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All Necessary Force – Todeszone USA
All Necessary Force – Todeszone USA
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eBook581 Seiten7 Stunden

All Necessary Force – Todeszone USA

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Über dieses E-Book

Die Taskforce – von der US-Regierung gegründet, um außerhalb des US-Rechts im Geheimen agieren zu können. Ihre Existenz ist ebenso wichtig wie illegal.

Bei einem Einsatz in Ägypten kommt es zu einem Anschlag auf die Taskforce. Ein Mann stirbt, ein weiterer überlebt nur um Haaresbreite. Pike Logan und seine Partnerin Jennifer Cahill sind gezwungen, die gefährliche Mission auf eigene Faust zu Ende zu führen – und geraten dabei zwischen alle Fronten …
Aber das ist noch ihr geringstes Problem: Verschwörer sind dabei, ihre Heimat mit einer gewaltigen Waffe zu vernichten.
Doch Mitgliedern der Taskforce ist es verboten, in den USA zu agieren. Darf Pike das Gesetz brechen? Oder soll Amerika wirklich das einzige Land sein, das Pike Logan nicht schützen kann?

Brad Taylor erzählt mit unvergleichlichem Realismus, und das ist kein Wunder, denn er war viele Jahre lang Mitglied in einigen Spezialeinheiten, darunter acht Jahre in der Delta Force (zuletzt bei Einsätzen im Irak und Afghanistan).

Kirkus Reviews: »Super geschrieben, spannend, und verdammt guter Lesestoff.«

Blackfive: »In seinen Romanen erkennt man ganz klar Taylors Erfahrungen im Antiterrorkampf. Liest man seine Bücher, muss man sich fragen: Was ist echt, und was ist erfunden?«
SpracheDeutsch
HerausgeberFesta Verlag
Erscheinungsdatum14. Juni 2016
ISBN9783865524294
All Necessary Force – Todeszone USA
Autor

Brad Taylor

Brad Taylor ist der Bestsellerautor der Pike Logan-Romane. Er wurde auf Okinawa, Japan, geboren, wuchs aber im ländlichen Texas auf. Nach seinem Universitätsabschluss ging er zur US-Armee und verließ sie nach 21 Jahren als Oberstleutnant. Während dieser Zeit war er in der Infanterie und in Spezialeinheiten tätig (acht Jahre in der Delta Force), zuletzt bei Einsätzen im Irak und Afghanistan. Wenn er nicht schreibt, arbeitet Brad für verschiedene Firmen als Sicherheitsberater. Er lebt in Charleston, South Carolina, mit seiner Frau und zwei Töchtern.

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    Buchvorschau

    All Necessary Force – Todeszone USA - Brad Taylor

    Necessary_Force_Schriftzug.jpg

    Aus dem Amerikanischen von Alexander Amberg

    Festa-Logo2.tif

    Impressum

    Die amerikanische Originalausgabe All Necessary Force erschien 2012 im Verlag Dutton, USA.

    Copyright © 2012 by Brad Taylor

    1. Auflage Juli 2016

    Copyright © dieser Ausgabe 2016 by Festa Verlag, Leipzig

    Veröffentlicht mit Erlaubnis von Dutton, ein Unternehmen der Penguin Publishing Group/Penguin Random House LLC.

    Titelbild: Clinton Lofthouse

    Lektorat: Alexander Rösch

    Alle Rechte vorbehalten, auch die der vollständigen oder auszugsweisen Reproduktion, gleich welcher Form.

    eISBN 978-3-86552-429-4

    www.Festa-Verlag.de

    Festa-Logo2.tif

    Für Sergeant Richard Thomas,

    United States Army Special Forces,

    KIA Kambodscha, 1970,

    und die Männer der Special Operations Group, Military Assistance Command, Vietnam –

    die unbesungenen Helden

    des eigentlichen Langen Krieges.

    Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.

    Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

    – Friedrich Nietzsche

    Der Präsident wird ermächtigt, jede nur erforderliche und angemessene Gewalt gegen all jene Nationen, Organisationen oder Personen einzusetzen, die seiner Feststellung gemäß die Terroranschläge vom 11. September 2001 geplant, autorisiert, durchgeführt oder unterstützt haben (...)

    Resolution des Kongresses der

    Vereinigten Staaten,

    15. September 2001

    1

    April 1970

    Kambodscha

    Ziel: Kilo 8

    Die letzten 50 Meter legte Staff Sergeant Chris Hale auf dem Bauch robbend zurück. Schließlich erreichte er den Rand der Senke, aus der das Motorengeräusch drang. Während er langsam das Unterholz des Dschungels vor sich teilte, konnte er zum ersten Mal deutlich sehen, was in der Mulde vor sich ging. Bei dem Anblick krampfte sich ihm der Magen zusammen.

    Mindestens 50 Soldaten der nordvietnamesischen Armee liefen umher, als wollten sie zu einer Parade antreten. Hinter ihnen ragte ein aufwendig getarntes Gerüst in die Höhe, ähnlich einer riesigen Veranda, wie Hale sie bei seinem Heimaturlaub auf Hawaii zu Gesicht bekommen hatte – komplett mit Korbsesseln und einem sich träge drehenden Deckenventilator. Das erklärte den Lärm. Irgendwo in der Nähe ratterte ein Generator.

    Hales Blick schweifte weiter. Angestrengt starrte er auf ein weiteres, kunstvoll getarntes Konstrukt in etwa 100 Metern Entfernung. Bemüht, wie bei einem Puzzlespiel die fehlenden Teile zu ergänzen, begriff er, dass es sich keineswegs um ein Gebäude handelte, sondern um einen Helikopter. Einen sowjetischen Mil Mi-4. Er konnte es nicht fassen. Mehr noch, niemand beim Military Assistance Command in Da Nang würde ihm das abkaufen, so viel stand fest. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, zog er seine Kamera hervor. Er hoffte, die Auflösung der Linse reichte, um aus dieser Entfernung den Hubschrauber abzulichten.

    Nach ein paar Schnappschüssen wandte er sich der Veranda zu, auf der sich mittlerweile lauter vietnamesische Offiziere versammelten. Volltreffer, dachte er. Bei genauerer Betrachtung stellte er fest, dass es keine Nordvietnamesen sein konnten. Sie waren größer als Vietnamesen und trugen andere Uniformen. Shit, das sind Chinesen!

    Er sah, wie sie sich alle zugleich umdrehten, als im rückwärtigen Teil des Raums ein Mann in Zivilkleidung eintrat. Bestürzt registrierte Hale, dass es sich um einen Weißen handelte. Ein verfluchter Russe! Auf keinen Fall kauft mir die Operationsbasis das ab! Er hatte schon zahllose merkwürdige Storys darüber gehört, was Spähtrupps jenseits der Grenze in Kambodscha oder Laos entdeckt haben wollten, darunter Chevrolet Kombis mit texanischen Nummernschildern oder sowjetische Panzerfahrzeuge, doch dieses Lager schoss den Vogel ab.

    Der Kaukasier trat an den Rand der Veranda. Mit in die Hüfte gestemmten Händen stand er da und begutachtete das Treiben in der Senke. Aus kaum 30 Metern Abstand schoss Hale so viele Fotos von ihm, wie er konnte. Als der Mann zur Gruppe zurückkehrte, knipste Hale weiter, fasziniert von der Vorstellung, Beweise dafür zu liefern, dass sowohl chinesische als auch russische Militärberater die nordvietnamesische Armee im angeblich neutralen Kambodscha unterstützten. Sobald er der Meinung war, sein Glück ausreichend strapaziert zu haben, glitt er zurück zu Houng, einem Angehörigen der Bergstämme, der ihm den Rücken decken sollte. Nach einem kurzen Austausch von Handzeichen krochen sie zurück zu ihrem Lager, wo die restlichen fünf Mann des Teams sie erwarteten.

    Sie bewegten sich äußerst langsam vorwärts, legten jeweils nur etwa zehn, 15 Meter zurück, ehe sie innehielten, um zu lauschen. Eine derartige Art des Vorankommens verlangte einem jede Menge Geduld ab. Hale musste gegen den Drang ankämpfen, aus den 15 Metern 50 zu machen. Sie mussten lediglich die Länge der Distanz eines Fußballfelds zurücklegen, doch es dauerte fast eine Stunde, bis sie ans Ziel gelangten.

    Hale erreichte den kleinen Sicherheitskordon seiner Männer und winkte seinem Eins-Eins, Sergeant Dickie Thomas, zu ihm zu kommen. Als sein Stellvertreter trug Thomas das Funkgerät bei sich, ihren einzigen Rettungsanker, falls etwas schiefging.

    Thomas kam zu ihm gekrochen. »Was ist mit Cummings?«, flüsterte er.

    Specialist Cummings war der einzige andere Amerikaner im Stoßtrupp. Die restlichen vier Mann waren Söldner aus den Bergstämmen, die man wegen ihrer Kampferfahrung und des unbändigen Hasses auf die Vietnamesen rekrutiert hatte. Sie alle zählten zur Spezialeinsatztruppe für unkonventionelle Kriegsführung, zur Ground Studies Branch der US Studies and Observation Group, besser bekannt als SOG. Der Deckname klang, als handle es sich um einen Haufen Wissenschaftler, die Bodenproben entnahmen, um die südvietnamesische Reisernte zu verbessern. In Wirklichkeit ging es um Soldaten, die sich freiwillig für streng geheime, grenzüberschreitende Aufklärungseinsätze gemeldet hatten, die sie in die an Vietnam angrenzenden Länder führte, um Informationen über Feindbewegungen entlang des Ho-Chi-Minh-Pfads zu beschaffen.

    Specialist Cummings war neu zur SOG Command and Control South (CCS) gestoßen – der für Kambodscha zuständigen Hauptgruppe – und begleitete Hales Team im Rahmen seiner Einführung, bevor er selbstständig Pflichten als stellvertretender Teamführer übernehmen sollte. Hale hatte ihn ganz vergessen. Er winkte Cummings heran.

    Im Flüsterton erklärte er den beiden Männern, worauf er gestoßen war. Wie erwartet, reagierten sie skeptisch, und das ärgerte ihn. Wie sollte er seinen Vorgesetzten beim CCS davon überzeugen, wenn schon seine eigenen Leute ihm nicht glaubten?

    »Ich habe verdammt noch mal Fotos gemacht. Ich sage euch, dort findet ein Kommandeurstreffen statt, und zwar zwischen der nordvietnamesischen Armee und einem ganzen Haufen ausländischer Militärberater.«

    Thomas packte Hale am Arm, als dieser die Stimme erhob.

    »Pst! Herrgott, vergiss nicht, wo wir sind.«

    Sofort wurde Hale wieder still, während alle angestrengt darauf lauschten, ob sich im Dschungel etwas Ungewöhnliches tat. Es war der vierte Tag einer auf fünf Tage angelegten Mission, und der ständige Druck, unter dem die Männer standen, weil sie tief in feindlichem Gebiet auf sich allein gestellt operierten, zermürbte sie allmählich. Seit letzter Nacht waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.

    Gerade als die Sonne unterging, hatten sie die Position für ihr Nachtlager bezogen. Nachdem die Dunkelheit sich herabgesenkt hatte, ein schwarzer Vorhang, so undurchdringlich, dass man Platzangst bekommen konnte, stellten sie fest, dass ringsum Feuer brannten. Flackernd wie Glühwürmchen breiteten sie sich in der Dämmerung aus. Kochfeuer. Für eine große Zahl von Menschen.

    Irgendwie war es ihnen gelungen, mitten in ein riesiges feindliches Basis-Camp vorzudringen, ohne dass sie oder der Feind es bemerkt hatten. Als Eins-Null beziehungsweise Teamführer traf Hale die Entscheidung, die Nacht hier im Lager zu verbringen, anstatt sich im Dunkeln rauszuschleichen, um später bei Tageslicht die Lage auszukundschaften. Zwar verbrachten sie eine schlaflose Nacht, doch die Entscheidung hatte sich ausgezahlt. Jetzt mussten sie nur noch lange genug am Leben bleiben, damit sie auch davon berichten konnten.

    »Machen wir, dass wir von hier wegkommen«, flüsterte Hale. »Bevor noch irgendein Idiot beim Scheißen über uns stolpert. Bis zur Exfiltration haben wir noch einen ganzen Tagesmarsch vor uns.«

    Thomas verzog das Gesicht bei dem Gedanken, den ganzen Weg bis zum Zielgebiet zu Fuß zurückzulegen, aber er verstand den Grund dafür. In jüngster Zeit schienen die Nordvietnamesen stets zu wissen, wann die SOG-Spähtrupps kamen. Selbst wenn es ihnen gelang, über die Grenze vorzurücken, spürte die nordvietnamesische Armee sie innerhalb weniger Stunden auf. Wollten sie überleben, sahen sie sich gezwungen, wie die Hasen zu laufen, während sie sich parallel ein Feuergefecht lieferten. Mehrere Trupps waren bereits spurlos verschwunden. Beim letzten Funkkontakt hatte es lediglich geheißen, alles sei okay, danach kam nichts mehr. Es ging das Gerücht um, irgendwo in der höheren Zentrale gebe es einen Maulwurf – einen Spitzel, der den Feind mit Informationen füttere.

    In Verbindung mit der Bedeutung, die man der Mission des Amboss-Teams zumaß, veranlasste das ihren Kommandeur dazu, eine kleine Ablenkung einzubauen, um die wahren Absichten des Teams zu verschleiern. Der Operationsplan täuschte falsche Tatsachen vor, indem er ausführlich beschrieb, wie der Trupp sich nach der Einschleusung in nordöstlicher Richtung zum Zielgebiet Lima 7 bewegen sollte. Stattdessen waren sie nach Südwesten zu Kilo 8, ihrem eigentlichen Ziel, marschiert. Doch da diese Front als äußerst sensibel galt, mussten sie anschließend zurück nach Lima 7, um sich dort abholen zu lassen.

    Hale wartete, bis die Männer ihre Vorbereitungen abgeschlossen hatten, anschließend gab er das Signal zum Aufbruch. Sie waren gerade mal 70 Meter weit gekommen, da signalisierte der Mann ganz vorn: Feind voraus. Kurz darauf vernahm Hale Bewegung auf ihrer linken Flanke. Eine ganze Menge Bewegung. Er spürte, wie sein Adrenalinpegel stieg und ihm das Blut in die Muskeln schoss. Vorbereitung zum Kampf. Er schielte zu Thomas, im Blick ein unausgesprochener Befehl. Thomas schickte sich gerade an, den Forward Air Controller zu rufen, den Fliegerleitoffizier, der irgendwo in der Nähe in der Luft war, um diesem einen Lagebericht durchzugeben, denn es ging um jede Sekunde.

    Hale wartete, bis er die ersten fünf Mann der in Platoon-Stärke anrückenden Patrouille deutlich sehen konnte, bevor er das Feuer aus seiner CAR-15-Maschinenpistole eröffnete. Unverzüglich begann auch der Rest des Trupps zu schießen, tötete einen Mann nach dem anderen, während die überraschten Vietnamesen zu begreifen versuchten, wieso sie im eigenen Camp angegriffen wurden.

    Hale gab Befehl, den Kontakt abzubrechen, und der Trupp trat den Rückzug an – eine komplizierte Choreografie, bei der abwechselnd eine Hälfte der Männer Feuerschutz gab, während die andere Hälfte rannte. Hale hörte, wie Thomas sich bemühte, am Funkgerät die Ruhe zu bewahren.

    »Covey, Covey, hier Amboss, Kontakt. Ich wiederhole: Kontakt!«

    »Amboss, hier Covey. Verstanden! Wie ist Ihre Position?«

    Noch im Lauf zog Hale den Signalspiegel hervor und richtete ihn zum Himmel.

    Thomas wechselte das Magazin. »Setzen Signalspiegel ein. Können Sie ihn sehen?«

    »Roger! Habe die Position. Bleiben Sie auf Empfang.«

    Sie hatten es geschafft, sich aus dem Gefecht zu lösen, doch aufgrund der Feindberührung bewegten sie sich nun in die falsche Richtung, im rechten Winkel zu ihrem eigentlichen Ziel. Hale war klar, dass sie jeden Moment auf weitere feindliche Einheiten stoßen konnten, die alles daransetzen würden, sie auszulöschen. Die Männer hielten sich gut, doch die Angst, die sie umgab, war beinahe körperlich spürbar. Kein Wunder, ihm ging es nicht anders. Aus heiterem Himmel gerieten sie erneut unter Beschuss, diesmal aus der Richtung, in der das Veranda-Gerüst stand.

    Abermals schossen die Männer aus allen Rohren, während sie ihren Tanz wiederholten, aber das Überraschungsmoment war dahin. Die Vietnamesen, die jetzt kamen, legten es auf ein Gefecht an.

    »Claymore!«, brüllte Hale.

    Cummings kam zu ihm gerannt, kniete sich hin und feuerte auf den Feind, während Hale sich über seinen Rucksack hermachte und eine mit 30-Sekunden-Zeitzünder versehene Claymore-Landmine hervorzog, an der vorn eine Phosphor-Granate befestigt war. Während Cummings ihm Feuerschutz gab, rammte er die Mine ins Erdreich und stellte den Zünder ein. Anschließend hechteten beide zurück zum Team.

    Das Schrapnell der Claymore zerfetzte den vorderen Vietnamesen, gleichzeitig spie der weiße Phosphor eine Feuerwand, die alles zu Asche verbrannte, was sie berührte. Die Feindaktivität erstarb, wich den Schreien und dem Stöhnen der Verwundeten.

    Völlig außer Atem rannten die Männer weiter. Hale zählte durch und stellte fest, dass der Schlussmann fehlte.

    »Wo ist Houng?«, rief er.

    »Keine Ahnung«, meinte Thomas. »Beim Loslaufen eben war er noch direkt hinter mir.«

    Beiden war klar, dass sie keine Chance hatten, nach ihm zu suchen. Damit brachten sie das gesamte Team in Gefahr. Hale strengte sich an, aus Thomas’ Miene einen Hinweis zu lesen, doch die Entscheidung lag bei ihm.

    Hin- und hergerissen zögerte er einen Moment. »Fuck«, meinte er schließlich. »Wir können nicht zurück. Gib Prairie Fire durch!«

    Er scheuchte die Männer vorwärts, hörte Thomas den Funkspruch an Covey weitergeben. ›Prairie Fire‹ lautete das Codewort für ein Team, das überrannt wurde. Es wurde nur im äußersten Notfall benutzt, denn daraufhin wurden alle verfügbaren Kräfte für dieses Team mobilisiert. Kein One-Zero wollte Prairie Fire ausrufen und zusehen, wie ein weiterer Trupp starb, nur weil er um Unterstützung gebeten hatte.

    »Covey hat zwei F-105, die von Hanoi zurück- und direkt auf uns zukommen«, verkündete Thomas. »Sie sind noch bewaffnet, aber keine Ahnung, was sie dabeihaben.«

    Die beiden Jagdbomber könnten von Nutzen sein, allerdings nur, falls sie rechtzeitig eintrafen. Hale war klar, dass es nur noch eine Frage von Minuten war, bis die Vietnamesen die Lage in den Griff bekamen und methodisch Jagd auf sie machten. Allem Anschein nach konnten sie dabei auf ein komplettes Regiment zurückgreifen. Nach allem, was er auf jener Veranda gesehen hatte, war er davon überzeugt, dass sie nicht aufgaben, ehe sein Trupp tot war, vielleicht noch nicht mal dann. Er sah den Männern an, dass sie es ebenfalls wussten. Mit jedem Pulsschlag verströmten sie Angst, das Weiße ihrer Augen hob sich von der Tarnbemalung auf den Gesichtern ab. Er musste an eine Episode aus seiner Jugend denken. Ein Waschbär hatte sich fauchend und knurrend auf einen Baum geflüchtet, während unter ihm die Hunde wie verrückt bellten. Er hatte sich oft gefragt, wie der Waschbär sich so kurz vor dem Ende gefühlt haben mochte. Jetzt wusste er es.

    Noch immer laufend hörte er, wie Cummings am rückwärtigen Ende der Formation sein Magazin entleerte und brüllte: »Granatwerfer! Granatwerfer!«

    Eine Explosion fegte Hale von den Beinen. Im ersten Augenblick war er wie betäubt und musterte seine blutüberströmte rechte Seite. Die Männer lagen am Boden verstreut, manche benommen, andere feuerten noch. Er schüttelte die Benommenheit ab, kroch von Mann zu Mann. Während er die Verteidigung neu organisierte, stellte er erleichtert fest, dass alle trotz diverser Wunden noch am Leben waren und imstande zu gehen. Vor sich sah er nichts als kakifarbene Uniformen, die zwischen den Bäumen hin und her huschten, etwa 100 Nordvietnamesen, die zu ihnen vorrückten. Der Anblick ließ ihn für einen Moment erstarren, bis er das schiere Ausmaß ihrer Lage begriff.

    Wir sind so gut wie tot.

    Der Feind warf alles ins Feld, was er hatte. Die Feuerkraft nagelte das Team fest, die Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren wie ein Schwarm zorniger Bienen, zerfetzten den Pflanzenbewuchs ringsum. Hale kroch durch den feindlichen Beschuss zu Thomas, fest entschlossen, dem Angriff die Wucht zu nehmen, bevor die Vietnamesen überhaupt begriffen, dass sie die Oberhand hatten. Er übernahm das Funkgerät und sprach direkt mit den anfliegenden F-105-Piloten, erteilte ihnen Anweisungen, wo sie ihre Ladung abwerfen sollten.

    Er ließ das Handmikro fallen und rief: »Alles in Deckung! Eigenbeschuss! Eigenbeschuss!«

    Kaum hatte er es ausgesprochen, durchzuckte eine heftige Erschütterung den Erdboden. Die Druckwelle der Bombe hob den Trupp buchstäblich in die Luft. Der Beschuss der Gegenseite flaute ab und erstarb.

    »Los! Vorwärts!«, drängte Hale die Männer voran, bevor der Feind sich wieder fing. Er bekam mit, wie Thomas Covey nach einer LZ zum Ausschleusen fragte, und hörte Covey antworten, die nächste befinde sich zwei Kilometer nördlich von ihnen.

    Zwei Klicks durch diese Hölle? Das schaffen wir nicht. Hale sprach jedoch nichts davon laut aus.

    Nach zehn Minuten ohne Feindkontakt begann Hale schon zu glauben, dass ihnen das Durchbrechen womöglich doch gelungen war. Dass es sich jetzt nur noch um einen simplen Wettlauf handelte und nur sein Team wusste, wo sich die Ziellinie befand. Hoffnung keimte in ihm auf. Fünf Sekunden später schlug etwas gegen seine Brust und riss ihn zu Boden. Rings um ihn krachte und knallte es. Postwendend erwiderte der Trupp das Feuer, jemand packte ihn am Koppelgürtel und schleifte ihn mit. Der Soldat, der ihn mitschleppte, wurde getroffen, ließ ihn los. Sofort übernahm ein anderer und zerrte Hale in Deckung.

    Erstaunlicherweise wurde das feindliche Feuer schwächer, je weiter sie rannten. Die Erfahrung mit der Claymore hatte ihre vietnamesischen Verfolger vorsichtig gemacht. Sie hatten keine Lust, noch einmal gegen eine Schrapnelle speiende Feuerwand zu laufen. Damit schenkten sie dem Team eine dringend benötigte Atempause.

    Hale schüttelte die Hände ab, die ihn hielten, versuchte aufzustehen und sank zurück auf ein Knie. Ihm war, als bekäme er keine Luft, als ließe sich kein Sauerstoff mehr in die Lunge pumpen.

    Thomas untersuchte ihn und machte sich sofort an die Arbeit, klebte ihm jeweils ein Pflaster über Eintritts- und Austrittswunde auf der Brust. »Du hast einen glatten Durchschuss. Deshalb bleibt dir die Luft weg.«

    Hale bemerkte den ängstlichen Ausdruck auf dem Gesicht des anderen und nickte. Langsam erhob er sich, allein das Adrenalin trieb ihn vorwärts.

    »Wir müssen weiter! Nicht mehr lange, dann werden diese Dreckskerle wieder über uns herfallen.«

    Um den Feind zu verwirren, der sie verfolgte, wandten sie sich nach rechts, gingen etwa 100 Meter und setzten anschließend ihren Weg zur LZ fort, nun allerdings in wesentlich langsamerem Tempo. Hale bemühte sich, mitzuhalten, während sich die Lücke zwischen Zwerchfell und linkem Lungenflügel zunehmend mit Luft füllte und ihn daran hinderte, durchzuatmen. Er bekam mit, wie Thomas die Bestätigung erhielt, dass drei Helikopter noch fünf Minuten entfernt seien, zwei Bell-Transporthubschrauber und ein Kampfhubschrauber als Geleitschutz. Hale schätzte, dass sein Team noch mindestens 30 Minuten bis zur Landezone brauchte.

    Allmählich wurde ihm klar, dass sie nun, wo Houng vermisst wurde, nur noch die normale Mannschaftsstärke von sechs Leuten hatten, da konnten sie auch mit einem McGuire-Geschirr ausgeflogen werden – einfachen, als Sitz dienenden Schlingen, die zu beiden Seiten des Hubschraubers heruntergelassen wurden, je drei auf einer Seite. Damit konnte der Heli sie aufnehmen, ohne landen zu müssen.

    »Wir schaffen es nicht bis zur LZ. Wenn wir noch mal auf die Kerle treffen, sind wir erledigt. Gib Covey Bescheid, dass er uns hier aufnehmen soll, mit Seilen.«

    Thomas übermittelte die Nachricht im Weiterlaufen. Minuten später sprach er direkt mit der Heli-Besatzung und stimmte mit dem Piloten das Exfiltrieren ab, während der Trupp sich im Kreis um ihn verteilte.

    »Ich zünde eine Rauchgranate. Damit können sie unsere Position orten.« Er zog den Stift und schleuderte die Granate. Dabei war ihm vollkommen bewusst, dass auch die Vietnamesen das Signal bemerkten. Aber es war unabdingbar, um sie hier rauszubringen.

    Ruhig, fast wie eine Automatenstimme erwiderte der Pilot: »Roger. Ich sehe grünen Rauch.«

    »Roger. Das sind wir.«

    Die Männer hörten die Rotorblätter des Hubschraubers und wähnten sich bereits in Sicherheit. Der erste Huey schwebte in Position, da eröffnete vom Camp her ein schweres Maschinengewehr Kaliber 12,7 Millimeter das Feuer und beharkte dessen Heck. Augenblicklich löschte der Kampfhubschrauber die Maschinengewehrstellung mit seinen Miniguns aus, aber der Schaden am ersten Hubschrauber war nicht mehr rückgängig zu machen. Hale sah, wie er abdrehte und torkelnd zurück in Richtung südvietnamesischer Grenze flog. Hale betete, dass er durchkam.

    Der zweite Huey tauchte über ihnen auf und ließ die Geschirre herab. Während die von den Rotorblättern aufgewirbelte Luft das Gestänge wie ein Miniatur-Hurrikan umwehte und die Männer hektisch in die Schlingen stiegen, fing einer der Soldaten an zu brüllen und deutete mit dem Finger in eine bestimmte Richtung. Vom Waldrand her taumelte Houng auf den in der Luft stehenden Hubschrauber zu, ohne Waffe, ein Arm baumelte nutzlos an der Seite, das Gesicht blutüberströmt. Hinter ihm bemerkte Hale in einiger Entfernung Scharen von Nordvietnamesen, angelockt vom Rauch und dem Lärm des Helikopters. Er glitt aus der Schlinge, um sie Houng zu überlassen.

    »Was tust du da?«, brüllte Thomas.

    Hale blickte ihn leicht melancholisch an. »Das siehst du doch.«

    Thomas machte Anstalten, ebenfalls aus der Schlinge zu steigen, und zerrte an der Schlaufe, die sein Handgelenk fixiert. Hale hielt ihn davon ab.

    »Nein. Du wirst nicht aussteigen. Denk dran, was ich dir über das Camp erzählt habe. Du musst die vorgeschobene Operationsbasis informieren.«

    »Scheiß drauf! Auf gar keinen Fall! Wenn du draufgehst, geh ich mit drauf.«

    Hale deutete auf seine Brust und die rechte Körperhälfte, an denen jeweils zahllose Wunden klafften. »Ich bin so gut wie tot. Mach, dass du wegkommst!«

    Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte Hale sich ab und half Houng in die letzte Schlinge. Thomas ging ihm zur Hand, Tränenspuren in der Tarnfarbe, die sein Gesicht verschmierte.

    In einem verzweifelten Versuch, die Exfiltration zu stoppen, stürmten die Vietnamesen los, zielten zwischen den Bäumen hindurch. Der Kampfhubschrauber drehte über ihren Köpfen enge Achten, entfesselte seine Miniguns und mähte die Soldaten zu Dutzenden um. Sie fielen zu Boden wie die Fliegen.

    »Los, los, los!«, brüllte Hale, machte kehrt und stolperte wankend auf das Gebüsch zu, während er sein letztes Magazin auf die vorrückenden Soldaten entleerte. Der Feind nahm gar keine Notiz von ihm – sie bemerkten ihn nicht einmal. Stattdessen konzentrierten sie ihre gesamte Bewaffnung auf den abhebenden Helikopter. Hale kroch weiter, unter einen vom Blitzschlag zerborstenen Baum. Er zog das Gestrüpp über sich, um unentdeckt zu bleiben. Todesangst krampfte seinen Magen zusammen. Während aus dem zerstörten Lungenflügel röchelnd die Luft entwich, beobachtete er, wie seine Männer abhoben. Wie Spinnen in einem Netz hingen sie unter dem Hubschrauber, unterwegs zur Rettung. Unterwegs nach Hause.

    Ihm fiel ein, dass die Kamera sich nach wie vor in seinem Rucksack befand, der einzige Beweis für das Treffen. Eine Information von unermesslichem Wert für die Kriegsanstrengungen. Er fluchte über sich selbst, dass er nicht daran gedacht hatte. Ihm war klar, dass diese Information hier mit ihm zu sterben und zu verschwinden drohte, als habe sie nie existiert. Wenigstens gab Thomas die wesentlichen Informationen weiter.

    Während der Helikopter am Himmel immer kleiner wurde, eröffnete ein weiteres schweres Maschinengewehr das Feuer. In hohem Bogen zogen die Leuchtspurgeschosse ihre Bahnen, bohrten sich in den Hubschrauber, durchschlugen die dünne Außenhaut und trafen die Bordelektronik. Hale bekam mit, wie der Heckrotor aussetzte und der Blechvogel unkontrolliert ins Trudeln geriet. Seine Männer wurden an den Seilen wie in einem Kettenkarussell herumgeschleudert. Ungläubig sah er zu, wie der Hubschrauber in einem Feuerball auf der Erde aufschlug. Er hörte die Vietnamesen jubeln.

    Jede Furcht verließ ihn, wich der Verzweiflung darüber, wie sinnlos alles war. Er schloss die Augen, Dunkelheit breitete sich um ihn aus. Er verlor das Bewusstsein.

    2

    Vor zwei Jahren

    Zentralsudan

    Der klapprige japanische Pick-up rumpelte durch ein weiteres Schlagloch. Brett Thornes Kopf ruckte nach vorn und riss ihn aus dem Schlaf. Er blickte zu den Sternen empor, während sie durch die sudanesische Wüste fuhren. Sie funkelten hier ungleich heller als in den Staaten.

    Er stieß eine Gestalt vor sich mit dem Stiefel an. »Wie lange noch?«

    »Eine Stunde«, antwortete der Mann, ein hoch aufgeschossener Schwarzer vom Stamm der Zaghawa aus der Region Darfur im westlichen Sudan. »Vielleicht weniger. Bereust du es, dass du hier hinten bei uns mitfährst? Ich kann ihn anhalten lassen.«

    Brett schüttelte den Kopf. Als CIA-Agent hätte er ohne Weiteres einen Platz in der Kabine des Pick-ups bekommen, aber er wollte ohne Einschränkungen kampf- und zugleich fluchtbereit sein. In der Fahrerkabine war es zu beengt. Selbst wenn dies hieß, dass er sich zu den fünf anderen auf die Ladefläche zwängen musste, die allesamt stanken, als hätten sie seit einem Monat nicht gebadet. Es kam ihm vor, als habe man ihn in einen Korb mit schmutziger Wäsche gesteckt, die jemand zu allem Überfluss auch noch in saure Milch getunkt hatte.

    Brett lehnte sich in den Wind hinaus. Damit bekam er zwar den Staub des vorausfahrenden Trucks ab, trotzdem war er froh, dem üblen Geruch zu entgehen. Er setzte sich wieder hin und betastete reflexartig den Rucksack zu seinen Füßen.

    Wenn sie nur halb so wild kämpfen wie sie müffeln, brauchen wir das vielleicht gar nicht.

    Unvermittelt wurde der Pick-up langsamer, löschte das Abblendlicht und fuhr mit Standlicht weiter. Brett erhob sich und stellte fest, dass der Truck vor ihnen dasselbe tat. Aus beiden Trucks vernahm er aufgeregtes Gemurmel in der Stammessprache, die er natürlich nicht verstand.

    »Was ist los?«, wandte er sich an den Englisch sprechenden Stammeskrieger. »Warum halten wir?«

    »Dschandschawid. Dort drüben.«

    Er wies in nördliche Richtung und nun konnte Brett mehrere durch die Wüste springende Scheinwerferpaare ausmachen, die sich auf sie zubewegten.

    »Ihr könnt doch gar nicht wissen, ob es Dschandschawid sind. Und selbst wenn, unsere Mission ist wichtiger, als ein paar armselige Milizionäre zu töten. Falls jemand flieht, sind wir im Arsch.«

    »Niemand sonst fährt nachts im Konvoi herum. Es sind Dschandschawid.« Der Krieger lächelte. Seine Zähne glänzten weiß im Mondschein. »Ich weiß, dass Sie recht haben, Mister Brett. Aber wie soll ich das den anderen klarmachen? Unzählige Male mussten sie durch die Hand der Dschandschawid leiden, sie werden sich nicht davon abbringen lassen. Wir müssen bloß sichergehen, dass wir alle umbringen.«

    Brett meckerte lautlos vor sich hin, verfluchte seinen Boss bei der Special Activities Division in Langley und sein dämliches Schicksal, das ihn als Afroamerikaner hatte zur Welt kommen lassen. Deshalb wählten sie ihn ständig für irgendwelche Missionen in Afrika aus, bei denen es galt, sich unter die Einheimischen zu mischen. Dabei bedachte keiner die Tatsache, dass er mit seinen 1,65 Metern ein untersetztes Muskelpaket war, die Zaghawa hingegen durch die Bank zwei Meter hohe Bohnenstangen. Er sah ihnen kein bisschen ähnlich, allerdings war ihm das schon bewusst gewesen, bevor er vom Tschad her die Grenze überquerte. Damals hatte er darüber lachen müssen, weil all seinen Kumpels bei der SAD allein aufgrund ihrer Hautfarbe die Teilnahme an der Mission verweigert wurde, ganz gleich wie sehr sie sich darüber ausließen, dass Brett genauso wenig als Afrikaner durchging wie sie. Borniertheit vom Feinsten.

    Wie so oft, wenn mehr als 4000 Meilen von jeder Hilfe entfernt ein Plan in die Binsen ging, fragte er sich, welche Berufschancen ihm noch blieben. Er versuchte es ein letztes Mal.

    »Wenn uns auch nur ein Mann durch die Lappen geht, brech ich die Mission ab. Die Raffinerie ist viel, viel wichtiger als eine zufällig vorbeikommende Milizpatrouille. Denk drüber nach. Ihr opfert einen strategischen für einen taktischen Gewinn.«

    Der Stammeskrieger erwiderte nichts darauf. Gemeinsam mit den anderen glitt er einfach über die seitliche Ladeklappe des Trucks und verschmolz mit der Finsternis. Brett fluchte erneut und sprang selbst über die Klappe. Doch statt ihnen zu folgen, kauerte er sich neben die Fahrerkabine, entschlossen, die Beine in die Hand zu nehmen, falls die Sache schiefging.

    Die Dschandschawid, eine unorganisierte Gruppe von Milizen, bestehend aus nomadischen Stammeskriegern, waren verantwortlich für eine Terrorkampagne in Darfur. Im Bemühen, alle sesshaften, Ackerbau treibenden Stämme zu vertreiben, darunter auch die Zaghawa, verübten sie wie selbstverständlich Gräueltaten. Als Reaktion darauf hatten die Bauern sich ebenfalls zusammengeschlossen und bildeten ihrerseits Milizen. Der Stamm der Zaghawa zählte zur Sudanesischen Befreiungsarmee, deren Ziel angeblich darin bestand, der Regierung Sudans für erlittenes Unrecht den Kampf anzusagen. Denn die Regierung rührte keinen Finger, um die Dschandschawid am Plündern und Vergewaltigen zu hindern. Der Plan ging jedoch nach hinten los. Aus Angst vor der Bedrohung begann die Regierung, die Dschandschawid zu bewaffnen, anstatt sie aufzuhalten. Wie so oft in der Geschichte eskalierte der Konflikt und geriet außer Kontrolle, bis es in Völkermord ausartete. Und die Zivilisten bekamen das meiste ab.

    All dies wusste Brett, gefühlsmäßig ließ er sich jedoch nicht darauf ein. Er war lediglich, wie Clausewitz vor über einem Jahrhundert postuliert hatte, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. In diesem Fall: chinesischen Mitteln.

    In den letzten zehn Jahren war Chinas Hunger nach Rohstoffen parallel zur Wirtschaft immer mehr gewachsen. Mittlerweile hatte sich das Land zu einer gierigen Bestie entwickelt. China hatte begonnen, Geld in den Sudan zu pumpen, sich zum größten Investor der sudanesischen Erdölindustrie aufgeschwungen und war auch der größte Abnehmer sudanesischen Öls. Darum konnte China womöglich größeren Einfluss auf den Krieg in Darfur nehmen als jede andere Nation der Welt.

    Pech für die Opfer des Genozids: China scherte sich nicht um den Konflikt im Sudan. Es waren chinesische Waffen, die den Kampf der Regierung und der Dschandschawid aufrechterhielten, und so hatte sich eine symbiotische Beziehung entwickelt: Der Sudan begünstigte China für dessen Unterstützung und China nutzte seinen Einfluss im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, um jedes Eingreifen der UN zu verhindern.

    Brett hoffte, dieses Gleichgewicht zu verändern, sofern es ihm gelang, diese rückständigen Eingeborenen dazu zu bringen, sich weiter auf die Mission zu konzentrieren.

    Erneut betastete er den Rucksack, um sich zu vergewissern, dass er die Bombe dabeihatte, dann duckte er sich neben die Fahrerkabine. Er nahm das Ticken des Motors und das Klirren von Waffen ringsum wahr, als die Männer ausschwärmten, um dilettantisch Gefechtsposition einzunehmen. Schließlich hörte er das stetig lauter werdende Ächzen der Fahrzeuge, mit denen die Dschandschawid vorrückten.

    Die Zaghawa-Krieger hatten sich in einem kleinen Wadi versteckt, wodurch er die anrückenden Fahrzeuge nicht zu sehen vermochte. Für ihre Verhältnisse kam das einem taktischen Vorgehen schon recht nah. Abgesehen davon gab es weder an den Flanken noch nach hinten eine Absicherung, keine erkennbare Angriffslinie, und sie hatten nicht die geringste Chance festzustellen, ob ihnen jemand entkam. Er seufzte. Schon wieder ein Kindergarten-Gefecht.

    Er betete, dass die Dschandschawid genauso schlecht waren, und streifte ein Nachtsichtgerät über. Augenblicklich wich die Finsternis einem unheimlichen Grün.

    Scheinwerfer strichen über das Gestrüpp oben am Rand des Wadi, holperten aus der Sichtweite und wieder zurück und wurden heller, während die Zaghawa-Krieger in einer Formation, die einen Fehlschlag garantierte, darauf warteten, über den Konvoi herzufallen.

    Der vorderste Dschandschawid-Truck erreichte den Rand des Wadis und stoppte. Im Licht seiner Scheinwerfer zeichnete sich die Zaghawa-Formation deutlich ab. Brett hörte das Gejohle der Männer, anschließend zerrissen Schüsse die Nacht.

    Offenbar hatten die Zaghawa die Trucks umstellt und feuerten wie wild drauflos, ungeachtet der Tatsache, dass sie einander quasi gegenüberstanden. Leuchtspurmunition zog ihre Bahnen durch die Luft, die meisten Geschosse flogen, ohne Schaden anzurichten, in hohem Bogen über die Köpfe der Dschandschawid. Wie durch ein Wunder drängten diese unversehrt aus den Trucks und erwiderten das Feuer ebenso ziellos wie die Zaghawa-Krieger.

    Heilige Scheiße! Was für Idioten!

    Brett riss seine AK-47 hoch und gab kontrollierte Doppelschüsse ab. Alles, worauf er im düsteren Licht der Scheinwerfer zielte, ging zu Boden; sein Nachtsichtgerät erwies sich dabei als unschlagbarer Vorteil. Eine aus einer Panzerfaust abgeschossene Granate zischte durch die Luft und traf tatsächlich den Führungstruck der Dschandschawid. Der Benzintank explodierte in einem glühenden Feuerball und Brett wurde zurückgeschleudert.

    Er wälzte sich, unentwegt weiterschießend, zum Heck seines Pick-ups. Dort merkte er, dass er den Rucksack nicht mehr bei sich hatte. Auf gar keinen Fall durfte er zulassen, dass dieser den Dschandschawid in die Hände fiel. Falls sie das Gefecht verloren, musste er dafür Sorge tragen, dass der Rucksack zerstört wurde.

    Vornübergebeugt rannte er los, verlor mit seinem Nachtsichtgerät jedoch die Tiefenwahrnehmung und war gezwungen, den Boden abzutasten, bis er den Rucksack fand. Er raffte ihn an sich und sprintete weiter, erklomm die Böschung des Wadi. Von allen Seiten pfiffen ihm Kugeln um die Ohren, sie flogen hin und her. Aufgrund der eingesetzten Leuchtspurmunition und des Feuers beim explodierten Truck nahm er in seinem Nachtsichtgerät nur noch weißes Rauschen wahr. Er riss es vom Kopf und verschaffte sich einen Eindruck vom angerichteten Schaden.

    Er befand sich außerhalb des Gefechtskreises. Seine furchtlosen Zaghawa-Krieger kamen aus der Deckung und gaben ein paar Schüsse ab, nur um gleich darauf zurückzuspringen. Mein Gott! Ein ringförmiger Hinterhalt! Haben die sie noch alle?

    Die Dschandschawid gingen disziplinierter vor und koordinierten ihr Feuer. Außerdem befanden sie sich im Vorteil: Da sie ihre Trucks als Deckung benutzten, konnten sie wahllos in einem 360-Grad-Radius schießen, ohne befürchten zu müssen, die eigenen Leute zu treffen. Und da die Zaghawa ihre Aufstellung so ungünstig gewählt hatten, würde das Feuer der Dschandschawid jeden Angriffsversuch im Keim ersticken. Innerhalb eines Augenblicks erkannte Brett, dass sie im Begriff standen, eine vernichtende Niederlage zu kassieren. Ihnen blieb höchstens noch eine Minute, um die Oberhand zu gewinnen, bevor die Dschandschawid einen systematischen Angriff auf ihre Flanke starteten und die gesamte Mannschaft aufrollten. Brett war klar, dass seine Männer entweder sterben oder ihre Waffen wegwerfen und sich in die Dunkelheit flüchten mussten.

    Die Dschandschawid-Milizionäre richteten ihre Aufmerksamkeit auf seine Seite der Umzingelung. Die vom brennenden Fahrzeug auflodernden Flammen machten jeden Vorteil zunichte, den ihm sein Nachtsichtgerät verschaffen könnte. Er hörte, wie die Männer des zweiten der Besatzung des dritten Trucks etwas zuriefen, und ihm wurde klar, dass der Gegenangriff unmittelbar bevorstand. Kugeln durchpflügten die Luft rings um ihn, zwangen ihn mit dem Gesicht in den Wüstensand. Auf dem Bauch rückwärtskriechend suchte er nach einer Mulde, die ihm Schutz bot. Projektile durchschlugen den Stoff des Rucksacks auf seinem Rücken. Er erstarrte, fragte sich, ob er überhaupt etwas spürte, falls die Bombe hochging.

    Der Beschuss verlagerte sich nach rechts. Ein Stück weit die Linie entlang sah er, wie sich die Männer aus dem dritten Truck zu einem Flankenangriff zusammenscharten, absolut unbehelligt wegen des Feuerschutzes, den ihnen Truck Nummer zwei gewährte. Ich muss sie aufhalten.

    Er sprang auf, sprintete durch die Finsternis, brüllte jedem Mann zu, den er sah, er solle ihm folgen. Nicht ein einziger tat es. Shit ... Die verstehen kein Englisch.

    Er erreichte den Scheitelpunkt der Umzingelung im selben Augenblick, in dem sich die Männer aus Truck Nummer drei in Bewegung setzten. Er war weit genug gerannt, um die Sturmtruppe aus Truck drei zwischen sich und den Feuerschutz aus Truck Nummer zwei zu bringen. Er kniete sich hin und betätigte den Abzug. Seine Treffsicherheit war um einiges verheerender als die der Stammeskrieger rings um ihn. Er traf fünfmal, ehe der Angriff ins Stocken geriet und die Männer sich in den Schutz ihrer Fahrzeuge zurückzogen, ahnungslos, wer sie ins Visier nahm.

    Er folgte ihnen im Laufschritt, musste es zu Ende bringen, ehe es ihnen gelang, sich neu zu formieren. Inmitten der Verwirrung, die entstand, als der Feind zurückrannte, erreichte er die Trucks. Niemand bekam mit, dass er sich mitten unter ihnen befand. Er ließ die AK fallen und zog die Glock 19, schoss aus nächster Nähe, so dicht an den Männern, dass keiner begriff, dass er gar nicht nach außen zielte. Innerhalb von Sekunden war die Besatzung von Truck drei erledigt.

    Da er in Fahrt war und die Wucht des Angriffs nicht aufs Spiel setzen wollte, schnappte er sich ein PKM-Maschinengewehr und sprintete die 40 Meter zu Truck Nummer zwei, wobei er die schutzlosen Männer von hinten wie mit einer Sense niedermähte. Die letzten beiden Kämpfer begriffen, dass sie es hier nicht mit einem vor Angst schlotternden Stammeskrieger zu tun hatten, und machten kehrt, um sich der Bedrohung zu stellen. Im selben Augenblick stoppte der Patronengurt des Maschinengewehrs. Die letzte Kugel war verschossen.

    Brett schleuderte die schwere Waffe dem Ersten entgegen und schlug ihn damit zu Boden, während er sich parallel auf den zweiten Mann stürzte. Mit der Faust packte er dessen Haar und donnerte seinen Schädel auf den felsigen Untergrund, bis er keinen Widerstand mehr spürte. Anschließend machte er kehrt und sprang den anderen Dschandschawid-Rekruten an. Dabei setzte er sein Knie ein, um ihm das Gesicht zu zertrümmern. Er wälzte sich vom Gegner herunter, zog erneut die Glock und sah sich nach weiteren Bedrohungen um. Es gab keine. Das Feuer von außerhalb war verstummt.

    Langsam kamen die Männer hervor, blickten ungläubig auf das, was er getan hatte. Der Einzige, der Englisch sprach, machte große Augen und kam zu ihm: »Du bist wahrhaft ein Löwe.«

    Noch immer voller Adrenalin, spuckte Brett auf den Boden und packte ihn am Kragen. »Bring mir den Anführer.«

    Er sah, dass das Englisch des Stammeskriegers nicht ausreichte, ihm zu folgen. Also wurde er aggressiv, wie ein mieser amerikanischer Tourist. Er hob die Stimme und wiederholte langsam und deutlich: »Bring. Mir. Den. Verdammten. Anführer.«

    45 Minuten später sprang er von der Ladefläche des Pick-ups. Die Gegend ringsum war in den Schein von Myriaden von Lichtern getaucht, die von der Raffinerie ausgingen. Die Stammeskrieger liefen sorglos durch die Gegend, ohne überhaupt an Sicherheitsvorkehrungen zu denken, was Brett ganz kribbelig machte.

    Diese Raffinerie war mit chinesischen Dollars errichtet worden, mit chinesischen Ingenieuren besetzt und wurde von sudanesischen Regierungstruppen bewacht. Er hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie besser waren als die Dschandschawid, mit denen sie es soeben zu tun gehabt hatten. Das hieß: Sie waren um Welten besser als die Männer, die ihn begleiteten. Er musste die entscheidenden Bestandteile der Raffinerie finden, seine Bombe zünden, und dann nichts wie raus hier. Falls die Stammeskrieger den Angriff fortsetzen wollten, sollten sie es ruhig tun. Er hatte nicht vor, sie davon abzuhalten, denn es würde ihm helfen, nach Süden zu fliehen, wo das Fahrzeug für seine Ausschleusung bereitstand.

    Er winkte den Mann zu sich, der als Einziger Englisch verstand, und wiederholte noch einmal, was er vorher gesagt hatte: »Niemand schießt, bevor ich auslöse. Wenn ihr meine Explosion hört, fangt an zu feuern, was das Zeug hält. Hast du verstanden?«

    »Ja, ja. Wir werden warten. Wohin willst du gehen?«

    »Ich werde über den Zaun klettern. Ihr wartet hier draußen. Was auch immer ihr tut, schießt bloß nicht zu früh. Verstanden?«

    »Ja. Auch wir sind Löwen. Wir werden warten.«

    Brett lächelte und klopfte ihm auf die Schulter, während er daran dachte, dass er im Begriff war, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Er drehte sich um, überwand den Maschendrahtzaun und huschte in den nächstbesten Bereich, der im Dunkeln lag.

    Er setzte das Nachtsichtgerät auf und ließ den Blick über die 100 Meter entfernte Raffinerie schweifen. Als er sich die wesentlichen Bestandteile einer Durchschnittsraffinerie einprägte, hatte er alle möglichen Begriffe gelernt – von atmosphärischen und Vakuum-Fraktioniertürmen bis hin zu katalytischem Cracken. Aber das Entscheidende war nicht, zu wissen, wie alles funktionierte, sondern den Aufbau der Anlage zu kennen. Angesichts der Parameter des Sprengsatzes, den er einzusetzen gedachte, war er zu dem Schluss gelangt, dass die Fraktioniertürme die Komponenten waren, die man angehen musste.

    Vor sich sah er eine Reihe schmaler Säulen, im rechten Winkel parallel zu ihm, aus deren oberem Ende zischend Dampf entwich. Das Ziel.

    Er musste nur einen einzigen ausschalten, um die Raffinerie für Wochen funktionsunfähig zu machen. Im Endeffekt wäre dies ein Erfolg der Rebellen gegen eine Regierungseinrichtung. Dann müssten die Chinesen ihre lauwarmen Bemühungen, den Bürgerkrieg zu beenden, überdenken. Und ihre Unterstützung für die sudanesische Regierung auf den Prüfstand stellen, weil der Verlust an Ölimporten sich auf ihren Profit auswirkte. Sie müssten sich natürlich die Frage stellen, ob dies nicht erst den Auftakt zu weiteren erfolgreichen Anschlägen der Rebellen darstellte.

    Brett machte sich keine Gedanken darüber, ob diese Strategie aufging, ihn interessierte lediglich die taktische Umsetzung. Der Sprengsatz, den er mit sich führte, diente Testzwecken. Eigentlich sollte man einen Turm damit mühelos ausschalten können, doch Brett hatte keine Ahnung, ob es tatsächlich funktionierte. Eins stand jedenfalls fest: Falls nicht, würden die Clowns, die ihn begleiteten, nichts erreichen.

    Er robbte los, bis ihn keine 80 Meter mehr von der ersten Säule trennten, dann öffnete er den Rucksack. Er zog ein Stativ heraus und eine Apparatur von der Größe eines Kochtopfs. Er war gerade damit beschäftigt, sie einsatzbereit zu machen, da erschollen draußen vor dem Zaun Schüsse.

    Diese dämlichen Hunde!

    Hektisch richtete er das Gerät aus, während die Schießerei lauter wurde. Er sah Männer aus den Gebäuden neben den Türmen stürzen. Gott sei Dank rannten sie in Richtung der Schüsse. Er erhob sich, um das Ziel zu überprüfen, und wurde von den Scheinwerfern eines Fahrzeugs erfasst, das mit quietschenden Reifen rechts von den Türmen an der Umzäunung entlangraste.

    Schwer atmend warf er sich zu Boden und überlegte, ob sie ihn bemerkt hatten. Er blickte auf und stellte fest, dass die Scheinwerfer in seine Richtung geschwenkt wurden.

    Heilige Scheiße ...

    Er schnappte sich die Zündvorrichtung und wälzte sich weg, wobei er verzweifelt auf die Taste einhämmerte. Der Sprengsatz ging hoch und sandte seine todbringende Ladung in Richtung der Säule.

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