Der Krimi Jahresband 2024: 8 Romane im Bundle
Von Alfred Bekker, Earl Warren, L. T. Meade und
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Über dieses E-Book
Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Todespreis: Frankreich Krimi
Earl Warren: Bount Reiniger und die Mädchenfalle Manhattan
Hulbert Footner: Der Mann mit dem krummen Finger: Krimi
Hulbert Footner: Mappin oder der Tod eines Saboteurs: Kriminalroman
Hulbert Footner: Mappin und die Mörder-Orchideen: Kriminalroman
L.T.Meade: Ein Sohn von Ismael: Kriminalroman
Emile C. Tepperman: Hängt mich! Kriminalroman
Earl Warren: Bount Reiniger, alte Meister und junge Mörder: Kriminalroman
"Bailey, du gottverdammter Narr!" Die raue Stimme Morrisons und der mitleidlose Blick seiner eiskalten Augen ließen den aschblonden Dealer zusammenzucken.
Ängstlich senkte Bailey den Kopf und starrte mit regloser Miene auf den schmutzigen Fußboden. "Was hast du dir nur dabei gedacht, du dussliger Kerl?", schimpfte Clay Morrison weiter auf Bailey ein. "Du bist so dumm, dass dich die Schweine beißen. Streckt der doch einfach den Stoff, den ich ihm gebe, und zwei unserer Kunden geh'n beim Spritzen drauf!"
Morrison warf den beiden muskulösen Gestalten, die neben ihm standen, einen eindeutigen Blick zu.
"Taylor, Simpson, was sagt ihr dazu?", fragte er.
Einer seiner beiden Leibwächter räusperte sich kurz. Er lächelte, aber seine Augen blieben eiskalt.
"Wir können uns so 'ne Panne einfach nicht leisten, Mr. Morrison", erwiderte er. "Das Geschäft ging bisher ganz gut, aber so was spricht sich ziemlich schnell rum. Ist nicht gut für die Branche, wenn man sich da behaupten will, oder?"
Robert Bailey wusste, was auf ihn zukam. Jetzt bekam er die Quittung für seinen Alleingang. Und dabei hatte alles so gut geklappt! Das Heroin, das er von Morrison bekommen hatte, hatte er einfach ein bisschen mit Zucker und Strychnin gestreckt. Er wollte sich ein paar zusätzliche Dollar verdienen, und nun waren zwei Fixer daran gestorben.
Morrison hatte natürlich sofort davon Wind bekommen. In der Bronx gab es nichts, was der Boss nicht wusste. Das hätte Robert Bailey eigentlich ahnen müssen. Trotzdem hatte er dem Befehl Folge geleistet, zum Treffpunkt an die Breakdance-Schule zu kommen. Und nun stellten sie ihn zur Rede.
Alfred Bekker
Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
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Rezensionen für Der Krimi Jahresband 2024
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Buchvorschau
Der Krimi Jahresband 2024 - Alfred Bekker
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Commissaire Marquanteur und der Todespreis: Frankreich Krimi
von Alfred Bekker
Commissaire Marquanteur und der Todespreis: Frankreich Krimi
von Alfred Bekker
Illegale Autorennen auf französischen Autobahnen zwischen Marseille und Reims, bei denen auch Menschen sterben – und ein gesuchter Mörder nimmt daran teil. Die Sonderabteilung FoPoCri heftet sich an seine Spur. Die Kommissare Marquanteur und Leroc fahren das Rennen mit und kommen zusätzlich einer großangelegten Verschwörung auf die Spur…
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Jack Raymond, Robert Gruber, Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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1
»Bonjour!«, sagte ich, als ich mit dem Porsche die Werkstatt erreichte und dort ausstieg.
»Bonjour«, sagte der Mann im Blaumann.
Der Mann im Blaumann hieß Michel Dornier. Auch bekannt als Porsche-Michel, weil sich wirklich niemand in Marseille und Umgebung besser mit Porsches auskennt als dieser Meister. Und er ist ein Meister! Nicht nur, weil das auf dem Dokument steht, das er in seinem Büro an der Wand hängen hat und das es ihm ermöglicht, diese Werkstatt zu betreiben. Denn ohne Meisterbrief geht sowas in Frankreich ja nicht.
Er kennt sich wirklich aus. Und wann immer mein Dienst-Porsche mal irgendwelche Mucken hatte, hat Porsche-Michel Dornier herausgefunden, was dem lieben Kleinen fehlt.
Jetzt sagen Sie nicht, ich hätte ein etwas zu persönliches Verhältnis zu meinem Fahrzeug.
»Alles tipptopp«, meinte er. »Damit können Sie Rennen fahren, wenn Sie wollen.«
»Eigentlich habe ich einen anderen Job.«
»Sie können ja noch umsatteln.«
»Ich glaube nicht.«
»Mehr Geld kann man auf jeden Fall verdienen, wenn man irgendwo um einen Großen Preis fährt.«
Ich winkte ab. »Mehr Geld, als mir bezahlt wird, kann ich sowieso nicht ausgeben.«
»Schön, wer das sagen kann!«
»Ich lebe bescheiden.«
»Ist das nicht manchmal schwer?«
»Was?«
»Na, Sie sind doch Polizist.«
»Commissaire.«
»Und Sie sind in einer Sondereinheit, wie Sie mir mal gesagt haben.«
»Force spéciale de la police criminelle, kurz FoPoCri, angesiedelt hier in Marseille«, nickte ich. »Wir beschäftigen uns vor allem mit organisierter Kriminalität.«
»Das meine ich ja! Die Drogenbosse schwimmen im Geld, und Sie kriegen nur Ihr ganz normales Gehalt. Haben Sie nie daran gedacht, mal die Seiten zu wechseln?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nie«, sagte ich. »Und mein Kollege François Leroc, den Sie ja auch kennen, denkt da genauso.«
»Aber das können Sie sicher nicht für alle Ihre Kollegen garantieren, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, da haben Sie recht. Das kann ich nicht.«
2
Der Fahrer des Sportwagens ließ den Motor aufheulen und kam bis auf einen Abstand von maximal zwei Metern an den vor ihm fahrenden Porsche heran. Die zweispurige Straße zog sich wie ein Strich durch die Landschaft. Von vorne näherte sich eine Kolonne von drei Trucks. Der Sportwagen beschleunigte, zog auf die linke Spur, raste den Trucks frontal entgegen und beschleunigte. Der Fahrer trat das Gaspedal offenbar voll durch.
Aber der Porsche beschleunigte ebenfalls.
Keiner der beiden Kontrahenten war bereit nachzugeben.
Der Sportwagen schob sich eine halbe Wagenlänge vor den Porsche. Aber das war nicht genug, um einbiegen zu können.
Der erste der Trucks hupte und bremste bereits ab. Aber zwanzig Tonnen ließen sich nicht so einfach stoppen, zumal die nachfolgenden Fahrzeuge von der Gefahr nichts erkennen konnten.
Noch Sekunden und es gab einen Frontal-Crash zwischen dem Sportwagen und dem Truck, dessen Fahrer nun die Hand auf der Hupe und Fuß auf dem Gaspedal hatte.
Der Sportwagen schaffte es kurz vor einer Kollision mit dem Truck eine drei Viertel Wagenlänge Vorsprung vor seinen Porsche-Kollegen zu bekommen. Um einen Crash mit den Trucks zu vermeiden, zog er nach rechts.
Der Truckfahrer trat unterdessen voll in die Eisen. Die Reifen blockierten. Der nachfolgende Truck konnte nicht rechtzeitig bremsen und fuhr von hinten in das vordere Fahrzeug hinein und schob es vorwärts.
Der Porsche bremste ebenfalls. Reifen quietschten.
Der Sportwagen hatte unterdessen den linken Kotflügel des Porsche touchiert. Das genügte, um diesen aus der Bahn zu werfen. Der Porsche brach nach rechts aus, drehte sich einmal komplett herum, bekam dann noch einmal einen Stoß durch den heranrutschenden Truck, der den Porsche dann endgültig von der Straße kegelte und die seitliche Böschung hinunterrutschen ließ.
Der Sportwagen hingegen hatte gerade noch rechtzeitig auf die rechte Spur wechseln können, um nicht von der Kolonne ineinander geschobener Trucks erfasst und zermalmt zu werden.
Bei der Kolonne war inzwischen auch der dritte Truck von hinten aufgefahren. Der erste begann zu schlingern, stellte sich quer und die nachfolgenden schoben ihn von der Fahrbahn, wo er schließlich auf der Seite landete.
Nur der Sportwagen war noch auf der Bahn. Er beschleunigte.
Das Seitenfenster wurde heruntergelassen.
Der Fahrer hielt einen Stinkefinger hoch. Außerdem ließ er seine Hupe erklingen.
Als Hupsignal hatte sich der Fahrer den Triumphmarsch von Verdi einrichten lassen.
3
Monsieur Marteau, der Chef der Force spéciale de la police criminelle, machte ein sehr ernstes Gesicht. Er drückte auf einen Knopf an der Fernbedienung des Beamers, mit dem die Videosequenzen seines Laptops an die Wand projiziert wurden und wandte sich uns zu.
Das Bild des Sportwagens, dessen Fahrer in provozierender Weise seinen Finger in die Höhe reckte, erstarrte. Die harmonisch etwas vereinfachte Hupversion von Verdis Triumphmarsch brach ab.
Außer François und mir hatten auch noch die Kollegen Stéphane Caron und Boubou Ndonga sowie die Innendienstler Maxime Valois und Norbért Navalle in dem schlichten Sitzmobiliar in Monsieur Marteaus Büro Platz genommen.
Melanie kam herein und servierte ihren berühmten Kaffee.
»Da hat offenbar jemand denselben Autogeschmack wie du«, raunte mir mein Kollege François Leroc zu, während Melanie das Tablett absetzte und die Becher mit dem heißen Kaffee verteilte.
Monsieur Marteau wartete, bis seine Sekretärin den Raum wieder verlassen hatte.
»Sie haben gerade eine Videosequenz gesehen, wie man sie sich aus dem Internet herunterladen kann. Teilnehmer illegaler Autorennen lassen sich bei ihren Heldentaten filmen und stellen die Bilder dann auch noch ins Netz, um sich damit zu brüsten. Wie Sie sehen konnten, sind diese Aufnahmen aus einem Helikopter gemacht worden.«
Illegale, teils transkontinentale Rennen waren ein Problem, mit dem sich die Kriminalpolizei immer wieder auseinanderzusetzen hatte. Und auch unser Büro hatte sich in der Vergangenheit schon häufig damit beschäftigen müssen. Jahr für Jahr versuchte die Kriminalpolizei immer wieder in Zusammenarbeit mit lokalen Polizeibehörden diese Rennen zu unterbinden. Aber das war wie beim Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel. Der Igel, das waren in diesem Fall die Veranstalter dieser Rennen, waren immer schon da, bevor wir eingreifen konnten.
Die sogenannten Frénétique-Rennen wurden auf normalen Straßen durchgeführt und immer wieder kamen dabei völlig unbeteiligte Verkehrsteilnehmer durch die waghalsigen Überholmanöver und die völlig überhöhte Geschwindigkeit, mit der gefahren wurde, ums Leben oder wurden schwer verletzt.
Insbesondere Besitzer von luxuriösen Sportwagen sahen hier die Möglichkeit gekommen, ihre Rennschlitten endlich mal auszufahren.
Ein anderer wichtiger Faktor war das Geld. Allein die Antrittsgelder betrugen mitunter 40 000 Euro und mehr. Für den Sieger winkten astronomische Summen. Und noch mehr konnte durch Wetten und Wettmanipulationen dabei verdient werden.
Und damit war auch schon die Hauptschnittstelle dieser Rennen zum organisierten Verbrechen beschrieben.
»Ich hoffe, der Kerl im Sportwagen sitzt inzwischen im Gefängnis und hat ein Führerscheinverbot auf Lebenszeit aufgebrummt bekommen«, kommentierte unser Kollege Stéphane Caron die Szene, die Monsieur Marteau uns soeben vorgeführt hatte. Caron war nach Monsieur Marteau der zweite Mann in unserer Abteilung. Er schüttelte nur mit dem Kopf.
»Der Mann, der den Sportwagen gefahren hat, sitzt tatsächlich für einige Jahre in Haft«, berichtete Monsieur Marteau. »Er heißt Roger Palmiere und bekam einige Jahre aufgebrummt, weil bei einem weiteren Unfall zwei Menschen ums Leben kamen. Er geschah etwa zwanzig Kilometer von der Stelle entfernt, an der die Aufnahmen entstanden sind, die Sie gerade gesehen haben.«
»Wie kann man nur solche Aufnahmen ins Netz stellen und glauben, dass man anschließend nicht erwischt wird«, meinte Boubou verständnislos. Unser Kollege nahm einen Schluck Kaffee.
»Ich nehme an, dass die Eitelkeit wohl größer als die Angst vor dem Knast ist«, glaubte François.
»Tatsache ist, dass sich im Netz Tausende solcher Videosequenzen finden lassen«, berichtete unser Innendienstler Maxime Valois aus der Fahndungsabteilung. »Soweit sich Rückschlüsse auf strafbare Handlungen ziehen und die Täter identifizieren lassen, werden sie auch vor Gericht gestellt. Aber das ist nicht so leicht, wie man glauben könnte. Erstens sorgen die Täter meistens dafür, dass sie selbst nicht erkennbar sind, und außerdem werden häufig auch falsche Nummernschilder benutzt. Im Fall von Monsieur Palmiere hat er sich jedoch durch seinen Drang zur Selbstdarstellung selbst überführt.« Maxime stand auf und streckte die Hand aus. »Wenn Sie mir mal eben den Beamer geben würden, Monsieur Marteau.«
»Bitte!«, sagte unser Chef und gab Maxime das Gerät.
Maxime zoomte die Hand mit dem obszön emporgereckten Finger heran.
»Auf der Handaußenfläche ist eine Verbrennungsnarbe zu sehen, die so charakteristisch und individuell ist, dass Monsieur Palmiere dadurch identifiziert werden konnte. Er ist nämlich bereits einschlägig vorbestraft, so dass seine Daten – darunter auch besondere Kennzeichen – gespeichert waren. Der Unfall, den wir hier sahen, ging recht glimpflich für die Beteiligten aus, aber der zweite Vorfall, bei dem eine Mutter und ihr zehnjähriger Sohn in einem Ford mit Palmiere kollidierten, fand – wie gesagt – zwanzig Minuten später statt.«
»Ich hoffe, er sitzt noch lange!«, meinte François.
»Da muss ich Sie leider enttäuschen, François«, erwiderte Monsieur Marteau. »Er wurde durch einen Deal mit der Staatsanwaltschaft auf Bewährung entlassen und versorgt uns seitdem mit wichtigen Informationen aus der Szene der Frénétique-Fahrer. Ich muss niemandem etwas darüber sagen, wie schwierig es ist, da einzudringen. Die sind natürlich extrem misstrauisch. Nicht umsonst ist es so gut wie nie gelungen, ein derartiges Rennen zu verhindern.«
Da hatte unser Chef leider recht. Die Teilnehmer fanden immer wieder eine Möglichkeit, sich zu treffen, irgendwo einen Startpunkt auszumachen, um dann quer durch Europa zu fahren.
Jeder auf eigene Faust – aber nicht nur auf eigene Gefahr, wie jedes Mal eine Serie schrecklicher Unfälle zeigte.
Maxime drückte auf den Knopf des Beamers.
Eine Großaufnahme von Roger Palmiere wurde gezeigt.
»Palmiere wandte sich an die Kollegen des Polizeipräsidiums in Paris und berichtete als Erster darüber, dass es offenbar dieses Jahr in Konkurrenz zum traditionellen Frénétique von Marseille nach Reims auch einen sogenannten Großen France-Frénétique geben soll. Der Sieger bekommt sage und schreibe zwei Millionen Euro. Ausgangspunkt soll in Marseille sein, Zwischenziel Dijon, Endziel wieder Marseille. Die Gerüchte haben sich inzwischen auch aus anderen Quellen bestätigt und es gibt Anzeichen dafür, dass sich das organisierte Verbrechen mit immens hohen Wetteinsätzen engagiert. Über Palmiere bekamen wir einen Kontaktmann hier in Marseille genannt, der bereit ist, mit der Kriminalpolizei zusammenzuarbeiten. Sein Name ist Alexandre Clermont. Er betreibt einen Club hier in Marseille, der immer mit illegalem Glücksspiel in Verbindung stand. Daher ist er auf das Wohlwollen der Justiz angewiesen und bereit, mit uns zusammenzuarbeiten. Außerdem hat er wohl irgendeine Rechnung mit einem der Organisatoren offen. Aber das ist Spekulation.«
»Mit anderen Worten – ein gut motivierter Informant«, stellte ich fest.
»In diesem Fall scheint er aber wirklich glaubwürdig zu sein, Pierre«, gab Maxime zurück. »Er hat sich gestern Abend hier im Büro gemeldet und möchte unbedingt ein Treffen arrangiert haben.«
»Ich übernehme das gerne«, sagte Stéphane.
»Dabei gibt es nur einen Haken, Stéphane«, erklärte Monsieur Marteau. »Clermont hat ausdrücklich um Pierre als Gesprächspartner gebeten.«
Ich war perplex.
»Ich kenne diesen Monsieur Clermont nicht«, war ich mir sicher.
Monsieur Marteau wandte sich mir zu.
»Aber er kennt offensichtlich Sie, Pierre, und hat sich genauestens über Sie informiert. Über Sie und den Wagen, den Sie fahren.« Unser Chef zuckte mit den Schultern. »Clermont scheint sehr misstrauisch zu sein, aber es ist vermutlich so, dass er den Fahrer eines Sportwagens, der theoretisch an einem solchen Rennen teilnehmen könnte, einfach für vertrauenswürdiger hält. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Aber ich denke, es ist kein Problem, wenn wir Monsieur Clermont in diesem Punkt entgegenkommen. Wenn wir Glück haben, könnte es nämlich sein, dass sich zum ersten Mal überhaupt die Chance ergibt, so ein Rennen bereits zu stoppen, bevor es richtig begonnen hat. Das könnte mehrere Dutzend Menschenleben retten – von all den Verletzten mal ganz abgesehen, von denen einige ihr Leben als Invaliden beenden werden.«
»Dazu bräuchte man die Teilnehmerdaten«, stellte François glasklar fest.
Monsieur Marteau nickte.
»Und genau die hat Clermont uns versprochen. Also behandeln Sie ihn wie ein rohes Ei!«
4
Gegen Mittag desselben Tages rief Alexandre Clermont noch einmal im Polizeipräsidium an. Das Gespräch wurde an mich weitergeleitet.
»Es freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen, Monsieur Marquanteur«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Jemand, der einen solchen Sportwagen fährt, muss das Herz auf dem rechten Fleck haben!«
Wir vereinbarten ein Treffen in einem chinesischen Restaurant auf Pointe-Rouge für den frühen Abend. Es hieß »I Ging».
Den Sportwagen stellte ich in der dazugehörigen Tiefgarage ab. Das »I Ging« lag im oberen Stock und wurde von Sammy Lee Kuan betrieben, einem Taiwan-Chinesen, der allerdings in die Kategorie Haute Cuisine – hohe Kochkunst – einzuordnen war. Die ursprüngliche chinesische Küche suchte man hier vergeblich. Vielmehr bekam man eine verfeinerte und für Franzosen genießbare Version.
Wir bekamen einen Tisch zugewiesen, von dem aus man einen hervorragenden Ausblick auf das bunte Treiben der Stadt hatte.
»Monsieur Clermont wird sich etwas verspäten«, sagte uns der Kellner, ein junger Mann mit blauschwarzem Haar und asiatischen Gesichtszügen. »Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit schon mal etwas bringen?«
Er bot uns einen Pflaumenwein an, aber wir lehnten beide ab.
»Ich kann mir schon denken, worauf das Ganze hinausläuft und warum der Kerl unbedingt dich sprechen will!«, meinte François.
»Ach, ja?«
»Dein Sportwagen wäre doch ideal, um sich bei diesem Rennen als Teilnehmer einzuschmuggeln. Vielleicht denkt Clermont an so etwas.«
»Dann ist er aber schief gewickelt – selbst wenn Monsieur Marteau so etwas vorschweben sollte!«
»Komm schon, du hast so etwas Ähnliches schon mal gemacht!«
»Ja, aber der Sportwagen, den ich damals fuhr, gehörte der Fahrbereitschaft der Kriminalpolizei!«
»Dann ist dir dein Wagen also wichtiger als die Bekämpfung von Verbrechern?«, stichelte François.
»Ach, François, du weiß schon, wie ich das meine!«
»Den Organisatoren dieses Rennens, das mit Sicherheit einige Todesopfer und Schwerverletzte fordern wird, gehört das Handwerk gelegt. Der Große France-Frénétique ist eine extreme Verkehrsgefährdung auf einer Strecke von über tausend Kilometern!«
»Da bin ich deiner Meinung.«
»Aber mal Hand aufs Herz, Pierre. Würde es dich nicht reizen würde, die dreihundert Stundenkilometer deines Sportwagens mal ausfahren zu können?«
»Warten wir doch einfach mal ab, was Monsieur Clermont uns zu sagen hat, François!«
5
Clermont traf eine Viertelstunde später ein. Er war ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann mit einem exakt gestutzten Knebelbart.
»Ich bin Pierre Marquanteur und dies ist mein Kollege François Leroc«, stellte ich uns vor.
Er nickte.
»Ich weiß. Ich habe ein Bild von Ihnen gesehen, Monsieur Marquanteur.«
»Ach, ja?«
»War – glaube ich – im Lokalteil des Marseiller Abendblatts. Sie standen neben Staatsanwalt Romain Thorn und ich nehme an, dass Sie auch eher zufällig im Bild waren.«
»Sie scheinen sich immer genauestens über Ihre Gesprächspartner zu informieren«, stellte ich fest.
»Allerdings. Ich habe alles gesammelt, was man über Sie auf legalem oder illegalem Weg an Informationen zusammentragen kann. Zum Beispiel weiß ich, dass die Beschleunigungswerte Ihres Wagens an die eines Kampfjets heranreichen …«
Ich war perplex. Der Mann hatte sich wirklich eingehend informiert. Aber letztlich war es theoretisch sogar möglich, dass jemand mit entsprechenden Hackerkenntnissen sogar an die Personaldaten der Kriminalpolizei herankam. Schließlich waren Hacker auch schon mehrfach ins System des Verteidigungsministeriums und des Élysée Palastes eingedrungen. Dass vor ein paar Jahren eine Handvoll Spaßvögel es mal geschafft hatten, die Fahndungsfotos der Kriminellen auf den Internetseiten der Sûreté gegen die Köpfe von Micky Maus und Donald Duck auszutauschen, war dagegen schon fast harmlos.
Absolute Datensicherheit gab es wohl nicht, wie ich immer wieder feststellen musste. Das Prinzip, nach dem Hacker vorgingen, war immer dasselbe. Bei einem Verbund von mehreren tausend Rechnern in Behörden oder großen Firmen, war es statistisch immer so, dass die Sicherheitseinstellungen von einigen wenigen Rechnern auf Werkseinstellung blieben und ein leichtes Eindringen ermöglichen. Je größer der Verbund, desto leichter kam man gewissermaßen durch die Hintertür herein.
»Bevor Sie nachfragen, Monsieur Marquanteur: Ich werde Ihnen meine Informationsquellen nicht nennen. Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen! Andererseits sollte Sie die Tatsache, dass ich ein paar Dinge mehr über Sie und Ihren Wagen weiß, Sie auch nicht weiter beunruhigen. Ich weiß auf diese Weise, dass ich mit jemandem spreche, den ich einzuschätzen vermag und dem ich trauen kann.«
»Was macht Sie da so sicher?«
Clermont grinste.
»Sie haben eine beachtliche Liste von Verhaftungen vorzuweisen, und sicher haben Sie dabei jeden Trick angewendet, der nötig war, um Ihre Gegner zur Strecke zu bringen. Aber nach allem, was ich über Sie weiß, dürfte eins feststehen: Sie sind einfach ein zu aufrechter Charakter, um sich von den Bluthunden kaufen zu lassen, die hinter diesen Frénétique-Rennen stecken und damit das große Geld machen.«
»Und mit denen haben Sie Ärger?«
»Sagen wir so: Ich bin aufs Kreuz gelegt worden und habe bei einer Wette sehr viel Geld verloren. Jetzt hätte ich nichts dagegen, wenn der ganze Laden hochgeht und ein paar Leute, die mich übel gelinkt haben, dabei mit hochgehen.«
»Sie sind ehrlich, was Ihre Motivation für Ihre Kooperation als Informant angeht«, stellte ich fest.
Clermont verzog das Gesicht.
»Sie haben doch nicht etwa gedacht, dass es die lächerlichen Beträge sind, die die FoPoCri für ihre Spitzel bezahlt?«
»Nein, ehrlich gesagt, habe ich niemals geglaubt, dass unsere Sätze ausreichen, um jemanden aus Ihrer Liga zur Mitarbeit zu bewegen. Aber jetzt sollten Sie uns langsam mal darlegen, was Sie eigentlich anzubieten haben.«
Die Formulierung jemand aus Ihrer Liga war reine Schmeichelei. Schließlich wussten wir noch gar nicht, ob dieser Kerl überhaupt in irgendeiner Liga spielte oder uns nur etwas vormachte. Er wäre nicht der erste Wichtigtuer gewesen, der unsere Zeit verschwendete, in dem er uns vorspielte, dass wir einzig und allein mit seiner Hilfe den Sumpf des organisierten Verbrechens endlich trockenlegen könnten.
François ergänzte: »Es ist davon die Rede, dass Sie uns eine Teilnehmerliste des Großen France-Frénétique verschaffen könnten.«
»Kann ich. Das wird sich allerdings noch etwas hinziehen. Schließlich ist die Anmeldefrist für dieses Rennen noch nicht abgelaufen. Außerdem könnte ich Ihnen vielleicht die Möglichkeit verschaffen, einen Fahrer einzuschleusen. Normalerweise kommt niemand ins Fahrerfeld, der keine persönliche Empfehlung hat. Aber da könnte ich herankommen. So weit reichen meine Verbindungen.«
»Unser Ziel ist es, dieses Rennen möglichst im Keim zu ersticken«, sagte François. »Wenn wir also den Startpunkt und die genaue Zeit wüssten …«
»Nein, beim Großen France-Frénétique ist das alles anders, Monsieur Leroc. Wenn Sie denken, dass Sie einfach die beteiligten Fahrer nach dem Start einsammeln können, sind Sie schief gewickelt. Die Organisatoren haben durch die Fehler gelernt, die die Organisatoren vergleichbarer illegaler Rennen schon gemacht haben. Es geht nämlich einfach um viel zu viel Geld.«
Ich wechselte einen kurzen Blick mit François, der die Augen etwas verengte. Mein Kollege war bisher noch skeptisch, ob wir es vielleicht doch mit jemandem zu tun hatten, der am Ende nicht halten konnte, was er versprach. Ich teilte seine Skepsis. Andererseits wollte ich dieser Frage wirklich gründlich auf den Grund gehen.
»Hören Sie, ich will ganz offen sein«, sagte ich. »Bisher habe ich den Eindruck, dass Sie gar nichts haben, was uns wirklich interessiert, sondern nur viel Lärm um Nichts machen. An den Fahrern wären wir wirklich interessiert, aber damit halten Sie uns hin. Und ich nehme an, was Startpunkt und den genauen Starttermin angeht, sieht das genauso aus.«
»Ich kann Ihnen tatsächlich diese Daten nicht geben, aber wenn Sie mir einen Moment zuhören, dann werden Sie auch verstehen, warum.«
»Da bin ich aber doch mal gespannt«, sage ich und lehnte mich zurück.
»Die Sache funktioniert so: Jeder beteiligte Fahrer bekommt über einen Mittelsmann einen GPS-Sender, den er an seinem Wagen befestigen muss. Per Email bekommen Sie ein Datum und eine Uhrzeit mitgeteilt. Vor diesem Zeitpunkt müssen Sie sich östlich des 5. Längengrades befinden.«
»Egal wo?«
»Suchen Sie sich einen strategisch günstigen Punkt aus, um einen guten Start auf dem Weg nach Marseille zu haben, Monsieur Marquanteur. Aber wer den 5. Längengrad vorzeitig überschreitet, ist draußen. Definitiv. Anhand des GPS-Signals ist das eindeutig zu sehen. Ziellinie ist der 5. Längengrad und 47. Breitengrad bei Dijon.«
»Wohin gehen die Signale?«
»In ein Hotel irgendwo in Frankreich oder sonst wo in Europa. Dort sitzen einige superreiche Motorsportfreaks oder Leute, die Wetten mit dem besonderen Kick lieben. Sie können im Gegensatz zu den Teilnehmern mitverfolgen, wer an welcher Position steht und ihre Wetten entsprechend gestalten. Auch während des Rennens noch.«
»Ich nehme an, dass es da nicht unbedingt sauber zugeht.«
»Angeblich sollen Drogensyndikate diese Wetten zur Geldwäsche nutzen. Selbst wenn sie auf den Falschen setzen und für einen Schwarzgeld-Euro nur zehn Cent wiederbekommen, ist das noch ein Gewinn, weil das Geld über so viele Kanäle geleitet wird, dass es am Ende praktisch blütenweiß ist. Noch was: Es gibt ausdrücklich keine Regeln bei diesem Rennen – abgesehen von den Startmodalitäten, die ich Ihnen gerade berichtet habe.« Ein überlegenes Lächeln erschien auf Clermonts Gesicht. »Wenn Sie Lust haben, Ihrem Konkurrenten die Reifen zu zerstechen, dürfen Sie das! Das macht die Sache für das Publikum besonders reizvoll – und vor allem unberechenbar, was die Wetteinsätze angeht.«
»Sie gehen offenbar davon aus, dass ich mitfahre. Aber das sehe ich – ehrlich gesagt – nicht.«
»Abwarten, Monsieur Marquanteur.«
»Woher weiß der einzelne Fahrer, wer sein Konkurrent ist?«
Clermont lachte.
»Gar nicht! Das ist ja der Clou dabei! Jeder Fahrer eines Sportwagens, der einigermaßen PS unter der Haube hat, ist natürlich verdächtig, ein anderer Teilnehmer zu sein. Das exquisite Wettpublikum will natürlich auch sehen, wie sich exquisite Wagen messen. Ansonsten haben Sie keinen Anhaltspunkt. Die Leute, die für die Organisation dieses Rennens verantwortlich sind, haben diesen Modus in kleinerem Rahmen bei einem illegalen Rennen in den Niederlanden getestet und es hat sich gezeigt, dass durch diese Konstellation der Ungewissheit immer wieder interessante Dinge passieren. Ein Fahrer zersticht einem vermeintlichen Kontrahenten die Reifen, landet im Knast und verliert, obwohl er haushoher Favorit ist und so weiter.«
Ich nickte und begann langsam die Dimensionen des Spiels zu begreifen, das hier ablief.
»Ja, oder die Organisatoren schicken jemanden, der die Reifen zersticht oder sorgen auf andere Weise dafür, dass ein bestimmter Wagen nicht das Ziel erreicht – um Wetten zu manipulieren«, vermutete ich.
»Durch das GPS-Signal ist die Rennleitung jederzeit über die jeweilige Position der einzelnen Wagen informiert, das ist richtig«, bestätigte Clermont.
Den Manipulationsmöglichkeiten waren damit natürlich Tür und Tor geöffnet.
»Ich würde Ihren Wagen wirklich gerne mit den anderen Teilnehmern in Wettbewerb treten sehen.«
»Ich glaube, da haben Sie falsch gepokert.«
»Glaube ich kaum!«, sagte er und der Ausdruck absoluter Gewissheit, der jetzt in seine Züge trat, missfiel mir. »Ich habe hier den Köder, der Sie Ihre Bedenken vielleicht noch über Bord werfen lässt. Nein – ganz sicher sogar!«
»So?«
»Sagt Ihnen der Name Robert Molvare etwas?«
François und ich sahen uns an.
»Wenn wir denselben Robert Molvare meinen«, meinte François zögernd.
Clermont grinste.
»Wir meinen denselben. Den, der auf den Internetseiten der Sûreté als einer der zehn meistgesuchten Straftäter Frankreichs aufgeführt und seit Jahren vergeblich gesucht wird. Den Lohnkiller der Clans und Syndikate und jeden anderen, der bereit ist, seine horrenden Honorarvorstellungen zu erfüllen. Angeblich gehen sogar die Morde an mehreren Staatschefs in der dritten Welt auf sein Konto. Aber das sind Gerüchte, von denen ich nicht weiß, ob Robert Molvare sie vielleicht nur deshalb streut, damit seine potentielle Kundschaft beeindruckt ist und ihn trotz seiner Super-Honorare noch engagiert, anstatt die Dreckjobs von irgendeinem Straßenköter erledigen zu lassen.«
Der Name Robert Molvare war jedem Commissaire seit Jahren geläufig.
Es gab mindestens zwanzig Morde im Umkreis des organisierten Verbrechens, die ziemlich eindeutig mit ihm in Verbindung gebracht werden konnten, und bei mindestens noch einmal so vielen Taten war eine Beteiligung dieses Killers nicht ausgeschlossen.
Robert Molvare lebte irgendwo inner- oder außerhalb Frankreichs unter falschem Namen und falscher Identität. Er machte sich im Gegensatz zu vielen anderen aus der Zunft der Hitmen überhaupt nicht die Mühe, seine Handschrift zu verbergen. Häufig hinterließ er am Tatort mit voller Absicht Spuren, die auf ihn als Täter hinwiesen oder er benutzte eine Waffe, die er bereits bei früheren Verbrechen verwendet hatte. Aus seiner Sicht der Dinge vergrößerte das wohl seinen Nimbus. Jeder unaufgeklärte Mafia-Mord, der mit ihm in Verbindung gebracht wurde, war inzwischen Werbung für sein zynisches Geschäft. Wer Robert Molvare engagierte, konnte sicher sein, dass die Sache diskret erledigt wurde und der Killer clever genug war, um nicht der Polizei in die Arme zu laufen, so lautete die unterschwellige Botschaften dieser Taten. Denn Letzteres war der Albtraum jedes Auftraggebers, da Lohnkiller natürlich in Gefangenschaft dazu neigten, die Schuld nicht allein zu übernehmen, sondern in einem Deal mit der Staatsanwaltschaft ihre Auftraggeber zu nennen.
»Was hat Robert Molvare mit diesem Rennen zu tun?«, fragte François.
»Er ist einer der Teilnehmer«, erklärte Clermont. »Das weiß ich ganz sicher. Und ich weiß, dass er einen Porsche fährt. Sie hätten die einmalige Chance, diesen Killer zu schnappen, wenn Sie es einigermaßen clever anstellen!«
6
»Robert Molvare ist der Köder, der nötig war, um dich umzustimmen«, stellte François fest, als wir im Wagen saßen und aus der Tiefgarage des Gebäudes, in dem sich das Restaurant befand, fuhren, um uns wieder in den Verkehr einzufädeln. »Und gib es zu! Irgendwo tief in deinem Herzen findest du es doch auch bedauerlich, dass du die 510 PS, die unter der Haube deines Wagens schlummern, im Stadtverkehr von Marseille nicht einmal annähernd ausfahren kannst!«
»Quatsch!«, sagte ich, aber viel zu schnell, um überzeugend wirken zu können.
Und tatsächlich hatte François mich da an einem wunden Punkt erwischt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit in Marseille lag weit unter den erlaubten Höchstgeschwindigkeiten, so dass man nicht einmal die Möglichkeit hatte, so schnell zu fahren, wie es erlaubt war – geschweige denn, dass man die Kraft der über 500 PS auch nur annähernd spüren konnte.
»Warten wir erst mal ab, was Monsieur Marteau dazu sagt!«
7
Obwohl unsere Dienstzeit längst zu Ende war, fuhren wir am Abend noch zurück zur Dienststelle. Monsieur Marteau war wie üblich noch dort. Er war meistens morgens der Erste und abends der Letzte im Büro.
Ich übergab ihm den Umschlag, den Clermont mir überreicht hatte. Er enthielt die Fahrzeugdaten eines Porsche 911 Turbo, Höchstgeschwindigkeit 310 Kilometer.
»Nach Clermonts Angaben ist der Wagen für das Rennen gemeldet und wird von Robert Molvare gefahren – dem Rennsport-Narren unter den Lohnkillern.«
Monsieur Marteau hob die Augenbrauen.
»Dass Robert Molvare ein Autonarr ist, wissen wir ja seit Langem, weshalb sich unsere Innendienstler aus der Fahndungsabteilung auch immer wieder an Händler von Luxus-Sportwagen gewandt haben. Schließlich ist nicht anzunehmen, dass er seine Vorlieben plötzlich aufgegeben hat.«
»Der wird sich seine Luxus-Schlitten über irgendeinen Strohmann besorgen«, meinte François. »In diesem Fall meinte unser Informant zu wissen, dass es einen Sponsor gibt, der ihm den Porsche 911 Turbo für die Teilnahme am Rennen spendiert. An den Unterlagen sieht man ja auch, dass ein paar kleinere Extras eingebaut sind.«
»Aber nichts, was anzeigepflichtig ist!«, erwiderte Monsieur Marteau nach kurzer Durchsicht der Unterlagen. »Wir werden den Killer nicht einfach dadurch in die Finger bekommen, dass wir sämtliche Besitzer dieses Wagentyps kontrollieren.«
»Der Wagen kostet neu um die 120 000 Euro«, sagte François. »Damit ist er nicht so super-exklusiv, dass die geringe Zahl der Besitzer den Wagen leicht identifizierbar macht.«
»Es ist noch nicht einmal gesagt, dass es der einzige 911er ist, der an dem Rennen teilnimmt«, gab ich zu bedenken. »Die Teilnehmerliste ist uns dieser Clermont ja bislang schuldig geblieben.«
»Wir stehen jetzt vor der Frage, ob wir das Rennen schon beim Start abwürgen oder den Start zulassen sollen, um diesen Killer zu fassen«, brachte Monsieur Marteau seinen inneren Zwiespalt auf den Punkt. »Das will wohl abgewogen sein!«
»Wir können den Start nicht verhindern«, erklärte ich unserem Chef und erläuterte ihm die Startmodalitäten. »Andernfalls ginge es vielleicht darum, abzuwägen, was wichtiger ist: Die Allgemeinheit vor einem unkalkulierbaren Risiko durch dieses Rennen zu schützen oder diesen Killer und mit etwas Glück sogar die betrügerischen Hintermänner des Rennens dingfest machen zu können. Aber das ist hier nicht die Alternative. Das Rennen findet auf jeden Fall statt. Wir können schließlich nicht alle Sportwagen, die sich innerhalb der nächsten Zeit in der Nähe des 5. Längengrades aufhalten, stoppen und die Fahrer festnehmen. Dazu fehlt jede rechtliche Handhabe. Davon abgesehen wäre das auch gar nicht durchführbar.«
»Und die Veranstalter des Rennens sähen darin nur eine weitere Schikane, die die Fahrer zu nehmen hätten, so dass der Wetteinsatz etwas spannender würde«, ergänzte François. Er wandte sich an mich. »Ich fürchte, es gibt keine andere Möglichkeit, als dass wir Clermonts Vorschlag folgen und einen Fahrer einschleusen.«
Ich nickte.
»Wenn wir das geschickt anstellen, dann gelingt es uns vielleicht, unterwegs diesen Robert Molvare zu stellen.«
Die Ergreifung eines Killers wie Robert Molvare war es ganz sicher wert, auch den Sportwagen aufs Spiel zu setzen. Und vielleicht kam man ja auch an die Hintermänner des Großen France-Frénétique heran, für die das Ganze einfach nur ein mörderisch gutes Geschäft war…
»Das Risiko ist erheblich, Pierre«, gab Monsieur Marteau zu bedenken. »Dass dieser Robert Molvare – oder wie immer er sich im Moment auch nennen mag, sofort schießt, wenn er glaubt, dass ihm jemand auf den Fersen ist, brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen! Aber es gibt noch eine andere Gefahr, die Sie nicht unterschätzen sollten! Die Organisatoren des Rennens sind durch den GPS-Sender jederzeit über Ihre Position unterrichtet. Wenn unser Informant ein doppeltes Spiel spielt oder von seinen Leuten einfach nur mal richtig in die Mangel genommen wird und seine Zusammenarbeit mit uns gesteht, dann sind Sie in akuter Gefahr. Die können in aller Ruhe einen Lohnkiller auf Sie lauern lassen!«
»Andererseits ist es vielleicht möglich, über einen dieser GPS-Empfänger an die Hintermänner heranzukommen«, erwiderte ich.
Monsieur Marteau hob die Schultern.
»Ob es technisch möglich ist, die Signale zu verfolgen, kann sich erst erweisen, wenn wir eines dieser Geräte in den Fingern haben und untersuchen können.«
»Aber diese Sender bekommen nur die Fahrer!«, sagte ich. »Also bin ich dafür, es zu wagen.«
Monsieur Marteau kratzte sich am Kinn. »Ich habe heute Abend noch einen Termin mit einem Staatsanwalt. Bevor man so eine Aktion in Angriff nimmt, müssen wir uns absichern. Ich hoffe, dass ich Ihnen morgen früh näheres sagen kann.«
8
Monsieur Marteau sorgte dafür, dass die Operation auf allen Ebenen grünes Licht bekam. Wir brauchten neben dem Okay der Justiz vor allem auch die Unterstützung der örtlichen Polizeibehörden, mit denen wir über unser Büro in ständigem Kontakt bleiben würden. Vor allem musste genehmigt werden, dass das Bundeskriminalamt das fällige Startgeld vorstreckte.
Zwei Tage nach dem ersten Treffen mit Clermont kam es zu einer weiteren Verabredung mit unserem Informanten. Diesmal trafen wir uns in der Nähe vom Landhaus Waltiere im Parc de la Ville.
»Was ist mit der Liste der Teilnehmer?«, fragte ich.
»Da werden Sie sich noch etwas gedulden müssen.«
»Langsam weiß ich nicht, was diese Hinhalterei soll und ob das Ganze nicht vielleicht nur eine große Luftblase ist, die Sie uns da präsentieren«, konnte ich meine Enttäuschung nicht verbergen.
»Hören Sie, Monsieur Marquanteur, ich muss extrem vorsichtig sein!«
»Konnten Sie wenigstens noch etwas mehr über Robert Molvare erfahren?«
»Nein. Ich fürchte, mit den Angaben, die ich Ihnen gegeben habe, werden Sie auskommen müssen. Aber ich habe inzwischen mit ein paar Leuten über Ihre Teilnahme an dem Rennen geredet. Ich nehme an, Ihr Partner ist als Beifahrer dabei?«
Ich nickte.
»Ja, so hatten wir uns das gedacht.«
»Sie werden unter Ihrem richtigen Namen an dem Rennen teilnehmen. Die entscheidenden Personen wissen, dass Sie Polizist sind. Sie sehen darin einen zusätzlichen Reiz für das Publikum.«
Ich starrte Clermont an wie einen Geist.
Wollte der Kerl die ganze Operation schon zum Scheitern bringen, noch ehe sie begonnen hatte? Ich glaubte mich verhört zu haben.
»Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!«, stieß ich hervor.
»Irrtum, Monsieur Marquanteur! Das musste sein. Ihr Wagen ist so individuell, dass die Leute, mit denen ich zu tun habe, Ihre Identität ohnehin im Handumdrehen ermitteln könnten. Ich deutete ja bereits an, wie weit deren Arm reicht. Nein, Sie treten dort als Pierre Marquanteur an, ein Polizeibeamter, der neben seinem langweiligen Beamten-Job im Dienst der Gerechtigkeit noch ein paar verborgene dunkle Leidenschaften hat, die mit Benzin und PS zu tun haben. Außerdem habe ich erzählt, dass die Anschaffung des Sportwagens Sie hoch verschuldet hat und Sie dringend Geld brauchen. Die Story passt zu Ihnen und Ihrem Wagen. Sehen Sie nur zu, dass Ihre Dienststelle nicht irgendwelche groß angelegten und möglicherweise auffälligen Begleitaktionen veranstaltet, so dass man auf die Idee kommt, Sie wären im dienstlichen Auftrag dabei! Außerdem brauche ich Ihre private Handynummer.«
Ich gab ihm meine Karte.
»Wie geht es dann weiter?«
»Sie überweisen das Startgeld auf ein Schweizer Bankkonto. Sind die vierzigtausend Euro ein Problem für Sie?«
»Nein.«
»Gut. Bevor das nicht überwiesen ist, läuft nämlich nichts.«
»Verstehe!«
»Sie werden dann in den nächsten Tagen einen Anruf erhalten. Ein Mittelsmann wird ein Treffen mit Ihnen vereinbaren, auf dem Sie den GPS-Sender und die Start-Daten des Rennens bekommen. Das war es dann.«
Er drehte sich um, beobachtete einige Augenblicke lang ein Pärchen am Seeufer, das aus irgendeinem Grund sein Misstrauen erweckt hatte und wirkte insgesamt ziemlich hektisch.
»Wann bekommen wir die Teilnehmer-Liste?«, hakte François nach. »Sie hatten sie uns versprochen.«
»Was brauchen Sie noch die Liste?«, fragte er. »Sie können das Rennen nicht mehr stoppen, weil Sie doch Robert Molvare einfangen wollen.«
»Also war alles nur Gerede!«, stellte ich fest. »Die Liste ist für uns auch ein Zeichen dafür, ob wir Ihnen trauen können oder nicht. Im Übrigen brauchen wir sie, um gegen die Teilnehmer juristisch vorgehen zu können, sobald wir Molvare haben.«
Er verzog das Gesicht.
»Sie sind ein Optimist, Monsieur Marquanteur!« Er lachte kurz auf. »Übermorgen. Versprochen! Aber so lange brauche ich noch.«
»Und was ist mit den Namen von Hintermännern?«, ließ ich ihn gar nicht erst zur Ruhe kommen.
»Die 'Ndrangheta will hundert Millionen waschen, wie ich gehört habe.« Er warf uns einen Brocken hin, ohne uns wirklich etwas Substanzielles mitzuteilen, begriff ich.
»Was ist mit dem Hotel, in dem die große Wettparty stattfindet? Können Sie uns darüber inzwischen etwas mehr sagen?«, mischte sich François ein.
Er seufzte hörbar.
»Ich weiß inzwischen, dass es sich innerhalb Frankreichs befindet. Mehr kann ich Ihnen vielleicht übermorgen sagen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«
Er hatte es ziemlich eilig, uns zu verlassen. Ich sah ihm noch eine Weile nach. Er lief einem Skateboardfahrer in den Weg und sprang im letzten Moment zur Seite.
»Was spielt der Mann für ein Spiel?«, fragte François.
»Keine Ahnung. Aber allein die Chance, einen Killer wie Robert Molvare aus dem Verkehr zu ziehen, ist es schon wert, sich darauf einzulassen.«
9
Der Anruf erfolgte mitten in der Nacht. Es war zwei Uhr, als das Handy klingelte. Ich nahm den Apparat ans Ohr und fragte »Ja?«, während ich mich verzweifelt bemühte, schnell genug wach zu werden, um alles zu verstehen, was mir der Gesprächspartner an der anderen Seite der Verbindung zu sagen hatte.
»Pierre Marquanteur?«
»Am Apparat.«
»Kommen Sie in die CHAUD ET PIQUANT Filiale in Allauch.«
»Wann?«
»Jetzt sofort! Fahren Sie jetzt los, rufen Sie niemanden an, kommen Sie allein!«
»Was ist mit meinem Beifahrer?«
»Den brauchen wir dabei nicht.«
Es machte klick. Das Gespräch war beendet.
Ich zog mich schnell an und setzte mich in den Wagen. Dann fuhr ich Richtung Norden. Marseille nennt man zu Recht die Stadt, die stets aktiv ist. Aber morgens um zwei Uhr ist der Verkehr wenigstens erträglich, und sofern nicht irgendwo eine Großbaustelle ist, muss man um diese Uhrzeit auch nicht mit einem der gefürchteten Staus rechnen.
Zwanzig Minuten später erreichte ich Allauch, ein Stadtteil Marseilles.
CHAUD ET PIQUANT war eine Kette von Fast Food Läden.
Die Filiale von Allauch lag in einem etwas heruntergekommenen Ende des Stadtteils, der gerade einer gründlichen Sanierung unterzogen wurde. Die Eröffnung des CHAUD ET PIQUANT war somit sicherlich eine Investition in die Zukunft.
Ich stellte den Wagen in einer Nebenstraße ab und aktivierte dann den Rechner auf der Mittelkonsole. Der TFT-Bildschirm leuchtete auf. Ich bekam eine Verbindung ins Netz und sandte eine kurze Mail an François und an unser Büro, in dem ich meinen Aufenthaltsort mitteilte. Sicherheitshalber!
Dann stieg ich aus.
Soweit ich das mitbekommen hatte, war ich nicht verfolgt worden.
Die letzten fünf Minuten bis zur CHAUD ET PIQUANT Filiale ging ich zu Fuß.
Das Schnellrestaurant hatte rund um die Uhr geöffnet. Vierundzwanzig Stunden Nonstop. Aber als ich eintrat, waren kaum Gäste dort, und ich fragte mich, ob sich das für den Franchise-Nehmer eigentlich rechnete.
Hinter dem Tresen stand ein stämmiger Mann mit dunklem Oberlippenbart und Halbglatze.
Ich ging an ihm vorbei bis in die hinterste Ecke des CHAUD ET PIQUANT. Das Mobiliar war weiß und leicht zu reinigen. Es erinnerte mich immer ein bisschen an die Einrichtung einer Klinik.
An einem Tisch saß ein Mann, der ganz sicher nicht zur typischen Stammkundschaft eines CHAUD ET PIQUANT Restaurants gehörte. Er trug einen grauen Dreiteiler, war Mitte fünfzig und hatte ein Gesicht, das wie aus Stein gemeißelt wirkte. Harte Linien, von denen mindestens drei Viertel nach unten ausgerichtet waren.
Er sah mich auf eine Weise an, die mir sofort klar machte, dass er auf mich wartete.
»Haben wir gerade telefoniert?«, fragte ich.
»Sie sind Marquanteur«, stellte er fest.
»Ja.«
»Setzen Sie sich!«
Ich ließ mich ihm gegenüber nieder. Er schob mir einen Umschlag über den Tisch.
»Ich nehme an, das ist der GPS-Empfänger«, vermutete ich. »Sie sollen mich einweisen, wie er benutzt wird.«
»Das ist nicht nötig. Das Gerät ist aktiviert. Sie können daran nicht herummanipulieren. Von nun an werden Sie es ständig in Ihrem Wagen aufbewahren.«
»Was ist mit dem Starttermin?«
»Die Daten – auch zwischenzeitliche Änderungen – werden Ihnen auf das GPS-Gerät überspielt und angezeigt – exakt vierundzwanzig Stunden vor dem Zeitpunkt, an dem Sie den 5. Längengrad östlich und dann in Richtung Norden überschreiten dürfen!«
Der Mann im grauen Dreiteiler erhob sich.
»Leben Sie wohl und viel Glück beim Rennen, Monsieur Marquanteur! Ach ja, ich hoffe, Sie wissen, dass Sie sich durch die Überweisung des Startgeldes strafbar gemacht haben und dass Ihre Karriere bei der Kriminalpolizei ein jähes Ende findet, wenn Ihre Teilnahme bekannt wird.«
»Ich bin nicht so eitel, dass ich einen Hubschrauberpiloten engagiere, der mich filmt und anschließend die Bilder ins Internet setze.«
Der Mann im grauen Dreiteiler lächelte flüchtig.
»Das können Sie ruhig tun, Monsieur Marquanteur. Allerdings auf eigene Gefahr! Im Endeffekt vergrößert das nur den Nimbus, den der Große France-Frénétique bekommt.«
»Mag sein.«
»Klüger ist es allerdings, einen Helikopter-Piloten zu engagieren, der die Strecke abfliegt und einen vor der Autobahnpolizei warnt. Ich kenne da ein paar Leute, die so etwas für 500 Euro die Stunde aufwärts anbieten.«
»Nein danke, ich komme schon klar.«
»Wie Sie meinen, Monsieur Marquanteur.«
Mit diesen Worten ließ er mich sitzen, ging zur Tür und verließ das CHAUD ET PIQUANT.
10
Am nächsten Morgen machte mich Melanies Kaffee wieder einigermaßen wach. Der GPS-Sender, den ich bekommen hatte, war eine Sonderanfertigung ohne jegliche Tastatur. Das Gerät war aktiviert. Auf einem Display wurde jeweils die genaue Position angegeben, so dass man sich dem 5. Längengrad bis auf ein paar Meter nähern konnte, wenn man das wollte. Unseren Spezialisten war es leider unmöglich, das Gerät zu öffnen und einer genauen Analyse zuzuführen. Das hätte wahrscheinlich das Ende meiner Teilnahme am Rennen bedeutet und wäre von den Organisatoren sofort bemerkt worden.
Nachdem ich François morgens an der bekannten Ecke abgeholt hatte und zur Dienststelle gefahren war, hatte ich den Wagen in der zum Präsidium gehörenden Tiefgarage abgestellt. Ich war zwar überzeugt davon, dass die Organisatoren des Rennens jede meiner Fahrten von nun an genauestens verfolgten, aber ich entschied, dass alles, was von meinen bisherigen Gewohnheiten abwich, gefährlich werden konnte und ihnen vielleicht auffiel. In der Tiefgarage hatten unsere Spezialisten zumindest die Gelegenheit, ein paar Untersuchungen an dem Gerät durchzuführen, es zu durchleuchten und die elektromagnetische Signatur aufzuzeichnen.
Ob sich das von dem Gerät ausgehende Signal tatsächlich zurückverfolgen ließ, stand noch nicht fest.
Etwa um zehn Uhr morgens meldete sich Clermont bei mir.
»Ich habe jetzt die Liste der Teilnehmer«, behauptete er. »Außerdem eine Liste von Marseiller Unterweltgrößen, die in den mit dem Rennen zusammenhängenden Wettbetrug mit drin hängen.«
»Großartig. Darauf warten wir ja auch schon eine ganze Weile. Vielleicht wäre es besser, wenn Kollegen sich mit Ihnen treffen – ich meine in Anbetracht der Tatsache, dass ich jederzeit damit rechnen muss, beim France-Frénétique zu starten …«
»Nein, ich will, dass Sie zum Treffpunkt kommen, Marquanteur. Ich will kein Risiko eingehen!«
Das Risiko soll dann wohl lieber ich tragen, ging es mir etwas ärgerlich durch den Kopf. Andererseits war die Liste der Teilnehmer des France-Frénétique so wichtig, dass man dafür schon einiges riskieren konnte.
»Wo und wann?«, fragte ich.
»Parc de la Ville, am Parkplatz zum Imbiss, heute zwei Uhr am Nachmittag. Seien Sie pünktlich! Ich werde nicht warten.«
Das Gespräch wurde unterbrochen.
11
Alexandre Clermont bewohnte ein Penthouse am Ende der Rue Elizabeth. Das Gebäude war eines der wenigen Apartmenthäuser in dieser Gegend, hatte zwanzig Stockwerke und eine Tiefgarage, die allen Bewohnern einen Parkplatz garantierte. Das »Rolling Bones«, der Club, den Clermont betrieb, war nur gut hundert Meter entfernt.
Er nahm den Lift in die Tiefgarage und blickte nervös auf die Uhr.
Er lag in der Zeit.
Unter dem linken Arm klemmte eine dünne Aktentasche.
Clermont lockerte seine Krawatte. Ihm war plötzlich warm geworden. Das Innere von Liftkabinen erweckte in ihm immer leichte Gefühle von Klaustrophobie. Aber Treppen zu steigen war keine Alternative, die er ernsthaft erwog. Dazu war sein Terminkalender schlicht und ergreifend zu voll – und seine Kondition zu schlecht.
Clermont erreichte das Parkdeck, war froh, die Liftkabine verlassen zu können und ging mit weiten, raumgreifenden Schritten auf seinen Wagen zu. Einen Mercedes.
Er öffnete und setzte sich ans Steuer. Ein Mann trat hinter einem der Betonpfeiler hervor. Er musste dort gewartet haben. Er trug einen grauen Dreiteiler sowie einen dünnen Regenmantel. Und schwarze Lederhandschuhe. Er riss die Tür auf und setzte sich neben Clermont auf den Beifahrersitz.
Clermont saß wie erstarrt hinter dem Lenkrad.
»Hi, Charles!«, murmelte er. »Um ehrlich zu sein …«
»… hattest du mit mir nicht gerechnet«, sagte der Mann im grauen Anzug. Er verzog das Gesicht, das wie aus Stein gemeißelt wirkte und durch zahllose harte Linien gezeichnet wurde.
»Ich habe einen dringenden Termin, Charles.«
»Den du leider nicht wahrnehmen kannst!«
Charles‘ Hand steckte in der rechten Tasche des dünnen Regenmantels. Er hob sie leicht an. Etwas wölbte sich unter dem dünnen Mantelstoff hervor.
»Ich habe hier eine Waffe mit Schalldämpfer«, stellte Charles fest. Seine Stimme klang wie klirrendes Eis. »Mach den Motor an, fahr los und tu genau, was ich dir sage!«
Clermont schluckte.
»Hör mal, Charles, ich weiß nicht, was das jetzt soll …«
»Los jetzt!«
Clermont startete den Wagen und fuhr aus dem Parkhaus. Anschließend folgte er dem Einbahnverkehr auf der Rue Elizabeth, ehe es schließlich Richtung Osten ging.
Etwa eine halbe Stunde später durchquerten sie Marseille und erreichten schließlich einen östlich gelegenen Stadtteil.
Charles befahl Clermont auf ein brachliegendes Industriegelände am Rande des Ortes zu fahren. Mehrere Werkshallen standen hier nebeneinander, aber produziert wurde dort schon lange nichts mehr. Ein Zulieferer der chemischen Industrie, der Werkstoffe zum Korrosionsschutz gefertigt hatte, war bankrott gegangen und jetzt stritten die Rechtsnachfolger und die Behörden der Stadt darüber, wer für die Kosten der Altlastensanierung aufzukommen hatte. Bis das nicht geklärt war, würde sich hier nichts mehr bewegen.
Hinweisschilder untersagten das Betreten des Grundstücks und wiesen jeden, der es doch tat, auf die Gefahren hin.
Charles ließ Clermont vor die dritte Halle fahren und aussteigen. Clermont gehorchte zögernd. Charles nahm unterdessen die Aktentasche mit, die Clermont auf den Rücksitz geworfen hatte, als er eingestiegen war.
Charles öffnete die Tasche. Er zog einen Computerausdruck heraus. Ein Datenträger fand sich auch.
»Wirklich sehr interessant«, sagte Charles. »Wer hätte gedacht, dass du ein Verräter bist?«
»Charles, das sieht nur so aus, aber ich kann das alles erklären!«
»Weißt du was? Wir beobachten dich schon eine ganze Weile. Und eigentlich interessiert es niemanden in der Organisation noch, welche Gründe du vielleicht vorbringst. Das Problem ist einfach, dass mit dir niemand mehr Geschäfte machen will, weil du einfach allen zu sehr auf die Nerven gehst und sie es sich nicht leisten können, sich selbst in Gefahr zu bringen.«
Clermont schluckte. Er wich einen Schritt zurück. Einen Augenblick lang erwog er, einfach wegzulaufen. Aber er sah ein, dass er keine Chance hatte. Sein Gegenüber war zu dicht an ihm dran. Es war kaum denkbar, dass Charles daneben schoss.
»Welche Chance habe ich noch?«
»Hängt von den Antworten ab, die ich von dir kriege«, sagte Charles.
»Ich sag dir alles, was du willst.«
»Zunächst mal möchte ich wissen, wer die Liste der Rennteilnehmer bekommen sollte?«
»Niemand! Keine Ahnung, ich …« Er stammelte vor sich hin und bekam nicht einen einzigen verständlichen Satz auf die Reihe.
»War es dieser Marquanteur?«, fragte Charles.
»Charles, du kennst mich!«
Charles zog die Waffe aus der Manteltasche, richtete sie auf Clermont und feuerte. Das Geräusch glich einem kräftigen Niesen. Clermonts Schrei war wesentlich lauter – aber auch den würde hier niemand hören. Clermont griff sich an den Arm. Charles‘ Pistolenlauf mit dem aufgesetzten Schalldämpfer glitt tiefer. Ein weiterer Schuss folgte und traf Clermont im Oberschenkel. Das Hosenbein verfärbte sich blutrot. Clermont versuchte, die Blutung zu stillen und taumelte rückwärts. Er strauchelte zu Boden und blickte Charles mit Angst geweiteten Augen an.
»Ich bin gespannt, wie viel Blei du brauchst, um mir vernünftige Antworten zu geben!« Charles trat näher und achtete peinlich genau darauf, nicht in die Blutflecken zu treten, die sich am Boden bereits gebildet hatten. Clermont kroch vor seinem Peiniger ein paar Meter davon. Charles folgte ihm und richtete erneut die Waffe auf den am Boden Liegenden. »Ich will jetzt wissen, ob dieser Marquanteur gegen uns ermittelt, und was er weiß!«
»Er weiß nichts!«, zeterte Clermont.
»Aber es stimmt, dass er sich nicht einfach so aus Freude an seinem Wagen für das Rennen gemeldet hat.«
»Ja«, keuchte Clermont. »Was willst du machen? Das Rennen vielleicht absagen?«
»Nein. Das ist eines von den Dingen, die unter keinen Umständen passieren werden«, erklärte Charles. »Wir regeln das auf unsere Weise.« Charles atmete tief durch. Sein Mund verzog sich dabei. Er richtete die Waffe jetzt auf Clermont Kopf und feuerte zweimal kurz hintereinander. Wie rote Drachenzungen leckte das Mündungsfeuer aus der vorderen Öffnung des Schalldämpfers heraus. Ein Geräusch, das wie zwei kurz hintereinander ausgeführte Schläge mit einer zusammengerollten Zeitung klang, ertönte. Auf Clermonts Stirn bildeten sich zwei kleine rote Löcher dicht nebeneinander. Er sackte in sich zusammen, und eine Blutlache begann sich auf den Asphalt vor der dritten Werkshalle zu ergießen.
12
Um zum Parc de la Ville zu fahren, benutzten François und ich einen unscheinbaren Renault aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft. Schließlich hätte die Gegenseite den Weg des Wagens mit Hilfe des GPS-Gerätes jederzeit verfolgen können, und außerdem wollten wir unseren Spezialisten noch die Gelegenheit geben, vielleicht doch noch das eine oder andere über das Innenleben des Apparates herauszufinden.
Wir waren pünktlich am angegebenen Treffpunkt.
Es war ein freundlicher, sonniger Tag. Es wehte ein kräftiger, kühler Wind.
Es wurde zwei Uhr, aber Clermont tauchte nicht auf.
Wir warteten eine halbe Stunde, ohne dass er eintraf. Ich rief die Nummer des Prepaid-Handys zurück, mit dem er mich immer angerufen hatte. Es meldete sich lediglich eine lapidare Ansage. Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.
»Wenn du mich fragst, ist das kein gutes Zeichen, Pierre«, lautete François‘ Kommentar.
Auch am folgenden Tag hörten wir nichts von Clermont. Offen ermitteln konnten wir in der Sache nicht. Dann wäre die ganze Operation, durch die wir Robert Molvare fassen wollten, in Gefahr geraten. Es wäre einfach aufgefallen, wenn sich plötzlich Polizeibeamte in seinem Club Rolling Bones getummelt hätten.
»Möglich, dass diesem Clermont der Boden einfach zu heiß wurde und er sich aus dem Staub gemacht hat«, lautete Stéphanes Vermutung, als wir uns später in Monsieur Marteaus Büro zur Besprechung trafen.
»Jedenfalls war der Club Rolling Bones gestern Abend geschlossen«, stellte Boubou fest. »Und ich bin gespannt, ob er je wieder aufmacht.«
»Die Frage ist einfach, ob wir die ganze Aktion jetzt abbrechen«, meinte Monsieur Marteau.
»Und uns damit die Chance entgehen lassen, Robert Molvare endlich das Handwerk zu legen?«, fragte ich und schüttelte den Kopf. »Ich bin für das Rennen als Fahrer gemeldet, jetzt ziehen wir das Ganze auch durch.«
»Je nachdem, was unserem Informanten zugestoßen ist, könnte sich Ihr Risiko dadurch sehr erhöhen, Pierre«, gab Monsieur Marteau zu bedenken. »Angenommen, jemand hat aus Clermont alles über seine Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei herausgequetscht. Dann ist dabei auch Ihr Name gefallen.«
»Aber das Risiko nehme ich auf mich«, entschied ich und wandte mich an François. »Es sei denn, mein Beifahrer ist nicht mehr dabei.«
Am Abend bekam ich die Startzeit auf den GPS-Empfänger. Ab 12 Uhr mittags am Tag darauf durfte ich mit dem Sportwagen den 5. Längengrad überfahren.
Dieser Längengrad durchschnitt Marseille Innenstadt. François und ich hatten uns natürlich längst mit Hilfe des im Wagen installierten Navigationssystems eine Route nach Dijon angeben lassen.
Wir fuhren aber zunächst über die Brücke auf der A 5 und folgten der Autobahn. Von dort musste es später in Richtung Norden gehen.
So dachten wir.
Da man auf einer Autobahn nicht einfach stehenbleiben darf, verbrachten wir die letzten anderthalb Stunden auf einem Parkplatz, der sich etwa einen Kilometer südlich von Marseille befand.
Wir stiegen aus, um uns noch mal kurz die Beine zu vertreten.
Gleich mehrere Sportwagen, die von ihren technischen Daten her für eine Teilnahme am France-Frénétique geeignet gewesen wären, befanden sich auf dem Parkplatz. Zwei Ferraris – einer in rot und einer in gelb –, ein Lamborghini, ein Maserati und ein Porsche 911 Turbo.
Allerdings sah der Fahrer von Letzterem vollkommen anders aus als die Fahndungsfotos, die von Robert Molvare existierten. Da die letzten Fotos, die wir von dem Killer hatten, von einer Verhaftung stammten, die ihn in einem Alter von zweiundzwanzig erwischt hatte, besaßen wir Aufnahmen, die unser Zeichner Commissaire Perouche künstlich hatte altern lassen.
Robert Molvare war jetzt dreiundvierzig Jahre alt.
Der Kerl im Porsche allerdings nicht. Selbst eine Theatermaske hätte ihn so nicht verändern können. Er hatte rotes Haar, Sommersprossen, war keine dreißig und vor allem einen ganzen Kopf kleiner, als die Unterlagen es von Robert Molvare behaupteten.
»Jetzt sag nur noch einer, dass dieses Sportwagentreffen unweit des 5. Längengrades reiner Zufall ist, Pierre!«, meldete sich François zu Wort.
Ich grinste.
»Wahrscheinlich sieht es an einem guten Dutzend anderen Autobahn-Parkplätzen in der Nähe der Startlinie ebenso aus.«
Da ja nicht an einem bestimmten Ort, sondern an einem besonderen Punkt des Längengrades gestartet wurde, gab es auch andere Routen, die ebenso günstig sein konnten. Aber später würden wohl alle Teilnehmer dieselbe Autobahn benutzen, denn von da an war es ziemlich eindeutig, woher man fahren musste. Die A 51 zog sich fast gerade durch Frankreich. Und das Netz der ausgebauten Autobahnen war so dünn, dass sich der Weg von selbst ergab und es eigentliche keine Alternativen gab. Wir hatten einen Weg vor uns, der nach Berechnungen unseres Navigationssystems mehr als 500 Kilometer bis nach Dijon betrug, wozu man eine reine Fahrzeit von circa sechs Stunden benötigte.
Dass es viel mehr werden würde, ahnten wir zu dieser Zeit noch nicht.
Ich sah auf die Uhr.
»Wetten, wenn der Erste in den Wagen springt und losrast, werden ihm die anderen sofort folgen?«, fragte ich.
François zuckte mit den Schultern.
»Soll mir gleichgültig sein.«
»Vielleicht disqualifizieren sich ja gleich ein paar von ihnen, weil sie übereifrig sind und die Startlinie vor der Zeit überschreiten.«
»Glaube ich – ehrlich gesagt – nicht, Pierre.«
»Ach nein?«
»Die sehen alle ziemlich abgebrüht aus. Auch der Kerl mit dem Porsche – obwohl er noch so jung ist.«
Der Fahrer des gelben Ferrari kam auf François und mich zu. Er grüßte leger und deutete auf den Sportwagen.
»Ein feiner Wagen!«
»Danke!«
»Aber für so was wie den France-Frénétique vollkommen ungeeignet. Ich habe schon den Gumball 3000 mitgemacht. Außerdem den Australian Gumball und den Classic Frénétique von Marseille nach Reims, und ich sage euch, mit dieser Karre kommt ihr nicht weit.« Er trat gegen den hinteren linken Reifen. »Muss ein Schweinegeld gekostet haben …«
»Lass uns einfach abwarten, wer von allen als Erster in Dijon und danach wieder in Marseille ist«, sagte ich.
Ich war nämlich nicht auf Streit aus, und dieser Kerl schien einfach nur seine innere Anspannung irgendwie loswerden zu müssen.
»Nichts für ungut«, erwiderte er und ging zu seinem Partner zurück, mit dem er noch ein paar abfällige Bemerkungen über die Wagen der anderen austauschte.
Dann ging es endlich los.
Der gelbe Lamborghini machte den Anfang. Wir fuhren auch los. Es war schon eigenartig zu sehen, wie sich eine auffällige Ansammlung hochwertiger Sportwagen mit der Mindestgeschwindigkeit fortbewegte, obwohl die Autobahn gut ausgebaut und zu dieser Tageszeit und an diesem Abschnitt wenig frequentiert war. Aber natürlich wollte niemand den 5. Längengrad überschreiten, bevor es an der Zeit war.
Das GPS-Gerät, das wir bekommen hatten, zeigte uns jeweils im Takt von einer halben Minute unsere gegenwärtige Position an. Wir näherten uns der fraglichen Linie.
Der rote Ferrari überholte uns, war aber anschließend gezwungen, dafür umso langsamer zu fahren, um nicht disqualifiziert zu werden.
Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich immer wieder auf die Uhr schaute.
»Es ist zwölf Uhr, Pierre!«, stellte François schließlich fest. »Und hier etwa muss die Startlinie verlaufen.«
Die Fahrer des roten und des gelben Ferrari schienen das genauso zu beurteilen, denn sie traten plötzlich in die Eisen und brausten los.
Die einzigen Fahrtunterbrechungen, mit denen wir rechnen mussten, waren die Stopps zum Tanken.
»Na los, Pierre, jetzt versuch mal mit der Konkurrenz Schritt zu halten!«, stichelte François.
Ich beschleunigte und blieb an der Gruppe dran. Der Porsche mit dem auffallend jungen Fahrerteam brauste an uns vorbei. Der Beifahrer machte ein paar provozierende Gesten in unsere Richtung. Da die Straße ziemlich frei war, beschleunigte er auf Höchstgeschwindigkeit. Wie ein Geschoss raste der Porsche Richtung Norden und verschwand bald hinter dem Horizont.
»Haben wir da einen der Favoriten gesehen?«, fragte François.
»Abwarten, François!«
»Dass das schöne Wort, dass die Ersten die Letzten sein werden, hier gilt, glaube ich nicht.«
Wir brauchten allerdings nur bis zur ersten Raststätte zu warten, um es doch bestätigt zu finden. Das junge Porsche-Team war von Beamten der Autobahnpolizei herausgefischt worden. Jetzt standen sie auf dem Seitenstreifen und führten eine gestenreiche, aber völlig sinnlose Diskussion mit den Ordnungshütern, während wir weiterfahren konnten.
13
Eric Patisse blickte auf die große Halle mit der überdimensionalen Großleinwand, auf dem eine riesige Karte von Frankreich zu sehen war. Außerdem waren deutlich die beiden Längengrade markiert, die die Start- und Ziellinien in diesem Rennen der Superlative darstellten.
Dreihundert handverlesene Teilnehmer nahmen an diesem Rennen teil. Eine gewisse Hürde, um die Spreu vom Weizen zu trennen, stellte natürlich das Startgeld dar, aber es hatte weitaus mehr Bewerber gegeben, als zugelassen werden konnten. Das Auswahlkriterium war in erster Linie der Wagen. Eric Patisse wusste, was sein exklusives und in jeder Hinsicht verwöhntes Publikum wollte. Gerade die zahlungskräftigen Gäste aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien waren Autonarren und hatten ein Faible für leistungsstarke und stilechte Wagen. Sie wollten Duelle zwischen interessanten Fahrzeugen sehen – und kein Teilnehmerfeld, das aus einem Einheitsbrei von immer denselben Fahrzeugtypen bestand.
Das Salz in der Suppe waren für Patisse getunte Fahrzeuge, über deren Eigenschaften es letztlich keine verlässlichen Daten gab. Jeder dieser Wagen verfügte über vollkommen individuelle Stärken und Schwächen, die sich erst im Verlauf des Rennens wirklich erweisen konnten. Also war Patisse immer darauf aus, dass immer ein Teil der teilnehmenden Fahrzeuge aus dieser Gruppe rekrutiert wurde – was nicht ganz einfach war.
Die Ferrari- oder Porsche-Gemeinde war viel zahlreicher, und so gab es für manche Fahrzeugtypen bereits eine Warteliste.
Denn dass dieser France-Frénétique nicht der letzte seiner Art sein würde, das hatte für Eric Patisse schon im Lauf der Vorarbeiten bei der Organisation des Rennens festgestanden. Das Wettinteresse war so immens, dass man einfach weitermachen musste. Diese Geldquelle schien so schnell nicht zu versiegen, und Patisse sah sich bereits im Besitz eines gigantischen Vermögens.
Ein stilles Lächeln erschien um die dünnen Lippen des hageren Mannes, der die Vierzig gerade überschritten hatte. Die hohe Stirn, die graue Haut und das sehr knochige Gesicht ließen ihn allerdings zehn Jahre älter erscheinen. Dazu kam ein harter Gesichtsausdruck, der kompromisslose Entschlossenheit verriet. Wenn Eric Patisse sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann führte er dies auch durch.
Für nur zwei Tage war die Dauer dieser Veranstaltung angesetzt. Eine Nonstop-Party, für die die Jet Set-Gäste aus aller Welt eingeflogen wurden.
Wer wollte, konnte sich zwischendurch auf eines der Zimmer begeben, um zu schlafen. Wenn man sich an die Verkehrsregeln hielt, konnte man die Strecke an einem Tag Nonstop-Fahrt inklusive den nötigen Stopps zum Tanken schaffen. Aber für den France-Frénétique rechnete Patisse mit einer Zeit, die weit darunter lag.
Alles, was wesentlich über zehn Stunden lag, kam einer Rufschädigung des Rennens gleich!
Vor allem die ersten vierhundert Kilometer waren schwierig. Eine hohe Polizeidichte verhinderte, dass es richtig zur Sache gehen konnte. Aber dafür war es später möglich, dass die Fahrzeuge so richtig zeigen konnten, was unter ihren Motorhauben steckte.
Patisse zündete sich eine Zigarre an.
Mit der Havanna zwischen den Lippen stützte er sich auf den Handlauf der Balustrade und blickte hinab in den Saal. Alle schienen sich gut bei Kaviar und Champagner zu amüsieren. Noch bildeten die Markierungen für die teilnehmenden Fahrzeuge auf der Leinwand kleine Knotenpunkte, die immer dort entstanden, wo eine Autobahn den 5. Längengrad schnitt. Jeder dieser Punkte war mit einer Startnummer versehen, so dass alle im Saal mitverfolgen konnten, an welcher Position sich ihr Geheimfavorit gerade befand. Außerdem wurde natürlich eine regelmäßig aktualisierte Rangfolge eingeblendet. Unten an den Tischen gab es Computerterminals, auf denen weitere Einzelheiten abrufbar waren.
Wer sich noch im letzten Moment dazu entschließen wollte, eine Wette einzugehen, konnte das online erledigen. Die Quoten wurden auf einem Leuchtband eingeblendet.
Aber es würde nicht lange dauern, bis sich das Feld ein wenig auseinander dividierte und sich die ersten Favoriten herauskristallisierten.
»Hallo, wie geht’s?«, rief hinter ihm jemand.
Patisse drehte sich um.
Zwei Männer, die sich wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sahen, kamen auf ihn zu. Sie trugen Smoking, waren etwa dreißig Jahre alt, hatten dunkles, leicht gelocktes Haar und dunkle Augen. Ihre Gestik war sehr ausgeprägt.
Bei ihnen war noch ein dritter Mann, mindestens zwanzig Jahre älter und grauhaarig – aber die charakteristischen Einzelheiten des Gesichts verrieten die Verwandtschaft.
Patisse runzelte die Stirn. Einer der Zwillinge schlug ihm auf die Schulter.
»Was ist? Erinnern Sie sich nicht mehr an uns? Marseille … Toni und Maurizio Gennaro! Na, klingelt es wieder? So viele Zwillinge gibt es in der Welt des Big Business nun auch nicht, oder?«
»Ich erinnere mich noch sehr gut an Sie«, sagte Patisse leicht überrumpelt. »Auch wenn ich jetzt beim besten Willen nicht mehr sagen könnte, wer von Ihnen nun Maurizio und wer Toni ist.«
»Ich bin Maurizio und er ist Toni! Ist doch ganz einfach. Jedenfalls für mich, weil ich weiß, dass ich Toni bin!« Er lachte laut und