprechen.
Es tut mir leid, sagte Steingesicht mit einer Stimme, der es berhaupt nicht
leid tat. Ms. Takahashi ist unabkmmlich. Wer spricht, bitte?
Ein Chummer von ihr. Ich suchte nach einem Namen aus der Vergangenheit,
bei dem keine Warnlichter aufblinken wrden. Gerry Moore, sagte ich und
nannte damit den Namen eines ehemaligen Bekannten von uns, der vor ein paar
Jahren nach D.C. gegangen war. Ich bin ein paar Tage in der Stadt und wollte
sie mal wieder sehen. Knnen Sie mich mit ihr verbinden?
Schalten Sie bitte Ihre Videokamera ein, befahl Steingesicht.
Ich spreche von einem Mnztelekom. Jemand hat die Kamera zerschlagen.
Die Frau griff nach irgendwo auerhalb des Bildschirms; zweifellos lie sie ge-
rade feststellen, woher der Anruf kam. In meinem Magen bildete sich ein kalter
Klumpen der Angst.
Hren Sie, sagte ich, wobei ich mich bemhte, die Anspannung aus meiner
Stimme herauszuhalten, kann ich jetzt mit Takahashi sprechen oder nicht?
Sie blickte nach unten, wahrscheinlich las sie meine LTG-Nummer von einer
verborgenen Anzeige ab. Sie wrde wissen, da ich bezglich des Mnztele-
koms die Wahrheit gesagt hatte. Bei allen ffentlichen Telekoms im Bereich von
Seattle ist die dritte Ziffer der LTG-Nummer eine Neun. Es tut mir leid, log sie
erneut, Ms. Takahashi ist in Ausbung ihrer Pflicht gettet worden.
Die Welt schien um mich herum dunkel zu werden. Ich beugte mich langsam
vor, bis meine Stirn auf dem khlen Plastik der Zelle ruhte.
Sind Sie noch da? sagte Steingesicht. Ich sah sie Anstalten machen, die Ver-
bindung zu unterbrechen.
Ich zwang mich, einen Anschein von Beherrschung zu wahren. Wann?
Es ist mir nicht gestattet, diese Information gegenwrtig freizugeben.
Ich wollte um mich schlagen, durch den Bildschirm greifen und dieses ver-
fluchte zugeknpfte Miststck erwrgen. Jetzt htte ich die Streitaxt gebraucht,
die ich gestern geschwungen hatte. Was, zum Teufel, ist passiert? schrie ich.
Sie arbeitet im Archiv. Wie kann man im Archiv in Ausbung seiner Pflicht ge-
ttet werden? Bei einem Chipzusammensto? Bei einem Tippunfall?
Steingesicht lie meine Wut vllig kalt. In letzter Zeit hat es ein paar gegen
Lone Star und seine Angestellten gerichtete Anschlge gegeben, erklrte sie mit
unbewegter Miene. Ms. Takahashi hat ihr Leben bei einem derartigen Anschlag
verloren. Die Beerdigung findet am Dienstag statt, aber da Sie kein unmittelbarer
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Familienangehriger sind ...
Ich hieb so hart mit der Faust auf den Unterbrecherknopf, da das gehrtete
Plastik splitterte. Sie war tot, Naomi mit den blitzenden Mandelaugen, die so
gern gelacht hatte. Und ich hatte sie gettet, dessen war ich mir sicher.
Ich verlie die Zelle und ging durch die nachmittglichen Straen von Purity.
Ich wute weder, wohin ich ging, noch kmmerte es mich. Mein Verstand ber-
schlug sich in einer tzenden Mischung aus Wut, Trauer und Schuldgefhl. Ich
knirschte so hart mit den Zhnen, da ich spren konnte, wie sich meine Kie-
fermuskeln verkrampften. Ich wute, als einsamer Spaziergnger in den Barrens
war ich eine Versuchung fr den Straendrek, der mich fr meine Stiefel oder
meinen Duster mit Freuden umlegen wrde. In gewisser Weise wnschte ich
mir, da jemand etwas gegen mich unternahm. Nicht, weil ich meinen Tod her-
beisehnte, wenngleich mein Tod vermutlich eine Form der Bue gewesen wre.
Nein. Ich hoffte, jemand wrde mich berfallen, so da ich meine Wut an einem
anderen auslassen, jemanden umbringen konnte, so wie jemand X Naomi
umgebracht hatte.
Es konnte nur X gewesen sein. Klar, vielleicht hatte es ein paar terroristische
Anschlge gegen Lone Star und dabei sogar ein paar Tote gegeben. Aber dieser
Zufall war einfach zu gro. Ich beauftrage Naomi, Drek ber Yamatetsu auszu-
graben, und zufllig verliert sie bei einer terroristischen Gewalttat das Leben?
Nein. Sie hatte zu tief gegraben, war auf etwas Wichtiges gestoen.
Natrlich hatte sie zu tief gegraben. Ich htte es wissen mssen. Naomi war
eine gute Datenbeschafferin, die beste, die ich je gekannt hatte. Sie wrde so tief
gegraben haben, wie es die Klugheit gestattete, und dann noch tiefer gegangen
sein, Warnungen hin oder her. Sie wrde weitergegraben haben, bis sie auf Gold
gestoen war und jemand oder etwas ICs, zum Beispiel ihr Einhalt geboten
hatte. Endgltigen Einhalt. Es mochte X gewesen sein, der abgedrckt oder dazu
angestiftet hatte, aber ich war es, der sie umgebracht hatte.
Ohne mir darber bewut zu sein, wohin mich meine Schritte fhrten, stand
ich wieder auf der Treppe, die zu meiner Bude fhrte. Ich mute irgendwas tun,
aber was?
Vielleicht hat Naomi irgendwas gefunden, dachte ich, als ich die Tr hinter mir
zuwarf und meinen Duster auf den Fuboden fallen lie. Vielleicht hatte sie die
Ergebnisse ihrer Whlarbeit oder zumindest die Spuren, denen sie folgte, irgend-
wo festgehalten. Auf keinen Fall wrde sie Aufzeichnungen wie diese in ihrer
Maschine im Archiv verwahrt haben. Sie wrde sie in ihrem privaten Telekom
gespeichert haben. Vielleicht hatte sie das System in ihrer Wohnung sogar mit
dem im Archiv gekoppelt so hnlich, wie mein Telekom hier mit demjenigen
in Auburn gekoppelt war. Es war einen Versuch wert.
Ich setzte mich vor mein Telekom und tastete Buddys Nummer ein. Nach dem
Summton fing ich an, ins Mikrophon zu schreien. Buddy! Buddy, zum Teufel.
Wenn du da bist, nimm ab. Es ist verdammt wichtig!
Nichts, keine Antwort. Wenn sie gerade deckte, war sie sich des eingehenden
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Anrufs wahrscheinlich nicht mal bewut. Was, zum Teufel, konnte ich tun, um
ihre Aufmerksamkeit zu erregen? Mir fiel nichts ein. Buddy! schrie ich noch
einmal mit einem schrecklichen Gefhl der Sinnlosigkeit. Was konnte witzloser
sein, als einen leeren Telekomschirm anzuschreien?
Dann war der Schirm pltzlich nicht mehr leer. Ein Bild war darauf, kein
normales Videobild, sondern etwas, das einer dreidimensionalen Computerani-
mation mittlerer Auflsung hnelte. Ich sah eine wunderschne junge Frau mit
ebenholzfarbenem Haar, die ein elegantes lasergrnes Kleid trug. Ich erkannte
sie augenblicklich: Buddys Icon aus der Matrix. Was, zur Hlle ...?
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was los war. Buddy war eingestp-
selt gewesen, aber irgendwie hatte sie meinen Anruf mitbekommen. Aus uner-
findlichen Grnden hatte sie beschlossen, ihn zu beantworten, doch warum sich
der Mhe des Ausstpselns unterziehen und dann ihr fleischliches Selbst zum
Telekom bewegen? Warum etwas derart Umstndliches tun, wenn sie doch ledig-
lich hier und da in der Leitung, die ihr Telekom mit der greren Matrix verband,
ein paar Elektronen umleiten mute? Ein hbscher Trick.
Was ist los? schnappte Buddys Stimme aus dem Lautsprecher. Der Mund des
Icons bewegte sich nicht. Ich vermute, Buddy wollte keine Computerenergie da-
fr verschwenden, das Bild weiter als ntig zu animieren. Ich bin beschftigt.
Naomi ist tot, sagte ich. Die Worte blieben mir fast im Halse stecken.
Naomi?
Dann fiel es mir wieder ein. Buddy hatte Naomi nie kennengelernt. Eine enge
Freundin. Jemand, der mir ne Menge bedeutet hat. Buddy antwortete nicht. Sie
wartete nur auf das, wovon sie gewut haben mu, da es als nchstes kommen
wrde. Ich brauche deine Hilfe.
Inwiefern?
Ich mu wissen, wie sie gestorben ist. Die Daten mssen im Lone Star-Sy-
stem sein.
Schon wieder Lone Star, fauchte Buddy fast. Du verlangst nicht viel, was?
So schlimm wird es nicht sein, sagte ich fast flehend. Ich will alles ber die
Vertuschung wissen, weil es mit Sicherheit eine geben wird. Und was hat eine
Vertuschung fr einen Sinn, wenn man seine Lgen so tief grbt, da niemand
an sie heran kann?
Darber dachte sie einen Sekundenbruchteil nach. Mag sein, rumte sie ein.
Der Kram, den ich will, befindet sich in den Dateien der Abteilung fr Public
Relations, beeilte ich mich fortzufahren. Minimales Ice dort, wenn berhaupt
welches, richtig?
Mag sein, wiederholte sie. Ein weiterer Sekundenbruchteil Pause. Der b-
liche Tarif?
Das Doppelte, sagte ich aus einem Impuls heraus. Aber ich will es schnell.
Das leuchtende Icon bewegte sich nicht, aber ich konnte mir Buddys Schulter-
zucken gut vorstellen. Sind deine Nuyen.
Da ist noch was anderes.
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Sie schnaubte. Natrlich ist da noch was anderes.
An diese Nummer ist ein Telekom angeschlossen. Ich tippte Naomis Privat-
nummer ein und bermittelte sie Buddy. Kannst du in das Telekom eindringen
und die Dateien kopieren?
Naomis Telekom?
Stimmt genau.
Noch eine Pause, die noch lnger war fast zwei Sekunden, eine Ewigkeit fr
Buddy. Sie hat dir bei irgendwas geholfen. Es war keine Frage.
Meine Augen brannten. Wahrscheinlich vom Betrachten des intensiv leuchten-
den Icons, sagte ich mir. Ja.
Ich werde es tun, antwortete sie augenblicklich. Doppelter Tarif fr Lone
Star, das Telekom ist umsonst. Ich ruf dich an. Das Icon verschwand.
Ich wollte mich auf dem Boden einer Flasche verstecken und nicht eher heraus-
kommen, bis die Welt ein besserer Ort geworden war. Ich wollte auf meinem
weien Pferd weiterreiten und mit meinem Schwert ein paar Gurgeln durch-
schneiden. Ich wollte mich an Jocastas Schulter ausweinen wie ein Kind. Ich
wollte irgendein armes Schwein finden, das mich schief ansah, damit ich ihm
seine erbrmlichen Knochen zu Brei schlagen konnte. Und schrecklicherweise
am heftigsten wollte ich mich in der Pseudorealitt des 2XS-Chips verlieren.
Natrlich tat ich nichts von diesen Dingen. (Nicht wirklich, abgesehen von
einem anstndigen Schluck Whiskey, um meine Nerven zu beruhigen.) Ich sa
nur da und wartete auf Buddys Rckruf. Es war schwierig, aber ich unterlie es
sogar, Jocasta anzurufen, um ein wenig zu plaudern. Wie alle anderen auch hat
mein Telekom eine Warteschleife, aber ich wollte nicht riskieren, da eine unge-
duldige Buddy einhngte, statt darauf zu warten, da ich die Leitung wechselte.
Es war kurz nach achtzehn-null-null Uhr, als das Telekom summte. Fixe Ar-
beit, aber diese zwei Stunden waren mir wie Jahre vorgekommen. Ich drckte
den Empfangsknopf, bevor das erste Summen beendet war.
Buddy erschien auf dem Schirm. Die echte Buddy, nicht das Laserlicht-Icon.
Was hast du fr mich? fragte ich augenblicklich.
Den Bericht ber den Tod deiner Freundin, erwiderte sie. Bereit zum Emp-
fang?
Ich ffnete eine Datei. Los. Der Bericht war nicht lang, viel weniger als ein
Megabyte an Daten, und die Sendung dauerte nur ein oder zwei Sekunden. Ich
wollte ihn sofort durchgehen, konnte Buddys Ungeduld aber frmlich spren.
Sie wollte fertig werden und wieder zurck an ihre eigene Arbeit, wie diese auch
aussehen mochte. Danke, sagte ich. Ich schob meinen Kredstab ein und war-
tete, whrend sie die entsprechende das heit groe Abbuchung vornahm.
Und ihr Telekom?
Nichts.
Ich runzelte die Stirn. Ich wei nicht genau, wonach ich Ausschau halten
mu, sagte ich bedchtig. Vielleicht solltest du einfach alles berspielen, was
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da ist, und ...
Da war nichts, schnappte sie wieder. Der Speicher des Telekoms war leer.
Vllig leer. Keine Programme, keine Daten. Wie eine neue Einheit, die darauf
wartet, mit Software geladen zu werden. Jemand ist mir zuvorgekommen.
Jemand hat alles gelscht?
Das sagte ich doch.
Mu man so etwas persnlich erledigen, oder geht das auch ber die Kom-
leitung?
ber die Leitung.
Ist das schwierig?
Nicht besonders. Wenn man einmal die Schutzvorrichtung des Telekoms
durchdrungen hat, braucht man nur noch einen generellen Lschungsbefehl zu
geben.
Und ist die Schutzvorrichtung gut?
Nicht besonders, wiederholte sie. Jeder Decker, der seinen Namen zu Recht
trgt, knnte es tun.
Ich knallte so hart mit der Faust auf den Tisch, da das Telekom hpfte. Zum
Teufel, fauchte ich. Sie hat also was entdeckt.
Und das hat sie wahrscheinlich umgebracht, sprach Buddy den Gedanken
aus, der mir im Kopf herumging.
Tja, nun, murmelte ich ohne die geringste Lust, darauf oder auf mein
Schuldgefhl nher einzugehen. Danke, Buddy.
Ja. Tut mir leid wegen deiner Freundin.
Mir auch, Buddy.
Ich unterbrach die Verbindung und rief die Datei auf, die Buddy berspielt
hatte. Wie erwartet, hatte sie die ganze Akte kopiert, mit Lone Star-Titelzeile
und allem. Buddy machte keine halben Sachen, insbesondere dann nicht, wenn
sie den doppelten Tarif bekam. Der Bericht war sehr simpel, der Zwischenfall,
der darin beschrieben wurde, extrem schrecklich. Naomi war frh zur Arbeit
gekommen, angeblich, um Rckstnde in der Abteilung aufzuarbeiten. Um etwa
Neun Uhr dreiig war sie mit dem Fahrstuhl zur Cafeteria im zehnten Stock
hinuntergefahren und hatte eine Viertelstunde spter den Fahrstuhl zurck zum
dreiigsten genommen. Klang wie eine ganz normale Lone Star-Soykafpause.
Zwei andere Arbeiter waren mit Naomi im Fahrstuhl gewesen, und ein Groteil
des Berichts bestand aus ihren Zeugenaussagen.
Sie hatten gerade den zwanzigsten Stock passiert, als etwas in der Fahrstuhl-
kabine materialisierte. Die zwei Aussagen unterschieden sich drastisch wie
vorauszusehen , aber einiges stimmte berein. Erstens, das Ding war eine
zweibeinige Kreatur gewesen, jedoch ganz eindeutig weder Mensch noch Meta-
mensch, und zweitens, es war schrecklich. Es hatte den beiden Zeugen berhaupt
keine Beachtung geschenkt, sondern gleich mit einem Arm zugeschlagen und
Naomi buchstblich den Kopf abgerissen. Dann war es verschwunden. Ende der
Vorstellung. Niemand wute, was es war, woher es kam oder, was fr Lone Star
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noch wichtiger war, wie es die Schutzvorrichtungen des Hauptquartiers durch-
drungen hatte. Die offizielle Schlufolgerung lautete, irgendeine Terroristen
gruppe hatte beschlossen, den Star zu verunsichern, indem sie ihm irgendein
magisches Ekelpaket einen Stadtgeist, mutmate der Bericht auf den Hals
hetzte, um Schrecken zu verbreiten. Naomi Takahashi war schlicht und einfach
gestorben, weil sie das Pech gehabt hatte, in der Nhe zu sein.
Von wegen. Wenn ich ein Terrorist mit einem Stadtgeist wre und jemanden
umbringen wollte, einfach irgend jemanden, warum sollte ich mir dann die Mhe
machen, das Monster in einen Fahrstuhl zu schicken? Viel eher wrde ich es
in die Eingangshalle oder in ein Groraumbro oder meinetwegen auch in die
Exec-Suite schicken. Und wenn ich tatschlich so viel Drek im Hirn htte, mir
einen Fahrstuhl auszusuchen, warum sollte ich die Wirkung dann nicht maxi-
mieren und alle darin geeken, hmm? Nein. Naomis Tod war eine Hinrichtung.
Eine besonders ungewhnliche und schmutzige, aber nichtsdestoweniger eine
Hinrichtung. Sie hatte in der falschen Datenbank herumgeschnffelt oder sich
Zugang zur falschen Datei verschafft, und irgendein Killermagier von Yamatetsu
hatte sein Spielzeug losgeschickt, um sie zum Schweigen zu bringen.
Ich ging noch einen Schritt weiter. Dieser mutmaliche Killermagier war
wahrscheinlich X persnlich. Ich wute bereits, da X magisch aktiv war. Die
Aufzeichnung der berwachungskamera in Lollys Wohnhaus hatte das bewie-
sen. Warum von mehr als einem mrderischen Magier ausgehen?
Yamatetsu. Der Multi mute der Schlssel sein. Ich mute mehr ber den Kon-
zern herausfinden. Das Warum und Wie ebenso wie das Was. Und dann mute
ich einen Weg finden, X zur Strecke zu bringen und ganz Yamatetsu, wenn das
dazu ntig war.
Und ich mute es selbst tun. Keine Freunde mehr die Drekarbeit tun und ihren
Hals fr mich riskieren lassen.
Aber wie? Den Rest des Abends bis spt in die Nacht hinein rang ich mit dieser
Frage, ohne eine vollstndig befriedigende Antwort zu finden. Als ich am nch-
sten Morgen aufwachte, fhlte ich mich wie Drek zu wenig Schlaf, zuviel Stre
, zwang mich aber zum Aufstehen und zurck ans Telekom.
Immer eins nach dem anderen. Ich wute praktisch nichts ber den Yamatet-
su-Konzern, nur die rasche oberflchliche Schilderung, die Buddy mir gegeben
hatte. Es war an der Zeit, dem abzuhelfen. Ausgangspunkt: die ffentlichen Da-
tennetze.
Die meisten Eintrge im Datennetz beschftigten sich mit Yamatetsus inter-
nationalen Unternehmungen. Gott, der Konzern war ein Monster. Von seinem
Hauptquartier in Kyoto breitete sich sein Einflu buchstblich auf die ganze Welt
aus: Atzlan, Europa, die (ehemalige) Sowjetunion, angeblich sogar Tir Tairngire.
Er besa oder kontrollierte mehrere hundert kleinerer Konzerne in buchstblich
jedem Industriezweig Automobile, Nahrungsmittel, Elektronik, Hotels, Waf-
fen, Reisen, und so weiter und war an tausend weiteren zumindest finanziell
beteiligt. ber seine Gewinne gab es keine Informationen, aber nach den Infor-
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mationen zu schlieen, die mir zugnglich waren, schtzte ich, da seine jhrli-
chen Gewinne das Bruttosozialprodukt von einer ganzen Reihe kleinerer Staaten
berstiegen. (Ich mu zugeben, da mir das nicht besonders viel sagt da Finanz-
dinge nicht meine starke Seite sind. Weitaus vielsagender war die Tatsache, da
Yamatetsu fast doppelt so gro zu sein schien als Mitsuhama. Und bis vor ein
paar Tagen hatte ich nicht mal den Namen gekannt. Das war erschreckend.)
Yamatetsus Investitionen in Seattle waren relativ gering. Dem Konzern
gehrte das City Center Building Ecke Pike und Fnfte, und da hatte er auch sein
regionales Hauptquartier. Von dort aus herrschte sein Managementteam unter
der Leitung des obersten Vize Jacques Barnard ber die Schicksale von lediglich
einem Dutzend rtlicher Gesellschaften und etwas mehr als dreitausend Ange-
stellten. Kleine Fische, Kleingeld, nur eine Bagatelle.
Der Konzern besa auerdem eine Zweitniederlassung in Fort Lewis. Tatsch-
lich klang die Beschreibung im Datennetz so, als habe Yamatetsu seinen eigenen
kleinen Industriepark zwischen den Bumen versteckt. Wie vorauszusehen, bot
keines der ffentlichen Datennetze einen Hinweis darauf, welche Art von Ar-
beit in der auerhalb gelegenen Niederlassung verrichtet wurde, aber ich konnte
es mir schon denken. Was findet man im allgemeinen im Bezirk Fort Lewis?
Das Militrische, Chummer. Fort Lewis beherbergt Seattles Metroplex-Garde,
den McChord-Luftwaffensttzpunkt, Ausbildungseinrichtungen und Unterbrin-
gungsmglichkeiten fr fast zwanzig Konzern-Sicherheitstruppen (sprich Pri-
vatarmeen). Bercksichtigte man dazu noch die Tatsache, da es jedem Konzern
gut gefllt, seinem potentiellen Markt so nah wie mglich zu sein, dann war
klar, da ich Yamatetsus ISP-Abteilung, Entwickler und Verkufer der SPISES
Booster-Technologie, gefunden hatte.
Ich versuchte ein wenig Hintergrundmaterial ber den obersten Vize Jacques
Barnard auszugraben. Lern deine Feinde kennen und der ganze Drek. Aber in
den Datenbnken, zu denen ich Zugang hatte, war keine berraschung nichts
ber ihn zu finden. Keine Postadresse, keine LTG-Nummer. Vermutlich wute
entweder jeder, der mit Barnard Kontakt aufnehmen wollte, wie er das tun konn-
te, oder er tat es via Yamatetsus Seattler HQ.
Okay. Diese Informationsquelle hatte ich also ausgeschpft. Was war der nch-
ste Schritt?
Ich lehnte mich zurck und durchdachte alles noch einmal. Wonach suchte ich
eigentlich?
Nach X, gellte ein Teil von mir. Nach X, so da ich ihn umbringen kann.
Doch wie willst du ihn aufspren? wollte der logischere Teil meines Verstandes
wissen. Angenommen, X gehrte zu Yamatetsu immer noch eine Annahme,
wenn auch eine verdammt gute , welchen Platz nahm er oder sie dann in der
Hierarchie ein? Oder, um dieselbe Frage anders zu formulieren: Wo hatte der
reizende Deal mit Sutcliffe seinen Ursprung? Auf der Direktionsebene, was be-
deutete, da die gesamte Seattler Niederlassung seine Aktionen decken wrde?
Oder am anderen Ende der Skala vielleicht bei einem ehrgeizigen Produktma-
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nager, der gewillt war, alles zu tun, was seiner Karriere ntzte? Vielleicht war es
Wunschdenken, aber ich neigte dazu, das untere Ende der Skala zu favorisieren.
Wenn jemand auf Direktionsebene oder sogar Barnard persnlich den Deal an-
geordnet hatte, wren keine Fehler gemacht worden und ich wrde mir keine
Gedanken mehr darber machen mssen.
Blieb also die Frage: Wie sollte ich X aufspren? Ich wute nichts ber ihn
oder sie ... aber X wute nur allzuviel ber mich.
Ich scheute vor dieser gedanklichen Richtung zurck. Aber wenn ich wirklich
die Absicht hatte, X aufzuspren, war ich gewillt, meinen Hals dafr zu riskie-
ren? (Wie ich ach so gewillt gewesen war, den von Naomi zu riskieren? spottete
eine perverse Stimme in mir.) Die Wahrheit war, ich konnte mir einfach keine
bessere Mglichkeit vorstellen, die Sache anzugehen.
Okay, dann also zur Taktik. Ich machte mich wieder ber das Telekom her und
berprfte den Status von Naomi Takahashis Apartment. Der Mietvertrag ging
bei ihrem Tod automatisch auf ihre Eltern ber. Wenn die nichts unternahmen,
um ihn zu erneuern, erlosch er am 31. Dezember. Ob sie ihn erneuerten oder
nicht, das Apartment wrde etwa einen Monat lang leerstehen. Das ergab eine
perfekte Bhne. Ich brauchte lediglich ein paar Andeutungen fallenzulassen, da
ich mich dort eingenistet htte, und X dann zuvorzukommen, wenn er kam, um
mich umzulegen. Einfach.
Einfach vielleicht , wenn X von dieser Welt war, nur einer von vielen Stra-
ensamurai. Das Problem war, ich wute, da X magisch aktiv war. Und man
mu Feuer mit Feuer bekmpfen.
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W ie die meisten Bewohner der Schatten habe ich Schieber immer als not-
wendiges bel betrachtet. Ich habe nicht gern mit Mittelsmnnern zu tun
und eine starke Abneigung dagegen, jemandem einen Prozentsatz zu bezahlen,
der Menschen wie mich gegeneinander ausspielt und sich dabei selbst aus den
Schatten heraushlt. Meine besondere Verachtung war im allgemeinen fr Wie-
sel wie Anwar reserviert, und zwar ungeachtet der Tatsache, da er mir in den
letzten eineinhalb Jahren einige meiner bestbezahlten Jobs vermittelt hatte. Jetzt
war ich jedoch froh ber seine Existenz.
Abgesehen von Jocasta Yzerman, die ich nicht mitrechnete, kannte ich keine
Magier. Aber ich brauchte einen, und zwar schnell. Wenn ich ernsthaft daran
dachte, X in eine Falle zu locken, durfte ich die entschieden unnatrliche Wei-
se, auf die Naomi gestorben war, nicht vergessen. Wenn ein anderer monstrser
Horror wie dieser noch einmal seinen hlichen Kopf erheben sollte, tat ich bes-
ser daran, mich auf eine derartige Bedrohung vorzubereiten. Und das bedeutete,
ich brauchte einen Magier.
Anwar war wohl in besonders wohlwollender Laune: Er erleichterte mich ledig-
lich um dreihundert Nuyen fr Name und Kontaktdaten und um weitere fnfund-
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siebzig fr ein vorbereitendes Telekomgesprch, um fr meine Unbedenklichkeit
zu brgen. Was fr ein Handel!
Ich bekam den Namen eines gewissen Rodney Greybriar, der im Bezirk von
Capitol Hill, Galerstreet 1766, Suite 5 wohnte. Keine LTG-Nummer. Offensicht-
lich zog es Greybriar vor, Geschfte von Angesicht zu Angesicht zu ttigen. Ich
war nicht besonders glcklich darber, mute jedoch zugeben, da sich Anwar
niemals einer derart langen und profitablen Karriere erfreut htte, wenn es zu
seinen Geschftsprinzipien gehrt htte, seine Klienten zu hintergehen.
Capitol Hill haftet etwas Anachronistisches, fast bohemeartiges an, ein absolu-
ter Gegensatz zum brigen Sprawl. Als ich die Galer entlangfuhr und nach einem
Parkplatz suchte, htte ich tatschlich fast glauben knnen, da ich irgendwo
sehr weit weg von Seattles Innenstadt war. Die Gebude waren eine schizophre-
ne Mischung aus Husern, die zwischen 1980 und 1990 erbaut worden waren,
und zeitgenssischen Apartmentkomplexen, deren Palette von der seelenlosen
Unterschichtskaserne bis zum Mittelschichtsgebude mit einer Andeutung von
Sicherheitsvorkehrungen reichte. Greybriars Haus, Galerstreet 1766, gehrte zu
den ersteren. Das Haus stand unter Denkmalschutz, und das Erdgescho prahlte
mit einer liebevoll restaurierten Neonreklame, die das Haus als Fitness Connec-
tion Aerobics Center auswies. Die Reklame war immer noch an Ort und Stelle,
aber das Fitnecenter war schon vor langer Zeit in sechs gerumige Apartments
umgewandelt worden. Suite 5 befand sich im zweiten und obersten Stock und
nahm anscheinend die halbe Etage ein. Ganz nett, dachte ich. Im Magiegeschft
mssen ne Menge Nuyen stecken.
Auf der anderen Straenseite lste sich ein Wagen vom Bordstein, also scho
ich ber den Mittelstreifen und nahm den Parkplatz, was mir einen ausgestreck-
ten Mittelfinger von einer Frau mittleren Alters einbrachte, die es auf denselben
Parkplatz abgesehen hatte. Dann ging ich den halben Block zu Greybriars Haus
zurck. Suite 5 hatte anscheinend einen Privateingang, eine schmale Treppe, die
von der Strae hinauffhrte. Whrend ich die steile Treppe nahm, lockerte ich
den Manhunter im Halfter. Witzlos, es darauf ankommen zu lassen.
Die Tr zu Suite 5 hatte weder einen Spion noch eine Klingel. Ich musterte den
Trrahmen, die Decke, selbst den Fuboden, sah jedoch keinerlei Anzeichen fr
irgendwelche Sicherheitsvorrichtungen. Keine Kameras, keine Sensoren. Viel-
leicht brauchen Magier solchen Drek nicht, dachte ich, wobei mir pltzlich sehr
kalt wurde. Ich wollte an die Tr klopfen.
Und eine Stimme in meinem Ohr lie mich erstarren. Sie mssen Mr. Dirk
sein, sagte die Stimme. Ein warmer Kontraalt, eindeutig weiblich, die Art, die
ich normalerweise gerne in mein Ohr flstern hre.
Aber nicht gerade jetzt. Ich fuhr herum und hielt nach ihrem Ursprung Aus-
schau, whrend ich gleichzeitig nach meiner Waffe griff. Ich drehte mich so
schnell, da ich mich fast die steile Treppe hinunterkatapultiert htte. Alles ver-
geblich. Niemand war da.
Was es nur um so beunruhigender machte, als dieselbe einladende Stimme ne-
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ben mir kicherte. Drek, jetzt wute ich, warum ich mich nicht mit Magiern ab-
gab. Genug der Spielchen, schnappte ich.
Die Stimme antwortete sofort, ihr Tonfall zerknirscht. Es tut mir leid, Mr.
Montgomery. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Bitte treten Sie ein. Rodney er-
wartet Sie bereits.
Die Tr ffnete sich ohne jegliches Klicken irgendwelcher Schlsser oder Rie-
gel. Mein Herz fhlte sich immer noch so an, als poche es in meiner Kehle, also
schluckte ich es herunter, zwang es dorthin, wohin es gehrte, und trat ein. Die
Tr schlo sich hinter mir, sobald ich hindurch war. Ich fuhr erneut herum.
Diesmal war jemand da. Eine gertenschlanke Blondine, die in ein knchellan-
ges Gewand von jadegrner Farbe gekleidet war, das den Glanz ihres hftlangen
Haars auf perfekte Weise hervortreten lie. Sie hatte die Hnde sittsam hinter
dem Rcken verschrnkt, was lediglich ihre prchtige Figur betonte. Sie war
gro sie reichte mir bis zur Stirn und betrachtete mich mit riesigen, fast
unwirklich grnen Augen. Um ihre Lippen spielte die Spur eines Lchelns. Es
tut mir leid, sagte sie, und es war derselbe laszive Kontraalt wie zuvor. (Von
wegen, wollte ich sagen, beherrschte mich jedoch.) Ihre Augen funkelten vor Be-
lustigung. Jetzt erst fiel mir auf, da sie farblich ihrem Kleid entsprachen. Aber
Sie sind so nett zusammengefahren, fgte sie gelassen hinzu. Bitte gehen Sie
durch. Mit schlanker Hand deutete sie nach vorn.
Ich stand in einem kleinen Flur, der mehr wie ein Vorzimmer wirkte, berlie
es der Blondine, die Tr zu verschlieen falls das ntig war , und betrat das
eigentliche Apartment.
Ich nehme an, ich hatte mir das Apartment so hnlich wie das von Buddy vor-
gestellt, dster und klaustrophobisch, von einer Unordnung erfllt, die an Ver-
wstung grenzte, doch mit magischem Zeug anstelle des High-Tech-Krams. Fe-
tische, Amulette oder hnlicher Drek, schtze ich. Krge mit Molchaugen und
Froschzehen. Und Bcher, Bcher, berall Bcher: Staubige Wlzer mit kaba-
listischen Symbolen auf den Deckeln und verzierten Opferdolchen als Lesezei-
chen.
Falsch. Suite 5 war hell und luftig und auf eine Weise dekoriert, die den
Eindruck der Gerumigkeit maximierte. Das sprliche, doch reizvolle und
teure Mobiliar war in altskandinavischem Stil gehalten. Und es war so an-
geordnet, da das Apartment aussah, als sei es direkt den Seiten eines Woh
nungseinrichtungsblttchens entsprungen. An den Wnden hingen mehrere
Kunstdrucke, hauptschlich geometrische abstrakte Zeichnungen. Es war wirk-
lich alles tadellos, nichts war fehl am Platz, und nirgendwo waren Bestandteile
der Anatomie von Molchen oder Frschen zu sehen.
Der Raum, in dem ich mich befand, war L-frmig, und ich stand an der Spitze
der langen Seite. Und aus jener, fr mich unsichtbaren Ecke hrte ich eine Stim-
me diesmal mnnlich sagen: Mr. Dirk, nehme ich an. Bitte gesellen Sie sich
doch zu mir.
Der Stimme folgend, umrundete ich die Ecke. Obwohl dieser Flgel nicht
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weniger kunstvoll eingerichtet war als der Rest wirkte er mehr wie ein Bro. An
zwei Wnden standen Bcherregale, obwohl ich nicht einen vermoderten alten
Wlzer sah. Die dritte Wand wurde von einem Telekom der Spitzenklasse ein-
genommen. In der Mitte des Raums stand ein Schreibtisch in demselben klaren
Stil wie das brige Mobiliar, auf dem ein weiterer Computer stand. Aus diesem
Blickwinkel konnte ich nicht genau erkennen, was auf dem Schirm war, aber es
sah ein wenig wie meine Vorstellung von einem Pentagramm aus.
Hinter dem Schreibtisch sa ein Elf, und hinter ihm stand die grn gekleidete
Blondine. Ich sah mich um. Es gab keine andere Tr, die in den Broflgel fhr-
te, und keine krperliche Mglichkeit, wie sie mich auf dem Weg von der Ein-
gangshalle bis hierher htte berholt haben knnen. Ich starrte die Blondine an,
knirschte mit den Zhnen und schwor, mich nie wieder mit Magiern einzulassen.
Das hfliche Lcheln des Elfs verblate, als er den Ausdruck auf meinem Ge-
sicht sah. Er wandte den Kopf, anscheinend war ihm nicht bewut, da die Blon-
dine dort stand. Amanda, schalt er, ich bitte dich, damit aufzuhren, unseren
Gast zu plagen.
Amanda lie den Kopf hngen und sah so reumtig aus wie ein unartiges Kind.
Anfangs hatte ich geglaubt, sie sei in etwa genauso alt wie ich, mute jetzt jedoch
einrumen, da ich mich leicht um ein Dutzend Jahre verschtzt haben konnte.
Ich habe nur Spa gemacht, Rodney, flsterte sie.
Die Haltung des Elfs wurde weicher. Das wei ich, sagte er. Aber Spa
und Geschft vertragen sich nur selten. Jetzt la uns allein. Wir unterhalten uns
spter.
Amanda nickte, warf mir ein strahlendes Lcheln zu und lste sich dann in Luft
auf. Mal sieht man sie, mal sieht man sie nicht.
Bevor ich mich dazu uern konnte, lchelte der Elf ein wenig geqult und
sagte: Ich entschuldige mich fr Amanda. Ihr, h, Elan vertrgt sich manchmal
nicht mit ihren guten Manieren. Er stand auf und trat mir mit ausgestreckter
Hand entgegen. Mein Name ist Rodney Greybriar, Mr. Montgomery.
Ich schttelte die Hand und betrachtete den Elf eingehend. Fr einen Elf war
er klein und untersetzt. Er ma ein paar Zentimeter weniger als ich, doch seine
Schultern waren fast ebenso breit wie meine. Er hatte dichtes haselnubraunes
Haar. Anders als bei den meisten Elfen war sein Haar lockig, und er trug es schul-
terlang im Nacken und kurz an den Seiten, wodurch die Spitzen seiner Ohren
betont wurden. Auerdem war sein Gesicht breiter als das des durchschnittlichen
Elfs, und er hatte ein markantes Kinn. Er trug schwarze Hosen und Stiefel, ein
weies, durchgeknpftes Hemd und ein gutgeschnittenes schwarzes Jackett. Auf
beiden Revers blitzten silberne Anstecknadeln mit mir unbekannten und wahr-
scheinlich magischen Symbolen.
Unser gemeinsamer Freund Anwar sagt. Sie bentigten meine Dienste, fuhr
Greybriar fort. Und ich mchte hinzufgen, er stellt ihnen ein solides Leu-
mundszeugnis aus. Also, wie kann ich Ihnen helfen?
Zum erstenmal achtete ich auf die Stimme des Elfs. Ein wenig hher, als ich
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von jemandem seiner Statur erwartet htte, und mit einem deutlichen englischen
Akzent. (Echt oder angenommen? fragte ich mich.) Der Gesamteindruck war
irgendwie geckenhaft, fast weibisch.
Ich schwieg einen Moment und nahm mir die Zeit, mein Anliegen bestmglich
zu formulieren. Greybriar schien mein Zgern zu mideuten. Ich hoffe wirklich,
Amanda hat Sie nicht zu sehr, h, verstrt, sagte er mit aufrichtiger Besorgnis.
Sie hat mich nicht verstrt, korrigierte ich. Sie hat mich zu Tode erschreckt.
Wer ist sie berhaupt?
Der Elf wandte sich ab, vielleicht selbst ein wenig verstrt, oder vielleicht war
verlegen das bessere Wort. Amanda ist, h, ist eine Gefhrtin von mir. Sei-
ne Mandelaugen funkelten vor trockenem Humor, als er mir einen verstohlen
verschwrerischen Blick zuwarf. Nicht immer und vollstndig nach meinem
Geschmack, mchte ich hinzufgen. Ich hob eine Augenbraue, aber er scht-
telte den Kopf. Nicht was unsere sexuelle Orientierung anbelangt, erklrte er
eiligst. Die Dinge wrden ganz anders liegen, wenn Amanda ein Mensch oder
ein Metamensch wre.
Damit hatte ich am wenigsten gerechnet. Was ist sie dann?
Greybriar grinste und kicherte dann trocken. berrascht stellte ich fest da mir
der britisch klingende Elf gefiel. Eine sehr gute Frage, rumte er ein, eine, zu
deren Beantwortung ich selbst einige Zeit bentigt habe. Wollen wir? Er deutete
auf eine Couch im Wohnzimmer-Teil des L-frmigen Raums. Bitte nehmen Sie
Platz. Als ich es tat, lie er sich in einem Armsessel nieder. Eine Erfrischung?
Ich konnte nicht widerstehen. Tee? fragte ich unschuldig. Der Elf grinste
wieder, und ich fand sein Grinsen ansteckend. Tatschlich ziehe ich um diese
Tageszeit ein Bier vor.
Ich schttelte den Kopf. Fr mich nicht. Sie sprachen gerade von Amanda.
Ja, ja, das tat ich, nicht wahr? Er machte es sich ein wenig gemtlicher in
seinem Sessel. Amanda ist, was in manchen Kreisen als Anima, als freier Geist
bekannt ist, sagte er zgernd. Ich halte sie fr irgendeine Art Stadtgeist, wenn
gleich sie ber derartige Dinge niemals spricht.
Wie kommt es, begann ich, um dann einfach den Faden zu verlieren. Wie
...? Ich gestikulierte vage mit der Hand.
Tatschlich, lchelte Greybriar, bin ich selbst nicht ganz sicher, was das
Warum anbelangt. Amanda ist sehr ... vorsichtig in bezug auf das, worber sie
redet oder auch nicht redet. Sie fing an, hier vor etwas ber einem Jahr, h,
herumzuhngen, knnte man sagen. Zuerst hatte ich den Verdacht, sie knne eine
schiefgegangene Beschwrung sein, aber ich mute feststellen, da ich zunchst
nicht fhig und spter nicht mehr willens war, sie zu bannen. Sie ist harmlos,
wirklich, obwohl ihr Sinn fr Humor gelegentlich einen Hang zum Peinlichen
hat. Aber sie hat nie etwas getan, das mir geschadet hat. Ich sehe in ihr eine Art
undiszipliniertes Kind ...
Das habe ich gehrt! sang Amandas Kontraalt, obwohl sie nicht zu sehen
war.
170
Das Lcheln des Elfs wurde breiter. Sehen Sie, sagte er leise, um dann mit
lauterer Stimme fortzufahren, ... wenngleich ein ziemlich bezauberndes.
Das ist schon besser, erwiderte die Anima.
Ich schttelte den Kopf. Wohnt sie hier?
Nicht im Sinne des Wortes. Sie kommt und geht, wie es ihr beliebt. Obwohl
sie anscheinend immer ihre Aufwartung macht, wenn ich Besuch habe, sei es
aus geschftlichen oder gesellschaftlichen Grnden. Manchmal ist es ein wenig
peinlich.
Ich mute kichern. Ist Amanda ihr richtiger Name?
Nicht ihr wahrer Name, nein. Sie hat vorgeschlagen, da ich sie so nennen
soll, und der Name scheint zu ihr zu passen, finden Sie nicht auch? Der Elf rieb
sich kurz die Hnde und sagte: Nun, kommen wir zum Geschft. Was kann ich
fr Sie tun?
Ich brauche magischen Schutz, sagte ich unverblmt. Eine Art ich z-
gerte, da ich die Fachausdrcke nicht kannte eine Art magischen Einbruchsa-
larm. Ich werde mich in einem Apartment aufhalten. Ich brauche etwas, um die
Dinge drauenzuhalten.
Ich verstehe. Greybriar nickte, dann legte er die Hnde zusammen und fhrte
sie an die Lippen. Und was wird Ihrer Meinung nach bei Ihnen einzubrechen
versuchen?
Ein Stadtgeist, glaube ich.
Er hob eine Augenbraue. Ach? Sie haben es sich wohl mit einem Schamanen
verdorben, wie?
Nicht, da ich wte.
Warum dann ein Stadtgeist?
Ich hatte nicht die Absicht gehabt, das Thema zur Sprache zu bringen, doch
jetzt schien es vernnftig, dem Elf mehr Informationen zu geben. Ich schilderte
rasch die Ereignisse, die zu Naomis Tod gefhrt hatten, wobei ich ihren Namen
natrlich nicht nannte.
Greybriar hrte ohne Unterbrechung zu, whrend sich seine Brauen im Verlauf
meiner Erzhlung mehr und mehr verengten. Als ich geendet hatte, schwieg er
einen Augenblick. Dann fragte er zgernd: Die offizielle Auffassung geht also
dahin, da es ein Stadtgeist war, ist das richtig? Ich nickte, und das Stirnrunzeln
des Elfs vertiefte sich. Es knnte ein Stadtgeist gewesen sein, fuhr er fort,
aber der Beschreibung nach bezweifle ich es.
Was war es dann?
Er zuckte die Achseln. Da gibt es mehrere Mglichkeiten. Er beugte sich
vor und sttzte die Ellbogen auf die Knie, whrend er mich immer noch ber die
zusammengelegten Fingerspitzen hinweg scharf beobachtete. Doch tatschlich
beunruhigen mich andere Dinge viel mehr als die Natur des Tters. Sind Sie mit
den magischen Schutzvorkehrungen vertraut, die Lone Star benutzt?
Nein.
171
Im besonderen bin ich das ebenfalls nicht. Aber ich wei sehr wohl, wie ich
die Sache angehen wrde, und ich kann mir vorstellen, da sich eine Organisa-
tion wie Lone Star in bezug auf astrale Sicherheit auf nichts einlt. Er fixierte
mich mit khlem, stetigem Blick. Das Ding, was es auch sein mag, htte ein-
fach gar nicht in der Lage sein drfen, das zu tun, was es getan hat.
Moment mal. Ich hab immer gedacht, wenn etwas mchtig genug ist, kann es
jede Schutzvorrichtung durchbrechen. Oder ist das Drek?
Nein, ist es nicht. Magie ist wie alles andere: Es gibt keine undurchdringli-
chen Barrieren. So wie die kugelsicheren Fenster in einem Konzernbro keine
Artilleriegranate aufhalten knnen. Aber jetzt berlegen Sie mal: Was wrde
geschehen, wenn Sie tatschlich eine Artilleriegranate durch das Fenster eines
Konzernbros schssen? Knnten Sie dann in aller Ruhe durch das Fenster klet-
tern und Ihren ruchlosen Geschften nachgehen? Ich schnaubte, und Greybriar
nickte zustimmend. Genau. Sie htten wer wei wie viele Alarme ausgelst
und jeden, der nicht gerade taub ist, aufgescheucht. Dasselbe trifft zu, wenn Sie
eine magische Schutzvorkehrung durchbrechen. Lone Star hat wahrscheinlich
magische Barrieren, Siegel und zweifellos Elementargeister, die auf der Astral-
ebene patrouillieren. Der Versuch eines Einbruchs am hellichten Tag wrde ganz
sicher Alarm auslsen und jeden magisch aktiven Angestellten im Gebude auf-
scheuchen. Ist jedoch etwas Derartiges geschehen? Nein. Er machte eine kurze
Pause. Also steckt viel mehr dahinter.
So wie in dem gesamten Fall. Ich nickte langsam. Ich werde das bercksich-
tigen.
Tun Sie das. Er lehnte sich wieder zurck. Was Ihr Verteidigungsproblem
anbelangt, da kann ich Ihnen helfen, aber es wird teuer. Ich nickte zustimmend.
Siegel als Hauptverteidigung, wrde ich sagen, mit einem patrouillierenden
Feuergeist. Und vielleicht einen Geistbeobachter, um Sie darauf aufmerksam zu
machen, wenn der Elementargeist angegriffen wird. Klingt das angemessen?
Sie sind der Magier.
Also gut. Wie lange brauchen Sie den Schutz?
Ich dachte darber nach. Eine Woche. Fr den Anfang.
Hmmm, murmelte der Elf. Das wird teuer. Mein Standardtarif fr eine Wo-
che betrgt siebentausend Nuyen.
Mach ihm ein Angebot, erklang Amandas erregender Kontraalt aus dem
Nichts.
Scheinbar angewidert rollte Greybriar mit den Augen, aber das Lcheln, das
um seine Lippen spielte, schien vor allem anderen Nachsicht auszudrcken. In-
teressant. Unter Bercksichtigung der Tatsache, da Amanda Sie mag, fuhr er
glatt fort, wrde ich sagen ... Fnftausend? Er wartete auf eine Antwort aus
dem ther, doch es kam keine. Fnftausend, wiederholte er. Ist das annehm-
bar?
Ich seufzte. Es war eigentlich nicht annehmbar, aber immer noch besser, als
mir den Kopf abreien zu lassen. Abgemacht. Ich nahm die entsprechende
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berweisung vor und gab ihm die Adresse von Naomis Apartment.
Als ich ging, flsterte mir Amandas krperlose Stimme ins Ohr: Bis bald,
Derek. Ich hoffte nicht.
Noch ein idiotischer Gesichtspunkt, nrgelte ich vor mich hin, als ich in sdwest-
licher Richtung in die tiefste Innenstadt fuhr Korruption bei Lone Star selbst.
Wie htte das Ding sonst durchkommen sollen, um Naomi zu geeken?
Dann fiel mir ein, da ich bereits Anzeichen fr blen Drek im Star gefunden
hatte: Die fehlenden, jedoch nicht gelschten Dateien im Avatar-Verzeichnis.
Zum Teufel mit diesen Giga-Verschwrungen. Es war viel zu leicht, etwas zu
vergessen. Ich wurde entschieden zu alt fr diesen Drek.
Ich freute mich nicht gerade auf den nchsten Schritt meines Plans, aber im
Augenblick sah ich keine bessere Mglichkeit. Meiner Annahme folgend, da
X irgendein Mittelklasse-Manager bei Yamatetsu war und er (oder sie) fr den
Kontakt mit Sutcliffe in Fort Lewis verantwortlich war, mute ich einen Weg
finden, die Aufmerksamkeit des Mrders zu erregen, ohne ihm einen Grund zu
liefern, eine Falle zu wittern. Nicht leicht. Noch schwieriger war es, einen Weg
zu finden, die Falle zu schlieen.
Was glaubst du eigentlich, was du tust? zeterte ein Teil meines Verstandes.
Glaubte ich wirklich, X zur Strecke bringen zu knnen? Ja, antwortete ein ande-
rer Teil mit Macht. Ich war vllig verrckt. Durchgedreht und reif fr die Klaps-
mhle.
Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie ich X aus seinem Bau locken konnte.
Aber ich wei genug ber die Art, wie mein Verstand funktioniert, um ihn mit
dem Hintergrundmaterial zu versorgen, das er braucht. Eines der Dinge, die er
brauchte, war ein besseres Gefhl fr den Yamatetsu-Konzern.
Ich parkte meinen Wagen auf dem Parkplatz des Seattle Hilton an der Ecke
Sechste und University, lie meinen Manhunter im Handschuhfach und ging
dann die drei Blocks zum City Center Building Ecke Fnfte und Pike zu Fu.
Yamatetsus Seattler Hauptquartier war ebenfalls ein zwischen 1980 und 1990
errichtetes Gebude, und vor etwa einem Jahrzehnt war seine Jahrhundertwende-
Opulenz restauriert worden. Ich ging durch die Drehtr wie lange war es her,
da solche Tren allgemein blich waren? , wobei ich ganz genau wute, da
ich von verborgener Elektronik nach Angriffswaffen abgetastet wurde.
Dann stand ich in der marmorgefliesten Lobby. Ich sah hoch. Die Lobby war
doppelt so hoch wie blich. Sie ma vom Boden bis zur Decke mehr als zehn
Meter und besa ein Zwischengescho, von dem aus man den Eingang ber-
blicken konnte. Von der Decke hingen zwei riesige umgedrehte Schalen aus
vermutlich echtem Glas. Trkise und Aquamarine wirbelten in kunstvoller
Kunstlosigkeit darin umher wie Glaskugeln. Die Schalen leuchteten von innen
und schufen ein uerst friedliches Ambiente in der Lobby. Ich nahm die Roll-
treppe zum Zwischengescho, das mit Teppichen in dunklen Farbtnen anstatt
mit poliertem Marmor ausgelegt war. Antike Mbel vom Ende des letzten Jahr-
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hunderts bildeten gemtliche und einladende Sitzecken, und hier und da waren
in beleuchteten Glasksten zeitgenssische Kunstgegenstnde und solche der
Jahrhundertwende aus Keramik, Kristall und Licht ausgestellt. An jedem ande-
ren Ort wre ich sicher gewesen, da die Kunstgegenstnde und Antiquitten
Duplikate waren. Hier in dieser eleganten Umgebung war ich jedoch von ihrer
Echtheit berzeugt.
Ich schlenderte auf die Fahrsthle zu. Zu meiner Rechten befand sich eine klei-
ne, ach so moderne Weinbar, an der bereits reger Betrieb herrschte, da gutgeklei-
dete Konzernangestellte die Cocktailstunde genossen.
Zu meiner Linken eine Reihe kleiner Boutiquen, die Sorte, bei der man einen
dreifach beringten Kredstab vorzeigen mu, um berhaupt durch die Eingangs-
tr gelassen zu werden. Direkt vor mir war das unvermeidliche Sicherheitspult,
direkt zwischen den Fahrsthlen und zuflligen Besuchern wie mir gelegen.
In den meisten Konzerngebuden wre solch ein Pult mit einem hartgesichti-
gen Troll, den man in eine Wchteruniform gezwngt hatte, bemannt gewesen.
Hier jedoch stie ich auf eine elegante, wunderschne junge Frau, deren Outfit
ich fr einen Geschftsanzug aus der Zeit der Jahrhundertwende hielt. Das Blau
des Anzugs harmonierte perfekt mit den Deckenlampen. Sie entsprach dem an-
tiken Ambiente fast bis aufs I-Tpfelchen, das einzig anachronistische Wesens-
merkmal war das Glasfaserkabel, das vom Pult zu ihrer Datenbuchse verlief.
Als ich mich nherte, begrte sie mich mit einem warmen Lcheln, das jedoch
vor ihren Augen haltzumachen schien. Tatschlich glitzerten diese Augen auf
eine etwas unnatrliche Weise, und ich vermutete, da mein Bild auf elektroni-
schem Weg von ihrer modifizierten Optik zu einer Datenbank in ihrem Sicher-
heitspult transferiert wurde.
Guten Tag, sagte sie hflich. Kann ich Ihnen behilflich sein?
Ich schttelte den Kopf. Ich seh mich nur um, sagte ich, indem ich mein
schnstes Touristenlcheln Marke Alles-so-schn-bunt-hier aufsetzte. Gehrt
dieses ganze Gebude zu Yamatetsu?
Das ist korrekt, Sir. Nur einen Moment bitte. Sie hielt inne und schien in
die Unendlichkeit zu starren. Ich nahm an, da sie gerade einen Ruf oder eine
Nachricht ber ihre Datenbuchse empfing. Ich wollte mich abwenden, aber sie
kam rasch wieder zu sich. Entschuldigen Sie bitte, Sir. Gibt es sonst noch etwas,
womit ich Ihnen behilflich sein kann?
Pltzlich fhlte ich mich unbehaglich. Es war, als wrde die stumme Kommu-
nikation der jungen Frau alles symbolisieren, was vorging. Ich befand mich in
der Festung meines Feindes X , und ich sprte es, grndlich und beunruhi-
gend. Aber ich hielt mein albernes Lcheln aufrecht. Nein, danke, sagte ich
liebenswrdig. Ich wnsche Ihnen noch einen netten Tag. Ich ging weiter, und
zwar in Richtung des nach unten fhrenden Fahrstuhls.
Sir. Die Stimme klang scharf. Mnnlich und zweifellos von einem beachtli-
chen Resonanzkrper untersttzt. Instinktiv sah ich mich um.
Eine der Fahrstuhltren hatte sich geffnet und gab den Blick auf drei Mnner
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Troll, Ork und Mensch in dunkelgrnen Sicherheitsuniformen frei. Alle drei
waren bewaffnet, auch wenn noch keiner der drei seine Waffe gezogen hatte. Ich
beschleunigte meine Schritte und sehnte mich nach meinem Manhunter. Eine
Gruppe Sararimnner betrat gerade die Rolltreppe. Wenn ich zwischen ihnen
Deckung finden konnte, bestand eine einigermaen gute Chance, da niemand
zu schieen anfangen wrde. Ich knnte es gerade schaffen, hier herauszukom-
men.
Sir, schnappte der Troll erneut. Ich machte zwei schnelle Schritte auf die
Rolltreppe zu ...
Und fiel vornber, um als Hufchen Elend auf dem Teppichboden zu landen.
Ich versuchte mich zu bewegen, aber meine Muskeln weigerten sich, mir zu ge-
horchen. Es war, als sei ich ein Fremder in meinem eigenen Krper und jemand
habe den Strom abgeschaltet.
Ich lag mit der rechten Wange auf dem Teppich. Meine Augen waren offen,
aber ich konnte sie nicht bewegen, und so sah ich lediglich meine rechte Schul-
ter. Ich konnte noch Schmerzen empfinden insbesondere an Kiefer, Knien und
Rippen, die den Fall in erster Linie aufgefangen hatten , aber das wars auch
schon.
Mein Blickfeld nderte sich, und ich wute, da mich die Wachen herumge-
wlzt hatten. Vollkommen hilflos betrachtete ich ihre Gesichter. Der Mensch,
klein und dnn im Vergleich zu seinen stmmigen Begleitern, wandte sich an den
Troll und sagte: Hab ichs nicht gesagt, da ich ihn erwischen wrde?
Der Troll grunzte. Brings zu Ende, befahl er.
Der Mensch deutete mit dem Zeigefinger auf eine Stelle zwischen meinen Au-
gen. Gute Nacht, sagte er gelassen.
Der Vorhang senkte sich, die Lichter gingen aus, und das wars dann.
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erhaschte einen Blick auf einen Wchter in schwarzer Uniform, der in Habacht-
stellung dastand, als wir ihn passierten, und sein Heckler & Koch SMG wie im
Bilderbuch prsentierte.
Der Wagen kam vor dem Haus seufzend zum Stand. Mein menschlicher Wach-
hund betrachtete mich und sagte gelassen: Wir wollen das ganz zivilisiert ab-
wickeln, okay? Sie sind hier zu Gast. (Ja, klar.) Dann ffnete er die Tr und
stieg mit einer grazienhaften Eleganz aus, die seine Gre Lgen strafte. Bitte
hier entlang, Sir.
Ich rutschte ber den Sitz, froh, der Enge zwischen den beiden Muskelbergen
zu entkommen. Als ich ausstieg und mich umsah, versuchte ich mglichst gelas-
sen zu wirken.
Wenn ich um meine Freiheit kmpfen wollte, war dies nicht der rechte Augen-
blick. Mein menschlicher Wachhund stand drei Meter von mir entfernt. Er hatte
keine Waffe in der Hand, aber er sah konzentriert und bereit aus, problemlos in
der Lage, mir den Kopf abzureien. Selbst wenn ich eine Mglichkeit fand, ihn
kampfunfhig zu machen oder mir sonstwie vom Leib zu halten, waren immer
noch sichtbare Waffen am Start. Zwei weitere Wachposten flankierten die Ein-
gangstr des Hauses. Ihre SMGs waren nicht ganz auf mich gerichtet, aber
das lie sich im Bruchteil einer Sekunde ndern. Und dann, um das Thema end-
gltig abzuschlieen, sprte ich hinter mir eine drohende Prsenz. Der Troll war
ebenfalls ausgestiegen. Ich seufzte und verbot mir den kleinsten Fluchtgedanken.
Statt dessen sah ich mir das Grundstck genauer an. Meiner Schtzung nach
war es ber zehn Hektar gro und kunstvoll angelegt, und es erinnerte an das
uralte Heim eines britischen Barons oder zumindest an unsere moderne Vor-
stellung davon. Zur Linken des Hauses befand sich ein Tennisplatz, whrend
sich zur Rechten der perfekt geschnittene Rasen direkt bis zum Ufer des Lake
Washington und zu einem Dock aus Stahlbeton erstreckte, an dessen Ende eine
etwa fnfundzwanzig Meter lange Motorjacht festgemacht war. Das Grundstck
mit seiner langen Kstenlinie war der potentielle Alptraum jedes Sicherheitsbe-
amten, doch ich war sicher, da sein Besitzer angemessene Vorsichtsmanahmen
getroffen hatte.
Das Haus selbst entsprach dem Grundstck. Scheinbar aus grob behauenen
grauen Steinblcken errichtet, war es bis zu den Giebeln und dem Wappen
ber der Eingangstr aus geschwrzter Eiche das genaue Abbild eines Guts-
hauses aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ich versuchte den Wert des Besitzes
zu schtzen, gab es aber rasch auf. Zweifellos mehr als fnf Millionen Nuyen,
aber wieviel mehr?
Meine menschliche Eskorte deutete hflich auf die Eingangstr. Ich nickte in
huldvollem Einverstndnis mit der Einladung und marschierte los. Die beiden
Knochenbrecher in ihren Geschftsanzgen bezogen einen Schritt hinter mir
und jeweils einen Schritt zu meiner Linken und Rechten Stellung. Unter anderen
Umstnden htte ich es vielleicht genossen, zwei derart aufmerksame Beglei-
ter zu haben. Aber natrlich nicht jetzt. Als ich die drei Stufen zur Eingangstr
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hinaufging, nahmen die beiden Wachtposten mit den SMGs Haltung an. Ich hob
berrascht eine Augenbraue. Was ging hier eigentlich vor? Dieser Wrdentrger-
auf-Besuch-Drek ging mir langsam auf die Nerven.
Die Tr ffnete sich, kurz bevor ich sie erreicht hatte, und ich betrat einen ele-
ganten, mit dunklem Holz getfelten und ppigem burgunderroten Teppich aus-
gelegten Flur. Ein weiterer schwarz uniformierter Wachposten stand direkt hinter
der Tr, wiederum in perfekter Habachtstellung. Die Wnde des Flurs wurden
von zwei mittelalterlichen Rstungen flankiert. Kaum hatte ich sie, gefolgt von
meinen beiden Wachhunden, passiert, als hinter uns ein lautes elektronisches
Piepen erklang. Ich fuhr herum und sah, da hinter den Visieren beider R
stungen rote Lampen glhten. Der Posten an der Tr drckte eiligst einen Schal-
ter, worauf die Lichter erloschen und das Piepen verstummte. Einen Moment
lang fragte ich mich, was los war, dann wurde mir klar, da das Piepen genau in
dem Augenblick begonnen hatte, als meine beiden Wachhunde die Rstungen
passiert hatten. Zweifellos irgendwelche Waffendetektoren.
Einen Augenblick, bitte, sagte der Mensch und trat vor mich. Der Troll blieb
hinter mir. Als mich der Mensch aufforderte, ihm doch bitte zu folgen, blieb mir
kaum etwas anderes brig.
Er fhrte mich weiter den Flur entlang, dann durch eine Tr zur Rechten und
eine Treppe hinunter. Zur Folterkammer im Keller? Wir bogen um eine Ecke,
und mir wurde klar, da ich in gewisser Weise recht hatte.
Ich stand im Eingang eines groen, hell erleuchteten Bereichs, der mit ppigen
Gerten vollgestopft war, welche sowohl bedrohlich als auch vertraut aussahen.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Gerte erkannte: Ein Nautilus III-Sy-
stem gleich in der Nhe des Eingangs, ein Schwimm-Ex in der gegenberliegen-
den Ecke und ein paar mchtige Ultra-Gym-Einheiten. Ich befand mich in einem
Trainingsraum, der die Mehrzahl der Fitneclubs beschmt htte.
Eine der Ultra-Gym-Maschinen arbeitete. Inmitten ihrer pumpenden hydrau-
lischen Arme und stampfenden Nockenwellen konnte ich eine menschliche Ge-
stalt erkennen. Mr. Montgomery, herzlich willkommen, rief die Gestalt. Eine
krftige Mnnerstimme, so stetig, als habe es sich ihr Besitzer in einem Sessel
bequem gemacht, anstatt sich die Seele aus dem Leib zu trainieren. Bitte kom-
men Sie doch zu mir herber. Ich hoffe, Sie haben keinen Ansto an der, sagen
wir mal, irregulren Art meiner Einladung genommen, aber ich war der Ansicht,
Sie wrden abgelehnt haben, wenn ich Sie durch normale Kanle ausgesprochen
htte.
Ich ging nher, wobei ich registrierte, da meine beiden Wachhunde an der
Tr stehenblieben. Jetzt konnte ich meinen Gastgeber deutlicher erkennen. Ein
Mann mittleren Alters, doch mit der Konstitution eines Zwanzigjhrigen, in etwa
meine Gre und Figur. Kurzes meliertes Haar, konservativer Stoppelschnitt,
der die Datenbuchse in seiner Schlfe deutlich erkennen lie. Krftiges Gesicht
mit einer gebieterischen Adlernase und kalten Augen. Pltzlich realisierte ich
mit einem Schock, da ich ihn kannte. Nicht persnlich, natrlich, sondern als
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einen Mr. Johnson, fr den ich vor einem Jahr einen Wiederbeschaffungsjob
erledigt hatte.
Der Mann mute das Erkennen auf meinem Gesicht bemerkt haben. Er lchel-
te. Ja, wir sind uns schon begegnet, aber damals nannte ich Ihnen aus, h, of-
fensichtlichen Grnden meinen Namen nicht. Es ist an der Zeit, dem abzuhelfen.
Ich bin Jacques Barnard, Mr. Montgomery. Oberster Vizeprsident des Yama-
tetsu-Konzerns. Ich bin gegenwrtig mit der Leitung unserer Unternehmungen
in Seattle betraut. Er lchelte. Ich hoffe, Sie halten mich nicht fr unhflich,
wenn ich Ihnen nicht die Hand schttle, aber ich bin gerade in der Aerobicphase
meines Trainings.
Ich wei genau, was Sie meinen, sagte ich khl.
Barnard kicherte. Ich glaube, unsere Unterhaltung wird mir sehr viel Spa
machen. Dann wurde sein Lcheln breiter, als ihm ein Gedanke kam. Ich habe
zwei Ultra-Gyms. Htten Sie vielleicht Lust, sich mir anzuschlieen?
Ich wollte schon ablehnen, aber dann dachte ich mir: Wenn ich schon sterben
sollte, konnte ich das ebensogut in Topform tun. Warum nicht? Ich setzte mich
auf den Sattel, stellte die Fe auf die Pedale und schnallte mir den Grtel um
die Taille.
Ich wrde Stufe Drei vorschlagen, sagte mein Gastgeber bescheiden.
Ich sah auf das Kontrollbord von Barnards Maschine. Er fuhr Stufe Achtzehn
von zwanzig mglichen, und sein Timer hatte soeben zehn Minuten berschrit-
ten. Ich grinste ihm zu und whlte ebenfalls Stufe Achtzehn. Teufel, er war zwan-
zig Jahre lter als ich. Ich packte die Handgriffe und drckte den Startknopf.
Ich hatte nie zuvor ein Ultra-Gym benutzt, und in den ersten zehn Sekunden
schwor ich mir, es nie wieder zu tun. Stellen Sie sich ein gleichzeitiges Training
der Brust-, Schulter-, Arm- und Bein-Muskulatur vor, wobei ein Trollausbilder
Ihren Gliedern die richtigen Bewegungen aufzwingt, Ihnen jedoch die Beschf-
tigung mit den Gewichten selbst berlt. Ich dachte, ich wrde sterben. Ich lie
den Startknopf los, und die Maschine kam grollend zu einem Halt. Ohne Bar-
nards amsiertem Blick zu begegnen, stellte ich Stufe Drei ein und drckte den
Startknopf erneut. Viel besser.
Es dauert etwas, bis man sich daran gewhnt hat, bemerkte Barnard.
Ja, genau. Ich wartete einen Augenblick, dann stellte ich die groe Frage:
Was wollen Sie denn nun eigentlich von mir?
Barnard schwieg zunchst, als msse er seine Gedanken ordnen. Sie haben
letztes Jahr gute Arbeit fr mich geleistet, sagte er schlielich. Ich habe Ihre
Professionalitt und Ihre, sagen wir mal, Diskretion durchaus zu schtzen ge-
wut. Ich dachte, vielleicht knnte ich in Zukunft Ihrer Dienste noch einmal
bedrfen, und so habe ich ... nun, ich habe beschlossen, Ihre weitere Karriere
zu verfolgen. Er kicherte. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, einen Fan zu
haben, Mr. Montgomery. Seine Stimme war immer noch absolut stetig. Das
Training schien keinerlei Auswirkung auf sie zu haben. Der Mann war unglaub-
lich fit.
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Fahren Sie fort.
Wie ich schon sagte, ich habe Ihre Karriere verfolgt, wobei mich Ihre Fhig-
keiten auch weiterhin sehr beeindruckt haben. Ich war sehr erfreut, da Sie es
geschafft haben, den Fngen von Lone Star zu entgehen. Das htte Ihrer Karriere
solch ein unwrdiges Ende bereitet.
Sie haben mich also berwachen lassen.
Gewi, antwortete er leichthin. Ich war berrascht, alarmiert und, ja, ent-
tuscht, als ich erfuhr, da Sie in den Mord an Miss Yzerman verwickelt sind.
Das war natrlich zu einem Zeitpunkt, als ich noch der Auffassung war. Sie
knnten sich dieses Verbrechens wirklich schuldig gemacht haben. Ich begeg-
nete seinem khlen Lcheln. Stimmt genau, Mr. Montgomery, fuhr er fort,
ich bin jetzt davon berzeugt, da Sie unschuldig sind.
Ich nehme nicht an, da Sie sich die Mhe machen werden, Lone Star Ihre
Meinung mitzuteilen?
Er lachte. Wenn ich der Ansicht wre, da sie mir dort glaubten, wrde ich
es vielleicht sogar tun. Auerdem basiert meine berzeugung einzig und allein
auf der Tatsache, da Sie sehr daran interessiert zu sein scheinen, den wirklichen
Mrder zu finden.
Woher wissen Sie das?
Berufliches Interesse?
So knnte man es nennen.
Er dachte einen Augenblick darber nach. Wissen Sie, was ein Beobachter
ist?
Ich wute es nicht wirklich, aber mir fiel ein, da Greybriar den Ausdruck
erwhnt hatte. Eine Art Geist, antwortete ich. Er nickte. Ich habe Sie in den
letzten paar Tagen von einem Beobachter, h, beobachten lassen. Eine relativ
einfache Angelegenheit, da wir uns schon begegnet waren und ich Gelegenheit
hatte, Ihre Aura zu studieren. Wenngleich, fgte er mit einem Kichern hinzu,
ich einige Schwierigkeiten hatte, den kleinen Burschen zu berreden, die Ar-
beit wieder aufzunehmen, nachdem er von einem anscheinend ziemlich angst
einflenden freien Geist verjagt worden war.
Das mute Amanda gewesen sein. Ich schwieg einen Augenblick, in dem ich
mir die Implikationen durch den Kopf gehen lie. Ich wute gar nicht, da Sie
ein Magier sind, sagte ich schlielich.
Ach, ich stmpere nur ein wenig herum. Mehr ein Hobby als alles andere, ob-
wohl es manchmal durchaus ein Vorteil im Geschft ist. Barnard schwieg, und
fr etwa eine Minute war nur das Surren und Zischen der Ultra-Gym-Maschinen
zu hren. Schlielich sagte er: Sie scheinen ein Interesse am Yamatetsu-Kon-
zern entwickelt zu haben. Knnen Sie mir den Grund dafr verraten?
Jetzt waren wir also beim ernsten Drek angelangt. Alles bis zu diesem Punkt
war simples Geplnkel gewesen, ein verbales Vorspiel. Jetzt kamen wir zum Ge-
schft. Neugier, sagte ich.
Barnard kicherte wieder. Er kicherte sehr nett. Das lie ihn fast harmlos klin-
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gen, wie jemandes lieben Onkel.
Ein wenig mehr als das, wrde ich sagen. Sie haben Nachforschungen ber
Yamatetsu im allgemeinen, unsere Abteilung fr Integrierte System-Produkte im
besonderen, unser SPISES-Produkt und die Beziehung zwischen ISP und dem
Militr angestellt. Sie haben sogar versucht, mehr ber mich persnlich heraus-
zufinden. Habe ich irgend etwas vergessen?
Ich stellte das Ultra-Gym ab und schlte mich aus seinen mechanischen Einge-
weiden. Wenn ich schon geistig zerpflckt werden sollte, wollte ich nicht auch
noch krperlich ausgelaugt werden. Das ist im wesentlichen alles, sagte ich.
Nicht wirklich, korrigierte er mich freundlich. Sie hatten auerdem ein
ziemlich brennendes Interesse an Crashcart und sogar an etwas, das 2XS genannt
wird. Sie waren sehr fleiig. Und, ach ja, an einer gewissen Theresa Montgome-
ry, aber ich nehme an, das ist etwas Persnliches und gehrt nicht zum Geschft.
Ihre Schwester, nicht wahr?
Was wollen Sie eigentlich von mir? fragte ich noch einmal.
Der Timer an Barnards Maschiene piepte; er lie den Startknopf los und klet-
terte aus der Maschine. Einer der beiden Knochenbrecher an der Tr warf ihm
ein Handtuch zu, das er sich um den Hals legte. Nun, da er aus der Maschine
heraus war, sah ich, da er einen oder zwei Zentimeter kleiner als ich war, aber
durch seine selbstbewute Art kam er mir viel grer vor. Das ist genau meine
Frage an Sie, Mr. Montgomery. Barnards Tonfall war ruhig, ohne auch nur eine
Spur von Drohung. Was wollen Sie? Und warum schnffeln Sie in meinen An-
gelegenheiten herum? Das vermittelt mir ein unbehagliches Gefhl.
Warum? Haben Sie etwas zu verbergen?
Natrlich haben wir etwas zu verbergen. Seine Stimme war gelassen, er
traf lediglich eine Feststellung. Zeigen Sie mir einen erfolgreichen Konzern,
der nichts zu verbergen hat. In den meisten Fllen, wie auch in unserem, ist es
nichts Illegales. Warum sollte es auch? Wir erwirtschaften ausreichende Profite
durch vllig legale Methoden, ohne das Risiko strafrechtlicher Konsequenzen
einzugehen. Doch das bedeutet nicht, da wir unsere Geheimnisse ausposaunen
wollen Investmentstrategien, strategische Plne, vertrauliche Joint Ventures.
Geschftsgeheimnisse, in der Entwicklung befindliche Produkte, neue Technolo-
gien, die noch nicht zur Verffentlichung geeignet sind. Wenn wir auf Menschen
wie Sie stoen, die extrem an unseren Unternehmungen interessiert sind, fragen
wir uns immer, warum und wer sie dafr angeheuert hat. Die Konkurrenz, viel-
leicht? Viele Shadowrunner verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Industrie-
spionage. Ich mu mich fragen, ob Sie sich entschlossen haben, ebenfalls diese
Laufbahn einzuschlagen.
Keine Industriespionage, sagte ich behutsam.
Dann also etwas Persnliches? Ich antwortete nicht. Er trat nher an mich
heran, und ich sprte eine Aura kalter Entschlossenheit um ihn. Keine direkte
Bedrohung oder Einschchterung, aber ich hatte den Eindruck, da ich ihm bes-
ser nicht in die Quere kam, wenn ich hier lebendig herauskommen wollte.
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Hren Sie mir gut zu, Mr. Montgomery. Sein Tonfall war ruhig, fast angele-
gentlich, aber seine Augen brannten sich in meine. Ich will Ihnen nichts Bses.
Ganz im Gegenteil. Solange Sie nicht an etwas arbeiten, das meinen Interessen
zuwiderluft. Sollte das der Fall sein, wrde ich Ihnen dringend empfehlen, die
Sache fallenzulassen. Es gibt immer andere Klienten. Ich will, da Sie mir ge-
genber ehrlich sind und mir sagen, woran Sie arbeiten. Er bedachte mich mit
einem frostigen Lcheln. Nennen Sie es einen fairen Tausch dafr, da ich es
mir nicht so leicht gemacht habe, wie ich gekonnt htte.
Ich wute ganz genau, wovon er redete. Wenn er den Verdacht hatte, da ich
einen Run gegen Yamatetsu durchfhrte, wre die einfachste Lsung gewesen,
mich zu geeken. Problem gelst. Diese einfache Lsung stand ihm natrlich im-
mer noch zur Verfgung. Rasch berlegte ich, was ich ihm erzhlen konnte, was
ihn befriedigen wrde, ohne gleich alles zu verraten.
Ich versuche den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sagte ich schlielich.
Wie Sie schon sagten, glaubt Lone Star, ich htte Lolita Yzerman umgelegt.
Er nickte, hflich interessiert. Ich glaube, sie starb, weil sie etwas mitgehrt hat,
das nicht fr ihre Ohren bestimmt war. Ich holte tief Atem: Jetzt kommts. Ich
glaube, sie hat etwas ber 2XS herausgefunden. Ich hielt inne und hielt nach
einer Reaktion Ausschau.
Es gab keine. Ja, 2XS scheint sehr schnell eine ziemliche Geiel der Stra-
e geworden zu sein, bemerkte er gleichgltig. Doch warum Ihr Interesse an
Yamatetsu?
Das war die schwierige Verbindung. Ich wute ein wenig ber ISP und SPI-
SES, fuhr ich fort. Ich hatte den Verdacht, dazwischen knnte es eine Verbin-
dung geben.
Seine Lippen kruselten sich zu einem kalten Lcheln. Ja, sagte er ruhig.
Ich nehme an, es besteht tatschlich eine oberflchliche hnlichkeit zwischen
den beiden Technologien. Und natrlich haben Sie daraus den Schlu gezogen,
da der groe bse Konzern 2XS auf die Straen geworfen hat, um unsere ohne-
hin exzessive Profitspanne noch zu vergrern. Ist es das?
Ich zuckte die Achseln. Ohne den Sarkasmus, ja.
Barnard schttelte den Kopf. Wir haben einen ziemlich exzessiven Ruf, wie?
Dann wurde er wieder ernst. Hren Sie zu, ich werde Ihnen das nur einmal sa-
gen. ISPs Aufgabe besteht darin, die SPISES Booster-Technologie zu entwickeln
und sie dem Militr und auf anderen, hnlich gelagerten Mrkten in Nordame-
rika und der ganzen Welt zu verkaufen. Haben Sie irgendeine Vorstellung, wie
gro dieser potentielle Markt ist?
Nicht wirklich.
Groben Schtzungen zufolge, geht es in die Milliarden Nuyen. Und ganz ohne
Risiko. Die Technologie funktioniert, und wenn der erste Vertrag unterschrifts-
reif ist, wird alles hieb- und stichfest durch Patente und Eintragungen vor dem
Konzerngerichtshof in der Genfer Orbitalstation abgesichert sein. Was kostet im
Vergleich dazu ein 2XS-Chip? Zweihundert Nuyen? Dreihundert?
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Fnfhundert.
Er sah gelinde berrascht aus. Tatschlich? Aber das ist der Straenverkaufs-
preis. Der Hersteller wrde wahrscheinlich nicht mehr als ein Zehntel daran ver-
dienen. Fnfzig Nuyen pro Chip. Und wie viele Chips kann ein Schtiger ein-
werfen, bevor er ausgebrannt ist? Fnfzig? Nein, nehmen wir ruhig hundert an,
obwohl ich sicher bin, da das eine gewaltige bertreibung ist. Mir war klar,
worauf er hinaus wollte. Gesamtgewinn Fnftausend Nuyen pro Schtigem.
Kein groer Profit, Mr. Montgomery, besonders, wenn Sie das sehr reale Risiko
strafrechtlicher, h, Komplikationen bercksichtigen. Er sah nachdenklich aus.
Ich frage mich allen Ernstes, warum sich der Hersteller berhaupt damit abgibt.
Nein, ich versichere Ihnen, ISP hat mit SPISES zu tun und nur mit SPISES. Da-
mit ist die Abteilung die nchsten zehn Jahre mehr als ausgelastet. Er seufzte.
Natrlich werden Sie mir das nicht glauben. Vielleicht glauben Sie Dr. Skyhill.
Hh? sagte ich oder auch etwas hnlich Stringentes.
Barnard grinste. Dr. Adrian Skyhill, leitender Direktor der Abteilung fr Inte-
grierte Systemprodukte und nicht nur ein erstklassiger Wissenschaftler, sondern
auch ein brillanter Verwaltungsfachmann. Ich wrde Sie morgen gern mit ihm
bekannt machen. Sehen Sie sich an, woran ISP wirklich arbeitet. Ich werde dafr
sorgen, da seine Sekretrin bei Ihnen wegen des Termins anruft. Er hielt kurz
inne, whrend sich sein Lcheln vertiefte. Ich schlage vor. Sie bringen jeman-
den mit, der sich mit Biotechnik auskennt und intelligente Fragen stellen kann.
Ich sah Barnard fest an. Warum tun Sie das?
Er zuckte die Achseln, whrend er sich abwandte und den Schwei von der
Stirn wischte. Wie ich schon sagte, ich will Ihnen nichts Bses, und ich aner-
kenne und respektiere Ihre Verwegenheit. Sie sind auf dem falschen Dampfer,
aber wenn ich Sie davon nicht berzeugen kann, schnffeln Sie weiter in meinen
Angelegenheiten herum. Das wre unannehmbar und wrde mich zwingen, an-
dere Manahmen zu ergreifen, die fr uns beide sehr unangenehm wren. Er
musterte mich wieder, und ich sah noch etwas anderes in seinen Augen. Sie
gefallen mir, Mr. Montgomery, und es ist mglich, da Sie mir irgendwann in der
Zukunft noch einmal behilflich sein knnen. Barnard sah zu den beiden Profis
im Anzug und nickte. Ich wurde gerade entlassen.
Doch ich war noch nicht ganz bereit, entlassen zu werden. Eine letzte Frage,
Mr. Barnard.
Er funkelte mich an. Offensichtlich war er verrgert. Wenn er jemanden entlie,
erwartete er, da die Person ging. Nun gut, Mr. Montgomery, eine letzte Frage.
Welche Verbindung besteht zu Crashcart?
Offiziell gehrt die Firma ISP, antwortete Barnard schroff. Als solche ist
sie grundstzlich autonom. Ich wei wenig und kmmere mich noch weniger um
sie. Ist sonst noch etwas? Nein? Dann sprechen wir uns vielleicht in der Zukunft
einmal wieder. Er wandte sich ab, sehr betont, und steuerte eine Tr an, die
wahrscheinlich in den Umkleideraum fhrte. Ich drehte mich ebenfalls um und
ging auf die beiden Wachhunde zu.
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Bevor Barnard den Raum verlassen konnte, summte durchdringend ein an der
Wand angebrachtes Telekom. Ein Blick zurck zeigte mir, da der Vize fluchend
zum Kom eilte. Barnard, hrte ich ihn sagen, dann, einen Moment spter, in
scharfem Tonfall: Was? Verdammt wir regeln die Sicherheit selbst. Schicken
Sie das Evanston-Team sofort nach ABT und ...
Mr. Montgomery, es wird Zeit zu gehen. Der Troll stand neben mir, und sei-
ne Stimme schon sein Atmen allein bertnte alle weiteren Worte Barnards.
Offensichtlich rger in Chicago, und ebenso offensichtlich ging es mich nichts
an.
Sie haben recht, sagte ich dem Troll. Zeit zu gehen. Ich folgte meinen
Leibwchtern nach drauen, wobei ich mir sehr stark wie ein unbewaffneter Rit-
ter vorkam, dem aus irgendeinem Grund gestattet wurde, die Drachenhhle un-
versehrt zu verlassen. Auerdem hatte ich auch weiterhin das starke Gefhl, da
hier mehr vorging, als ich begriff.
Aber es gab keine Mglichkeit Barnard deswegen ins Kreuzverhr zu nehmen.
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Y amatetsus ISP-Abteilung befindet sich auf der Cresco Road ganz in der
Nhe vom Ufer des Spanaway Lake in Fort Lewis. Wunderschne Gegend:
Hunderte von Hektar ppigen, immergrnen Waldes, der grtenteils von den
Schrecken dessen, was wir lachend Zivilisation nennen, noch unberhrt ist. Eine
Fahrt nach Fort Lewis ist wie eine Reise zurck zur Jahrhundertwende und dar-
ber hinaus, als Seattle noch eine Stadt und nicht die Megalopolis, nicht der
Sprawl von heute war.
Die Cresco Road windet sich durch diese Wlder und fhrt zu einem netten
kleinen Industriepark. Anders als hnliche Parks sonstwo oder die zum Gotter-
barmen schrecklichen Freihandelszonen, die ich bei einem Besuch in Quebec
sah, schien sich dieser Ort fast im Einklang mit seiner Umgebung zu befinden
und nicht einfach nur eine Pestbeule zu sein, die dem Land von Leuten zuge-
fgt worden war, die das einen Drek kmmerte. Ich wute, da es beachtliche
Sicherheitsvorkehrungen geben mute, doch von der Strae aus waren weder
Zune noch Wachtrme zu sehen, und die Gebude selbst waren niedrig und ver-
schmolzen mit den Konturen der Landschaft. Das einzig Strende war das gele-
gentliche, von Menschen verursachte Donnern, der gewaltige Lrm gepeinigter
Luft, wenn die Flugschler der UCASAF mit ihren ESA Stilettos im Tiefflug
vorbeirauschten, um auf dem McChord-Luftwaffensttzpunkt zu landen.
Jocasta machte es sich auf dem Beifahrersitz ihres Hyundai-AMC Harmony
gemtlicher. Ich fhle mich wie im Urlaub, sagte sie, whrend sie die Land-
schaft betrachtete.
Auf mich traf das zwar nicht zu, aber ich nickte trotzdem. Ich wute durch-
aus zu schtzen, da sie mir zutraute, ihren Wagen zu fahren, aber ich vermite
Quincys Spielereien. Neben meinem Pseudo-Jackrabbit wirkt jeder andere Wa-
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gen hirntot.
Nach meinem Gesprch mit Barnard hatten mich meine beiden Aufpasser zum
Hilton zurckgefahren, um meinen Wagen abzuholen. Als sie mich absetzten,
gab mir der Troll eine Visitenkarte, auf der nur der Name Barnard und eine LTG-
Nummer stand. Mr. Barnard hat mich angewiesen, Ihnen das hier zu geben, fr
... unvorhergesehene Flle. Er ist jedoch zuversichtlich, da Sie keinen Grund
haben werden, sie zu benutzen. Ich beschlo, sie wie einen Talisman ganz nah
bei meinem Herzen zu tragen.
Als ich schlielich nach Hause kam, fand ich auf meinem Telekom eine Nach-
richt von einer gewissen Beryl Hollyburn, Dr. Skyhills Verwaltungsassistentin,
vor, die mir besttigte, da mein Gast und ich am nchsten Tag das heit, heute
um elf Uhr eine Verabredung bei ISP hatten. Ich rief sofort Jocasta an. Barnard
hatte recht: Ich wrde jemanden brauchen, der intelligente Fragen stellen konnte
und die Antworten verstand. Jocastas Fachrichtung war nicht unbedingt Biotech
nik oder Biomechanik, aber sie verstand immer noch mehr davon als ich. Auer-
dem wollte ich niemand anders mit in die Sache hineinziehen.
Doch was, wenn wie ich vermutete unser mrderischer X zur ISP-Abtei-
lung gehrte? Fhrte ich uns dann nicht direkt zur Schlachtbank?
Nicht wirklich, argumentierte ich (und bemhte mich verzweifelt, meiner
Begrndung zu glauben). Obwohl mein Selbstvertrauen gestern zeitweilig er-
schttert worden war, hielt ich es immer noch fr logisch, da X zum mittleren
Management gehrte und seine/ihre Vorgesetzten nicht wuten, was vorging.
Mich und Jocasta in der Anlage oder auf dem Weg dorthin umzubringen, wrde
schon innerhalb des Konzerns zuviel unerwnschte Aufmerksamkeit erregen,
geschweige denn auerhalb.
Und um dieses Aufmerksamkeitspotential noch zu vergrern, hatte ich eine
Versicherung mit den Informationen, die ich bereits besa, installiert. Ich hatte
ein simples Programm auf meinem Telekom geschrieben, das alles, was ich wu-
te, an drei Stationen weiterleiten wrde, falls ich nicht rechtzeitig einen speziellen
Widerruf eingab: An Jacques Barnard, an Mark Kurtz beim Lone Star und an den
Herausgeber des Datenfax Seattle Intelligencer. Als zustzliche Schutzmanah
me hatte ich Barnard eine Textbotschaft geschickt, in der ich erklrte, was ich
getan hatte, und vorschlug, diese Information jedem zugnglich zu machen, der
seiner Meinung nach davon profitieren konnte. Sicher, es gab Mglichkeiten,
diese Art Schutzmanahmen zu schlagen, aber es war besser als nichts.
Meine geringe Zuversicht schmolz dahin, als wir uns dem Tor nherten. Drei
voll gepanzerte Sicherheitsposten beobachteten uns aus verschiedenen Blick-
winkeln, whrend ein vierter seinen Helm absetzte und sich dem Wagen nherte.
Silbrige Pupillen reflektierten das Licht, als dieser uns musterte. Dann flogen
seine Finger ber die Tastatur eines handgroen Computers, der an seinem Gr-
tel hing und in seine Datenbuchse eingestpselt war. Ich konnte mir vorstellen,
wie die winzige Einheit ein von seinen Cyberaugen aufgezeichnetes Bild von
mir abstrahlte und irgendwo ein Zentralcomputer dieses Bild mit dem Inhalt ei-
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ner Autorisierte Besucher-Datei verglich. Alles mute gestimmt haben, weil
nur Sekunden vergingen, bis der spiegelugige Posten sagte: Willkommen bei
Yamatetsu, Mr. Montgomery. Folgen Sie der Strae zum Verwaltungsgebude.
Bitte weichen Sie nicht vom Weg ab. Er vervollstndigte den Gedanken nicht
oder wir blasen Sie zur Hlle , aber dieser Zusatz hing fast greifbar in der
Luft. Ich wnsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt, sagte er irgendwie
unangemessen, dachte ich und trat zur Seite. Das Tor rollte lautlos zurck, und
ich fuhr hindurch.
Freundliche Sorte, bemerkte ich. Jocasta antwortete nicht, sondern sah ledig-
lich weiterhin aus dem Fenster.
Die zum Verwaltungsgebude fhrende Strae war gut gekennzeichnet, so da
es keine vernnftige Entschuldigung fr eine eventuelle Kursabweichung gab.
Wir kamen an einer ganzen Reihe von Abzweigungen vorbei, die zu auerhalb
liegenden Gebuden fhrten, doch all diese Nebenstraen waren mit groen,
leuchtenden Durchfahrt Verboten-Schildern in Englisch, Kanji und intersprach-
lichen Icons versehen. Das Verwaltungsgebude war fast einen halben Kilometer
vom Eingangstor entfernt was bedeutete, da der ISP-Industriepark grer war,
als ich gedacht hatte.
Wir fuhren auf den Parkplatz vor dem niedrigen fensterlosen Gebude, und ich
parkte in einer der mit der Aufschrift Besucher gekennzeichneten Boxen. Als
ich den Motor abstellte, ri sich Jocasta endlich von der Aussicht los und sah
mich an. Mir gefllt es hier nicht, sagte sie leise. Es kommt mir sie suchte
nach dem richtigen Wort ... kalt vor.
Ich bedachte sie mit einem beruhigenden Lcheln, obwohl ich mich selbst nicht
sonderlich ruhig fhlte. Sicher, sagte ich leichthin. Schlielich ist das hier die
Forschungsanlage eines Riesenkonzerns. Nicht der beste Platz, wo man seine
Zeit verbringen kann. Sie nickte, aber das Unbehagen auf ihrem Gesicht blieb.
Ich dachte darber nach, als wir ausstiegen und uns der Vordertr des Gebudes
nherten. Ich hatte gehrt, da Magier manchmal die Natur eines Ortes spren
knnen, das emotionale quivalent einer Messung der radioaktiven Hintergrund
strahlung. Orte, an denen Leiden oder Schrecken stattgefunden hatten, wrden
eine besonders hohe Messung ergeben und den Magier stark beunruhigen. Dieser
Ort? Im Laufe der Entwicklung der SPISES-Technologie mute ISP Hunderte
von Versuchstieren verbraucht haben, zweifellos auf unangenehme Arten. Und
spter hatten sie jene entmenschlichende Technologie in menschliche Versuchs-
kaninchen implantiert. Kein Wunder, da der Ort eine hliche, kalte Aura aus-
strahlte.
Die Tr ffnete sich, als wir uns ihr nherten, und enthllte einen Empfangs-
bereich, der stilvoll und auf seine seelenlose Konzernart fast reizvoll war. Zeit-
genssisches Mobiliar, Tafeln an den Wnden, auf denen zivile Auszeichnungen
vermerkt waren, das Yamatetsu-Logo ein stilisiertes Y auf praktisch allem.
Direkt vor uns befand sich das obligatorische Empfangspult, hinter dem eine
kurvenreiche Empfangsdame sa. Sie sah auf, als wir eintraten, und badete uns
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in jenem spezifischen, breiten Begrungslcheln, da ich mittlerweile so gut
kannte. Willkommen bei Yamatetsu, sagte sie, aber anders als der Torposten
klang sie fast so, als meinte sie es auch. Mr. Montgomery und ...? Sie lchelte
Jocasta erwartungsvoll an.
Und Begleitung, sagte ich.
Ihr Lcheln verblate um kein Jota. Natrlich. Bitte warten Sie einen Mo-
ment. Sie drckte eine Taste auf ihrem Pult und ich sah, wie sich ihre Lippen
bewegten, obwohl ich keinen Laut hrte. Implantiertes Mikrofon, nahm ich an.
Ich fragte mich, wie sie das nchstjhrige Modell wohl ausrsten wrden.
Bevor ich berhaupt mitbekommen hatte, da die Empfangsdame fertig war,
ffnete sich die Tr neben dem Empfangspult, und eine junge Elfin erschien. Sie
war ungefhr in meinem Alter, klein, hatte glattes, dunkles Haar und sah aus wie
der vollkommene Profi.
Ich erkannte sie von der Telekomnachricht als Beryl Hollyburn, Skyhills Ver-
waltungsassistentin. Sie lchelte frostig und machte keinerlei Anstalten, uns die
Hnde zu schtteln. Dr. Skyhill wird Sie jetzt empfangen, sagte sie khl. Sie
drehte sich um und ging wieder durch die Tr, offensichtlich in der selbstver-
stndlichen Annahme, da wir ihr folgen wrden.
Wir folgten. Einen typischen Konzernflur entlang, hell, aber steril. Ich betrach-
tete Beryls rckwrtige Ansicht, fand ihren Gang jedoch ebenso unattraktiv wie
ihr Benehmen. Jocasta bemerkte meinen forschenden Blick und schnaubte mit
trockener Belustigung. Die Elfin blieb vor einer Tr stehen und klopfte verstoh-
len an. Mein Blick fiel auf das Schild an der Tr: Kein Name, nur das Wort Ver-
waltungsdirektor. Von drinnen kam eine gedmpfte Antwort. Beryl ffnete die
Tr und trat zur Seite, um uns eintreten zu lassen.
Das taten wir auch, und zwar in ein gerumiges, Execmiges Bro. Links von
der Tr befand sich eine komfortable Sitzecke, bestehend aus einem Ledersofa
und zwei dazu passenden Sesseln, die um ein Kaffeetischchen mit Marmorplatte
gruppiert waren. Zur Rechten befanden sich ein groer Schreibtisch und eine
Art Bffet. Die Sitzgruppe und der Rest des Bros waren peinlich aufgerumt,
Schreibtisch und Bffet jedoch angenehm unordentlich, offensichtlich das Ge-
hege eines Managers des hemdsrmeligen Typs. Von der Anlage her war es ein
Eckbro, und obwohl scheinbar zwei groe Fenster in zwei der Wnde gesetzt
waren, konnte man den Blick aus jenen Fenstern eindeutig nicht als Fort Lewis-
mig bezeichnen. Ein azurblaues Meer schwappte auf einen tropischen Strand,
whrend sich Palmen in einer sanften Brise wiegten. Die Illusion war so perfekt,
da ich fast damit rechnete, Salz und den Duft tropischer Blumen zu riechen.
Jocasta und ich standen da und gafften wie Touristen.
Der Mann hinter dem Schreibtisch kicherte. Meine groe Schwche, be-
merkte er. Ich finde, es entspannt mich. Er stand auf und kam zu uns, wobei er
eine groe Hand ausstreckte. Ich bin Adrian Skyhill.
Ich musterte ihn von oben bis unten, whrend wir uns die Hnde schttelten.
Er war ein Mensch, ein klein wenig grer als ich, also knapp unter zwei Meter,
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aber seine Krperflle lie ihn noch grer aussehen. Er hatte eine tonnenfr-
mige Brust und einen beachtlichen Bauch. Ein kleinerer Mann htte vielleicht
korpulent ausgesehen, doch Skyhill wirkte lediglich stattlich. Er hatte ein rundes
Gesicht mit sandfarbenem Haar und Bart, beides kurz geschnitten. Um die Au-
gen hatte er Lachfltchen, und sein breiter Mund schien sich von Natur aus zu
einem Lcheln zu krmmen. Er war mir auf den ersten Blick unsympathisch.
Ich tat mein Bestes, diese Reaktion zu verbergen. Derek Montgomery, sagte
ich, whrend ich den Druck seines Griffs erwiderte.
Freut mich, sagte er, indem er meine Hand loslie und sich Jocasta zuwand-
te. Maam?
Nennen Sie mich Jane, sagte Jocasta khl. Skyhill nahm behutsam ihre
Hand, und einen Moment lang dachte ich, er wrde sie kssen.
Dann bin ich Adrian. Skyhill gestikulierte vage in Richtung Sitzgruppe.
Bitte nehmen Sie doch Platz. Jocasta und ich setzten uns auf das Sofa, wh-
rend Skyhill einen Sessel nahm. Barnard schlug vor, ich solle mich mit Ihnen
treffen, und Kyoto hatte keine Einwnde, fuhr er fort, also sind Sie nun hier.
Ich kann Ihnen eine Stunde geben er beehrte Jocasta mit einem Lcheln ,
nicht mehr, frchte ich. Er schlug die Beine bereinander und lehnte sich zu-
rck. Was kann ich fr Sie tun?
Jocasta wollte gerade die erste der zuvor von uns abgesprochenen Fragen stel-
len, diejenige ber die exakte Natur der Forschungen von ISP. Doch Skyhill hat-
te etwas gesagt, das meine Aufmerksamkeit erregte, und so kam ich ihr zuvor.
Nach dem, was Sie gerade gesagt haben, stellt sich mir die Frage nach der Ver-
bindung auf Geschftsfhrungsebene zwischen ISP und Yamatetsu Seattle.
Erstatten Sie Jacques Barnard Bericht?
Skyhill schwieg. Das ist ein wenig kompliziert, sagte er schlielich.
Stellen Sie mich auf die Probe.
Einen Augenblick lang konnte ich das Mifallen auf dem Gesicht des groen
Mannes erkennen, doch dann kehrte sein unaufrichtiges Lcheln zurck, um es
zu verhehlen. Yamatetsu bevorzugt ein Matrix-System, aber damit ist Matrix
im alten Sinne gemeint. Das hat nichts mit Computernetzwerken zu tun. Unseren
Geschftsfhrungsprinzipien zufolge erstatte ich sowohl Barnard hier in Seattle
als auch unserem Obersten Verwaltungsvizeprsidenten Eiji in unserer Zentrale
in Kyoto Bericht. Dieses Verfahren gewhrleistet, da die ISP-Abteilung eini-
ge Autonomie geniet, verhindert jedoch gleichzeitig, da unser internationales
Mandat im Namen lokaler Interessen kompromittiert wird. Er lchelte. Ich bin
sicher, das ergibt nicht viel Sinn.
Ganz im Gegenteil, ich begriff ganz genau, was er damit sagte. Mir war auer-
dem klar, da Jacques Barnard diese Regelung leidenschaftlich hassen mute.
Theoretisch unterstand die ISP-Abteilung Yamatetsu Seattle, was bedeutete, da
Barnard fr Gewinne und Verluste von Skyhills Organisation verantwortlich war.
Doch Skyhill hatte irgendwie einen Gnner gefunden diesen Eiji , der weiter
oben in der Hierarchie stand. Eiji hatte offensichtlich angeordnet, da Skyhill
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sowohl Barnard als auch ihm selbst Bericht erstattete. Skyhills ersten Bemer-
kungen zufolge hatte es den Anschein, als msse Eiji sein Einverstndnis geben,
bevor Skyhill Barnards Anweisungen folgte. Es war die klassische Konstellation
fr interne Machtkmpfe in der Geschftsfhrung und ein Magengeschwr fr
Jacques Barnard: Er war fr die Bilanz verantwortlich, ohne jedoch die volle
Autoritt zu besitzen. Zweifellos zielte Skyhill auf Barnards Job, und wenn die-
ser nichts tat, um ihn zu bremsen, wrde er ihn wahrscheinlich auch bekommen.
Interessant.
Doch ich verbarg meine Spekulationen hinter einer Maske vager Verwirrung.
Konzernpolitik habe ich noch nie richtig begriffen, sagte ich. Dann nickte ich
Jocasta zu fortzufahren.
Dr. Skyhill, begann sie hflich, wir wissen, da sich die ISP-Abteilung auf
irgendeine Art elektrochemischer Drsenstimulation konzentriert. Sie nennen
das Booster-Technologie. Ist das richtig?
Er nickte. Das ist im Augenblick unser Hauptanliegen. Wir nennen es Sympa-
thetisches-Parasympathetisches Integriertes Suprarenales Erregungssystem oder
kurz SPISES.
Haben Sie alle vorbereitenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten hier
ausgefhrt?
Nicht wirklich. Tatschlich haben wir die ursprngliche Technologie von ei-
ner Gesellschaft im Mittelwesten gekauft, deren Namen ich nicht nennen darf.
Vertraulichkeitsabsprachen und diese Dinge. Die Technologie war in einem
ziemlich primitiven Zustand, als wir sie kauften, doch wir haben mehrere Dut-
zend Millionen Nuyen in Forschung und Entwicklung gesteckt alles ist hier in
dieser Anlage geschehen. Jetzt ist SPISES der beste Reaktionsbeschleuniger und
Stimulator der Welt.
Sie mssen ausgedehnte Versuchsreihen mit Tieren angestellt haben.
Natrlich. Wiederum alles hier auf diesem Gelnde. Er stand auf, ging zum
Schreibtisch und ergriff eine Fernbedienung. Seine dicken Finger berhrten ei-
nige Tasten, und die Strandansicht in einem der Fenster verschwand, um von
einem einfachen Grundri der ISP-Anlage abgelst zu werden. Ein blinkender
Cursor erschien auf der Karte, der sich unter Skyhills Kontrolle zu farblich her-
vorgehobenen Stellen bewegte, whrend er ber sie referierte.
Wir befinden uns hier im zentralen Verwaltungsgebude, begann Sky-
hill. Direkt davor liegt der Besucherparkplatz, und weiter sdlich ist das Tor,
durch das Sie gekommen sind. Dieses Gebude enthlt nichts weiter als Bros,
Konferenzrume und derartige Dinge. Im Keller ist das Computersystem fr die
ganze Anlage untergebracht. Wir nickten gehorsam. Die anderen Gebude
umringen die Verwaltung in einem Abstand von fnfzig bis hundert Metern. Er
lchelte gtig. Wir wollten den Arbeitern ein Gefhl der Gerumigkeit vermit-
teln, so da sie sich nicht eingeengt fhlen wie die Leute in anderen, weniger gut
konzipierten Anlagen.
Waren Sie von Anfang an dabei, Dr. Skyhill? unterbrach ich.
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Ich bin vor sechs Jahren gekommen, noch bevor der Konzern das Land hier
gekauft hat. Jay Hawkins, Barnards Vorgnger, hat mich angestellt.
Nichts in Skyhills Tonfall lie Rckschlsse auf Animositten zu, aber ich
merkte mir diese Tatsache zwecks spterer Verwendung. Verborgene Bitterkeit
darber, da Barnard den Posten als Seniorvize bekommen hatte, auf den Skyhill
spekuliert hatte? Vielleicht.
Skyhill setzte seinen elektronischen Rundgang fort. Das sdlichste Gebude
hier, Gebude A, ist das Tierversuchslabor. Daneben war ursprnglich die Com-
puterbibliothek, bis wir das System erneuert und in die Verwaltung verlagert ha-
ben. Jetzt ist Gebude B unser Primatenlabor. In Gebude C, hier, sind Biophysik
und Biomechanik untergebracht Labors, Maschinenlager und Produktionsein-
richtungen. Und hier ist Gebude D, Versuchsklinik und Auswertungslabors.
Jocasta deutete auf das letzte Gebude, das ungefhr in nordstlicher Rich-
tung vom Haupttor lag. Die anderen Gebude waren alle mit einer Beschriftung
versehen. Dieses war nur mit dem Buchstaben E und einem Kleeblatt-Symbol
versehen, das dem internationalen Symbol fr Radioaktivitt hnlich sah, doch
nicht mit ihm identisch war. Was ist das fr ein Gebude, Doktor? fragte sie.
Es ist als biologisch gefhrlich gekennzeichnet.
Skyhill kicherte. So stolz wir auf SPISES sind, Jane, so sehr sind wir uns den-
noch der Tatsache bewut, da es nur ein Schritt auf einem langen Weg ist. Was
wissen Sie ber Viruschirurgie?
Nicht viel. Warum frischen Sie mein Gedchtnis nicht auf?
Gewi, gewi. Skyhill setzte sich auf die Schreibtischkante. Viruschirurgie
ist eine Idee, die in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhundert aufgekom-
men ist er grinste breit , und zwar in erster Linie in der Science Fiction. Die
dafr erforderliche Technologie lag damals noch Jahrzehnte entfernt. Tatsch-
lich reift sie jetzt erst langsam heran. Die zentrale Idee ist, Viren zu benutzen,
um mageschneiderte DNA-Strnge in gewisse Zellen zu verpflanzen und diese
Zellen zu zwingen, das neue genetische Material in ihre eigene Genstruktur zu
inkorporieren.
Klingt wie Gentechnik, bemerkte ich. Was ist daran neu?
Skyhill warf mir einen raschen verrgerten Blick zu, verbarg ihn jedoch so
schnell hinter einem Lcheln, da ich ihn kaum bemerkte. Theoretisch ist es
das auch, fuhr er fort. Aber bei der normalen Gentechnik arbeiten wir entwe-
der mit unizellularen Subjekten wie E. coli-Bakterien, die so verndert sind,
da sie Insulin absondern oder mit soeben befruchteten Zygoten vor der ersten
Teilung. Was hat es aber mit der echten Viruschirurgie auf sich? Er kam lang-
sam in Schwung. Ich konnte mir vorstellen, wie er an der Universitt vor seinen
Biologiestudenten auf und ab ging und sie zu Tode langweilte.
Nehmen wir an, Sie sind Diabetiker, was bedeutet, Sie knnen nicht genug
Insulin produzieren, ein Enzym, das normalerweise in der Bauchspeicheldrse
entsteht. In diesem Fall fehlen den Zellen ihrer Bauchspeicheldrse die Gene,
um die Enzyme zu produzieren. Wenn wir uns auf Gentechnik beschrnken, kn-
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nen wir eine Bakterie erzeugen, die Insulin absondert, Ihnen das Insulin tglich
injizieren und dafr sorgen, da etwaige Kinder von Ihnen diesen Makel nicht
erben.
Nicht die beste Lsung. Unter Benutzung der Viruschirurgie knnen wir an-
dererseits das Gen hernehmen, das Insulin erzeugt, es in ein besonderes Virus
verpflanzen, das nur Zellen der Bauchspeicheldrse befllt, und Sie dann mit
diesem Virus infizieren. Das Gen, welches Ihnen fehlt, wird vom genetischen
Code der Zellen, die es brauchen, aufgenommen, und pltzlich produzieren Sie
Ihr eigenes Insulin. Interessant?
Ich mute zustimmen. Interessant.
Dann lassen Sie uns noch einen Schritt weitergehen. Nehmen wir an, Sie wol-
len, ach, ich wei nicht, sagen wir einfach Infrarotsicht, aber Sie wollen keine
Operation. Theoretisch knnten wir Ihnen ber ein Virus einen Genkomplex
implantieren, der die Zellen in Ihrer Retina verndert, um sie infrarot sehen zu
lassen. Oder wie wre es mit schnelleren Reaktionen? Vielleicht eine viruser-
zeugte genetische Vernderung der Zellen Ihrer Nebennieren. Es geht einen
Schritt ber SPISES hinaus, weil es absolut keine implantierte Hardware gibt.
Fr mich klang das alles immer noch wie Science Fiction, doch Jocasta nickte,
als sei es absolut einsichtig. Ich nehme an, dann haben Sie ein Quarantnela-
bor, sagte sie. P3-Protokoll?
P5, korrigierte er grinsend. Zumindest nennen wir es so. Es ist ein verbes-
sertes P3-Protokoll mit zustzlichen magischen Vorsichtsmanahmen. Die Ma-
gie war meine Idee.
Interessant, sagte Jocasta. Aber gehen wir wieder zurck zu SPISES. Ist es
reif fr den Markt?
Wir haben bereits eine prinzipielle bereinkunft fr unseren ersten Verkauf
erzielt, strahlte Skyhill. Fr viele potentielle Kunden ist es noch zu teuer, aber
wir tun alles, um den Preis zu senken.
Ich kenne ein paar der Vorlufer von SPISES, sagte Jocasta glatt. (Tatsch-
lich wute sie nicht mehr darber als das von Bents Kommentaren, woran ich
mich noch hatte erinnern knnen, aber ich begriff langsam, da sie eine ver-
dammt gute Hochstaplerin war.) Nach allem, was ich wei, waren sie sehr, h,
schdlich fr die Versuchspersonen.
Ich rechnete damit, da Skyhill das abtun wrde, doch er nickte bedchtig.
Das war in der Tat ein Problem, gab er zu, und wir haben es auch noch nicht
ganz beseitigt. Manche Menschen werden von SPISES absolut nicht beeinflut
negativ, meine ich , whrend andere es berhaupt nicht vertragen. Wir muten
unsere freiwilligen Versuchspersonen nach sorgfltigen Kriterien auswhlen und
auerdem sicherstellen, da unsere Kunden ebenfalls mit dem Auswahlverfahren
umgehen knnen. Natrlich versuchen wir, die Technologie zu verfeinern, so da
sie bei jedem anwendbar ist.
Welche Kontraindikationen gibt es?
Der Mangel an anaerober Fitne ist eine sehr beachtliche, auerdem fehlende
193
nun, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks geistige Zhigkeit. Die Beta-
Spannkraft mu ungefhr vier-null auf der Blaydon-Woczicischen Persnlich-
keitsmatrix betragen, wenn Sie mit dem Test vertraut sind.
Wiederum htten sie auch Elfisch reden knnen, soviel verstand ich, aber Jo-
casta schien ihm folgen zu knnen. Interessant, wiederholte sie. Besteht die
Mglichkeit einer Besichtigungstour?
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D as war tatschlich der Fall, und zwar mit Skyhill als Fhrer. Unterwegs re-
dete Jocasta auch weiterhin mit dem guten Doktor ber Dinge, die fr mich
vllig bedeutungslos waren. Also schaltete ich meine Ohren auf Durchzug und
konzentrierte mich auf die optischen Eindrcke.
Manche waren beunruhigend. Das Biomechanik/Biophysik-Labor, unser erster
Halt, sagte mir wenig. Ich hatte schon zuvor mikroelektronische Labors zu Ge-
sicht bekommen, mit ihren weibekittelten Technikern, die an Mikromanipu-
latoren arbeiteten, whrend sie durch ihre Mikroskope starrten, und dieses war
nicht viel anders. Aus der Fassung brachte mich erst das, was ich in den anderen
Labors sah. Im Tierlabor sahen wir Reihen um Reihen von Kfigen mit Beagles
und anderen Versuchstieren sowie ein Video von einer weien Maus, aus deren
Schdel Fiberglasfasern zu wachsen schienen und die eine riesige Hauskatze an-
griff und fertig machte. Im Primatenlabor beobachtete uns traurig das sanftugi-
ge Kapuzinerffchen, als wir an ihm vorbergingen.
Und schlielich kam die Klinik und das Auswertungslabor. Die Betten der Kli-
nik waren leer, doch Skyhill fhrte uns zu einem glasverkleideten Kontrollraum
im Keller, der zu einer kleineren Ausgabe des Stadtkampfsimulators der UCAS
Armee gehrte. Wir sahen zu, wie eine junge Frau, die lediglich ein Trikothemd,
Shorts und eine elektronische Vorrichtung trug, die auf ihren Rcken geschnallt
und mit ihrer Datenbuchse verbunden war, vier Sicherheitsdrohnen ausman-
vrierte, im Kampf bertrumpfte und grndlich den Drek aus ihnen herausprgel-
te. Abgesehen von der Datenbuchse und dem SPISES-Gert ist sie vollkommen
unvercybert, sagte Skyhill berflssigerweise. Die Frau trug so wenig am
Leib, da noch von der suberlichst implantierten Cyberware die Narben deut-
lich zu sehen gewesen wren.
Als wir das Gebude verlieen, war ich froh, an die frische Luft zurckzu-
kehren. Die Nachmittagssonne versuchte heldenhaft durch die Wolkendecke zu
brechen, und die grnen Wlder von Fort Lewis waren linderndes Balsam fr
meine Seele. Genau das, was ich nach dem Rundgang durch ISPs Gruselkabinett
brauchte.
Skyhill schlug die Richtung zur Verwaltung ein. Was ist mit dem Virenla-
bor? fragte Jocasta.
Skyhill gab jenes Kichern von sich, das mehr und mehr an meinen Nerven zerr-
te. Tut mir leid. Strikte YamatetsuRichtlinien: Keine Besucher in Biogefahr-
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Bereichen.
Sehr vernnftig, sagte Jocasta leichthin. Nach einer kleinen Pause fragte sie:
Worin haben Sie Ihren Doktor gemacht, Adrian? In Medizin?
Ich habe es erwogen, sagte Skyhill, offensichtlich erfreut, wieder ber sich
selbst reden zu knnen, und vielleicht hole ich ihn eines Tages nach. Nein, mein
Feld ist Bioelektronik, wenngleich mich die Leitung dieses Projekts gezwungen
hat, meine Grundlagen erheblich zu erweitern.
Wie sieht es mit magischer Ausbildung aus? Ich nehme an. Sie mssen auch
bei den magischen Aspekten der Forschung auf dem laufenden sein?
Sehr richtig. Ich habe ein paar Kurse in magischer Theorie und natrlich
Mago-Ethik belegt. Aber das ist alles nur akademisch. Ein Jammer, aber ich bin
durch und durch von dieser Welt.
Als wir in die Verwaltung zurckgekehrt waren, wimmelte uns Skyhill so
schnell ab, wie es ihm unter Beachtung der grundlegenden Hflichkeitsgebote
mglich war. Wir hatten unsere Stunde und mehr bekommen, und er hatte
uns jeden Dienst erwiesen, den er uns schuldig sein mochte. Mit einer letzten
unaufrichtigen Bitte, ihn anzurufen, falls wir weitere Fragen htten, war er ver-
schwunden.
Was mir nur zu recht war. Ich war glcklich nein, ekstatisch , das ISP-Gatter
im Rckspiegel schrumpfen zu sehen, als ich den Harmony auf die Perimeter
Road lenkte und auf die 1-5 zuhielt.
Jocasta war unterwegs schweigsam und nachdenklich. Schlielich fragte ich:
Was glauben Sie?
Ich glaube, ich mag Dr. Adrian Skyhill nicht, erwiderte sie, und als ich zu-
stimmend grinste, kam es von Herzen. Und das liegt nicht nur an dem geheu-
chelten Lcheln.
Sie hatte sichtlich Mhe, ihre Eindrcke in Worte zu kleiden. Er ... Er kam mir
irgendwie unecht vor. Sie schttelte frustriert den Kopf. Ich wei, das ist sehr
vage, aber da war etwas mit seiner Aura. Sie war ... Wieder suchte sie nach dem
richtigen Wort. Sie war glatt, berhaupt nicht aufgewhlt. Unnatrlich ruhig fr
einen derart aufgewhlten Menschen.
Sie glauben, er war aufgewhlt?
Sie nicht?
Ich dachte daran, was er ber die politische Situation mit Barnard gesagt hat-
te. Ich htte ihn vielleicht als getrieben anstatt aufgewhlt beschrieben, aber ihr
Wort war keineswegs unangemessen. Ich nickte langsam. Kann man jetzt
war ich um die richtigen Worte verlegen kann man an einer Aura Streabbau
betreiben?
Daraufhin lachte sie, jedoch nicht unfreundlich. In gewisser Weise kann man
das. Es wird Aura-Kosmetik genannt. Aber es ist eine Art Metamagie, etwas, das
nur den mchtigsten Magiern und Schamanen zugnglich ist. Und Skyhill ist ein
Normalsterblicher.
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Behauptet er wenigstens, dachte ich, behielt den Gedanken aber fr mich.
Was war mit dieser P-irgendwas-Quarantne? fragte ich. War das schlssig?
Das war es. Viruschirurgie ist starker Tobak ... wenn sie klappt. Aber wenn
etwas verpfuscht wird, kann sie ziemlich tdlich sein.
Wie, zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn man versucht, Diabetes so zu heilen, wie Skyhill es be-
schrieben hat, aber man entwickelt zufllig ein Virus, das die fr die Insulinpro-
duktion verantwortlichen Gene zerstrt. Und dann entweicht das Virus. Jeder mit
diesem Virus Infizierte verliert die Fhigkeit, Insulin zu produzieren und wird
augenblicklich zu einem Diabetiker.
Das kann geschehen?
Sie meinen das mit dem verdammten Virus? Sie nickte. Es ist nicht beson-
ders wahrscheinlich, nicht bei den modernen Techniken. Aber es kann trotzdem
vorkommen, insbesondere in einem frhen Stadium der Forschung. Deshalb gibt
es ja auch Quarantnelabors: Um zu gewhrleisten, da nichts Gefhrliches auf
die Welt losgelassen wird. Derartige Labors sind ihrem Protokoll entsprechend
gekennzeichnet: P1 entspricht etwa einem Operationssaal in einem Krankenhaus,
P2 ist sicherer und P3 ist das Sicherste. Eine Zeitlang gab es mal ein P4-Proto-
koll, aber durch die Entwicklung neuer Technologien wurde es bedeutungslos.
Was ist mit Skyhills P5?
Sie dachte einen Moment lang nach und kicherte dann. Ich lege keinen Wert
darauf, ihn fr eine gute Idee zu loben, aber dem P3-Protokoll Magie hinzuzuf-
gen, ist eine gute Idee.
Jetzt die alles entscheidende Frage. Haben Sie auer an SPISES noch an ir-
gend etwas anderem gearbeitet?
Jocasta schwieg gedankenverloren so lange, da der Harmony fnf Kilometer
Highway fra. Dann sagte sie: Ich glaube nicht, Dirk. Wir haben so ziemlich
alles gesehen, was da ist. Sie haben keine 2XS-Chips hergestellt.
Ich seufzte. Ich war zu demselben Schlu gelangt. Noch eine Sackgasse.
Ich hielt vor meiner Bude in Purity an und stieg aus. Ich sah auf die Uhr. Fast
14.00 Uhr, was die Zeit war, auf die ich mein Telekom programmiert hatte, alles,
was ich wute, an verschiedene und ausgesuchte Adressen zu schicken, falls ich
ihm bis dahin nicht gesagt hatte: Nein, nein, ich bin noch am Leben, siehst du?
Jocasta kam mir auf dem Brgersteig entgegen, bereit, auf den Fahrersitz zu
klettern und loszufahren. Im Vorbeigehen lchelte sie mir zu.
Kommen Sie noch auf einen Drink mit rauf? fragte ich, einem Impuls fol-
gend, und sofort war es mir peinlich, wie klischeehaft es klang.
Warum nicht? sagte sie leichthin.
Den ganzen Weg die Treppe hinauf bereute ich die Einladung, war jedoch viel
zu verlegen, um sie rckgngig zu machen. Ich ffnete die Tr und ging einen
Schritt zur Seite, um sie eintreten zu lassen.
Sie sah sich um, gab jedoch keinen Kommentar ab, wofr ich zutiefst dankbar
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war. Sie zog sich den einen Stuhl heran, der vor dem Telekom stand, und setzte
sich. Sie fhlte sich ganz wie zu Hause, jedenfalls hatte es den Anschein.
Das Hausmdchen hat sein freies Jahr, sagte ich in einem schwachen Ver-
such, einen Witz zu machen. Ich leiste Ihnen gleich Gesellschaft. Ich warf
den Duster aufs Bett und ging dann zum Telekom, wo ich schnell den Code zum
Abbrechen des Programms eintippte. Das Gert piepte zur Besttigung, annu-
lierte den vorgesehenen Sendevorgang und speicherte die Information wieder
in versteckten und verschlsselten Dateien. Ich storniere nur gerade eine Ver-
sicherungspolice, sagte ich. Mchten Sie was zu trinken? Ich habe Whiskey,
Bier ...
Ein Bier wre prima.
Ich ging in die Hocke, um den Miniaturkhlschrank zu ffnen, den ich unter
dem Waschbecken installiert hatte. Ja, den Gttern, welchen auch immer, sei
Dank, ich hatte tatschlich noch Bier. Ich holte zwei heraus, klaubte rasch die
zwei am wenigsten verschmierten Glser zusammen und go ein. Ich reichte ihr
ein Glas und setzte mich mit meinem aufs Bett. Kampai. Mit einem Lcheln
erwiderte sie den Toast und nippte an ihrem Bier.
Jocasta sah hier sehr fehl am Platze aus, fand ich. Jemand mit ihren Konzern-
klamotten und derart professionellem Gehabe sollte nicht in einer verkommenen
Billigbude in den Barrens sitzen und labberiges Bier aus einem schmutzigen Glas
trinken. Doch jetzt saen wir hier. Ich glaubte, etwas sagen, eine unbeschwerte
Konversation beginnen zu mssen, wute jedoch nicht, wie ich anfangen sollte.
Gndigerweise brach Jocasta das Schweigen. Wissen Sie, sagte sie langsam,
als ich noch jnger war, habe ich oft gedacht, wie aufregend es sein wrde, in
den Schatten zu laufen. Sie kicherte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es
wohl sein wrde, ein berhmter Shadowrunner zu sein.
Ich gestikulierte ein wenig, um die Bude, die Barrens, das alles einzuschlieen.
Aber dann ist Ihnen klar geworden, da Sie den luxurisen Lebensstil nicht
verkraften, richtig?
Nein, das ist es nicht. Ich erkannte, da ich nicht so hart war, wie ich gedacht
hatte hart im Geiste, meine ich. Bei weitem nicht hart genug. Sie schwieg
einen Augenblick. Darf ich aufrichtig sein?
Ich hasse diese Frage. Die einzig wahre Antwort darauf lautet, nein, fttern Sie
mich lieber weiter mit schmackhaften Lgen, aber ich antwortete auf die kon-
ventionelle Art. Natrlich.
Als ich Ihnen zum erstenmal begegnete, mochte ich Sie nicht. Der offensicht-
liche Grund war, da ich glaubte, Sie htten Lolita ermordet. Aber selbst nach-
dem ich wute, da Sie es nicht getan hatten, fhlte ich mich in Ihrer Gegenwart
unbehaglich. Es hat eine Weile gedauert, bis mir der Grund klar geworden ist.
Wahrscheinlich klingt es ziemlich dumm, aber Sie sind, was ich nicht bin und
niemals sein knnte. Sie haben mir Angst eingejagt, und ich mag es nicht, wenn
man mir Angst einjagt.
Und wie sieht es jetzt aus? Frchten Sie mich immer noch?
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Sie lchelte. Ich glaube, respektieren ist ein besseres Wort.
Wiederum breitete sich ein ungemtliches Schweigen aus. Worauf lief ein Ge-
sprch hinaus, das an diesem Punkt angelangt war?
Es klopfte an der Tr. Eine willkommene Flucht vor gesellschaftlichem Unbe-
hagen. Ich sprang buchstblich auf die Fe und ging zur Tr. Unterwegs ver-
fluchte ich die Umstnde, die mich daran gehindert hatten, an dieser Tr dasselbe
Sicherheitssystem Marke Quincey anzubringen wie in meinem Auburner Apart-
ment. Die verstrkte Sicherheitskette war vorgelegt, was theoretisch verhinderte,
da sich die Tr weiter als ein paar Zentimeter ffnete, aber machen wir uns
nichts vor, mehr Platz als neun Millimeter weniger, wenn man APDS-Munition
benutzt braucht man nicht, um der Person, die auf ein Klopfen oder Luten an
der Tr antwortet das Leben schwer zu machen. Ich wollte gerade das Magnet-
schlo ffnen, als Jocasta bellte: Nicht!
Ich drehte mich um. Sie sa unnatrlich steif und hoch aufgerichtet da und
starrte auf die Tr. Nein, durch die Tr, als knne sie sehen, was sich auf der
anderen Seite befand, und das gefiel ihr kein bichen. Ich sprte, wie sich mir die
Nakkenhaare strubten. Was ist los?
ffnen Sie nicht, sagte sie. Ihre Stimme war leise, kaum mehr als ein Fl-
stern, doch sie knisterte vor Intensitt. Gehen Sie von der Tr weg.
Mir lag ein sarkastischer Kommentar auf der Zunge, den ich jedoch rasch her-
unterschluckte. Ich entfernte mich von der Tr, wobei ich kein Auge von ihr lie,
ertastete meinen Duster und zog meine Kanone heraus. Ich legte die Sicherung
um. Jocasta sa immer noch wie angewurzelt da. Jocasta, sagte ich, Sie soll-
ten besser ...
Keine Warnung. In diesem Augenblick war alles unnatrlich still, die Ruhe
vor dem Sturm. Im nchsten flog die Tr aus den Angeln, als sei sie von ei-
nem Schnellzug erfat worden, wirbelte durch den Raum und krachte gegen
die gegenberliegende Wand. Bevor ich reagieren konnte, scho eine Tennis
ballgroe Kugel aus strahlendem Licht durch den leeren Trrahmen. Als sie die
Mitte des Raums erreicht hatte, erblhte sie zu einem donnernden Feuerball.
Ich schrie, als die Flammen ber mich hinwegwuschen. Die Erschtterung
reichte aus, um mich von den Beinen zu holen und mich gegen die Wand zu
schleudern. Alles wurde schwarz.
Doch nur fr einen Augenblick. Die Wand vibrierte immer noch von meinem
Aufprall, als die Welt wieder in mein Blickfeld rckte. Das Apartment war ein
Totalschaden. Es sah aus, als sei eine Granate darin explodiert. Die Mbel waren
zersplittert, die Fenster auf die Strae gesprengt. Kleine Feuer brannten berall,
auf dem Boden, an den Wnden, sogar an der Decke. Der Gestank nach ver-
branntem Fleisch kratzte mir in der Nase. Ich sah an mir herab. Meine Kleider
waren versengt und schwelten. Meine entblte Haut war gertet und fhlte sich
wund an. An einigen Stellen hatte sie bereits Blasen geworfen. Verbrennungen
zweiten Grades, wenn nicht mehr.
Warum war ich berhaupt noch am Leben?
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Keine Zeit, jetzt darber nachzudenken, oder ich wrde es nicht mehr lange
bleiben. Zwei Angreifer strmten herein, Maschinenpistolen im Anschlag. Zwei-
fellos rechneten sie damit, der Vollstndigkeit halber nur noch ein paar Kugeln in
zwei Haufen gegrillten Fleisches pumpen zu mssen. Ich begrte den ersten mit
einer Kugel aus dem Manhunter, die durch die Unterlippe schlug und ihm das,
was er fr ein Gehirn hielt, aus dem Hinterkopf pustete. Der zweite Killer duckte
sich, wirbelte herum und zog durch, whrend ich meine Waffe noch in Anschlag
brachte. Kugeln bohrten sich um mich herum in die Wnde, und ich wute, ich
war tot. Dann traf ihn eine Kugel seitlich in den Hals und brachte ihn aus dem
Gleichgewicht und seine Kanone vom Ziel ab, whrend ihm eine zweite den Un-
terkiefer zerschmetterte. Als er hintenber kippte, jagte ich ihm noch eine Kugel
in die Kehle, und das war es dann. Seine Todeszuckungen sorgten dafr, da sich
der Munitionsclip der MP in die Decke entleerte, dann war es im Apartment still.
Nein, nicht still. Ich konnte hastende Schritte im Flur hren. Ich rannte durch
das Zimmer, bersprang die Leichen und platzte durch die Trffnung. Eine
Gestalt floh ber den Flur, ein kleiner wieselartiger Elf. Der Magier des Killer-
Trios? Eine gute Wette. Ich schickte fnf Kugeln hinter ihm her. Er kreischte auf,
als sie neben ihm in die Wand schlugen. Mindestens eine Kugel traf, brachte ihn
ins Taumeln und schlug ihm etwas aus der Hand. Doch dann wirbelte er herum
und schnatterte etwas in einer Sprache, die ich nicht kannte. Ich versuchte mich
zurck in das Apartment zu werfen, aber es war zu spt.
Der Spruch traf mich, doch er ttete mich nicht. Statt dessen brachte er nur
meinen Schdel zum Klingeln, etwa so wie ein guter solider Fausthieb auf die
Kinnspitze. Ich torkelte zurck, bis ich gegen die Wand stie, glitt langsam zu
Boden und sah hilflos mit an, wie zwei Elfen um zwei Ecken am Ende des Flurs
bogen und verschwanden. Ich versuchte meine Kanone zu heben, um ihm noch
ein Abschiedsgeschenk mit auf den Weg zu geben, aber der Manhunter wog
pltzlich eine Tonne. Ich gab mein Vorhaben als schlechte Idee auf.
Dann schwamm Jocasta in mein Gesichtsfeld. Alles in Ordnung? fragte sie
drngend.
Ich nickte und versuchte ein forsches Unkraut-vergeht-nicht-Lcheln in mein
Gesicht zu zwingen. Ihrer Miene nach zu urteilen, schaffte ich es nicht ganz.
Alles in Ordnung, sagte ich, und das war nur zum Teil gelogen. Meine Denk-
prozesse waren so zh wie kalter Sojasirup, aber die Desorientierung legte sich
langsam. Dennoch fhlte ich mich ziemlich lausig.
So gern ich es auch getan htte, ich konnte nicht einfach sitzen bleiben und
mich in Jocastas Anteilnahme aalen. Sogar in den Barrens werden ein Feuerball
und ein Feuergefecht irgend jemandes Aufmerksamkeit erregen. Wir muten die
Gegend verlassen.
Helfen Sie mir auf, sagte ich. Wir mssen von hier verschwinden.
Wir nahmen meinen Wagen, doch Jocasta fuhr. Sowohl mein Gleichgewichts-
als auch mein Wirklichkeitssinn kehrten langsam zurck, aber ich traute mir
noch nicht wieder zu, mich hinter das Steuer zu setzen. Die ersten paar Minuten
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schwiegen wir beide: Jocasta konzentrierte sich auf das Fahren, whrend ich den
Gegenstand in den Hnden herumdrehte, den meine Schsse dem Elfenmagier
aus der Hand geschlagen hatten. Es war ein weiter Armreif aus gehmmertem
Silber. Darin eingearbeitet war ein groer schwarzer Stein, wahrscheinlich ein
Onyx, der von in das Metall eingravierten feinen Linien und Schneckenverzie-
rungen umgeben war. Ich kannte die Symbolik nicht, aber sie war ziemlich ver-
schlungen und schien magische Bedeutung zu haben. Ich fand das Ding ziemlich
beunruhigend.
Der Armreif war jedoch nicht das einzig Beunruhigende. Ich glaubte mir zu-
sammenreimen zu knnen, was im Flur passiert war, warum der letzte Spruch
des Elfs mich nur umgehauen hatte, anstatt mich auf der Stelle zu geeken. Ent-
weder hatte ich ihm nicht genug Zeit gelassen, etwas Tdlicheres zuwege zu
bringen, oder er hatte einfach nicht mehr genug Saft gehabt, nachdem er den
Feuerball geschleudert hatte. (Natrlich konnte ich mich auch irren.) Doch was
war mit dem Feuerball selbst?
Ich sah zu Jocasta hinber. Sie war ebenso angesengt wie ich, und ihre Kla-
motten waren genauso hinber wie meine. Zu jeder anderen Zeit wren die be-
trchtlichen Hautflchen, die durch die Brandlcher in diesen Klamotten zu se-
hen waren, faszinierend gewesen, doch jetzt sah diese Haut gertet und verbrannt
aus. Sie sa steif auf dem Fahrersitz und versuchte die Kontaktflche mit der
Polsterung so gering wie mglich zu halten.
Was, zum Teufel, ist eigentlich passiert? sagte ich schlielich. Wir htten
gegrillt werden mssen. Waren Sie das?
Spruchabwehr, beantwortete sie meine erste Frage. Magier und Schama-
nen knnen Menschen in ihrer Nhe vor den Auswirkungen magischer Angriffe
schtzen. Sie lchelte kaum merklich. Teilweise schtzen, fgte sie hinzu.
Dann waren Sie es?
Sie schttelte den Kopf. Kein Stck, sagte sie entschieden. Ich kenne die
Theorie, aber die Praxis hab ich nie gelernt.
Knnten Sie es instinktiv getan haben?
Sie wrdigte diese Frage nicht mal mit einer Antwort. Ich griff nach einem
Strohhalm, das wute ich. Die einzige andere Mglichkeit fand ich nicht unbe-
dingt beruhigend: Jemand anders hatte uns beschtzt. Was bedeutete, jemand
anders beobachtete uns. Und, um ehrlich zu sein, die Vorstellung gefiel mir nicht
besonders.
Womit spielen Sie da herum? fragte Jocasta. Ihrem Tonfall konnte ich ent-
nehmen, da sie das vorangegangene Thema ebenso beunruhigend fand wie ich
und sofort davon wegkommen wollte.
Sagen Sie es mir. Der Elfenmagier hat es fallengelassen, als ich ihn ange-
schossen habe. Vielleicht ist es irgendwelcher magischer Drek.
Jocasta nahm mich beim Wort und fuhr an den Straenrand. Ich gab ihr den
Armreif, und sie musterte ihn eingehend. Es ist ein magischer Gegenstand,
sagte sie nach einer Weile. Ich kann die Kraft in ihm spren. Ich glaube, er ist
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schamanisch.
Ach?
Schamanen knnen auch Feuerblle schleudern. Das knnen Sie mir glau-
ben.
Ich nahm mir das zu Herzen. Und was ist es nun?
Sie schwieg eine Minute oder so. Es ist irgendein Fokus, ein Kraftfokus, glau-
be ich. Aber ...
Aber was?
Aber er hat irgendwas Komisches an sich, sagte sie fast entschuldigend. Er
ist ... unrund, besser kann ich es nicht beschreiben. Hier, nehmen Sie ihn zu-
rck, er gefllt mir nicht.
Ich nahm ihr den Armreif wieder ab, und sie fuhr weiter. Mir fiel auf, da wir in
Richtung nrdliche Innenstadt fuhren. Wo fahren Sie hin? fragte ich.
Zur Uni, sagte sie. Wir brauchen ein Versteck, richtig? Ich nickte: Meine
Bude in Purity war, wie man so schn sagt, aufgeflogen. Harold kann uns hel-
fen. Vielleicht kann er uns etwas ber diesen Armreif sagen.
Ich grinste sie an. Unser Verstand schien sich auf parallelen Bahnen zu bewe-
gen. Irgendwas sagte mir, da der Armreif wichtig sein knnte. Offensichtlich
hrte Jocasta dieselbe innere Stimme. Natrlich war ich nicht so sicher, da Ha-
rold Der-in-den-Schatten-wandelt eine gute Wahl war. Er mochte ein brandheier
Universittsprofessor sein, aber diese Talentausprgung mochte nicht die sein,
welche wir im Moment am dringendsten brauchten, um am Leben zu bleiben.
Fahren Sie nach Capitol Hill, sagte ich.
Sie straffte sich sichtlich. Warum?
Ich hab dort einen Kontakt. Ich glaube, er wird uns eher helfen knnen.
Ich vertraue Harold. Er wird uns verstecken, und ...
Ich fiel ihr sanft, aber bestimmt ins Wort. Und als Gegenleistung ziehen wir
ihn in denselben Drek hinein, in dem wir stecken. Der Chummer, zu dem ich
will, ist ein Shadowrunner. Das ist sein Geschft, das ist sein Leben. Er wei,
was auf ihn zukommt, und er wei, wie man in meiner Welt am Leben bleibt.
Ich betonte das Wort meiner. Jocasta zuckte zusammen, und ich wute, ich
hatte mit meinem Argument ins Schwarze getroffen.
Ich wei Ihre Bemhungen zu wrdigen, sagte ich so aufrichtig, wie ich
konnte, und wenn uns mein Chummer nicht sagen kann, was dieses Ding hier
ist, knnen wir Harold nach seiner Meinung fragen. Aber wir werden es auf eine
Weise tun, die ihn nicht das Leben kostet. Okay?
Sie gab keine Antwort, aber an der nchsten Kreuzung bog sie nach rechts ab,
und ich wute, ich hatte gewonnen.
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D
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er silberne Armreif fing die Nachmittagssonne ein, whrend ihn Rodney
Greybriar in den Hnden drehte. Verblffend, sagte er. uerst faszinie-
rend. Er sah auf und lchelte Jocasta zu. Auf den ersten Blick stimme ich mit
Ms. Yzerman berein. Ein Kraftfokus, gewi, und sogar einer von betrchtlicher
Macht. Doch wie Ms. Yzerman ...
Jocasta, sagte sie.
Greybriars Lcheln vertiefte sich. Wie Jocasta habe ich etwas Sonderbares in
seiner Aura gesprt. Sogar etwas sehr Sonderbares.
Und das ist alles? fragte ich.
Im Augenblick, ja, sagte er gelassen. Kann ich das eine Weile behalten?
Ja, klar, sagte ich. Es war seltsam: Ich mochte den kompetent wirkenden Elf
immer noch, aber er war so weltmnnisch, da ich langsam glaubte, im Vergleich
mit ihm schlecht wegzukommen. Ich kam mir unkultiviert vor, whrend er die
Krone der Zivilisation und Hflichkeit war. War es nur sein Akzent oder einfach
die Tatsache, da er ein Elf war? Mit einiger Mhe schob ich diese Gedanken
weit von mir. Knnen Sie herausfinden, was es ist? fragte ich ihn.
Ich werde auf jeden Fall tun, was ich kann, versicherte er mir. Er dachte
einen Augenblick lang nach, dann sagte er: Erzhlen Sie mir noch einmal, was
in Ihrem Apartment passiert ist.
Ich schilderte ihm den Angriff erneut. Als ich beim Feuerball angelangt war,
begannen meine zahllosen Verbrennungen trotz der Schmerztabletten, die ich
geschluckt und trotz der Brandsalbe, die der Elf uns fr unsere versengte Haut
gegeben hatte, wieder zu stechen. Als ich fertig war, nickte er. Auch in diesem
Punkt wrde ich Jocasta recht geben. Mit allergrter Wahrscheinlichkeit hat
Ihnen eine Spruchabwehr das Leben gerettet.
Knnte ich es getan haben, ohne mir dessen bewut zu sein? fragte Jocasta.
Der Elf schttelte den Kopf. Ich habe Ihre Aura untersucht. Sie haben zwar
das Potential, aber Sie sind den Weg des Schamanen noch nicht weit genug ge-
gangen, um Ihre Macht ausreichend kontrollieren zu knnen. Ohne Warnung
hob er die Stimme und rief: Amanda!
Die gertenschlanke Blondine stand pltzlich neben ihm. Jocasta erschrak ange-
sichts der Pltzlichkeit ihres Auftauchens, doch sie fing sich rasch wieder. Aman-
da bedachte mich mit einem warmen Lcheln und wandte sich dann an Rodney.
Ja?
Amanda, begann er, doch die Anima wute bereits, was er sagen wollte. Ja,
ich habe sie gerettet, sagte sie schlicht.
Warum? fragten der Elf und ich simultan.
Amanda zuckte die Achseln. War das falsch? fragte sie unschuldig.
Ich wrde nur gern wissen, warum, fuhr Rodney fort.
Der Geist zuckte wieder die Achseln. Er gefllt mir, das ist alles. Es wre doch
eine Schande gewesen, einfach zuzusehen, wie er gegrillt wird.
Rodney warf mir einen sinnenden Blick zu. Ein Knigreich fr seine Gedan-
ken. Folgst du ihm? fragte er.
Amanda wirkte verlegen, fast wie ein Kind, das mit der Hand in der Keksdose
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erwischt worden ist. Manchmal, erwiderte sie, wenn ich nicht hier bin.
Macht es Ihnen etwas aus? fragte mich Rodney. Wenn es Sie strt, werde
ich sie bitten, damit aufzuhren.
Ich fragte mich, ob Amanda damit aufhren wrde, auch wenn er sie darum bat.
Die Bezeichnung Freier Geist schien weitaus inhaltsschwerer zu sein, als ich
zunchst gedacht hatte. Sie hat unser Leben gerettet, sagte ich. Wenn sie es
wieder tun will, wollen wir uns deswegen nicht streiten.
So sei es. Rodney rieb sich kurz die Hnde: zum Geschft. Ich nehme an,
Sie brauchen, h, einen sicheren Ort, wo Sie bleiben knnen, korrekt? Vermut-
lich etwas anderes als ein Hotel.
Ich nickte. Mir scheinen pltzlich die Apartments ausgegangen zu sein, sag-
te ich trocken.
Wie es mit den Buden nun mal so ist, im Vergleich zu Purity war es gewi ein
Aufstieg um ein paar Stufen. Fnfzig, vielleicht. Rodney hatte uns den Mag-
schlssel zu einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Capitol Hill gegeben, die
nur ein paar Blocks von seiner eigenen Bude entfernt war. Klein, nach den Ma-
stben von Capitol Hill, vielleicht, aber meine gesamte Bude in den Barrens
htte in das kleinere der beiden Schlafzimmer gepat. Die Wohnung hatte eine
echte Kche, nicht blo Mikrowelle und Waschbecken, und das Badezimmer
hatte sowohl eine Badewanne als auch eine Dusche. Und man hatte hier sogar
eine halbwegs ordentliche Aussicht.
Sie gehrt zwei Chummern von mir, die gegenwrtig in bersee arbeiten,
hatte Rodney uns mitgeteilt. Bitte, h, sorgen Sie, wenn eben mglich, dafr,
da noch alles in einem Stck ist, wenn sie zurckkommen. Dann wurde er ern-
ster. Sie haben mich fr astrale Sicherheit angestellt aber ich habe noch nichts
dergleichen eingerichtet. Wre es Ihnen lieber, wenn ich es hier tue?
Ich dachte einen Augenblick darber nach und sagte dann: Sorgen Sie ledig-
lich fr ein Minimum, bis ich mir unseren nchsten Zug berlegt habe.
Er nickte. Was immer Sie wollen, aber ich kann Ihnen nur raten, h, einfach
dort zu bleiben und sich bedeckt zu halten, bis Sie wissen, wie dieser Zug aus-
sieht.
Guter Rat. Sobald wir dort angekommen waren, losten Jocasta und ich um das
groe Schlafzimmer. Ich hatte verloren. Whrend also Jocasta die Badewanne
ausprobierte, nahm ich mir das Telekom vor.
Das war der einzige Nachteil dieser Wohnung, wie ich schnell herausfand.
Das Telekom spielte nicht annhernd in derselben Liga wie die Einheiten in
meinen Apartments. Was fr eine Wohnung, die Shadowrunnern gehrte, wie
Rodney hatte durchklingen lassen, erstaunlich war. (Oder vielleicht doch nicht
so erstaunlich. Wenn sie wegen eines greren Jobs in bersee waren, hatten
sie vielleicht smtliche brauchbare Ausrstung mitgenommen und lediglich ein
hirntotes Telekom dagelassen, nur um bis zu ihrer Rckkehr alle eingehenden
Nachrichten aufzuzeichnen.)
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Jedenfalls mute ich improvisieren. Ich rief schnell mein System in Auburn
an, das berraschenderweise immer noch ans Netz angeschlossen war, und lud
Buddys Verarsch-das-LTG-Utility. Das neue Telekom benutzte eine andere
Hardware als meine beiden Einheiten, und seine Fhigkeiten waren wesentlich
eingeschrnkter, aber ich schaffte es, zumindest eine rudimentre Verbindung
zwischen den beiden Apparaten herzustellen. Ich konnte von dieser Wohnung
aus nicht mit der gewohnten Geheimhaltungsgarantie telefonieren, aber zumin
dest wurden alle in Auburn eingehenden Anrufe auf dieses Telekom gelegt, ohne
da irgend jemand von der Schaltung wute. Man mu auch fr die kleinen Freu-
den dankbar sein.
Ich war mit meinem Betrug an der Telekomgesellschaft gerade fertig geworden
und inspizierte den Spirituosenschrank bemerkenswert gut sortiert , als das
soeben eingerichtete Telekom summte. Zweimal summte, um anzuzeigen, da
der Anruf ursprnglich an meine Auburner Nummer gerichtet war. Ich zgerte.
Ich war etwas nervs verstndlicherweise, nachdem jemand versucht hat, mich
zu grillen. Auerdem war es durchaus mglich, da der Anrufer dieselbe Person
war, welche die Killer angeheuert hatte, und einfach sehen wollte, ob ich noch in
der Verfassung war, ans Telekom zu gehen.
Also ging ich nicht ans Telekom, jedenfalls nicht persnlich. Ich drckte
den Knopf, der den Text des Anrufbeantworters abspielen lie. Hier ist eins-
zweinullsechs, achtsieben, sechssechsnulldrei. Bitte hinterlassen Sie eine Nach-
richt.
Ein hartes mnnliches Gesicht fllte den Schirm aus. Mitte Vierzig, stahlgraues
Haar und eine Kinnlade wie ein Lffelbagger. Dunkle kleine Schweinsuglein,
und seine Stimme klang wie zwanzig Kilometer schlechter Strae. Nehmen Sie
schon ab, Montgomery, krchzte er. Ich wei, da Sie gerade an dieser Num-
mer herumgepfuscht haben.
Mir wurde kalt Quincy hatte mir versichert, es sei unmglich, die Schaltung
zu entdecken , dann wtend, was wahrscheinlich lediglich die Reaktion auf die
Angst war. Ich drckte die Empfangstaste, vergewisserte mich jedoch zuvor, da
die Videokamera ausgeschaltet war. Und wer, zum Teufel, sind Sie? fauchte
ich zurck.
Captain Scott Keith, Drug Enforcement Department.
Ich war froh, da die Kamera ausgeschaltet war: Ich bin sicher, ich wurde kalk-
wei, und meine Augen quollen ber. Scott Keith und DED kannte ich glckli-
cherweise nur dem Namen nach. DED war eine halbautonome Abteilung von
Lone Star, die sich hauptschlich aus Ex-Mitgliedern der alten UCAS Drug
Enforcement Agency oder DEA rekrutierte. In den letzten Jahrzehnten hatten die
DEA und spter das DED ihr Augenmerk ber Drogen hinaus auch auf illegale
Chips gerichtet, aber niemand hatte sich die Mhe gemacht, den Namen zu n-
dern. Scott Keith hatte sich bis fast an die Spitze der DEDHierarchie gelogen
und betrogen, was ihm einen Ruf eingebracht hatte, der einer Kreuzung zwischen
Raubritter und Konzernkiller wrdig gewesen wre. Unter seiner Fhrung hatte
205
das DED eine phnomenale Erfolgsquote im Kampf gegen BTL-Verteiler und
-Dealer aufzuweisen, doch um den Preis noch eklatanterer Verste gegen die
brgerlichen Rechte der Bevlkerung, als bei Lone Star blich und das wollte
etwas heien.
Also will ich es gerne zugeben. Es machte mir eine Scheiangst, da Scott Keith
mich aus dem Telekom anglotzte, und da er wute, ich hatte gerade irgendeinen
Trick damit abgezogen. Nicht, da ich irgendwas mit dem DED zu tun gehabt
htte. Ich bin weder Chipdealer noch Chipkonsument, und deshalb hat man kein
offizielles Interesse an mir. Aber wenn Keith mich aufspren konnte, und sei es
auch nur in diesem bescheidenen Rahmen, was war dann mit den anderen Abtei
lungen Lone Stars, denjenigen, die mir nur allzugern das Fell abziehen wrden?
Selbst wenn Keith Zugang zu Informationsquellen hatte, die dem Rest des Stars
verschlossen waren, konnte ihn nichts davon abhalten, sein Wissen an andere
Mitglieder der Organisation weiterzugeben. Die Dinge standen pltzlich um ei-
niges gefhrlicher fr mich. Genau das, was mir gerade noch gefehlt hatte.
Natrlich durfte ich Keith nicht wissen lassen, da ich bis in die Haarspitzen
zitterte. Und, was wollen Sie? grollte ich.
Mit dem, was als nchstes kam, hatte ich nicht gerechnet. Lone Star hat Pro-
bleme, sagte Scott Keith. Und das bedeutet, ich habe Probleme. Er grinste
bse. Und das bedeutet, Sie haben Probleme, Montgomery. Es sei denn, wir
knnen eine Art Vereinbarung treffen.
Alles in mir schrie Falle!, aber ich konnte nicht das Risko eingehen, einfach
aufzulegen. Was fr eine Vereinbarung?
Sie helfen mir, ich helfe Ihnen, zum Beispiel.
Vergessen Sies, Keith. Ich traf keine Anstalten, die Verbindung zu unterbre-
chen, aber ich hoffte, mein Tonfall wrde ihn denken lassen, da ich es tat. Ich
wollte sehen, wie ernst es ihm mit dieser Vereinbarung war.
Warten Sie, schnappte er. Legen Sie nicht auf. Wenn Sie sich nicht wenig-
stens anhren, was ich zu sagen habe, sind Sie noch dmlicher, als ich dachte.
Reden Sie, sagte ich nach einem Moment.
Ich hab gehrt, Sie whlen nach Drek ber Yamatetsu.
Das lie meine Augenbrauen auf Hhe des Haaransatzes schieen, aber ich
schaffte es, einen gleichmtigen Tonfall zu bewahren. Vielleicht.
Wir auch. Fragen Sie mich nicht, warum, weil ich es Ihnen, verdammt noch
mal, bestimmt nicht sagen werde.
Interessiert mich nen Drek, warum sies tun, log ich. Ich konnte mir denken,
warum Keith an Yamatetsu interessiert war. Jemand beim DED, vielleicht sogar
Keith selbst, hatte die Verbindung zwischen SPISES Booster-Technologie und
2XS hergestellt. Reden Sie weiter.
Wir sind zurckgepfiffen worden, schrie er beinahe. Zum erstenmal war sei-
ne Wut nicht gegen mich gerichtet, und ich geno es sehr, ihn mit den Zhnen
knirschen zu sehen. Mir wurde befohlen, die Untersuchungen einzustellen.
Ach? sagte ich amsiert. Und wer hat den Stecker gezogen?
206
Die Vizeprsidentin, antwortete er. Corbeau, dieses Miststck.
Sehr interessant, Mariane Corbeau, Lone Stars Vizeprsidentin fr den Be-
reich Seattle, hatte den Ruf, jemand von der vollkommen unbestechlichen Sorte
zu sein. Natrlich benutzen manche Leute die Aura der Unbestechlichkeit nur als
Handelsobjekt, um den Preis in die Hhe zu treiben. Offensichtlich traf das auf
Corbeau zu. Jedenfalls hatte es den Anschein, als habe sich Yamatetsu, vielleicht
in Gestalt von Jacques Barnard, eine Vize gekauft.
Ergab das berhaupt einen Sinn? fragte ich mich, als ich an das verwickelte
innerbetriebliche Gerangel bei Yamatetsu dachte. Weiter, sagte ich, mehr um
mir Zeit zum Nachdenken zu verschaffen als alles andere.
Ich glaube, sie hat sich verkauft, schnaubte er, meine Gedanken laut ausspre-
chend. Seit sie wieder voll im Dienst ist, benimmt sie sich ziemlich sonderbar.
Das erregte erneut meine Aufmerksamkeit. Mir kam ein besonders hlicher
Gedanke. Wiederholen Sie das, schnappte ich. Sie sagten, wieder voll im
Dienst. War sie krank?
Sie hatte nen Autounfall. War fast dran gestorben. Seiner Miene nach zu ur-
teilen, war er nicht gerade berglcklich darber, da sie berlebt hatte. Schielte
Scott Keith auf ein Vizeprsidentenbro?
Natrlich war das im Augenblick unwichtig. Wann war das? fragte ich.
Liegt schon ein paar Monate zurck. Dann verengten sich seine Augen zu
Schlitzen. Warum interessiert Sie das?
Reine Neugier, log ich. Machen Sie weiter, Sie wollten mir einen Handel
anbieten.
Ja, einen Handel. Sein Lcheln war hochgradig unfreundlich. Ich kann ber
Yamatetsu nichts mehr ausgraben. Also werden Sie graben. Sie werden Drek
ausgraben, insbesonders solchen, der Corbeau anschmiert, dann kann ich Ihnen
den Rest der Truppe vielleicht vom Leib halten. Er kicherte bsartig. Ich knn-
te Ihnen sagen, Sie seien tot. Oder vielleicht zeig ich ihnen auch den Beweis, der
belegt, da Sie die Yzerman-Schnalle nicht gegeekt haben.
Und wenn ich sage, verpi dich?
Er zuckte die Achseln und versuchte eine treuherzige Miene aufzusetzen eine
absolute Unmglichkeit. Ich wei ne Menge ber Sie, was die anderen Abtei-
lungen nicht wissen, Montgomery. Zum Beispiel wei ich von der Bude, die Sie
in den Barrens haben, und von der tollen Konzernbraut, mit der Sie durch die Ge-
gend ziehen die Schwester von dem toten Mdchen. Es ist ganz einfach meine
Pflicht, mein Wissen an meine Kollegen weiterzugeben, stimmts?
Es war beruhigend zu wissen, da Keith mir nicht so dicht auf den Fersen war,
wie er dachte, sonst htte er gewut, da mein Ausweichquartier in den Barrens
in einen Pizzaofen verwandelt worden war. Aber ich konnte nicht abstreiten, da
er genug ber mein Vorgehen wute, um dem Rest des Stars einen ziemlich guten
Hinweis darauf zu geben, wie sie mich aufspren konnten. Sie verlangen also
lediglich von mir, da ich was ber Yamatetsu ausgrabe? fragte ich ihn.
Nein. Ich verlange von Ihnen, da Sie richtig tief graben. Finden Sie die
207
Leichen im Keller, Montgomery. Er hielt kurz inne, und ich sah sein breites
Grinsen, als ihm eine neue Idee kam. Lassen Sie uns daraus n kleines Spiel
machen, sagte er, und was wre n Spiel ohne n Zeitlimit, hm? Wenn Sie
nicht einigen Drek ausgraben, und zwar in was meinen Sie, Montgomery?
drei Tagen? Ja, das klingt gut. Wenn Sie in drei Tagen nicht einigen richtig blen
Drek ausgraben, mu ich meine Pflicht tun, lnger kann ich es nicht zurckhal-
ten. Klingt das nicht nach einem echt guten Spiel? Na, was ist? Spielen Sie bei
meinem kleinen Spiel mit?
Verfluchter sadistischer Schweinehund, dachte ich. Doch ich hielt meinen Ton-
fall so lssig, wie ich konnte. Warum nicht? Ich hab gerade nichts Besseres vor.
Geben Sie mir ne Nummer, wo ich Sie erreichen kann.
Er grinste, wobei er seine Soykaf-verfrbten Zhne bleckte. Eine lokale LTG-
Nummer erschien am unteren Schirmrand, und ich speicherte sie ab. Wenn Sie
irgendwas finden, erzhlen Sies dem netten Apparat, instruierte mich Keith.
Bis bald, Montgomery. Er hob seine Uhr vor die Videokamera, so da sie
meinen Schirm ausfllte. Die Uhr luft.
Ich hieb so hart auf die Unterbrechungstaste, da die Tastatur beinahe zerbrach.
Drekskerl! Scott Keith vereinigte in sich alles, was an Lone Star schlecht war.
Ich wute, worauf er hoffte. Er hoffte, bei dem Versuch, den Star abzuschtteln,
wrde ich Yamatetsu direkt in den geffneten Rachen springen. Oder, um eine
andere Metapher zu benutzen, er hoffte, ich wrde aufs Schlachtfeld marschie-
ren, whrend er gelassen im Hintergrund abwartete, wer mich geekte. Dann wr-
de er diese Spur verfolgen, weil eine Morduntersuchung kein direktes Vorgehen
gegen Yamatetsu war.
Natrlich hatte er sich nach beiden Richtungen abgesichert. Wenn ich es schaff-
te, am Leben zu bleiben und tatschlich etwas Ntzliches prsentierte, wrde
er es benutzen, um Mariane Corbeau abzuservieren und sich auf ihren Platz zu
schlngeln. Und was wrde er dann tun? Meinen Namen von Lollys Tod reinwa-
schen und dem Rest des Star Anweisung geben, Dirk Montgomery zu vergessen?
Nicht im Traum: Er wrde alles benutzen, was er wute, und auerdem noch all
das, was er zustzlich erfahren konnte, um mich aufzuspren und zur Strecke zu
bringen, und sei es nur, um die Tatsache zu verschleiern, da die Verdrngung
Corbeaus eine vorstzlich geplante Aktion war. Einfach groartig.
22
A lso hie es wieder mal: Auf zu Buddy. Seit ich das Gesprch mit Herrn Scott
Keith beendet hatte, spukte mir eine hliche Idee im Hinterkopf herum.
Tatschlich sogar mehrere Ideen, alle mehr oder weniger unangenehm. Die Ge-
dankenkette lief in etwa folgendermaen: Die unbestechliche Mariane Corbeau,
Vizeprsidentin bei Lone Star, stellt irgendwas Dmliches mit ihrem Wagen an
und kommt dabei ziemlich bel unter die Rder. Kurz nachdem sie wieder voll
im Dienst ist, zwingt sie Keith und das DED, eine auf Yamatetsu abzielende
Untersuchung einzustellen. Offensichtliche Schlufolgerung: Sie ist gekauft
208
worden.
Nicht so offensichtliche Schlufolgerung: Yamatetsu hat sie auf andere Wei-
se am Wickel. Yamatetsu ... oder irgendeine Abteilung oder Tochtergesellschaft
des Konzerns. Zum Beispiel Crashcart Medical Services, die der halbautono-
men Abteilung Integrierte Systemprodukte gehren? Crashcart, der Verein, der
irgendwas Unschnes in die Cyberersatz-Schulter eingesetzt hatte, die der ver-
storbene und vielbetrauerte Daniel Waters erhalten hatte. Sorgen Sie dafr, da
die Yamatetsu-Untersuchung eingestellt wird, Corbeau, sonst schalten wir den
2XS-Schaltkreis in ihrem Cyber-Arm ab. Es ergab auf eine schreckliche Art
und Weise einen Sinn.
Vorausgesetzt, da Corbeau nach ihrem Unfall von Crashcart eingesammelt
worden und irgendeine Cyberprothese erforderlich gewesen war. Ansonsten
war das ganze logische Gebude im Eimer. Unglcklicherweise ist das nicht die
Art von Info, die in Anbetracht der medizinischen Ethik und der Furcht vor
Kunstfehlerprozessen leicht ausgegraben werden kann. Die Aufzeichnungen
von Crashcart und DocWagon sind, wenn das berhaupt mglich ist, noch unan-
tastbarer als die Krankenbltter in den medizinischen Archiven der Kliniken. Es
werden definitiv keine Ausknfte erteilt.
Daher mein Besuch bei Buddy. Sie ffnete die Tr ihres Apartments beim er-
sten Klopfen und lie mich wortlos eintreten. Alles schien so wie bei meinem
letzten Besuch, abgesehen davon, da Buddy anscheinend weniger Interesse am
Hausputz hatte denn je. Sie sagte nichts, bis sie ihren gemtlichen Lotussitz ein-
genommen hatte. Dann sah sie mir direkt ins Gesicht. Was ist es diesmal?
Crashcart. Zuerst das Klientenverzeichnis; und wenn die Person, an der ich
interessiert bin, tatschlich Klient ist, will ich ihre Krankenakte sehen.
Daran hatte sie einen Augenblick zu kauen. Hart. Sehr hart.
Hast du denn dort keine Hintertr?
Ihre Miene wurde fast unmerklich weicher, die grte Annherung an ein L-
cheln, die ich in jener Phase ihres Zyklus je von ihr bekommen wrde. Viel-
leicht. Trotzdem hart. Warum? Ich lchelte nur und schttelte den Kopf. Sie
wurde erneut rgerlich, sowohl ber mich, weil ich es ihr nicht sagte, als auch
ber sich selbst weil sie eine derart unprofessionelle Frage gestellt hatte. In
Ordnung, meckerte sie schlielich.
Um wen geht es?
Mariane Corbeau. Vizeprsidentin bei Lone Star.
Buddy lie nicht die leiseste Reaktion erkennen. Eine Zielperson war so gut
wie die andere. Hast du ihre SIN?
Sie wollte sie mir nicht geben.
Buddy sah noch griesgrmiger aus, und ich fragte mich, wie es wohl war, un-
berechenbare Dementia ein Ausdruck, den ich mal bei einem Seelenklempner
aufgeschnappt hatte zu haben. Ihren Reaktionen nach fragte ich mich manch-
mal, ob ihre Fragen und Kommentare berhaupt ihrer geistigen Kontrolle un-
terlagen und nicht vielleicht fr sie ebenso berraschend und manchmal be-
209
strzend kamen wie fr mich. Das mute eine der entsetzlichsten Situationen
berhaupt sein. Wie kam Buddy damit zurecht?
Whrend mir all das durch den Kopf ging, berdachte Buddy mein Ansinnen.
Okay, sagte sie schlielich. Standardtarif.
Ich nickte und bckte mich, um das Trampnetz aufzuheben.
Nein. Buddys Stimme war scharf. Ich verharrte reglos, die Dornenkrone halb
auf dem Kopf. Nein, sagte sie etwas ruhiger. Harter Run. Keine Tramper.
Ich mu mitkommen, Buddy. Ich hielt meine Stimme leise und vernnftig
und redete mit ihr so, wie ich vielleicht mit einem unberechenbaren Hund gere-
det htte. Ich wei nicht genau, wonach ich suche und was wichtig ist. Das wei
ich auch erst, wenn ich es sehe. Ich mu mitkommen.
Verlangsamt meine Reaktion. Ihre Stimme war jetzt eher gereizt denn w-
tend, und ich hatte den Eindruck, diese Auseinandersetzung gewinnen zu kn-
nen.
Es ist wichtig, Buddy, sagte ich, indem ich meine Stimme zur Verkrperung
ernster Aufrichtigkeit machte. Ich mu mitkommen. Dann fgte ich hinzu:
Doppelter Tarif?
Sie sah besorgt aus, und ich fragte mich, ob mein Drngen nicht unangebracht
war. Schlielich war sie der Experte. Wenn sie jetzt immer noch ablehnte, wrde
ich es dabei bewenden lassen.
Dann nickte Buddy pltzlich. Doppelter Tarif. Okay. Ihrer Miene konnte ich
entnehmen, da es ihr nicht gefiel. Das galt auch fr meinen Kredstab, aber ich
wute, es wrde besser sein, wenn ich die Dinge aus erster Hand sah.
Das Trampnetz fhlte sich fast vertraut an, als sie die Riemen befestigte. Un-
angenehm vertraut, dachte ich, als ich mir die letzte Gelegenheit ins Gedchtnis
rief, bei der ich es getragen hatte. Die Sehnsucht nach der Scheinrealitt des
2XS-Chips war verblat, aber manchmal trumte ich noch Bilder aus jener Er-
fahrung. Ich setzte mich diesmal auf den Boden und nickte Buddy zu. Es
kann losgehen.
Sie legte sich ihr Excalibur-Deck auf die Knie und hmmerte dann auf die
Tasten ein.
Wiederum jener Augenblick der Blindheit, dann platzte der Elektronenhimmel
der Matrix in mein Bewutsein. Ich htte gedacht, ich erinnerte mich an seine
Schnheit aber ich sah augenblicklich, wie bla und unzulnglich die Erinnerung
war, wenn es darum ging, ein Erlebnis wie dieses zu konservieren. Ich hrte mich
angesichts der Herrlichkeit laut aufsthnen.
Wie beim erstenmal strzten wir aus dem Ebenholzhimmel auf das leuchtende
Netzwerk des Bodens unter uns zu und tauchten dann in eine der Datenleitun-
gen ein, welche die Landschaft durchzogen. Das Gefhl von Geschwindigkeit
war berwltigend, und ich wollte vor Begeisterung laut aufschreien.
Viel zu frh verlieen wir die Leitung in einer anderen Ecke der Matrix. Ein
riesiges Icon erwartete uns. Kein funkelnder goldener Stern, diesmal, sondern
ein Kreuz, dessen vier Arme aus vier identischen, in einem beruhigenden Grn
210
leuchtenden Wrfeln bestanden. Die Regelmigkeit des Icons und seine ein-
schmeichelnde Farbe weckte ein Gefhl des Friedens in mir.
Crashcart Medical Services, sagte Buddy berflssigerweise.
Wir nherten uns langsam. Als wir dem Icon nher kamen, wurde seine wahre
Gre wenn wahr berhaupt eine Bedeutung in der Matrix hat offensicht-
lich. Es berragte uns wie ein Konzernwolkenkratzer. Und es dehnte sich immer
noch weiter aus, oder vielleicht schrumpften wir auch. Schlielich standen wir an
seinem Fu, zwei Ameisen, die auf einen Apartmentblock starrten.
Wir waren jetzt buchstblich in Reichweite des grnen Gebildes, und zum er-
stenmal wurde mir ein schwaches Summen in den Ohren bewut. Es dauerte
einen Moment, bis ich es unterbringen konnte, dann erkannte ich es als ein Ge-
rusch wie von mchtigen elektrischen Transformatoren. Nicht das Summen von
Motoren oder sich bewegenden Teilen, sondern das Gerusch der Energie selbst.
Ich glaubte fast den leichten Ozongestank in der Luft riechen zu knnen.
Buddy streckte ihre schlanke Hand in Richtung der grnen Wand aus. Als sich
ihre Finger der Wand nherten, vernderte sich deren Farbton von einem vollen
und beruhigenden Ton zu einem Grn, das schrill und giftig war. Das Summen
wurde lauter und hher. Buddy zog rasch die Hand zurck, als habe sie einen
elektrischen Schlag erhalten. Massiv, grummelte sie. Bist du sicher, da es
wichtig ist?
Ich machte mir nicht die Mhe zu antworten. Sie wir begutachteten die
nichtssagende Wand ein paar Augenblicke. Dann glitten beide Hnde von Buddy
in mein Gesichtsfeld. Eine hielt ein kleines Kstchen mit einer Skala darauf,
etwas in der Art eines rztlichen Diagnoseinstruments. Die Skala wies keine
Markierungen und keine offensichtlichen Sensoren auf, durch die der Apparat
Informationen ber seine Umwelt sammeln konnte. Doch dann fiel mir ein, da
dieser Apparat in einem realen Sinn gar nicht existierte. Er war lediglich ein
Symbol fr irgendein Programm, das Buddy auf ihrem Cyberdeck laufen lie,
so, wie die gesamte Matrix ein Symbol war.
Sie hielt den kleinen Apparat hoch in der linken Hand, whrend sie mit der
rechten ber die Wand vor uns strich. Sie berhrte die leuchtende Oberflche
nicht, brachte die Hand aber so nah, da der Farbwechsel, der mir zuvor auf-
gefallen war, noch deutlicher ausfiel. Ihre Hand als Sensor benutzend, schien
Buddys Icon ein etwa zwei Meter hohes und doppelt so breites Stck der Wand
zu untersuchen. Manchmal zuckte die Nadel auf der Skala, und dann wechselte
die Farbe nicht wieder zu ihrem ursprnglichen Ton zurck, sondern behielt ihre
giftige Frbung bei.
Buddy schien vllig wahllos vorzugehen, ohne eine logische Reihenfolge oder
einen Plan, den ich ausmachen konnte. Aus Grnden der Notwendigkeit stand sie
auerdem sehr dicht vor der Wand, was es mir unmglich machte zu erkennen,
ob die Bereiche des permanenten Farbwechsels irgendeinem Muster folgten.
Sie arbeitete mehrere Minuten lang, und ich war viel zu fasziniert und, ma-
chen wir uns nichts vor, verngstigt , um sie zu unterbrechen. Schlielich grunz-
211
te sie jedoch und trat von der Wand zurck. Der kleine Apparat war pltzlich aus
ihrer Hand verschwunden. Sie stemmte ihre/unsere Hnde in ihre/unsere Hften
und betrachtete ihr Werk.
Auf dem dunkleren Hintergrund der Wand zeichnete sich ein heller, strahlend
grner Umri ab, nicht unhnlich einer Tr. Die Linien waren nicht zusammen-
hngend und an manchen Stellen breiter und intensiver als an anderen, doch
Buddy machte einen zufriedenen Eindruck. Nicht so schlecht, wie ich dachte,
bemerkte sie.
Nicht so hastig, warf ich ein, wir sind noch nicht drin, aber sie schnaubte
nur.
Bei unserer Annherung schwang die Tr auf. Als wir ber die Schwelle traten,
sprte ich fr einen Augenblick einen Schwall beiender Klte, und der Geruch
nach Ozon war pltzlich viel intensiver. Doch dann waren wir hindurch.
Hindurch und mitten in einem Bild aus dem Alptraum eines Paranoiden. Wir
standen auf einem Flur, einem langen Krankenhausflur, den weibekittelten rz-
ten und gestrkt aussehenden Schwestern und Pflegern nach zu urteilen, die in
beiden Richtungen an uns vorbeihasteten. Doch Wnde, Fuboden und Decke
des Flurs waren Spiegel. In jede Richtung links, rechts, oben und unten er-
streckten sich Reflexionen in die Unendlichkeit. Wir schienen inmitten eines Git-
ters zu hngen, eines sich bewegenden Gitters aus Gestalten, das sich endlos in
alle Richtungen erstreckte. Die Spiegeloberflchen waren jedoch nicht perfekt,
wie mir einen Moment spter auffiel: Sie wiesen einen leichten silbernen Glanz
auf, der es einem genau zu bestimmen ermglichte, wo sich die Wnde befanden.
Ansonsten, glaube ich, wren wir vollkommen desorientiert, richtungslos und
vollkommen auf unser Gefhl angewiesen gewesen, um uns zurechtzufinden.
Die rzte und Schwestern schienen unsere Anwesenheit nicht zur Kenntnis
zu nehmen. Buddy mute hastig ausweichen, um einem vorbeieilenden Arzt
Platz zu machen, wurde dadurch jedoch beinahe von einem Pfleger angerempelt,
der so darauf erpicht schien, seinen Bestimmungsort zu erreichen, da er wahr-
scheinlich mit Freuden ber uns hinweggestampft wre. Buddy fluchte wst.
In der nchsten Spiegelwand sah ich, wie eine Unendlichkeit von Buddy-Icons
mit der Hand ber ihren Krper strich, als wolle sie ein Bild ausradieren. Als sie
die Hand sinken lie, sah ich, da sich Buddys Aussehen verndert hatte. Nicht
lnger die prachtvolle junge Frau im Abendkleid sie sah jetzt aus wie eine
ziemlich arrogante rztin mittleren Alters, die denselben weien Kittel trug wie
alle anderen rzte um uns.
Die Wandlung war verblffend. Es war, als seien wir pltzlich sichtbar gewor-
den. Eine groe Schwester, die uns in Grund und Boden gestampft htte, sprang
pltzlich beiseite und grte mit einem respektvollen Kopfnicken. In unendlich
vielen Spiegelbildern sah ich Buddys vernderten Kopf zufrieden nicken.
Was jetzt? flsterte ich.
Hr auf zu flstern, fauchte Buddy in normaler Lautstrke. Sie knnen uns
nicht hren, wir unterhalten uns nicht hier.
212
Ich lie die philosophischen Implikationen dieser Bemerkung auen vor. Was
jetzt? wiederholte ich.
Buddy schwieg einen Augenblick, dann setzte sie sich entschlossen in Bewe-
gung. Der Verkehr flo um uns herum anstatt zu versuchen, durch uns hindurch-
zumarschieren. Offensichtlich hatte das System akzeptiert, da wir hierher ge-
hrten.
Der Flur war lang, mit vielen Biegungen und Abzweigungen. Unbezeichnete
Tren, deren Farbe etwas grauer war als das Silber der Wnde, sumten den Flur.
Meiner Schtzung nach waren wir vielleicht einen halben Kilometer weit gelau-
fen, als sich der Flur zu einer Art zentralen Eingangshalle verbreiterte, von der
andere Flure in alle Richtungen abzweigten. Ein spiegelblankes Pult, das ich fr
die Aufnahme hielt, stand in der Mitte. Das Pult war mit mehreren diensteifrig
aussehenden Weikitteln besetzt.
Buddy ging direkt zum Pult. Die Akten? verlangte sie mit einer Stimme, die
nicht ihr gehrte.
Ein Weikittel sah zu ihr auf. Zum erstenmal fiel mir auf, da die Augen der
Gestalt in einem unangenehmen Silberglanz leuchteten. Welche Station? frag-
te er.
Intensivstation, flsterte ich.
Intensivstation, antwortete Buddy.
Der Weikittel zeigte auf einen Flur zu unserer Rechten. Fr einen Augen-
blick leuchtete der Boden jenes Flurs in einem schwachen Rot. Buddy nickte
und wandte sich ab.
Warten Sie, schnappte der Weikittel. Wir drehten uns wieder um. Die sil-
bernen Augen des Weikittels hatten sich mitrauisch verengt. Zeigen Sie Ihre
Autorisierung.
Mit unnatrlicher Geschwindigkeit zuckte Buddys rechte Hand vor und
schwang ein Skalpell mit einer Klinge, die im Rot eines CO2-Lasers glhte. Ob-
wohl die Klinge kaum zwei Zentimeter lang war, trennte sie den Kopf des Wei-
kittels glatt von dessen Schultern. Der Krper des Weikittels sank auf seinem
Stuhl zusammen, whrend sein Kopf auf das Pult fiel. Dann lsten sich Kopf und
Krper auf. So gelassen, als htte sie soeben eine Wanze zerquetscht, ging Buddy
den Flur entlang, den der tote Weikittel bezeichnet hatte.
Das war der Moment, als ich mir wirklich wnschte, zumindest etwas Kon-
trolle ber den Krper des Icons zu haben. Ich wollte mich insbesondere umse-
hen, ob jemand ein bermiges Interesse an der rcksichtslosen Art und Weise
nahm, in der sich Buddy des Weikittels entledigt hatte. Doch die Kontrolle hatte
Buddy, und entweder war es ihr egal oder sie wute, wie viel oder wie wenig
Aufmerksamkeit man ihr schenkte. Den Gestalten nach zu urteilen, die durch
unser Gesichtsfeld spazierten, schenkte uns niemand auch nur die geringste Auf-
merksamkeit.
Dieser Flur unterschied sich von dem ersten. Einerseits nicht so berfllt, ande-
rerseits mehr Tren in den Wnden. Diese Tren hatten eine schwach grnliche
213
Tnung.
Zeit frs Geschft, murmelte Buddy mehr zu sich selbst. Sie strich sich wie-
der mit der Hand ber den Krper, und ihr Spiegelbild kehrte zu seiner normalen
Gestalt zurck. Sofort mute sie einem vorbeirauschenden Arzt Platz machen,
der uns offensichtlich nicht sehen konnte.
Schnell gingen wir den Flur entlang, wobei wir immer wieder dem Gegenver-
kehr auswichen und Buddy jede Tr, an der wir vorbeikamen, mit der Handflche
abtastete. Bei der Berhrung leuchteten die Tren jedesmal hell auf, doch keine
strmte die Kraft aus, die ich in der Auenwand gesprt hatte. Nach vielleicht
einem Dutzend Tren grunzte Buddy zufrieden. Corbeau, richtig? fragte sie.
Du hasts erfat.
Sie drckte gegen die Tr direkt vor uns, die sofort aufschwang. Der Atmo-
sphre des Flurs nach zu urteilen, wre dies in einem echten Krankenhaus wahr-
scheinlich der Eingang zu einem privaten oder halbprivaten Krankenzimmer ge-
wesen. Doch wir befanden uns in der Matrix, und nichts ist jemals so, wie man es
erwartet. Der Raum war viel grer, als er nach den Zwischenrumen zwischen
den Tren auf dem Flur htte sein drfen. Buchstblich jeder Quadratzentimeter
des verfgbaren Platzes wurde von altertmlichen Aktenschrnken eingenom
men. Eine weigekleidete Person durchsuchte eine Aktenschublade, sah jedoch
auf, als wir eintraten. Offensichtlich konnte uns diese Gestalt sehen. Ihre silber-
nen Augen leuchteten rubinrot auf, whrend sie einen Schritt auf uns zukam.
In Gedankenschnelle warf Buddy etwas, eine kleine Kugel aus silbernem Licht,
auf die Gestalt. Die Kugel barst und dehnte sich zu einem glitzernden Netz aus,
das sich um die Gliedmaen der Gestalt wickelte. Bevor sie reagieren konnte,
scho Buddy vorwrts und jagte der sich windenden Gestalt eine Spritze in den
Arm. Sie wurde augenblicklich schlaff, lste sich jedoch nicht auf.
Wir mssen uns beeilen, murmelte Buddy. Sie ffnete die nchste Schubla-
de. Anstelle der Aktendeckel, die der Metaphorik dieses Ortes entsprochen ht-
ten, war die Schublade mit einer wirbelnden Wolke alphanumerischer Zeichen
gefllt. Ohne zu zgern, steckte Buddy die Arme bis zu den Ellbogen in die
Wolke.
Wie zuvor erschien vor meinen Augen pltzlich leuchtender Text, der sich
so schnell abspulte, da er zu einem verschwommenen Nebel wurde. Diesmal
mischte ich mich jedoch nicht ein, sondern lie Buddy hantieren, wie sie wollte.
Es dauerte nicht lange. Schon nach wenigen Sekunden stabilisierte sich der
Text. Ganz am oberen Ende meines Gesichtsfeldes stand der Name CORBEAU,
MARIANE T. Knnen wir das kopieren? fragte ich.
Nein.
Also konzentrierte ich mich darauf, so schnell zu lesen, wie ich konnte. An-
scheinend hatte Ms. Corbeau in einer Nacht Ende Juni auf der I-5 etwas Unklu-
ges getan und ihr neues Spielzeug, einen Porsche 999 Doppelturbo, um einen
Lichtmast gewickelt. Wie vermutet, hatte Ms. Corbeau krzlich ihre persnliche
Krankenversicherung gewechselt: Von DocWagon Super-Platin zu Crashcart
214
Exekutiv-Diamant. Corbeau war von einem Rettungsteam aufgelesen und in
Crashcarts Zentralklinik gebracht worden. Nachdem man ihren Zustand stabili-
siert hatte, war unrettbar verlorenes Gewebe in diesem Fall ein Bein entfernt
worden. Als die Techniker der Intensivstation einigermaen sicher gewesen wa-
ren, da sie nicht abkratzen wrde, war Corbeau auf Anweisung von J. Carter
und K. Mobasa zwecks krperlicher Wiederherstellung in eine andere Abteilung
verlegt worden, behandelnde rzte waren D. Horbein, X. Marthass, P. Dempsey
und A. Kobayashi.
Und an dieser Stelle endete die Akte. Sie hatte die Intensivstation am Ende der
ersten Juliwoche verlassen, Akte weitergereicht und geschlossen. Zum Teufel.
War es das, was du wolltest? fragte Buddy.
Fr den Anfang. Ihre Akte ist weitergereicht worden. Ich will wissen, wohin,
und dann will ich mir diese Akte ansehen.
Sie schnaubte wieder, diesmal war sie anscheinend wirklich wtend. Das
reicht dir nicht?
Ich zgerte. Wenn man ein Bein verliert, bekommt man Ersatz dafr zumin-
dest, wenn man es sich leisten kann, was Mariane Corbeau zweifellos konnte. Ich
hatte die meisten meiner hlichen Ideen besttigt: Corbeau war von Crashcart
behandelt worden, und sie hatte einen Cyberersatz bekommen. Aber ich wute
immer noch nicht mit Sicherheit, ob an der Cyberware, die sie ihr verpat hat-
ten, irgendwas auergewhnlich war. Dieses letzte Bindeglied fehlte mir immer
noch. Ob ein weiterfhrender Blick in ihr Krankenblatt dieses Bindeglied liefern
konnte, hing davon ab, wie detailliert die Eintragungen waren. Mglicherweise
fand ich nichts Interessantes, sondern nur die medizinische Beschreibung des
Genesungsvorgangs einer Person, die bei einem Autounfall ein Bein verloren
hatte. Aber vielleicht war mehr da. Ich mute dieser Mglichkeit nachgehen.
Wir mssen weitermachen.
Ich dachte, Buddy wrde protestieren, aber das tat sie nicht. Statt dessen zog
sie die Hnde aus den wirbelnden Daten und knallte die Schublade zu. Ohne
einen Blick auf die Gestalt zu werfen, die immer noch reglos in der Ecke lag,
verlieen wir den Raum und standen wieder auf dem Flur.
Ich rechnete damit, da Buddy zur Aufnahme zurckkehren wrde, um sich
weitere Informationen zu verschaffen. Statt dessen wandte sie sich in die andere
Richtung. Sie schien zu wissen, wohin wir gingen, also mischte ich mich nicht
ein. Wir gingen nach links, wieder links und noch einmal nach links. Wenn dies
die von uns normalerweise so bezeichnete Realitt gewesen wre, htte der Flur,
in dem wir uns jetzt befanden, in der Eingangshalle mnden mssen. Doch die
Geometrie war anscheinend ebenso launenhaft und willkrlich wie alles andere
in der Matrix.
Der Flur hatte sich ebenfalls verndert. Er hatte sich verbreitert, die Tren wa-
ren weniger geworden und standen weiter auseinander. Hier herrschte fast kein
Verkehr, nur manchmal huschte eine weigekleidete Schwester vorbei. Archi-
vierte Aufzeichnungen, vermutete ich. Buddy berhrte erneut jede Tr, an der
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wir vorbeikamen. Diesmal dauerte es lnger. Wir waren meiner Schtzung nach
bereits mehr als einen Kilometer gelaufen und hatten bestimmt achtzig Tren
geprft, bevor sie fand, wonach sie suchte. Ohne ein Wort sie war wohl immer
noch wtend auf mich ffnete sie die Tr und ging hindurch.
Sie fielen sofort ber uns her: Drei ungeschlachte Gestalten, so gro wie Trolle.
Ihre Kleidung hatte das vertraute nichtssagende Wei, aber ihre Krper wiesen
diese drei als etwas Besonderes aus. Sie bestanden nicht aus normalem Fleisch
und Blut sofern man davon in der Matrix berhaupt reden konnte , sondern
waren Schpfungen aus kantigem glnzenden Metall, als bestnden sie zur Gn-
ze aus Cyberware. Ihre Gesichter waren scheulich, bereinander geschachtelte
Flchen aus spiegelblank poliertem Chrom, zwischen denen rote Augen brannten
wie glhende Kohlen. Sie fielen ber uns her, kaum da wir durch die Tr wa-
ren, oder, um genauer zu sein, sie fielen ber Buddy her, die als einzige von uns
beiden einen Krper besa. Finger wie Dolche schnitten durch das Fleisch von
Buddys Icon, aber der Schmerz tobte in meinem Verstand. Es war, als wrde ich
zerrissen.
Mit der Geschwindigeit eines verchippten Fechters tnzelte Buddy zurck.
Pltzlich war das Skalpell in ihrer Hand, dessen winzige Klinge im Vergleich zu
den rasiermesserscharfen Fingern der Opposition lcherlich aussah. Sie tusch-
te einen Gegner durch eine Finte und landete dann einen blitzschnellen Hieb
bei einem anderen, als der sich auf sie strzen wollte. Das Skalpell schnitt tief,
und mit einem markerschtternden Kreischen lste sich die Gestalt auf. Buddy
versuchte sich rechtzeitig zu fangen, um die wtende Attacke der dritten Gestalt
abzuwehren, aber sie war eine Millisekunde zu langsam. Finger wie glhende
Dolche zerfetzten ihre linke Schulter. Wir schrien gleichzeitig, Buddy und ich,
eine schreckliche Harmonie des Schmerzes. Durch einen roten Nebel der Qual
sah ich Buddys linken Arm zu Boden fallen und sich auflsen.
Sie taumelte zurck, um Zeit zu gewinnen. Doch dagegen hatten die beiden
glnzenden Angreifer etwas. Sie drangen auf sie ein, indem sie mit den Fingern
Finten gegen Buddys Gesicht und Bauch durchfhrten.
Diesen Kampf konnten wir nicht gewinnen. Stpsel uns aus! schrie ich.
Aus dem Nichts tauchte vor unseren Augen ein groer roter Knopf auf. Buddys
verbliebener Arm hob sich, um ihn zu drcken.
Die silbernen Monster waren zu schnell. Bevor sie den Knopf berhrte, waren
beide heran und gruben ihre Finger in ihre/unsere Kehle. Wiederum explodierten
in mir Hllenqualen.
Dirk! hrte ich Buddy verzweifelt schreien. Dann umgab mich ein schwar-
zes Nichts.
Ein Augenblick der Desorientierung, dann war ich wieder in meinem Krper
und lag auf Buddys Fuboden, whrend sich das Trampnetz in meinen Skalp
grub. Mein Herz schlug wild und unregelmig, aber ich sprte, da sich mein
Puls bereits verlangsamte und wieder stetiger zu pochen begann. Die Erinne-
rung an die Qualen, die ich durchgemacht hatte, war stark, aber der eigentliche
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Schmerz war verklungen. Ich zog mir das Trampnetz vom Kopf und wlzte mich
herum.
Buddy.
Sie war ber ihrem Deck zusammengesunken. Ich kroch zu ihr, legte sie sanft
auf den Boden und stellte ihr kostbares Deck beiseite. Ich fhlte an Hals und
Handgelenk nach ihrem Puls, prete ein Ohr auf ihre Brust. Nichts.
Obwohl ich wute, da es sinnlos war, probierte ich smtliche Wiederbele-
bungsmethoden aus, an die ich mich erinnerte, bis ich vllig erschpft und na
geschwitzt war.
Nichts.
Behutsam hob ich sie auf. Ihr Krper war wie der eines Kindes in meinen Ar-
men, als ich sie aus dem Apartment und zum Fahrstuhl trug. In der Lobby trat
der Wchter vor und bot mir seine Hilfe an. Ich musterte ihn einmal mit kaltem
Blick, und er zog sich zurck. Ich verfrachtete sie in meinen Wagen und drngte
mich rcksichtslos in den flieenden Verkehr. Noch whrend ich mein Gedcht-
nis nach der nchsten Unfallklinik durchforstete, wute ich, da es sinnlos war.
Buddy war tot. Die ICs des Crashcart-Systems hatten sie umgebracht.
Ich hatte sie umgebracht.
23
B uddys Blut klebte an meinen Hnden, und ihr Tod lastete auf meinem Gewis-
sen. Das versuchte ich Jocasta zu erklren.
Wie erwartet, konnte die Unfallklinik nichts fr Buddy tun. Das schwarze Ice
im Crashcart-System hatte ein tdliches Biofeedback in Buddys zentralem Ner-
vensystem verursacht, das in erster Linie Herzschlag und Atmung gestoppt hatte.
Niemand htte irgendwas tun knnen.
Was mich betraf, ich hatte einen Blick auf das Medusenhaupt geworfen und
berlebt. Das Ice hatte dasselbe bei mir versucht und fast Erfolg gehabt da-
her auch das Herzklopfen und die Rhythmus Strungen, als ich wieder zu mir
gekommen war. Ohne Trampnetz wre ich im Eimer gewesen. Ich htte dem
Angriff niemals standhalten knnen, wre das Interface zur Matrix durch das
Netz nicht indirekt. Das Killer-Ice hatte meinen Herzschlag ebenso zu stoppen
versucht wie Buddys, aber es hatte nur Rhythmus Strungen bewirkt. Buddys
Interface war natrlich die Datenbuchse, was dem Ice direkten Zugang zu ihrem
Hirn ermglichte. Als sie es nicht geschafft hatte, uns rechtzeitig auszustpseln,
war sie rettungslos verloren.
Und es war meine Schuld.
Ja, klar, Jocasta hatte alle angemessenen Bemerkungen gemacht. Sie war ein
Profi, sie kannte die Risiken, und den ganzen Drek. Ja, sie hatte die Risiken
gekannt. Und sie hatte aufhren wollen, nachdem wir die erste Datei gefunden
hatten. Ich war derjenige gewesen, der sie gedrngt hatte, noch einen Schritt wei-
terzugehen gegen ihr besseres Wissen. Um es noch schlimmer zu machen: Ihr
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Tod war vllig umsonst gewesen. Ich hatte nicht das bekommen, was ich wollte,
hatte nicht mal einen flchtigen Blick auf Mariane Corbeaus Krankenblatt er-
hascht. Ich wute nicht mehr, als wenn wir uns nach der ersten Datei ausgestp-
selt htten.
Nein, Moment, das stimmte nicht ganz. Die erste Datei war nicht mit Killer-
Ice geschtzt gewesen. Nur die zweite, die sich vermutlich mit der Natur von
Corbeaus Cyberersatz beschftigte, war mit tdlichem Eis vollgestopft. Das lie
einige Rckschlsse zu.
Natrlich konnte es reiner Zufall sein, da Crashcart gerade diese Art von
Dateien so stark schtzte, vielleicht war es auch ihre bliche Verfahrensweise.
Doch keine der beiden Mglichkeiten kam mir sonderlich wahrscheinlich vor.
Irgendein Decker vielleicht sogar Buddy hatte mir mal erzhlt, da jeder
Systemdesigner nur dort Ice einbaut, wo es wirklich bentigt wird, weil es die
Reaktionszeit des Systems zu sehr verlangsamt. Das konnte nur bedeuten, da
Crashcart in bezug auf Corbeaus Genesungsaufzeichnungen und deren unbefug-
te Einsichtnahme ziemlich empfindlich war.
Wenn Buddys Tod der Preis fr dieses bichen Information war, dann war es
verflucht teuer bezahlt. Lolita, Naomi und jetzt Buddy. Wie viele noch? Wie viele
Freunde wrde ich noch umbringen?
Dann verdrngte ich diesen ganzen Selbstmitleid-Drek aus meinem Verstand.
Ich konnte es mir nicht leisten, ber derartige Gedanken zu einem Wrack zu wer-
den, nicht wenn X oder vielleicht auch Scott Keith nur allzu bereit waren, mich
von der Last der irdischen Mhsal zu befreien. Und wenn ich tot war, wer wrde
dann die Rechnung mit dem Mrder oder den Mrdern begleichen? Wie sehr ich
auch innerlich litt, ich mute auf der Hhe bleiben.
Es war an der Zeit, eine Bestandsaufnahme dessen zu machen, was ich wute
oder zu wissen glaubte. Meinen Verdacht Corbeaus Entscheidung, Keith vom
Yamatetsu-Fall abzuziehen, sei keine typische Korruptionsgeschichte, konnte
ich wohl als besttigt betrachten. Yamatetsu hatte durch seine Tochtergesell-
schaft Crashcart 2XS oder etwas hnliches in Corbeaus neues Bein einbauen
lassen. Dann hatte man diesen zustzlichen Schaltkreis als Druckmittel benutzt
und entweder damit gedroht, ihn abzuschalten, oder ein wenig mit der ruinsen
Wirkung von 2XS gespielt. Ich wute es nicht genau, aber das spielte auch kei-
ne Rolle. Corbeau hatte vor Yamatetsu gekatzbuckelt, und der Konzern glaubte,
alles im Griff zu haben.
Was war also Yamatetsu/Crashcarts wirkliches Ziel bei all dem? Nicht nur ein
billiger Feldversuch fr ihre SPISES-Technologie, wie Bent und ich vermutet
hatten. Wenn das alles war, htten sie sich wahrscheinlich nicht solche hochkar-
tigen Versuchskaninchen wie Corbeau und Daniel Waters ausgesucht. Nein, wie
es aussah, schwebte ihnen Greres vor.
Sie hatten alles so eingerichtet, da sich Menschen in Machtpositionen frei-
willig in Yamatetsu-Kliniken begaben daher auch Crashcarts brutale Markt-
strategien. Und dann hatten sie sich einfach zurckgelehnt und darauf gewartet
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da ihre Klienten ihre Dienste bentigten, so da so viele mchtige Personen
wie mglich mit ihren Schaltkreisen vollgestopft werden konnten. (Oder viel-
leicht hatten sie auch gar nicht gewartet. Ich fragte mich pltzlich, wie Corbeaus
Wagen wohl von der Strae abgekommen war. Durch die Gewehrkugel eines
Scharfschtzen in einen Reifen, vielleicht?)
Das war alles ein einziger bler Drek. Ich hatte auch schon vorher an eine
Verschwrung gedacht, aber diese neuen Aspekte lieen meinen ursprnglichen
Verdacht eher kmmerlich erscheinen. Doch erschreckend oder nicht, mei-
ne Theorie pate zu gut. Ich konnte keine Lcher in ihrer Logik erkennen. Ich
schtzte, da ich jetzt wohl alles auf der Reihe hatte. (Aber hatte ich das nicht
gestern auch schon gesagt?)
In Ordnung, wie sah also der nchste Schritt aus?
Und da stand ich, Chummer, und war verdammt ratlos und viel zu verngstigt,
um noch klar denken zu knnen. Ich brauchte Hilfe.
Einer der Vorteile der neuen Wohnsituation war die Tatsache, da Jocasta in
Augenblicken wie diesem bei mir war. Nachdem sie versucht hatte, mir ber
Buddys Tod hinwegzuhelfen, hatte sie sich zurckgezogen, um mir Zeit und
Gelegenheit zu geben, meine Dmonen niederzuringen. Im Augenblick las sie et-
was auf dem Telekomschirm. Als ich ihr ber die Schulter sah, stellte ich fest da
es etwas namens Neoanarchistischer Fhrer durch Nordamerika war. In meinen
Ohren klang das nach angenehm lockerer Literatur.
Haben Sie ein paar Sekunden Zeit? fragte ich.
Sie markierte die Stelle und lchelte mich an. Bereit zum Reden?
Ich redete, und das nicht zu knapp. Ich erzhlte ihr alles: Von Scott Keiths be-
unruhigendem Anruf, vom Run auf das Crashcart-System und davon, wie wenig
ich ber Mariane Corbeau erfahren hatte. In erster Linie konzentrierte ich mich
jedoch auf mein logisches Konstrukt: Der Yamatetsu-Plan, rekonstriert von ei-
nem gewissen Herrn Derek Montgomery.
Jocasta war eine gute Zuhrerin. Ihre seltenen Fragen trafen immer den Punkt,
und ihrer Miene nach zu urteilen, schien sie meiner Schilderung in bezug auf
die logischen Konsequenzen oft einen Schritt voraus zu sein. Als ich fertig war,
spitzte sie die Lippen zu einem lautlosen Pfeifen. Ich dachte immer, Privat-
detektive ermittelten in Scheidungsfllen, sagte sie mit einem verschmitzten
Lcheln, und nicht bei Konzernplnen, eine ganze Stadt zu bernehmen. Heute
Seattle und morgen die ganze Welt.
So hrt es sich an, nicht wahr?
Ihr Lcheln erlosch jh. Ja, das tut es, sagte sie langsam. Und das strt
mich. Es ist zu ... zu ...
Manga? schlug ich vor, indem ich den Blut-und-Eingeweide-Stil japani-
scher Erwachsenen-Comics beim Namen nannte, der praktisch uverndert bis
zum heutigen Tag berlebt hatte.
Zu manga, stimmte sie zu. Zu aufgeblasen und ohne Logik dahinter. Die
Fakten sind da, fgte sie hastig hinzu, um meinem Einwand zuvorzukommen,
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und sie passen auch so zusammen, wie Sie gesagt haben. Aber ich kann nicht
erkennen, was Yamatetsu davon hat.
Vielleicht wollen sie die Herrschaft ber Seattle bernehmen, schlug ich vor.
Sie schttelte den Kopf. Konzerne wollen nicht den Platz der Regierung ein-
nehmen. Nach dem Chaos hatten die Konzerne die Mglichkeit, Regierungen zu
werden. Da die meisten normalen Zivilregierungen in Trmmern lagen, htten
die Konzerne einfach zugreifen und alles bernehmen knnen. Doch das taten
sie nicht.
Warum nicht?
Zuviel Verantwortung, sagte sie mit einem Lcheln. Wenn man eine Re-
gierung bernimmt, mu man den Drek bewltigen, den Regierungen eben be-
wltigen mssen. Soziale Programme, die Aufrechterhaltung der Infrastruktur ...
Vertrge mit der Mllabfuhr aushandeln, um Gottes willen. Zuviel Arbeit. Ver-
gessen Sie nicht, offiziell sind Konzerne exterritorial. Sie knnen praktisch tun,
was sie wollen, besonders ein so groer Konzern wie Yamatetsu. Sie ziehen es
vor, die Macht hinter dem Thron zu sein. Sie schttelte erneut den Kopf. Die
Kosten berwiegen den mglichen Nutzen. Wir bersehen etwas.
Was denn? Sie haben Daniel Waters mit Drek vollgestopft und es sieht so aus,
da sie dasselbe mit Corbeau getan haben.
Ich wei. Ich glaube nur nicht, da es ein Griff nach der Macht ist.
Was dann?
Sie dachte einen Augenblick darber nach. Protektion, vielleicht? Oder viel-
leicht reiner Pragmatismus. Es ist gut, wenn man Corbeau auf seiner Seite hat,
falls man Lone Stars Aufmerksamkeit ablenken will. Waters ist gut falls man die
ffentliche Aufmerksamkeit ablenken mu. Sie zuckte die Achseln. Ich wei
es nicht. Ich glaube nur, wir bersehen etwas.
Wie geht es dann von hier aus weiter? fragte ich nach einer Weile. Was ist
der nchste Schritt?
Tja, sagte sie zgernd, ich glaube ...
Ich hrte nie, was sie glaubte. Es klopfte an der Tr, und gleichzeitig materia-
lisierte direkt vor uns eine Gestalt. Es war die blondhaarige und gertenschlanke
Amanda. Keine Angst, sagte sie mit einem Lcheln. Es ist Rodney. Soll ich
ihn einlassen?
Ich werde es tun, sagte ich eiligst indem ich aufsprang. Das Sicherheitssy-
stem dieser Wohnung war fast so gut wie meines in Auburn. Ich benutzte es, um
den Flur vor der Wohnungstr abzutasten. Ja, es war Rodney, und er war allein.
Hab ich doch gesagt, flsterte mir Amanda direkt ins Ohr, obwohl sie auf der
anderen Seite des Zimmers neben Jocasta stand.
Ich ffnete die Tr, bat Rodney herein und schlo hinter ihm ab.
Ich hoffe, ich stre nicht, sagte er anstelle einer Begrung. Wahrscheinlich
htte ich zuerst anrufen sollen, aber ich mag Telekoms nicht besonders.
Nein, Sie stren niemanden, sagte ich. Worum geht es?
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Nun, um das hier. Er griff in einen kleinen Umhngebeutel aus Kunstleder
und zog den silbernen Armreif heraus, den ich ihm gegeben hatte. Mir fiel auf,
da er ihn nicht mit der bloen Hand berhrte, sondern ihn mit einem feinen sei-
digen Tuch anfate, das in einem eigenen schwachen Licht zu glimmen schien.
Das wollte mir ganz und gar nicht gefallen. Ich habe herausgefunden, was ich
konnte. Tatschlich sogar mehr, als mir lieb ist.
Jocasta gesellte sich rasch zu uns. Sie streckte die Hand aus, als wolle sie Rod-
ney den Armreif abnehmen, schien sich dann jedoch eines Besseren zu besinnen
und lie die Hand sinken. Was ist es? fragte sie leise.
Drfte ich mich wohl zuerst setzen? erkundigte sich der Elf. Ich bin ziem-
lich erschpft. Und knnte ich Sie um etwas zu trinken bitten?
Tee? schlug ich vor.
Gin.
Es dauerte ein paar Minuten, bis wir alle um den niedrigen Kaffetisch des
Apartments Platz genommen hatten. Greybriar sah tatschlich ein wenig bla
aus, und seine Augen lagen tief in den Hhlen, als liefe er auf Reserve. Der erste
Schluck Gin schien ihn jedoch neu zu beleben. Er legte den Armreif, der immer
noch in das dnne Tuch gewickelt war, in die Mitte des Tisches.
Er ist schamanischen Ursprungs, wie wir vermuteten, begann er, aber ich
konnte keine Verbindung zwischen ihm und irgendeinem konventionellen Totem
erkennen. Es besteht jedoch eine Verbindung, und zwar eine sehr starke, aber zu
einer Wesenheit die keine mir vertrauten Grundzge aufweist.
Ich warf Jocasta einen raschen Seitenblick zu, die zgernd nickte. Mir fiel wie-
der ein, wie sie den Armreif beschrieben hatte ein Kraftfokus, aber irgendwie
unrund. Rodney sagte genau dasselbe, wenn auch mit anderen Worten. Sie
wissen also nicht, was das ist, sagte ich.
Ich wute es nicht, korrigierte mich Rodney, anfangs nicht. Aber ich habe
mit einigen anderen darber gesprochen, insbesondere mit Leuten, die dem Weg
des Schamanen folgen und mehr ber diese Dinge wissen. Die Person, die mir
die grte Hilfe war, ist ein Bursche, der sich Mann-der-vielenNamen nennt. Er
schien den Armreif sofort einordnen zu knnen. Der Elf verzog das Gesicht.
Doch er wollte mir nichts darber sagen.
Aber Sie konnten ihn berzeugen, sagte Jocasta.
Letzten Endes. Er redete von Dingen, mit denen ich nicht viel anfangen kann
Insektentotem. Ehrlich gesagt, htte ich nicht gedacht, da er etwas Derartiges
ist. Er sah Jocasta fragend an, doch sie zuckte nur die Achseln. Auf jeden Fall
beschrieb Viele-Namen diesen Gegenstand als einen totemspezifischen Kraftfo-
kus, der mit dem Totem Wespe verbunden ist.
Ich hob eine Augenbraue. Das ist alles?
Nun, er lie auerdem durchblicken, ich solle nicht damit herumspielen.
Sind Sie deswegen so mde? fragte Jocasta. Sie haben damit herumge-
spielt, nicht wahr?
Der Elf lchelte verlegen. Ich war schon immer ziemlich neugierig. Ich ver-
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suchte die Natur der Verbindung zu seinem Totem zu ergrnden. Auf der Astral-
ebene hat dieses Ding er deutete auf den Armreif mehr Macht, als ich je in
irgendeinem Gegenstand gesehen habe. Es zu untersuchen, war so, als wolle man
einen Wirbelsturm mit bloen Hnden untersuchen. Ich mu zugeben, da mich
der Versuch mehr erschpft hat, als ich erwartet habe.
Haben Sie irgendwas herausbekommen? fragte Jocasta.
Nicht wirklich, nein. Hchstens die Tatsache, da ich nicht noch mehr Zeit
damit verbringen will.
Also haben Sie das Ding hierhergebracht, sagte ich. Aber was hat das alles
zu bedeuten?
Tatschlich habe ich nicht die leiseste Ahnung, sagte der Elf. Mu es im
greren Rahmen berhaupt etwas zu bedeuten haben? Vielleicht ist der Scha-
mane, den man geschickt hat, um Sie, h, auszuradieren, nur zufllig ein ver-
drehter Mistkerl, der Wespe folgt. Laut Viele-Namen sind Schamanen, die einen
Insektentotem folgen, ble Kerle, vielleicht genau die Sorte, der Wetwork Spa
macht.
Ich nickte langsam. Rein verstandesmig war das durchaus eine Mglich-
keit, aber gefhlsmig konnte ich mich nicht damit anfreunden. Die Paranoia
schien die Oberhand zu gewinnen, aber das mute mittlerweile gar nicht mal so
schlecht sein. Mag sein, sagte ich. Vielen Dank fr die Hilfe. Ich wei sie zu
schtzen.
Sie sind mehr als willkommen, sagte er. Anscheinend ...
Kontakt! Die Stimme gehrte Amanda, das Wort hatte man uns whrend der
gesamten Ausbildung bei Lone Star stndig eingehmmert. Kontakt bedeutet,
echter Drek geht gerade jetzt ab. Ohne nachzudenken, warf ich mich zur Seite
und griff automatisch an die Stelle, wo meine Pistole gewesen wre, htte ich
meinen Duster getragen.
Etwas zerfetzte die Luft dort, wo sich einen Augenblick zuvor noch mein Sch-
del befunden hatte. Ich wlzte mich herum und immer weiter. Dabei erhielt ich
einen flchtigen Eindruck von einer scheulichen Gestalt, zweibeinig, doch ein-
deutig weder Mensch noch Metamensch. Sie schien aus dem Nichts aufgetaucht
zu sein und hockte jetzt obszn auf dem Sofa, wo ich gesessen hatte. Sie ffnete
ein mit nadelscharfen Zhnen bewehrtes Maul und schrie. Ich sah nicht mehr,
whrend ich auf allen vieren ber den Boden zu der Stelle kroch, wo ich meinen
Manhunter gelassen hatte. Hinter mir hrte ich Pistolenschsse eine leichte
Waffe, wahrscheinlich Jocastas Colt , doch ich verschwendete keine Zeit mit
Hinsehen. Ich war ihr keine Hilfe, solange ich meine Kanone nicht in der Hand
hielt. Und ich wute, sie war trotz all ihrer gegenteiligen ngste ebensosehr ein
berlebenstyp wie ich.
Ich schnappte mir den Duster vom Stuhl und zerrte ihn auf den Boden. Ich
rollte wieder herum, falls jemand/etwas auf meinen Rcken zielte, zerrte dabei
die Kanone aus dem Halfter, sprang auf und nahm Kampfhaltung an. Das Ding
rckte Jocasta auf den Leib, whrend sie Schu um Schu aus ihrem kleinen Colt
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auf seine vorgewlbte Brust abgab. Rodney, der noch blasser und erschpfter
aussah, deklamierte irgendwas in einer verdrehten Sprache etwas, das wie In
hoc signo, vincavi ad munditia klang , und um seine rechte Hand nahm ein
grelles sprdes Leuchten Gestalt an. Von Amanda war nichts zu sehen.
Ich zielte mit dem schweren Manhunter auf die Stelle, wo sich das Ohr des
Wesens befunden htte, wre es ein Mensch gewesen. Fr einen Augenblick ge-
stattete ich mir, sein groteskes ueres zur Kenntnis zu nehmen. Es war gro
und hager und hatte lange Gliedmaen, an denen die Gelenke an den falschen
Stellen zu sitzen schienen oder vielleicht hatten sie auch ein zustzliches Ge-
lenk. Sein Kopf war deformiert und knollig und wurde von zwei riesigen, eiter-
gelben Facettenaugen dominiert. Stachel und dnne Antennen, die Fhler sein
konnten, wuchsen oberhalb der Augen aus dem Schdel, dessen untere Hlfte
spitz zulief und nur aus einem Maul bestand. Das Ding ffnete sein Maul, um
erneut schrill zu kreischen, und ich sah seine Zunge kurz, schwarz und spitz
darin herumpeitschen. Als das Wesen seine dnnen Hnde, die jeweils nur drei
mit daumenlangen Krallen bewehrte Finger aufwiesen, nach Jocasta ausstreckte,
reagierte sie darauf, indem sie ihm eine weitere Kugel in die Brust jagte. Ich hr-
te, wie die Kugel ihr Ziel traf ein Knacken, als brche Plastik , und sah Splitter
vom Punkt des Einschlags wegfliegen. Das Ding hatte eine Schale, wie mir mit
Schrecken klar wurde, oder wohl eher ein Exoskelett einen natrlichen Panzer.
Natrlich nahm ich mir nicht die Zeit, all diese Eindrcke gleich zu verarbei-
ten. Die Analyse kam spter. Im Augenblick zeichnete ich lediglich alle Sin-
neswahrnehmungen auf, wie es eine Kamera getan htte. Der rubinrote Punkt
des Ziellasers ruhte jetzt seitlich auf dem migestalteten Kopf des Dings, und
ich drckte wieder und wieder ab, whrend ich den harten Rckschlag abfing
und den Lauf ruhig hielt. In der abgeschlossenen Enge der Wohnung hallten die
donnernden Erschtterungen des Manhunter wie krperliche Schlge in meinen
Ohren.
Die Monstrositt war bermenschlich schnell. Das Aufleuchten des Ziellasers
mute ihr den Sekundenbruchteil gegeben haben, den sie zu reagieren brauchte.
Anstatt sich mitten in ihren Schdel zu bohren, zerschmetterte mein erster Schu
lediglich einen Teil des Hinterkopfs der Kreatur, whrend sie sich abduckte. Eine
scheuliche Wunde, doch offensichtlich nicht tdlich. Die nachfolgenden Schs-
se schlugen in die zuckende Schulter, die das Ding erhoben hatte, um seinen
Kopf abzuschirmen. Die grokalibrigen Kugeln pulverisierten sein Exoskelett,
und grnlichschwarzer Schleim spritzte auf den Teppich, aber mir war klar, da
weder Jocasta noch ich bis jetzt einen tdlichen Treffer gelandet hatten. Ihr Colt
klickte leer, und ich hatte ein halbes Magazin verbraucht. Wie, zum Teufel, sollte
man dieses Ding tten? Eine besonders wichtige Frage, wenn man bedachte,
da ich seine Aufmerksamkeit erregt zu haben schien, da es sich jetzt in meine
Richtung wandte. Ich jagte den Rest des Magazins in seinen Leib, whrend es
sich zum Sprung duckte. Die Schsse fraen groe Lcher in seinen natrlichen
Panzer, schienen aber keine kritischen Wunden zu reien. Ich hielt hinter mir
nach irgendeiner Deckung Ausschau. Nichts.
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Rodney! Tu es! Es war Jocastas Stimme, aber der Gedanke war meiner.
Aus dem Augenwinkel sah ich den gelockten Elf seine Vorbereitungen been-
den. Er streckte dem Horror die rechte Hand entgegen und brllte etwas, das wie
Esse! klang. Ich sprte mehr, als da ich es sah, wie etwas seine ausgestreckten
Finger verlie, kaum sichtbar, wie eine Schockwelle in unbewegter Luft. Es flog
durch das Zimmer und rammte das Monster ...
Mit der Wucht eines rasenden Wagens. Das Ding wurde umgeworfen, und ich
hrte das Knacken, als ihm Brust und Kopf eingeschlagen wurden. Es taumel-
te zurck, bis es von der Wand aufgehalten wurde, versprhte schwarzes Blut
aus einem Dutzend Wunden. Kreischte einmal, ein verzweifelter erstickter Laut,
brach dann auf dem Fuboden zusammen.
Jocasta schob ihre Kanone in den Grtel und rannte durch den Raum zu Rod-
ney. Der Elf war auf die Knie gesunken, seine Haut war aschfahl, das Gesicht
schlaff vor Erschpfung, der Krper schweigebadet. Er hob den Kopf, als Jo-
casta ihn sttzte, aber ich glaube nicht, da er den Blick wirklich auf ihr Gesicht
konzentrieren konnte. Ist es tot? fragte er mit hohler Stimme. Ich sah noch
einmal auf die berreste der Kreatur, um sicherzugehen.
Und das war der einzige Grund, warum ich die Luft flimmern sah, als ein wei-
teres dieser Dinger in der Ecke Gestalt annahm. Jocasta! schrie ich. Whrend
sie entsetzt herumwirbelte, warf ich das leere Magazin aus dem Manhunter aus
und lie ein neues einrasten, ohne die Augen von dem neuen Besucher abzu-
wenden. Das Ding stand zwischen uns und den Fenstern. Ich hatte die Tr abge-
schlossen, was bedeutete, ich mute sie aufschlieen, bevor wir auf diesem Weg
entkommen konnten, und ich glaubte nicht, da uns das Ding so viel Zeit lassen
wrde. Es gab keine sinnvolle Deckung. Der letzte Zauberspruch hatte Rodney
offensichtlich vollkommen ausgelaugt. Und unsere Kugeln schienen nicht mehr
auszurichten, als das Ding ordentlich zu vergrtzen.
Das Wesen rckte langsam gegen Jocasta und Rodney vor vorsichtig, als sei
es nicht ganz sicher, wer von den beiden seinen Genossen gegeekt hatte. La
sie in Ruhe, du lausiger Wichser! schrie ich, whrend ich die Kanone schnell
hochri.
Das Monster wandte sich in meine Richtung und machte zwei erschreckend
schnelle Schritte auf mich zu. Und das war der Augenblick, in dem ich ihm drei
Kugeln ins linke Auge jagte.
Die schiere Aufprallwucht der Kugeln lie seinen Kopf zurckschnappen. Das
Facettenauge selbst zerbarst in einem Sprhregen aus Kristallsplittern und t-
zender Flssigkeit. Es schrie seine Qualen in den Himmel, whrend es wild mit
den Armen ruderte, und ich pumpte ihm obendrein des Rest des Magazins in den
Bauch. Es schrie wieder.
Doch es fiel nicht. Ich konnte es nicht glauben: Drei Schsse durch das Auge
ins Gehirn vorausgesetzt, sein Gehirn befand sich in seinem Kopf , weitere
zwlf in die Eingeweide, und das aus nchster Nhe. Jedes halbwegs normale
Wesen htte sich jetzt im Todeskampf gewunden. Es schrie ein drittes Mal, und
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ich schwre, ich konnte seine Willenskraft spren, whrend es damit rang, seinen
Schmerz zu beherrschen. Es richtete sein verbliebenes Auge auf mich und rckte
einen weiteren Schritt vor.
Ich wirbelte herum, lie den Manhunter fallen, nahm einen Stuhl und schwang
ihn wie eine Keule gegen die Kreatur. Sie parierte den Schwung mit einem Arm,
was ein Mensch mit einem gebrochenen Handgelenk bezahlt htte, doch ihr
schien das berhaupt nichts anhaben zu knnen. Dann entri sie mir den Stuhl
mit der anderen Hand und schleuderte ihn gegen die Wand, Ich wich zurck,
obwohl ich tief im Innern wute, da es kein Entkommen gab. Das Ding streckte
seine Krallenhand nach mir aus, verfehlte mich jedoch um einiges wahrschein
lich aufgrund eines Mangels an Tiefensicht wegen des fehlenden Auges, aber
ich war sicher, es wrde nicht zweimal denselben Fehler begehen. Ich tauchte
wieder weg, wobei ich mich nach etwas irgend etwas umsah, hinter dem ich
in Deckung gehen konnte. Nichts. Ich wute, es drngte mich in eine Ecke, aber
ich konnte nichts dagegen tun.
Verschwindet hier! rief ich Jocasta und Rodney zu. Wenn dieses Ding mir
die Eingeweide rausreien wrde, gab es keinen Grund, warum es sie ebenfalls
das Leben kosten sollte. Haut ab, verdammt noch mal!
Natrlich taten sie das nicht. Jocasta scho in seinen Rcken, obwohl ich nicht
wute, was sie mit ihrem kleinen Colt zu erreichen hoffte, wenn mein Manhunter
das Wesen nicht stoppen konnte. Rodney, der Idiot, versuchte noch einen Spruch
zusammenzubringen, und murmelte in Latein vor sich hin, obwohl er wute,
da ihn die Anstrengung wahrscheinlich umbringen wrde. Schwachkpfe! Das
Ding hob eine Krallenhand, um mich in Stcke zu reien.
Der Schlag kam nicht. Statt dessen wirbelte das Ding herum, wobei es wild
auf die leere Luft einschlug und vor Wut und Enttuschung laut aufbrllte. Hatte
Rodney seinen Spruch losgelassen? Nein, der Elf murmelte immer noch vor sich
hin, wenngleich er die Verrenkungen des Monsters jetzt ebenfalls offenen Mun-
des betrachtete. Die gute alte Jocasta beharkte es immer noch mit Kugeln, wie
vorauszusehen mit minimalem Effekt. Was, zum Teufel, ging hier ab?
Verschwindet hier! Nicht meine Stimme. Diesmal war es Amandas. Einen
Augenblick sah ich ihr schattenhaftes Bild im direkten Handgemenge mit dem
Ding. Sie schlug mit einem unstofflichen Arm zu und landete einen Treffer auf
seiner Brust. Verblfft sah ich das Exoskelett des Monsters nachgeben, als sei
es von einer Streitaxt getroffen worden. Das Ding schlug zurck, seine Klauen
fuhren wirkungslos durch Amandas Krper. Nein, ich hatte mich geirrt, es gab
eine Wirkung. Keine Wunde im normalen Sinn, aber ihr Aussehen vernderte
sich. Sie sah weniger menschlich aus. Die Umrisse ihres Krpers vernderten
sich, wurden hagerer, als ob ... Mein Verstand rebellierte gegen den Schlu, den
ich zog. Die Klauen des Dings fuhren erneut durch ihren transparenten Krper.
Sie schrie noch einmal auf, und jetzt war ihre Stimme ziemlich unmenschlich:
Wind, der durch eine verlassene Gasse heulte, htte menschlicher geklungen. Die
Worte waren jedoch glockenklar: Verschwindet hier.
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226
Ich rannte zu Jocasta, griff nach ihrem Arm. Sie starrte immer noch den Kampf
an und das, in was sich Amanda verwandelte. Ich mute sie schtteln, um ihre
Aufmerksamkeit von dem Anblick loszureien. Doch dann war sie wieder in
der wirklichen Welt. Wir packten Rodney bei den Schultern und schleiften ihn
buchstblich aus der Wohnung. Whrend wir den Flur entlanghasteten, hrte ich
eine hohle, seufzende Stimme im Ohr. Lebt wohl.
24
E r nimmt es sehr schwer. Jocasta sa auf Rodneys Sofa und rieb sich die
Augen mit den Fusten wie ein mdes Kind.
Ich nickte. Erst als wir aus dem Gebude heraus und unterwegs zum Wagen
waren, hatte der Elf sich so weit von seiner Erschpfung erholt, da er vollstn-
dig realisierte, was vorging. Er hatte wie ein Wilder gekmpft und sich aus unse-
rem Griff zu befreien versucht, darauf erpicht, wieder zurck in die Wohnung zu
strmen. Zurck in die Schlacht, um Amanda zu retten. Ich mute ihn mit Gewalt
davon abhalten und schob ihn dann auf den Rcksitz des Jackrabitt, whrend Jo-
casta fuhr. Schnell. Den ganzen Weg zu seiner Bude hrte ich ihn hinten weinen
und immer wieder Amanda rufen. Ich wute, sie wrde nie mehr antworten.
Als wir schlielich in seinem Apartment angekommen waren, steckten wir ihn
ins Bett. Jocasta hatte ein paar Lethe-Schlaftabletten in ihrer Handtasche, und
sie brachte den Elf dazu, sie zu schlucken, wenngleich es wahrscheinlich eher so
war, da sie ihm die Nase zuhielt und die Pillen so seine Kehle hinunterzwang.
Wenigstens schlief er jetzt mehr oder weniger friedlich.
Ich glaube, ich wei, was ihm wirklich zu schaffen macht, sagte Jocasta lei-
se. Sich selbst berlassen, wre Amanda unsterblich gewesen. Geister sterben
niemals, sie werden nur weiser und mchtiger. Sie htte ewig leben knnen. Statt
dessen hat sie all das weggeworfen, so da er leben konnte. Und das lastet ihm
jetzt natrlich hllisch schwer auf der Seele. Sie schwieg eine gute Minute, in
der sie mit ihren Gedanken rang. Ich lie sie ringen. Schlielich sagte sie: Ich
glaube, er hat sie geliebt.
Meine erste Reaktion war spttischer Natur. Wie kann ein Mensch einen Geist
lieben? wollte ich sagen. Doch dann ging mir auf, da das im wesentlichen genau
das war, worin wir uns verlieben. In den meisten Fllen wohnt der Geist oder
die Seele, wenn Sie so wollen in einem fleischlichen Krper. Doch wer hat je
behauptet, da dies eine notwendige Bedingung ist? Rodney Greybriar hatte sich
benommen, als betrachte er Amanda als eine Art Plage. War er wie der Schuljun-
ge, der ber das Mdchen, dessen Bild in seinem Spind hngt, sagt: Was, die
soll ich lieben? Ich glaube, der Elf sagt das ein wenig zu oft.
Ich schttelte den Kopf. Ich war total erledigt. Vielleicht war das der Grund
dafr, warum ich an Dinge wie Liebe und Seele dachte. Nicht mein bliches
Verhaltensmuster. Ich seufzte.
Jocasta brach in meine Gedanken ein. Wie geht es jetzt weiter?
227
Ich wei nicht. Vielleicht gar nicht. Sie musterte mich mit festem Blick.
Ich war mde, und wenn ich mde bin, pflege ich laut zu denken. Manchmal
kommen mir dabei meine besten Gedanken, wenn der geistige Wachhund, der
politisch unkorrekte Gedanken zensiert, in einer Ecke dst.
Sie hatten vorhin recht, fuhr ich fort. Privatdetektive ermitteln gewhnlich
tatschlich in Scheidungsfllen. Ich, jedenfalls. Ich habe auch schon Leuten da-
bei geholfen, verlorene Gegenstnde wiederzufinden, und Leute aufgesprt, die
sich vor verschiedenen Verpflichtungen gedrckt haben, und ich habe schon Leu-
te aus blen Brointrigen rausgehauen. Daraufhin lchelte Jocasta ein wenig
traurig. Sie hatte die Anspielung auf Lolly verstanden. Darin bin ich gut. Das
liegt auf meiner Linie. Ich bin ein kleiner Fisch, Jocasta. Ich hab noch nie was
anderes geglaubt. Wir sind alle kleine Fische Sie, ich, so ungefhr jeder, der
mir je ber den Weg gelaufen ist. Wir spielen nicht in der Oberliga. Jocasta, die
grte Verschwrung, in der ich jemals ermittelt habe wenn man das berhaupt
so nennen kann , drehte sich alles in allem um sieben Orks, die ein Schwin-
delunternehmen aufgezogen hatten. Ich wute, ich plapperte dummes Zeug,
aber das bedeutete nicht, da ich damit aufhren konnte. Aus meiner Sicht der
Dinge habe ich gewonnen, wenn ich fr einen Menschen etwas positiv ndern
kann zum Beispiel, zu verhindern, da er gegeekt wird. Wissen Sie, was ich
damit sagen will?
Sie nickte. Ich wei.
Dieser Drek ist davon ungefhr so weit weg wie ... wie ... Mir fiel kein pas-
sender Vergleich ein, und ich mute mich damit zufriedengaben, ausdrucksvoll
mit den Armen zu wedeln. Im Moment habe ich das Gefhl, da es einfach
an der Zeit ist, die groen Spiele auch den groen Jungs zu berlassen, wissen
Sie? Beim kleinen Drek zu bleiben, dem Kram, bei dem ich was ndern kann.
Dem Kram, mit dem ich mich auskenne. Ich seufzte. Ich glaube, vielleicht ...
Vielleicht sollte ich einfach nur versuchen, meine Schwester zu finden. Und es
dem DED und Yamatetsu berlassen, sich gegenseitig die Augen auszukratzen.
Theresa und ich knnten ein fr allemal aus Seattle verschwinden. Irgendwo neu
anfangen, in Atlanta vielleicht, wo uns niemand kennt. Oder vielleicht knnten
wir auch ber die Grenze zu einer der Native American Nations gehen. Was
meinen Sie?
Sie schwieg eine lange Zeit. Ihre Augen ruhten forschend auf meinem Gesicht.
Schlielich sagte sie: Fragen Sie mich, ob ich das gutheie?
Ich dachte darber nach und antwortete dann wahrheitsgem: Ich glaube
schon.
Sie nickte. Wiederum eine lange Pause. Wissen Sie, ich glaube, Romane und
Filme und Trideo haben uns mit dem Mrchen, eine Person knne die Welt ver-
ndern, einen schlechten Dienst erwiesen. Sie wissen, was ich meine: Slade, der
Scharfschtze, bringt eine ganze Regierung zu Fall. Neil, der Orkbarbar, wehrt
ganz alleine die Invasion ab.
Sie lchelte bei der Vorstellung. Aber so luft es in Wirklichkeit nicht. In der
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wirklichen Welt wrde Lone Star Slade wegen zivilen Ungehorsams ins Gefng-
nis stecken, und fnfzig Krieger wrden selbst Neil den Schdel einschlagen.
Manche Dinge sind viel zu gro fr einen Menschen. Vernderungen kommen
auf die Art zustande, wie Sie arbeiten, Derek. Eine ganze Menge kleiner Leute
arbeiten an dem Kram, den sie ndern knnen, wo es auf sie ankommt. Fr sich
betrachtet, scheint es belanglos zu sein, aber es summiert sich.
Sie kicherte selbstironisch. Jetzt haben Sie mich zum Philosophieren ge-
bracht. Aber ich glaube dennoch, wenn Sie gegen irgendwas vorgehen, das zu
gro fr Sie ist, und Sie dabei gettet werden, dann ist die Welt verloren. Weil
Sie dann nicht mehr unten im Schtzengraben stehen und fr die Leute etwas
verndern, denen Sie in der Vergangenheit geholfen haben. Sie wissen, was ich
meine? Ich nickte, und sie kicherte wieder. Wer wei? Wenn Sie tatschlich
ber die Grenze gehen sollten, komme ich vielleicht mit. Sie sah auf die Uhr.
Es ist spter, als ich gedacht habe.
Ich sah selbst auf die Uhr. Schon nach 22.00 Uhr. Ich htte auf ungefhr 19.00
getippt. Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn einem der Drek aus dem Arsch ge-
prgelt wird.
Ich wei nicht mehr, wessen Idee es war, oder ob es eine jener Gelegenheiten
war, wenn zwei Seelen denselben Gedanken haben, ohne da Worte ntig wren.
Wie auch immer. Jocasta und ich teilten das Bett in Rodneys zweitem Schlaf-
zimmer. Es war das, was wir beide brauchten: Den Schrecken der vergangenen
paar Tage beiseite zu schieben und uns in den Empfindungen der krperlichen
Liebe zu verlieren. Da war viel Zrtlichkeit und Wrme und schlielich war da
ein tiefer erfrischender Schlaf.
Ich erwachte etwa um zwei in der Frh. Durch ein Loch in der Wolkendecke
schien der Mond durch das teilweise polarisierte Fenster. Jocastas Kopf ruhte auf
meiner Schulter, ihr Arm hing locker ber meiner Brust. Im Mondlicht wirkte
ihr Gesicht still und friedlich. Ich konnte mir mhelos das Kind vorstellen, das
sie einmal gewesen war, das einsame Mdchen, dessen unsichtbare Freundin
einmal zu ihr gesprochen hatte. Ich versprte einen leichten Stich, als ich sie
betrachtete. Nicht Liebe: Liebe entsteht nicht auf diese Weise. Aber Zrtlichkeit
zweifellos. Ich fragte mich, ob es ihr auch nur vage ernst damit gewesen war,
Seattle ebenfalls zu verlassen. Ich hoffte es: Ich konnte einen Freund brauchen.
Vielleicht eine Viertelstunde lag ich da und starrte an die Decke. Mein Krper
bentigte mehr Schlaf, aber mein Geist wollte sich nicht entspannen. Ich hatte
die Entscheidung getroffen, mich zu verdrcken. Es war keine von den logischen
Entscheidungen, wo man das Fr und Wider abwgt und dann kategorisch sagt:
Ich whle Mglichkeit A. Es war mehr die Einsicht, da ein Teil meines Ver-
standes bereits von emotionalen Faktoren berzeugt worden war, und ich wute,
da Logik das Gefhl im tiefsten Innern nicht ndern konnte.
So sei es. Finde dich mit der Entscheidung ab. Was wrde der erste Schritt sein,
sie in die Realitt umzusetzen? Offensichtlich der, Theresa zu finden. Aber wie?
Ich lie meine Gedanken treiben, indem ich ihnen keine Richtung vorgab, son-
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dern mein Unterbewutsein alles auf meinen inneren Schirm zaubern lie, was
es mir zeigen wollte. Whrend ich endlich ruhiger wurde und wieder in Richtung
Schlaf glitt, lie ich noch einmal die beiden Anrufe bei der Bruderschaft, meine
Suche in den anderen Kliniken und meine Bitte an Naomi, die Aufzeichnungen
Lone Stars auf eine Erwhnung meiner Schwester zu berprfen, vor meinem
geistigen Auge Revue passieren. Von da schaltete ich auf die Nachricht von Nao-
mis Tod. Und von da ich erkannte den morbiden Trend, der sich abzeichnete
auf meinen letzten Matrix-Run mit Buddy. Eine nicht gerade logische Gedanken
kette ist es nicht wunderbar, was der dsende Verstand alles bewerkstelligen
kann? , und ich ging noch einmal den Bericht der Intensivstation ber Mariane
Corbeaus Unfall durch.
Und pltzlich war ich hellwach, mein ganzer Krper kribbelte. Ich hatte ein
Bindeglied, und ich wute, was ich als nchstes zu tun hatte. So sanft wie mg-
lich lste ich mich aus Jocastas Umarmung und legte ihr ein Kissen als Ersatz fr
meine Schulter unter den Kopf. Ich zog mich rasch an und kritzelte eine Notiz, in
der ich erklrte, wohin ich ging. Dann schlich ich mich aus dem Apartment und
hinein in die Nacht.
Das Stift der Universellen Bruderschaft in Puyallup erwies sich als ehemalige
zahnrztliche Klinik. Ein weiteres, unter Denkmalschutz stehendes Gebude
wie Greybriars Apartmenthaus. Die Restaurationsarbeiten waren hervorragend
gelungen bis hin zum neonbeleuchteten Merkurstab ber der Vordertr. Im Ein-
klang mit den Vorschriften des Komitees fr Denkmalschutz waren die Schil-
der, die das Gebude als Stift der Bruderschaft auswiesen (Entdecken Sie Ihre
inneren Qualitten!, Auf dem Weg in eine bessere Zukunft), auf den Rasen
beiderseits der Tr verbannt.
Ich fuhr langsam daran vorbei, wobei ich das Gelnde musterte. Um drei Uhr
irgendwas in der Frh war kaum Verkehr auf der Strae und noch weniger Bewe-
gung in der Umgebung des Stifts. Wenige Lichter brannten, und ich war sicher,
da der Vordereingang verschlossen war (obwohl man meinen sollte, da der
Weg in eine bessere Zukunft ein Anliegen ist, das rund um die Uhr Bestand hat).
Wie bei der Niederlassung in Redmond war der Eingang zur Suppenkche und
zur Notaufnahme anscheinend in einer Seitengasse. Anders als in Redmond be-
fand sich das Stift in Puyallup in der Mitte eines Blocks, was bedeutete, da sich
die potentiellen Patienten durch fnfzig Meter dunkler Gasse tasten muten, um
ihr Ziel zu erreichen. Dieser Eingang stand allen Hilfesuchenden offen.
Hierher also hatte Fitz, der Troll, Theresa gebracht, als sie ausgeflippt war. Ich
konnte mir vorstellen, wie der ungeschlachte Wohltter meiner Schwester den
gestohlenen Wagen neben dem Mllcontainer in der Gasse parkte und sie, deren
hagerer Krper in seinen Armen wie der eines Kindes aussah, zur Kliniktr trug.
Ich parkte den Wagen zwei Blocks entfernt, schlich zurck wie ein Gespenst
durch die Nacht und bezog Stellung. Geduckt im Schatten eines weiteren Mll-
containers in einer weiteren Gasse, wobei ich um die Ecke lugte, um die Klinik-
tr im Auge zu behalten.
230
Ich war wegen jenes Bindegliedes hier, das ich beim Starren auf die mondbe-
schienene Zimmerdecke entdeckt hatte. Jene Information, die in der Crashcart-
Datei ber Mariane Corbeau vergraben war, hatte mich hergefhrt. Als ich im
Bett lag, hatte ich den Schlueintrag in dieser Datei so deutlich vor mir gesehen,
als wrde er mir auf einem Bildschirm gezeigt. Pltzlich war mir aufgefallen,
was ich bei der ersten Durchsicht der Datei bersehen hatte. Der Name, oder soll-
te ich sagen, die Bedeutung des Namens. Genehmigt von Dr. J. Carter und Dr.
K. Mobasa, behandelnde rzte Dr. D. Horbein, Dr. X. Marthass, Dr. P. Dempsey
und Dr. A. Kobayashi. Dr. P. Dempsey, Dr. Phyllis Dempsey, frisch angestellte
Verwaltungsdirektorin der Puyallup-Klinik der Bruderschaft, Nachfolgerin eines
gewissen Dr. Boris Chernekhov.
Zufall? Vielleicht aber ich glaubte es einfach nicht.
Angenommen, Dr. Dempsey war irgendwie nicht koscher. Das klrte eine gan-
ze Reihe von Fragen. Es bedeutete, Fitz, der Troll, hatte Theresa hergebracht,
wie er gesagt hatte. Kein berlegen mehr, warum er gelogen haben knnte oder
woher er das Namensschild der Schwester hatte, mit dem er die Lge untermau-
erte. Und was war mit Fitz Tod, dem Mord, den die Prowler mir in die Schuhe
schoben? Der Troll hatte Theresa gemocht. Alle Prowlers hatten Teri Sahne ge-
funden. Wetten, da er am nchsten Tag wieder hingegangen war, um sich nach
dem Befinden seiner Freundin zu erkundigen? Er hatte die falschen Fragen auf
die falsche Art und Weise gestellt Trolle sind nicht gerade fr ihr Fingerspitzen-
gefhl berhmt , und dafr hatte man ihm die Kehle rausgerissen.
Anscheinend war es Zeit fr eine weitere Unterhaltung mit Dr. Dempsey, eine
intensive Unterhaltung. Am Telekom hatte sie erwhnt da sie wieder zur Nach-
mittagsschicht zurckkehren wrde. Sie hatte auerdem etwas von einem Vier-
Uhr-Bericht gesagt, den sie gelesen habe. Hinzu kam die Tatsache, da Klini-
ken im allgemeinen Zwlfstundenschichten fahren. Schlufolgerung: Dempseys
Schicht ging wahrscheinlich von 16.00 bis 04.00 in der Frh. Was bedeutete, sie
wrde in ich sah auf die Uhr etwa zwei Minuten Dienstschlu haben. Wr-
den die Leute, deren Schicht beendet war, im Krankenhaus bleiben? Unwahr-
scheinlich: Sie wrden mit Sicherheit nach Hause wollen. Und wrden sie durch
den Vordereingang gehen, was das Auf- und Zuschlieen der Tren erforderlich
machte? Wiederum unwahrscheinlich: Sie wrden den Weg durch die Gasse neh-
men. Den ich nicht aus den Augen lie.
Wenn irgendwas geschehen wrde, dann bald. Ich sah wieder auf die Uhr.
04.02.
Bingo! Die Tr zur Gasse ffnete sich. Im Lichtschwall, der sich aus der Tr
ergo, sah ich fnf Gestalten herauskommen, hrte die gemurmelten Gute-
Nacht-Gre. Dann teilte sich die Gruppe. Okay, die Gtter waren auf meiner
Seite. Drei Gestalten gingen in die andere Richtung und entfernten sich von mir.
Zwei kamen mir entgegen. Eine groe Gestalt ein groer Mensch oder ein Ork,
vermutete ich und eine etwas, doch nicht viel kleinere. Dr. Phyllis Dempsey
mit Freund/Leibwchter. Ich duckte mich tiefer in den Schatten des Mllcontai-
231
ners und zog den Manhunter.
Die beiden Gestalten nherten sich mir. Seite an Seite, kein Gesprch. Der Bur-
sche neben ihr war ein Mensch, und der Art, wie seine Augen wachsam immer
wieder von links nach rechts und zurck wanderten, konnte ich entnehmen, da
er ein Leibwchter war. Doch seine Nachtsicht wrde nach der Helligkeit der
Klinik immer noch ziemlich lausig sein. Selbst mit verbesserter Optik war er fr
ein oder zwei Sekunden im Nachteil, und mehr brauchte ich nicht.
Jetzt! Die beiden Gestalten waren mit mir auf gleicher Hhe. Meine Beine
waren unter mir wie Federn gespannt. Jetzt streckte ich mich und warf mich auf
die grere der beiden Gestalten. Knallte ihm meine Kanone seitlich hinter dem
Ohr auf den Schdel. Als er sich krmmte, pflanzte ich ihm meine andere, durch
einen Zementbrocken beschwerte Faust ins Genick. Er ging schlaff zu Boden,
ohne ein Gerusch zu verursachen.
Alles war so schnell gegangen, da Dempsey lediglich die Zeit gehabt hatte,
sich halb zu mir umzudrehen. Dann packte ich ihren Arm, ri sie fast von den
Beinen und knallte sie gegen die nchste Hauswand. Ich hielt ihr den Lauf des
Manhunter unter die Nase und schaltete den Ziellaser ein. Ihre Pupillen vereng-
ten sich zu Stecknadelkpfen, und ich wute, im Moment war sie praktisch blind.
Reden wir, zischte ich sie an.
Ihre Brust hob und senkte sich rasch, und ich konnte das Glitzern ihrer weien
Zhne vor dem Hintergrund ihrer schwarzen Haut sehen. Ich dachte, sie wrde
keuchen und die Zhne vor Furcht blecken. Doch dann wurde mir klar, da sie
lachte, und das jagte mir grndlich Angst ein. Ich trat einen Schritt zurck, die
Kanone weiterhin auf ihr Gesicht gerichtet, whrend der Laser ber ihre Augen
zuckte.
Guten Abend, Mr. Montgomery, sagte sie ruhig und mit einem wahrhaft be-
strzenden Unterton der Belustigung in der Stimme. Was, zum Teufel, fand sie
so komisch? Und was kann ich heute nacht fr Sie tun?
Obwohl ich es war, der nach allen objektiven Kriterien sie und die Sache im
Griff hatte, kroch in mir langsam das Gefhl hoch, da tatschlich sie im Vorteil
war. Ich steckte wieder tief im Drek, wahrscheinlich viel tiefer, als ich vermutete.
Und ich wute nicht einmal, warum oder wie. Aber ich wrde ihr nicht zeigen,
wie ich mich fhlte, also behielt ich meinen rauhen und eindringlichen Tonfall
bei. Ich will meine Schwester, Sie alte Schnepfe, sagte ich. Wo ist sie?
Dempsey kicherte, ein leises und grliches Gerusch in dieser dsteren Gas-
se. Oh, es geht ihr gut, Derek Montgomery. Besser als den meisten Leuten
im Sprawl. Sie grinste. Besser als Ihnen, zum Beispiel. Und, aus einer ganz
bestimmten Warte betrachtet, sehr bald noch besser.
Wovon reden Sie?
Wenn Sie Glck haben, werden Sie es letzten Endes herausfinden. Ihr L-
cheln, obszn im zitternden Laserlicht, lie den Satz wie eine Drohung klingen.
Nein, nicht wie eine Drohung, wie eine unheilvolle Prophezeiung.
Wieder berkam mich dieses Gefhl, da sie alles unter Kontrolle hatte, da
232
sie nur mit mir spielte. Ich umklammerte die Pistole noch fester. Wo ist sie?
fauchte ich.
Dort, wo Sie nicht zu ihr gelangen knnen.
Wo? fragte ich noch einmal. Sie lachte nur leise. Furcht und Abscheu ver-
mischten sich, brannten in meinem Magen und explodierten dann in rote Wut.
Ich schlug mit der Pistole zu, knallte ihr den Lauf fest gegen die Stirn, so fest,
da ihre Haut aufplatzte. Der Hieb htte schwindelerregend schmerzhaft sein
und ausreichen mssen, buchstblich jeden vorbergehend zu betuben, und den
meisten wre obendrein noch schlecht geworden. Obwohl der Knall von Metall
auf Knochen laut durch die vllig verlassene Gasse hallte, gab sie durch nichts
zu erkennen, da er ihr auch nur im geringsten weh getan hatte. Ihr Lcheln war
unverndert, ihre winzigen Pupillen fixierten mich immer noch. Wo? wieder-
holte ich.
Sie schwieg. Ich erwog, sie noch einmal zu schlagen, fester diesmal. Aber die
Angst, sie einen noch hrteren Schlag ungerhrt wegstecken zu sehen, reichte,
um mich davon abzubringen. Ein Troll hat sie hergebracht, sagte ich statt des-
sen.
Natrlich. Er ist am nchsten Tag wiedergekommen und hat zu viele Fragen
gestellt. Zu seinem Unglck.
Sie haben sie fortgebracht.
Natrlich, wiederholte Dempsey.
Ich htte vor Erleichterung seufzen knnen. Immer war da die Furcht gewesen
so tiefsitzend, da ich sie nicht mal mir selbst eingestehen konnte , Theresa
knnte tot sein. In den Tiefen von Dempseys Augen schien sich etwas zu vern-
dern, die Andeutung einer noch tiefergehenden Belustigung, und ich war ber-
zeugt, sie wute, was in mir vorging.
Wohin haben Sie sie gebracht? Ungeachtet der Nhe zur Klinik und der sehr
realen Gefahr, gehrt zu werden, schrie ich mittlerweile fast. Wohin?
Jetzt lachte sie. Laut und schallend, aus vollem Halse. Aber das wissen Sie
doch, Derek, prete sie zwischen ihren Heiterkeitsanfllen heraus. Sie sind
schon dort gewesen. In Fort Lewis. Die ISP-Anlage. Das gute alte E-Gebude.
Ach, Jesus ... Daher bezog ISP also seine Versuchspersonen fr SPISES, aus
den kostenfreien Kliniken der Stadt. Und das war auch der Grund, warum David
Sutcliffe Patrick hatte geeken wollen, als der nach seiner vermiten Angebeteten
gefragt hatte: Wahrscheinlich hatte man sie bereits nach Fort Lewis verfrachtet.
O Jesus, Theresa ...
Ich war einen Augenblick abgelenkt gewesen, und das nutzte Dempsey aus.
Sie strzte mit derart bermenschlicher Geschwindigkeit vorwrts, da ich die
Bewegung kaum sah. Ihre linke Hand stie vor, packte meine Pistolenhand und
drckte den Manhunter nach auen. Der Laser tanzte in der Dunkelheit neben
ihrem Kopf. Ihre rechte Hand packte mich seitlich am Hals, und ihre langen Fin-
gerngel gruben sich in mein Fleisch. Die Frau hatte unglaubliche, schreckliche
Krfte. Ich konnte nicht gegen sie kmpfen. Mein Pistolenarm war so wirkungs
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voll neutralisiert, als klemme er in einem Schraubstock, und ihre rechte Hand
zog meinen Kopf langsam aber sicher nher an ihr Gesicht heran. Ihr Mund war
weit aufgerissen, als wolle sie ihre Zhne in meine Kehle schlagen. Ein verwich-
ster Vampir?
Ich konnte meinen rechten Arm nicht bewegen. Ich konnte die Kanone drehen,
aber nicht weit genug. Sie verstrkte ihren Griff, und ich konnte spren, wie sich
die kleinen Knochen meines Handgelenks bewegten. Der Schmerz machte mir
augenblicklich klar, da ich nur noch ein paar Sekunden hatte, bevor sie mir das
Handgelenk brach bevor sie mir die Kehle herausri.
Meine linke Hand war immer noch frei. Ich knallte ihr eine Serie kurzer Ha-
ken an den Kopf, aber unsere Krper waren zu dicht beieinander, so da ich die
Hebelkraft meines Arms nicht richtig einsetzen konnte, und meine Faust fhlte
sich an, als htte ich den Mllcontainer verprgelt. Ich ri ein Knie hoch, wo-
bei ich auf ihre Weichteile zielte klar, das ist nicht so wirkungsvoll wie bei
einem Mann, aber ein solider Schlag in den Unterleib lt auch eine Frau in die
Knie gehen. Doch sie drehte sich weg, und mein Knie stie gegen ihren steinhar-
ten Oberschenkelmuskel. Sie lachte und zog meinen Kopf noch nher zu ihrem
Mund. Ihre Augen waren immer noch auf meine geheftet.
Ich brachte die linke Hand nach oben und trieb meine Finger in diese Augen.
Sie schrie auf. Mit aller Kraft drckte ich zu und stie ihren Kopf nach hinten.
Dann warf ich mich mit meinem vollen Gewicht auf sie und trieb sie rckwrts
einen Schritt, zwei gegen die Hauswand. (Es klappte. Stark war sie vielleicht,
aber sie hatte trotzdem nur die Krpermasse einer Elfin.) Mit dem hlichen
Gerusch brechender Knochen knallte ihr Hinterkopf gegen die Wand. Sie schrie
erneut, und ich rammte ihr meine linke Schulter gegen den Hals.
Dann schrie ich, als sie ihre Zhne in meiner Schulter vergrub eiskalter
Schmerz, der sich in Feuer verwandelte. Ich ri mich los, sprte mein Fleisch
unter ihren Zhnen nachgeben.
Der Zielpunkt meines Lasers lag auf der Wand direkt neben ihrem Ohr. Das
Licht wurde von ihrer Schlfe reflektiert. Ich drckte ab.
Der Manhunter brllte auf und keilte aus. Die Kugel schlug Splitter aus der
Mauer, die mir um die Ohren flogen, und der Querschlger traf Dempsey seitlich
am Kopf. Ihr Griff um Hals und Handgelenk verkrampfte sich, um dann schlaff
zu werden. Ich ri mich los und stolperte einen Schritt zurck.
Sie lebte noch, was eigentlich nicht htte der Fall sein drfen. Ein Teil ihres
Schdels war buchstblich weggefegt worden, doch sie stand immer noch. Die
rollenden Augen, die jetzt lngst nicht mehr menschlich aussahen, auf mich fi-
xiert, machte sie einen Schritt auf mich zu. Ihre Stimme war ein scheuliches
blubberndes Ding.
Ich scho wieder. Und wieder und wieder. Scho weiter, nachdem sie lngst
zu Boden gegangen war, bis das Magazin leer war. Widerstand dem Impuls, ein
neues einzulegen und das auch noch in sie zu leeren. Dann drehte ich mich um
und floh aus der Gasse, als sei der Teufel persnlich hinter mir her. Und ich war
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nicht mal vllig sicher, da er das nicht tatschlich war.
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M eine Schulter fhlte sich an wie die reine Hlle. Nicht einmal die anal-
getische Salbe, die Jocasta aufgetragen hatte, konnte die Schmerzen voll-
stndig betuben, und das Fleisch schien ber den Verband zu quellen, den sie
mir angelegt hatte. Die Wunde selbst brannte, der vertraute Schmerz zerrissenen
Fleisches, doch tiefer in der Schulter sprte ich ein dumpfes Pochen, das mit
meinem Herzschlag synchronisiert zu sein schien. Zunchst war die Empfindung
auf die Schulter beschrnkt gewesen. Doch jetzt schienen Schmerz und Schw-
che auf den ganzen linken Arm auszugreifen.
Jocasta kniete neben mir auf dem Sofa. Ein gut ausgerstetes Medkit lag auf
dem Kaffeetisch, von dem ein Glasfaserkabel zu einem Sensor fhrte, mit dem
Jocasta meine Schulter abtastete. Irgendein Gift, glaube ich, sagte sie, wh-
rend sie die Analyse des Medkits studierte. Es schlgt ein Breitband-Gegengift
in Pflasterform vor.
Ich wrde seinem Urteil mehr trauen als meinem, sagte ich. Mach weiter.
Was war sie? fragte sie, whrend sie die Schutzhlle von dem Pflaster zog
und es mir nahe der Wunde auf den Rcken klebte.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich war etwa gegen 05.00 zurckgekommen. Da
ich auf der Rckfahrt langsam fahren und gelegentlich anhalten mute, um einen
Anfall von Schttelfrost abzuwarten, hatte ich reichlich Zeit zum Nachdenken
gehabt. In einer ersten Reaktion auf den Kampf hatte ich geglaubt, Dempsey sei
irgendein unnatrlich starkes Monster mit Giftzhnen gewesen. Jetzt wurde mir
klar, da da lediglich die Angst aus mir gesprochen hatte.
Ihre Kraft? Cyberware, schlicht und ergreifend. Nicht jedes Ersatzglied mu
nach Chrom aussehen. Die Tatsache, da ihr die erste Kugel zwar den halben
Kopf weggerissen, sie aber dennoch nicht gegeekt hatte? Manchmal luft es eben
so. Der Wundschock oder das Fehlen desselben ist einfach unberechenbar.
Der eine wird an der Hand getroffen und stirbt am Schock. Ein anderer bekommt
ein paar Dutzend Kugeln ab und hpft noch minutenlang in der Gegend rum,
bevor sein Hirn zugibt, da er tot ist.
Und ihr Giftbi wenn es wirklich ein Toxin war und nicht blo fehlende
Mundhygiene? Ich kenne Straensamurai mit Dornen statt Fingerngeln und
Messern in den Unterarmen. Wenn ich es mir richtig berlegte, war es eigentlich
eher verwunderlich, da ich bis jetzt noch nicht von Giftzhnen wahrscheinlich
mit Stahlspitzen berkront gehrt hatte.
Ich wei nicht, was sie war. Ich wei nur, da sie meine Schwester genommen
und Yamatetsu bergeben hat. Das Miststck. Der Schmerz in meiner Schulter
lie langsam nach, als das Pflaster seine Arbeit aufnahm. Den Gttern sei Dank
fr die moderne Medizin. Ich sprang vom Sofa, empfand das dringende Bedrf-
nis auf und ab zu gehen.
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Jocasta musterte mich schweigend. Ich wute, da sie begriff, was ich durch-
machte, da sie gerade erst die eigene Schwester verloren hatte, aber meine Wut
und meine inneren Qualen waren unmittelbarer. Sie brannten und tzten und
wanden sich in meinem Magen. Ich mute irgendwas unternehmen.
Was hast du jetzt vor? Jocastas Stimme klang gelassen, beruhigend das
letzte, was ich im Moment wollte.
Sie umbringen, grollte ich. Meine Schwester zurckholen.
Wie?
Ich wei es nicht.
Dann la uns darber reden. Ich will dir helfen, Derek. Ich werde dir helfen.
Aber ich mu wissen, wie. Ich wollte die Logik in ihren Worten nicht akzeptie-
ren, aber mir blieb nichts anderes brig. Widerwillig setzte ich mich neben sie.
Also gut, sagte sie mit einem beruhigenden Lcheln, dann la uns berle-
gen, wie wir vorgehen mssen.
Eines wurde rasch offensichtlich: Wenn wir auch nur in die Nhe von Yamatetsus
ISP-Anlage kommen wollten, brauchten wir mehr Leute und ernstzunehmende
Muskeln oder Muskel-Ersatz.
Das Schlsselwort war ernstzunehmend. Wie jeder, der auf den Straen und in
den Schatten arbeitet, kannte ich einige Dutzend Leute, die sich als Shadowrun-
ner bezeichneten. Genaugenommen waren sie das wohl auch. Doch unter den
Shadowrunnern existieren ebenso Abstufungen wie, sagen wir, unter professio-
nellen Riggern. Die berwiegende Mehrheit der Rigger ist absolut in der Lage,
einen Truck ber einen Highway zu fahren, ohne irgendwo anzuecken oder
zumindest nicht allzu oft. Doch darber hinaus gibt es die Burschen, die einen
Panzer mitten in der Nacht durch einen strmischen Canyon und einen Hagel
anfliegender Raketen steuern knnen, whrend sie gleichzeitig die angreifenden
Helikopter mit der Kanone des Panzers beharken. Trotz allem, was man im Trid
zu sehen bekommt, sind diese letzteren sehr dnn gest.
Dasselbe gilt fr den Shadowrunner von Format. Er ist einer von Tausend
wahrscheinlich noch seltener und der Dutzendware so hnlich wie ein Schreck-
gespenst einem Schohndchen. Ich bin einmal einem Shadowrunner dieses Ka-
libers einem Samurai, der sich Hangfire nannte bei einem gesellschaftlichen
Anla begegnet, und das hat mir gereicht. Ich danke allen Gttern, da ich noch
nie gegen einen antreten mute.
Doch jetzt waren solche Schwergewichte genau das, was ich finden mute.
Durchschnittliche Shadowrunner anzuheuern, ist nicht schwer: Man geht in die
richtige Art von Bar und lt durchblicken, da man ein Talent fr einen Job
braucht. Dann siebt man einfach alle Bewerber, bis man gefunden hat, was man
braucht. Doch die Crme hngt nicht in Bars rum und nimmt auch nicht jeden
Job an. Und sie arbeitet fast immer ber Mittelsmnner.
Was der Grund dafr war, da ich Anwar anrief. So wenig ich das kleine Wiesel
leiden kann, das Netz seiner Kontakte ist viel grer, als meines je sein wird. Ich
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gab eine grobe Beschreibung des Jobs und den Grad der Befhigung, der mir
vorschwebte, wobei ich natrlich den Namen des Konzerns verschwieg. Ich
schtze, ich brauche zwei, vielleicht drei wirklich gute Kanonen, sagte ich. Fr
einen Decker sorge ich selbst ich dachte an Rosebud, deren Tarife vernnftig
waren , desgleichen fr einen Magier. Rodney, natrlich. Aber ich brauche
Muskeln.
Ich konnte die kleinen Nuyen-Zeichen hinter Anwars dunklen Augen frmlich
aufleuchten sehen. Dies wrde eine groe Sache werden, was bedeutete, da er
eine groe Provision einsackte. Ja, sicher, sicher, sagte er. Klar, ich kenn n
paar von den Leuten, die du willst. Du willst auch gescheite, nicht nur harte Bur-
schen? Spielt die Rasse ne Rolle? Ich schttelte den Kopf. Dann haben wir da
Easter aus Detroit Troll, echt guter Ruf. Oder Ripper aus Atlanta Zwergen
sldner, einer der Hrtesten. Oder vielleicht ...
Ich schnitt ihm das Wort ab. Bleib hier in der Gegend, sagte ich. Ich brauch
sie heute nacht, wenn es sich eben machen lt.
Oh, ein Eilauftrag, blkte Anwar, und die Nuyen-Zeichen leuchteten heller.
Ja, willst du ... Er brach ab, und seine Augen verengten sich. Du kannst zah-
len, hm? sagte er mitrauisch. Spitzenleute verlangen auch Spitzennuyen.
Ich nickte. Jocasta und ich hatten das bereits durchdiskutiert. Ich konnte viel-
leicht siebzig K Nuyen zusammenkratzen, im wesentlichen dadurch, da ich
alles verpfndete, was mir gehrte oder je gehren wrde kein allzu groes
Problem, da ich tatschlich die Absicht hatte zu verschwinden, sobald ich There-
sa hatte. Jocasta hatte versprochen, fr den Rest geradezustehen. (Sie hatte nicht
gesagt, warum, und ich kannte mich zu gut mit geschenkten Gulen aus, um sie
zu fragen.) Ich kann zahlen, sagte ich dem Wiesel.
Ja, okay. Wenn du was aus der Gegend willst, dann gibts da ne Gruppe, die
sich Wrecking Crew nennt. Zwei Samurai, ein Magier, ein Decker.
Ich brauch nur die Muskeln. Fr Magier und Decker sorge ich selbst.
Anwar schttelte den Kopf. So luft das nicht. Die Crew arbeitet immer zu-
sammen. Keine Ausnahmen: Wenn du einen willst, mut du alle nehmen.
Vier schwergewichtige Shadowrunner wrden mein Budget sprengen. Wer
noch? fragte ich.
Er zuckte die Achseln auf seine wieselige Art und Weise. Niemand, wenn du
sie heute noch willst.
Ich knirschte mit den Zhnen. Wie ist ihr Tarif?
Der Schieber sah mich an, als htte ich ihn nach seiner Lieblingsstellung ge-
fragt. Du machst n Angebot, sie entscheiden, ob sies annehmen, schnappte
er. Ich wute, das war das bliche Protokoll, aber ich hatte auf einen Tip gehofft,
um nicht mehr Zeit als ntig mit Verhandlungen zu verschwenden.
Ich stellte das Telekom auf Warten und wandte mich an Jocasta, die schwei-
gend vom Sofa aus zugesehen hatte. Insgesamt vier. Jeder zwanzig?
Sie dachte einen Moment darber nach. Mach dreiig daraus.
Ich zgerte. Das waren insgesamt hundertzwanzigtausend Nuyen meine sieb-
237
zig plus fnfzig von Jocasta. Bist du sicher?
Mach dreiig daraus, sagte sie fest.
Ich widmete mich wieder dem Telekom und holte Anwar aus seinem elektro-
nischen Limbus zurck. Okay, sagte ich, insgesamt Einszwanzig. Sie zahlen
deine Provision.
Das Wiesel lie keine Reaktion erkennen. Anwar wrde einen verdammt guten
Pokerspieler abgeben. Ich geb dein Angebot weiter, sagte er unverbindlich.
Und der Job?
Bereit zum Empfang? fragte ich. Als er bereit war, jagte ich eine kurze In-
struktionsdatei ber die Leitung. Die Datei enthielt alles, was Jocasta und ich
ber die ISP-Anlage wuten oder rekonstruieren konnten, sowie eine Einsatzbe-
schreibung. Obwohl das Protokoll dem Schieber bei Deals wie diesem verbot, in
den Informationsaustausch zwischen Auftraggeber und Ausfhrendem Einsicht
zu nehmen, hatte ich die Vorsichtsmanahme ergriffen, ein Einmal-Lesevirus in
die Datei einzubauen. Das Virus sorgte dafr, da die Datei nur einmal geffnet
werden konnte und jeder Versuch, sie zu kopieren oder den Kopierschutz zu
entfernen, zur sofortigen Lschung fhrte. Vielleicht ein wenig paranoid, aber
Paranoia schien langsam der Preis dafr zu sein, am Leben zu bleiben.
Das Wiesel besttigte den Empfang der Datei und unterbrach dann die Verbin-
dung. Ich lehnte mich zurck und versuchte abzuschalten. Jetzt war nichts mehr
zu tun, als zu warten.
Das brauchten wir nicht lange. Ein Segen, weil die Anspannung an meinen Ein-
geweiden nagte. Als das Telekom summte, htte ich fast ein paar Mbelstcke
ber den Haufen gerannt, um so schnell wie mglich hinzukommen. Ich drckte
auf die Empfangstaste. Ja? bellte ich ins Mikro.
Das Gesicht auf dem Schirm war mir unbekannt, aber es konnte nur einem
gehren. Auf eine harte Weise hbsch, hatte er ein langes Gesicht mit groem
Kiefer, kurzem Haar und einem Mund, den man je nach Stimmung als entschlos-
sen oder grausam beschreiben konnte. Seine Augen waren grau und glitzerten
silbrig, was auf Modifikationen hindeutete. Sein Benehmen war vielleicht noch
charakteristischer. Es hatte nichts von dem prahlerischen Macho-Gehabe und
dem Anflug barbarischer Wildheit, die die meisten Mchtegern-Runner als Be-
weis ihrer Professionalitt demonstrieren. Er hatte mehr von einem hochrangi-
gen Militr an sich und war so berzeugt von sich und seinen Fhigkeiten, da
er nicht zu posieren brauchte. Entweder man nahm ihn ernst oder lie es bleiben.
Im letzteren Fall wrde man wahrscheinlich sterben, aber auf die eine oder ande-
re Art wrde ihm das ebenso wahrscheinlich ziemlich egal sein.
Mr. Johnson? sagte er ruhig.
Mein Verstand setzte fr einen Moment aus. Warum sollte mir Anwar noch ei-
nen Johnson vor die Nase gesetzt haben? Ich war derjenige, der die Shadowrun-
ner anheuerte, was, wie ich pltzlich realisierte, mich zu Johnson machte.
Ja, sagte ich schlielich.
238
Sie knnen mich Argent nennen.
Vielen Dank fr den schnellen Rckruf.
Ich habe ihr Angebot mit meinem Team besprochen, fuhr er fort, als htte
ich gar nichts gesagt, und ihnen Ihre Instruktionsdatei gezeigt. Wir haben be-
schlossen, Ihren Kontrakt zu akzeptieren. Ich unterdrckte einen Seufzer der
Erleichterung. Ihr Mittelsmann sagte, es soll heute nacht ber die Bhne gehen.
Stimmt das?
Ich nickte. Es ist wichtig, da wir schnell machen.
Wenn Sie es so haben wollen, sagte der Samurai gleichmtig, schlage ich
vor, da wir uns um achtzehn-null-null zu einer Einsatzbesprechung treffen. Ha-
ben Sie einen sicheren Treffpunkt? Ich nickte und gab ihm die Adresse von
Rodneys Apartment.
Einverstanden, sagte Argent. Hawk und ich sind um Punkt Achtzehn da.
Und das war es. Ich hatte ein Team von Shadowrunnern angeheuert.
Rodney war aus dem Schlafzimmer gekommen, whrend Jocasta und ich auf
den Anruf der Wrecking Crew gewartet hatten. Er sah zum Frchten aus blasse
Gesichtsfarbe, tief in den Hhlen liegende Augen. Ich wute nicht, ob ihn seine
Zauberei so fertig gemacht hatte oder der Kummer ber Amandas Tod, und es
schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, ihn danach zu fragen. Bis zu Argents
Anruf war er nicht besonders gesprchig, doch dann sagte er: Ich komme heute
nacht mit.
Es ist nicht Ihr Kampf, Rodney, sagte ich ruhig.
Er starrte mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. Vielleicht ist
er das doch. Zum erstenmal, seit ich ihn kannte, sah er gefhrlich aus. Ich er-
innerte mich an den Killer-Spruch, der das Ding zerfetzt hatte, und nickte rasch.
Ihre Entscheidung. Wenn Sie meinen, da Sie dazu bereit sind.
Ich bin dazu bereit. Ich war gewi nicht in der Position, deswegen mit ihm
zu streiten.
Ich schlug die Zeit bis 18.00 Uhr auf die konstruktivste Weise tot, die ich mir
vorstellen konnte. Zunchst lie ich den Rundgang, den Skyhill uns in der ISP-
Anlage verpat hatte, wieder und wieder vor meinem geistigen Auge Revue pas-
sieren, wobei ich mich auf Dinge wie Lageplan, logische Positionen der Wchter
und andere taktische Erwgungen konzentrierte. Dann rief ich Anwar nochmal
an. Ich wollte von ihm alle Hintergrundinformationen, die er mir ber das Team
von Shadowrunnern geben konnte, das sich selbst Wrecking Crew nannte.
Ziemlich beeindruckende Dossiers, die die Burschen da hatten. Argent, der An-
fhrer, hatte sein Handwerk in Fuchis Konzernarmee und drei Jahren Wsten-
krieg gelernt. Zweifellos ein zher Kunde. Ein uerst beunruhigender Vermerk
in seinem Dossier erregte jedoch meine Aufmerksamkeit und wollte mich nicht
mehr loslassen. Argent hatte zwei Cyberarme. Nun war diese Tatsache an sich
nicht so ungewhnlich, besonders nicht nach drei Jahren Krieg. Ich glaube, ich
wre berraschter gewesen, wenn er durchgekommen wre, ohne irgendwelche
239
Krperteile zu verlieren. Nein, was ich so bestrzend fand, war die Tatsache, da
die Cyberarme freiwillig empfangene Ersatzglieder waren. Im Klartext: Argent
hatte beschlossen, sich seine perfekt funktionierenden Arme aus Fleisch und Blut
abtrennen und durch metallene ersetzen zu lassen. Welche Sorte Mensch konnte
eine derartige Entscheidung treffen? Was wrde einem durch den Kopf gehen,
whrend man dem Chirurgen sagte: Machen Sie schon, weg damit! Unheim-
lich.
Argents Stellvertreter war ein Amerindianer namens Hawk. Er war auerdem
ein Kampfschamane, eine Raritt im Sprawl. Laut Anwars Daten war Hawk
ein Adlerschamane, der eine komplette Dienstzeit bei den Sondereinheiten der
Sioux stimmt genau, die berchtigten Wildcats gedient hatte, und zwar bei
der magisch aktiven Spiritwalker-Einheit. Dann hatte er sich ausmustern lassen,
um solo weiterzumachen. Ziemlich harter Hund, dieser Hawk.
Dann war da noch Toshi, eine weitere Messerklaue. Sein Hintergrund entsprach
mehr dem der meisten Runner, die ich kannte. Auf der Strae aufgewachsen, bei
allen mglichen Gangs mitgemischt, mit Cyberware aufgepeppt und sich dann
einen soliden Ruf geschaffen das bliche.
Abgerundet wurde das Team durch Peg, die Deckerin. Ein weiterer interessanter
Fall. Infolge eines Motorradunfalls im Alter von sechzehn Jahren war Peg quer-
schnittsgelhmt. Die Rckenmarksschden waren so schwer und so weit oben,
da selbst Cyberware nicht helfen konnte. Man braucht Bewegungsnerven, um
mit den Cybergliedern kommunizieren zu knnen, und sie besa ganz einfach
keine funktionstchtigen mehr. Doch Peg besa eine Datenbuchse, und sie wich
in die Matrix als die einzige Welt aus, in der sich ihre Verletzungen nicht nachtei-
lig auswirkten. In den seitdem vergangenen zehn Jahren hatte sie Jobs auf jedem
Kontinent ausgefhrt, obwohl sie ihr Zimmer in der San Francisco-Klinik, wo sie
zu Hause war, nie verlassen hatte. Seit drei Jahren war Peg der einzige Decker,
mit dem die anderen Mitglieder der Wrecking Crew zusammenarbeiten wollten.
Interessant zu lesen und sehr beruhigend. Ich bekam gute Leute fr mein Geld.
Meine Zuversicht wuchs: Wir hatten eine gute Chance, die Sache glatt durchzu-
ziehen.
Also vertrieb ich mir die Zeit mit Lesen und Planen. Doch hauptschlich damit,
mir Sorgen zu machen.
Um Punkt 18.00 Uhr hrte ich das Drhnen schwerer Motorrder auf der Stra-
e. Drei, dachte ich: Argent, Hawk und Toshi. Eine logische Vorgehensweise
war, da Argent und Hawk zur Besprechung gingen, whrend der andere Samu-
rai drauen patrouillierte, nur fr den Fall, da es eine Falle war.
Es klopfte an der Tr. Rodney schlo die Augen und schien ein paar Sekunden
lang in eine Art Trance zu gleiten. Dann erhob er sich und sagte: Sie sind es.
Ich nickte, und er ffnete die Tr.
Argent kam als erster herein. Ein groer Mann, noch grer, als ich nach sei-
nem Bild auf dem Telekomschirm vermutet hatte. Trotz meiner festen Absicht,
meine Augen auf sein Gesicht zu richten, wurde mein Blick wie magisch von
240
seinen schlanken Metallhnden angezogen. Nicht das spiegelblanke Chrom, das
sich die meisten Mchtegern-Straenmonster aussuchen, sondern mattschwarzer
Lack, der seine Hnde noch tdlicher bsartiger, sogar wirken lie, als ich
es fr mglich gehalten htte. Mein Blick glitt wieder zu seinem Gesicht, suchte
in seinen kalten Augen nach einem Hinweis auf seine Persnlichkeit. Doch der
Ausdruck war unleserlich.
Hinter Argent stand ein Amerindianer, berraschend schmalgesichtig und auf
eine asketische Weise hbsch, doch mit einem muskulsen Krper, der Argents
an Gre in nichts nachstand. Das mute Hawk sein, der Kampfschamane. Beide
Runner trugen die blichen Geschftsanzge, eng sitzende schwarze Klamot-
ten, die unter der Oberflche die charakteristischen Ausbuchtungen von Panze-
rung aufwiesen. Keiner trug sichtbare Waffen, aber ich wute, sie wrden irgend-
wo welche versteckt haben.
Argent berflog den Raum mit khlem Blick, whrend Hawk einen Meter hin-
ter und rechts von ihm stand. Perfekt aufeinander abgestimmte Schufelder fr
Rechtshnder. Dann nickte mir die groe Messerklaue zu. Guten Abend, Mr.
Johnson. Er deutete auf das Telekom. Ich htte gern, da Peg sich zu uns ge-
sellt, wenn Sie nichts dagegen haben. Auf ein Nicken von mir ging der Samurai
zum Telekom und tippte eine Nummer ein. Der Schirm blieb leer, aber aus dem
Lautsprecher erklang eine weibliche Stimme. Ich bin da, Argent.
Dann setzte sich Argent auf das Sofa, whrend sich Hawk lssig an die Wand
neben der Tr lehnte. Ihre scheinbare Lssigkeit konnte mich nicht tuschen. Ich
wute, sie waren bis in die Haarspitzen hinein gespannt und auf alles vorbereitet.
Okay, sagte der Samurai ruhig, betrachten wir noch mal die Lage. Es han-
delt sich um einen glatten Einbruch plus Rettungsunternehmen. Ort: Die For-
schungsanlage eines Konzerns. Gegenstand: Eine menschliche Frau. Keine wei-
teren Einschrnkungen oder Bedingungen. Richtig?
Nur eine, sagte ich. Wir drei kommen mit.
Argents kalte Augen flogen ber Jocasta, Rodney und mich. Sie sagten nichts
von Touristen.
Bevor ich antworten konnte, ergriff Hawk das Wort. Seine Stimme war sehr
tief, noch tiefer, als seine Gre ohnehin schon nahelegte. Der Elf ist ein her-
metischer Magier, Argent. Er fixierte Rodney mit neugierigem Blick. Initiat?
Rodney nickte. Die Frau ist magisch aktiv, aber auf einer niedrigen und unkon-
trollierten Ebene. Ich wrde sie vielleicht als Adept einstufen. Und Mr. Johnson
... Er betrachtete mich von oben bis unten und grinste trocken. Mr. Johnson
ist ein Normalsterblicher, aber er hat ne ziemliche Wut im Bauch und ist bereit,
jedem, der ihm krumm kommt, richtig den Marsch zu blasen. Nicht unbedingt
deine Standardtouristen.
Anscheinend nicht geneigt, die Einschtzung des Amerindianers in Frage zu
stellen, zuckte Argent die Achseln. Schn, sagte er nach einem Augenblick des
Nachdenkens. Sie kommen also mit. Er nderte abrupt das Thema. Ich habe
Peg beauftragt, mehr Hintergrundmaterial ber die Anlage zu beschaffen. Insbe-
241
sondere ber Anzahl und Aufgabenverteilung der Wachen sowie Sicherheitsvor-
kehrungen. Er warf mir einen Chip zu. Hier sind die taktischen Daten, die sie
zusammengestellt hat. Ich will, da Sie drei sich das ansehen und einprgen ,
und zwar bis dreiundzwanzig-null-null. Aufbruch ist um vierundzwanzig.
Ich nickte. Argent war der Profi, und ich war absolut gewillt, die taktischen
Dinge in seine metallenen Hnde zu legen.
Wir werden Sie mit Waffen versorgen, fuhr Argent fort. Ich wollte etwas
sagen, doch er lie mich nicht zu Wort kommen. Ich wei, da Sie Ihre eigene
Artillerie haben. Aber wenn Sie unsere benutzen, wei ich, da sie auch funk-
tioniert. Er wandte sich an den Schamanen. Hawk, warum hltst du nicht ein
Schwtzchen mit deinem Kollegen?
Rodney und der Amerindianer vertagten sich in die Kche, und ich konnte sie
leise ber Dinge wie Zaubersprche, Initiationsgrade, Erschpfungsstufen und
anderen Drek reden hren, alles Dinge, die fr mich bhmische Drfer waren.
Argent sah aus, als htte er sich einfach abgeschaltet. Seine Augen blieben geff-
net und berflogen trge den Raum, aber er schien sich innerlich zurckgezogen
zu haben. Ich erwog ganz kurz, eine Unterhaltung anzufangen, verwarf dann
aber die Idee.
Statt dessen nahm ich den Chip, den mir der groe Samurai gegeben hatte,
legte ihn ins Telekom ein und rief den Text auf. Peg war fleiig gewesen. Irgend-
wie hatte sie herausbekommen, da die regulre Sicherheitsabteilung, die die
ISP-Anlage bewachte, fnfundzwanzig Mann zhlte, und sie hatte sie sogar mit
all ihren Namen aufgelistet. Die Zeiten fr die Schichtwechsel waren angegeben
und sogar historische Daten wann hhere Offiziere berraschungsinspektionen
durchgefhrt hatten. Danach kam eine Aufstellung der elektronischen Sicherheit
eine deprimierend lange Liste, die alles einschlo, angefangen von normalen
Bewegungsdetektoren an der Peripherie bis zu Vibrations/Druck-Einheiten in
der Nhe der einzelnen Gebude. Dennoch stellte die Deckerin in ihren Kom-
mentaren fest, da sie mit keinerlei Schwierigkeiten rechnete, diese Systeme im
Zuge der sogenannten Matrixberwachung auszuschalten. Ich wnschte, ich
htte ihre Zuversicht teilen knnen.
Der unangenehmste Punkt auf der Liste war jedoch die Neuigkeit da ISP Pa-
raspezies als Teil ihres Sicherheitssystems einsetzten. Mit anderen Worten, sie
hielten sich Erwachte Critter als Wachhunde: ein paar Hllenhunde, um genau
zu sein. Hllenhunde waren im Grunde gute kleine Hundchen, die Feuer speien
und einen militanten Troll in weniger als einer Minute in Grillburger verwandeln
konnten. Ich fragte mich, wie Argent und seine Truppe mit diesen Schotierchen
fertig werden wollten.
Nach den Sicherheitsaspekten erging sich das taktische Dossier in Fragen des
Timings und der Disposition der Aktivposten im wesentlichen Schtzungen fr
den Zeitpunkt des Eindringens und die Dauer der Mission, Rckzugs- und Treff-
punkte sowie verschiedene Notplne fr den Fall, da wir die Chose vermassel-
ten. Es gab sogar eine Schtzung unserer Erfolgschancen: 90 Prozent plus minus
242
4 Prozent Ungenauigkeitsintervall. (Also, wo diese Zahlen herkamen, konnte ich
nicht einmal vermuten. Doch sie wurden in derart autoritativer Art prsentiert,
da ich sie nicht anzuzweifeln wagte.) Alles in allem war es ein Stck Arbeit, das
in seiner Przision fast militrisch wirkte. Wenn man natrlich den Hintergrund
des Anfhrers bedachte, konnte das nicht weiter berraschen.
Nach einer Weile kehrte Rodney von seiner Besprechung mit Hawk zurck,
und er und Jocasta schlossen sich mir am Terminal an. Trotz der Komplexitt und
des hohen Datengehalts von Pegs taktischem Dossier gab es sehr wenige Dinge,
die wir uns wirklich merken muten. Im wesentlichen zwei Grundregeln: Hrt
auf die Wrecking Crew, und wenn sie sagen, tut irgendwas, dann tut es sofort und
stellt keine Fragen. Und wenn die Geschichte zum Teufel ging, sollten wir uns
alle auerhalb der Anlage direkt gegenber dem Haupttor treffen. Peg wrde den
Alarm ausgeschaltet und genug Computer-Chaos angerichtet haben, um dafr zu
sorgen, da die Wachen irgendwoanders schwer beschftigt waren.
Ich hatte zwar damit gerechnet da die Zeit kriechen wrde, doch Mitternacht
kam fast zu schnell. Die relative Stille auf der Strae wurde vom Drhnen eines
startenden Motorrads durchbrochen.
Es wird Zeit, sagte Argent, der sich mit der lautlosen Geschmeidigkeit einer
Raubkatze erhob.
Wie fahren wir? fragte ich. Ich hab einen Wagen, aber nur nen Zweisitzer.
Sie und Sie der Samurai zeigte auf Jocasta und Rodney nehmen den
Wagen. Mr. Johnson fhrt mit uns.
Die Wrecking Crew fuhr Motorrder, die perfekt zu ihrem Stil und zu ihrem Ge-
schft paten: Schnell und mit fast brutaler Leistung. Hawk und Argent fuhren
Harleys Kampfhobel, hatte Hawk sie grinsend genannt. Toshi, der zweite
Samurai, ein groer, reizbar aussehender Elf japanischer Abstammung, sa auf
einer Honda Viking. Das Motorrad sah schneller aus als die anderen, doch dafr
auch unruhiger, was wahrscheinlich seiner Persnlichkeit entsprach.
Ausrstungscheck in Fort Lewis, verkndete Argent. Mr. Johnson, Sie fah-
ren mit mir. Ich nickte. Folgen Sie uns, sagte er zu Jocasta, die meinen Wagen
fuhr. Rodney sa auf dem Beifahrersitz. Und halten Sie sich dicht hinter uns.
Er drehte am Gas, und der bullige Motor drhnte wie ein schweres Maschinen-
gewehr. Okay, Mr. Johnson, steigen Sie auf.
Ich schwang ein Bein ber die Maschine und setzte mich auf den hinteren Sat-
tel. Argents Schultern waren wie eine groe Mauer vor mir. Ich stellte die Beine
auf die Furasten und packte die Handgriffe. Okay, sagte ich.
Er gab ein wenig Gas, und wir waren unterwegs. Das Drhnen des Motorrads
wurde von den Husern um uns zurckgeworfen und verstrkte sich noch, als
die anderen hinter uns ebenfalls losfuhren. Die Nachtluft war khl und peitschte
mir ins Gesicht. Argent legte die schwere Maschine in die Kurve zur Dreiund-
zwanzigsten Avenue Ost. Von da an ging es immer geradeaus nach Sden bis
Madison, und er brauchte nur Gas zu geben. Die anderen beiden Motorrder
243
fuhren neben und ein wenig hinter uns, eine V-Formation aus rasendem Metall.
Toshi grinste mich an. Im Licht der Straenbeleuchtung wirkte sein Lachen
wild und barbarisch. Er nahm die Beine von den Furasten und lie die metalle-
nen Spitzen seiner Stiefel ber den Asphalt schleifen, so da Funken sprhten.
Ich riskierte einen Schulterblick. Jocasta und Rodney im Jackrabbit waren dicht
hinter uns, und unsere Gruppe bildete einen kleinen Konvoi, whrend wir nach
Sden und Fort Lewis entgegen brausten.
26
U ngefhr einen Kilometer von der ISP-Anlage entfernt, bogen wir von der
Strae ab und in bewaldetes Gelnde ein. Whrend die Wrecking Crew ihre
Maschinen abstellten, fuhr Jocasta meinen Jackrabbit so tief zwischen die Bu-
me, wie es eben mglich war. Ich schwang mich von Argents Harley, wobei sich
meine Muskeln ein wenig ber die beinahe einstndige Fahrt auf dem Sozius
beklagten.
Waffencheck, sagte Argent ruhig. Mal sehen, was Sie da haben, Mr. John-
son. Ich zog meinen Manhunter, vergewisserte mich, da er gesichert war, und
reichte ihn Argent. Der groe Samurai berprfte rasch den Mechanismus, dreh-
te ihn dann um, so da er den Lauf hielt, und gab ihn mir zurck. Guter Zustand.
Okay, behalten Sie den. Er wandte sich an den anderen Samurai. Toshi, einen
Roomsweeper fr Mr. Johnson.
Der reizbar wirkende Samurai hatte den Kofferraum seiner Viking, den
Stauraum unter dem Sattel, geffnet. Aus dessen Tiefen zog er eine kurzlufige
Schrotflinte und warf sie mir zu. Ich prfte die Waffe schnell durch, wobei ich
mich bemhte, mich so effizient und geschftsmig wie Argent anzustellen.
Der Remington Roomsweeper schien neu zu sein, sein Mechanismus glnzte
wie Seide, doch eingeschossen, so da alle Teile wie geschmiert ihre Arbeit ta-
ten. Ich prfte das rhrenfrmige Magazin unter dem Lauf sechs Patronen ,
sah dann auf und wollte nach mehr Munition fragen. Argent kam mir zuvor. Ich
nahm die Schachtel, die er mir anbot, und begutachtete die Patronen: Doppel-
null Wrfelschrot, fr Growild geeignet. Ich stopfte mir die Taschen meines
Dusters mit einem Dutzend zustzlicher Patronen voll und stellte die Gurtlnge
des Roomsweeper so ein, da er bequem an meiner Hfte hing. Es war eine gute
Waffenkombination die Schrotflinte fr das eilige Bestreichen eines Raums,
der Manhunter fr Ziele, bei denen Treffergenauigkeit anstatt Feuerkraft gefragt
war.
Daisho, sagte ich zu Argent das Wort fr die traditionelle Langschwert/
Kurzschwert-Kombination der japanischen Samurai. Er grinste anerkennend. Ich
fhlte mich ein wenig nervs, doch bereit: Voll da, wie aufgedreht, hochkonzen-
triert und bereit zum Tanz.
Whrend ich meine Ausrstung berprfte, hatten Toshi und Hawk letzterer
trug jetzt ein Messer so lang wie mein Unterarm an der Hfte Jocasta und
Rodney versorgt. Beide trugen jetzt schallgedmpfte Uzi III SMGs. Gute Wahl,
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dachte ich: absolut tdlich, doch einfach genug zu bedienen fr Leute, die ber
keine ausgedehnte Erfahrung mit Handfeuerwaffen verfgen. Selbstverstndlich
sah ich mir auch die Ausrstung der Crew an. Argent hatte zwei Ingram Smart-
guns gehalftert und vier Granaten in einem Brustgurt. Toshi trug eine Heckler
& Koch HK227S und eine Ares Viper Flechettepistole an der Hfte. Hawk war,
abgesehen von seinem Messer, mit einem AK-98-Sturmgewehr bestckt, wenn-
gleich der berflu an Fetischen in Grtel und Brustgurten darauf hinwies, da
er sich nicht ausschlielich auf irdische Feuerkraft verlassen wrde, wenn wir
auf Widerstand stoen sollten.
Argent tippte mir auf die Schulter. Noch eins, sagte er. Es ist dumm, unn-
tige Risiken einzugehen. Er hielt eine handelsbliche Zweifarbenpackung Tarn-
farbe in der Hand. Er tauchte zwei Finger in den Farbstoff und bermalte rasch
mein Gesicht. Wangenknochen, Stirn, Kinnlinie und Nase bestrich er mit dunkler
Farbe, dann trug er den helleren Ton auf die Hhlungen der Wangen, unterhalb
der Augenbrauen und unter dem Kinn auf. Es kam mir wie ein ziemlich ober-
flchlicher Job vor. Sollte die Farbe nicht dicker aufgetragen werden? fragte ich
mich. Doch dann fiel mein Blick auf Jocasta, der seitens Hawk die gleiche Be-
handlung zuteil wurde. Die dunkle Farbe wurde auf die vorspringenden Punkte
des Gesichts aufgetragen, auf die Stellen, die im allgemeinen heller wirken, die
helle Farbe auf die im Schatten liegenden Bereiche. Die Wirkung war die, da
jeder Eindruck von Tiefe, von Dreidimensionalitt verwischt wurde, wodurch es
berraschend schwer war, das Gesicht als Gesicht zu erkennen. Diese Burschen
wuten, was sie taten.
Dann kam mir ein interessanter Gedanke. Was ist mit Infrarot? fragte ich.
In der Hinsicht bringt die Farbe nichts.
Der groe Samurai nickte. In dieser Frage vertreten wir unterschiedliche
Auffassungen. Toshi hat etwas, das er seinen Khlanzug nennt. Chemische
Khlbatterien unter seiner Panzerung, die die Krpertemperatur senken. Obwohl
ich glaube, da ihn das nur langsamer macht. Die kleinere Messerklaue warf
Argent einen mrrischen Blick zu. Ich ziehe diese Methode vor, fuhr der An-
fhrer fort, indem er auf die Granaten in seinem Brustgurt deutete. Thermogra-
naten. Sie strahlen mehr Hitze als Licht aus, so da Infrarotsicht mehr darunter
leidet als normale Sicht.
Er wandte sich brsk ab Fragestunde beendet , schnallte sich ein Miniatur-
mikro um das Handgelenk und steckte sich den drahtlosen Empfnger ins Ohr.
Er hob das Mikro vor den Mund und sagte leise: Peg, Punkt eins. Die Antwort
konnte ich natrlich nicht hren.
Punkt eins. Laut taktischem Plan bedeutete das, wir hatten zehn Minuten, um
zu unserer Einbruchsstelle zu kommen. Dann wrde Peg mit ihrer elektronischen
Strung der ISP-Sicherheitssysteme beginnen. Ein oder zwei Minuten spter
wrden wir ber den Zaun steigen, und damit war das Spiel dann erffnet.
Toshi warf mir etwas zu: Eine Nachtbrille. Ich war seit meiner Zeit beim Star
mit der Technologie vertraut, also hatte ich keine Mhe, sie aufzusetzen und
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richtig zu justieren. Als ich sie einschaltete, lie sie den nchtlichen Wald fast
taghell erscheinen. Ein wenig verwirrend waren zunchst die leichte Krnigkeit
und das schwache Nachleuchten heller Gegenstnde, was einen Verwischeffekt
zur Folge hatte, wenn ich den Kopf bewegte, aber aus Erfahrung wute ich, da
ich ihn schon bald nicht mehr zur Kenntnis nehmen wrde. Toshi rstete Jocasta
mit einem entsprechenden Gert aus, doch Rodney lehnte die ihm von Hawk an-
gebotene Einheit ab. Vermutlich machten seine Elfenaugen eine derartige tech-
nologische Intervention berflssig.
Argent hob die geballte Faust, und wir rckten vor, glitten wie Gespenster
durch das Gehlz. Wenigstens traf das auf die Wrecking Crew zu. Die beiden
Samurai verursachten ungefhr so viel Lrm wie ein kleines Waldtier mit an-
deren Worten, nicht viel , whrend sich Hawk vollkommen lautlos bewegte. Er
htte eine holographische Projektion sein knnen. Im Vergleich dazu bewegten
wir anderen uns wie eine Herde Elche.
Wir brauchten fast die gesamten zehn Minuten, um zu Punkt zwei zu gelangen,
einer Stelle direkt vor dem Zaun und in unmittelbarer Nhe vom E-Gebude,
dem Quarantnelabor. Der Himmel war total wolkenverhangen, und unter den
Bumen war die Nacht so dunkel wie das Innere eines Kohlensacks. Ohne die
Nachtbrille wre ich blind gewesen. Auf der anderen Seite des vier Meter hohen
Zaunes lag die Anlage ebenfalls in vlliger Dunkelheit da. Nicht ein einziges
Licht brannte. Das verriet uns eins: Die ISP-Sicherheit verlie sich entweder auf
Infrarot oder Nachtbrillen oder Wesen, die im Dunkeln sehen konnten.
Sobald wir den Zaun erreicht hatten, lie sich Hawk auf die Knie sinken. Seine
Augen schlssen sich, seine Atmung verlangsamte sich, bis sie fast nicht mehr
wahrzunehmen war. Nach vielleicht einer Minute schttelte er sich, als sei er
gerade aufgewacht, und erhob sich wieder. Keine Geister oder Elementargei-
ster auf Patrouille, flsterte er. Zwei Hllenhunde, aber ich glaube nicht, da
sie mich ausgemacht haben. Die Gebude sind alle bewacht und mit magischen
Barrieren versehen. Die Barriere um das E-Gebude ist sehr stark.
Knntest du sie durchbrechen? fragte Argent.
Vielleicht, antwortete der Amerindianer nach einem Moment des Nachden-
kens. Aber mir wre es lieber, wenn ich es nicht zu versuchen brauchte. An-
schlieend wre ich nmlich nicht mehr zu viel zu gebrauchen.
Der Anfhrer akzeptierte das mit einem Nicken. Er hob sein Handgelenksmi-
krofon und wollte gerade hineinsprechen.
Wir bekommen Gesellschaft, sagte Rodney ruhig. Alle anderen sahen in
Richtung ISP-Anlage. Nur Rodney stand mit dem Rcken zum Zaun und be-
obachtete den Wald. Er deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
Fnfzig Meter.
Argent war so schnell neben dem Elf, da ich seine Bewegungen gar nicht
wahrnahm. Er hatte beide Ingrams gezogen und starrte in die Richtung, die Rod-
ney angegeben hatte. Sicherheit?
Der Magier schttelte den Kopf. Ich glaube nicht.
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Bewaffnet?
Ja. Ganz hnlich wie wir.
Der groe Samurai knirschte vor Wut mit den Zhnen. Offensichtlich machte
er sich nicht viel aus Komplikationen. Okay, macht euch dnn, flsterte er
uns anderen zu. Erst schieen, wenn wir eine positive optische Identifikation
haben.
Seine beiden Kollegen nahmen ihn beim Wort. Als er sagte, Macht euch
dnn, machten sie sich dnn. In Wirklichkeit verschwanden sie einfach. Ich
duckte mich neben Jocasta hinter einem kleinen Busch. Rodney rhrte sich nicht,
sondern stand nur das Latein vor sich hin murmelnd, whrend er sich schein-
bar in der Landschaft aufzulsen schien. Jedesmal, wenn ich den Blick von ihm
wandte, war es anschlieend schwieriger, ihn noch auszumachen. Ich schttelte
den Kopf. Magier.
Im Unterholz vor uns raschelte es. Ich sah eine schwarzgekleidete Gestalt nher
kommen. Sie trug eine hochentwickelte Vollrstung komplett mit Helm, deren
Machart mir auf bestrzende Weise bekannt vorkam. Ich hatte Rstungen wie
diese gesehen. Ich hatte Rstungen wie diese getragen. Die Hnde der Gestalt
waren leer, und sie schien keinen Gedanken an Deckung zu verschwenden, da
sie vollkommen aufrecht ging. Die Gestalt griff sich an den Kopf und setzte den
Helm ab. Meine Nachtbrille erschwerte das Wahrnehmen von Einzelheiten, aber
ich erkannte das hliche Gesicht.
Ich stand hinter meinem schtzenden Busch auf. Keith, Sie Schwachkopf!
zischte ich. Was, zum Teufel, machen Sie denn hier?
Als sei meine Bewegung ein Signal gewesen, tauchten sechs helle Laserpunk-
te auf Scott Keiths Gesicht und dem Rumpf seiner Lone Star Active Response
Team-Rstung auf. (Sechs Punkte? wunderte ich mich. Dann wurde mir klar, da
Argent mit beiden Ingrams angelegt hatte.)
Scott Keith blinzelte und wandte das Gesicht ab, um nicht vom Laserlicht ge-
blendet zu werden. Okay, okay, flsterte er. Ich wei, da Sie nicht allein
sind. Das bin ich auch nicht.
Neben mir erklang Hawks gelassene Stimme, obwohl ich wute, da er min-
destens zehn Meter von mir entfernt stand. Was geht hier eigentlich ab, Mr.
Johnson?
Daraufhin wurde Keiths hliches Grinsen noch breiter. Wenn wir uns nicht zu
nachtschlafender Stunde mitten in einem Wald befunden htten, wre er wahr-
scheinlich in schallendes Gelchter ausgebrochen. Mr. Johnson? Wir habens
aber ganz schn weit gebracht, was?
Ich machte einen Schritt auf ihn zu, wobei ich meine leeren Hnde zeigte, als
zwei Zielpunkte auf meiner Brust erblhten. Gehen Sie runter, dann reden wir
darber, zischte ich.
Wir duckten uns von Angesicht zu Angesicht ins Unterholz. Sein Krper stank
nach Schwei vom Tragen der Vollrstung, sein Atem nach Alkohol und Zwie-
beln. Der erbrmliche Wichser hatte sich ein paar hinter die Binde gekippt
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wahrscheinlich hatte er sich Mut angetrunken , bevor er hierher kam.
Was machen Sie hier, Keith? fauchte ich ihm ins Gesicht. Ich tue das, was
Sie wollten, log ich, und mach Yamatetsu die Hlle hei. Versuchen Sie, mir
die Tour zu vermasseln?
Also, das ist ja mal ne Idee, sagte er mit geheuchelter berraschung. Ich
wnschte, da wre ich selbst drauf gekommen. Nein, Montgomery oh, ach ja,
Mr. Johnson , ich bin nur hier, um dafr zu sorgen, da Sie die Sache durchzie
hen und nicht an den Abschaum verkaufen.
Woher wuten Sie, da es heute nacht ist?
Keiths unangenehmes Grinsen wurde noch breiter. Ich mute mich zusammen-
reien, um nicht vor seinem Atem zurckzuweichen. Ach, ein Freund von Ih-
nen hat mir erzhlt, Sie wrden Muskeln anheuern, sagte er angelegentlich. Er
hat mir sogar gesagt, wen, ist das nicht nett? Also wute ich natrlich, was sie
vorhatten. Er zgerte, dann sagte er mit hhnischer Frsorge: Einmal-Lesevi-
ren bringens nicht mehr. Ich dachte, ich sollte Ihnen das mal sagen.
Ich behielt meine ausdruckslose Miene bei glaube ich , aber meine Ge-
danken berschlugen sich. Anwar, du mieses Wiesel. Hast mich an das DED
verhkert, was? Ich speicherte das unter der Rubrik Unerledigte Geschfte und
zwang meinen Verstand zurck in die Gegenwart. Okay, Keith, sagte ich, Sie
wuten also die ganze Zeit von der Sache. Aber jetzt sind Sie hier und haben
wieviel? Vier ...?
Fnf.
Und haben fnf Mann bei sich, die Ihnen den Rcken frei halten. Ich hab
meine Runner. Und was machen wir jetzt? Es gleich hier austragen, so da die
berlebenden wenn es berhaupt welche gibt ber den Zaun klettern kn-
nen? Was, zum Teufel, haben Sie eigentlich vor, Chummer?
Er zuckte lssig die Achseln, als berlege er sich das zum erstenmal. Ich wute
jedoch, da ihm etwas ganz Bestimmtes vorschwebte. Ich glaube, wir bleiben
einfach hinter euch Burschen, sagte er. Wir werden eure rsche decken. Er
wandte sich so rasch ab, da er meinen einfingerigen Gru gar nicht mehr mit-
bekam.
Wie vorauszusehen, gefiel Argent die Abmachung nicht die Spur. Hawk gefiel
sie noch weniger, und Toshi stand kurz davor, einseitig zu entscheiden, Keith
und seine Leute einfach zu geeken. Schlielich wurde die ganze Angelegenheit
jedoch durch die Tatsache entschieden, da wir eine Abmachung hatten und die
durch die Tatsache hervorgerufene berechtigte Wut, da ich von meinem Schie-
ber verladen worden war. Wir wrden reingehen, und die Jungens vom DED
konnten mitkommen. Aber beim ersten Anzeichen von irgendwas war Grorei-
nemachen angesagt.
Mir gefiel die ganze Sache nicht besser als Argent, doch zumindest wute ich
genug ber Keith und seine Lage, um mich ein wenig zuversichtlicher zu fh-
len. Scott Keith bewegte sich auf sehr dnnem Eis, wenn er eine ganze Fnf-
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Mann-Einsatztruppe des DED mitgebracht hatte. Wenn etwas schiefging und die
Yamatetsu-Wachen auch nur einen DED-Cop tot oder lebendig in die Finger
bekamen, war Keith reif fr den Mll. Selbst die besten DED-Killer konnten
nicht sicher sein, die Wrecking Crew ohne eigene Verluste und ohne eine ganze
Wagenladung Lrm aus dem Verkehr zu ziehen, so da die Chancen einer Falle
recht dnn waren. Keith mute wohl davon berzeugt sein, da die nchtliche
Expedition ihn mit ausreichend Drek versorgen wrde, um Mariane Corbeau zur
Strecke bringen und ihren Job bernehmen zu knnen, weil das abgesehen von
einem schnellen Rein-und-Raus, bei dem kein Alarm ausgelst wurde das ein-
zige Resultat war, welches seiner Karriere bei Lone Star kein grndliches Ende
bereiten wrde.
Also beendeten wir unsere Zwangspause vor dem Zaun, die sechs Mitglieder
meiner Gruppe plus Scott Keith und seine schwarzgepanzerten Leute mit ihren
H&K MP5s. Etwas versptet gab Argent Punkt zwei durch, und Peg begann da-
mit die elektronische Sicherheit auszuschalten. Nach ein paar Minuten nickte der
metallarmige Samurai, und wir starteten den eigentlichen Einbruch.
Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, wie Argent beabsichtigte, ber den
Zaun zu kommen. Es war ein schwerer Kettenzaun, ungefhr vier Meter hoch
und mit drei Lagen Stacheldraht obenauf. An seinen Sttzpfeilern war das ganze
Ding mit Porzellanwiderstnden befestigt, also war klar, da Saft darauf war.
Und zwar betrchtlicher Saft, der Gre der Widerstnde nach zu urteilen. Ich
konnte mir keinen Weg hinber vorstellen, der nicht entweder Ausrstung, die
wir nicht besaen, oder Magie bentigte.
Wie sich herausstellte, kein Problem. Argent murmelte etwas in sein Handmi-
kro und flsterte dann: Strom ist weg.
Mit einem Bolzenschneider in den Hnden sprang Toshi vor. Vergrerte Str-
ke und Geschwindigkeit des Samurai machten kurzen Proze mit dem Zaun, als
er ein etwas ber mannsgroes Tor in die Kettenglieder schnitt. Er warf Hawk
den Schneider zu und tauchte dann durch das Loch, das er geschnitten hatte. Auf
der anderen Seite kam er geduckt hoch, whrend sein SMG die Gegend nach
Zielen absuchte.
Los, schnappte Argent. Eine Minute.
Einer nach dem anderen stiegen wir durch das Loch im Zaun. Das Schatten-
team und ich zuerst, gefolgt von Keith und seinen Leuten. Sobald die letzte
schwarzgepanzerte Gestalt hindurch war, schlo Toshi das Loch im Zaun unter
Benutzung von, wie mir schien, kleinen Metallklammern, mit denen der Draht an
Ort und Stelle gehalten wurde. Kaum war er fertig, als Argent flsterte: Okay,
Peg. Die Klammern, oder was sie auch sein mochten, sprhten fr einen Mo-
ment blaue Funken, und ich wute, der Strom war wieder eingeschaltet worden.
Wir machten uns auf den Weg zum E-Gebude. Toshi und Argent, die wahr-
scheinlich beide bis zum Gehtnichtmehr aufgepeppt waren, eilten in geduckten
Splints voraus, die immer wieder von Augenblicken vlliger Reglosigkeit durch
brochen wurden, in denen sie sich umsahen. Obwohl sie sich gegenseitig ber-
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haupt nicht zu beachten schienen, fiel mir doch auf, da ihre Vorste perfekt
aufeinander abgestimmt waren, so da immer einer dem anderen Deckung gab.
Hawk war hinter ihnen und erforschte das Gelnde sowohl mit seinen weltli-
chen als auch mit seinen auerweltlichen Sinnen. Dann kamen Jocasta, Rodney
und ich. Wir hatten alle unsere Waffen gezogen, und die beiden sahen fast so
angespannt aus, wie ich mich fhlte. Hinter uns waren Keith und seine Leute
ausgeschwrmt. Sie waren natrlich ebenfalls Profis und bewegten sich in einer
langsameren Version von Argents und Toshis Methode, wobei sie eine Rundum-
Sicherung durchfhrten.
Hawk und Rodney machten den auf uns einstrmenden rger fast gleichzeitig
aus der Elf schrie Uh-oh!, whrend der groe Amerindianer ein kommu-
nikativeres Kontakt! bellte. Die Dinger sprangen uns aus der Dunkelheit an,
tauchten pltzlich im Sichtfeld meiner Nachtbrille auf. Groe Hunde von der
Farbe der Nacht mit einer Schulterhhe von fast einem Meter. Klaffende Kiefer
gewhrten einen Blick auf bergroe Zhne. Ihre Geschwindigkeit war erschrec-
kend. Whrend einer auf Toshi zu sprang, gab er einen harten, grunzenden Laut
von sich und spie eine gut einen Meter lange Flammenzunge. Wenn sich der
verchippte Samurai nicht nach hinten geworfen htte, wre er von den Flammen
eingehllt worden. Noch im Ausweichen gab Toshi einen kurzen Feuersto aus
seinem schallgedmpften SMG ab. Meine Brille lie mich erkennen, da jeder
Schu traf, aber der Hund schien nicht beeindruckt.
In diesem Augenblick trat Hawk vor. Direkt zwischen die Kiefer der angrei-
fenden Hllenhunde, so sah es jedenfalls aus. Ich war sicher, da er ein toter
Mann war. Doch die zwei Hunde traten auf die Bremse, erstarrten frmlich, wo
sie gerade standen. Ich konnte ihre vor dem Hintergrund des schwarzen Fells
blutroten Augen erkennen, die auf ihn fixiert waren. Sie standen steifbeinig da,
die Nackenhaare wst gestrubt. Einer jaulte leise. Dann warf Hawk die Arme
nach oben und nach vorn und den Kopf in den Nacken, als wolle er dem Himmel
etwas zurufen, wenngleich er keinen Laut von sich gab. Wie auf ein geheimes
Signal kniffen beide Hundchen gleichzeitig den Schwanz ein, drehten sich um
und verschwanden augenblicklich in der Dunkelheit.
Erst als sie wirklich und wahrhaftig weg waren, gab Hawk seine starre Haltung
auf und ging wieder in die Hocke. Wir rckten wieder vor, der Schamane dicht
hinter den beiden Samurai. Obwohl er Schritt hielt, wirkten seine Bewegungen
mde. Darber machte ich mir meine Gedanken. Im wesentlichen stammte mein
Wissen ber hochkartige Magie aus Trideofilmen, in denen Magier den ganzen
Tag lang Killer-Sprche einsetzen und trotzdem noch die Energie haben, die gan-
ze Nacht ihrem Liebesleben nachzugehen. Ich begriff langsam, da die Realitt
ein wenig anders aussah.
Die Begegnung hatte mir auch noch eine andere wichtige Erkenntnis gebracht.
Nicht einer der DED-Cops und auch kein Mitglied der Crew hatte einen Schu
auf die Hllenhunde abgegeben. Nur Toshi hatte gefeuert, was verstndlich war,
weil einer der Hunde ihn als Mitternachtsimbi auserkoren hatte. Das berzeugte
mich davon, da der Grad der Disziplin hoch war. Meine Befrchtungen bezg-
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lich der Anwesenheit der DED-Cops waren gar nicht so sehr dahin gegangen,
von Keith und seinen Freunden eine Kugel in den Rcken zu bekommen, son-
dern da sie beim geringsten Anla sofort mit allem, was sie hatten, das Feuer
erffnen und alles vermasseln wrden. Ich hatte immer noch genug Sorgen, aber
eine weniger war eindeutig ein Segen.
Wir erreichten das E-Gebude ohne weiteren Zwischenfall. Wie alle anderen
Gebude auf dem ISP-Gelnde hatte es weder Fenster, noch war es beleuchtet.
Auerdem entsprach es in seiner Architektur ganz dem Beton-Blockhaus-Stil
aller anderen Gebude, die wir whrend unserer Besichtigungstour gesehen hat-
ten. Die Stahlbetonwnde standen in 45-Grad-Winkeln zueinander, und die Ec-
ken waren abgerundet, so da sie keine hervorstechenden Angriffspunkte boten.
Es war fast so, als htten die Architekten es unter dem Gesichtspunkt der Vertei-
digung entworfen. Ich war sicher, da jene Mauern ein paar Schssen aus einer
Panzerkanone widerstehen konnten.
Die Tr folgte derselben Konzeption: Mit Flanschen verstrktes Metall. Die
Tastatur fr das Magschlo war durch einen Schirm aus durchsichtigem schwar-
zen Makroplast geschtzt, auf dem eine kleinere Tastatur angebracht war. Ein
Schlo, welches das Schlo schtzte: Einfach groartig.
Argent flsterte in sein Handmikro: Punkt drei, Peg. Schaffst du das Schlo?
Er wartete einen Augenblick, dann fuhr der Makroplastschirm zischend zurck.
Nein, beantwortete er irgendeine Frage der Deckerin, du hast das Haupt-
schlo freigelegt, aber die Tr ist immer noch gesichert. Eine weitere Sekunde
des Schweigens, dann runzelte er die Stirn und sagte: Isolierter Schaltkreis. Er
winkte Toshi nach vorn. Tu es, Omae, befahl er.
Toshi strich sich das Haar aus der Stirn, und zum erstenmal sah ich die Daten-
buchse in seiner Schlfe. Samurai und Decker? Mein Respekt vor dem reizbaren
Elf erhhte sich um ein paar Grade. Er zog ein Fiberglaskabel aus einer Grtelta-
sche, stpselte es in die Buchse in seinem Kopf und befestigte ein paar Haftleiter
auf dem Rahmen des Schlosses. Seine Augen verdrehten sich, bis nur noch das
Weie zu sehen war, als er mit der Arbeit begann.
Mach schon, mach schon, ertnte eine flsternde Stimme in meinen Ohren.
Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, da es meine eigene Stimme
war.
Die Schlotastatur gab ein leises Piepen von sich. Toshi zog das Kabel aus
seinem Kopf, rollte es zusammen und stopfte es wieder in seine Grteltasche. Er
sah Argent fragend an, erhielt ein kurzes Nicken als Antwort und drckte dann
eine Taste. Die Tr fuhr zischend zurck, und Licht ergo sich nach drauen.
Es ging gleich rund. Im Eingang standen drei gerstete und bewaffnete Si-
cherheitsposten. Als sich die Tr ffnete, fuhren sie zu uns herum, wobei sie die
Waffen hoch- und die Mnder aufrissen, und es blieb keine Zeit fr Feinheiten.
Argent fllte zwei mit Kopfschssen aus seinen schallgedmpften Ingrams, dem
dritten blies Toshi mit seiner H&K den Hals weg. Das lauteste Gerusch bei dem
gesamten Vorfall war das Scheppern, als die Wachen auf dem Boden aufschlu-
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gen. Wenn ich es mir nicht schon zuvor gedacht htte, wre mir sptestens jetzt
klar geworden, da ich weit von meinem Element entfernt war. Wir drngten
uns alle in den Eingang, und Toshi drckte auf die Taste, die die Tr hinter uns
schlo. Jocasta und ich setzten die Nachtbrille ab, whrend Keith und seine Leu-
te die aktiven Visiere ihrer Helme hochschoben.
Die einzige ins Gebude fhrende Tr lag direkt vor uns. Beim Warten in Rod-
neys Apartment hatte uns Jocasta aufgezeichnet, wie eine P3+-Quarantne ih-
rer Meinung nach angelegt sein wrde. Diesem Schema zufolge, wrde die Tr
vor uns zum Verwaltungsbereich fhren. Von dort aus kam man in die Umklei-
derume, wo man die Schutzanzge anziehen konnte, deren Tragen innerhalb
der Laborrume Pflicht war. Dahinter wrde das Labor selbst liegen, das von
der Auenwelt zumindest durch eine Luftschleuse getrennt sein wrde, wahr
scheinlicher jedoch durch eine Art Autoklav, der alles sterilisierte, was herein-
oder herausging. Auerdem wrde es noch die Versorgungseinrichtungen geben,
die zum Beispiel die Sauerstoffzufuhr fr das versiegelte Labor regelten.
Mit anderen Worten, uns erwartete hinter der Tr eine ganze Reihe von Gngen
und Arbeitszimmern, was die taktische Situation ziemlich kitzlig machte. Hinter
jeder Ecke mochten sich bewaffnete Posten verstecken, whrend uns jemand in
einem Zimmer allein anhand der Gerusche ausmachen und uns mit einem Ku-
gelhagel direkt durch die Bauplastikwnde oder Tren eindecken konnte. Keine
angenehme Aussicht.
Hawk schlo wieder die Augen und verlangsamte seine Atmung. Nach wenigen
Sekunden erwachte er mit grimmiger Miene aus dem trancehnlichen Zustand.
Und? flsterte Argent.
Noch eine Barriere, sehr stark, sagte der Schamane mit besorgter Stimme.
Ich wei nicht ob ich sie durchbrechen kann.
Argents Lippen bildeten einen dnnen Strich. Versuch es erst gar nicht. Er
musterte mich mit seinen kalten Augen. Mir gefllt das nicht.
Tja, mir gefiel es bestimmt noch weniger. Aber laut der verschiedenen, unbe-
trauerten Dr. Dempsey war meine Schwester irgendwo hier drinnen. Dann fiel
mir wieder ein, was Skyhill ber zustzliche magische Schutzmanahmen gesagt
hatte, und ich entspannte mich ein wenig. Das gehrt alles zu den Quarantne-
manahmen, sagte ich.
Ihren Mienen glaubte ich entnehmen zu knnen, da weder Argent noch Hawk
mir das wirklich abkauften. Doch Profi ist Profi, und beide beschlossen anschei-
nend, sich damit zufriedenzugeben. Auf Argents Handzeichen rckte Toshi vor
und berprfte die Tr. Er nickte und ri die Tr auf, die mit ekelerregenden
Spritzern von Blut und Gewebe dekoriert war.
Irgendwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. Ich hatte bromige Flu-
re, industriegrau ausgelegte Bden und Bauplastikwnde erwartet. Doch ich sah
nichts dergleichen. Wir blickten anscheinend in einen groen Treppenschacht
mit einer abwrts fhrenden Treppe. Nein, kein Treppenschacht. Es war eine
spiralfrmige Rampe, mehr als zwei Meter breit, die nach unten fhrte. Wnde,
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Boden und Rampe sahen aus, als bestnden sie aus Stahlbeton, doch ihre Farbe
war kein konventionelles Grau, sondern ein helles Beige. Und die Oberflche
war nicht glatt, sondern leicht geriffelt. Die Beleuchtung war gedmpft, ungefhr
so hell wie das Licht in der Abenddmmerung, doch rtlicher als Sonnenlicht.
Die Luft, die sich aus jener Tr wlzte, war warm und brachte einen seltsamen
Geruch mit sich. Der Geruch weckte Erinnerungen an eine Brauerei, aber er war
doch nicht ganz so. Rubinrote Laserpunkte huschten ber die Wnde, als bis zum
Zerreien gespannte Finger Abzge berhrten. Nach ein oder zwei Sekunden
verschwanden sie wieder, was mir verriet, da die Waffenbesitzer ihre Reaktio-
nen wieder im Griff hatten.
Argent sah zu mir herber und hob fragend eine Augenbraue. Ich zuckte die
Achseln und deutete mit meiner leeren linken Hand vorwrts. Mit einem grim-
migen Grinsen auf den Lippen schttelte er den Kopf und bedeutete mir hflich:
Nach Ihnen.
Groartig. So wortlos unser Gesprch gewesen war, so sehr hatte es doch den
Punkt getroffen. Ich umklammerte den Roomsweeper fester und ging vorsichtig
durch die Tr. In dem Augenblick, als ich die zartbraune Oberflche betrat, wu-
te ich, da es kein Stahlbeton war. Der Boden war weich und gab unter meinen
Stiefeln ein klein wenig nach. Einem Impuls folgend, ging ich in die Hocke, um
ihn zu betasten. Er fhlte sich warm an, etwas klter als Krpertemperatur, wie
das sich abkhlende Fleisch einer Leiche. Hastig ri ich meine Hand zurck. Mir
gefiel das alles berhaupt nicht.
Ich warf einen Blick zurck auf Argent, doch dessen Miene hatte sich nicht
verndert. Mein Blick wanderte weiter zu Jocasta, und ich konnte Angst und
Besorgnis bei ihr deutlich sehen. Das strkte meinen nachlassenden Willen. Ich
trat auf die Spiralrampe.
Die Rampe war durch ein Gelnder geschtzt, das jedoch unnatrlich hoch
war und anstatt bis zur Hfte bis zu den Schultern reichte. Es wrde trotzdem
zumindest teilweise seine Funktion erfllen, mich davor zu bewahren, von der
Rampe zu strzen, aber es entsprach einfach nicht der Art, wie die meisten Leute
es konstruiert htten. Ich lehnte mich ber das zu hohe Gelnder und sah nach
unten. Die Spiralrampe erstreckte sich zweieinhalb Umdrehungen etwa zwan-
zig Meter weit in die rtliche Dunkelheit hinab. Ich konnte keine Bewegung
erkennen, absolut nichts, was auf etwas Ungewhnliches oder Unangenehmes
hingedeutet htte. Doch jener sonderbare, vage biologische Geruch sa mir nach
wie vor tief im Hals und lste alle mglichen geistigen Warnsignale aus.
Ich winkte den anderen zu, und sie schlossen sich mir an. Ich sah Argent fra-
gend an und zeigte nach unten. Nach einem Augenblick des Nachdenkens nickte
er.
Toshi und er bernahmen die Fhrung. Es war fast so, als htte ich irgendein
Einfhrungsritual bestanden, und die Profis seien jetzt wieder gewillt, die Dinge
in die Hand zu nehmen. Jocasta war neben mir, als ich mich auf den Weg nach
unten machte. Wir wechselten ein Grinsen offenkundig unecht und gingen
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weiter.
Die Rampe mndete in eine groe quadratische Kammer, die etwa fnfzehn
mal fnfzehn Meter ma. Boden, Wnde und die gut fnf Meter hohe Decke be-
standen aus demselben, leicht nachgiebigen Material wie die Rampe. Das Licht
war noch rtlicher und kam aus etwa dreiig Zentimeter durchmessenden Halb-
kugeln, die in Kniehhe an den Wnden befestigt waren. Sie erinnerten mich auf
ekelhafte Weise an leuchtende Blutblasen, und das von unten kommende Licht
warf unsere Schatten verlngert, verzerrt und schrecklich an Wnde und Dec-
ke. Der biologische Geruch Hefe, das war es, woran er mich erinnerte war
jetzt noch strker.
In der Kammer gab es zwei Tren an gegenberliegenden Wnden, die nach
Norden und Sden fhrten. Argent, dessen modifizierte Augen den rtlichen
Farbton des Lichts aufnahmen, bis sie wie die Augen der Hllenhunde aussahen,
warf Hawk einen Blick zu. Der Schamane sagte sofort: Mir gefllt das nicht.
Astrale Barrieren an beiden Tren.
Welche ist die strkere? fragte der Samurai. Ohne Zgern deutete Hawk
auf die Nordtr. Argent richtete seine unheimlichen Augen auf mich. Nun, Mr.
Johnson, irgendwelche klugen Ideen?
Ich wute, was ihm durch den Kopf ging. Er und sein Team waren fr einen
normalen Einbruch mit dem Ziel einer Personenrettung angeheuert worden, wo-
mit dieses Unternehmen nicht einmal mehr eine schwache hnlichkeit aufwies.
Sein erster Gedanke war auszusteigen, abzuhauen und sein Team mitzunehmen
und mich und die brigen hier verfaulen zu lassen. Das einzige, was ihn davon
abhielt, war seine Professionalitt. Er hatte meinen Kontrakt akzeptiert na-
trlich nur verbal, weil Vereinbarungen in den Schatten einfach nie zu Papier
gebracht werden , und das war bindend genug. (Wenn er nicht der Ansicht ge-
wesen wre, da diese Geschichte fr mich ebenso berraschend kam wie fr
ihn, htte er mich auf der Stelle gegeekt.) Also bot er mir jetzt einen eleganten
Weg, ihn und seine Leute aus dem Kontrakt zu entlassen, ohne da eine Seite an
Gesicht verlor oder bses Blut entstand. Ich brauchte nur zu sagen, da wir ange-
schmiert waren, und er wrde uns hinausfhren und dabei alles in seiner Macht
Stehende tun, um dafr zu sorgen, da wir es sicher nach drauen schafften.
Aber das war nicht das, was mir vorschwebte. Ich war aus einem ganz be-
stimmten Grund hier, und wie viele Schauer mir auch den Rcken herunterlaufen
mochten, ich wrde weitermachen. Ich sah ihm direkt in die Augen. Nach Nor-
den, sagte ich. Die Leute geben sich immer mehr Mhe, den wichtigen Kram
zu schtzen.
Argents Augen waren kalt und hart, und ich konnte sehen, da er meine Ent-
scheidung abwog und vielleicht mein Leben. Whrend er meinem Blick meh-
rere Sekunden lang standhielt, hrte ich das Hmmern meines Herzschlags in
den Ohren, und der Schwei stach mir in die Augen. Doch dann nickte er schroff.
Wir gehen nach Norden, flsterte er.
Toshi kmmerte sich wieder um die Tr, ri sie diesmal noch heftiger auf.
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Argent warf einen raschen Blick durch die ffnung, bevor er hindurchhechtete
und sich abrollte. Ich hrte das gedmpfte Trommelfeuer seiner Ingrams. Bevor
ich berhaupt reagieren konnte, waren Hawk und Toshi schon durch die Tr
ersterer nach links ausweichend, letzterer nach rechts , und ich konnte ihnen
nur noch folgen.
Der Raum hinter der Tr war noch dunkler als die Kammer, in welche die
Rampe mndete, der Boden weicher, die Ecken zwischen Wnden und Bo-
den und Wnden und Decke noch gerundeter. Ich nahm diese Dinge jedoch nur
mit einem Teil meines Verstandes zur Kenntnis. Meine Hauptaufmerksamkeit
galt den Gestalten, die sich in dem Raum bewegten. Zwei mchtige zweibeinige
Dinger standen in der Mitte des Raumes. Ich erkannte sie augenblicklich: Diesel-
ben Monster, die uns in Capitol Hill angegriffen hatten. Eines wankte unter dem
konzentrierten Beschu der Wrecking Crew. Noch whrend ich in den Raum
strzte, sah ich das hliche Ding zusammenbrechen, sein Kopf eine zerschmet-
terte Ruine. Ich ri den Roomsweeper herum, um das zweite dieser Wesen, das
gegen Argent vorrckte, aufs Korn zu nehmen, nahm jedoch im letzten Moment
den Finger vom Abzug. Es war sehr wahrscheinlich, da unser Eindringen in das
Labor bis zu diesem Augenblick noch nicht entdeckt worden war, warum also
unsere Probleme noch vergrern, indem ich mit einer nicht schallgedmpften
Schrotflinte anfing, um mich zu schieen?
Es schien sowieso nicht ntig zu sein. Die drei Shadowrunner hatten ihr Feuer
jetzt auf die neue Bedrohung verlagert, und die schiere Aufschlagswucht des
Kugelhagels trieb den Horror zurck. Neben mir erklang ein leises Spucken.
Rodney kniete neben mir und gab kurze, genau gezielte Feuerste aus seiner
Uzi ab. Das Gesicht des Elfs wirkte wie Stein, und ich konnte die Anspannung
in seinem Krper buchstblich spren. (Natrlich, dachte ich einen Augenblick
spter, Amanda war ja auch von diesen Dingern gettet worden.) Das Wesen,
dem aus einem Dutzend mchtiger Wunden eine schwarze Flssigkeit troff, stie
einen erstickten Schrei aus und fiel zu Boden.
Eine weitere Gestalt stand neben mir: Scott Keith, dessen normalerweise ge-
rtetes, jetzt jedoch leichenblasses Gesicht in auffallendem Gegensatz zu seiner
schwarzen Rstung stand. Was, zum Teufel, war das? fragte er mit gedmpfter
Stimme.
Ich sprte, wie ich die Zhne zu einem wilden Grinsen bleckte. Willkommen
bei Yamatetsu, Chummer, zischte ich.
Ich sah mich in dem Raum um. Er war gro, vielleicht dreiig Meter lang
und halb so breit, aber das trbe rtliche Licht erschwerte das Abschtzen der
Dimensionen. Ich schtzte die Deckenhhe auf mindestens das Doppelte meiner
Krpergre. An den Wnden lagen Gestalten. Ich zhlte ein glattes Dutzend.
Menschlich wirkende Gestalten, die zu schlafen schienen. Die nchste war fnf
oder sechs Meter von mir entfernt. Ich ging langsam darauf zu. Eine eisenharte
Hand legte sich auf meine Schulter Toshis Hand , doch ich schttelte sie ab.
Der Samurai zuckte die Achseln.
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Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung am anderen Ende des langen
Raums. Eine Gestalt in menschlicher Gre, keine weitere ungeschlachte Mon-
strositt. Instinktiv wirbelte ich zu ihr herum, whrend meine Kanone hochkam,
doch zu spt. Ich sah das Mndungsfeuer einer grokalibrigen Waffe. Der Knall
wirkte gedmpft, als seien die Wnde schallschluckend.
Der Aufprall, als die Kugel mich traf, hatte jedoch nichts Gedmpftes an sich.
Mein gepanzerter Duster stoppte die Kugel und verteilte ihre kinetische Energie
auf eine grere Flche, aber es war immer noch so, als wrde ich einen heftigen
Tritt in die Rippen bekommen. Ich war sicher, da ich eine Rippe oder vielleicht
auch zwei brechen hrte, und der Schmerz war wie ein Messerstich in die Seite.
Alle Muskeln auf jener Seite schienen sich als Reaktion zu verkrampfen, wo-
durch ich herumgerissen wurde und meine Kanone vom Ziel abwich. Ich schaffte
es lediglich noch, nicht vor Schmerzen laut aufzuschreien.
Bevor die andere Kanone noch einmal aufblitzen konnte, sah ich Hawk sein
AK-98 hochreien und drei einzelne Schsse abgeben. Ich hrte einen Schrei
vom anderen Ende des Raumes, und aus der groen Waffe lste sich noch ein
Schu, der in die Decke fuhr, als die Gestalt hintenberkippte. Die zwei verdrah-
teten Samurai liefen vorwrts, und ich folgte, so schnell ich konnte ... wobei ich
in dem Augenblick stehenblieb, als ich nahe genug war, um einen ungehinderten
Blick auf die erste reglos daliegende Gestalt werfen zu knnen.
Lange schlanke Glieder, blondes Haar. Ein scheinbar friedlicher Gesichtsaus-
druck, wie im Schlaf. Es war Theresa.
27
H awk und Rodney knieten neben dem reglosen Krper meiner Schwester,
whrend sie sich leise unterhielten. Ich stand hinter ihnen und konzentrierte
meine ganze Willenskraft darauf, nicht vor Ungeduld von einem Bein auf das an-
dere zu hpfen. Jocasta hatte eine Hand auf meine Schulter gelegt, wahrschein
lich in dem Versuch, mich zu beruhigen. Ich wute ihre Frsorge zwar zu scht-
zen, wollte mich im Augenblick jedoch gar nicht beruhigen. Schlielich ging es
um meine Schwester, verdammt. Die anderen hatten sich im Raum verteilt und
waren auf alle unangenehmen berraschungen gefat rechneten tatschlich
sogar damit: Die beiden Schsse vom anderen Ende des Raumes waren nicht
schallgedmpft gewesen. Scott Keith sah zwar stndig in meine Richtung, kam
jedoch nicht zu mir, um irgendwas zu sagen, wofr ich dankbar war. Er fragte
sich wahrscheinlich immer noch, in was er sich da reingeritten hatte.
Nach einer Zeitspanne, die mir wie eine Stunde vorkam, wahrscheinlich aber
nur ein paar Minuten betragen hatte, sah Hawk auf. Sein hbsches Gesicht sah
besorgt aus. Was ist? wollte ich wissen.
Sie liegt im Koma, sagte der Amerindianer. Wahrscheinlich schon seit mehr
als vierundzwanzig Stunden. Und da ist noch was anderes. Er hielt etwas hoch,
das wie eine blagelbe Nabelschnur aussah.
256
Das war mein erster Eindruck, und ich erkannte erst, wie angemessen er war,
als Rodney Theresa vorsichtig auf den Rcken drehte. Sie trug Shorts und ein
rmelloses Trikothemd, und die widerwrtige Schnur verschwand darunter. Der
Elf zog das Hemd hoch, um Theresas Bauch zu entblen, und ich konnte erken-
nen, da sich das Ding zu einer grotesken Parodie einer Plazenta verbreiterte, die
irgendwie an ihrer Haut befestigt war. Die Haut in unmittelbarer Umgebung des
faustgroen Anhngsels war gertet, und ich glaubte eine abnorme Konzentrati-
on von Blutgefen darunter zu erkennen. Ich verfolgte die gelbe Schnur mit den
Augen und realisierte, da sie mit dem weichen Material der Wand verschmolz.
Langsam streckte ich die Hand aus, um sie zu berhren, zog die Finger jedoch im
letzten Moment zurck. Mir drehte sich der Magen um, und Galle stieg mir in die
Kehle. Ich wollte mich abwenden, zwang mich jedoch, weiter hinzusehen. Was
...? Mehr brachte ich nicht heraus, bevor mir die Stimme versagte.
Rodney antwortete. Ich bin nicht ganz sicher, sagte er ruhig. Die Verbin-
dung er deutete auf die Nabelschnur ist aktiv, aber ich kann nur raten, was
es damit auf sich hat.
Nur zu, sagte ich verdrossen. Raten Sie.
Sie fttert sie, erwiderte Hawk. Hlt sie am Leben.
Da ist noch mehr, sagte Rodney, wenngleich anscheinend widerwillig. Mit
ihrer Aura ist etwas entschieden nicht in Ordnung. Ich wei es nicht genau ...
Hawks volltnende Stimme schnitt ihm das Wort ab. In ihrer Aura sind andere
Prsenzen. Als seien andere Elemente darin aufgenommen worden.
Elemente? fragte ich. Was fr Elemente?
Sie haben eigene Auren, sagte Hawk. Trotz seiner monolithischen Selbst-
kontrolle konnte ich erkennen, da er verstrt war. Auren von astralen Wesen.
Als sei sie eine Art Wirt fr astrale Parasiten. Er brach ab.
Da ist noch mehr, schnappte ich. Raus damit.
Die Auren sind wie ... Ich habe sie schon einmal gesprt.
Wie was?
Wie die da. Hawk deutete auf die zerschmetterten Krper unserer monstr-
sen Angreifer.
Sie wissen, was sie sind? Anstelle einer Antwort nickte er langsam, wider-
willig. Was, zum Teufel, sind sie?
Er zgerte, dann schien er eine Entscheidung zu treffen. Insektengeister,
sagte er ruhig. Ich dachte, sie gehrten zum Wespe-Totem, aber das da er
deutete auf die Nabelschnur ndert die Dinge. Vielleicht eine andere Form
von Wespe. Er zuckte die Achseln.
Zuviel, zu schnell. Ich wollte mich zurckziehen und der Welt Auszeit zu-
rufen. Ich sprte, wie ich die Schultern hngen lie. Dieser geistige Schock so
rasch nach den durch Dempseys Angriff hervorgerufenen krperlichen Schocks
und die Kugel in die Rippen bewirkten, da ich mich nur noch zusammenrollen
und alles vergessen wollte. Doch dann hrte ich Rodneys Stimme leise etwas
in Latein singen. Ich sah ihn an, sah seine Augen stetig auf mich gerichtet, und
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ich sprte, wie mich Erleichterung durchstrmte. Mein Verstand klrte sich, und
ich fhlte mich so ausgeruht und kampfbereit, als htte ich soeben acht Stunden
geschlafen. Selbst die mchtige Quetschung und die vermutlich gebrochenen
Rippen auf der linken Seite schmerzten jetzt nicht mehr so stark. Der Elf lchel-
te schwach und brach seinen Gesang ab. Dann widmete er sich wieder meiner
Schwester.
Ich holte tief Luft. Angst und Anspannung waren immer noch da, aber ich fhl-
te mich jetzt in der Lage, damit fertig zu werden. Astrale Parasiten, also, sagte
ich. Was knnt ihr deswegen unternehmen?
Hier berhaupt nichts, sagte Hawk sofort. Ich glaube, unter den richtigen
Umstnden knnte es mglich sein, etwas zu unternehmen. Das erste Problem
ist, sie zu befreien ...
Ohne ihr zu schaden, fgte Rodney hinzu, oder sie zu tten.
Ich warf einen Blick auf die Nabelschnur, nickte und wandte die Augen ab.
Der Anblick verursachte mir immer noch belkeit. Okay, sagte ich, tut, was
ihr knnt.
Als nichts aus den Ecken gekrochen kam, um uns aufzufressen oder in Stcke
zu schieen, verteilten sich die anderen noch weiter in dem groen Raum. Toshi
kehrte gerade vom anderen Ende zurck. Er trug irgendwas. Es schien buchstb
lich gewichtslos zu sein, wenn man sah, wie wenig es die Bewegungen des Elfs
behinderte, aber ich erkannte den Gegenstand schon als Leiche, noch bevor der
Elf sie unsanft vor meinen Fen ablud. Kennst du den? fragte er.
Ich wollte schon eine spitze Bemerkung machen, erstarrte jedoch. Ich kannte
ihn tatschlich. Nicht persnlich, aber von einem Bild aus einem Computerdos-
sier. Es war David Sutcliffe. Alter Bekannter, murmelte ich.
Toshi fixierte mich mit scharfem Blick und wartete darauf, da ich ihn weiter
aufklrte. Als ich das nicht tat, zuckte er die Achseln und wandte sich ab. Groe
Doppeltren am anderen Ende, sagte er zu Argent. Wohin jetzt?
Argent kam zu mir und senkte die Stimme, so da nur ich ihn verstehen konn-
te. Wohin, Mr. Johnson? sagte er, aber ich hrte keinen Sarkasmus. Um sie
geht es, richtig? Ich wute, was er mir wirklich damit sagen wollte. Unsere
Abmachung hatte sich auf die Rettung meiner Schwester bezogen. Alles, was
darber hinausging, sprengte den Rahmen unseres Kontrakts, und Argent hatte
das Recht, sein Team abzuziehen und uns mit rauszubringen, wenn wir das
wnschten , wenn er das Gefhl hatte, da es zu hart wurde. Das war etwas,
was ich bedenken mute, um von jetzt an vernnftige Entscheidungen zu treffen,
und ich wute es zu schtzen, da er den Vorgang vertraulich behandelte. Jocasta
und Rodney waren kein Problem, aber es war etwas, das ich Scott Keith besser
nicht hren lassen wollte.
Ich nickte dankend. Die Wahl fiel mir nicht schwer. Ich hatte, was ich wollte.
Wie geht es voran? fragte ich Hawk. Er und Rodney taten etwas Unerklrli-
ches mit ein paar Fetischen. Der Schamane hatte sein groes Messer gezogen,
und in dem rtlichen Licht sah die Klinge aus, als sei sie bereits na vom Blut
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aber ich verdrngte diesen Gedanken.
Es geht, sagte er, ohne aufzusehen. Ein paar Minuten noch.
Ich nickte wieder. Ich hob die Stimme ein wenig und sagte: Wir verziehn uns,
wenn Hawk fertig ist. Geben Sie Bescheid, Argent. Der groe Samurai nickte
und flsterte etwas in sein Handmikro.
Wie ich erwartet hatte, stand Scott Keith einen Augenblick spter vor mir.
Was soll das heien, Sie wollen sich verziehen? Wie viele andere, die ich ken-
nengelernt habe, berspielte er seine Angst mit Wut. Sie haben den Drek noch
nicht ausgegraben.
Ich machte eine Geste, die diese ganze Kammer mit einschlo. Und was ist
das hier? Ich zeigte auf die toten Monster. Oder das? Ich deutete auf Theresa.
Und was ist damit? Warum machen Sie nicht ein paar Fotos und sehen zu, da
Sie hier lebend rauskommen. Sie Schwachkopf? Oder von mir aus bleiben Sie
auch, wenn Sie wollen, es interessiert mich nicht. Ich deutete noch einmal auf
Theresa. Sieht so aus, als wrde hier gerade was fr Sie frei. Und dann lie ich
ihn einfach stehen und vor sich hin fluchen.
Hawk und Rodney beendeten gerade ihre Operation an Theresa. Jocasta ganz
die Wissenschaftlerin sah ihnen ber die Schulter. Hawk setzte sein groes
Messer so zartfhlend wie ein Skalpell ein. Die Nabelschnur lste sich in einem
Schwall von Blut und einer Flssigkeit die kein Blut war, vom Bauch meiner
Schwester. Rodney prete ein Heilpflaster auf das rohe Fleisch, das entblt
worden war, whrend der Schamane das Ende der Nabelschnur berhrte, das so-
fort in Flammen aufging und zusammenschrumpelte. Theresa bewegte sich und
sthnte ein herzzerreiendes Gerusch , erwachte jedoch nicht.
Der groe Amerindianer nahm sie auf, und in seinen Armen sah sie wie ein
Kind aus. Was ist mit den anderen? fragte er mich.
Ich sah mich in dem Raum um. Da lagen weitere elf Gestalten, wahrscheinlich
im selben Zustand wie meine Schwester. Konnten wir sie einfach hier ihrem
wie auch immer gearteten, gotterbrmlichen Schicksal berlassen, fr welches
all das hier nur das Vorspiel war? Wenn nicht, was konnten wir dann tun? Wir
waren genug Leute, wenn man die DED-Cops mitzhlte, um sie alle zu tragen,
aber das bedeutete, alle bis auf einen von uns wrden mit einem Krper beladen
sein, wenn wir uns hier herauskmpfen muten. Und da war noch ein anderer
wesentlicher Gesichtspunkt. Ich sah auf die Uhr: Hawk und Rodney hatten zehn
Minuten intensiv arbeiten mssen, um Theresa von der Nabelschnur zu befreien.
Wenn man davon ausging, da sie schnell bung bekamen, wrden sie fr die
brigen im Schnitt vielleicht acht Minuten bentigen. Das bedeutete, es wrde
eineinhalb Stunden dauern, um sie alle zu befreien. Ich konnte nicht glauben, da
man uns auch nur noch ein Viertel dieser Zeitspanne uns selbst und unserem Tun
berlassen wrde.
Ich sah Jocasta an. Ihre Augen ruhten auf mir, und ich wute, da sie wute,
was ich durchmachte. Hawk ebenfalls: Seine dunklen Augen waren voller Mitge-
fhl. Ich wollte, da mir jemand anderer sagte, was ich tun sollte das Richtige
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, aber dies war ganz allein meine Entscheidung.
Ich hatte die Wahl, Theresa und uns selbst zu retten, wenn wir uns jetzt verzo-
gen, oder wahrscheinlich alle umzubringen, wenn wir blieben. So gesehen, war
es klar, da ich nur eine Entscheidung treffen konnte trotz allem nicht einfach,
aber klar. Manchmal mu man sich mit kleinen Erfolgen bescheiden, wenn man
kann. Wir verschwinden, sagte ich.
Scott Keith wollte etwas sagen, aber ich zeigte ihm nur den Finger. Der DED-
Offizier griff nach seiner Pistole, aber der Ziellaser von Toshis H&K auf seiner
fetten Nase berzeugte ihn davon, sie stecken zu lassen. Toshi schien mich nicht
besonders zu mgen, aber Keith gefiel ihm noch weniger, und er war ganz offen-
sichtlich scharf auf einen Vorwand, ihn zu geeken. Das schien mir eine ausrei-
chende Versicherung zu sein. Ich drehte Keith den Rcken zu.
Hawk gab die bewutlose Theresa an Argent weiter. Der groe Samurai warf
sie sich ber die Schulter, schien durch das zustzliche Gesicht jedoch nicht wei-
ter beeintrchtigt zu sein. Denselben Weg raus, den wir gekommen sind, sagte
der Anfhrer der Wrecking Crew.
Ich drehte mich um und warf einen langen letzten Blick auf die Kammer. Elf
komatse Gestalten, jede wahrscheinlich ein Wirtskrper fr astrale Parasiten.
Und ich lie sie hier. Ich wute, in meinen Trumen wrde ich diesen Ort noch
sehr oft besuchen.
Und das war der Augenblick, als das Geschrei und die Schieerei losging. Ich
wirbelte herum.
Drei der ungeschlachten Monstrositten Insektengeister hatte sie Hawk ge-
nannt waren pltzlich mitten unter den DED-Cops. Ohne jede Vorwarnung.
Die Wesen schienen ganz so wie in dem Apartment in Capitol Hill aus dem
Nichts aufzutauchen.
Die DED-Bullen waren schnell und gut ausgebildet, das will ich ihnen gern
zugestehen. Sie fuhren herum, wlzten sich zur Seite und jagten Kugeln in die
unmenschlichen Gestalten. Doch die Angreifer waren noch schneller. Aus den
DED-Cops wurden rasch tote Cops. Ich sah ein Monster mit seiner Klauenhand
zuschlagen und einem gepanzerten Cop das Rckgrat zerfetzen, um einem ande-
ren Cop mit dem Rckschwung das Genick zu brechen. Eines der Dinger schien
unter dem konzentrierten Beschu eines halben Dutzend SMGs frmlich zu ex-
plodieren, doch die anderen beiden blieben anscheinend vllig unversehrt. Die
Cops versuchten sich zurckzuziehen, ein wenig Entfernung zwischen sich und
jene reienden Klauen zu legen. Wenn sie ausschwrmen konnten, wrden sie
die Dinger ohne eigenes Risiko mit Blei vollpumpen knnen. Doch die Monster
lieen sie nicht ausschwrmen. Mit unmenschlicher Geschwindigkeit drngten
sie weiter vorwrts, wobei sie die zahllosen Kugeln, die in ihre Krper einschlu-
gen, gar nicht zu spren schienen.
Ich hielt meinen Roomsweeper schubereit und nach einer Mglichkeit Aus-
schau, ihn einzusetzen. Doch die Dinger waren zu dicht bei den Cops, als da
ich einen Schu mit der Schrotflinte in das Gemenge htte riskieren knnen.
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Die Cops arbeiteten vielleicht fr Scott Keith, aber das war kein ausreichender
Grund, sie zu verheizen.
Toshi und Argent hatten dieses Problem nicht. Ihre Smartguns jagten kurze,
przise Feuerste in die Wesen, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab.
Ein zweites Monster, dessen Schdel buchstblich in Fetzen geschossen war,
brach zusammen. Es sah nicht gut aus. Drei Cops lagen am Boden hchstwahr-
scheinlich tot , whrend ein vierter schreiend auf die zerfetzten berreste seines
linken Arms starrte. Blieben noch ein voll einsatzfhiger Cop plus Keith ihn
rechnete ich als einen halben Cop plus mein Team.
Der verbliebene Cop wich rasch zurck, whrend er immer noch Schsse in
das letzte Monster pumpte. Dann klickte seine MP-5 nur noch leer. Er warf das
leere Magazin aus und knallte ein neues hinein. In diesem Augenblick sprang
das Monster. Es streckte beide Arme aus, packte den Kopf des Cops und hob
ihn hoch. Der gequlte Schrei des Mannes brach mittendrin ab, als sein Schdel
zerbrach.
Der Granatwerfer unter dem Lauf von Hawks AK-98 spie Feuer. Eine Minigra-
nate durchschlug das Exoskelett auf der Brust des Monsters und detonierte einen
Augenblick spter. Der Torso des Monsters explodierte frmlich, und schwarze
Flssigkeit und Gewebe wurden meterweit in alle Richtungen geschleudert. Der
letzte sterbende Cop wurde von Splittern des natrlichen Krperpanzers durch-
lchert, und er brach zusammen. Es stank nach Kordit, Blut und anderen, ekel-
hafteren Dingen.
Da kommen noch mehr! schrie Rodney auf die Tr deutend, durch die
wir hereingestrmt waren. Die kniehohe Beleuchtung in der Rampenwand
warf scheulich verzerrte Schatten auf die Decke und in den Raum. Trotz der
Verzerrungen wute ich, was da auf uns zu kam: Mehr von den Insektengeistern
oder was sie waren , mindestens vier davon.
Ich fuhr herum und starrte auf die groe Doppeltr am anderen Ende des
Raums. Wir waren jetzt auf die Wrecking Crew, Jocasta, Rodney und mich so-
wie Scott Keith reduziert. Gegen vier weitere dieser Dinger? Wir hatten keine
Chance. Ich deutete auf die Tr und schrie: Da lang!
Argent, der immer noch Theresa trug, war neben mir, bevor ich berhaupt regi-
strierte, da er sich in Bewegung gesetzt hatte. Sie wollen uns in eine bestimmte
Richtung drngen, zischte er.
Derselbe Gedanke war mir auch schon gekommen. Wenn uns die Dinger nur
tot sehen wollten, warum waren sie dann nicht einfach zwischen uns materiali-
siert, wie es die ersten drei getan hatten? Wir haben kaum eine Wahl, oder?
sagte ich. Argent schttelte den Kopf.
Wir setzten uns in Bewegung. Die Dinger rckten viel langsamer vor, als sie
gekonnt htten, was den Eindruck verstrkte, da uns dieser Weg aufgezwungen
wurde. Hawk und Argent taten, was sie konnten, um sie noch mehr aufzuhalten,
indem sie den Eingang mit Granaten verminten, die fr einen Vorhang aus Feu-
er und Splittern sorgen wrden.
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Toshi fhrte uns zum anderen Ende des Raumes. Die Doppeltr war gewaltig.
Sie nahm die halbe Breite des Raumes ein und erstreckte sich fast bis zur Decke.
Die Tr selbst bestand aus Metall und war offensichtlich so konzipiert, da sie
bei einem Druck auf den Knopf an der Wand direkt neben der Tr zurckglitt.
Ich fragte mich, was, zum Teufel, sich hinter dieser Tr verbarg, da man sie so
massiv gemacht hatte ...
Hawks und Argents Verzgerungstaktik war zwar einigermaen wirkungsvoll,
reichte jedoch nicht aus. Die ersten beiden Wesen waren bereits im Raum und
rckten langsam gegen uns vor. Die beiden Shadowrunner beharkten sie, aber die
Monster waren noch lngst nicht erledigt. Die beiden Mnner zogen sich, immer
noch feuernd, rasch bis zu uns zurck.
Was ist da drin? fragte ich Rodney.
Voller Unbehagen schttelte er den Kopf. Der Raum ist durch eine starke
astrale Barriere geschtzt, und die Hintergrundstrahlung ist enorm. Ich kann hin-
ter dieser Tr nicht das geringste erkennen.
Tu es, Toshi, bellte Argent. Mir gefiel die Sache berhaupt nicht, aber wir
hatten absolut keine andere Wahl. Ich umklammerte den Kolben des Roomswee-
pers noch fester.
Toshi drckte auf den Knopf an der Wand. Die groe Doppeltr ffnete sich
mit einem Zischen. Whrend Argent uns nach hinten absicherte, wirbelten Tos-
hi und Hawk durch die ffnung. Frei, schnappte der Elfen-Samurai einen
Augenblick spter.
Los, befahl Argent.
Wir brauchten keine zweite Einladung. Rodney, Jocasta und ich glitten durch
die sich immer noch ffnende Tr. Scott Keith war dicht hinter uns. Seine An-
wesenheit war eine unangenehme Ablenkung, aber im Augenblick gab es nichts,
was ich dagegen tun konnte.
Wir befanden uns in einer Art Halle, tatschlich mehr ein Tunnel. Whrend
ich die Einzelheiten aufnahm, wuchsen in mir Furcht und Abscheu. Der Tunnel
war oval, ungefhr acht Meter breit und halb so hoch. Vor uns erstreckte er sich
vielleicht zehn Meter weit, bevor er nach links abbog, so da sich das, was uns
dahinter erwartete, unseren Blicken entzog. Der Boden gab unter meinen F-
en nach, was mir den bestrzenden Eindruck vermittelte, da ich auf Fleisch
ging. Er war ebenso blagelb wie die Nabelschnur, die Theresa mit den Wnden
verbunden hatte. Tatschlich war es in meiner Einbildung fast so, als seien wir
irgendwie auf die Gre von Moskitos reduziert worden und jetzt im Innern
jener Nabelschnur. Mein Magen revoltierte, und ich wollte kotzen. Zum Glck
verblate die Einbildung, und die belkeit ging vorbei. Doch die Furcht blieb.
Toshi hatte in der weichen Wand neben der Tr einen weiteren Knopf gefun-
den, ein Duplikat des ersten. Argent, rief er.
Der metallarmige Samurai gab noch zwei abschlieende Feuerste aus seinen
Ingrams ab und sprang dann durch die Tr. Toshi drckte auf den Knopf, und
die Tren schlossen sich wieder. Sobald sie sich geschlossen hatten, gab Toshi
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eine kurze Salve auf das Paneel ab, das den Knopf umgab. Funken flogen, als die
Schaltkreise kurzgeschlossen wurden.
Von der anderen Seite der Tr hrte ich ein schrilles Kreischen der Wut. Hatte
eines der Wesen auf den Knopf gedrckt und festgestellt, da das System lahm-
gelegt war? Wie intelligent waren diese Dinger? Etwas Schweres knallte von
auen gegen die Metalltr.
Hawk, kannst du sie versiegeln? sagte Argent.
Der Schamane trat vor und betrachtete die Tr eingehend. Er stellte sein Sturm-
gewehr zur Seite und zog einen der vielen Fetische aus dem Grtel. Indem er
den Gegenstand aus Federn und Knochen zwischen beide Fuste nahm, begann
er leise zu singen. Was ich an Melodie heraushren konnte, erinnerte mich an
Wildnis und Einsamkeit. Whrend ich fasziniert zusah, nderte sich die uere
Erscheinung des Schamanen. Seine ohnehin ausgeprgte Adlernase verlngerte
sich und bog sich weiter nach unten, bis sie einem Schnabel hnelte. Seine Au-
gen wurden grer und durchdringender, und seine Haut nahm Farbe und Struk-
tur von goldenen Federn an. Fr einen Augenblick sah ich in das Gesicht eines
Adlers. Die Linie, wo sich die zwei Hlften der Tr trafen, war in schwachem,
elektrisch-blulichem Leuchten nachgezogen, und in der Luft lag ein Gestank
nach Ozon.
Als ich den Blick wieder auf Hawk richtete, war sein Lied beendet und seine
Erscheinung wieder normal. Es war, als habe die Verwandlung nur in meiner
Einbildung stattgefunden. Er holte tief Luft und bckte sich, um seine Waffe
aufzuheben.
Hawk! schrie Rodney.
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D er groe Schamane sah auf, warf sich nach hinten. Einen Augenblick zu
spt. Der Insektengeist, der ber seinem Kopf materialisierte, schlug mit
einer Klauenhand zu und zerfetzte Schulter und Brust von Hawks Krperpanzer.
Blut spritzte, und Hawk keuchte vor Schmerz. Das Ding landete leichtfig und
machte Anstalten, sich auf den verwundeten Schamanen zu werfen. Ich ri den
Roomsweeper hoch, doch Hawk stand zwischen mir und dem Monster. Ziellaser
zuckten ber Hawks Rcken, als die anderen eine ungehinderte Schulinie such-
ten. Das Ding sprang.
Doch Hawk reagierte einen Sekundenbruchteil schneller. Zuerst duckte er sich
unter den ausgreifenden Klauen hinweg. Dann kam er wieder hoch, wobei er sein
breites Messer in beiden Hnden hielt. Mit einem Grunzen der Anstrengung trieb
er das Messer mit aller Kraft in den Bauch des Monsters und ri dann das Heft
nach oben, um durch dessen Exoskelett zu schneiden. Das Ding kreischte ohren-
betubend und ruderte wild mit den Armen. Seine Klauen hinterlieen Kratzspu-
ren auf Hawks Rckenpanzerung, drangen jedoch nicht durch. Der groe Mann
stie noch einmal aufwrts, und das Monster kippte nach hinten, schwarzes Blut
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spuckend. In dem Augenblick, als die Schulinie frei war, jagte Toshi einen lan-
gen Feuersto in das Ding, der dessen Kopf und Rumpf zerfetzte.
Hawk taumelte zurck. Er war mit Blut besudelt, sowohl mit seinem eigenen
als auch mit der schwarzen Flssigkeit des Monsters. Schmerz und Erschp-
fung hatten tiefe Linien in sein Gesicht getrieben. Jocasta eilte zu ihm, ri seine
Brustpanzerung weg und drckte ihm ein blutstillendes Heilpflaster auf die zer-
rissene Schulter. Nach einem kurzen Dankesnicken begann er leise zu singen.
Vielleicht konnte ihm seine Magie mehr helfen als Jocastas Medkit.
Ich wandte mich an Rodney und zeigte auf die tote Kreatur. Kann das Ding
durch die Tr gekommen sein? fragte ich.
Der Elfen-Magier schlo fr einen Moment die Augen und schttelte dann den
Kopf. Unmglich. Die astrale Barriere ist noch intakt. Seine Miene verriet
mir, da wir zum selben Schlu gelangt waren: Das Ding war bereits auf unserer
Seite der Tr gewesen, als wir hereingekommen waren, und wahrscheinlich nicht
allein.
Jocasta war immer noch damit beschftigt, Hawk zu verarzten, doch alle ande-
ren schienen auf mich zu warten. Vielleicht hatte das scheuliche Erscheinungs-
bild des Tunnels die beiden Samurai aus der Fassung gebracht. Oder vielleicht
warteten sie darauf, da der Mr. Johnson, der sie da reingeritten hatte, endlich
auch mal was unternahm. So sehr mich der Gedanke auch entsetzte, ich konnte
ihnen keinen Vorwurf machen.
Ich schritt vorwrts, an Scott Keith vorbei, der sich umsah wie eine Ratte in
der Falle. Ich schlug ihm hart auf die Schulter. Sie sind bestimmt froh, da sie
mitgekommen sind, was? Seine Antwort war sowohl irrelevant als auch nicht
druckfhig. Ich hielt mich an meinem Roomsweeper fest und bernahm die Fh-
rung den Tunnel entlang.
Je nher ich der Biegung kam, desto weicher wurde der Boden unter meinen
Fen. Keine roten Lichtkugeln mehr. Die Tunnelwnde schienen von innen her-
aus in einem ekelhaften Gelb zu leuchten. Irgendeine Art Phosphoreszenz oder
etwas noch Unangenehmeres? fragte ich mich. Die Luft war warm und feucht,
meine klammen Klamotten klebten mir auf der Haut, und der Hefegestank war
durchdringend, fast erstickend. Ich schaute mich um. Ja, die anderen folgten mir,
doch sehr vorsichtig und in einem Abstand von mehreren Metern.
Genauso vorsichtig folgte ich der Biegung des Tunnels. Nichts. Die anderen
hingen zurck, warteten darauf, da ich den Weg auskundschaftete. Ich winkte
ihnen zu, mir zu folgen, und ging langsam weiter.
Noch eine Biegung voraus, eine schrfere diesmal. Ich lugte um die Ecke. Vor-
sichtig.
Vor mir ffnete sich der Tunnel zu einer weiteren Kammer, einer kleineren
Ausgabe derjenigen, in der wir Theresa gefunden hatten. Die Kammer wurde
von den mittlerweile vertrauten roten Kugeln erhellt. Sie sah leer aus. Ich signa-
lisierte alles klar und pirschte mich vorwrts.
Der Boden war hier fester, seine Elastizitt entsprach eher der von Rasen als
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von Fleisch. Die Kammer war meiner Schtzung nach etwa zehn mal zehn Meter
gro. Ich suchte sie ab, wobei der Lauf des Roomsweepers meinem Blick folgte.
Ich hatte recht gehabt die Kammer war leer. Ich drehte mich um, die anderen
nach vorn zu winken.
Derek Montgomery. Die Stimme war vertraut und kam aus der Kammer. Ich
wirbelte wieder herum.
Ich kannte die Gestalt mit der tonnenfrmigen Brust und dem kurzgeschnit-
tenen sandfarbenen Haar und Bart. Einen Augenblick zuvor war niemand da-
gewesen das konnte ich beschwren , doch jetzt stand Adrian Skyhill direkt
vor mir, die Hnde in die Hften gesttzt und ein dreckiges breites Grinsen im
Gesicht.
Instinktiv wich ich seitlich aus, ri den Roomsweeper hoch alles hier unten
war ein Feind und drckte ab. Die Schrotflinte donnerte los, wobei sie in mei-
nen Hnden gewaltig bockte.
Der Schu war genau, doch die Schrotkugeln erreichten Skyhill nicht. Statt
dessen prallten sie von einer gekrmmten unsichtbaren Barriere direkt vor ihm in
alle Richtungen ab. Ich lud durch, drckte jedoch nicht noch einmal ab.
Einen Augenblick spter war ich von den Shadowrunnern umgeben. Rodneys
und Jocastas Ziellaser zeichneten sich deutlich auf seinem dunklen Geschftsan-
zug ab, der jetzt mit bsartig aussehenden Fetischen besetzt war, doch sie schos-
sen nicht.
Skyhills Grinsen wurde breiter, doch seinem Gesicht haftete eine schreckliche
Fremdartigkeit an. Zuerst fhrte ich das auf die Schatten zurck, welche die un-
heimliche Beleuchtung warf, doch dann wurde mir klar, da es das allein nicht
war. Wenn ich Skyhill direkt anschaute, sah sein Gesicht ganz normal aus. Wenn
ich den Blickwinkel nderte, so da ich ihn nur aus dem Augenwinkel sah, wur-
de sein Gesicht unmenschlich, schrecklich. Seine Augen waren vergrert und
facettiert, und wo sein Mund htte sein sollen, befand sich eine Reihe gezackter
Mandibeln, messerscharfer Schneidewerkzeuge und anderer Mundteile. Ein di-
rekter Blick, und alles war wieder normal. Ich mute an die Art und Weise den-
ken, wie sich Hawks Gesicht bei der magischen Versiegelung der Tr verndert
hatte. Sah ich das Gesicht von Skyhills Totem? Hawk hatte das Wespen-Totem
erwhnt. Bedeutete das, er war ein Wespenschamane?
Skyhill sah links an mir vorbei auf Argent, der immer noch Theresa auf einer
Schulter trug. Das Lcheln des Insektenschamanen verblate ein wenig. Ich
sehe, Sie haben Ihre Schwester gefunden, sagte er. Wir werden sie sehr bald
wieder dorthin zurckbringen, wo sie war. Es wre geradezu eine Schande, ihr
das zu verwehren, nachdem sie es so weit geschafft hat.
Mein Unterarm schmerzte aufgrund des Wrgegriffs, mit dem ich den Rooms-
weeper umklammert hielt. Pltzlich glaubte ich zu wissen, was er damit im-
plizierte. Sie haben sie infiziert, schrie ich. Sie haben meine Schwester mit
astralen Parasiten infiziert.
Skyhill sah verwirrt aus. Ach, ich verstehe, was Sie meinen, sagte er nach
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einem Moment. Das sind keine astralen Parasiten. Es sind unreife Schlupf-
wespengeister.
Ist mir egal, was sie, verflucht noch mal, sind! brllte ich ihn an. Holen Sie
sie aus ihr raus!
Der groe Mann sah ehrlich berrascht aus. Warum sollte ich das tun? Sie
werden bald voll entwickelt sein, und dann wird einer von ihnen Besitz von Ihrer
Schwester ergreifen, und sie wird dazugehren. Fr immer.
Wie Sie dazugehren? fragte ich sarkastisch.
Er schttelte traurig den Kopf. Sarkasmus war an ihm verschwendet. Es wird
noch einige Zeit dauern, bis ich dazugehre, sagte er grmlich. Fr mich gibt
es noch viel zu tun, bevor ich dieses Geschenk annehmen kann.
Ich werde Sie tten!
Sie werden es versuchen, sagte Skyhill gelassen, und daran scheitern.
Ich gab noch einen Schu auf ihn ab. Wiederum prallten die Doppelnull-
Schrotkugeln ab. Warum hatten die Shadowrunner nicht geschossen? Standen sie
unter irgendeinem magischen Bann? Oder begriffen sie die Sinnlosigkeit meiner
Bemhungen nur besser als ich?
Ich kann Ihnen dasselbe Dazugehren anbieten, sagte der Insektenschama-
ne, der gar nicht zur Kenntnis genommen zu haben schien, da ich soeben er-
neut versucht hatte, ihn in Fetzen zu schieen. Ihr Wille ist stark genug. Die
Verschmelzung knnte sehr gut werden.
Ich senkte den Lauf des Roomsweepers und schttelte den Kopf, whrend die
dumpfe Verblffung in mir wuchs. Das haben Sie also die ganze Zeit verbor-
gen, sagte ich leise. Sie haben berhaupt nichts mit 2XS zu tun.
Natrlich haben wir das, sagte Skyhill mit einem Unterton, in dem fast so
etwas wie beleidigter Stolz zum Ausdruck kam. Es ist unsere Technologie. Wir
haben sie ganz speziell entwickelt.
Warum? Ich war wieder vllig verwirrt.
Skyhill zuckte die Achseln. Geld, Einflu. Aber das ist alles zweitrangig. Sie
wissen, wie zerstrerisch sich der langfristige Gebrauch von 2XS auswirkt? Ich
nickte. Wenn jemand die Kraft hat, das zu berleben wie Ihre Schwester ,
dann ist er ein perfekter Kandidat fr das Dazugehren. Er ist stark genug, um
fr die unreifen Geister als Wirt zu fungieren, und wenn es an der Zeit ist, da
er selbst in Besitz genommen wird, bestehen ausgezeichnete Chancen, da die
Verschmelzung gut wird. Sie behalten ihre eigene krperliche Gestalt, erlangen
aber die Krfte des Schlupfwespengeistes die reinste Form des Dazugehrens.
Verstehen Sie nicht? fuhr er ganz ernsthaft fort. Wir knnen das Dazugehren
nicht jedem x-beliebigen anbieten, wir mssen uns die besten Kandidaten aussu-
chen. In 2XS habe ich dafr den besten Weg gefunden.
Ich starrte ihn an. Sie zerstren Menschen mit 2XS, und diejenigen, die Sie
nicht zerstren, bringen Sie hierher, um sie auf die Art zu zerstren. Ich deutete
mit dem Daumen in Richtung Theresa. Sie dreckiger Wichser!
Skyhill wirkte verletzt. Unglcklicherweise verstehen Sie nicht, murmelte er
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mehr zu sich selbst. Bedauerlich.
Und dann begann er zu singen, ein hohes klagendes Lied mit gesummten Ober-
tnen. Die Melodie drang in mich ein, sickerte in meinen Verstand. Ich war ver-
wirrt. Warum war meine Waffe auf Skyhill gerichtet? Der groe Wichser links
neben mir versuchte meine Schwester zu entfhren. War dieser ganze rger
nicht in erster Linie ihm zu verdanken? Ich knurrte vor Wut, als ich mich Argent
zuwandte.
Doch dann sprte ich jhlings und schockierend Rodney Greybriars Augen auf
mir ruhen, stetig und voller Anteilnahme. Ich sprte Ausstrahlung und Kraft sei-
ner Persnlichkeit wie eine frische Brise durch meinen Verstand wehen und alle
Spuren der verrckten Gedanken, die mir noch einen Augenblick zuvor durch
den Kopf gegangen waren, zerstreuen, als seien sie Staub. Mein Knurren wurde
zu einem Schrei des Zorns und des Entsetzens darber, was Skyhill mir beinahe
angetan hatte. Der Roomsweeper kam hoch und brllte auf. Ich lud durch und
scho noch einmal.
Diesmal vereinigten die beiden Samurai ihr Feuer mit meinem, doch ohne Er-
folg. Die Kugeln prallten von Skyhills auerweltlichem Schild ab und jaulten als
Querschlger durch die Kammer. Der Insektenschamane sang wieder.
Taktische Deckung, schnappte Hawk. Und dann sackte der groe Amerin-
dianer schlaff zu Boden.
Skyhill unterbrach seinen surrenden Gesang. Mit einem Stirnrunzeln sank er in
die Lotusposition und schlo die Augen. Die Shadowrunner stellten ihre Feuer
ein.
Ich wandte mich an Argent. Was, zum Teufel, geht hier eigentlich ab?
Der Samurai gab einen einzelnen Schu auf Skyhills magischen Schild ab,
bevor er antwortete. Hawk greift ihn im Astralraum an, antwortete er gelassen.
Wenn die feindliche Barriere fllt was sie ganz sicher tun wird , erledigen
wir ihn.
Rodneys Gesicht erhellte sich zu einem Lcheln. Viele Hnde erleichtern die
Arbeit, bemerkte er lssig. Dann sackte er ebenfalls zu Boden.
Toshi hielt in der Kammer nach unwillkommenen Gsten Ausschau, whrend
Argent alle zwei Sekunden einen Schu auf den scheinbar bewutlosen Skyhill
abgab.
Es war schnell vorbei, und ich wnschte, ich wre in der Lage gewesen, es zu
sehen und zu verstehen. Skyhill schrie pltzlich auf, und einer der Fetische, den
er an seiner Kleidung trug, ging in Flammen auf und erblhte zu einem Feuerball
wie derjenige, der mich in Purity fast gerstet htte. Ich wandte mich ab und
schirmte das Gesicht mit dem Arm ab.
Doch das war unntig. Die Flammen dehnten sich aus, doch nur so weit es die
unsichtbare Glocke, die Skyhill umgab, zulie. Derselbe magische Schild, der
unsere Kugeln abwehrte, diente jetzt dazu, den Feuerball einzusperren.
Einen Augenblick spter war der Feuerball verschwunden. Argent gab einen
Schu auf die zusammengesackte Gestalt Skyhills ab, doch der Insektenschama-
268
ne war nur noch verbranntes Fleisch, ber das hier und da noch ein paar wider
spenstige Flammen leckten. Ruiger Qualm und der Gestank nach verbranntem
Fleisch erfllten die Luft.
Hawk und Rodney rhrten sich und rappelten sich langsam auf. Sie sahen
mde aus, und beide bluteten aus Kerben und Schnitten, die zuvor noch nicht da-
gewesen waren. Wenn jemand in einem Kampf auf der astralen Ebene verwundet
wird, fragte ich mich, werden dann diese Wunden auf seinen Krper bertragen?
Es hatte ganz den Anschein.
Seid ihr in Ordnung? fragte ich. Beide nickten, sagten jedoch kein Wort. Ihr
zufriedenes Lcheln drckte auch so alles Notwendige aus.
Wohin jetzt, Mr. Johnson? fragte Argent leise. Den Weg zurck, den wir
gekommen sind?
Verdammt gute Frage. Skyhill hin oder her, wir hatten immer noch die vier
oder mehr Insektenkrieger hinter uns, und die Kammer, in der wir uns be-
fanden, hatte nur einen Ausgang: Der Tunnel, durch den wir sie betreten hatten.
Sackgasse.
Rodney bewahrte mich vor einer Antwort. Warum gehen wir nicht einfach
dort hindurch? schlug er leichthin vor.
Ich sah in die Richtung, in die er zeigte auf die einfrmige Wand gegenber
der Tunnelffnung. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob er einen Witz
machte, doch dann schlo er die Augen und murmelte ein paar lateinische Worte.
Vor meinen Augen begann die Wand zu flimmern, als wrde ich durch Flammen
oder Hitzedunst sehen. Als das Flimmern verschwand, sah ich eine ffnung,
einen weiteren Tunnel, der mit dem ersten identisch war. Ich bemhte mich um
einen mglichst lssigen Tonfall und eine ebensolche Miene, als ich antwortete:
Ja, warum eigentlich nicht?
Ich bernahm wieder die Spitze. Nicht, da ich es wirklich wollte, aber ich
hielt es immer noch fr meine Pflicht ... falls dieses Wort berhaupt etwas be-
deutete. Meine Gedanken und Gefhle wirbelten chaotisch durcheinander. Ich
fhlte mich gespalten. Ein Teil von mir wollte sich hinsetzen und nachdenken,
sich mit den Konsequenzen dessen auseinandersetzen, was Skyhill gesagt hatte.
Ein anderer Teil wollte den ganzen Eimer voll Drek so tief in meinem Unterbe-
wutsein vergraben, da er nie wieder das Licht des Tages erblicken wrde. Im
Augenblick war natrlich letzteres die logischere Handlungsweise. Jetzt berle-
ben, spter berlegen klang nach einem guten Deal. Ich tastete mich vorsichtig
den Tunnel entlang.
Eine Biegung, zwei. Dann hielt mich Argents metallener Arm zurck. Nichts
bereilen, flsterte er. Ich mu zuerst etwas wissen. Er hob sein Handmikro
und murmelte: Peg, peil mein Signal an. Hast dus? Okay, wo sind wir? Ich
konnte die Antwort der Deckerin natrlich nicht hren, aber ich sah das flchtige
Lcheln des Samurai.
Er schaltete das Mikro aus und sagte: Wollen Sie mal raten? Ich schttelte
den Kopf. Wir befinden uns etwa fnfzehn Meter unter Bodenniveau, ungefhr
269
hundert Meter sdwestlich der ersten Rampe. Das bedeutet, wir sind fast direkt
unter dem Verwaltungsgebude.
Das waren gute Neuigkeiten. Ich schtzte, da unsere Chancen, hier in einem
Stck herauszukommen, soeben um ein paar Prozent gestiegen waren. Warum
direkt unter einem anderen Gebude graben, wenn man nicht irgendeine Verbin-
dung zur Oberflche herstellt?
Mit der Schrotflinte im Anschlag, ging ich weiter. Noch eine Biegung. Ich war
geistig erschpft und krperlich erledigt. Was sollte das berhaupt, all diese Tun-
nels? Niemand, der noch ganz richtig im Kopf war, wrde derartig bauen. Doch
dann dachte ich daran, mit wem/was wir es zu tun hatten. Insektengeister oder
Insektentotems, oder was sie auch waren, wrden Gedankenprozesse haben, die
denen der Menschen und Metamenschen gewi nur vage hnelten. Und wenn
Skyhill ein Beispiel dafr war, wie die Nhe zu jenen Wesen das Denken ver-
derben konnte, war es wohl besser, wenn ich alle Vorstellungen ber die Art
und Weise aufgab, wie Dinge konstruiert oder nicht konstruiert sein sollten. Das
heit, wenn ich berleben und es jemandem erzhlen wollte.
Noch eine verfluchte Biegung, doch diesmal lag dahinter alles in Dunkelheit.
Ich wich wieder hinter die Biegung zurck, um die Nachtbrille aufzusetzen und
einzuschalten. Dann lugte ich erneut um die Ecke.
Immer noch Dunkelheit. Da war nichts. Ich ging vorsichtig weiter, einen
Schritt, dann noch einen.
Ein schwacher Lichtblitz vor mir. Ohne nachzudenken, warf ich mich zur Seite,
schnell, doch nicht schnell genug. Der Strahl mystischer Energie kam knisternd
und donnernd aus der Dunkelheit geschossen, ein Strahl aus blauweiem Feuer.
Wenn ich nicht ausgewichen wre, htte mich der Strahl direkt in die Brust ge-
troffen. So aber wusch nur seine schwache, weniger energiehaltige Korona ber
meinen linken Arm.
Das war genug. Ich schrie, als sich eine weiglhende Fackel aus Schmerz in
meinem Krper entzndete. Mein Arm stand in Flammen, aber ich wute nicht,
ob der Arm selbst oder nur die Kleidung brannte. Ich fiel zu Boden und erstickte
die Flammen mit meinem Krper. Die Dunkelheit schlug ber mir zusammen,
versuchte mich einzuhllen, aber ich zwang sie mit einer olympischen Willens-
anstrengung zurck. Mir verschwamm die Sicht, und meine Gedanken flossen
trge wie Synth-Wodka aus einem besonders kalten Gefrierfach. Die Schmerzen
in meinem linken Arm waren immer noch unertrglich, doch es war so, als erleb-
te ich alles aus einer gewissen Entfernung. Als wrde ich zugleich Hllenqualen
erdulden und jemand anderem beim Erdulden dieser Qualen zusehen. Verlet
zungsschock war, wie ich wute, potentiell tdlich, wenn er nicht behandelt wur-
de.
Doch keiner meiner Begleiter hatte die Zeit, sich um mich zu kmmern. Sie
waren zu sehr damit beschftigt, um ihr Leben zu kmpfen. So, wie ich dalag,
schien der Boden in einem Winkel von etwa dreiig Grad gekippt zu sein, wo-
durch alles noch viel verwirrender fr mich aussah, als es ohnehin schon war.
270
Doch ich brachte ganz einfach nicht die Energie auf, mich herumzuwlzen und
die Welt wieder ins rechte Lot zu bringen.
Die Kammer vor uns wurde jetzt durch das normale blutrote Licht und zu-
stzlich durch Mndungsblitze, Granatexplosionen und Strahlen aus magischer
Energie erhellt. Es war mehr als hell genug fr mich, um zu sehen, womit ein Teil
meines Verstandes die ganze Zeit gerechnet hatte.
Die Knigin.
Sie war eine etwa fnf Meter groe, verzerrte Gestalt im unreinen Wei einer
Made. Massiger, segmentierter Unterkrper, ebenfalls in der Farbe einer Made
oder Larve. Aus dem oberen Ende dieser eiterigen Masse schien etwas zu sprie-
en, das wie der Rumpf einer Frau aussah, und von der Stelle, wo die beiden
Hlften zusammentrafen, hingen zwei kleine, mglicherweise verkmmerte
Gliedmaen herab.
Doch in einer Woge des Entsetzens, welche die geistige Dumpfheit des Schocks
durchdrang, begriff ich, da das nicht die richtige Betrachtungsweise war. Der
weie Unterkrper entspro vielmehr der Frauengestalt nicht anders herum
, und zwar ihrem Unterleib. Jene beiden vorspringenden Gliedmaen waren
tatschlich die Beine der Frau, die von der Masse des aufgeblhten Unterleibs
weit auseinandergespreizt wurden wahrscheinlich saen sie nicht mehr in ihren
Gelenken.
Sie lag flach, sttzte ihren Oberkrper mit einem Arm, so da er halb aufge-
richtet war. Die Zhne waren gebleckt entweder zu einem Lcheln oder zu
einem Fauchen. Ich sah, da sie einst wunderschn gewesen sein mute. Doch
jetzt war ihr das lange blonde Haar an einigen Stellen ausgefallen und schien die
Struktur von Stroh zu haben. Ihre honigfarbene Haut war hier und da eitergelb
verfrbt und sah aufgequollen und blasig aus. Ihre Augen waren grer als nor-
mal, und Dutzende von Facetten reflektierten Speere aus Licht.
Die Shadowrunner standen in der Tunnelmndung um mich herum und behark-
ten die Monstrositt mit automatischem Feuer. Die Kugeln perlten als jaulende
Querschlger von ihrem Krper ab. Sie schienen tatschlich vom Krper der
Knigin anstatt von einem unsichtbaren Schild wie bei Skyhill abzuprallen.
Jocasta und Rodney waren da und gaben kurze Feuerste aus ihren Uzis ab.
Selbst Scott Keith war da und leerte seine MP-5 in die verzerrte Gestalt.
Die Knigin streckte ihren freien Arm nach uns aus. Ein weiterer funkelnder
Strahl aus reinem Blau scho auf uns zu. Er erwischte Keith voll in der Brust und
verwandelte ihn in eine menschliche Fackel. Selbst fr jemanden, den ich hate,
war es eine miserable Art und Weise zu sterben.
Hawk lie sein Sturmgewehr fallen, ri einen Fetisch aus dem Grtel und be-
gann mit seinem Lied vom freien, offenen Himmel. Eine schimmernde Aura
der Macht bildete sich um ihn und explodierte dann frmlich in Richtung der
aufgedunsenen Knigin. Der Strahl traf, und fr einen Augenblick sah ich die
Macht des Schamanen mit der ihren in einem funkensprhenden, knisternden
Vorhang aus reiner Energie ringen. Aus einer anderen Richtung wurde die Kni-
271
gin von einer anderen Kraft gerammt, und ich wute, da auch Rodney tat, was
er konnte.
Doch dann scho der blaue Blitz der Knigin wieder vor. Trotz seiner aufge-
peppten Reflexe konnte Toshi ihm nicht ausweichen. Der blaue Blitz knallte in
seine Brust und trat an seinem Rcken wieder aus. Einen Augenblick lang stand
er schreiend und wie gelhmt da, dann explodierte sein Krper in einem Flam-
menmeer, und er schmolz frmlich zu Boden.
Ich mute etwas tun, um meinen Freunden zu helfen. Aber was? Ihre Kanonen
waren wirkungslos geblieben. Wie konnte ich erwarten, da meine dieser Ob-
sznitt etwas anhaben konnte? Ich war nicht mal sicher, ob ich mich bewegen
konnte.
Aus dem Augenwinkel sah ich ein Schimmern, als etwas im Tunnel hinter uns
Gestalt annahm. Und ich stellte fest, da ich mich bewegen konnte, wenn ich
wirklich mute. Eine Schmerzwelle schlug ber mir zusammen, als ich mich her
umwlzte, und es bedurfte aller Willenskraft, die ich aufbringen konnte, um nicht
ohnmchtig zu werden, so da ich den Roomsweeper anlegen konnte.
Es waren zwei, zwei von den Insektengeister-Kriegern, die ich mittlerweile so
gut kannte. Ich drckte ab. Der Rckschlag fuhr mir durch den rechten Arm in
den Krper und lste eine neue Schmerzwelle im linken Arm und einen Schrei
durch zusammengebissene Zhne aus. Ich prete den Pistolengriff des Rooms-
weeper gegen meine Schulter und lud einhndig durch. Dann richtete ich den
Lauf wieder nach vorn und jagte eine weitere Ladung Doppelnull-Schrot in die
Brust der ersten Kreatur. Ich schrie wieder, diesmal vor Begeisterung, als ich den
kolossalen Schaden sah, den der Roomsweeper angerichtet hatte. Ich lud wieder
durch und drckte erneut ab. Zum Teufel mit euch! Wessen Stimme war das?
Einen Augenblick spter realisierte ich, da es meine war.
Inzwischen hatte Argent sich umgedreht, und seine Ingrams spien Tod und Ver-
derben auf die nher kommenden Horrorgestalten. Die erste, diejenige, welche
ich bereits massakriert hatte, brach zusammen, und ich jagte den nchsten Schu
in die zweite. Ich wollte erneut durchladen, doch ich traf auf keinen Widerstand
mehr. Das Magazin war leer, und ich hatte keine Mglichkeit nachzuladen.
Es spielte ohnehin keine Rolle mehr. Argent beugte sich vor und lie Theresa
unsanft zu Boden gleiten, als er das AK-98 aufhob, das Hawk hatte fallen lassen.
Aus der Hfte feuerte er zwei Minigranaten auf den Insektenkrieger ab. Fast
gleichzeitig explodierend, rissen die Granaten das Monster in Stcke.
Hartes blaues Licht wurde von den Wnden reflektiert, und in meinen Ohren
drhnte das schreckliche Knistern der Magie der Knigin. Ich wlzte mich her-
um, zu erschpft, um angesichts der erneut aufbrandenden Schmerzen in mei-
nem Arm noch zu schreien.
Diesmal war Hawk das Ziel. Der blaue Speer traf ihn, verbrannte ihn jedoch
nicht. Statt dessen zischte und knisterte das Licht und leckte ber seinen Krper
wie Elmsfeuer. Eine Sekunde oder zwei hielt das Schauspiel an, dann verblate
das Licht.
272
Der groe Amerindianer sackte zusammen, sein Gesicht war grau und einge-
fallen. Er versuchte sein Lied wieder aufzunehmen, doch er brachte nur noch ein
heiseres Krchzen heraus und gab nach ein paar Noten auf. Er wankte und fiel
auf die Knie.
Im Hintergrund lie Rodney einen weiteren Spruch los. Kaum sichtbar, wie
eine Schockwelle, fegte er durch die Kammer und traf die Knigin. Der Aufprall
war gewaltig und warf die scheuliche Kreatur zurck. Die Haare, die ihr noch
geblieben waren, standen ihr zu Berge, und ganze Bschel wurden ihr vom Kopf
gerissen. Diesmal hatte Rodney Wirkung erzielt.
Doch Rodney war fast so erledigt wie Hawk. Wenn er diesen Spruch noch ein-
mal einsetzte, wrde es ihn umbringen.
Rodney sah zu mir herber, und unsere Blicke trafen sich. Pltzlich wute ich
mit schrecklicher Gewiheit was er tun wrde. Nein, Rodney, versuchte ich zu
brllen, aber ich brachte nur ein Krchzen heraus.
Der Elf rannte zu Hawk und ri dem Schamanen das Messer mit der breiten
Klinge aus der Grtelscheide. Rodney bewegte sich so schnell, da der Ame-
rindianer keine Zeit zum Reagieren hatte, doch ich sah das Begreifen in Hawks
eingesunkenen, schmerzgequlten Augen aufflackern. Geh in Schnheit, sagte
er mit einer Stimme, die nur noch ein Flstern war.
Er, der in Schnheit geht, hat keinen Grund zum Frchten, erwiderte der
Elfenmagier. Es klang wie eine rituelle Antwort. Reicht es noch?
Der Schamane nickte. Es reicht noch.
Der Elf sprang vor, lief direkt auf die Knigin zu. Blaues Licht zngelte vor,
leckte ber den Krper des Elfenmagiers. Seine Kleidung stand in Flammen,
doch er setzte seinen wahnsinnigen Angriff fort. Mit einem trotzigen, vielleicht
sogar triumphierenden Aufschrei warf er sich auf den menschlichen Oberkrper
der Knigin. Selbst als sie ihn mit ihren Klauenhnden in Stcke ri, stie er ihr
das Messer noch tief in die Brust, genau zwischen ihre verwelkten Brste.
Die Knigin ruderte mit den Armen und kreischte. Sie griff nach dem Heft des
Messers, um es sich aus dem Leib zu reien.
Hawk nahm sein Lied wieder auf. Eine stolze, traurige Melodie. Ich wute, es
war das letzte Lied, das er je singen wrde. Er hob die Arme zu einer Beschw-
rung und deutete auf die sich windende Knigin.
Flammen weie, reinigende Flammen schlugen ber ihr zusammen. Als
sie die Flammen verzehrten, bertnte das Tosen des Feuers auch ihre Schreie.
Das Licht seines letzten Zaubers spiegelte sich in Hawks Augen. Dann kippte er
vornber und rhrte sich nicht mehr.
Stille. Ich sprte eine Berhrung an der Schulter und wute, es war Jocasta. Ich
versuchte mich umzudrehen und ihr ins Gesicht zu sehen, aber ich hatte nicht
mehr die Kraft. Ich hatte das Gefhl, als wrde mich jemand hochheben, dann
ffnete sich die Dunkelheit vor mir wie eine Kohlengrube, und ich fiel hinein.
273
Epilog
D as Bewutsein kehrte nicht leicht zurck. Ich verfolgte es, kam ihm manch-
mal auch sehr nahe, ohne es jedoch ganz zu erreichen. Da waren Trume,
Trume von weien Lichtern und stechenden Gerchen, von Schmerzen und
belkeit. Kurze Perioden der Erinnerung gefolgt von nicht mebaren Spannen
gesegneten Vergessens. Leute besuchten mich, glaube ich, aber ich war nicht si-
cher, ob sie real oder nur weitere Trume waren. Vielleicht redete ich mit ihnen,
vielleicht trumte ich das auch nur.
Ich wei nicht, wie lange dieser Pseudotod anhielt, bevor ich schlielich die
Augen ffnete und in der Lage war, den Dingen, die ich sah, Worte zuzuordnen.
Eine weie gekachelte Decke, fluoreszierende Beleuchtungskrper. Gerche in
der Luft die Krankenhaus bedeuteten.
Ich sah mich um. Jawoll, ein Krankenhausbett in einem privaten Krankenzim-
mer. (Wer bezahlt dafr? fragte ich mich kurz, bevor ich diese Sorge als bedeu-
tungslos abtat. Am Leben zu sein, war alles, was zhlte.)
Ich lag auf dem Rcken, mein rechter Unterarm war mit einem weichen Rie-
men an einer Seitenschiene des Bettes festgebunden. Ganz offensichtlich des-
halb, damit ich mich nicht herumwlzen und zufllig die IV-Nadel und verschie-
dene Sensorelektroden an meinem Handgelenk herausreien konnte. Mein linker
Arm ...
Ich schlo die Augen und holte einmal tief Luft, bevor ich auf meinen linken
Arm sah. Vergebliche Liebesmh, ich konnte ihn ohnehin nicht sehen. Die ganze
linke Seite meines Oberkrpers war meinem Blick durch ein Laken ber einer
Art Gestell entzogen. Mir wurde schlecht.
Nach ein paar Augenblicken und noch ein paar tiefen Atemzgen versuchte ich
eine Bestandsaufnahme meiner krperlichen Empfindungen zu machen. Grund-
zustand normal, abgesehen von meinem linken Arm. Dort sprte ich kleine unre
gelmige stechende Schmerzen in Fingern und Unterarm. Ich versuchte die Fin-
ger zu bewegen, sprte jedoch nicht das geringste. Versuchte den ganzen Arm
zu bewegen. Immer noch nichts. Das Laken ber dem Gestell rhrte sich nicht.
Nichts rhrte sich an meiner linken Seite.
Phantomschmerzen nennt man das. Wenn man ein Glied verloren hat, kann
sich das Nervensystem damit nie wirklich abfinden. Man sprt Schmerzen und
Stiche in einem Glied, das gar nicht mehr existiert. Phantomschmerzen. Ich lie
meinen Kopf auf das Kissen zurcksinken.
Ich hrte, wie sich die Tr ffnete, hrte zwei Menschen kommen, sah jedoch
nicht auf. Eine Frau rusperte sich. Jocasta? Nein. Ich machte mir nicht die Mhe
hinzusehen.
Schlielich sagte eine Mnnerstimme frhlich: Nun, Mr. Johnson, wie geht
es uns denn heute?
Es mute ein Pfleger sein. So wie Bullen die einzigen sind, die verstorben sa-
gen, sind Pfleger und Schwestern die einzigen, die sagen, wie geht es uns denn
274
heute? Ich unterlie es, die Standardantwort, Ich glaube, uns geht es ziemlich
lausig, zu geben, aber ich sah auf.
Richtig geraten. Ein junger, adrett aussehender Pfleger in einem normalen
weien Overall. Neben ihm stand eine Frau, die nur rztin sein konnte: Ende
Vierzig, ernstes Gesicht, noch ernsteres Gehabe. So bringen sie einem heutzuta-
ge also die schlechten Nachrichten bei, dachte ich. Eine verrckte medizinische
Version von guter Bulle/bser Bulle.
Guten Morgen, Mr. Johnson, sagte die rztin. Ihre Stimme war ernst genug,
um ihr Gesicht und ihr Gehabe im Vergleich dazu frivol wirken zu lassen. Ich
bin Dr. Judith Zebiak und habe mich in den vergangenen zwei Wochen um Ihren
Fall gekmmert.
Sparen Sie sich den Schmus, Doktor, sagte ich scharf. Sie muten ihn ab-
nehmen, stimmts? Sie sah mich verstndnislos an. Meinen Arm, erluterte
ich.
Sie zgerte, dann traf sie offenbar eine Entscheidung. Normalerweise htten
wir noch ein wenig gewartet, sagte sie verdrossen, aber wenn Sie darauf beste-
hen ... Sie trat neben mein Bett.
Ich wandte das Gesicht ab, schlo die Augen ich hatte gefragt, aber ich war
nicht sicher, ob ich es berhaupt wissen wollte, nicht auf derart brutale Art und
ich hrte sie das Laken wegnehmen. Aber natrlich hatte es keinen Sinn, die
Realitt zu verleugnen. Den Kopf in den Sand zu stecken, hatte die Straue nicht
vor der Ausrottung bewahrt. Ich zwang mich, die Augen zu ffnen, und drehte
langsam den Kopf.
Mein Arm war da, immer noch fest an meinem Krper. Ich sprte eine kalte
Woge der Erleichterung, so intensiv, da ich fast wieder das Bewutsein verloren
htte. Der verkrampfte Klumpen der Anspannung in meinem Magen lockerte
sich. Ich htte am liebsten geweint.
Mein Arm lag mit der Handflche nach oben auf dem Bett. Er kam mir ein
wenig bla vor, aber das war ein geringer Preis. Ich htte geschworen, da er
Vergangenheit war.
Ich versuchte meine Finger zu bewegen. Nichts geschah. Die Phantom-
schmerzen waren immer noch da. Betubungsmittel, vielleicht? Irgendwelche
Nervenblocker, um mich daran zu hindern, den Arm zu bewegen und damit den
Heilungsproze zu gefhrden? Ich sah zu Dr. Zebiak auf und fragte: Wann kann
ich ihn bewegen?
Normalerweise wrde ich sagen, in einer Woche, aber dies ist ein besonderer
Fall. Und wenn Sie darauf bestehen ...
Das tue ich, versicherte ich ihr.
Sie zuckte die Achseln. Sie zog etwas aus ihrer Tasche, das wie eine kleine
elektrische Sonde aussah. Irgendein medizinisches Instrument, nahm ich an. Sie
beugte sich ber mein linkes Handgelenk und brachte das Instrument ganz nah
an die Haut.
Und ich will verflucht ein, wenn sie nicht einen winzigen Zugangsport ffnete
275
und die Sonde einfhrte. Sie drckte auf einen Knopf am oberen Ende der Sonde.
Mein Arm summte. Das Gefhl kam zurck. Ich konnte das khle Laken unter
der Haut spren, das Gewicht meines Arms auf dem Bett. Im Handgelenk war
ein seltsames, irgendwie unnatrliches Gefhl. Die rztin zog die Sonde heraus,
schlo den Zugangsport, und das unnatrliche Gefhl verschwand.
Mir drehte sich der Magen um. Ich glaubte, mir wrde schlecht werden.
Zebiak mute die Bestrzung auf meinem Gesicht gesehen haben. Sie eilte
zum Fuende des Bettes und griff nach einem kleinen Apparat von der Gre
eines Handcomputers, musterte den Schirm. Was ist los? fragte sie mich.
Ich konnte nicht sprechen, ich brachte die Worte einfach nicht heraus. Ich zeig-
te nur auf den Arm.
Sie nickte, begriff immer noch nicht. Ja, sagte sie, es ist das Modell, das Sie
verlangt haben, das versichere ich Ihnen. Spter, wenn Sie sich daran gewhnt
haben, werden wir Hautfarbe und Behaarung anpassen ...
Aber ich hab doch gar nicht ..., konnte ich mhsam keuchen. Was, zum
Teufel, ist mit mir passiert?
Ihre ernste Miene wurde ein wenig weicher, und sie flsterte etwas in den win-
zigen Computer. Ich sollte wohl nicht mithren, aber ich schnappte die Wor-
te rcklufige Amnesie auf. Dann redete sie wieder mit mir, doch sehr ruhig,
vielleicht sogar freundlich. Manchmal dauert es eine Weile, bis die Erinnerung
zurck kommt, Mr. Johnson. Soll ich Sie ins Bild setzen? Ich nickte stumm.
Sie waren natrlich bewutlos, als Sie vom Seattle General hierher berfhrt
wurden, aber ...
Ich fiel ihr erneut ins Wort. Wo bin ich jetzt?
Sie blinzelte. Harborview. Wo sonst?
Wo sonst? Ich lie mich zurcksinken und schlo die Augen. Entschuldi-
gung, sagte ich. Bitte fahren Sie fort.
Bei Ihrer Ankunft waren Sie bewutlos, aber Mr. Barnards Anweisungen
waren klar. Mr. Jacques Barnard. Ich beschlo, sie nicht noch einmal zu un-
terbrechen. Ich wrde mir spter alles zusammenreimen. Er sagte. Sie htten
den Wiremaster CDA-15 mit erhhter Kraft benannt und auerdem verlangt,
whrend der gesamten ersten Phasen der Prozedur unter Elektroschlaf gehal-
ten zu werden. Sie wirkte pltzlich ein wenig beunruhigt, fuhr jedoch gleich
fort. Kein allgemein blicher Wunsch, aber der Abteilungsleiter genehmigte
ihn, also haben wir Sie auf dieser Basis behandelt. Wir setzten den Vorgang der
Abtrennung des nicht wiederherzustellenden Gewebes fort und ...
Ich hob eine Hand meine eigene , um ihr Einhalt zu gebieten. Ich wollte
nichts mehr davon hren, wie sie mir meinen massakrierten linken Arm ampu-
tiert hatten, denn genau darber redete sie. Also zahlt Barnard fr all das hier?
fragte ich.
Natrlich, sagte sie und gab mir damit noch mehr, worber ich spter nach-
denken konnte. Er hat das fr Sie hinterlassen. Sie warf einen Umschlag aufs
Bett.
276
Danke, sagte ich. Und danke, da Sie mich aufgeklrt haben. Ich glaube,
die Erinnerung kommt jetzt langsam wieder zurck, log ich. Dann hielt ich
inne. Ich hatte noch eine andere wichtige Frage, aber ich wute nicht recht ob
ich die Antwort hren wollte. Hat ... Ich brach ab, versuchte es noch mal. Hat
mich jemand besucht, whrend, whrend ...
Dr. Judith Zebiak lchelte, und ihr Gesicht zersprang doch nicht. Ms. Josie Ei-
senstein hat mehrere Tage hier verbracht. Sie hat mich gebeten, Ihnen auszurich-
ten, da sie heute ganz bestimmt hier gewesen wre, aber ihre, h, gemeinsame
Freundin brauche ihre Hilfe. In dem Umschlag ist auch eine Botschaft von Ms.
Eisenstein. Ich werde Sie jetzt allein lassen, damit Sie sie in Ruhe lesen knnen.
Sie zgerte. Soll ich den Arm abschalten, oder werden Sie vorsichtig sein?
Ich werde vorsichtig sein.
Sobald sie und der Pfleger gegangen waren, ri ich den Umschlag auf und lie
den Inhalt herausgleiten. Obenauf lag eine handschriftliche Notiz von Jocasta
pardon, von Josie Eisenstein , die ich zuerst las. Es waren nur ein paar Zeilen.
Bin froh, da du wieder im Land der Lebenden weilst. Tut mir leid, da ich
am groen Tag nicht da sein kann: Leichter Rckfall bei Theresa. Aber keine
Sorge. Die Prognosen sind gnstig, es wird ein langer Proze. Bis bald J.
Ich faltete die Notiz zusammen und steckte sie wieder in den Umschlag. Die
Prognosen sind gnstig ich glaube, auf mehr konnte ich nicht hoffen. Und alles
ist ein langer Proze. Nun, da ich wute, Jocasta war nicht aus der Welt, war ich
froh, da sie im Moment nicht hier war. Ich mute noch zu viele Dinge sortieren
und an die richtigen Stellen stecken.
Ich nahm die anderen zwei Bogen Papier, wahrscheinlich die Nachricht von
Jacques Barnard. Es war jedoch nicht die Notiz, die ich erwartet hatte. Das erste
Blatt war der lasergedruckte Auszug eines Kontos auf den Namen D. M. John-
son, auf dem die Auszahlung von 120 000 Nuyen an Demolition Man Building
Services Inc. fr geleistete Dienste plus zustzliche 30 000 Nuyen fr zustzli-
che Ausgaben aufgelistet war. Offensichtlich hatte Barnard die Wrecking Crew
das heit, Argent, Peg und die Erben von Toshi und Hawk vollstndig ausbe-
zahlt, einen Bonus eingeschlossen.
Das zweite Blatt war die Kopie des Ausdrucks eines Lone Star-Todesberichts
ber einen gewissen Derek Montgomery, ohne feste Adresse und ohne SIN.
Laut Bericht war ich bei einem fehlgeschlagenen Angriff auf Yamatetsus ISP-
Abteilung in Fort Lewis gestorben, von einem der Hllenhunde der Gesellschaft
(Genehmigungslizenznummer etcetera) buchstblich bis zur Unkenntlichkeit
verbrannt, endgltige Identifikationsbesttigung durch Gebiuntersuchung (teil-
weise) und Genmuster (abgeleitet), Identifikationswahrscheinlichkeit 99,91 Pro-
zent.
Ich faltete die Papiere sehr sorgfltig zusammen und steckte sie wieder in den
Umschlag. Also war ich tot. Zumindest standen die Chancen tausend zu eins,
da ich es war, und das reichte mir. Lone Star wrde es mit Sicherheit reichen.
Ich war aus dem Drek raus, aus dem Schneider, suchen Sie sich das passende
277
Klischee aus. Meine Schulden bei der Wrecking Crew waren bezahlt, und ich
konnte ziemlich zuversichtlich sein, da der Star niemals wieder hinter mir her
sein wrde, solange ich nichts wirklich Dmliches anstellte. Man konnte sagen,
da ich noch eine Rechnung offen hatte die mit Anwar bezglich der Art und
Weise, wie er mich an Scott Keith verkauft hatte , aber ob ich diese Schuld
beglich oder nicht, war ganz allein meine Entscheidung. Ein ziemlich bedeuten-
des Geschenk, besonders wenn man die Kosten fr den neuen Arm plus private
Behandlung in Harborview mitrechnete. Vielen Dank, Mr. Barnard.
Doch selbstverstndlich machen Konzerne keine Geschenke, sondern Investi-
tionen. Eines Tages wrde sich Barnard bei mir melden und etwas von mir als
Gegenleistung verlangen. Einen Dienst oder etwas anderes, je nach Bedrfnis-
lage.
Oder vielleicht auch nicht. Ich begriff jetzt, da Barnard mich hauptschlich
in der Hoffnung zu Skyhill geschickt hatte, da ich seinen Rivalen zur Strecke
bringen oder mich jener besagte Rivale geeken und Barnard ihn dabei erwischen
wrde. Nun, ich hatte Skyhill zur Strecke gebracht, was wahrscheinlich bedeu-
tete, da die ISP-Abteilung mit ihrem profitablen SPISES-Deal und der 2XS-
Zugabe unter Barnards Kontrolle fiel. Vielleicht war dies seine Vorstellung von
einer fairen Bezahlung fr geleistete Dienste. Wahrscheinlich wrde ich es erst
dann genau wissen, wenn ich jenen Anruf aus Madison Park oder vielleicht sogar
direkt von Yamatetsu International in Kyoto erhielt.
Ich betrachtete meinen neuen Arm. Wie er dort auf dem Laken lag, sah er ge-
wi real aus. Ich hob ihn vor mein Gesicht, fuhr mit den neuen Fingern ber die
Haut. Auch das fhlte sich real an. Alle Empfindungen waren genau wie zuvor.
Ich hatte meinen Arm verloren. Er war irgendwo unter der Erde von Fort Lewis
verbrannt. Aber man hatte ihn durch einen neuen ersetzt.
Was war mit meinem Selbstbild, meinem Weltbild, meiner Seele? Auch in die-
ser Hinsicht hatte ich etwas verloren, aber das konnte nicht ersetzt werden. Mein
Glaube mein grospuriger, ichbezogener, hirnrissiger Glaube , da ich alles
unter Kontrolle hatte: mich selbst und die Welt um mich. Das war fr immer
verloren.
Theresa hatte die Dinge immer schon viel klarer als ich gesehen. Das wurde
mir jetzt zum erstenmal klar. Sie sah, wie dster und feindlich die Welt sein
konnte, und sie akzeptierte die Wahrheit dieser Erkenntnis. Das war der Grund,
warum sie nicht damit klarkam, warum sie sich den SimSinn-Chips, dann BTL
und schlielich 2XS zugewandt hatte.
Und ich? Ich hatte gedacht, ich knnte damit klarkommen, gedacht, ich knnte
es schaffen. Aber meine Klarkomm-Mechanismen waren alle mglichen Ar-
ten der Leugnung, Methoden, um der Auseinandersetzung mit der Wahrheit aus
dem Weg zu gehen. Alkohol, meine Ritter-in-schimmernder-Rstung-Pose, ein
Groteil meiner oberflchlichen Beurteilung von Leuten wie meine Schwester.
Ich hatte immer geglaubt tief drinnen , da ich besser war als sie, fhiger,
mich mit der Welt auseinanderzusetzen. Nun, da ich hier lag und mein neuer Arm
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leise vor sich hin summte, whrend er irgendwelche Selbstdiagnosen durchfhr-
te, erkannte ich diesen Glauben als den Drek, der er war.
Patrick Bambra? Du und ich waren uns sehr hnlich, mein Freund, obwohl ich
es nicht sehen konnte oder wollte. Wir hatten beide unsere romantischen Illusio-
nen. Der einzige Unterschied war der, da ich meine besser verbarg.
Und Jocasta Yzerman, Du wirst wahrscheinlich nie ganz verstehen, was ich
durchgemacht habe. Du bist mehr wie Theresa. Du kannst die Welt ehrlich be-
trachten, ihrer Dsternis ins ungeschminkte Gesicht sehen, weil du weit, wer
du bist. Ich? Vielleicht werde ich das eines Tages ebenfalls von mir behaupten
knnen. Aber solange ich es nicht kann, leben wir, glaube ich, in unterschiedli-
chen Welten.
Wie wrde es also von hier aus weitergehen. Ich empfand eine berwltigende
Sehnsucht nach dem, was ich erlebt hatte, als das Signal aus dem 2XS-Chip in
meinem Verstand gewesen war der Zuversicht, da alles unter Kontrolle war.
War jene Zuversicht nicht blo ein elektronisch verstrkter Makrokosmos jener
groen Lge, die ich mir immer selbst erzhlt hatte? Da ich der Welt entgegen-
treten und sie verstehen kann, und da ich letzten Endes schon alles auf die Reihe
kriege? Darin lag die eigentliche Anziehungskraft von 2XS, das begriff ich jetzt:
Es war fr Leute, die nicht so gut wie ich darin waren, sich selbst zu belgen.
Also, was jetzt? Nun, ich mute zunchst mal gesund werden, das stand ganz
oben auf der Liste. Und dann mute ich fr Theresa tun, was ich konnte. Viel-
leicht wrden wir ber die Grenze in irgendeine andere, weniger komplizierte
Umgebung gehen. (Oder war der Glaube an eine derartige Mglichkeit nur eine
weitere Lge, ein weiterer Selbstbetrug?) Vielleicht wrde Jocasta mit uns kom-
men, vielleicht auch nicht. Das konnte nur die Zeit erweisen.
Doch das lag alles noch in der Zukunft. Jetzt hatte ich erst mal die Zeit, mich zu
erinnern. Und die Zeit zu trauern. Um Lolly und Buddy. Um Amanda, die auf die
Ewigkeit verzichtet hatte, um das Leben einiger Sterblicher zu retten. Um Hawk
und Rodney, deren Opfer ebenso gro war. Und um einen Teil von mir selbst.
Ich verschrnkte die Finger der rechten mit denen meiner linken Hand das
Alte ging auf das Neue zu.
Und ich versuchte zu schlafen.
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Glossar
softs sind Chips, die dem User die Nutzung der auf den Chips enthaltenen
Programme ermglicht, als wren die Fhigkeiten seine eigenen. Ein Bei-
spiel fr ein gebruchliches Talentsoft ist ein Sprachchip, der dem User die
Fhigkeit verleiht, eine Fremdsprache so zu benutzen, als sei sie seine Mut-
tersprache.
Eine Datenbuchse ist eine universellere Form der Chipbuchse und ermg-
licht nicht nur Input, sondern auch Output. Ohne implantierte Datenbuchse
ist der Zugang zur Matrix unmglich.
Zur gebruchlichsten Headware zhlen die Cyberaugen. Die uere Er-
scheinung der Implantate kann so ausgelegt werden, da sie rein optisch nicht
von biologischen Augen zu unterscheiden sind. Mglich sind aber auch ab-
sonderliche Effekte durch Goldoder Neon-Iris. Cyberaugen knnen mit allen
mglichen Extras wie Kamera, Lichtverstrker und Infrarotsicht ausgestattet
werden.
Bodyware ist der Sammelbegriff fr alle krperlichen Verbesserungen. Ein
Beispiel fr Bodyware ist die Dermalpanzerung, Panzerplatten aus Hart-
plastik und Metallfasern, die chemisch mit der Haut verbunden werden. Die
Smartgunverbindung ist eine Feedback-Schaltschleife, die ntig ist, um
vollen Nutzen aus einer Smartgun zu ziehen. Die zur Zielerfassung gehren-
den Informationen werden auf die Netzhaut des Trgers oder in ein Cyberau-
ge eingeblendet. Im Blickfeldzentrum erscheint ein blitzendes Fadenkreuz,
das stabil wird, sobald das System die Hand des Trgers so ausgerichtet hat,
da die Waffe auf diesen Punkt zielt. Ein typisches System dieser Art verwen-
det ein subdermales Induktionspolster in der Handflche des Trgers, um
die Verbindung mit der Smartgun herzustellen.
Jeder Straensamurai, der etwas auf sich hlt, ist mit Nagelmessern und/oder
Spornen ausgerstet, Klingen, die in Hand- oder Fingerknochen verankert
werden und in der Regel einziehbar sind. Die sogenannten Reflexbooster sind
Nervenverstrker und Adrenalin-Stimulatoren, die die Reaktion ihres Trgers
betrchtlich beschleunigen.
decken Das Eindringen in die Matrix vermittels eines Cyberdecks.
Decker Im Grunde jeder User eines Cyberdecks.
DocWagon Das DocWagon-Unternehmen ist eine private Lebensrettungsge-
sellschaft, eine Art Kombination von Krankenversicherung und rztlichem
Notfalldienst, die nach Anruf in krzester Zeit ein Rettungsteam am Tat- oder
Unfallort hat und den Anrufer behandelt. Will man die Dienste des Unter-
nehmens in Anspruch nehmen, bentigt man eine Mitgliedskarte, die es in
drei Ausfhrungen gibt: Normal, Gold und Platin. Je besser die Karte, desto
umfangreicher die Leistungen (von rztlicher Notversorgung bis zu vollstn-
digem Organersatz). Das Doc-Wagon-Unternehmen hat sich den Slogan ei-
nes im 20. Jahrhundert relativ bekannten Kreditkartenunternehmens zu eigen
gemacht, an dem, wie jeder Shadowrunner wei, tatschlich etwas dran ist:
Never leave home without it!
Drek, Drekhead Gebruchlicher Fluch; abfllige Bezeichnung, jemand der
nur Dreck im Kopf hat.
ECM Abkrzung fr Electronic Countermeasures; elektronische Abwehr-
systeme in Flugzeugen, Panzern usw.
einstpseln Bezeichnet hnlich wie einklinken den Vorgang, wenn ber Da-
tenbuchse ein Interface hergestellt wird, eine direkte Verbindung zwischen
menschlichem Gehirn und elektronischem System. Das Einstpseln ist die
notwendige Voraussetzung fr das Decken.
Exec Hochrangiger Konzernmanager mit weitreichenden Kompetenzen.
Fee Abwertende, beleidigende Bezeichnung fr einen Elf. (Die Beleidigung
besteht darin, da amer. mit Fee auch Homosexuelle, insbesondere Trans-
vestiten bezeichnet werden).
geeken Umgangssprachlich fr tten, umbringen.
Goblinisierung Gebruchlicher Ausdruck fr die sogenannte Ungeklrte Ge-
netische Expression (UGE). UGE ist eine Bezeichnung fr das zu Beginn des
21. Jahrhunderts erstmals aufgetretene Phnomen der Verwandlung norma-
ler Menschen in Metamenschen.
Hauer Abwertende Bezeichnung fr Trolle und Orks, die auf ihre vergrerten
Eckzhne anspielt.
ICE Abkrzung fr Intrusion Countermeasure Equipment, im Deckerslang
auch Ice (Eis) genannt. Grundstzlich sind ICE Schutzmanahmen gegen un-
befugtes Decken. Man unterscheidet drei Klassen von Eis: Weies Eis leistet
lediglich passiven Widerstand mit dem Ziel, einem Decker das Eindringen
so schwer wie mglich zu machen. Graues Eis greift Eindringlinge aktiv
an oder sprt ihren Eintrittspunkt in die Matrix auf. Schwarzes Eis (auch
Killer-Eis genannt) versucht, den eingedrungenen Decker zu tten, indem es
ihm das Gehirn ausbrennt.
Jackhead Umgangssprachliche Bezeichnung fr alle Personen mit Buchsen-
implantaten. Darunter fallen zum Beispiel Decker und Rigger.
Knoten Konstruktionselemente der Matrix, die aus Milliarden von Knoten
besteht, die untereinander durch Datenleitungen verbunden sind. Smtliche
Vorgnge in der Matrix finden in den Knoten statt. Knoten sind zum Beispiel:
I/O-Ports, Datenspeicher, Subprozessoren und Sklavenknoten, die irgend-
einen physikalischen Vorgang oder ein entsprechendes Gert kontrollieren.
Lone Star Security Services Die Polizeieinheit Seattles. Im Jahre 2050 sind
smtliche Datenleistungsunternehmen, auch die sogenannten ffentlichen
privatisiert. Die Stadt schliet Vertrge mit unabhngigen Gesellschaften, die
dann die wesentlichen ffentlichen Aufgaben wahrnehmen. Renraku Compu-
ter Systems ist zum Beispiel fr die ffentliche Datenbank zustndig.
Matrix Die Matrix auch Gitter genannt ist ein Netz aus Computersystemen,
die durch das globale Telekommunikationsnetz miteinander verbunden sind.
Sobald ein Computer mit irgendeinem Teil des Gitters verbunden ist, kann
man von jedem anderen Teil des Gitters aus dorthin gelangen.
In der Welt des Jahres 2050 ist der direkte psychische Zugang zur Matrix
mglich, und zwar vermittels eines Matrix-Metaphorischen Cybernetischen
Interface, kurz Cyberdeck genannt. Die sogenannte Matrix-Metaphorik ist
das optische Erscheinungsbild der Matrix, wie sie sich dem Betrachter (User)
von innen darbietet. Diese Matrix-Metaphorik ist erstaunlicherweise fr alle
Matrixbesucher gleich, ein Phnomen, das mit dem Begriff Konsensuelle
Halluzination bezeichnet wird.
Die Matrix ist, kurz gesagt, eine informations-elektronische Analogwelt.
Messerklaue Umgangssprachliche Bezeichnung fr einen Straensamurai.
Metamenschen Sammelbezeichnung fr alle Opfer der UGE. Die Gruppe
der Metamenschen zerfllt in vier Untergruppen:
a) Elfen: Bei einer Durchschnittsgre von 190 cm und einem durchschnitt-
lichen Gewicht von 68 kg wirken Elfen extrem schlank. Die Hautfarbe ist
blarosa bis wei oder ebenholzfarben. Die Augen sind mandelfrmig,
und die Ohren enden in einer deutlichen Spitze. Elfen sind Nachtwesen,
die nicht nur im Dunkeln wesentlich besser sehen knnen als normale
Menschen. Ihre Lebenserwartung ist unbekannt.
b) Orks: Orks sind im Mittel 190 cm gro, 73 kg schwer und uerst robust
gebaut. Die Hautfarbe variiert zwischen rosa und schwarz. Die Krper-
behaarung ist in der Regel stark entwickelt. Die Ohren weisen deutliche
Spitzen auf, die unteren Eckzhne sind stark vergrert. Das Sehverm-
gen der Orks ist auch bei schwachem Licht sehr gut. Die durchschnittliche
Lebenserwartung liegt zwischen 35 und 40 Jahren.
c) Trolle: Typische Trolle sind 280 cm gro und wiegen 120 kg. Die Hautfar-
be variiert zwischen rtlich wei und mahagonibraun. Die Arme sind pro-
portional lnger als beim normalen Menschen. Trolle haben einen massi-
gen Krperbau und zeigen gelegentlich eine dermale Knochenbildung, die
sich in Stacheln und rauher Oberflchenbeschaffenheit uert. Die Ohren
weisen deutliche Spitzen auf. Der schrg gebaute Schdel hat 34 Zhne
mit vergrerten unteren Eckzhnen. Trollaugen sind fr den Infrarotbe-
reich empfindlich und knnen daher nachts unbeschrnkt aktiv sein. Ihre
durchschnittliche Lebenserwartung betrgt etwa 50 Jahre.
d) Zwerge: Der durchschnittliche Zwerg ist 120 cm gro und wiegt 72 kg.
Seine Hautfarbe ist normalerweise rtlich wei oder hellbraun, seltener
dunkelbraun. Zwerge haben unproportional kurze Beine. Der Rumpf ist
gedrungen und breitschultrig. Die Behaarung ist ausgeprgt, bei mnnli-
chen Zwergen ist auch die Gesichtsbehaarung ppig. Die Augen sind fr
infrarotes Licht empfindlich. Zwerge zeigen eine erhhte Resistenz ge-
genber Krankheitserregern. Ihre Lebensspanne ist nicht bekannt, aber
Vorhersagen belaufen sich auf ber 100 Jahre.
Darber hinaus sind auch Verwandlungen von Menschen oder Metamen-
schen in Paraspezies wie Sasquatchs bekannt.
Metroplex Ein Grostadtkomplex.
Mr. Johnson Die bliche Bezeichnung fr einen beliebigen anonymen Auf-
traggeber oder Konzernagenten.
Norm Umgangssprachliche, insbesondere bei Metamenschen gebruchliche
Bezeichnung fr normale Menschen.
Nuyen Weltstandardwhrung (New Yen, Neue Yen).
Paraspezies Paraspezies sind erwachte Wesen mit angeborenen magischen
Fhigkeiten, und es gibt eine Vielzahl verschiedener Varianten, darunter auch
folgende:
a) Barghest: Die hundehnliche Kreatur hat eine Schulterhhe von knapp
einem Meter bei einem Ge wicht von etwa 80 kg. Ihr Heulen ruft beim
Men sehen und vielen anderen Tieren eine Angstreaktion hervor, die das
Opfer lahmt.
b) Sasquatch: Der Sasquatch erreicht eine Gre von knapp drei Metern und
wiegt etwa 110 kg. Er geht aufrecht und kann praktisch alle Laute imitie-
ren. Man vermutet, da Sasquatche aktive Magier sind. Der Sasquatch
wurde 2041 trotz des Fehlens einer materiellen Kultur und der Unfhigkeit
der Wissenschaftler, seine Sprache zu entschlsseln, von den Vereinten
Nationen als intelligentes Lebewesen anerkannt.
c) Schreckhahn: Er ist eine vogelhnliche Kreatur von vorwiegend gelber
Farbe. Kopf und Rumpf des Scheckhahns messen zusammen 2 Meter. Der
Schwanz ist 120 cm lang. Der Kopf hat einen hellroten Kamm und einen
scharfen Schnabel. Der ausgewachsene Schreckhahn verfgt ber die F-
higkeit, Opfer mit einer Schwanzberhrung zu lhmen.
d) Dracoformen: Im wesentlichen wird zwischen drei Spezies unterschie-
den, die alle magisch aktiv sind: Gefiederte Schlange, stlicher Drache
und Westlicher Drache. Zustzlich gibt es noch die Groen Drachen, die
einfach extrem groe Vertreter ihres Typs (oft bis zu 50% grer) sind.
Die Gefiederten Schlangen sind von Kopf bis Schwanz in der Regel 20 m
lang, haben eine Flgelspannweite von 15 m und wiegen etwa 6 Tonnen.
Das Gebi weist 60 Zhne auf.
Kopf und Rumpf des stlichen Drachen messen 15m, wozu weitere 15m
Schwanz kommen. Die Schulterhhe betrgt 2 m, das Gewicht 7,5 Ton-
nen. Der stliche Drache hat keine Flgel. Sein Gebi weist 40 Zhne
auf.
Kopf und Rumpf des Westlichen Drachen sind 20 m lang, wozu 17m
Schwanz kommen. Die Schulterhhe betrgt 3 m, die Flgelspannweite
30 m und das Gewicht etwa 20 Tonnen. Sein Gebi weist 40 Zhne auf.
Zu den bekannten Groen Drachen zhlt auch der Westliche Drache Lof-
wyr, der mit Gold aus seinem Hort einen mageblichen Anteil an Sa-
eder-Krupp Heavy Industries erwarb. Das war aber nur der Auftakt einer
ganzen Reihe von Anteilskufen, so da seine diversen Aktienpakete in-
zwischen eine betrchtliche Wirtschaftsmacht verkrpern. Der volle Um-
fang seines Finanzimperiums ist jedoch unbekannt!
Persona-Icon Das Persona-Icon ist die Matrix-Metaphorik fr das Persona-
Programm, ohne das der Zugang zur Matrix nicht mglich ist.
Pinkel Umgangssprachliche Bezeichnung fr einen Normalbrger.
Rigger Person, die Riggerkontrollen bedienen kann. Riggerkontrollen ermg-
lichen ein Interface von Mensch und Maschine, wobei es sich bei den Ma-
schinen um Fahr- oder Flugzeuge handelt. Der Rigger steuert das Gefhrt
nicht mehr manuell, sondern gedanklich durch eine direkte Verbindung sei-
nes Gehirns mit denn Bordcomputer.
Sararimann Japanische Verballhornung des englischen Salaryman (Lohn-
sklave). Ein Konzernangestellter.
SimSinn Abkrzung fr Simulierte Sinnesempfindungen, d. h. ber Chipbuch-
sen direkt ins Gehirn gespielte Sendungen. Elektronische Halluzinogene.
Eine Sonderform des Sim-Sinns sind die BTL-Chips.
SIN Abkrzung fr Systemidentifikationsnummer, die jedem Angehrigen der
Gesellschaft zugewiesen wird.
So ka Japanisch fr: Ich verstehe, aha, interessant, alles klar.
Soykaf Kaffeesurrogat aus Sojabohnen.
STOL Senkrecht startendes und landendes Flugzeug.
Straensamurai So bezeichnen sich die Muskelhelden der Straen selbst ger-
ne.
Trid(eo) Dreidimensionaler Video-Nachfolger.
Trog, Troggy Beleidigende Bezeichnung fr einen Ork oder Troll.
Verchippt, verdrahtet Mit Cyberware ausgestattet, durch Cyberware ver-
strkt, hochgerstet.
UCAS Abkrzung fr United Canadian & American States; die Reste der
ehemaligen USA und Kanada.
Wetwork Mord auf Bestellung.
Yakuza Japanische Mafia.
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