Verraten und verheizt: Als Volksdeutscher bei der Waffen-SS
Von Otto Fr. Rossegg
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Verraten und verheizt - Otto Fr. Rossegg
Meine Heimat Slowakei
Über den großen Dramen des Zweiten Weltkriegs ist die Rolle, die meine Heimat, die Slowakei, in diesem Inferno gespielt hat, weithin unbeachtet geblieben, und auch heute noch ist das Wissen über dieses kleine Land trotz dessen Zugehörigkeit zu EU und NATO im Allgemeinen sehr begrenzt.
Die heutige Slowakische Republik hat eine Fläche von 49 014 km², die von rund 5 Millionen Einwohnern bevölkert wird. Die Hauptstadt heißt seit 1918 Bratislava (früher Preßburg). Geprägt wird das Land von Gebirgen wie der Hohen Tatra, dem Hochgebirge der Westkarpaten, mit der Gerlsdorfer Spitze (2663 Meter), dem Slowakischen Erzgebirge, Neutragebirge der Mittelslowakei, dem Fatragebirge, den Belaer Alpen und den Ausläufern der Beskiden. Der Hauptfluss des Landes ist die Waag (Váh), die das Staatsgebiet durchquert und in die Donau mündet. Waldreiche Gebirgszüge setzen den Karpatenbogen im Osten fort.
Das Gebiet der heutigen Slowakei zählt zu den ältesten europäischen Siedlungsräumen und war bereits vor der letzten Eiszeit von Menschen bewohnt. Historisch nachweisbar ist die Präsenz von Kelten, Hunnen und verschiedenen germanischen Stämmen, ehe im Verlauf des 6. nachchristlichen Jahrhunderts die Slawen zur dominanten Ethnie wurden. Im Frühmittelalter war die Slowakei Teil des Mährerreiches, des ersten slawischen Großreichs. Nach dem Mongolensturm, der im 13. Jahrhundert weite Teile der Slowakei nahezu entvölkerte, wurden deutsche Siedler zur Neubesiedelung ins Land geholt, die sogenannten Karpatendeutschen. Bauernhöfe, deren Geschichte sich über 600 und mehr Jahre zurückverfolgen ließ, waren vor dem Zweiten Weltkrieg in der Slowakei keine Seltenheit, und im Mittelalter bestanden die Führungsschichten der meisten slowakischen Städte aus Deutschen. Politisch war die Slowakei seit dem Jahr 1000 Teil des Königreichs Ungarn und damit im weiteren Verlauf der Habsburgermonarchie. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gehörte das Land als »Oberungarn« dem ungarischen Königreich an.
Am 28. Oktober 1918 löste sich die Tschechoslowakei aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, die aufgehört hatte zu existieren, und wurde ein selbständiger Staat mit den Ländern Tschechien/Mähren, Slowakei und Karpatho-Ukraine. Auch nach Abschluss der Pariser Vorortsverträge, die den Kriegszustand beendeten und den unterlegenen Mittelmächten erhebliche Lasten aufbürdeten, lebten im Süden des Landes Angehörige verschiedener Ethnien in Frieden miteinander: relativ große ungarische Minderheiten, Tschechen, Roma, Ruthenen, Juden, Polen und starke deutsche Minderheiten in den »Sprachinseln« der Ober- und Unterzips, dem Hauerland, Kaschau und Preßburg. Der Frieden endete, als Hitlerdeutschland damit begann, unter den deutschen Minderheiten einen aggressiven Nationalismus zu entfachen, der letztlich zum Untergang der Tschechoslowakei führte.
Am 29. September 1938 trat das Münchner Abkommen in Kraft, mit dem das Sudetenland an das Deutsche Reich angeschlossen wurde. Nur ein halbes Jahr später, im März 1939, besetzte die Wehrmacht die »Resttschechei«, die fortan als »Protektorat Böhmen und Mähren« unter deutsche Herrschaft geriet. Am 14. März erlangte die Slowakei ihre Selbstständigkeit und wurde ein »Schutzstaat« des Deutschen Reiches. Diese »Unabhängigkeit« wurde jedoch teuer erkauft. Die von der starken ungarischen Minderheit bevölkerten südlichen Landesteile der Slowakei wurden 1939 an Ungarn abgetreten. Dieser Gebietsverlust konnte erst nach dem Kriegsende korrigiert werden.
Im Sommer 1944 brach in der Slowakei ein Aufstand gegen die vom Deutschen Reich beeinflusste slowakische Regierung aus, der von sowjetischer Seite unterstützt wurde. Der »Slowakische Nationalaufstand« wurde nach Anfangserfolgen von deutschen Truppen niedergeschlagen. Die Slowakische Republik blieb Verbündete des Deutschen Reiches bis zur Kapitulation 1945 und beteiligte sich am Kampf gegen die Sowjetunion mit zwei motorisierten Divisionen.
Nach der Kapitulation Deutschlands und der Übernahme der Regierung durch die Kommunisten wurden mehrere Mitglieder der ehemaligen Regierung zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der ehemalige Staatspräsident, Pfarrer Jozef Tiso, fand ein grausames Ende. Drei Tage lang wurde er in einem Schaufenster dem »Volk« präsentiert und anschließend gehängt. Die Kommunisten wüteten rachedurstig im Land. Der größte Teil der deutschen Bevölkerung, die Karpatendeutschen, wurde interniert und dann vertrieben, viele fanden den Tod. Geblieben sind im Land Bürger »deutscher Nationalität«, die teils gute Beziehungen oder sich untergeordnet hatten. Sie lebten mit starken beruflichen Einschränkungen. Lehrer durften beispielsweise nicht mehr unterrichten, Beamte wurden entlassen oder zurückgestuft. Viele von ihnen sind Jahre später als »Aussiedler« nach Deutschland emigriert.
Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes 1989 verschärften sich die Spannungen zwischen Tschechen und Slowaken, und am 1. Januar 1993 erlangte die Slowakei ihre Selbstständigkeit. Nach einem Regimewechsel 1998 näherte sich die Slowakei zunehmend Europa und den USA an und wurde 2004 Mitglied der NATO und der EU. Seit 2009 ersetzt der Euro die slowakische Krone.
Kindheits- und Jugenderinnerungen
Als Kind eines österreichischen Bankdirektors und einer ungarischen Aristokratin wurde ich 1926 geboren und wuchs in einem sehr behüteten Umfeld auf. Mein Vater hatte im Ersten Weltkrieg als Offizier in der Armee Österreich-Ungarns gedient, bevor er mit 32 Jahren Bankbeamter wurde. Mit der Übernahme seiner Bank durch die Tschechische Legiobank verlor er seine Arbeit, und wir zogen aus der Dienstvilla um nach Kaschau in eine Dreizimmerwohnung, wo wir verarmt und nur mit dem Nötigsten ausgestattet lebten.
Aufschwung brachte die erfreuliche Nachricht, dass mein Vater den Posten als Generalvertretung einer Süßwarenfirma in Preßburg erhielt, um den er sich beworben hatte. 1938 durften meine Mutter und ich schließlich zu meinem Vater nach Poprad ziehen, nahe der Hohen Tatra. Da das Sudetenland inzwischen an das Deutsche Reich abgetreten worden war, musste man nun ein Visum beantragen, wenn man von Poprad zurück nach Kaschau fahren wollte, das inzwischen von Ungarn besetzt worden war.
Auf Wunsch meines Vaters wechselte ich 1940 vom Realgymnasium an die Handelsakademie in Preßburg. In den Ferien fuhr ich mit dem »Tatra-Express«, der nur aus zwei Wagen bestand, von Preßburg, meiner Studienstadt, 420 Kilometer nach Hause nach Poprad. Diese Strecke bewältigte der Diesel-Triebwagen nach einer waghalsigen Fahrt über Gebirgsserpentinen in kaum vier Stunden. Es war eine Pracht zu sehen, wie der Zug zu Tal raste. Diese Bahnlinie war ein Vorzeigeobjekt der damaligen »freien« Slowakei.
Mein Vater war immer schon ein begeisterter Jäger gewesen, und auch ich hatte unter seiner Aufsicht den Jagdschein gemacht. Ein Erlebnis ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben:
Während meiner Studienzeit nahte wieder einmal die große Silvesterjagd meines Vaters. Ich freute mich schon die ganze lange Heimfahrt aus Preßburg darauf und auf das Wiedersehen mit den Eltern. Unsere Begegnung war – wie immer bei alten Kameraden – sehr herzlich und liebevoll. Vater überraschte mich mit der Nachricht, dass unser Heger Johann Poser, der auch das benachbarte Jagdrevier des Fürsten Hohenlohe betreute, eine starke Saurotte in unserem Jagdrevier gemeldet hatte. Vater freute sich, dass er bei der anstehenden Silvesterjagd seinen Gästen auch Schwarzwild anbieten konnte. Natürlich musste dazu der genaue Einstand dieses wehrhaften Wildes festgestellt werden, was durch ein sogenanntes »Kreisen« anhand der Saufährten erkannt werden musste. Bekanntlich hält sich das Schwarzwild nicht ständig an einem Ort auf, sondern bewegt sich, je nach Nahrungsangebot, im ganzen Gebiet seines Reviers.
Am nächsten Tag fuhr uns Franz, der »Mann für alle Fälle« unseres Hauses, mit der Praga-Limousine ins Jagdrevier. Der Wagen wurde bei der Försterei geparkt, Franz freute sich auf einen Plausch mit der Förstertochter Juli, die froh war über die Abwechslung. Sie lernte fleißig für die Prüfung zur Försterin. Als solche sollte sie dann ihren Vater unterstützen.
Förster Johann bestätigte noch einmal die Sauen im Revier und fügte aber gleich hinzu: »Passen Sie gut auf, im Gebiet wurden Braunbären gesichtet!«
Mein Vater, Major a. D. Otto W. Rossegg (1950)
Aus dem Wagen holte Vater seine bewährte Steyr-Mannlicher-Büchse Kaliber 7x64, ich musste statt meines 20-er Schonzeitdrillings Vaters Krieghoff-Drilling Kaliber 12 und 7x57 mm mitnehmen.
Der tiefe Schnee führte uns an der gut beschickten Wildfütterung für das Schalenwild vorbei. In einiger Entfernung sahen wir kapitale Rothirsche und Ricken in Begleitung starker Böcke.
Vater sagte traurig: »Bald wird der Russe dieses herrliche Wild totschießen. Wir haben es gehegt und gepflegt, alles umsonst!«
Vater tat mir ehrlich leid, und mir ging es auch ans Herz. Die noch fernen Artillerieduelle am Dukla-Pass in den Karpaten hallten bereits wie ferner Gewitterdonner an den steilen Felswänden der Hohen Tatra wider.
Der Parallelweg hoch im Wald war nach dem Anstieg erreicht. Wir trennten uns, und Vater nahm den oberen Rückweg, der etwa 100 Meter über meinem breiten Pfad lag. Vorsichtig, um nur kein Geräusch zu machen, stapfte ich im wadenhohen Schnee vorwärts. Nach etwa achtzig Metern kreuzten meinen Pfad die Fährten von mindestens 15 Schwarzkitteln, die im gegenüberliegenden Hochwald verschwanden. Die Fährten waren ganz frisch, das sah ich an den noch scharfen Kanten der Tritte. Jetzt aber keinen Laut mehr und langsam zurück, denn die Sauen hatten eine hervorragende Witterung. Wenn sie mich mitbekamen, würden sie sofort ins Nachbarrevier wechseln.
Ich wich etwa 15 Meter vorsichtig zurück, als plötzlich – mir stockte der Atem – eine ausgewachsene Bärin aus der Dickung stürzte und mich mit Gebrüll attackierte. Ich war derart überrascht, dass ich gerade noch den Drilling entsichern und ohne zu zielen beide Läufe auf das schnell näher stürzende Tier abfeuern konnte. Die Bärin hatte sich wenige Meter vor mir auf die Hinterbranten aufgerichtet. Sie brüllte auf, sank auf die Vorderbranten, erhob sich wieder und mit Gebrüll taumelte sie zurück in die Dickung. Dann Stille! Meine Knie gaben nach, und ich musste mich in den Schnee setzen. Wie mein Vater es mich gelehrt hatte, lud ich sofort nach und erwartete, das Gewehr im Anschlag, den erneuten Angriff des Monsters. Aber nichts geschah.
Dieses Abenteuer wird dir niemand abnehmen, sagte ich mir, denn wer schießt schon mit 17 Jahren auf einen angreifenden Bären, der noch dazu geschützt ist? Das gibt ein Theater! Jetzt versagten meine Nerven, und als ich die Augen wieder öffnete, stand mein Vater über mir.
»Ich habe das Bärengebrüll und die Schüsse gehört und bin sofort zu dir geeilt. Was ist geschehen? Ist dir etwas passiert?«
Ich war noch nicht imstande, einen klaren Gedanken zu fassen, und mein Kopf war leer. Mühsam und stotternd versuchte ich, die Geschichte zu erzählen, doch aus meiner Kehle kamen nur undeutliche Laute. Vater sah es und winkte ab.
Nach zehn Minuten kam der Befehl meines Vaters im Kommandoton des ehemaligen Majors: »Steh auf! Jetzt sag, was geschehen ist!«
In kurzen Sätzen erzählte ich ihm, was mir widerfahren war.
»Sohn, sei ein Mann, nimm dich zusammen! Wir suchen den Bären. Die Fährte ist gut sichtbar. Aber Vorsicht – mit einem angebleiten Bären ist nicht zu spaßen!«
Noch mit etwas zittrigen Knien und entsicherter Waffe folgte ich ihm in das Dickicht, wohin der Petz verschwunden war.
Wir hatten, wenn wir im Revier waren, stets unseren Hund Amigo dabei, der hervorragend auf Schweiß abgerichtet war. Doch bei der Jagd auf Schwarzwild war er nicht dabei. So pirschten wir vorsichtig weiter, umrundeten die Dickung, und nach etwa achtzig Schritten lag die Bärin bereits verendet da.
»Vorsicht«, raunte Vater, »du musst dich erst davon überzeugen, dass der Bär wirklich verendet ist!« Er hob einen dicken Ast vom Waldboden und warf ihn auf den Bären. Keine Regung! Dann standen wir vor dem mächtigen Körper, und ich griff mit zittriger Hand in sein Fell.
Mein Lehrmeister sagte dazu: »Das hätte ich nicht gedacht, dass du so geistesgegenwärtig warst und sofort geschossen hast. Bravo, mein Sohn, Weidmannsheil! Aber jetzt kommt das Schwerste: Bären sind geschützt, und wie du weißt, dürfen sie nur bei Lebensgefahr geschossen werden. Wir müssen den Forstmeister und die Polizei benachrichtigen. Du bleibst bei der Bärin, ich fahre mit Franz und dem Heger schnell zum Forstmeister. Halte den Drilling geladen, man weiß nie, ob ihr Partner nicht in der Nähe ist. Doch der Lärm und die Schüsse haben ihn, wenn er da war, sicher verscheucht. Also, bis nachher!«
Wandern im Jagdrevier in der Hohen Tatra 1943
Nach diesen Worten eilte mein Vater den steilen Forstweg hinab.
Ich beruhigte mich langsam, und mein Atem wurde fast normal. Das hätte ins Auge gehen können, sagte ich mir. Mein Schutzengel war auf dem Posten – danke! Am Fuß einer mächtigen, windzerzausten Tanne setzte ich mich zwischen ihre Wurzeln. Wieder zwei Brenneke-Flintenlaufgeschosse und die 7,57 mm Kugel in den Läufen, harrte ich den kommenden Verwaltungsmaßnahmen entgegen, Augen und Ohren waren aufs Äußerste gespannt.
Das leise Flüstern des Winterhauchs in den Wipfeln der Tannen wirkte beruhigend auf mich, obwohl ich bei jedem Geräusch hellwach wurde und den Schaft des Drillings fester umklammerte. Ich hatte keine Angst, das hatte mir mein guter Vater und Lehrmeister eingebläut. Keine Angst haben oder zeigen! Ob beim Hund oder Wild. Die Tiere merken es und fühlen sich stärker als der Angsthase. Vorsicht und Umsicht muss man walten lassen, besonders, wenn man eine Waffe handhabt.
Jetzt vernahm ich Motorengeräusche, die sich im tiefen Schnee langsam näherten. Es wird Zeit, sagte ich mir, denn nach gut drei Stunden waren meine Knochen durchgefroren. An der Wegbiegung erschien der Geländewagen des Forstmeisters, der drei Polizeibeamte und auch meinen Vater mitbrachte. Die Untersuchungen des Tatorts und der Schüsse begannen.
Um sich keine Vorwürfe wegen Nachlässigkeit einzuheimsen, waren die Polizeibeamten äußerst akribisch. Forstmeister Hubert, ein Jagdkamerad meines alten Herrn, war mit diesem ins Gespräch vertieft. Ihm genügte ein Blick, und der alte Weidmann erkannte die Notlage, in der ich mich befunden hatte. Die polizeiliche Untersuchung ergab dasselbe. Es wurde amtlich festgestellt, dass mich die Bärin aus dem Dickicht attackiert und sich mir auf 4,7 Meter aufgerichtet genähert hatte, als sie die Kugeln erhielt. Es war eine klare Notwehrsituation gewesen und damit nicht strafbar.
Das gegerbte Bärenfell zierte im Arbeitszimmer meines Vaters die Querwand. Meine Mutter sah es nicht gern und meinte, dass der Pelz die beste Brutstätte für Motten sei. Vielleicht hatte sie recht. Der Fall wirbelte trotzdem viel Staub auf, denn ein getöteter Bär, ob in Notwehr oder nicht, rief die Tierschützer auf den Plan. Aber als Vater mit meiner Hilfe den Ablauf dieses Abenteuers der Presse übergab und die Story veröffentlichte, wurde es langsam stiller, und die Gemüter beruhigten sich wieder. Ich habe in meinem langen Leben keinen Bären mehr erlegt und eingedenk meines Erlebnisses alle Jagdangebote in Gebieten mit einer Bärenpopulation ausgeschlagen.
Partisanen
Es war August 1944. Die politische und militärische Situation in der Slowakei spitzte sich von Tag zu Tag weiter zu. Nachts brummten sowjetische Flieger, wir nannten sie »Nähmaschinen«, aus dem Osten über uns hinweg. Über der Mittelslowakei sprangen sowjetische Kommissare mit Fallschirmen ab und organisierten einen Partisanenaufstand im Rücken der an der Ostfront kämpfenden deutschen Truppen, darunter auch mein Vater, der von der deutschen Wehrmacht einberufen worden war.
Dem »Aufstand« schlossen sich auch Teile des slowakischen Militärs an, die von den Sowjets unterstützt wurden, während die Westalliierten wenig Interesse zeigten. Die Sowjets schufen damit hinter der zurückweichenden deutschen Wehrmacht eine zweite Front.
Auch das slowakische Volk suchten die sowjetischen Agenten zu beeinflussen. Diesem allerdings war es noch nie so gut gegangen wie unter der »Schirmherrschaft« des deutschen Reiches. Ich weiß, wovon ich rede, denn wir haben es miterlebt. Nahrung, Kleidung, alle Güter des täglichen Bedarfs und allerlei Geräte waren im Überfluss vorhanden, wogegen im Deutschen Reich bereits alle diese Dinge rationiert waren. Denn dem autoritär, aber nicht faschistisch regierenden Staatspräsidenten Jozef Tiso war es gelungen, die Kriegsteilnahme der Slowakei auf ein bescheidenes Kontingent zu begrenzen, während die Wirtschaft von der kriegsbedingt gestiegenen Nachfrage profitierte.
Ich war in meinem Abschlussjahr, und die Examina standen bevor. Die letzten Semesterferien verbrachte ich bei meinen Eltern. Auch mein Vater, der zur Erholung und Rehabilitation nach einer Verletzung am Bein nach Hause gekommen war, freute sich, diese Zeit mit mir zu verbringen. Es ließ sich gut plaudern mit dem alten Herrn, der seine Erlebnisse an der Front erzählte.
Da die »Hundstage« mit großer Hitze andauerten, entschloss ich mich, ins Schwimmbad zu gehen.
Gegen 15 Uhr wurde ich von der Aufsicht zum Telefon gerufen: Meine Mutter wolle mich sprechen. Nichts Gutes ahnend, hörte ich Mutter weinend sagen:
»Komm sofort nach Hause! Partisanen sind im Anmarsch auf die Stadt!«
Mit dem Fahrrad war ich in wenigen Minuten zu Hause, wo mich Mutter mit verweinten Augen empfing.
»Sie sind schon in Ružomberok (Rosenberg) und kommen mit Lastwagen. Gottlob ist der Vater zu Hause! Er ist sofort in die Stadt gefahren, um die Evakuierung von Frauen und Kindern zu organisieren. Er ist ja der höchste und dienstälteste deutsche Offizier hier. Die Wehrmacht in Polen hat er schon alarmiert, denn bei uns ist nur ein kleiner Funktrupp stationiert. Ich habe bereits das Notwendigste gepackt, tu es auch«.
Es dauerte nicht lange, und vor unserer Villa hielt ein großer Mercedes-Lastwagen, den mein älterer Freund Stefan Stürzer, ein gelernter Metzgergeselle, fuhr. Vater und ich luden die unbedingt notwendigen Sachen auf. Auf dem Lastwagen befanden sich schon mehrere deutsche Frauen mit ihren weinenden, quengelnden Kindern.
Mein Vater besaß von seinem Fronteinsatz eine deutsche Maschinenpistole, die er sich jetzt »für alle Fälle« umhängte. Mir gab er seine zweite Offizierspistole, eine Dreyse Kaliber 7,65. Mir als frischgebackenem Jungjäger war die Waffenhandhabung nichts Neues, und auf dem Schießstand traf ich meist ins Schwarze. Meine Mutter hatte schon immer in der Handtasche eine kleine Walther-Pistole Kaliber 6,5. Sie war zwar keine Jägerin, aber Besitzerin eines Waffenscheins, und als solche schoss sie ganz hervorragend auf dem Schießstand – sehr zum Stolz meines Vaters.
Vor der Abfahrt deponierten wir unsere Jagdgewehre zusammen mit dem kostbaren Gold- und Brillantschmuck der Mutter im gemauerten Tresor im Keller.
Nach dem »Los!« gab Stefan Stürzer Gas, und wir fuhren flott gegen Norden in Richtung Polen, seit 1939 deutsches »Generalgouvernement«, dessen Grenze etwa sechzig Kilometer vor uns und mit dem Bergpass unter den Graten der Hohen Tatra lag. Diese Grenze war offen, um die vor den Partisanenbanden flüchtenden Deutschen aufzunehmen.
Mithilfe des Funktrupps beschlagnahmte Vater den städtischen Autobus, der für den Abtransport der Deutschen eingesetzt wurde und voll beladen unserem Lastwagen folgte.
Der Disponent des städtischen Fuhrwesens, ein unwilliger Slowake, protestierte zwar gegen die Requirierung, aber mit meinem Vater war in solchen Lagen nicht gut Kirschen essen.
Meine Mutter saß mit zwei weiteren Frauen im Führerhaus, Vater und ich oben auf der Ladefläche des Lkws, zusammen mit einigen Soldaten des deutschen Funktrupps und den Ehemännern der mitfahrenden Frauen. Die Männer, meist Jagdkameraden meines Vaters, hatten sich ebenfalls bewaffnet, um sich bei einem etwaigen Partisanenüberfall wehren zu können.
Trotz der nach dem dritten Semester an der Akademie absolvierten »Wehrertüchtigungs-Ausbildung« in Seeboden am Millstätter See in Österreich, war mir auf dieser Fahrt etwas mulmig zumute, denn die Banden versteckten sich in dichten Wäldern und griffen überraschend an. Mein Vater, der alte Frontkämpfer und hochdekorierte Major, ermahnte mich, hinter seinem breiten Rücken Deckung zu suchen. Das tat ich gern!
Nach zügiger, ungestörter Fahrt kamen wir im polnischen Zakopane an. Hier sah ich zum ersten Mal meine heißgeliebte Hohe Tatra von der nördlichen Seite. Majestätisch! Diesen Anblick werde ich nie vergessen.
Uns empfing das Deutsche Rote Kreuz, das mit Milch bereiteten süßen Haferbrei ausgab. Den konnten weder Vater noch ich wegen unserer Laktose-Unverträglichkeit annehmen, doch die Frauen aßen ihn mit Genuss. Nach alter Tradition packte Vater aus seinem Rucksack wie bei der Jagd ein Stück Speck und Wurst mit schon etwas härterem Bauernbrot aus und versorgte damit mich und andere »milchempfindliche« Mitreisende.
Nach zwei Stunden Rast befahl mein Vater: »Männer, antreten und aufsitzen! Es geht zurück in unsere Stadt zu ihrer Verteidigung!«
Die älteren Männer, fast alle Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, brauchten keine besonderen Instruktionen, um sich dieser prekären Lage anzupassen. Sie verabschiedeten sich von Frauen und Kindern ohne Widerspruch, stiegen auf den Lkw, und wir fuhren los. Meine Mutter hätte mich gern bei sich gehabt, doch nach meinem Protest sah sie ein, dass ich mit fast 18 Jahren an die Seite des Vaters gehörte und mitkämpfen wollte.
In unserer bedrohten Stadt reibungslos angekommen, sahen wir die slowakische Bevölkerung, Frauen und Kinder, wie verschreckte Hühner auf den Straßen herumrennen. Vater übernahm das Kommando und befahl auch den slowakischen Männern, sich zur Verteidigung der Stadt bereit zu machen.
Vor der Stadt wurde eine dünne Verteidigungslinie gebildet. Die aus Westen anrückenden, gottlob langsamen und schwer betrunkenen Partisanen wurden mit allen noch vorhandenen Jagd- und anderen Waffen erwartet. Vater behielt seine MP, ich holte meinen nach der Jägerprüfung zu Weihnachten erhaltenen 20-er-Schonzeit-Hahnendrilling mit der 5,6 mm Vierlingspatrone und nahm im eiligst ausgehobenen Graben Deckung.
Der Westwind trug ab und zu undefinierbare Geräusche aus Richtung Rosenberg herüber, die zur stärkeren Wachsamkeit zwangen. Wir waren etwa fünfzig Mann und einige Jungen, die den Militärdrill absolviert hatten, dazu altgediente Soldaten. So erwarteten wir die Partisanen.
Wir warteten und warteten. Die Telefonleitungen waren gekappt, daher gab es keine Nachricht. Der deutsche Funktrupp, der nach dem Polenfeldzug in der Stadt verblieben war und von dem sechs Männer unter das Kommando meines Majors gestellt waren, erhielt trotz mehrfacher Versuche keine Verbindung. Wir befanden uns wie »im Auge des Hurrikans«, in der Ruhe vor dem Sturm. Die Spannung war unerträglich. Die tiefe Bassstimme unseres Kommandeurs ermahnte uns, Ruhe zu bewahren. Manche Jungen wurden ungeduldig und wollten nach Hause, obwohl ein Teil ihrer Mütter bereits freiwillig evakuiert worden war. Die beruhigende Bassstimme stellte die Disziplin wieder her.
Die Geräusche wurden lauter. Langsam unterschieden wir Motorengeräusche vom lauten, abgehakten Gesang und Gegröle.
Vor der Chemiefaserfabrik »Svit«, etwa fünf Kilometer von der Stadt entfernt, hielten die Lastwagen mit den aufgesessenen »Partisanen«.
»Äußerste Wachsamkeit«, kam der Befehl. Wir 18-Jährigen wussten, dass wir mit den wenigen Verteidigern die Bande nicht würden aufhalten können. Hier bewährte sich die Voraussicht meines alten Herrn, der bereits die Hilfe der Deutschen Wehrmacht aus Polen angefordert hatte, bevor die Funkverbindung abgebrochen war.
Ein kurioses Ereignis rettete wahrscheinlich unser Leben. Mit einigen kriegserfahrenen Männern hatte mein Vater in der Nacht zuvor ein Waffendepot der slowakischen Garnison überfallen, das von einem betrunkenen Wachposten bewacht wurde. Sie erbeuteten ein leichtes Browning-Maschinengewehr, ein schweres Maschinengewehr mit Lafette, einige Handgranaten und natürlich entsprechende Munition. Die unbewaffneten Reservisten erhielten Karabiner. Mit dieser »tollen« Bewaffnung stellten sich die Karpatendeutschen in ihrer Bedrängnis der Gewalt entgegen.
Es war natürlich ein Glück, dass mein Vater als alter Kriegsteilnehmer und Offizier die Organisation der Verteidigung in seinem Reha-Urlaub übernahm. Zwei ehemalige k.u.k.-Offiziere, Oberleutnants, standen ihm hilfreich zur Seite. Er führte selbst das schwere Maschinengewehr und deckte die von den Lkws abgesprungenen Partisanen mit mehreren Garben ein, worauf Ruhe einkehrte. Unsere Jagdwaffen brauchten wir nicht einzusetzen. Dieses Störfeuer rettete uns und nicht nur das. Ich bewunderte meinen »Helden«, der immerhin schon fünfzig Lenze auf dem