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Schrebergärten: bzw. Anatomen und Pathologen
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== Leben und Werk ==
Moritz Schreber wurde als Kind des Leipziger Advokaten Johann Gotthilf Daniel Schreber (12. August 1754 bis 19. April 1837) und Friederike Charlotte geb.geborene Grosse (1. April 1779 bis 30. Dezember 1846) geboren. Er lernte an der [[Thomasschule]] und studierte an der Universität Leipzig Medizin. Als hygienisch-diätetischer Vorsorgekatalog erschien 1839 Schrebers Entwurf einer „Orthobiotik“.<ref>Gundolf Keil: Rezension zu: Florian Mildenberger: ''Medizinische Belehrung für das Bürgertum. Medikale Kulturen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ (1853–1944).'' Franz Steiner, Stuttgart 2012 (= ''Medizin, Gesellschaft und Geschichte.'' Beiheft 45), ISBN 978-3-515-10232-2. In: ''Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung.'' Band Bd.&nbsp;34, 2015 (2016), S. &nbsp;306–313, hier: S. &nbsp;309 &nbsp;f.</ref> Im Jahr 1844 übernahm er die von [[Ernst August Carus]] (1795–1854) als „Heilanstalt für Verkrümmte“<ref>[https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/aerzteblatt/archiv/2011-2020/2015/10/1015_437.pdf Aus der Geschichte der Leipziger Universitätsorthopädie]. In: ''Ärzteblatt Sachsen.'' Oktober 2015.</ref> gegründete Leipziger [[Orthopädie|orthopädische]] Heilanstalt.
 
In seinen Schriften beschäftigte er sich vor allem mit der Gesundheit der Kinder und den sozialen Folgen des Stadtlebens am Beginn der [[Industrialisierung]]. Neben „systematischer [[Heilgymnastik]]“ und der 1854 begründeten [[Zimmergymnastik]]<ref>[[Paul Diepgen]], [[Heinz Goerke]]: ''[[Ludwig Aschoff|Aschoff]]/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin.'' 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S.&nbsp;38.</ref> warb er auch für eine Ertüchtigung der Stadtjugend durch Arbeit im Grünen, etwa in ''Armen- und Specialgärten'', da das Umfeld der [[Mietskaserne]]n wenig entsprechende Möglichkeiten bot.
 
Im [[Programmatik|programmatischen]] Vorwort des Erziehungsratgebers ''Kallipädie'' (1858) schrieb er:
{{Zitat|Selbst sehr mangelhafte Naturmitgabe ist oft in staunenswerter Weise ausgleichbar durch wohlberechnete Erziehung, wovon die augenfälligsten maßgeblichen Beispiele in den immer höher steigenden Resultaten der Erziehungsanstalten für Taubstumme, Blinde, Blödsinnige, [[Kretinismus|Cretinen]], sittlich verwahrloste Kinder u.&nbsp;s.&nbsp;w. zu erblicken sind. Die glücklichste Naturmitgabe ist aber der Verkümmerung preisgegeben, wenn die erziehende Entwicklung derselben fehlt.|Moritz Schreber|ref=<ref>[[Rudi Palla]]: ''Die Kunst, Kinder zu kneten.'' Eichborn, Frankfurt a.&nbsp;M. 1997, S. &nbsp;168.</ref>}}
Der Begriff der Gesundheit schloss in dieser Zeit auch den Gedanken an „gesunde Triebabfuhr“ mit ein, weshalb Schreber unter anderem mit mechanischen Geräten zur Verhinderung der [[Masturbation]] experimentierte. Überdies empfahl er Axthauen und Sägebewegungen, in schwierigen Fällen abendliche kalte Sitzbäder, [[Einlauf (Medizin)|Kaltwasserklistiere]] und das Abreiben der Schamgegend mit kaltem Wasser.<ref>''Die Kunst, Kinder zu kneten.'' S. &nbsp;180</ref> Um gesunde Körper zu formen, konstruierte Schreber außerdem zahlreiche Apparaturen: etwa orthopädische Kinnbänder, um [[Fehlbiss]]en vorzubeugen, Schulterriemen, die das Kind im Bett in Rückenlage hielten, und „Geradhalter“ für aufrechtes Sitzen.<ref>''Die Kunst, Kinder zu kneten.'' S. &nbsp;176 &nbsp;ff.</ref>
 
Schreber starb 1861 in Leipzig. Er wurde zunächst in der IV. Abteilung des [[Neuer Johannisfriedhof|Neuen Johannisfriedhofs]] beerdigt. Nach dem Tod seines Sohnes Daniel Gustav wurde er 1877 in das neue Schrebersche Erbbegräbnis in der VI. Abteilung, Nr.&nbsp;63 überführt. Darin ruhen auch seine Frau, sein zweiter Sohn Daniel Paul und dessen Gattin, seine Tochter Clara (1848–1917) mit ihrem Gatten, Landgerichtsdirektor Heinrich Theodor Krause (1838–1906), sowie seine ledige Tochter Sidonie Schreber (1846–1924).
Schreber war Mitglied der Leipziger [[Freimaurerei|Freimaurerloge]] [[Minerva zu den drei Palmen]].<ref>Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder: ''Internationales Freimaurerlexikon.'' Überarbeitete und erweiterte Neuauflage der Ausgabe von 1932, München 2003, ISBN 3-7766-2161-3 (951 Seiten).</ref> Er starb 1861 in Leipzig. Sein Grab auf dem dortigen [[Friedenspark (Leipzig)|Neuen Johannisfriedhof]] ist heute nicht mehr auffindbar.
Der Grabesort im heutigen „[[Friedenspark (Leipzig)|Friedenspark]]“ ist heute nicht mehr ohne weiteres auffindbar.
 
=== Familie ===
Schrebers Frau Pauline (1815–1907) war die Tochter des Mediziners [[Wilhelm Andreas Haase]] und hatte den Juristen [[Karl Friedrich Christian Wenck]] zum Onkel. Sie hatten drei Töchter und zwei Söhne. Der älteste Sohn Daniel Gustav (1839–1877) beging [[Suizid]]. Der zweite Sohn war der sächsische Richter und kurzzeitige [[Senatspräsident]] am [[Oberlandesgericht Dresden]] [[Daniel Paul Schreber]], dessen autobiografische Beschreibung seiner schweren psychischen Erkrankung ''[[Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken]]'' (1903) von [[Sigmund Freud]] auf der theoretischen Grundlage der [[Psychoanalyse]] interpretiert wurde.<ref>William G. Niederland: ''Der Fall Schreber. Das psychoanalytische Profil einer paranoiden Persönlichkeit'', S. 19ff</ref>
 
Ein Onkel war der Mediziner und Naturforscher [[Johann Christian von Schreber|Johann Christian Daniel von Schreber]].
 
== Schrebergärten ==
''Siehe auch: [[Kleingarten]]''
 
Die bekannten [[Kleingarten#Schrebergärten|Schrebergärten]] gehen nicht auf eine Initiative Schrebers zurück, sondern auf das von ihm mit dem Pathologischen Anatomen [[Carl Ernst Bock]] entwickelte und um 1847 aus dem [[ATV Leipzig 1845|Leipziger Turnverein]] bzw. aus der politischen Bewegung der Turnverbände hervorgegangene diätetisch-orthopädische Konzept zur Erzielung von Gesundheit durch „körpertliche„körperliche Ertüchtigung“.<ref>[[Gundolf Keil]]: ''Vegetarisch.'' In: ''Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung.'' Band Bd.&nbsp;34, 2015 (2016), S. &nbsp;29–68, hier: S. &nbsp;55–57.</ref><ref>[[Florian Mildenberger]]: ''Medizinische Belehrung für das Bürgertum. Medikale Kulturen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ (1853-19441853–1944).'' Franz Steiner, Stuttgart 2012 (= ''Medizin, Gesellschaft und Geschichte.'' Beiheft 45), ISBN 978-3-515-10232-2, S. &nbsp;32 &nbsp;f.</ref> Der erste „Schreberverein“ wurde nach Schrebers Tod 1864 von dem Leipziger Schuldirektor [[Ernst Innozenz Hauschild]] gegründet und Schreber zu Ehren so benannt. In unmittelbarer Nähe des Vereins tragen auch ''Schreberbrücke'', ''Schreberstraße'' und ''Schrebergäßchen''<!-- sic! --> seinen Namen.
 
Der im Jahr 1865 eröffnete ''Schreberplatz'' am [[Johannapark]] in Leipzig hatte zuerst noch nichts mit einem Garten gemein. Auf der Wiese, die für Kinder zum Spielen und Turnen gedacht war, legte der Lehrer [[Karl Gesell|Heinrich Karl Gesell]] die ersten Beete und Gärten als Beschäftigungsmöglichkeit für die Kinder an. Aus ihnen entwickelten sich später die abgezäunten ''Schrebergärten'' für Familien.<ref>http://www.planet-wissen.de/sport_freizeit/garten/gartenkultur/kleingarten.jsp (abgerufen am 11. Juni 2013)</ref> Zur Gesundheitsvorsorge des 19. Jahrhunderts gehörten Licht, Luft, Sonne und Bewegung, so dass Schreber auch seinen Platz in der Geschichte der [[Bewegungstherapie]] hat.<ref>[[Arnd Krüger]]: ''Geschichte der Bewegungstherapie.'' In: ''Präventivmedizin.'' Springer Loseblatt Sammlung, Heidelberg 1999, 07.06, 1–22.</ref> In diesem volkspädagogischen Sinne mit der Intention, Kinder und Jugendliche zu Naturfreunden zu erziehen, war er auch Mitarbeiter der Zeitschrift ''[[Die Gartenlaube]]''.<ref>Manfred Vasold: ''Schreber, Daniel Gottlieb<!-- so! --> Moritz.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. &nbsp;1306.</ref>
 
== Rezeption ==
[[Alice Miller]] sah Schreber als einen Hauptvertreter der „[[Schwarze Pädagogik|Schwarzen Pädagogik]]“, deren Folgen sie in ihrer Literatur eingehend untersucht.
 
Ingrid Müller-Münch schrieb über die von ihm durchgeführten und propagierten Erziehungsmethoden: „Schreber lehrte seine Kinder, ihn als eine gottähnliche Gestalt zu verehren und zu fürchten. Er malträtierte sie durch diverse mechanische Geräte, fesselte sie, zwängte sie in ein Gestell, das die Kinder mittels Riemen und Stahlfedern zu einem kerzengeraden Gang zwang. Ließ diese Geräte herstellen und verkaufen. Prügel wurden bei ihm schon zur Disziplinierung des Säuglings eingesetzt, denn: ‚Eine solche Prozedur ist nur ein- oder höchstens zweimal nötig, und – man ist Herr des Kindes für immer.‘“<ref>Ingrid Müller-Münch: ''Die geprügelte Generation.'' Klett-Cotta, Stuttgart 2012, S. &nbsp;64.</ref>
 
Im Jahr 1923 wurde in Wien -[[Donaustadt]] (22. Bezirk) die ''Schrebergasse'' nach ihm benannt, 1927 in [[Hietzing]] (13. Bezirk) die ''Dr.-Schreber-Gasse'' und im gleichen Jahr in [[Döbling]] (19. Bezirk) ebenfalls eine ''Dr.-Schreber-Gasse'', sowie zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in [[Meidling]] (12. Bezirk) der ''Dr.-Schreber-Weg''.
 
Der Schriftsteller und Theologe [[Klaas Huizing]] schrieb ausgehend von dem überlieferten Material über Moritz Schreber und seinen Sohn Paul 2008 den Roman ''In Schrebers Garten''. Dargestellt wird die problematische Entwicklung, die Paul innerhalb des gegebenen Umfelds durchlaufen musste, sowie die Entstehung seines angenommenen Wahnsinns durch massive Verdrängung sexueller Identität. Der Roman wurde 2010 unter demselben Titel auch als Theaterstück inszeniert.
 
== Schriften ==
* ''Das Turnen vom ärztlichen Standpunkte aus, zugleich als eine Staatsangelegenheit.'' Leipzig 1843 ({{archive.org|b29301233|online}})
* ''Die Eigenthümlichkeiten des kindlichen Organismus im gesunden und kranken Zustande'' (1852) ({{archive.org|39002079332939.med.yale.edu|online}})
* ''Der Hausfreund als Erzieher und Führer zu Familienglück und Menschenveredelung'' (1861)
* ''Die ärztliche Zimmergymnastik'' (1855); (dies wurde zum Bestseller) ({{archive.org|b28126385|Ausgabe Leipzig 1875 online}})
* ''Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit durch naturgetreue und gleichmässige Förderung normaler Körperbildung, lebenstüchtiger Gesundheit und geistiger Veredelung und insbesondere durch möglichste Benutzung specieller Erziehungsmittel'' (Leipzig, 1858) ({{DTAW|schreber_kallipaedie_1858}})
 
== Literatur ==
* [[Alfred Brauchle]]: ''Das Paradies des Kindes. Der Schrebergarten. Dr. med. Daniel Gottlieb Moritz Schreber.'' In: Derselbe: ''Geschichte der Naturheilkunde in Lebensbildern.'' 2., erweiterte Auflage von ''Große Naturärzte.'' Reclam, Stuttgart 1951, S. &nbsp;184–190
* {{ADB|32|464|465|Schreber, Daniel Gottlieb Moritz|[[Franz Brümmer]]|ADB:Schreber, Moritz}}
* [[Jürgen Helfricht]]: ''Die Erfolgsrezepte sächsischer Naturheiler.'' Tauchaer Verlag, Taucha 2004, ISBN 3-89772-077-9.
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* {{NDB|23|525|526|Schreber, Daniel Gottlob Moritz|Clemens Rethschulte|118610678}}
* [[Katharina Rutschky]]: ''Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung.'' 6. Auflage. Ullstein, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-548-34453-4.
* Hartwig Stein: ''Inseln im Häusermeer. Eine Kulturgeschichte des deutschen Kleingartenwesens bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Reichsweite Tendenzen und Groß-Hamburger Entwicklung.'' 2., korrigierte Auflage. Lang, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-631-36632-9, S. &nbsp;87–238.
* Wolfgang Treher: ''Hitler, Steiner, Schreber, Gäste aus einer anderen Welt.'' Oknos, Emmendingen 1990, ISBN 3-921031-00-1.
* Frank Baacke, Caterina Hildebrand, Miriam Pfordte: 150 Jahre StadtErnte. Zur Geschichte der Schrebergärten. Hrsg. Dt. Kleingärtnermuseum. Leipzig 2014, ISBN 978-3-9816288-1-4
* Der Schreberverein und der Verband Leipziger Schrebervereine 1864–1922. Bilder und Dokumente. Wissenschaftliche Schriftenreihe Heft 9, Hrsg. Dt. Kleingärtnermuseum. Leipzig 2004
 
== Dokumentarfilm ==
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== Weblinks ==
{{Wikisource|Moritz Schreber}}
{{Commonscat}}
* {{DNB-Portal|118610678}}
* {{PGDA|schrebem}}
* [https://archive.org/search.php?query=Moritz%20Schreber&and&#91;&#93;=languageSorter%3A%22German%22 Moritz Schreber] im Internet Archive
* {{HistVV|schreber_m|W|1833|S|1845}}
* [http://www.mdr.de/geschichte-mitteldeutschlands/filme/rueckblick/2007/schreber/artikel121068.html André Meier: ''Moritz Schreber – Vom Kinderschreck zum Gartenpaten.'' Dokumentationsfilm, MDR 2007] (MDR-Website „Geschichte Mitteldeutschlands“) <small>Abgerufen am 11. August 2012</small>
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<references />
 
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[[Kategorie:Mediziner (19. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Hochschullehrer (Universität Leipzig)]]
[[Kategorie:Freimaurer (Deutschland)]]
[[Kategorie:Freimaurer (19. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Deutscher]]
[[Kategorie:Geboren 1808]]
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|GEBURTSORT=[[Leipzig]]
|STERBEDATUM=10. November 1861
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