Vergiftete Liebe
Von Barbara Schlüter
()
Über dieses E-Book
Der plötzliche, mysteriöse Tod eines Ensemblemitglieds am Königlichen Schauspielhaus versetzt Hannover in Aufruhr. Zugleich bietet er aber eine kurzfristige Ablenkung von den beherrschenden sozialen Themen der Zeit, der Arbeiterbewegung und den Forderungen der Frauen nach mehr Rechten. Die eigensinnige Elsa Martin ist fasziniert von Detektivgeschichten à la Sherlock Holmes.
Da sie einen weiteren Anschlag befürchtet, setzt sie ihr analytisches Denken und ihren Spürsinn ein, nicht gerade zum Wohlwollen der Familie und der Männer in ihrem Umfeld.
Mit Scharfsinn, Beharrlichkeit und einigen Tricks kommt die junge Frau dem Täter auf die Spur.
Mehr von Barbara Schlüter lesen
Gerächter Zorn Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVerheimlichte Liebe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAusgerechnet zum Feiertag: Historische Mordsgeschichten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnlich wie Vergiftete Liebe
Ähnliche E-Books
Keine schöne Leich: Die gnä' Frau ermittelt Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEffi Briest Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenElise-Trilogie / Elise und ihre Schwäche für den aufrechten Gang: Elise und ihre Schwäche für den aufrechten Gang / Band I der Elise-Trilogie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFrau Jenny Treibel: Roman aus der Berliner Gesellschaft Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Hagkens: Eine Soldatendynastie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDiese Zitrone hat noch viel Saft!: Ein Leben Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFrau Jenny Treibel: - mit Leitfaden zur Analyse - Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFrau Jenny Treibel: Einblick in die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWie es wirklich war: Erinnerungen eines Achtzigjährigen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFrau Jenny Treibel - Wo sich Herz zum Herzen findt: Einblick in die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Urlaubslektüre: Klassiker für die Reise Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSissy Band 15 - Kinder der Krone Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Familie Pfäffling Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFlucht ins Glück: Fürstenkrone Classic 27 – Adelsroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEine haarige Angelegenheit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchwester Monika (Klassiker der Erotik) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEffi Briest: Klassiker der deutschen Literatur Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTot und begraben: Kriminalroman aus der Eifel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Zirkuskomtess: Fürstenkrone 210 – Adelsroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Comtesse: Historischer Roman über das 17. Jahrhundert, die Frauen, den König und seinen Gärtner Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Tempel der Liebe (Krimi-Klassiker) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHimmel zu vererben: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Familie Pfäffling + Werden und Wachsen: Erlebnisse der großen Pfäfflingskinder: Zwei Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Liebestempel – historischer Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDu hast Augen wie ein Engel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBerlin, Bülowstraße 80 a Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Tränenhaus Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIch strick mir einen Schal aus Zeit: Geschichten und Erinnerungen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIhre Herzen standen in Flammen: Fürstenkrone Classic 46 – Adelsroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Historienromane für Sie
Die Verwirrungen des Zöglings Törless Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Simplicissimus: Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie ganze Saga: Ragnar der Wikinger Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWolf unter Wölfen (Band 1&2) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRobert Musil - Gesammelte Werke Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Tod des Vergil Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEngel des Vergessens: Roman Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Brief an den Vater Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPlaton - Gesammelte Werke Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenStolz und Vorurteil Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Jakobsbücher Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Piraten der Karibik: Ein Augenzeugenbericht aus dem 17. Jahrhundert Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie drei Musketiere: Illustrierte Fassung Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Gefährliche Liebschaften: Illustrierte Fassung Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Ulysses Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMein wildes, mutiges Herz Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Gedichte Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Duke, der mein Herz stahl Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKleider machen Leute Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5Die versteckte Apotheke: Roman | Der New York Times Top Ten Bestseller über Gift, Rache und einen geheimen Frauenbund Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Liebe hofft alles Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Fremde mit der Maske Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Trinker: - Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Duke mit dem versteinerten Herzen: Digital Edition Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErzählungen: Vor dem Gesetz, Das Urteil, Der Landarzt, Ein Hungerkünstler, Blumfeld, Bericht für eine Akademie, Der Jäger Graccus uvm. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKarl der Große Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Bunte Herzen: Dumala. Fürstinnen. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Bartholomäusnacht (Königin Margot) Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Das Verlorene Paradies (Illustriert) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenUmwege der Liebe Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5
Rezensionen für Vergiftete Liebe
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Vergiftete Liebe - Barbara Schlüter
Die Autorin
Autorin
Barbara Schlüter ist seit 33 Jahren selbständige Kommunikationstrainerin, Coach und Managementberaterin. Als wissenschaftliche Assistentin (damals Barbara Kroemer) am Historischen Seminar der Universität Hannover bot sie als Erste Veranstaltungen zum Thema ›Frauen in der Geschichte‹ an. Mit ihrem Sachbuch ›Rhetorik für Frauen‹ (1987) hat sie Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet.
Sie lebt nach einigen Jahren im Rheinland seit 2001 wieder in ihrer Heimatstadt Hannover und auf La Palma.
Ihre historische Romanreihe um 1890 ›Vergiftete Liebe‹, ›Verheimlichte Liebe‹, ›Gerächter Zorn‹ mit Detektivin Elsa besteht aus jeweils in sich abgeschlossenen Folgen. Außerdem ist Elsa aktiv in der Hannover Erzählung (1889) Wenn der Kaiser kommt, ist Feiertag in ›Ausgerechnet zum Feiertag – historische Mord(s)geschichten‹.
www.dr.b-schlueter.de
Barbara Schlüter
Vergiftete Liebe
Gesellschaftsroman um 1890
Impressum
Die Handlung und alle Personen des Textes sind frei erfunden.
Alle möglichen Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Vorgängen oder Ereignissen bzw. mit lebenden oder gestorbenen Personen sind rein zufällig.
www.elveaverlag.de
Kontakt: [email protected]
1. Auflage: Schardt-Verlag 2012
Neuauflage: © ELVEA 2020
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk darf, auch teilweise,
nur mit Genehmigung des Verlages
weitergegeben werden.
Autor: Barbara Schlüter
Bildquelle/Titelbild: Andreas-Andrew Bornemann
Königliches Schauspielhaus, heutiges Opernhaus
www.postkarten-archiv.de
Covergestaltung/Grafik: ELVEA
Layout: Uwe Köhl
Projektleitung
www.bookunit.de
Ein Nachmittagskaffee bei den von Elßtorffs
An einem sonnigen Nachmittag, den viele genüsslich im Freien verbrachten, saß Elsa Martin so gebannt lesend in ihrem kleinen Salon, dass sie die Welt um sich herum vergessen hatte. Plötzlich hörte sie die typischen, kurztaktigen Schritte ihrer Tante auf ihr Zimmer zukommen. Blitzschnell schloss sie den Fall Leavenworth, eine spannende Geschichte über einen Mord in einem abgeschlossenen Raum, und versteckte die Lektüre in einer Schublade ihres Louis-Phillip-Sekretärs. Stattdessen zog sie einen der roten Bände aus Engelhorns allgemeiner Romanbibliothek zu sich heran, den sie zuvor wütend zugeklappt hatte, da es in einer Novelle vor frommer, demütiger, willenloser Frauenliebe nur so triefte.
Sie wollte ihre geliebte Tante Sophie mit der Lektüre nicht unnötig beunruhigen. Ihre Vorliebe für Romane über rätselhafte Verbrechen schätzte diese ebenso wenig wie Elsas Interesse an naturwissenschaftlichen und medizinischen Fragen … Tante Sophie machte sich um ihre Zukunft Gedanken, schließlich befand Elsa sich mit achtzehn Jahren längst im heiratsfähigen Alter!
Sophie von Elßtorff betrat nach kurzem Anklopfen das Zimmer. Wie bereits in Elsas frühesten Kindheitserinnerungen duftete sie dezent nach Verthiver.
»Meine liebe Elsa«, rief sie, »ich brauche deine Hilfe! Stell dir vor, die Köchin rutschte mit der vollen Kuchenplatte aus. Ausgerechnet die von dem guten königlich Kopenhagener Geschirr ist perdue – und die Stachelbeersahnebaisertorte natürlich auch! Bitte geh mit Trine sofort zum Bäcker Fahrenhorst, hole Gebäck und vor allem Tortenstücke. Welch Glück, dass wir diesen guten Konditor gleich hier in der Königstraße haben. Und danach geselle dich bitte zu uns und unterstütze mich – es kommen die Damen von der Schulenburg und von Hohberg. Du weißt, wie anspruchsvoll die beiden sind.«
Bei Einladungen nahm es Sophie mit der Gestaltung der Tischdekoration überaus genau, sie legte im wahrsten Sinne des Wortes Wert auf das Dekorum. Elsa, die sich bei ihrem Eintritt sofort erhoben hatte, umarmte Sophie und sagte: »Tante-Maman, entschuldige, es ist egoistisch, dass ich hier sitze und lese. Natürlich komme ich.«
Diese Anrede beruhte auf einem Relikt aus Kindertagen. Elsa war noch sehr jung, als die Familie die Waise, die Maximilian von Elßtorff eigens auf der fernen kanarischen Insel La Palma abgeholt hatte, aufnahm. Nach kurzer Zeit empfand sie das Ehepaar als Eltern. Mit Heinrich, dem ein Jahr älteren Sohn des Hauses, wuchs sie wie mit einem Bruder auf. Sophie und Maximilian behandelten sie wie eine Tochter. Das kleine Mädchen verstand nicht, warum Heinrich Maman sagte, während sie selbst Tante sagen sollte. Daraus entstand Tante-Maman, was auch bestens in Sophies mütterliche Gefühlswelt passte. Heute setzte Elsa diese Anrede nur noch ein, um deren zartes Nervenkostüm liebevoll zu beruhigen. Die Einladungen, die zu den gesellschaftlich üblichen Nachmittagsbeschäftigungen der gehobenen Kreise gehörten, schätzten beide wenig. Umso mehr freute sie sich, wenn sie von einigen dieser langweiligen Kaffeekränzchen Dispens erhielt.
»Keine Sorge, liebe Tante, ich gehe sofort mit Trine los. Lass den Damen inzwischen von dem Baumkuchen aus der Konditorei Kreipe servieren, außerdem den neuen Eilenriede-Cake, den Hermann Bahlsen Onkel Maximilian neulich mitgab. Da haben sie etwas zum Kosten und können sich lang und breit darüber auslassen.«
»Aber Kind«, sagte Sophie in leicht tadelndem Ton, wobei sie sich ein Lächeln verkneifen musste.
»Du siehst in dem neuen grünen Kleid übrigens superb aus, Tante – niemand käme auf die Idee, dass du kürzlich deinen vierzigsten Geburtstag gefeiert hast.«
»Aber Kind«, wiederholte Sophie, dieses Mal jedoch offensichtlich erfreut.
Elsa fegte undamenhaft fix die Treppen aus dem ersten Stock hinunter.
»Gnädiges Fräulein, so flink bin ich nicht!«, hörte sie die nach Luft japsende, füllige Trine hinter sich rufen, deren altmodisches Mieder krachte.
Kurze Zeit später öffnete Elsa stürmisch, gefolgt von dem völlig atemlosen Dienstmädchen, die Tür zu Meister Fahrenhorsts Reich. Genüsslich sogen beide den Duft von frischem Brot und Backwerk ein. Die Ehefrau des Bäckermeisters kam freundlich auf sie zu. »Gnädiges Fräulein, was darf es heute sein?«
»Uns ist ein Malheur passiert, Frau Fahrenhorst, die Köchin ließ die Tortenplatte herunterfallen, wir brauchen Torten und Kuchen – und es pressiert!«
»Ich werde alles fabelhaft dekorieren, ich weiß doch, welchen Wert Ihre Tante auf solche Dinge legt. Gibt es bei den Kuchensorten besondere Wünsche?«
»Ach ja, ich sehe gerade die wunderbare Heidelbeertorte.«
»Das nenne ich eine gute Wahl! Diese Torte schmeckt einfach köstlich! Das Rezept stammt original aus dem Gasthaus Weißes Rössl am Wolfgangsee.«
»Ach, wirklich, Frau Fahrenhorst, das werde ich den Damen erzählen. Außerdem bitte von der Mandeltorte, der Linzer Torte und der Zitronentorte. Die übrige Auswahl überlasse ich Ihnen.«
»Sie können sich wieder zu Ihrer Gesellschaft begeben, Fräulein Martin«, sagte die Bäckersfrau. »Trine und unser Lehrling kommen so schnell wie möglich. Meine Empfehlung an die gnädige Frau!«
Elsa eilte zurück. Sie sah auf ihre kleine goldene Uhr, die sie an einer Kette um den Hals trug – genau elf Minuten waren vergangen. Bereits im Flur hörte sie die näselnd herablassende Stimme von Edelgarde, Gräfin von Potocki, einer verwitweten Cousine von Sophie. Auch das noch! Diese Frau war mit ihrer Besserwisserei eine echte Plage!
Als sie den gelben Salon betrat, befand sich die Unterhaltung in lebhaftem Gange. Die Damen saßen auf gelbbezogenen Fauteuils, bequemen Armlehnstühlen und einem langen, gelbweißgestreiften Biedermeiersofa. Ein Sekretär und eine Kommode gleichen Stils verstärkten den anheimelnden Charakter des Raumes. Von hier erreichte man durch zwei hohe, verglaste Flügeltüren den repräsentativen vorderen Balkon. An dessen äußeren Ecken befanden sich stabile Halterungen, die bei feierlichen Anlässen die Fahnen aufnahmen. So manche Parade und einige Besuche des Kaisers hatte man gemeinsam mit Freunden von hier aus verfolgt.
Die durchgehende Farbwahl bei der Gestaltung des Salons – mit den Farben Gelb und Weiß zugleich auch die Hausfarben der ehemaligen hannoverschen Königsfamilie – wirkte dezent und elegant.
Der Hausherr, der Architekt Maximilian von Elßtorff, hegte traditionelle Sympathien für die Welfen, deren Reich 1866 an die Preußen fiel. Schließlich hatte er als junger Mann in der Schlacht von Langensalza gekämpft. Die Verehrung und Anhänglichkeit an das Königshaus erhielt sich bei ihm und bei vielen Hannoveranern. Die Welt jedoch veränderte sich. Vor allem, nachdem 1871 das Deutsche Kaiserreich gegründet worden war und Deutschland endlich eine Nation bildete. Neue wirtschaftliche Möglichkeiten entwickelten sich, die auch Maximilians Geschäften zugutekamen.
Wie Elsa vorausgesehen hatte, sprachen die Damen über den Eilenriede-Cake.
»Das ist einfach, aber ausgesprochen lecker«, fand die Frau Kommerzienrätin.
»Knusprig und praktisch. Auch wunderbar dabeizuhaben für eine Fahrt in der Eisenbahn«, tönte Tante Edelgarde dazwischen. Innerlich zusammenzuckend bemerkte Elsa, dass die Tante, nach der Menge von feinen Krümeln auf ihrer der Schwerkraft erlegenen Oberweite zu urteilen, bereits gründlich probiert hatte. Das schwarze Witwengewand wirkte mit einem roten Shawl und einem rotgemusterten Pompadour völlig absurd. Wahrscheinlich findet sie sich hochelegant, vermutete Elsa. Nach der Begrüßung sagte sie: »Ich finde den Cake auch wohlschmeckend. Onkel Maximilian meint, Bahlsen könnte sich zu einem richtigen Gründer mit Weitsicht und Ideen entwickeln. Jetzt hat er mit zehn Beschäftigten angefangen – wer weiß, wie viele es in ein paar Jahren sein werden!«
Einige Damen sahen Elsa etwas ungläubig an. Die Gräfin von Hohberg rümpfte gar die Nase. Prompt reagierte Tante Edelgarde: »Mein liebes Kind, eine Bäckerei wird kaum zum großen Unternehmen. Ein Kaufmann, der Gebäck herstellen will. Nun ja, es herrschen andere Zeiten, diese Kaufmänner werden eben immer wichtiger und reicher. Wie gut, dass mein seliger Gatte, der Graf von Potocki, solches nicht mehr erleben muss!«
Nur zwei Damen nickten zustimmend. Elsa hingegen schätzte Hermann Bahlsen nicht zuletzt deshalb, weil er ihr den 1888 erschienenen ersten Roman von Arthur Conan Doyle aus London mitgebracht und geschenkt hatte. ›Die Studie in Scharlachrot‹ mit dem Detektiv Sherlock Holmes und seinem Assistenten Dr. Watson hatte sie vor Spannung fiebernd in jeder freien Minute verschlungen.
»Herr Bahlsen will seinen Keks zu Ehren unseres großen Gelehrten übrigens Leibniz-Cake nennen, er meint, Eilenriede-Cake sei nur für den hiesigen Markt interessant.«
In diesem Moment trugen endlich Trine und die Köchin die Kuchenplatten herein. Elsa half den beiden und schnüffelte unauffällig, als sie neben Miene stand. Ein schwacher Geruch nach Schnaps und Pfefferminzpastillen bestätigte ihren Verdacht, dass diese nach dem Mittagessen womöglich ein Schnäpschen zu viel getrunken haben könnte. Glücklicherweise wandte die allgemeine Aufmerksamkeit sich den köstlich aussehenden Kuchenplatten und nicht der rotgesichtigen Köchin zu.
Just in diesem Augenblick meldete das Mädchen die Ankunft von Isidora, der Tochter des Malers Friedrich Kaulbach. Von ihm stammte das wunderbare Porträt der Hausherrin, das ebenfalls im gelben Salon hing. Sowohl Sophie als auch Elsa lächelten erfreut, da beide Isidora sehr schätzten. Diese entschuldigte sich für ihre Verspätung. Vor allem die Gastgeberin ansehend, sagte sie: »Ihr kennt ja Papa, wenn er malt. Ich saß ihm Modell, und er vergaß völlig die Zeit. Mama befreite mich schließlich. Sie lässt herzlichst grüßen.«
Sophie nickte ihr freundlich zu. »Sei wie immer willkommen.« Sie drehte sich wieder zu ihren Gästen: »Ich verabsäumte, Ihnen zu sagen, dass mein Sohn Heinrich noch nicht weiß, ob er später kurz hereinschauen kann. Er musste sein Medizinstudium in Berlin wegen einer schweren Unpässlichkeit des Magens unterbrechen.«
Die Damen murmelten bedauernde Worte und widmeten sich Torten und Gebäck. Das Gespräch wandte sich Isidora zu. Die Freundschaft mit der jetzt achtundzwanzigjährigen Tochter des Malers war bei den Sitzungen im Kaulbachschen Atelier entstanden. Gern war Sophie zu der inmitten eines Gartens gelegenen Villa am Waterlooplatz gefahren. Fremde bewunderten den Bau im, wie sie meinten, italienischen Stil. Dabei hatte, wie Sophie mittlerweile patriotisch betonte, der hannoversche Architekt Heinrich Tramm den Rundbogen mit Stabwerk populär gemacht.
Die Villa schenkte einst der blinde König Georg V. seinem frisch ernannten Hofmaler Friedrich Kaulbach, der damit dem Schloss schräg gegenüber wohnte.
»Wie geht es deinen Eltern, Isidora?«, fragte Sophie, die wusste, wie oft sich der gefragte Maler des Adels in den vergangenen Jahrzehnten monatelang auf Reisen befunden hatte.
»Mama und Papa fühlen sich zu Hause glücklich«, antwortete Isidora. »Und Vater genießt es besonders, hier zu sein. Immerhin ist er achtundsechzig Jahre alt.«
Da unterbrach sie Tante Edelgarde. »Sagen Sie, Fräulein Kaulbach, sind Ihre Eltern denn von unserer lieben Königin Marie im österreichischen Exil empfangen worden?«
»Ja, Papa weilte öfter dort, Maman auch einige Male.«
»Wie aufregend! Was erzählte Ihre Mutter darüber?«
»Nun, Maman fand es amüsant, dass am Hof von Gmunden alle Plattdeutsch reden, weil sich der Herrscher nur mit Personal aus dem Hannöverschen umgibt. Zutiefst bewegte es sie aber, die ehemalige Landesmutter in ihrem Salon zu erleben. Da sieht es aus wie in einem Museum, das die vielen Schätze kaum zu fassen vermag.«
»Sie meinen, der Raum ist von oben bis unten vollgestopft?«, hakte Tante Edelgarde mit ihrem üblichen Taktgefühl nach. Sie erntete von mehreren Anwesenden böse Blicke, was sie nicht einmal bemerkte.
»Königin Marie will eben mit und in ihren Erinnerungen leben«, ließ Isidora die boshafte Anmerkung abperlen. Einige der Damen nickten ergriffen.
Sophie wechselte geschickt das Thema. »Wie geht es dem Herrn Papa?«
»Er arbeitet gern in seinem großen Atelier und genießt es, seine Familie und seine Freunde um sich zu haben. Auch wenn es mit dem Weggang Bronsarts, unseres verehrten Intendanten des Königlichen Schauspielhauses nach Weimar leider viel ruhiger geworden ist.«
Für Elsa hatte sich durch die Freundschaft zwischen den Ehepaaren Kaulbach und Bronsart die Welt des Theaters intensiv erschlossen. Kaulbachs und deren engste Freunde waren stets gerngesehene Gäste in der Bronsartschen Loge gewesen.
Inzwischen wurden Likörchen angeboten. In die zarten, langstieligen Gläser passte nur ein Schlückchen.
Frau von Schulenburg strich über ihren Spitzenkragen und hob ihr Gläschen. »Prost, meine Damen!«
»Na zdrowie, wie mein seliger Gatte, der Graf, zu sagen pflegte«, entgegnete Edelgarde und hob ihr Glas mit elegant abgespreiztem, kleinem Finger. Sie winkte Trine zu sich, weil sie die Flasche inspizieren wollte. Um das Etikett lesen zu können, zückte sie ihre Lorgnette. Das dekorative Stück mit Schildpatt und Gold war in Form einer Geige gefertigt. Mit geübtem Griff ließ sie das Gestell aufspringen, und zwei rechteckige Brillengläser mit Steg kamen zum Vorschein.
»Ah, Orangenlikör von Mampe aus Berlin«, stellte sie fest, nachdem sie das Etikett eingehend beäugt hatte. »Sehr bekömmlich, nicht wahr, meine Damen?«
Diese murmelten Zustimmung, und Edelgarde nutzte die Gelegenheit, sich nachschenken zu lassen. Nach fünf Stück Torte, etwas Gebäck und vier Likörchen fühlte sie sich so gestärkt, dass sie wieder lebhafteren Anteil am Gespräch nahm.
»Was werden denn unsere beiden Mademoiselles für den nächsten Wohltätigkeitsbasar der Frau Kommerzienrat für die Henriettenstiftung beitragen? Hast du schon eifrig Socken gestrickt, Elsa? Die feinen Handarbeiten gehören ja nicht so zu deinen Stärken!«
Erneut beeilte sich Sophie, den beiden jungen Damen beizustehen. »Elsa übernimmt den Verkauf der Zuckerwaren und Isidora die Wollsachen.«
»Ja, Elsalein, die Zuckerbäckereien, das passt ja wunderbar. Da wirst du regen Zuspruch finden. Dieser Stand wird immer besonders umlagert. Auch die Herren Offiziere kaufen gern etwas Süßes. Die letzte Ballsaison verfloss ja leider erneut erfolglos.«
Isidora und Elsa blickten sich kurz aus den Augenwinkeln an und rangen um Fassung. Das leidige Thema Ehe war mal wieder angebracht worden. Bevor irgendjemand reagieren konnte, setzte Edelgarde schon erbarmungslos nach: »Macht euch recht hübsch, Kinder, und seid freundlich zu den Herren. Es werden viele Kavaliere kommen. Ihr wäret nicht die Ersten, die sich auf einem Basar einen Ehemann geangelt haben.«
Während Elsa noch nach Worten für eine geharnischte Entgegnung suchte, wechselte Frau von Strathen, die Edelgarde einen indignierten Seitenblick zuwarf, bewusst das Thema.
»Es ist in vielerlei Hinsicht im Königlichen Hoftheater ruhiger geworden. Jetzt, meine Damen, merken wir besonders, was wir verloren haben. Vor über zwei Jahren ging Bronsart nach zwanzigjährigem Wirken fort. In keiner Provinzstadt, die Hannover ja seit 1866 ist, konnte man vollendetere Aufführungen erleben als auf der Bühne des stolzen Theaters unserer einstigen Residenz.«
Diese Ausführungen entlockten einigen Damen tiefe Seufzer, welche sowohl dem Verlust des Intendanten als auch dem Ende des Königreiches Hannover gelten mochten. Nicht zufällig sprach man oft noch vom Hoftheater, obwohl es mit der preußischen Annexion zum Königlichen Schauspielhaus geworden war.
»Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau von Strathen«, entgegnete die Gräfin von der Schulenburg, »es geht bergab.«
»Liebe Gäste«, warf Sophie, die eine Debatte heraufziehen sah, rasch ein, »schauen wir auf die Gegenwart. Was bringt uns der Spielplan Interessantes? Und in welchen Rollen wird deine Freundin Roberta Stein glänzen, Elsa?«
»Cousine Sophie«, tönte Tante Edelgarde erneut dazwischen, »du weißt, dass ich mich nie einmische, aber diese Freundschaft finde ich wenig passend und unseren Kreisen nicht angemessen. Wer geht schon zur Bühne?«
»Fräulein Stein schätze ich als eine herausragende Schauspielerin und ausgesprochen sensible und feingeistige Person, Edelgarde!« Damit machte Sophie für ihre Verhältnisse recht deutlich ihrer Verärgerung Luft.
Elsa, die innerlich anfing zu kochen, beherrschte sich dennoch, ignorierte die taktlose Unterbrechung und berichtete: »Ein Höhepunkt wird die Premiere von Lessings ›Minna von Barnhelm‹ sein. Die Minna spielt selbstverständlich Roberta, die …«
Erneut wurde sie unterbrochen: »Und Oscar Leitner, unser hochverehrter Schauspieler, ach, ich sehe ihn ja so gern, was für ein Mann …« Edelgarde Gräfin von Potockis Miene verzog sich so vor Entzücken, dass ihr Doppelkinn noch eine Extrafalte warf. »Bestimmt wird er den Tellheim spielen.«
Frau von Strathen zupfte mit Daumen und Zeigefinger geziert an ihrem Taftrock. »Nun, dass er Chancen bei den Damen hat, soll Herr Leitner auch weidlich ausnutzen. Das spricht sich ja trotz seiner Diskretion herum.«
Die Gräfin von der Schulenburg nickte so vehement, dass die Federn auf ihrem feschen Hütchen in heftige Bewegung gerieten. »Als er hier als jugendlicher Liebhaber anfing, ging er noch nicht so dezent vor. Da setzte er so manchem Ehemann die Hörner auf.«
»Genau so war es«, sekundierte ihr die Gräfin Hohberg mit wissendem Blick, und ihre Augen begannen zu funkeln. »Einige Herren dürfte er so bis ins Mark getroffen haben, dass sie sich nur allzu gern an ihm rächen würden.«
»Aber, aber, doch nicht vor den jungen Damen«, wandte Frau von Strathen ein, wobei ihre klatschlüsterne Miene nicht zu ihrer Zurechtweisung passte. So fuhr sie auch gleich selbst fort: »Ja, Oscar Leitner brach schon so manches Frauenherz. Und dabei wird er ja auch oft mit Fräulein Stein gesehen, die beiden gehen häufig soupieren. Ob es sich hier wirklich nur um eine Freundschaft unter Kollegen handelt?«
»Nun, in letzter Zeit wurde Fräulein Stein aber öfter mit einem anderen Herrn beim Dinner in Kastens Hotel gesichtet. Angeblich ein Sänger aus Köln«, wusste die Kommerzienrätin beizusteuern.
Elsa mochte diese Tratscherei nicht. Dass man über Roberta und den Sänger August Remmèrs sprach, würde dieser nicht gefallen. Sie wollte gerade einige deutliche Worte zur Ehrenrettung ihrer Freundin sagen, als Sophie erneut geschickt das Thema wechselte. »Wer wird denn die Kammerzofe spielen? Es soll ja eine neue Schauspielerin geben.«
Den ihr zugespielten Ball ergriff Elsa sofort: »Sie heißt Sarah Amber, stammt aus Amerika und spricht fließend Deutsch – mehr weiß ich bis jetzt auch nicht.«
In diesem Augenblick trat der Sohn des Hauses ein, um kurz seine Aufwartung zu machen.
Isidora, die wusste, wie ungern Heinrich die Honneurs machte, meldete sich zu Wort: »Wir freuen uns jedenfalls schon sehr auf die Premiere. Fräulein Stein schenkte Elsa bereits als Dank für ihre Hilfe beim Rollenstudium Eintrittskarten. Es wird gewiss eine wunderbare Aufführung, wenn sie auch am Freitag, dem 13. stattfindet.«
»An einem Freitag, dem 13. – das könnte aber ein schlechtes Omen sein«, bemerkte prompt Edelgarde, die ein Faible für Schwierigkeiten und Katastrophen aller Art pflegte.
Elsa verfolgte die weitere Unterhaltung nur noch oberflächlich. Obwohl sie nicht zu Aberglauben neigte, beschlich sie plötzlich ein ungutes Gefühl – wenn bloß bei der Premiere alles gutging! Erleichtert bemerkte sie, dass die Gäste aufbrachen. Während die Damen in den vorgefahrenen Kutschen heimwärts strebten, wollte sich Sophie, die abgespannt wirkte, in ihre Räume zurückziehen.
»Liebe Isidora«, verabschiedete sie sich, »bitte grüß herzlich die Frau Mama und den Herrn Papa von mir.«
Besorgt blickte Elsa ihr nach. Der Gesundheitszustand von Sophie verschlechterte sich zusehends. Wie heftig hatte diese vor einigen Tagen an einem schwülen Frühsommertag gelitten. Hochgeschlossene Kleider mit gebauschten Ärmeln und engen Wespentaillen, die das Hinterteil betonten, wirkten ja im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Und dazu noch die fest anliegenden, vorne spitz zulaufenden Knopfstiefeletten, die bei der Wärme besonders erbarmungslos drückten. Da nutzten auch die hübschen, mit Rüschen besetzten Sonnenschirme nichts. Nach der geringen Anstrengung, die Stufen zum Königlichen Schauspielhaus zu ersteigen, schnappte Sophie so heftig nach Luft, dass Elsa befürchtete, sie würde in Ohnmacht fallen.
Hoffentlich kann unser Hausarzt die Tante endlich dazu bringen, zur Kur zu fahren. Nicht zuletzt könnte ich einige meiner Unternehmungen ohne ihr beständig wachsames, mütterliches Auge, einfacher durchführen. Bei dem Gedanken huschte ein spitzbübisches Lächeln über Elsas Züge.
In ihrem Schlafgemach erwartete Sophie bereits Kammerzofe Lena, um ihr aus dem grünen Nachmittagskleid zu helfen. Nachdem die Zofe geschickt Knopf für Knopf auf dem Rückenteil des Kleides geöffnet hatte, bat Sophie das Mädchen: »Bitte lockere mir auch das Korsett. Obwohl ich wenig zu mir nahm, fühle ich mich nach Kaffee und Kuchen so beengt.«
»Fünfundvierzig Zentimeter Taillenumfang, gnädige Frau, das bedeutet fürwahr, dass leiden muss, wer dem Schönheitsideal entsprechen will.« Lena lockerte so gut es ging die Schnürung des Stahlkorsetts, half ihrer Herrin in einen leichten Hausmantel und schloss die Übergardinen.
»Haben Sie noch Wünsche?«
»Nein danke, Lena, ich brauche dich jetzt nicht mehr.«
Sophie legte sich aufs Bett und erinnerte sich dankbar daran, wie ihre Kammerzofe ihr damals aus München nach Hannover gefolgt war. Ihr Vater hatte diskret versucht, Maximilian die vielfältigen Wege, die er ihm in München ebnen konnte, vor Augen zu halten. Der aber liebte seine Heimatstadt. Genau dort und nirgendwo anders wollte er bauen und sein Glück als selbständiger Baumeister und Architekt machen. Maximilian hatte ihr viel von seiner Stadt erzählt.
»Hannover, liebe Sophie, ist ja keine Residenzstadt mehr. Es wird sich nach und nach zu einer Beamten- und Militärstadt entwickeln. Etwas Glanz und Farbe verleihen dem Ganzen die Reitschüler, die Königsulanen, die Infanterie- und Artillerieregimenter mit Reiterfesten, Kasinobällen und Gesellschaften. Auch unser königliches Hoftheater wird dich mit hervorragenden Vorstellungen erfreuen.«
Binnen kurzem hatte sie sich mit tatkräftiger Unterstützung der tüchtigen Haushälterin Marga Lheiß mit der ungezwungenen hannoverschen Gastfreundschaft angefreundet. Zufallsgäste hieß man zu jeder Mahlzeit a la Fortune du Pot willkommen.
Recht bald hatte sie festgestellt, welch hervorragende Produkte es in ihrer neuen Heimat gab. In ihrem Elternhaus in München gehörte es zum guten Ton, sich vom Hofkonditor Demel in Wien jeden Monat Baumkuchen schicken zu lassen. Den bestellte sie jetzt beim Konditor Kreipe, der sich mit Demel durchaus messen konnte.
Die von Elßtorffsche Tafel wurde bald als etwas Besonderes gerühmt. Es gab nicht nur Gerichte aus dem Süddeutschen wie einen köstlichen Schweinebraten mit Kruste, dazu Biersauce und Knödel, sondern auch die raffinierten französischen Rezepte aus der Pensionatszeit in der Schweiz mit ihrer Freundin Ernestine.
Sophie seufzte, als sie an das ungewisse Schicksal ihrer engen Vertrauten dachte, die auf einer fernen kanarischen Insel als verschollen galt.
Alles begann mit einem Brief an Sophie, der den langen Weg von La Palma tatsächlich nach Hannover fand und Ende 1873 ankam. Das bedeutete schon ein kleines Wunder. Denn Sophie erhielt bis dahin von ihrer liebsten und besten Pensionatsfreundin Ernestine, die ihr einst das Leben gerettet hatte, nur einen einzigen Brief. Darin vermeldete diese nur kurz ihre Ankunft auf La Palma bei ihrer Patentante Hanna und kündigte ausführlichere Schreiben an.
Aber weitere Post kam nie, was den Verdacht aufkommen ließ, es seien Sendungen verlorengegangen. Man suchte die Insel erst einmal auf dem großen Weltglobus. Eine Gruppe von sieben, auf der Höhe der Sahara in den Atlantik hinein gestreuten Eilanden, entdeckten sie nach längerem Suchen. Und die westlichste der Kanarischen Inseln hieß La Palma. Aus den Mitteilungen der Patentante ergaben sich gewichtige Konsequenzen. Unvorstellbar, wie anders alles gekommen wäre, wenn gerade dieses Schreiben nie angekommen wäre.
Hanna war offenbar ernsthaft erkrankt. Der Brief bestand aus einem Hilfe- und Notruf, der eine Reise auf die ferne Insel unumgänglich machte! Die Zeilen mit der schwierigen, teilweise fahrigen und schwer zu entziffernden Handschrift hatte Sophie so oft gelesen, dass sie den Inhalt noch heute auswendig kannte:
›Verehrte Gräfin von Elßtorff,
wie Sie wahrscheinlich wissen, bin ich, die unterzeichnete Hanna Martin-Sander, die Patentante von Ihrer besten Freundin Ernestine aus der Pensionatszeit. Ernestine verschwand auf rätselhafte Weise vor vier Monaten und gilt als verschollen. Ich bin sehr schwer erkrankt, und es scheint ungewiss, ob ich am Leben bleibe. Mein Mann, der Agrar-Ökonom Raffael Martin-Perez, starb vor drei Jahren, so besitze ich hier keine zuverlässigen Vertrauenspersonen. Meine große Sorge gilt dem kleinen Mädchen. Es gibt niemanden an Ort und Stelle, der sich kümmert, falls mir etwas passiert. Ernestine sagte immer, im Notfall könnten wir felsenfest auf Sie bauen. Holen Sie Kleinchen nach Deutschland, es braucht für sie einen passenden Rahmen. Mehr kann ich nicht schreiben, das musste ich Ernestine auf die Bibel schwören.
Gott schütze Sie!
Abrazzos fuerte
Ihre ewig dankbare
Hanna Martin-Sander‹
Der Möglichkeit, dass eventuell ein Unglück oder gar ein Verbrechen geschehen war, jagte Sophie stets kalte Schauer den Rücken hinunter. Noch nach zwanzig Jahren vermisste sie ihre beste Freundin, der sie letztendlich ihre geliebte Ziehtochter zu verdanken hatte. Und mit diesen Gedanken fiel sie in einen unruhigen Schlummer.
Die beiden jungen Frauen begaben sich zu Elsas Räumen. Wie immer setzte sich Isidora an den ovalen Mahagonitisch und genoss die schöne Atmosphäre. Welch eine Wohltat bildete diese Einrichtung im Stil Louis-Phillipe, verglichen mit den sonst üblichen schweren und überladenen verzierten Möbeln der Gründerzeit.
»Diese Tante Edelgarde ist ja noch enervierender, als du sie beschrieben hast, Elsa.« Isidora machte