Im Vertrauen wunderbar geborgen: Meine Sehnsucht nach Licht
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Brunhilde Schierl
Brunhilde Schierl, geb. 1951, Mutter von vier erwachsenen Töchtern. Von Jugend an ehrenamtlich tätig, widmete sich lange der Obdachlosenarbeit, sowie der Schuldnerberatung. Die Justizsekretärin engagierte sich auch in der Seelsorge.
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Buchvorschau
Im Vertrauen wunderbar geborgen - Brunhilde Schierl
Inhalt
Gott
Vorwort
Einleitung
Teil 1Friedenspilgerin
Kindheit, Jugend und der Weg zum Erwachsenwerden
Urlaub in Dänemark
Teil 2Begegnung mit Robert – Rückblick in das Jahr 1994
Teil 3Aufbruch ohne Geld
Meine innere Stimme
Teil 4Ohne Geld in einem reichen Land
Gott
Ich versuchte, ihn zu finden
am Kreuz der Christen,
aber er war nicht dort.
Ich ging zu den Tempeln der Hindus
und zu den alten Pagoden,
aber ich konnte nirgendwo eine Spur von ihm finden.
Ich suchte ihn in den Bergen und Tälern,
aber weder in der Höhe noch in der Tiefe
sah ich mich imstande, ihn zu finden.
Ich ging zur Kaaba in Mekka,
aber dort war er auch nicht.
Ich befragte die Gelehrten und Philosophen,
aber er war jenseits ihres Verstehens.
Ich prüfte mein Herz,
und dort verweilte er,
als ich ihn sah.
Er ist nirgends sonst zu finden.
Rumi
Vorwort
Mein Leben gleicht einem Wunder. Es stand anscheinend unter einem besonderen Schutz. Trotz fürchterlicher Erlebnisse konnte ich durch außergewöhnliche Fügungen psychisch überleben und zu einer guten Entwicklung finden. Ohne Gott wäre ich an den schrecklichen Ereignissen zerbrochen. Um die Größe dieses wundersamen Geschehens sichtbar zu machen, reicht es nicht aus, die heilenden Vorgänge darzustellen. Nur wenn ich auch die verstörenden Sachverhalte aufzeige, ist es möglich, das Ausmaß der besonderen Fügungen zu begreifen, das meinem Leben eine unerwartete Wendung gab.
Es geht um eine Lebensgeschichte, die zeigt, dass Liebe unsere stärkste Kraft ist.
Meine innere Stimme schickte mich oft auf absurde Wege. Indem ich den Mut aufbrachte, dieser Stimme zu folgen, entdeckte ich, dass sie mich auf Heilswege schickte.
Meine Seele wurde nicht durch Therapeuten geheilt, sondern durch die göttliche Liebe, die ganz normale Menschen in ihrem Herzen tragen.
Wir sind umgeben von einer universellen Macht, die ich Gott nenne.
Diese göttliche Macht hat alles auf wunderbare Weise zu unserem Besten erdacht. Alles ist auf Leben und Überleben programmiert.
Diese universelle Kraft unterstützt uns auf jedem guten Weg. Gott ist nicht etwas, das außerhalb von uns selbst ist. Wir alle tragen das Göttliche in uns.
Wenn wir uns mit der göttlichen Macht verbinden, mit Mut auf sie vertrauen, können wir über uns selbst hinauswachsen. Entscheidend ist, dass wir mit den Naturgesetzen in Einklang sind, uns auf die Wahrheit konzentrieren und in der Liebe leben.
Wer die Natur beobachtet, erkennt ein genial aufeinander abgestimmtes System. Ich sehe dahinter eine sinnvolle, natürliche Ordnung oder besser gesagt, eine göttliche Ordnung.
Was uns krank macht und krank hält, ist unser immer künstlicher werdendes Leben. Es entfernt uns von allem Natürlichen und damit von unserer Seelenmitte.
In unserem Körper sind durch einen göttlichen Plan Selbstheilungskräfte angelegt. Sie wirken ganz automatisch, sobald wir selbstschädigendes Verhalten aufgeben und nicht gegen die Grundlagen der Heilung arbeiten.
Die Selbstheilungskräfte der Seele zeigen sich, indem sie uns intuitiv führen. Die Intuition löst oft Probleme, die für den Verstand nicht zu erfassen sind. Unsere innere Stimme schickt uns auf den Weg der Heilung.
In Verbindung mit der Natur und in Verbindung mit dem Göttlichen können wir zu innerer Ganzheit gelangen und wieder heil werden.
Wenn ich Gott
sage, dann meine ich eine göttliche Macht, die über alle Namen und Bezeichnungen erhaben ist, die die Vielfalt der menschlichen Gotteswahrnehmungen und Verehrungen zu einer Wahrheit vereint.
Wenn ich Gott in seiner unendlichen Vielfalt nur auf ein einziges Wort reduziere und verdichte, dann lautet dieses Wort: Liebe.
Liebe ist das Gegenstück zu Hass, Gewalt und Zerstörung. Wer für die Liebe steht, dient Gott, auch wenn ihm dies nicht bewusst ist.
Die Fülle von Gottes Liebe und Schönheit zeigt sich für mich in der Natur und an liebesfähigen Menschen.
Gott hat uns mit geistiger Kraft beseelt. Wenn wir diesen Geist entfalten, können wir der Schöpfung dienen und am Schöpfungswerk teilnehmen. Wir können Kanal und Werkzeug sein. Geistige Kraft gibt uns den Mut, den wir für alle Herausforderungen des Lebens benötigen.
Nicht unsere eigene menschliche Kraft wirkt, sondern die göttliche Kraft, die durch uns hindurchwirken kann.
Unser eigentliches Ziel geht viel tiefer, als sich mit Menschen in Liebe zu verbinden. Das alles ist zweifellos gut und richtig, aber noch lange nicht alles. Unser tieferes Ziel ist, ganz wir selbst zu werden, so wie wir von Gott gemeint sind. Unsere Einzigartigkeit zu bejahen und zu leben, sehe ich als die größte Herausforderung unseres Lebens. Da wir doch so sehr die Erwartungen unserer Mitmenschen erfüllen wollen, ganz besonders derjenigen, die mit uns eng verbunden sind, haben wir große Probleme, unser ganz persönliches Ziel zu erkennen.
Der Name Gottes wurde zu allen Zeiten von den Mächtigen missbraucht. Gott wurde so entstellt, dass viele Menschen mit ihm nichts mehr zu tun haben wollen.
Hinter diesen Zerrbildern habe ich versucht, den wahren Gott zu finden. Auf viele außergewöhnliche Situationen und Menschen habe ich mich eingelassen. Und irgendwann entdeckte ich ihn in der Liebe und Barmherzigkeit, in der Wahrheit und in der Schönheit.
Bei Menschen begegnet Gott mir in besonderer Weise. Im Lächeln einer alten Frau, aber auch im Elend, in der Not eines Menschen.
Und plötzlich war die Beziehung zu Gott so einfach, so befreiend, so real, so stärkend und spürbar.
Dennoch erlebe ich auch dunkle Momente, wenn meine Seele erschöpft oder verzweifelt ist.
Dann kann ich Gott nicht mehr spüren und verliere meine Kraft. Zugang zur Kraft des Geistes habe ich nur, wenn ich in meiner Mitte bin. Aus dem Wissen des Verstandes heraus erhalte ich keine geistige Kraft. Deshalb versuche ich stets meine Mitte zu bewahren.
Dezember 2023
Letztlich wird die Liebe über das Böse siegen,
die Schönheit über das Hässliche,
und die Sehnsucht nach Freiheit
wird alle Ketten sprengen.
Einleitung
Die Technik hat unser Miteinander im Alltag verändert. Zunehmend werden wir zu Leistungsautomaten manipuliert, die einfach nur funktionieren sollen. Das zeigt sich in der Schule und erst recht im Arbeitsleben. Im Kindergarten nimmt es bereits seinen Anfang.
Hektik und anonyme Distanzierung haben die einstige Gemütlichkeit ersetzt. Das Miteinander mit Empathie und Hilfsbereitschaft für den anderen, Nachbarbeziehungen, Gemeinschaftsleben alles ist in Auflösung begriffen. Ein schleichender Prozess, der schon vor Jahren begann, aber durch Corona deutliche Formen annahm. Unser Miteinander wird systematisch verändert und zunehmend verhindert. Um gegenzusteuern, erscheint es mir wichtig, den gegenwärtigen Umbruch als Möglichkeit der Neugestaltung wahrzunehmen.
Auch durch das Handy entwickeln Menschen sich schleichend immer unpersönlicher.
Telefonieren ist für viele vorbei und ein Anruf wird eher als Belästigung wahrgenommen. Kommunikation findet meist als Text auf dem Handy statt. Dabei gibt es häufig Missverständnisse, die bei einem Anruf gar nicht erst entstanden wären.
Aber zunehmend mehr Menschen ziehen für ihre Kommunikation die tote Technik einer lebendigen Stimme vor.
Inzwischen kommunizieren wir um den ganzen Erdball und sind in alle Richtungen vernetzt.
Und gleichzeitig bemerke ich immer wieder, dass viele Menschen Hemmungen haben, andere anzusprechen, sie etwas zu fragen oder für die einfachsten Dinge aufeinander zuzugehen. Vor allem gegenüber Fremden ist die Hemmschwelle besonders groß. Einen anderen um Hilfe zu bitten, ist für viele schon ein Tabu. Die meisten Menschen öffnen sich, wenn man auf sie zugeht. Aber zum ersten Schritt sind viele nicht bereit. Sie brauchen jemanden, der eine Brücke zu ihnen schlägt.
Der im März 1918 verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking warnte zu Lebzeiten mehrfach vor dem wachsenden Potential von künstlicher Intelligenz. Er sah sie als Bedrohung für die Menschheit.
Inzwischen werden seine Warnungen auf vielen Ebenen immer deutlicher sichtbar.
Kaum jemand hat noch Zeit für andere. Der Job gleicht einem Hamsterrad, das sich immer schneller dreht. Unser System produziert immer mehr ausgebrannte Menschen.
Mit dem Einzug des Fernsehers begann diese schleichende Entwicklung. Das Abendprogramm der Flimmerkiste hat Gespräche, Erzählungen und Spiele in der Familie vielfach ersetzt.
Noch immer ist die Familie die letzte Oase für Geborgenheit. Doch zunehmend brechen Familien auseinander. Die Zahl der Alleinlebenden wächst und gleichzeitig auch die Anzahl von entwurzelten Menschen, die sich alleingelassen fühlen.
Mangelnde Kommunikation führt zu Einsamkeit und Isolation.
Viele sind frustriert vom Leben, fühlen sich von niemandem wahrgenommen und wertgeschätzt. Wenn sich die negativen Ereignisse und die Frustrationen häufen, eskaliert die Gewalt.
Deshalb ist es wichtig, dass wir unser Miteinander pflegen und niemanden ausgrenzen.
Vier Wände und ein Dach über dem Kopf geben noch kein Zuhause.
Für mich entsteht ein echtes Zuhause erst dann, wenn mein Herz bei einem anderen Menschen einen zuverlässigen Platz gefunden hat.
Immer mehr Menschen finden in unserer Gesellschaft nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf. Das liegt ebenfalls an der Anonymität unserer Zeit. Früher hätte es für viele Menschen noch Freunde und Bekannte gegeben, die aufgefangen und unterstützt hätten.
Doch heute gibt es für obdachlose Menschen nur noch institutionelle Einrichtungen mit Suppenküchen und Wärmestuben.
Das Problem könnte nur politisch gelöst werden. Doch die Politik hatte noch nie ernsthaftes Interesse an den Obdachlosen.
Vor dreißig Jahren konnte ich in Behörden und Institutionen noch Menschen antreffen, die menschlich empfinden und nachfühlen konnten.
Heute ist das schwierig geworden. Sachbearbeiter wirken inzwischen oft wie Maschinen. Sie funktionieren für ein vorgegebenes Gesetzesprogramm wie Algorithmen, ohne die geringste menschliche Berührbarkeit für die Not des Einzelnen.
Auch Schildbürger sind in den Amtsstuben mit ihrer Bürokratie allgegenwärtig. Gesetze, die im Ursprungsgedanken den Menschen dienen sollten, werden gegen den gesunden Menschenverstand in absurder Weise oft vernichtend gegen die Schwachen und Wehrlosen angewendet. Unsere Bürokratie erinnert mich manchmal an eine Kriegssituation, in der Soldaten die unsinnigsten Befehle befolgen, weil es ein Ranghöherer angeordnet hat.
*
Mein Leben war herausfordernd und durch Krisen oft sehr anstrengend. Aber es war stets, sinnvoll und vor allem interessant. Manchmal wurde es auch abenteuerlich, besonders dann, wenn ich meiner inneren Stimme folgte.
Inzwischen bin ich 72 Jahre alt und will nun die Erfahrungen mit meiner inneren Stimme weitergeben. Einige besondere Erlebnisse habe ich teilweise schon in Büchern verarbeitet.
Es gibt nicht nur Selbstheilungskräfte für den Körper. Auch die Seele hat Selbstheilungskräfte. Sie schickt uns durch unser Unterbewusstsein, durch Träume oder unsere innere Stimme auf den Weg zur Weiterentwicklung und zur Heilung.
Sie führt jeden von uns auf seinen richtigen Weg. Diese spezielle innere Stimme zu hören und von allen anderen Stimmen zu unterscheiden, ist die eigentliche Kunst, die gelernt sein will.
Wir hören ja verschiedene Stimmen in uns. Da ist die Stimme des Verstandes aus dem Kopf oder die Stimme der Furcht, wenn wir vor etwas Angst haben. Die Stimme, die ich meine, kommt weder aus der Ecke der Angst, noch von der Vernunft oder der Berechnung des Verstandes. Sie kommt auch nicht fremdbestimmt von außen und hat nichts damit zu tun, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Sie ist etwas Eigenständiges, unabhängig, stark und klar und kommt aus der Tiefe meiner eigenen Mitte. Sie steht häufig im Widerstreit zu meinem Verstand und allem, was ich weiß, was ich gelernt habe und wozu ich erzogen wurde.
Die innere Stimme ist stets herausfordernd. Es verlangt Mut und Kraft, ihr zu folgen.
Wir haben alle eine innere Stimme. Unser Problem ist, dass wir uns von ihr nicht leiten lassen, sondern eher von der Erwartung anderer Menschen und nun zunehmend mehr von technischen Geräten und Maschinen.
Rückblickend kann ich sagen, dass mein ganzes Leben von vielen außergewöhnlichen Begegnungen durchzogen ist, Begegnungen, die heilsam und oft Weichen stellend für mein Leben waren. Für mich wurden diese Menschen zu Engeln, die mir oft nur für einen Moment die Hand reichten, um danach wieder aus meinem Leben zu verschwinden, so sehr ich mir auch gewünscht hätte, sie möchten an meiner Seite bleiben.
Teil 1
Friedenspilgerin
Inzwischen verstehe ich mich als Friedenspilgerin und laufe jeden Sommer etwa achthundert Kilometer durch Deutschland. Dabei komme ich mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt.
Die meisten Fernwege in Deutschland wie Moselsteig, Westweg, Ostweg und Schluchtensteig im Schwarzwald, sowie noch etliche andere, habe ich bereits an einem Stück erwandert.
Ich laufe meine fünfundzwanzig oder dreißig Kilometer, gelange dann per Anhalter zurück zu meinem Auto und fahre es zum Startpunkt für den nächsten Morgen. In aller Regel stehe ich keine fünf Minuten an der Straße und lerne bei meinen Tramptouren häufig wunderbare Menschen kennen.
Im Alltag ist es mir stets wichtig, Kontakt und Verbindung zu anderen Menschen herzustellen, um die um sich greifende Anonymität aufzubrechen. Und in solchen Trampsituationen fordere ich Hilfsbereitschaft und das Miteinander bewusst heraus. Dabei gerate ich oft auch in witzige Situationen. Manchmal werde ich zum Duschen, zum Essen oder zu einem Glas Wein eingeladen.
In meinem Bus habe ich ein Bett eingebaut. Mit Gaskartuschenkocher, Wasserkanister, Waschschüssel und Camping-WC bin ich vollkommen autark. Mit Müsli und gefiltertem Bohnenkaffee mache ich mich am Morgen startklar.
Würde ich zuhause bleiben, hätte ich vielleicht irgendein Zipperlein.
Doch unterwegs küsst mich das pralle Leben mit seiner herrlichen Natur und interessanten Menschen.
Aus vielfältigen Begegnungen, über das ganze Land verteilt, sind im Laufe der Jahre schöne Freundschaften entstanden. Um daheim in meinem Garten Rosen zu züchten, fehlt mir der grüne Daumen. Wobei ich es durchaus bedauere, dass ich von Gemüseanbau keine Ahnung habe.
Sobald die Temperaturen den beginnenden Sommer ankündigen, gibt es nichts mehr, was mich hält. Im Haus werden Wasser und Strom abgestellt und außer dem Rasen gibt es nichts zu versorgen.
Den übernimmt mein liebenswerter Nachbar Klaus und bekommt dafür hinterher einen Kasten bestes fränkisches Bier von der Brauerei aus dem Nachbardorf.
Deutschland ist so ein wunderschönes Land, dass mich ferne Länder nicht mehr reizen. Bewegung in der Stille der Natur, abseits von Beton und Straßenlärm, macht mich glücklich.
Außerdem schenkt die Natur, besonders in den Wäldern, eine ungeheuere Energie und Lebensqualität.
Die Fernwege in Deutschland sind mit einem Qualitätssiegel prämiert. Der Wegverlauf ist so gut markiert, dass man praktisch auch ohne Wanderkarten von einer Etappe zur nächsten geführt wird.
Diesen Sommer wollte ich den Goldsteig im Bayerischen Wald mit Nord- und Südroute in einem Durchgang erwandern. Die Routen mit 660 Kilometern über alle großen Hügel des Bayerischen Waldes sind durch lange Tagespassagen teilweise sehr anspruchsvoll. Anschließend wollte ich die Zugspitze besteigen.
Nachdem ich letzten Sommer die Alpen von Oberstdorf nach Meran überquert habe, sah ich für mich kein Problem, auch diese Herausforderungen zu bewältigen.
Wie auf allen Touren, war ich auch bei der Alpenüberquerung allein und wollte mich keiner Bergschule anschließen. Deswegen hielten mich etliche Bekannte für verantwortungslos. Aber ich fühlte mich fit wie ein Turnschuh und ließ mich wie immer für jedes Vorhaben von meiner inneren Stimme führen. Wenn ich mich auf sie einlasse, dann entwickelt sich ein inneres Feuer der Begeisterung, das zu einer starken Kraft wird. Mein Glaube und mein Gottvertrauen geben mir inzwischen den Mut, ihr zu folgen.
Doch dieser Sommer wurde völlig anders als gedacht.
Vor Corona hielt ich viele Vorträge über meine Bücher. Doch das war durch die Corona Maßnahmen zusammengebrochen und konnte bisher nicht wieder belebt werden. Deshalb fehlt mir seitdem eine sinnvolle und schöne Aufgabe. Die Coronazeit mit Lockdown und Kontaktverboten hatte ich körperlich und psychisch gut überstanden.
Allerdings habe ich in dieser Zeit viele Menschen verloren. Etliche sind gestorben, manche krank oder depressiv geworden. Auf diese Weise löste sich mein soziales Netz im unmittelbaren Umfeld auf.
Ich geriet in eine Isolation, die ich so nicht kannte. Die Einsamkeit kroch in mir hoch und es ging mir psychisch nicht mehr gut. Meine Lebenskraft und meine Energie schwanden dabei zunehmend. Normalerweise besitze ich ein gutes Immunsystem. Doch die psychischen Belastungen gingen nicht spurlos an mir vorüber.
Im Herbst vor meiner geplanten Tour gab es zusätzlich unschöne Ereignisse in zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Januar darauf starb plötzlich und unerwartet meine Nachbarin, mit der mich über Jahrzehnte ein enges Verhältnis verband. Das hinterließ ein großes Loch in meinem Leben. Anschließend erlebte ich eine schmerzhafte Enttäuschung und verlor eine wichtige Herzensbeziehung. Das gab mir den Rest.
So warf mich im März eine heftige Bronchitis zu Boden und ich konnte nichts mehr tun. Eine schwierige Situation, wenn man allein lebt. Freunde haben mich in dieser Zeit mit warmen Essenslieferungen betreut.
Nachdem der Infekt überwunden war, fühlte ich mich noch immer sehr erschöpft. Der Abbau meiner Muskeln war durch die lange Liegezeit deutlich zu spüren. Ich kam einfach nicht mehr auf die Beine.
Ein ungewohnter und erschreckender Zustand für mich.
Körperlich und psychisch war ich in diesem Frühjahr an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Es gab nur noch ein Ziel, möglichst schnell wieder zu Kräften zu kommen. Nur so wurde es möglich, mein Leben wieder mit sinnvollen Aufgaben zu gestalten, um auch die Isolation zu überwinden.
An die einst geplante Wandertour über sämtliche Gipfel des Bayerischen Waldes war in meinem geschwächten Zustand überhaupt nicht zu denken.
In diesen Tagen träumte ich von meiner Freundin Daniela. Mit Daniela verbindet mich eine außergewöhnliche Beziehung. Sie ist viel mehr als eine Freundin. Ich habe sie vor vielen Jahren geistig als meine Tochter adoptiert.
In diesem Traum fühlte ich mich von Daniela allumfassend angenommen und geliebt. Erst sah ich ihr Gesicht deutlich, dann wurde es verschwommen. Leider weckte mich in diesem Moment der Wecker. Doch dieser Traum hatte eine ganz besondere Kraft und verlieh mir eine neue Energie. War ich am Tag vorher noch emotional stumpf und völlig kraftlos gewesen, fühlte ich mich nun schlagartig völlig verändert. Meine Lebensgeister und meine Gefühlsebene mit meiner Liebesfähigkeit waren wieder spürbar.
Mit Bronchitis bin ich seit meiner Kindheit anfällig. Für die Herstellung meiner körperlichen Kräfte schien mir die Nordsee mit ihrer salzhaltigen Luft am besten geeignet. Also plante ich kurz entschlossen einen Dänemarkurlaub.
Daniela war durch eine Coronainfektion ebenfalls in einen Erschöpfungszustand geraten, deshalb lud ich sie ein, mit mir zu kommen.
Daniela kannte Dänemark, denn in unserer gemeinsamen Zeit hatten wir uns dort mehrfach ein Ferienhaus gemietet. Sie stimmte sofort begeistert zu.
Daniela lebte einst vierzehn Jahre bei mir im Haus und mit ihr fühle ich mich unverändert tief verbunden. Vor neun Jahren entschied sie, eine Frau zu heiraten. Seitdem lebt sie im Ruhrgebiet, was unseren Kontakt hauptsächlich auf Telefonate beschränkt.
Die darauffolgenden Wochen waren in meinem geschwächten Zustand sehr belastend. Schon im letzten Jahr wurde bei mir ein Vortragstermin gebucht. Den wollte ich nicht einfach absagen. Dafür musste eine weite Anfahrt bewältigen werden. Alles war anstrengend.
Dann gab es eine Reifenpanne am Auto, anschließend einen Marderschaden, mit langfristigen Lieferproblemen für die Ersatzteile.
Werkstatttermine und sonstige Probleme häuften sich. Alles wuchs mir über den Kopf.
Ich wollte nur noch weg und buchte spontan ab Juni in Nordjütland für vier Wochen ein Haus. Doch plötzlich zauderte Daniela. Die einstige Begeisterung war weg und sie entschied, mich doch nicht zu begleiten. Für mich war das überhaupt nicht nachvollziehbar.
„Daniela hör mal, du hast Zeit und brauchst die Luftveränderung doch genauso wie ich. Außerdem wird mir in meinem augenblicklichen psychischen Zustand das lange Alleinsein nicht gut tun."
„Du hättest nicht ohne Rücksprache buchen sollen, wenn du nicht allein fahren willst", erwiderte sie.
„Ich habe keine Wahl. Ich muss für meine Bronchien an die Nordsee, auch wenn du nicht mitkommst. Seit letztem Herbst befinde ich mich in einer unschönen Isolation. Das wird in Dänemark noch heftiger.
Du weißt ja, wie weit die Häuser auseinander liegen. Man kommt dort mit niemand in Kontakt. Die Nordsee wird mir körperlich zweifellos gut tun, aber die Einsamkeit zieht mich psychisch vermutlich noch weiter hinab. Ich war schon allein in Dänemark und weiß, wie sich das anfühlt. Obwohl ich damals in bester psychischer Verfassung war, fiel mir das lange Alleinsein nicht leicht."
„Nein, ich kann nicht mit, es geht nicht", beteuerte sie.
„Du kannst mich jetzt nicht allein lassen, ich brauche dich jetzt", versuchte ich sie zu gewinnen.
Daniela schwieg dazu und nach einer Pause fuhr ich fort:
„Ich habe noch nie gesagt, dass ich dich brauche. Doch jetzt bin ich in einer Notlage und brauche dich wirklich", fuhr ich fast flehend fort.
Daniela reagierte nicht.
„Ist es wegen Katharina?", bohrte ich weiter.
„Nein", erwiderte sie nur kurz.
Doch ich konnte mir keinen anderen Grund für ihren Umschwung vorstellen.
„Bin ich dir nicht eine Auseinandersetzung, einen evtl. Konflikt mit Katharina, wert, damit du mich jetzt in diesem Moment nicht im Stich lässt?", fuhr ich verzweifelt fort.
Doch wir kamen zu keinem Ergebnis.
Das war die letzte Enttäuschung, die ich zu allem bisherigen noch gebraucht hatte. Diese Haltung hätte ich von Daniela nie erwartet.
Ich war fassungslos. Sie war der einzige Mensch, von dem ich mir in der Not etwas erhoffte. Nun fühlte ich mich völlig alleingelassen.
Nach diesem Telefonat war ich mit der Welt fertig.
Wenn ich Bekannten von diesem Gespräch berichtete, hatte jeder für Daniela Verständnis. Schließlich ist sie verheiratet und muss auf ihre Partnerin Rücksicht nehmen. Da konnte sie nicht mit einer anderen Frau Urlaub machen.
„Was für ein Blödsinn, es geht doch nicht um Urlaub, sondern um Gesundheit für uns beide. Außerdem bin ich auch keine Ex-Partnerin. Ich liebe Daniela und sie liebt mich. Daraus haben wir nie ein Geheimnis gemacht. Aber das bewegt sich auf einer völlig anderen Ebene. Zwischen uns ist eine tiefe Herzensbeziehung mit Nähe und Vertrauen. Für mich ist Daniela wie eine Tochter. Somit bin ich auch keine Bedrohung für ihre Partnerin", versuchte ich wie so oft erfolglos zu erklären.
Viele Menschen verstehen nicht, dass man als Frau eine andere Frau tief lieben kann.
Von allen Seiten fühlte ich mich nur unverstanden und wurde noch einsamer als zuvor.
Mir ist wichtig, ein authentisches Leben zu führen. Dazu gehört für mich auch, dass ich meine Gefühle nicht mehr verstecke, dass ich die Angst überwinde, befremdlich oder distanzlos zu wirken.
Gefühlsoffenheit lebe ich bewusst, weil der Mangel an Nähe und Miteinander immer mehr um sich greift. Ich versuche, die Mauern und Barrieren niederzureißen, die die Menschen zwischen sich errichtet haben.
Ich liebe Männer und Frauen, Kinder und Alte. Ich zensiere meine Gefühle nicht, wenn sie sich auf eine Frau richten, nur weil ich selbst eine Frau bin. Für jeden Menschen aus diesen Gruppen kann ich tiefe Gefühle entwickeln. Da, wo ich intensive Gefühle verspüre, habe ich auch das Bedürfnis nach Nähe, nach Berührung, nach Zärtlichkeit.
Nähe und Berührung braucht jeder Mensch. Was hindert uns daran, diese verschüttete Form der menschlichen Liebe wiederzufinden und zu leben?
Gesellschaftliche Zwänge und Tabus stehen im Wege. Tausend Ängste ersticken jedes Gefühl bereits im Ansatz. Wir haben die einfachste Fähigkeit verlernt, uns aus reiner Herzensliebe Nähe, Wärme, Berührung und Zärtlichkeit zu geben.
Solange wir nicht zu dieser natürlichsten und ursprünglichsten Form der menschlichen Liebe zurückfinden, wird die Ausweitung einer Schein- und Ersatzwelt unaufhaltsam fortschreiten.
Jesus hatte sehr weibliche Züge. Er war zärtlich und liebevoll. Er berührte die Menschen und hatte keine Angst vor Körperkontakt.
Er hatte einen Lieblingsjünger und fragte Petrus: „Liebst du mich?"
Jesus liebte die Menschen ohne Unterscheidung ihres Alters, ihres Standes, ihrer Herkunft, ihres Geschlechts. Jesus zeigte eine Gefühlsoffenheit, die heute befremdlich wirkt, wenn einer sie zu leben wagt.
„Wenn ihr nicht werdet wie Kinder ...", soll uns helfen, unsere Gefühle wieder zu entdecken.
Es gibt die Augenblicke, da bricht mein Verlassenheitstrauma aus der Kindheit durch. In solchen Momenten kommt eine tiefe Sehnsucht in mir hoch. Wie ein Kind möchte ich dann im Arm einer Mutter liegen. Früher war es mir peinlich, in meinem Alter noch so nähebedürftig zu sein, doch heute stehe ich dazu.
Meine vielfältigen Traumata wurden nicht durch Psychotherapeuten gelöst, sondern durch das alltägliche Leben, durch die Begegnung mit ganz normalen Menschen, denen ich meine jeweilige Bedürftigkeit eingestanden habe. Das waren ganz unterschiedliche Bedürfnisse, aber immer bin ich auf Menschen zugegangen und habe sie um Beistand gebeten.
Dabei habe ich mich stets von meiner inneren Stimme leiten lassen.
Dieser inneren Stimme messe ich höchste Bedeutung zu.
Bei Menschen, die von Liebe erfüllt sind, spüre ich das Göttliche.
Das sind oft unerwartete Herzensbegegnungen mit völlig fremden Menschen. Manchmal verliebe ich mich in diese Menschen. Diese Liebesgefühle bestehen oft nur für Momente, aber manchmal entwickelt sich daraus auch eine tiefere Bindung zu diesen Menschen.
Gott lieben, bedeutet für mich, Menschen zu lieben, das Leben zu lieben mit der gesamten Schöpfung. Die Liebe führt automatisch zur Achtsamkeit für Menschen, Tiere und Pflanzen. Sie erzeugt ein Gefühl der Verbundenheit mit allem. Respekt und Toleranz sind dann selbstverständlich. Sie sind dann weder Pflicht noch Zwang.
Ich kann mich spontan in alles Schöne, in die Schönheit des Lebens und in jeden Menschen mit einer guten Ausstrahlung verlieben. Ich kann mich auch in Frauen verlieben. Mit ihrer sensiblen, einfühlsamen und beschützend mütterlichen Seite ziehen sie mich besonders an.
Ich habe in meinem Leben auch Männer tief geliebt. Doch meine tiefsten Gefühle galten nicht den Männern, sondern den Frauen.
Wenn ich einen Menschen wirklich liebe, dann liebe ich ungewöhnlich intensiv, so wie kleine Kinder das bei ihren Vätern oder Müttern tun. In dieser intensiven Gefühlsphase habe ich meinen Vater verloren. Vielleicht bin ich deshalb in einem derart tiefen Gefühl stecken geblieben. Vielleicht ist es auch die versäumte Mutterbeziehung, warum mich Weiblichkeit so stark anzieht. Ich empfinde für manche Frauen eine tiefe Herzensliebe ohne das geringste Bedürfnis nach Sexualität.
Immer wenn ich intensiv liebe, bin ich unbeschreiblich glücklich.
Ich brauche nicht zwingend jemanden, von dem ich geliebt werde.
Aber ich brauche unbedingt jemanden der so wertvoll ist, dass ich ihn intensiv lieben kann. Denn wenn ich lieben kann, befinde ich mich in einer höheren Schwingung.
Auch die Schönheit einer Seele bringt mich in eine höhere Schwingung. Und dann fühle ich mich stets eins mit der gesamten Schöpfung. Dann ist das Himmelreich um mich herum, wie es Jesus beschrieben hat. Dann entsteht automatisch das Bedürfnis, die ganze Welt zu umarmen. Diese Art von Himmelreich erlebe ich häufig, besonders bei meinen Pilgertouren. Das sind oft nur spontane Begegnungen. Doch durch sie erlebe ich mein „Himmelreich" ständig neu. So laufe ich auf meinen Wandertouren von Himmelreich zu Himmelreich und bin glücklich.
Als ich vor Tagen ein altes Video von Enya mit dem Lied Only Time aus dem Jahr 2000 hörte, konnte ich nicht anders, als mich in diese damals wunderschöne junge Frau und ihren Gesang zu verlieben.
Ihre gute Ausstrahlung und ihre Musik drangen tief in meine Seele ein und machten mein Herz weit.
Meine Verbundenheit mit Gott ist mehr als der bloße Glaube an ihn.
Wenn ich verbunden bin, dann spüre ich Gott ganz konkret in meiner Seele. Und wenn ich ihn spüre, dann kann ich vertrauen und mich mit göttlicher Kraft verbinden.
Wer das Weibliche liebt, liebt auch Gott, denn in Gott sind alle weiblichen Eigenschaften vereint. Sie zeigen sich in seiner bedingungslosen Liebe.
Diese Aussage stammt von der am 22.7.21 verstorbenen feministischen Theologin Christa Mulak. Sie lehrte an Universitäten und Hochschulen und hat zahlreiche religionswissenschaftliche, sowie patriarchatskritische Werke verfasst.
Inzwischen lehne ich für mich persönlich jede Form organisierter Religion und jede Autorität in geistigen Fragen ab.
Nach Möglichkeit suche ich den einfachsten und natürlichsten Weg zu Gott. Bewusst wähle ich kein Seminar oder Exerzitien im Kloster.
Denn dies ist alles mit Geld verbunden, das viele überhaupt nicht aufbringen können. Und wie könnte ich Gott direkter begegnen, als in seiner wunderschönen Schöpfung.
Die Wahrheit suche ich nicht mehr in Büchern und meine Weiterentwicklung suche ich nicht durch Meditation oder sonstige Übungen, sondern durch das ganz alltägliche Leben, durch die Begegnungen mit Menschen und den Erfahrungen, die sich daraus ergeben.
Gott ist Liebe und Wahrheit und das alles wohnt in jedem Menschen.
Gott begegnet mir stets auch durch Menschen und mit meiner Menschenliebe liebe ich gleichzeitig Gott. Wer Gott nicht in seinen Mitmenschen finden kann, der findet ihn wohl nirgendwo.
In der Zeitschrift Publik Forum habe ich einen treffenden Artikel über die Liebe gefunden.¹ Hier in geraffter Form:
„Gott wird als Liebe gefeiert und in der Ethik wird die Liebe zum Wert aller Werte. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst lautet die Kernbotschaft der christlichen Lehre. Doch die christliche Theologie hat die Liebe zu einer moralischen Norm deformiert.
Es ist eine dramatische Erscheinung unserer Zeit, dass wir auf der einen Seite eine Sexualität ohne Geist haben und auf der anderen Seite eine Spiritualität ohne Sinnlichkeit – beides Symptome derselben Fehlentwicklung: der Verbannung des Eros aus der christlichen Religion.
Eros ist die Grundenergie aller Erscheinungsformen der Liebe. Eros ist die Urkraft des Lebens. Eros entzündet sich an der sinnlichen Schönheit. Liebe speist sich immer aus der Kraft des Erotischen.
Nicht gemeint ist damit Sexualität.
Es gibt eine erotische Lebenskunst, eine erotische Reife. Sie besteht darin, die erotische Energie nicht nur auf einen Menschen zu fokussieren, sondern den Horizont der Liebe immer mehr zu weiten und zu verfeinern. Erotisch reif heißt, dass Körper, Geist und Seele in dieser Liebe integriert sind. Es geht um eine tiefe Verbundenheit der Herzen.
Es gibt nicht nur schöne Körper, sondern auch schöne Seelen und schöne Künste und eine schöne Natur. Wenn wir erotisch erwachsen geworden sind, erkennen wir die Schönheit in allem. Wer sich ins Leben im Ganzen verliebt, muss nicht mit jedem oder jeder Sex haben. Die seelische oder spirituelle Vereinigung wird die Sexualität zweitrangig erscheinen lassen. Reife Erotik wird zwar von großer sinnlich-erotischer Leidenschaft bewegt, nicht aber von sexuellem Begehren getrieben.
Fatalerweise lässt die kirchliche Morallehre zwar die Liebe in Gestalt der aufopferungsvollen, entsinnlichten Form der Nächstenliebe und Barmherzigkeit gelten, aber die leidenschaftlich-erotischen Anteile werden als sündhaft deklariert."
Diese Darstellung der Liebe spricht mir aus dem Herzen.
Wäre Daniela meine leibliche Tochter oder wären wir Schwestern, würde sich niemand an unserer Liebe stören. Was haben wir nur für eine verkorkste Welt? Kann sich niemand mehr vorstellen, dass jemand mit zärtlichen Gefühlen die Seele eines Menschen liebt, ungeachtet seines Geschlechts?
*
Die Vorstellung, in meiner miserablen psychischen Verfassung, vier Wochen allein in einem Ferienhaus in Dänemark zu sein, war keine schöne Aussicht. Das würde hart werden.
Zufällig kam mir ein Zettel mit Vorsätzen in die Finger, die ich vor zehn Jahren einmal aufgeschrieben hatte.
1. innehalten – gelassen abwarten – Gott überlassen, welche Wege sich zeigen,
2. echte Begegnung mit Menschen suchen,
3. einfaches Leben, vor allem ohne Fernseher, laufen, sich bewegen und mit kaltem Wasser abhärten.
Diese Vorsätze schienen mir nun auch für die gegenwärtige Situation passend und so wollte ich sie mir zu Herzen nehmen.
Prophetische Begegnung
Eine Bekannte, die meine schlechte Verfassung mitbekam, gab mir die Telefonnummer einer Frau.
„Ruf doch da mal an. Sie geht sehr sensibel mit Problemsituationen um", erklärte sie mir.
Ich bekam sofort einen Termin.
Dann saß mir eine sympathische ältere Frau mit einer besonderen Aura gegenüber. Auf dem Tisch stand eine Buddhafigur und der ganze Raum war fernöstlich angehaucht. Ich offenbarte der Frau meinen psychischen Zustand mit der Sorge vor dem Alleinsein in Dänemark.
Sie hörte aufmerksam zu und gab dazu kurze Kommentare ab.
Dann erklärte sie mir mit Hilfe eines Zettels eine Heilungs- und eine Verzeihungsformel.
Sie ermutigte mich, Daniela loszulassen.
„Sie schaffen das alles auch allein", versicherte sie mit einem wissenden Blick.
In ihrer Stimme lag Überzeugungskraft. Ich fühlte mich von einer spirituellen Aura umgeben.
„Nehmen Sie hoch dosiert Vitamin B 12 ein, dann werden sie in sechs Wochen wieder fit sein", lächelte sie wohlwollend.
Alles klang so selbstverständlich, dass ich es bedingungslos glaubte.
Schließlich erklärte sie wie eine Prophetin: „Sie werden in Dänemark eine Begegnung haben."
Zum Abschied reichte sie mir ein Buch mit schwarzem Cover, auf dem ein goldener Schlüssel abgebildet war.²
„Das Buch schenke ich Ihnen, lesen Sie es in Dänemark", forderte sie mich auf.
Ihre besondere Art berührte mich auf seltsame Weise. Verändert, als wäre bei mir innerlich ein Schalter umgelegt worden, verließ ich diese Frau voller Zuversicht. Ich fühlte mich richtig gestärkt und war nun überzeugt, dass alles gut werden würde.
Was war das nur wieder für eine Begegnung, dachte ich verwundert.
Ein Blick in das geschenkte Buch zeigte mir sofort, dass es sich um eine anspruchsvolle Lektüre handelt und ich beschloss, das Buch nicht nach Dänemark mitzunehmen. Später rief ich Daniela an: „Du brauchst dir keine Sorgen um mich machen, Du musst mich auch nicht nach Dänemark begleiten. Mir geht es wieder gut und ich spüre deutlich, dass ich das allein gut schaffen werde. Ich nehme meinen Laptop mit und wenn mir etwas einfällt, schreibe ich. Vielleicht kommt ein neues Buch zustande", erklärte ich ihr fröhlich.
„Unter diesen Umständen komme ich noch viel lieber mit, lachte sie ins Telefon. „Ich habe nämlich inzwischen entschieden, dass ich mitkomme. Aber was ist denn mit dir passiert? Warum geht es dir plötzlich wieder gut? Wie kommt dieser Umschwung?
Ich erzählte ihr von meiner besonderen Begegnung und sie staunte.
„Aber wieso kommst du jetzt doch mit, Daniela?"
„Ich bin dauernd so erschöpft und hatte Angst vor der langen Fahrt.
Denn ich kann wegen eines wichtigen Termins nur zwei Wochen bleiben. Das bedeutet, dass ich die ganze Strecke allein mit dem eigenen Auto fahren muss. Doch jetzt habe ich mich entschlossen, es zu wagen und freue mich darauf."
„Hatte es nichts mit Katharina zu tun?"
„Nein, überhaupt nicht."
„Das finde ich gut. Schade, dass du nur zwei Wochen kommen kannst. Aber mit einer Zwischenübernachtung schaffst du die Fahrt, da bin ich ganz sicher."
Seltsam, wie sich plötzlich alles in Wohlgefallen auflöste. Nun konnte ich mich so richtig auf Dänemark freuen.
*
Daniela lernte ich 1999 bei einer kirchlichen Veranstaltung kennen.
Sie war gerade 25 Jahre alt. Mit meinen 48 Jahren war ich fast doppelt so alt. Doch wir mochten uns auf Anhieb.
Bei einem unserer nächsten Treffen schenkte sie mir ein Kinderbuch mit dem Titel Freunde, das die Freundschaft von drei Tieren beschreibt. Dieses Geschenk interpretierte ich als Freundschaftsanfrage an mich.
Meine Antwort war dann eine Geschichte, ebenfalls mit drei Tieren, nämlich einem Mäuschen, einer Katze und einem Hund. Daniela bekam wegen ihrer neckischen Art die Rolle des Mäuschens Stritzi und ich übernahm die Rolle der Katze Molli.
Die Geschichte handelt von Freiheit, Sehnsucht und Glück, dem Glauben an sich selbst, dem Überwinden von Ängsten und natürlich zuverlässige Freundschaft. Inhaltlich war es der Versuch, die persönliche Situation von Daniela zu erfassen.
Vor zwei Jahren wurde diese Geschichte von meiner Tochter Sabine mit herrlichen Bildern illustriert und als Kinderbuch veröffentlicht.³ Über das Jahr hinweg entwickelte sich, ungeachtet des Altersunterschieds, zwischen Daniela und mir eine schöne Freundschaft.
Überlebt für eine Aufgabe
Nach meiner gescheiterten Ehe lebte ich mit meinen Kindern allein, ohne neue Partnerschaft. Während unserer Trennung hatten sie durch verwirrende Umstände das Vertrauen zu mir verloren. Wir steckten in einer schwierigen Phase. Mit den teils pubertierenden und teils in der Ablösung begriffenen Töchtern gab es große Probleme und schmerzhafte Auseinandersetzungen.
Trotz großer gesundheitlicher Probleme, versuchte ich seit einem Jahr einen äußerst anstrengenden Job zu bewältigen.
Meine Aufgabe war es, die Katholische Kirchenzeitung, die eigentlich niemand wollte, im Außendienst von Haus zu Haus und von Tür zu Tür im Abonnement zu verkaufen.
Der Winter war für meine Rheumaschmerzen besonders hart. Nun hatten wir Februar und die Kälte kroch mir in alle Knochen.
Julia, meine jüngste Tochter, hatte eben ihre Führerscheinprüfung bestanden.
Sie wollte das Ereignis in einer Gaststätte feiern und zum ersten Mal mit meinem Auto fahren.
Seit Wochen befand ich mich in einem Zustand von extremer Erschöpfung. Ich fühlte mich völlig ausgebrannt und hatte eigentlich überhaupt keine Kraft mehr. Innerlich war ich wie tot und funktionierte nur noch wie ein seelenloser Roboter. Die speziellen Umstände der damaligen Familiensituation und mein anstrengender Außendienstjob hatten mich total zermürbt. Ich wusste nicht mehr, wie ich den normalen Alltag bewältigen sollte. Ich schleppte mich mit letzter Kraft von einer Notwendigkeit zur nächsten.
Aber ich wollte Julia den Wunsch, ihren Führerschein zu feiern, nicht abschlagen. Ich fühlte mich todmüde, zu müde, um die hintere Rückbank für Sabine, die ebenfalls mit kam, einzubauen. Wir waren eigentlich nie zu dritt unterwegs. Die Rückbank musste stets ausgebaut bleiben, damit mein Klapprad für den Job untergebracht werden konnte. Allein das Klapprad aus dem Kofferraum zu heben, fiel mir schon schwer. Zu mehr war ich nicht mehr fähig. Schließlich ging es ja nur um ein paar Kilometer bis zum Nachbardorf. So kam es, dass Sabine im kleinen Fiat Panda, hinten auf dem erhöhten Blech saß und sich nicht anschnallen konnte.
Ausgerechnet in dieser fatalen Situation passierte unser Unfall.
Julia geriet nach unserer Feier in einem Waldstück mit einer Geschwindigkeit von achtzig Stundenkilometern ins Bankett, kam dann ins Schleudern und wir flogen schließlich durch die Luft, frontal direkt auf die Bäume zu.
„Jetzt ist es aus! Nun werden wir alle sterben", war der einzige Gedanke, der mich ich in diesem Moment durchzuckte.
Doch es gab kein Gefühl von Angst in mir, sondern nur die Klarheit und die Gewissheit, dem Tod direkt ins Auge zu blicken. Und ich muss zugeben, ich für meinen Teil war in diesem Moment bereit. Ich war bereit zu sterben.
Mein Leben war so schwer geworden, meine lang anhaltende innere Erschöpfung, die ich nach außen nur noch zu kaschieren versuchte, hatte mich an das Ende meiner Kräfte gebracht. Ich hatte schon so viele Jahre kämpfen müssen.
Mein Kampf bestand darin, als Alleinerziehende den Alltag mit vier Töchtern zu bewältigen. Ich kämpfte in der Familie um Zusammenhalt und Unterstützung. Ich kämpfte bei meinen Kindern um Respekt und Achtung. Weiterhin kämpfte ich gegen Lügen und Verleumdungen von außen. Ich kämpfte an verschiedenen Fronten gleichzeitig. Nun war auch noch meine traumatische Vergangenheit getriggert worden, die mich quälte und schwächte.
Wie durch ein Wunder drehte sich das Auto plötzlich und flog nun seitlich, parallel an den Baumstämmen entlang weiter, bis es schließlich mit der Fahrerseite am Boden aufprallte, um dann noch einige Zeit im Graben entlang zu schlittern.
Im Kofferraum befanden sich drei Kästen Mineralwasser in Glasflaschen, die wir eben gekauft hatten. Diese Kästen durchbrachen die Heckklappe und samt Glasflaschen verloren wir sie im Flug. Wären die Flaschen noch im Auto gewesen, hätten sie uns beim Aufprall vermutlich erschlagen. Glücklicherweise lagen sie nun in tausend Scherben zwischen den zerborstenen Kästen im ganzen Wald herum.
Beim Aufprall brach mein Sitz aus der Verankerung. Ich schlug mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe, die sich spinnennetzartig in zig Risse zerteilte. Nachdem das Auto im dunklen Wald zum Stillstand kam, war mein erster, elektrisierender Gedanke:
„Du hast überlebt, weil du noch eine Aufgabe hast!
Gott will von dir noch etwas!"
Dies war viel mehr als ein bloßer Gedanke. Dies wurde zu einer Erkenntnis, die alles in mir veränderte. Meine elende Verfassung, meine ganze Empfindungswelt veränderten sich schlagartig. Denn plötzlich war Gott wieder spürbar, den ich schon lange nicht mehr wahrgenommen hatte. Dieser Gott hatte noch eine Aufgabe für mich.
Somit war ich doch noch nicht nutzlos. In meiner tiefen Erschöpfung hatte ich mich innerlich bereits aufgegeben und mein Leben in diesem Zustand nur noch als unwürdiges Dasein empfunden.
Und nun, von einem Moment zum nächsten, spürte ich in mir eine neue, unbändige Energie und Kraft, wie ich sie gefühlte Ewigkeiten nicht mehr wahrgenommen hatte. Hatte ich sie in diesem Ausmaß überhaupt jemals gespürt? Eine seltsame Euphorie, die ich bis dahin noch nie erlebt hatte, erfasste auf wundersame Weise meine Seele und meine ganze Person. Mir war, als würde ich in eine höhere Bewusstseinsebene schweben.
Der stark blutenden Platzwunde am Kopf schenkte ich überhaupt keine Beachtung. Ich spürte auch keinerlei Schmerzen, nur diese außergewöhnliche Energie.
Erst der zweite Gedanke galt meinen Kindern. Sofort stieg in mir ein tiefes, absolutes Wissen hoch: „Auch Meinen Kindern ist nichts Ernsthaftes passiert! Wir sind alle beschützt worden."
Der nächste Gedanke war, sofort den Wagen zu verlassen, denn diese kleinen Autos können bei einem Aufprall schnell in Flammen geraten.
„Raus, raus, sofort raus", schrie ich und kroch gleichzeitig durch die offene Heckklappe ins Freie. Julia folgte mir sofort. Zum Glück war die Heckklappe offen, sonst wäre es schwierig gewesen, rasch aus dem Fahrzeug zu klettern. Es lag ja auf der Seite und wir hätten erst das Gewicht der Beifahrertür hochstemmen müssen. Kein Mond, kein Stern erhellte den bewölkten Himmel. Wir waren von nachtschwarzer Dunkelheit umgeben. Nur die Scheinwerfer des Autos leuchteten im Graben noch einige Meter nach vorne, bis sich der Lichtkegel im Gestrüpp verfing.
Sabine lag bereits außerhalb des Fahrzeugs im Graben. Sie konnte nicht mehr aufstehen und stöhnte nur heftig. Wir hatten sie schon verloren, während das Fahrzeug über Gestrüpp und Gras rutschte.
„Sabine, du hast zwar starke Schmerzen und musst jetzt ganz tapfer sein. Aber hab keine Angst, ich weiß, dass du nicht ernsthaft verletzt bist. Glaube mir, ich weiß es wirklich", redete ich eindringlich auf sie ein.
Schon im nächsten Moment war der Motor eines Fahrzeugs zu hören. Rasch kletterte ich die Böschung hoch und ruderte mit beiden Armen. Ein Rettungssanitäter, der außerhalb seiner Dienstzeit unterwegs war, hielt an. Er rief über sein Handy sofort einen Krankenwagen.
Julia stand im Schockzustand hilflos herum. Ich ging auf sie zu:
Bist du verletzt? Ist bei Dir alles okay?
Ich glaube mir fehlt nichts
, erwiderte sie kleinlaut und begann zu weinen: Was habe ich angerichtet. Das Auto ist kaputt und Sabine ist verletzt.
Tröstend legte ich den Arm um sie:
Nein, es ist nicht wirklich etwas Schlimmes passiert. Das Auto ist unwichtig. Und Sabine ist nicht schwer verletzt. Glaube es mir, ich weiß das! Deshalb bin ich selbst auch ganz ruhig, wie du siehst. Sabine hat jetzt zwar heftige Schmerzen, aber die vergehen wieder. Sie wird wieder ganz gesund. Mache dir keine Sorgen, es wird alles gut.
Dies war unverändert ein tiefes Wissen in mir. Mit meinen Worten konnte ich Julia beruhigen und ihr die Angst nehmen.
Ich beugte mich wieder zu Sabine hinab, um auch sie zu trösten:
Sabine, der Krankenwagen ist unterwegs. Du bekommst sicher bald ein Schmerzmittel. Bis dahin musst du durchhalten und stark sein.
Meine Haltung und meine Worte waren so überzeugend, dass mir beide Kinder vertrauten und sich beruhigten.
Nachdem Sabine im feuchten Straßengraben lag, schlug der Rettungssanitäter vor, ihr etwas unterzulegen. Im Kofferraum befanden sich noch einige Zeitungsexemplare.
„Wir müssen ganz vorsichtig sein, denn sie hat sicher innere Verletzungen", raunte mir der Mann leise zu. Seine Aussage konnte mich nicht beunruhigen. Ich war sicher, dass das nicht zutraf. Vorsichtig legten wir Sabine Zeitungen unter die Hüften und unter den Kopf.
Dann redete ich erneut beruhigend auf Sabine ein:
"Sabine, der Krankenwagen kommt bald, es wird alles wieder gut.
Deine Schmerzen sind jetzt sicher schlimm, aber du bist nicht wirklich ernsthaft verletzt. Du wirst wieder ganz gesund. Wenn der Krankenwagen da ist, bekommst du bestimmt ein Schmerzmittel. Bis dahin musst du tapfer sein." Sabine stöhnte nur.
„Sabine, ist es in Ordnung, wenn ich kurz von dir weggehe? Der Mann ist Rettungssanitäter. Er bleibt bei dir, solange ich kurz weg muss, um einiges am Auto zu richten."
Sabine war nicht in der Lage zu antworten und ließ erneut nur ein Stöhnen hören.
Ich kroch zurück ins Fahrzeug, um den Zündschlüssel abzuziehen, an dem auch mein Hausschlüssel hing.
Ich registrierte weder meine Platzwunde am Kopf noch die Schnittwunden an den Händen. Ich befand ich mich in einem seltsam euphorischen Zustand, der mir eine unnormal schnelle Denkfähigkeit und eine außergewöhnliche Klarheit auf der mentalen Ebene verlieh.
Wir waren mit dem Leben davon gekommen und niemand war ernsthaft zu Schaden gekommen. Die Überzeugung, von einer Schutzglocke umgeben zu sein, führte zu einem seltsamen Glückszustand, was angesichts der Lage absurd klingen mag.
Ich finde gar keine Worte, um diesen Zustand richtig zu beschreiben.
Zweifellos war ich durch einen heftigen Adrenalinstoß in diesen völlig schmerzfreien Zustand geraten. Julia bemerkte inzwischen eine geschwollene Beule am Schlüsselbein, die durch den Druck des Sicherheitsgurtes entstanden war. Aber sonst fehlt ihr nichts.
Zeitungen, die ich als Werbeexemplare für meinen Job im Auto dabei hatte, lagen mit allen anderen persönlichen Gegenständen überall verstreut herum. Das helle Papier zeichnete sich trotz der Finsternis auf der dunkleren Erde deutlich ab.
Ich war wie besessen, um möglichst alle Zeitungen und Gegenstände einzusammeln.