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Die Wahrheit, die uns zweifeln lässt: Thriller
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Die Wahrheit, die uns zweifeln lässt: Thriller
eBook433 Seiten5 Stunden

Die Wahrheit, die uns zweifeln lässt: Thriller

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Über dieses E-Book

»Die Wahrheit ändert sich niemals. Nur eine Lüge verändert sich mit der Zeit.«

Jennavieve Pruitt wurde in ihrem eigenen Haus brutal ermordet. Den Körper der Frau hat man wie Abfall in eine Seitenstraße geworfen.
Detective Max Rupert untersucht das Verbrechen. Er ist überzeugt, dass der Ehemann der Mörder ist, obwohl der zur Tatzeit nicht in der Stadt war.
Rechtsanwalt Boady Sanden ist ein guter Freund von Max. Er hat den Fall übernommen. Und er ist davon überzeugt, dass sein Klient unschuldig ist.
Während sich die rätselhafte Wahrheit nach und nach enthüllt, sind die beiden Freunde gezwungen, sich ihren eigenen persönlichen Dämonen zu stellen ...

Ein spannender Mordfall, erzählt aus zwei gegensätzlichen Perspektiven.

Lee Child: »Eine raffinierte Geschichte über Polizisten und Anwälte, die in jeder Hinsicht gelungen ist. Ich mag sie sehr.«

Deadly Pleasures: »Einer der talentiertesten Autoren moderner Spannungsliteratur.«

New York Times Book Review: »Eskens elegante, aber kühle Prosa, ist wie Frost im Blut.«

Judith D. Collins: »Der preisgekrönte Autor hat mit seinen hervorragenden Romanen bewiesen, dass er mit den großen Jungs mitspielen kann. Er könnte der neue Dean Koontz werden. Literarisches Flair, das ein breites Publikum anspricht.«
SpracheDeutsch
HerausgeberFesta Verlag
Erscheinungsdatum21. Juli 2020
ISBN9783865528506
Die Wahrheit, die uns zweifeln lässt: Thriller
Autor

Allen Eskens

Allen Eskens ist der Bestseller-Autor von The Life We Bury und weiteren Thrillern. »Ich bin in Jefferson City, Missouri, aufgewachsen. An der University of Minnesota habe ich einen Abschluss in Journalismus gemacht, danach Jura studiert und mich schließlich in Mankato, Minnesota, niedergelassen und dort ein Anwaltsbüro eröffnet. Mit den Jahren habe ich mich in kreativem Schreiben weitergebildet. Ich lebe nach wie vor auf dem Land bei Mankato, gemeinsam mit meiner Frau Joely, meiner Tochter Mikayla und vielen Haustieren.«

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    Buchvorschau

    Die Wahrheit, die uns zweifeln lässt - Allen Eskens

    Impressum

    Die amerikanische Originalausgabe The Heavens May Fall

    erschien 2016 im Verlag Mulholland Books.

    Copyright © 2016 by Allen Eskens

    Copyright © dieser Ausgabe 2020 by Festa Verlag, Leipzig

    Titelbild: Adobe Stock – dundanim

    Alle Rechte vorbehalten

    eISBN 978-3-86552-850-6

    www.Festa-Verlag.de

    Für Mikayla und Jon

    Bleibt immer auf der Fährte dessen,

    was euch glücklich macht.

    Teil 1 — Der Tod

    1

    Im Gerichtssaal hatte sich Stille ausgebreitet und die Worte des Richters gingen in dem leisen Summen unter, das in Max Ruperts Ohren dröhnte. Max streckte die Hand nach seinem Wasserglas aus, einem Becher aus gewachster Pappe auf dem Geländer des Zeugenstands. Er fühlte sich leicht an, weil er leer war. Er erinnerte sich gar nicht daran, das Wasser ausgetrunken zu haben. Er hielt inne, den Becher schon auf halbem Weg zum Mund, und war sich nicht sicher, was er nun machen sollte. Einfach so tun, als nähme er einen Schluck? Den Becher auf das Geländer zurückstellen?

    Und es war so still; wie war das möglich in einem Gerichtssaal voller Menschen? So still, dass er das Blut in seinen Ohren rauschen und seinen Zorn gegen seine Trommelfelle hämmern hörte. Seine Fingerspitzen prickelten davon. Er bemühte sich, seinen Gesichtsausdruck frei von jeglicher Emotion zu halten. Die Geschworenen würden sein Gesicht betrachten, während die Echos des Kreuzverhörs in ihren Köpfen umherschwirrten und sich in ihrer Erinnerung festsetzten. Sieh mich an, Sanden, brüllte Max in seinem Kopf, und die Worte hämmerten wie ein Schlosserhammer auf Stahl. Sieh mir in die Augen, du Hurensohn. Mit schierer Willenskraft wollte er den Anwalt dazu bewegen, seinen Kopf zu heben, aber Boady Sanden hielt den Blick auf den gelben Schreibblock neben seinem Ellbogen geheftet.

    Max atmete langsam und unauffällig ein, versuchte sich zu entspannen. Er wollte nicht, dass die Geschworenen die Gefühle sahen, die sich unbedingt Bahn brechen wollten. Er sah den Becher in seiner halb erhobenen Hand. Einen Augenblick lang hatte er den ganz vergessen. Er hob den leeren Becher noch ein Stück höher, kippte ihn zu sich, um ganz sicherzugehen, dass er tatsächlich völlig leer war; kein einziger Tropfen, der seine trockene Kehle benetzen konnte. Dennoch tat er so, als würde er einen Schluck nehmen, und stellte den Becher dann sacht wieder auf dem Geländer ab.

    »Sie können den Zeugenstand jetzt verlassen, Detective Rupert«, sagte Richter Ransom. Rupert hörte eine leichte Schärfe in der Stimme des Richters – es war der Tonfall eines Mannes, der sich gerade wiederholen musste.

    Max erhob sich, nahm seine Akte und verließ den Zeugenstand mit einem kurzen Blick auf die 14 Geschworenen, als er an ihnen vorbeiging. Nur einer, ein Ersatzmann, erwiderte seinen Blick. Als er den Anwaltstisch passierte, starrte Max auf den Verteidiger hinab. Boady Sanden war sein Freund – nein, nicht sein Freund, jetzt nicht mehr.

    Sanden schaute weiterhin auf den gelben Block vor sich. Er tat so, als würde er etwas aufschreiben, aber Max konnte sehen, dass der Stift des Mannes nur Kreise und Schlaufen auf den Rand des Blattes malte. Max wollte, dass Boady aufsah, wenn er vorbeiging. Er wollte, dass Boady wusste, dass Grenzen überschritten worden waren und dass das die Verbindung, die sie beide einst hatten, für immer gekappt hatte. Aber Boady Sanden sah kein einziges Mal auf.

    Max verließ den Gerichtssaal. Sein Daumennagel stach in die Falte der Ermittlungsakte in seiner Hand. Er fand einen leeren Besprechungsraum, der etwa die Größe einer Gefängniszelle hatte. Hier fütterten Anwälte ihre Klienten mit falschen Hoffnungen; hier klebte Verzweiflung an den Wänden, dick wie altes Bratfett in einer Imbissbude. Er breitete seine Hände auf der Tischplatte aus und fühlte, wie das kalte Metall den Schweiß seiner Handflächen eiskalt werden ließ. Er wartete, bis sein Herz nicht mehr ganz so heftig schlug, und betrachtete das leichte Zittern, das seine Finger zucken ließ. Wut? Auf jeden Fall. Beschämung? Vielleicht auch ein bisschen. Aber das Zittern hatte noch einen anderen Grund. Und der beeinträchtigte sein Gleichgewicht und fühlte sich schwer nach Zweifel an.

    Seit Monaten trug Max den Fall Pruitt mit sich herum. Dessen Abbild starrte ihm aus seinem Spiegel entgegen, sein Geruch durchzog die Luft, die er atmete, und sein grober Umriss umhüllte seine Schultern, wenn er abends einschlief. Er hatte diese Ermittlung mit Leben gefüllt, sie auf eine Art zum Leben erweckt, die ihr ein Dasein, eine Gegenwart in dieser Welt verschafft hatte. Und diese Gegenwart hatte er an seiner Seite gespürt, als er sich in den Zeugenstand gesetzt hatte. Aber als er ihn wieder verließ, verließ er ihn allein.

    Sanden hatte ihm ganz schön zugesetzt. Er hatte Max aussehen lassen, als hätte er Ben Pruitt von Anfang an im Visier gehabt und alle anderen möglichen Verdächtigen von vornherein ausgeschlossen. Aber hatte er das wirklich?

    Max schlug die Ermittlungsakte auf und begann, die Berichte zu sichten. Er suchte nach dem Anfang, nach dem Tag, an dem sie die Leiche gefunden hatten. Aber dann klappte er die Akte wieder zu. Er brauchte keine Notizen, um zu jenem Morgen zurückzukehren. Er erinnerte sich nur allzu gut an jenen Morgen. Es war ein kaputter Morgen, zerrissen von den Erinnerungen, die ihn jedes Jahr am Todestag seiner Frau heimsuchten.

    2

    An jenem Tag, dem letzten Freitag im Juli, wachte Max Rupert lange vor der Morgendämmerung auf. Er öffnete die Augen und wartete einen Moment, bis sich Schlafen und Wachen in seinem Verstand voneinander getrennt hatten. Ein Schatten in der Form eines Kreuzes schwebte an der Wand neben ihm, verursacht von einer gelben Straßenlaterne, deren Schein durch sein Fensterkreuz sickerte. Draußen ging die Klimaanlage mit einem Klicken an und sirrte, als wäre es ein Tag wie jeder andere. Aber es war kein Tag wie jeder andere.

    Er streckte eine Hand auf ihre Seite des Bettes aus und strich über das unberührte Laken, fühlte die leichte Erhöhung, wo sich die Matratze in den vier Jahren ihrer Abwesenheit gewölbt hatte. Er ließ seine Fingerspitzen über die weiche Baumwolle gleiten und spürte, wie der Schmerz in seiner Brust mit jedem Atemzug anwuchs und wieder abebbte.

    Sie war immer vor ihm aufgewacht, ein Morgenmensch im Gegensatz zu ihm, der eher eine Nachteule war. In vielerlei Hinsicht hatte sie sein Leben ins Gleichgewicht gebracht. Niemand außer Jenni drang durch seine Mauer der Selbstkontrolle und brachte die kindliche Freude zum Vorschein, die er in sich verschlossen hielt. Er hatte nie befreiter gelacht als in jenen Momenten, wenn sie allein waren und sie sich bemüßigt fühlte, ihren bestechenden Witz von der Leine zu lassen. Und sie hatte hübsche Dinge geliebt. Porzellanpuppen, silberne Kerzenleuchter und feine Teetassen füllten nach wie vor die Regale und standen auf dem Kaminsims aufgereiht. Er hatte gelernt, sich um ihre Blumen zu kümmern, um die Chrysanthemen, die sie im Vorgarten gepflanzt hatte. Er erinnerte sich daran, wie sie zum ersten Mal geblüht hatten und er am liebsten einen Golfball von diesen Blüten aus geschlagen hätte, wie Bill Murray es in Caddyshack getan hatte. Natürlich machte er das nicht nach. Und nun kümmerte sich Max Jahr für Jahr um diese Blumen, genau wie sie das so lange getan hatte.

    Es gab andere Aspekte, in denen Jenni und Max kein Gegengewicht füreinander darstellten, sondern perfekt miteinander verschmolzen. Sie ging ebenso gern angeln wie er. Sie beide liebten Schwarz-Weiß-Filme und Popcorn mit ganz viel Butter. Und sie genossen es, schweigend zusammenzusitzen. Ob sie nun jeder ein Buch lasen oder einfach auf der Verandaschaukel saßen, es spielte keine Rolle, solange sie da war.

    Diese beschaulichen Momente erinnerten ihn manchmal an ihr erstes Date und daran, wie er sich in sie verliebt hatte. An den Homecoming-Ball selbst oder das Abendessen davor konnte er sich längst nicht mehr erinnern, aber er hatte nie vergessen, wie atemberaubend sie ausgesehen hatte. Er erinnerte sich daran, wie ihr schlichtes Kleid ihre natürliche Schönheit auf dieselbe Weise hervorhob, wie der Tau eine Rose zum Glitzern bringen kann. Aber am allerbesten erinnerte er sich daran, was nach dem Ball passiert war.

    Sie waren zu einer Party im Haus eines Freundes gegangen. Einige der Jugendlichen unterhielten sich, andere machten herum, wieder andere versuchten die zahlreichen Klippen zwischen aufkeimenden Beziehungen und Trennungen zu umschiffen. Er erinnerte sich daran, wie er mit Jenni auf einer Couch gesessen hatte und mit einem Mal in peinlicher Stille gefangen war, zum ersten Mal an jenem Abend. Er hatte seinen Arm hinter ihren Schultern ausgestreckt, die Hand hing in der Luft. Er wollte sie küssen, aber seine Gedanken hatten sich in logistischen Fragen verheddert: Wie sollte er es anfangen, wie sich ihr zum Kuss zuwenden, offene oder geschlossene Lippen? Er dachte darüber nach, was er tun würde, wenn sie seinen Kuss erwiderte oder – um Himmels willen, was, wenn nicht? Noch nie war er nervöser gewesen.

    Dann bewegte sie sich, drehte sich gerade so weit zu ihm hin, dass sie den Kopf an seine Schulter legen konnte. Sie legte ihre Hand auf seine Brust und seufzte. Es war nicht der Seufzer eines müden Schulmädchens, sondern der einer jungen Frau, die mit der Welt zufrieden ist. Das Gerangel in Max’ Kopf löste sich in Wohlgefallen auf. Er dachte nicht länger über Einfallswinkel und Lippen und Reaktionen nach. Er wollte sie einfach nur im Arm halten. Er senkte die herumbaumelnde Hand, bis sie auf ihrer Hüfte lag und seine Finger behutsam gegen die weiche Baumwolle ihres Kleides drückten. In diesem Moment waren seine Gefühle für sie tiefer als alles, was er je für jemanden gefühlt hatte. Er küsste zärtlich ihren Scheitel und das reichte ihm.

    Wie viele Male hatten sie über die Jahre genau so zusammengesessen – auf der Verandaschaukel, die sich sacht bewegte, oder beim Fernsehschauen auf dem Sofa? Wie viele Male hatte er ihr einen Kuss auf den Scheitel gegeben und ihr gesagt, dass er sie liebte? Und im Stillen hatte er sich geschworen, dass er sie immer beschützen, nicht zulassen würde, dass ihr etwas Böses zustieß.

    Vier Jahre waren seit dem Tag vergangen, an dem er dieses Versprechen gebrochen hatte.

    An jenem ersten Morgen ohne sie war er aufgewacht und hatte sich nur schwer dazu bringen können, überhaupt aufzustehen. Und als er es tat, war er zu ihrem Kleiderschrank gekrochen und hatte sich in ihre Pullis und Blusen gehüllt, in die Dinge, die sie getragen hatte, die am Tag ihres Todes noch darauf gewartet hatten, gewaschen zu werden. Er hatte sein Gesicht in den Stoff gepresst und ihren vergänglichen Duft eingeatmet, bis die letzte Träne geweint war und er wieder die Fassade der Stärke tragen konnte, mit der er dem Rest der Welt begegnete. In den ersten paar Monaten kehrte er noch einige Male zu ihrem Schrank zurück und wiederholte das Ritual, bis der Duft in Jennis Kleidung unter dem Staub und Verfall der Zeit verschwunden war.

    Während Monate zu Jahren wurden, lernte er zwar mit der Trauer zu leben, nicht aber mit der Schuld. Ein Bild an der Wand, auf dem seine Frau zu sehen war und zu ihm herablächelte, erinnerte ihn tagtäglich daran, dass ihr Tod ungeklärt geblieben war. Nicht sein Fall. Er konnte den Fall nicht übernehmen. Er war der Ehemann, und der Ehemann darf nicht an den Ermittlungen beteiligt sein. Die Regeln sorgten dafür, dass er außen vor blieb, und dadurch kam der Täter, der Fahrerflucht begangen hatte, davon.

    Max stand auf, ging ins Badezimmer und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er wusste aus Erfahrung, dass er nicht wieder einschlafen würde. Stattdessen wollte er eine Runde laufen gehen. Fünf Meilen, bevor die Sonne am Horizont aufging, fünf Meilen mit nichts als dem Rhythmus seiner Atemzüge und dem Traben seiner Füße auf dem Asphalt als Begleitmusik.

    Ein Julimorgen in Minnesota war perfekt für einen solchen Lauf.

    Nach dem Laufen duschte Max, dann machte er sich einen Kaffee und ging nach draußen, setzte sich auf die Verandaschaukel und aß ein paar Biscotti. Von hier aus betrachtete er, wie die Sonne hinter einer Ansammlung von Dächern in seinem Viertel aufging. Logan Park. Schweigend nahm er die Ruhe und Schönheit in sich auf, während die Erde sich langsam weiterdrehte. Sie hatte ihm einmal erzählt, dass ihr der Sonnenaufgang der liebste Teil des Tages war, und nun war es auch seiner.

    Max beendete sein Frühstück und trank die letzten, lauwarmen Schlucke Kaffee, als sein Telefon klingelte. Er sah, dass der Anruf von der Zentrale kam, also nahm er ab und meldete sich mit: »Max hier.«

    »Tut mir leid, dass ich Sie wecken muss, Detective, hier spricht Carmen James von der Zentrale.«

    »Sie haben mich nicht geweckt, Carmen. Worum geht es?«

    »Eine Leiche in Kenwood, möglicherweise Mord.«

    »In Kenwood?«

    »Jawohl. Die Tote soll eine weiße Frau sein. Beamte vor Ort haben den Tod bestätigt.« Carmen sprach im typisch formellen Tonfall der Leitstellendisponenten und benutzte die Worte, die sie bei der Funkausbildung gelernt hatte. Ein ruhiger, unaufgeregter Klang, der einem Mord dasselbe Gewicht beimaß wie einem gestohlenen Fahrrad. Sie gab Max die Adresse durch, eine Gasse, die von der West 21st Street abging, während sich Max fragte, ob er je von einem Mord in Kenwood gehört hatte. Wenn Leichen in Gassen gefunden wurden, führte ihn das normalerweise in den Norden von Minneapolis, nicht nach Kenwood.

    »Haben sie die Gegend schon abgesperrt?«

    »Sie sind gerade dabei, Detective.«

    »Funken Sie meine Partnerin Niki Vang an und sagen Sie ihr, dass wir uns dort treffen. Dann geben Sie der Gerichtsmedizin und der Spurensicherung Bescheid und schicken sie los.«

    »Ja, Sir.«

    Max legte auf, stieg in seinen zivilen Streifenwagen und fuhr in Richtung des Kenwood-Viertels, wo der Leichnam einer toten Frau auf ihn wartete. Unterwegs überkam ihn wieder einmal das Gefühl, ein Monster zu sein: Seine Seele musste die Verdammung verdienen, die ihn zweifellos erwartete, denn tief im Herzen war er für den Anruf dankbar. In den wenigen Minuten, während er durch die grauen Straßen von Minneapolis fuhr, war er froh, über einen Tod nachdenken zu dürfen – einen Tod, der nicht der seiner eigenen Frau war. Er begrüßte die Gedanken, die sich um etwas anderes drehten als seine Erinnerungen und sie damit für den Moment zum Schweigen brachten.

    3

    Kenwood, heute feinstes Porzellan inmitten einer Ansammlung von Steingut, war ursprünglich ein mückenverseuchter Sumpf am Südrand von Minneapolis.

    Im ausgehenden 19. Jahrhundert erkannte irgendein vorausschauender Stadtplaner das Potenzial dieser Gegend und überzeugte die Stadtverwaltung davon, das Stadtgebiet in diese hin auszudehnen. Ein Stück Sumpfland wurde ausgebaggert, um den Lake of the Isles zu schaffen, und das ausgebaggerte Erdreich wurde in der Tiefebene verteilt, sodass das Flachland ein wenig erhöht wurde und darauf Parks und Tennisplätze und geschwungene Straßen gebaut werden konnten. Als die Wohlhabenden erkannten, was sich hier entwickelte, wetteiferten sie um Grundstücke in Kenwood, um dort ihre stattlichen Anwesen zu errichten.

    Max fuhr durch die gewundenen Straßen, die sich an einer fantasielosen Mischung großer und noch größerer Häuser vorbeischlängelten, die allesamt mit altem Geld erbaut worden waren. Man würde nicht jedes Gebäude hier als Villa bezeichnen, aber es war keine einzige armselige Hütte darunter. Kenwood besaß auch keine Hauptstraße, keinen Ortskern, kein Einkaufszentrum weit und breit. Hier gab es nirgends den sonst üblichen Wirrwarr an Händlern und Kommerz, keine Ölwechsel-Werkstatt und kein chinesisches Restaurant. Nein, in Kenwood war man stolz darauf, gut und friedlich zu leben und in Ruhe gelassen zu werden.

    Als Max am Tatort ankam, hatten die Streifenpolizisten die 21st Street blockiert und die Zufahrt zu einer Gasse mit Absperrband markiert. Hier verbargen die vornehmen Bewohner die weniger vorzeigbaren Details ihres Lebens wie Mülltonnen und vollgestopfte Garagen. Max parkte einen Block entfernt, zog sich Einwegschuhe aus dünnem Stoff über die eigenen Schuhe und Latexhandschuhe über die Hände, bevor er langsam auf die Gasse zuging und sich konzentriert umsah.

    In der 21st Street befanden sich einige der wenigen Schaufensterfronten in ganz Kenwood, ein knapper halber Block von Geschäften, darunter eine Buchhandlung und eine Kunstgalerie. Max war schon einmal in dem Buchladen gewesen, als Jenni nach einem Buch auf Ojibwe, der Sprache der Chippewa, gesucht hatte. Sie wollte es einem ihrer Klienten schenken, wahrscheinlich einem Kind. Für Jenni war ihr Beruf als Sozialarbeiterin eine Berufung gewesen, nicht bloß ein Job. Er erinnerte sich an die Buchhandlung und er erinnerte sich auch an den Geruch von Flieder an jenem Frühlingsabend und an das Gefühl, ihre schmale Hand in seiner zu halten, als sie das Geschäft verließen. Jedes Jahr an ihrem Todestag brandeten die Gezeiten seiner Erinnerung in seinem Innern auf.

    Die Gasse tat sich neben dem Buchladen auf und führte zu einem Parkplatz hinter dem Geschäft. Als er die Gasse entlangging, erspähte er seine Partnerin Niki auf dem Platz im Gespräch mit Bug Thomas, einem Techniker von der Spurensicherung.

    Als Niki Max näher kommen sah, nickte sie ihm zur Begrüßung zu und deutete dann auf ein Stoffbündel zu ihren Füßen. Sie rief ihm aber nicht wie sonst einen Witz zu; ein sicheres Zeichen, dass ihr bewusst war, dass Max an diesem Tag das zusätzliche Gewicht von Tausenden von Erinnerungen mit sich herumtrug.

    Auf der anderen Seite der Gasse, gegenüber vom Parkplatz, hatten die Anwohner eine Mauer aus Bäumen und Büschen und Kletterpflanzen hochgezüchtet, einen Schutzwall für ihre Privatsphäre, der die Kunden der Buchhandlung und auch sonst jeden davon abhielt, ihre Gärten einsehen zu können. Max schaute sich um und fragte sich, ob dies die wohl abgeschiedenste Ecke von ganz Kenwood war.

    Bug Thomas kniete neben einem Müllcontainer und suchte den Boden nach Fußabdrücken oder anderen Spuren ab. Der Deckel des Containers stand offen, sein Bauch war voller Müllsäcke und leerer Kartons. Dort war kein Platz, einen Leichnam zu verstecken. Max stützte die Hände auf die Knie, um das Bündel genauer zu betrachten. Es war eine Decke, eingefasst mit einer rosafarbenen Rüschenbordüre und mit Pferden und Sternen gemustert. So etwas fand man am ehesten auf dem Bett eines jungen Mädchens. Es war offensichtlich, dass die Decke um einen Leichnam gewickelt war.

    »Das muss eine der saubersten Gassen sein, die ich je gesehen habe«, stellte Max fest.

    »Wir sind in Kenwood«, gab Niki zurück. »Selbst die Tatorte sind hier schöner als anderswo.«

    »Wer hat die Leiche gefunden?«

    »Ein Jogger, der schon früh unterwegs war«, erklärte Niki und zeigte auf einen Mann mit einem Schweißband im Stil der 70er Jahre, der gleich hinter dem Absperrband stand.

    Max zog eine Ecke der Decke zurück und der Kopf der Frau wurde sichtbar. Ihr feuerrotes Haar besaß den gleichen Paprikaton wie Jennis, und einen Wimpernschlag lang sah er Jennis Gesicht aus dem Wirrwarr der roten Strähnen hervorblitzen. Er ließ die Decke fallen und stand auf. Die Bewegung verursachte ein flaues Gefühl in seinem Magen, so als wäre er gerade an den Rand eines tiefen Abgrunds getreten.

    Die Tagesdecke war zurückgerutscht und Max konnte sehen, dass die Frau nicht Jenni war. Er warf Niki einen kurzen Blick zu, um festzustellen, ob sie seine Reaktion registriert hatte. Falls ja, ließ sie sich nichts anmerken. Max legte das Ende der Decke wieder über das Gesicht der Frau, um auf den Gerichtsmediziner zu warten. »Hey, Bug, du hast nicht ganz zufällig eine Handtasche oder einen Ausweis herumliegen sehen?«

    Bug war zwar erst Mitte 20, sah mit seinem Bürstenschnitt und der dicken, schwarz gerahmten Brille aber aus, als wäre er einer Wiederholung von Dragnet, einer alten Polizeiserie, entsprungen. Eigentlich hieß er Doug, aber alle nannten ihn Bug. Max hatte gehört, sein Spitzname rühre daher, dass Bug einen wichtigen Artikel über Insektenkunde verfasst habe. Diese Erklärung gefiel ihm weit besser als die, dass irgendein Arschloch auf dem Revier angefangen hatte, ihn Bug zu nennen, um auf die zahlreichen Eigenheiten des Jungen aufmerksam zu machen: die Art und Weise, wie er beim Nachdenken Daumen und Zeigefinger aneinanderlegte, oder wie ungeschickt er sich beim Small Talk anstellte, so als wäre das eine Fremdsprache, in der er nicht besonders geübt war.

    Bug hielt in seiner Untersuchung des Parkplatzes inne, so als müsste er die Frage erst verarbeiten. Dann erhob er sich und wandte Max seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu, bevor er antwortete. »Bisher habe ich noch nichts gefunden.«

    Max wollte etwas sagen, um Bug zu signalisieren, dass er mit seiner Spurensicherung weitermachen sollte, nickte aber lediglich und starrte auf das Bündel am Boden. »Das sieht aus wie die Tagesdecke eines kleinen Mädchens, nicht wie etwas, das eine erwachsene Frau sich aufs Bett legen würde.«

    »Das habe ich auch schon gedacht«, stimmte Niki zu.

    Hinter ihnen erklangen die schlurfenden Schritte müder Füße. Beide sahen sich um und erblickten Dr. Margaret Hightower, die Grande Dame der Gerichtsmedizin vom Verwaltungsbezirk Hennepin County. Sie kam die Gasse herunter. Margaret war Mitte 60, aber bewegte sich wie eine 80-Jährige. Ihr hartes Leben beugte ihre Schultern und zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Seit nunmehr sechs Jahren trug sie eine Abstinenzkette um den Hals, deren Anhänger eine silberfarbene Kennmarke mit der eingravierten Inschrift EIN TAG NACH DEM ANDEREN war, und ihr Atem roch seither auch nicht mehr nach Single-Malt-Scotch, wenn sie an einem Tatort aufkreuzte.

    »Hey, Maggie«, begrüßte Max sie. »Ist es nicht noch ein bisschen früh für die Tagesschicht?«

    »Du kennst mich doch, Max. Ich stehe immer mit der Morgendämmerung auf. Außerdem sind wir ziemlich knapp besetzt, also habe ich Bereitschaft. Was haben wir hier?«

    Niki zog die Decke zurück und gab den Blick auf eine blasse Frau frei. Attraktiv, sportlich, mit einem dichten Gewirr roter Haare um das Gesicht, was ihr den Anschein gab, als wäre sie durch Spinnweben gegangen. Halb geöffnete Augen starrten durch das Netz ihrer Haare, und in diesen Augen bildeten sich dunkelgelbe Streifen, wo sie ausgetrocknet waren. Ein breiter Blutfleck umgab eine Wunde an der rechten Seite ihres Halses. Niki wickelte den Rest des Körpers aus, sodass man sehen konnte, dass die Frau nackt war.

    »Weiß, weiblich«, sagte Niki. »Ich würde schätzen, Mitte 40. Eine auffällige Wunde an der rechten Halsseite.«

    Maggie trat näher an den Kopf der Frau heran und wollte sich hinknien, stand dann aber wieder gerade. »Herrgott, meine Knie machen mich fertig. Max, hilfst du mir mal?« Max hielt Maggie am Arm fest, als sie zunächst auf die Knie ging und sich dann auf den Hintern sacken ließ. »Ich war mal Tänzerin, weißt du … habe Ballett gemacht. Habe ich dir das je erzählt, Max?«

    Hatte sie, aber Max erwiderte: »Ich glaube, nicht.«

    »Ja, damals auf dem College. Ich konnte Pirouetten drehen bis zum Gehtnichtmehr. Ich war so was von gelenkig. Und jetzt kann ich mich nicht einmal mehr hinknien ohne einen Kran, der meinen fetten Arsch wieder hochhievt. Werd niemals alt, Max.«

    »Ich werde mein Bestes tun, Maggie.«

    Sie zog das Haar der Frau vorsichtig beiseite, um die Wunde besser betrachten zu können. »Ja, das ist höchstwahrscheinlich auch die Todesursache.« Maggie berührte vorsichtig die Haut um die Wunde herum. »Wahrscheinlich ein Messer. Der perfekte Punkt, wenn man die Halsschlagader oder Halsvene treffen will. Und beides hätte jeweils ausgereicht, sie zu töten. Euer Verdächtiger wusste entweder genau, was er tat, oder er hatte schlicht Glück. Oder sie.«

    Maggie hob einen der Arme der Toten an. Der ließ sich nur mit etwas Kraftaufwand bewegen. »Die Totenstarre hat eingesetzt. Könntet ihr sie ein Stück zur Seite kippen?«

    Max hob die Tote an der Schulter an und Niki tat dasselbe an der Hüfte. Die Haut am Rücken der Frau hatte sich dunkelrot verfärbt.

    »Totenflecke«, diagnostizierte Maggie. »Helft mir bitte hoch, ja?«

    Max und Niki packten jeweils einen von Maggies Armen und halfen ihr, wieder auf die Füße zu kommen.

    »Vorläufig würde ich sagen, dass das hier nicht euer Tatort ist«, erklärte Maggie. »Nicht genug Blut. Ein solcher Schnitt in den Hals … Wenn es die innere Halsvene getroffen hat, blutet es unter Umständen nicht allzu schlimm, aber die Schlagader … Nein, ich glaube, dass sie woanders getötet wurde, dort ausgeblutet ist und dann hierhergebracht wurde. Warum sollte man sie auch in eine Decke wickeln, wenn man sie nicht transportieren will?«

    Maggie wedelte mit einem Finger über der Leiche herum, während sie fortfuhr: »Leichenstarre und Verfärbung haben erst hier auf diesem Parkplatz eingesetzt. Sie muss innerhalb von einer oder zwei Stunden nach ihrem Tod in dieser Position hier abgelegt worden sein. Meiner groben Schätzung nach ist der Tod am späten Abend oder in der Nacht eingetreten, wahrscheinlich zwischen elf und eins. Sobald wir sie auf den Obduktionstisch bekommen, kann ich ihre Lebertemperatur ermitteln. Nach der Autopsie sollte ich euch einen ziemlich präzisen Todeszeitpunkt geben können.«

    Max nickte und fragte dann: »Ist es okay, wenn wir sie noch für ein paar Minuten hierbehalten?«

    »Natürlich. Sie gehört euch.« Maggie machte Platz, damit Max und Niki sich den Leichnam noch einmal genauer ansehen konnten.

    Sie knieten sich neben die Tote, jeder auf einer Seite, und Max nickte seiner Partnerin zu, damit sie den Anfang machte. Sie begann mit den Füßen der Frau. »Pedikürte Fußnägel.« Dann fuhr sie mit einem behandschuhten Finger am Bein der Toten entlang und hob den Finger an die Nase. »Lotion … riecht nach Vanille.« Sie hob die Hände der Frau und betrachtete die langen Fingernägel, die mit professioneller Genauigkeit lackiert waren. »Teure Maniküre, sauber, keine offensichtlichen Kratzspuren unter den Nägeln. Keine direkten Anzeichen verteidigungsbedingter Verletzungen.« Sie sah sich die Hand genauer an. »Dieser Abdruck an ihrem Ringfinger deutet darauf hin, dass sie hier normalerweise einen Ring trug, vielleicht einen Ehering, aber der ist nicht mehr da. Möglicherweise ein Raubüberfall, aber die Sache mit dem erst später hier abgelegten Leichnam sagt mir, dass Raub nicht unser Motiv ist.«

    Es bereitete Max große Freude, Niki bei der Arbeit zuzusehen. Ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen kamen wie aus der Pistole geschossen und sie war sich ihrer Sache meist sehr sicher, so als hätte sie seit drei Jahrzehnten bei der Mordkommission gearbeitet, nicht erst seit drei Jahren. Sie dagegen hätte kaum glücklicher sein können, die Sitte hinter sich zu lassen und damit auch die frauenfeindlichen Witze, die hinter ihrem Rücken über sie gemacht wurden. Ihr Vorgesetzter bei der Sitte, ein stiernackiger Mann namens Whitton, hatte einmal zu Max gesagt, Nikis Aussehen mache sie zur perfekten asiatischen Prostituierten, nämlich der Art Geisha-Mädchen, die jeder Handelsreisende im Orient gern vögeln würde. Das war zu dem Zeitpunkt gewesen, als Whitton darum gekämpft hatte, sie bei der Sitte zu behalten, und Max darum gekämpft hatte, dass sie zur Mordkommission versetzt wurde.

    Max hatte Niki kennengelernt, als Chief Murphy sie vor drei Jahren vorübergehend der Mordkommission zugeteilt hatte, damit sie bei der Klärung einer regelrechten Flut von Morden im Norden von Minneapolis half. Sie waren zu einem Wohnkomplex gerufen worden, wo eine Frau ermordet in ihrem Schlafzimmer im vierten Stock gefunden worden war. Das Gebäude verfügte über ein Überwachungssystem mit Kameras, auf denen zu sehen war, dass um den Todeszeitpunkt herum niemand ihre Wohnung betreten oder verlassen hatte.

    Max konnte sich keinen Reim darauf machen, wie der Eindringling hinein- oder herausgekommen war, ohne gesehen zu werden, aber dann war Niki aufgefallen, dass der Staub auf den Jalousien darauf hinwies, dass sie sich nicht in ihrer üblichen Position befanden. Diese Entdeckung hatte schließlich zur Verhaftung eines Mannes aus dem Nachbargebäude geführt, der mithilfe einer eigens zu diesem Zweck konstruierten, ausziehbaren Stange von seinem Fenster zu ihrem hinübergeklettert war. Er hatte sich in der Wohnung der armen jungen Frau versteckt und auf sie gewartet, als sie nach ihrer Spätschicht in der Kneipe nach Hause kam.

    Und damit begann das Tauziehen.

    Whitton sagte dem Chief, dass er Niki als Köder brauchte. Als er merkte, dass dieses Argument nicht zog, behauptete er, dass der Zusammenhalt der Einheit verlangte, dass sie blieb, und stellte die Sitte als große Familie dar. Whitton verlor die Schlacht, als Max ihn aufforderte, Nikis Hmong-Namen auszusprechen. Das konnte der aber nicht, denn er hatte sich nie genug für Niki als Mensch und als Detective interessiert, um zu erfahren, dass ihr echter Name Ntxhi lautete und sie ihn lediglich deswegen zu Niki abgewandelt hatte, weil die meisten Menschen hier im Westen sich verhaspelten, wenn sie ihn auszusprechen versuchten. Max sprach sie mit ihrem richtigen Vornamen an und besiegelte damit ihren Wechsel ins Morddezernat.

    Jetzt beugte sich Niki über den Kopf der toten Frau und roch an einer Haarsträhne. »Riecht nach frischem Shampoo, so als hätte sie gerade geduscht.« Sie schob einige Strähnen verfilzter Haare beiseite, um das attraktive Gesicht der Frau zu betrachten, das ungeschminkt war. Nicht einmal Lippenstift trug die Tote. Niki dachte laut nach. »Sie duscht sich … wickelt die Haare vielleicht in ein Handtuch ein … cremt sich mit Vanille-Körperlotion ein … und bekommt einen Stich in den Hals, bevor sie sich die Haare bürsten kann.«

    Max nickte zustimmend. Dann fiel ihm ein Aufblitzen auf, als Niki die Haare weiter zurückschob. »Sieh dir das an«, sagte er und schob einen Finger unter das Ohrläppchen, in dem sich ein großer Diamantstecker befand – der Stein hatte mindestens zwei Karat. »Du hast auf jeden Fall recht, dass es hier nicht um Raub geht.« Er beugte sich noch weiter vor, um den Ohrring besser zu sehen, und zog dann das Haar auf der anderen Seite weg, um den zweiten freizulegen. »Tragen Frauen ihre Ohrringe auch in der Dusche?«

    »Manchmal … ja, klar.«

    »Ich glaube, deine Hypothese mit der Dusche kommt hin.« Max wandte sich an Bug, der bereits Fotos der Ohrringe machte. »Würden Sie mir ein Schmucktütchen und eine Pinzette reichen?«

    Bug griff in einen Angelkasten, holte die geforderten Dinge heraus und reichte sie an Max weiter. Der zog vorsichtig den Ohrring vom Ohr der Frau und ließ ihn in die Papiertüte fallen.

    »Ein Geschenk für die bessere Hälfte?«, kommentierte Bug mit einem gezwungenen Lachen.

    Max schloss die Augen. Bug konnte nicht wissen, dass Max’ Frau tot

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