„Erzgebirgisch“ – Versionsunterschied
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'''Erzgebirgisch''' (erzgebirgisch: ''Arzgebirgsch''<ref>''Hendrik Heidler's 400 Seiten Echtes Erzgebirgisch: Wuu de Hasen Hoosn haaßn un de Hosen Huusn do sei mir drhamm. Das Original Wörterbuch''. 5. Auflage, [[Books on Demand|BoD]], Norderstedt 2020, S. 28f. ISBN 978-3-7347-6356-4</ref>) ist ein [[Deutsche Sprache|deutscher]] [[Dialekt]], der heute noch im oberen westlichen Teil des [[Erzgebirge]]s, aber auch in einem sehr kleinen Teil des [[Oberharz]]es in [[Niedersachsen]] gesprochen wird ([[Oberharzisch]]). Er ist bisher nur wenig [[Allgemeine Linguistik|sprachwissenschaftlich]] erforscht. Der von den Sprechern als eigenständig wahrgenommene Dialekt wird in der Dialektologie dem [[Ostmitteldeutsche Dialekte|Ostmitteldeutschen]] zugeordnet.<ref>Statt vieler: [[Peter Wiesinger]]: ''Die Einteilung der deutschen Dialekte.'' In: Werner Besch u. a.: ''Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektogie.'' Berlin/New York 1983 (HSK 1), S. 807–900, mit Karten 47.4 und 47.5.</ref> Da eine der Grenzen der Verschiebung von anlautendem germ. ''p'' jedoch zwischen dem Erzgebirgischen und dem [[Meißenisch]]en verläuft (etwa erzgebirgisch ''Pfund'' gegenüber meißenisch ''Fund'' ‚Pfund‘), wird ersteres vereinzelt auch dem [[oberdeutsch]]en [[Ostfränkische Dialekte|Ostfränkischen]] zugerechnet.<ref>Gerade in sudetendeutscher Literatur ist der Topos des Ostfränkischen zu finden, bspw. in der [http://www.schoenhengstgau.de/Geschichte_Sudetenland/Kapitel_30.htm Geschichte der Sudetenländer]</ref>
Aufgrund der immer stärkeren Vermischung mit dem [[thüringisch-obersächsische Dialektgruppe|Obersächsischen]], der Abwanderung großer Bevölkerungsteile und der damit verbundenen Abkehr dieser vom Erzgebirgischen, insbesondere seit 1989, verringert sich die Sprecheranzahl zusehends.
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Das Erzgebirgische wird heute hauptsächlich im [[Erzgebirgskreis]] gesprochen, daneben im Süden des Landkreises [[Landkreis Mittelsachsen|Mittelsachsen]], im Südosten des Landkreises [[Landkreis Zwickau|Zwickau]] sowie in [[Lichtenstein (Sachsen)|Lichtenstein]]. Eine weitere Sprechergemeinschaft findet sich im [[Oberharz]] in der Region von Clausthal-Zellerfeld ([[Niedersachsen]]); die Vorfahren letztgenannter waren Bergleute, die im 16. Jahrhundert aus dem [[Erzgebirge]] dorthin auswanderten.
Noch 1929 wurde Erzgebirgisch auch in anderen Teilen der heutigen Landkreise Mittelsachsen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie in [[Chemnitz]] und [[Zwickau]] gesprochen.
Bis 1945 war das Erzgebirgische auch im angrenzenden Böhmen beheimatet. Zu nennen ist vor allem die Region [[Kadaň|Kaaden]]-Duppau, in deren [[Mundart]] eine Sammlung von erzgebirgischen Wörtern, Redensarten und Anekdoten veröffentlicht wurde (siehe Literatur). Die Verteilung der nach dem Ende des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] aus der damaligen [[Tschechoslowakei]] vertriebenen [[Deutschböhmen und Deutschmährer|Deutschböhmen]] auf ganz Deutschland beschränkte jedoch in der Folge den Gebrauch der Mundart großteils auf die eigene Familie.
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Weiterhin ist auch im Ostfränkischen und Bairischen die Lautentsprechung des deutschen [{{IPA|o/ɔ}}] zu dialektalem [{{IPA|u/ʊ}}] (z. B. westerzgeb. ''huus'' [{{IPA|huːs}}] ‚Hose‘), sowie die starke o-Färbung des deutschen [a] (z. B. westerzgeb. ''hoos'' [{{IPA|hoːs}}] ‚Hase‘) zu finden.
Ein weiterer Punkt ist der Verlust von silbenschließendem [n] nach langen Vokalen, der im Erzgebirgischen weit verbreitet auftritt (z. B. lichtensteinisch ''Huuschdee'' [{{IPA|huːʂʈeː}}] ‚Hohenstein‘ – gemeint ist die Stadt [[Hohenstein-Ernstthal]], in der übrigens nicht Erzgebirgisch, sondern ein [[meißenisch|meißnischer]] Dialekt gesprochen wird). Selten tritt dieses Phänomen in einsilbigen kurzvokalischen Wörtern auf, bei denen dann der Vokal gelängt wird (z. B. ''màà'' [{{IPA|mʌː}}] ‚Mann‘).
Auch die vor allem im lichtensteinischen oft praktizierte [[Apokope (Sprachwissenschaft)|Auslassung]] des [[Schwa]] ({{IPA-Phon|ə}}) (geschrieben e) und (seltener) auch des {{IPA-Phonem|ɪ}} (kurzes i) ist typisch im Oberdeutschen (z. B. lichtenst. ''Reedlz'' [{{IPA|ɣeːtˡl̩ts}}] ‚Rödlitz‘ (der Ort [[Rödlitz]] wurde in den 1990er-Jahren nach [[Lichtenstein/Sa.|Lichtenstein]] eingemeindet)).
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== Unterdialekte ==
In der Literatur wird grundsätzlich zwischen West- und Osterzgebirgisch unterschieden. Der Unterschied zwischen den beiden Unterdialekten ist beträchtlich, die Grenzen sind jedoch fließend. Während dem Westerzgebirgischen noch ein bemerkbarer Einfluss durch das Oberfränkische zugeschrieben wird, sind im Osterzgebirgischen vor allem [[meißenisch]]e Elemente zu finden. Im Wesentlichen wird auf die großen Unterschiede zwischen Ost- und Westerzgebirgisch und die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen Westerzgebirgisch, [[Vogtländisch]] und [[Ostfränkische Dialektgruppe|
Der Dialekt der erzgebirgischen Sprachkolonie im Oberharz entwickelte sich seit der Besiedlung relativ eigenständig. Es wird angenommen, dass er sich bezüglich der Lautlehre seit Anfang des 17. Jahrhunderts nicht weiter verändert hat, im Gegensatz zu Flexionslehre und Wortschatz, welche vor allem den nordthüringischen Einflüssen unterworfen waren. Bedingt durch die Besiedlungsgeschichte ist das Oberharzische durch eine weitgehende Übereinstimmung mit dem Westerzgebirgischen geprägt, während sich osterzgebirgische Spracheinflüsse nur im geringen Umfang durchsetzen konnten.
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Zum Beispiel verwendet der osterzgebirgische Dialekt (wie auch der meißnische) das Wort ''ni(ch)'' [{{IPA|nɪ(ç)}}] als Negation, wogegen im Westerzgebirgischen ''nèt'' [{{IPA|nɛt}}] gebraucht wird. Wegen der fehlenden Sprachgrenze findet man in manchen Gegenden beide Versionen nebeneinander, vor allem an der Grenze von Ost- zum Westerzgebirgischen oder zum Meißnischen.
Ein weiterer Beleg für die Verwandtschaft des meißnischen und des osterzgebirgischen Dialektes kann auch in der Abwandlung des [[standarddeutsch]]en kl… und gl… bzw. kn… und gn… am Wortanfang in [tl…] resp. [tn…] gesehen werden
Zusammenfassend lassen sich also vier Dialekte feststellen:
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Steht in einer Silbe ein kurzer Vokal vor einem ''r,'' so wird der Vokal oft lang ausgesprochen (z. B. '''''Aa'''rzgeb'''èè'''rgsch'').
In den Mundarten, die in höheren Lagen gesprochen werden, wird ''àà'' oft als ''oo'' gesprochen. Die Aussprache als ''àà'' ist jedoch vor allem in geschlossenen Silben, also solchen, in denen dem Vokal ein oder mehrere Konsonanten folgen, der Normalfall. Da im angrenzenden Sächsischen in den entsprechenden Wörtern auch ''àà'' gesprochen wird, ist die [[Übergeneralisierung]] in den ans Sächsische angrenzenden Dialekten wohl ein Phänomen des [[Sprachkontakt]]s.
<!-- ==== Tonsystem ==== -->
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== Textbeispiel ==
[[
[[Datei:Ortspyramide Thalheim (Erzgeb.), Erzgebirgisches Gedicht.jpg|mini|Ortspyramide Thalheim (Erzgeb.), Erzgebirgisches Gedicht]]
Der folgende Textausschnitt enthält die Einleitung sowie die erste Strophe eines Clausthaler Hochzeitsgedichts von 1759 und ist im Oberharzdialekt geschrieben<ref>Zitiert in Borchers 1929 (siehe Literatur), Seiten 135–136. Orthografie nach Borchers. ''ae'', ''oe'' und ''ue'' sind jedoch in Borchers als a, o bzw. u mit darüberstehendem kleinen e geschrieben.</ref>:
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Gabt mr net ze wenich (Gebt mir nicht zu wenig)
Losst mich net ze lánge stii (Lasst mich nicht zu lange stehn)
Iich will e heisl weddergii (Ich will ein Häuslein weiter
Iich bi a klanner zwarch (Ich bin ein kleiner Zwerg)
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== Wortschatz ==
[[Datei:Erzgebirgslexikon auf dem Chemnitzer Weihnachtsmarkt.jpg|mini|Erzgebirgslexikon auf dem Chemnitzer Weihnachtsmarkt]]
Wie in allen Dialekten gibt es auch im Erzgebirgischen Wörter, die man als Außenstehender nicht oder nur sehr schwer verstehen kann. Dazu gehören Verkürzungen langer Wörter, aber auch viele Wörter, die andere Dialekte, ja sogar einige erzgebirgische Unterdialekte nicht kennen. Die folgenden Tabellen enthalten einige Beispiele.
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== Erzgebirgisches Wort des Jahres ==
Seit 2017 organisieren der [[Erzgebirgsverein]] und die Tageszeitung [[Freie Presse]] Abstimmungen zum erzgebirgischen Wort des Jahres. Die Siegerwörter waren 2017: ''Sperrguschn'' (neugierige Personen), 2018: ''kaabsch'' (mäkelig beim Essen), 2019: ''Lorks'' (schlechte Ware, Ausschuss), 2020: ''dambern'' (lange Zeit für etwas brauchen), 2021: ''ausbuzeln'' (ausschlafen), 2022: ''nausbelzen'' (an die frische Luft schicken), 2023: ''Dippl'' (Tasse).<ref> Website Erzgebirgsverein, [https://web.archive.org/web/20211108154855/http://www.erzgebirgsverein.de/index.asp?katid_nr=12&seite=1012300000&bodystart=1
<references />▼
== Literatur ==
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* Erich Borchers: ''Sprach- und Gründungsgeschichte der erzgebirgischen Kolonie im Oberharz.'' Marburg 1929.
* Ernst Goepfert: ''Die Mundart des sächsischen Erzgebirges nach den Lautverhältnissen, der Wortbildung und Flexion dargestellt. Mit einer Uebersichtskarte des Sprachgebietes.'' Leipzig 1878 ([https://archive.org/details/diemundartdessc00goepgoog Internet Archive]).
*
| Autor=[[Elvira Werner]]
| Hrsg=Sächsische Landesstelle für Volkskultur
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* Harald Kraut, Günter Claußnitzer, [[Herbert Kaden]], Albrecht Kirsche: ''Osterzgebirgsche Mundarten. 800 Redewendungen und Zitate.'' Freiberg 2009.
* Louis Kühnhold: ''[[s:Erzählungen vom Oberharz in Oberharzer Mundart|Erzählungen vom Oberharz in Oberharzer Mundart]].'' Eigenverlag, 1928.
* Irmtraud Susanka: ''Wie mir drham geredt homm. Unsere Mundart im Bezirke Kaaden-Duppau.''
== Weblinks ==
{{Wiktionary|erzgebirgisch}}
{{Commonscat}}
* [http://www.westerzgebirge.com/htm/erzgebirge-sprache.htm Eine westerzgebirgische Wortliste und Literaturtipps]
* [http://www.schluckauf-thalheim.de/mundart/mundart01.html Eine Wortliste der Thalheimer Mundart]
* [http://www.godemann.de/Regionales/Arzgebirg/arzgebirg.html Einige mundartliche Geschichten]
* [http://www.erzgebirgisch.de/ Interaktives Wörterbuch der erzgebirgischen Mundart]
== Einzelnachweise ==
▲<references />
{{Lesenswert|9. Mai 2006|16478914}}
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