Hadlaub
Von Gottfried Keller
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Auszug:
Gleich unterhalb des aargauischen Städtchens Kaiserstuhl stehen die beiden Schlösser Schwarz- und Weiß-Wasserstelz, jenes mitten im Rhein, das heißt näher dem linken Ufer und jetzt noch von allerlei Leuten bewohnt, die es kaufen mögen, dieses zerfallen auf dem rechten Ufer. Zu den Zeiten Rudolfs von Habsburg aber saßen zwei Schwestern auf den beiden Burgen als Erbinnen eines mäßigen Lehnswesens, das nach seiner Teilung keiner großes Gut übrigließ. Darum suchte die ältere derselben, Mechtildis, welche auf Weiß-Wasserstelz hauste und dessenungeachtet eine fast ruhige, finstere und gewalttätige Person war, unablässig ihre jüngere Schwester, Kunigunde auf Schwarz-Wasserstelz, von ihrem Erbe zu verdrängen und mit allen möglichen Ränken in ein Kloster zu treiben. Denn diese Kunigunde war von schöner und lieblicher Gestalt, von der weißesten Hautfarbe und anmutig-heiteren Wesens und besaß viel bessere Aussichten für eine günstige Heirat, als jene bösartige.
Gottfried Keller
Gottfried Keller (19.07.1819–15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen.
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Hadlaub - Gottfried Keller
Hadlaub
Hadlaub
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Hadlaub
Gleich unterhalb des aargauischen Städtchens Kaiserstuhl stehen die beiden Schlösser Schwarz- und Weiß-Wasserstelz, jenes mitten im Rhein, das heißt näher dem linken Ufer und jetzt noch von allerlei Leuten bewohnt, die es kaufen mögen, dieses zerfallen auf dem rechten Ufer. Zu den Zeiten Rudolfs von Habsburg aber saßen zwei Schwestern auf den beiden Burgen als Erbinnen eines mäßigen Lehnswesens, das nach seiner Teilung keiner großes Gut übrigließ. Darum suchte die ältere derselben, Mechtildis, welche auf Weiß-Wasserstelz hauste und dessenungeachtet eine fast ruhige, finstere und gewalttätige Person war, unablässig ihre jüngere Schwester, Kunigunde auf Schwarz-Wasserstelz, von ihrem Erbe zu verdrängen und mit allen möglichen Ränken in ein Kloster zu treiben. Denn diese Kunigunde war von schöner und lieblicher Gestalt, von der weißesten Hautfarbe und anmutig-heiteren Wesens und besaß viel bessere Aussichten für eine günstige Heirat, als jene bösartige.
Trotzdem war sie den Bewerbungen nicht zugänglich und verwahrte sich gegen solche beinah ebenso sorgfältig, wie gegen die Listen und Überfälle ihrer Schwester, welche diese in Verbindung mit anderen Übeltätern ins Werk zu setzen suchte. Die schöne Kunigunde verschloß sich zuletzt ganz in ihr festes Wasserhaus, das rings von den tiefen grünen Wellen des Rheines umschlossen war. Am Ufer besaß sie eine Mühle, betrieben von einem treuen wehrbaren Dienstmann, der Zufahrt und Eingang des Schlosses bewachte mit seinen bestäubten Knechten. Im übrigen war ringsum Stille der Wälder und man hörte nichts als das Ziehen des Flusses, bis einmal jemand sagte, er habe in der Nacht durch ein offenes Fenster des Schlosses ein kleines Kind schreien hören, und ein anderes Mal ein anderer, er habe es auch gehört, und zwar bei hellem Tage. Bald aber ging das Gerücht im Land, die Dame auf Schwarz-Wasserstelz werde von einem gewaltigen Manne besucht, der niemand anders sei als des Kaisers Kanzler, Heinrich von Klingenberg, mit dem nicht gut Kirschen essen wäre. Ihm sei die schöne Frau in Liebe ergeben, und als starker Nekromant wandle er, wenn er in die Gegend komme, nächtlich über das Rheinwasser trockenen Fußes, um sie ungesehen zu besuchen; er gleite auf einer wie Gold leuchtenden Strickleiter oder, wie andere meinten, von Dämonen getragen an der Turmmauer empor bis zum offenen Fenster der Dame; denn er hielt sich alsdann im nahen Schloß Röteln oder im Städtchen zu Kaiserstuhl auf, das er später als Bischof von Konstanz von einem der letzten Regensberger auch käuflich erwarb.
Tatsache war, daß nach etwa sieben oder acht Jahren die Frau von Schwarz-Wasserstelz ein gar anmutiges Mädchen nach Zürich bringen ließ, daß sie bald darauf selber, und zwar freiwillig, als Klosterfrau in die Abtei Zürich ging und daß sie nach Ablauf einer weiteren Zeit durch den Einfluß ebendesselben Bischofs Heinrich zur Fürstäbtissin gewählt wurde.
Ob diese Geistlichwerdung aus Reue geschah und um die Jahre der Leidenschaft abzubüßen oder ob es sich für das vornehme Liebespaar darum handelte, als kirchenfürstliche Personen in freier Gesellschaftlichkeit sich öfter zu sehen und einer beruhigten Zuneigung froh zu werden, ist jetzt nicht mehr zu ermitteln; doch spricht damalige Sitte und das weiter sich Begebende eher für den letzteren Fall.
Denn es gab in unserer Stadt Zürich eine mannigfache und ansehnliche Gesellschaft. Neben den Prälaten und ihren Amtleuten waren da angemessene, schon mehrere hundert Jahre alte Geschlechter, die Nachkommen königlicher Verwalter mit seltsam abgedrehten altdeutschen Namen, die, meistens ein- oder zweisilbig, aus ehemaligen Personen- oder Spitznamen zu rätselhaften Familiennamen geworden, mancher verhallende Naturlaut aus dem Rauschen der Völkerwanderung darunter; kleinere Edelleute der umliegenden Landschaften mit den Namen ihrer Wohnsitze zu Berg und Tal drängten sich herbei, und eine Reihe wichtiger Dynasten der oberdeutschen Lande waren in Zürich verbürgert und gingen ab und zu. Unter allem dem wartete eine nicht unzierliche freie Geselligkeit, und wie einst in solchen Kleingebieten der romanische Baustil noch gepflegt wurde, nachdem er in den offenen Großländern längst dem Gotischen gewichen, so erfreute man sich eines verspäteten Minne- und Liederwesens ritterlicher Art, nachdem dessen Blütezeit schon vorüber war.
Jetzt müssen wir uns aber nach dem Kinde Fides umsehen, welches eben das natürliche Töchterlein der Fürstäbtissin war. Das tun wir am besten, wenn wir auf der andern Seite der Stadt am Zürichberg hinaufgehen, wo wir das Kind alsbald antreffen werden, und zwar auf einem Spaziergang an der Hand des alten Meister Konrad von Mure, des rühmlichen Vorstehers der Singschule am Großmünsterstift. Der sehr betagte Mann hat das lebhafte Mädchen, das durch den Einfluß des Kanzlers im Hause des Herrn Rüdiger Manesse erzogen wurde, unter die Fittiche seiner besonderen Freundschaft genommen und, da er häufig in der nahen Ritterwohnung verkehrt, aus welcher auch sein Vorsteher der Probst Heinrich Manesse stammt, seine kleine Freundin zu dem Gange abgeholt.
Je weiter es aber in die Höhe ging, desto weniger vermochte er das rasche und etwas heftige Kind an der Hand zu behalten wegen überhandnehmender Schwäche und Engbrüstigkeit, wie der treffliche Mann denn auch dazumal nicht manches Jahr mehr lebte. Er ließ also das Mägdlein laufen, wie es mochte, und half sich an seinem Stabe in den schattigen Wegen weiter, die zwischen den vielen zerstreuten Bauernhöfen auf die Höhe des Berges führten.
Als er eine genügende Umsicht erreicht, ruhte er eine Weile auf einem Steine sitzend aus und ließ mit Behagen seinen Blick über die weite Landschaft gehen oder vielmehr über die Versammlung von Landschaften, welche ebenso widerspruchsvoll sich aufreihte, wie unser Zürich, seine Leute und seine Geschichte überhaupt. Das Gebirgsland gegen Süden war urhelvetischen Charakters, in unruhigem und ungefügem Zickzack, eine wilde Welt, die nur durch das Blau der Sommerluft und den Glanz von Schnee und See einigermaßen zusammengehalten war. Wendete der Kantor aber den Blick rechts, gegen Abend, so sah er in das ruhige Tal der Limmat hinaus, durch welches der Fluß, an wenigen Punkten aufleuchtend, hinzog und in den sanft gerundeten und geschmiegten Höhenlinien sich verlor. Von einem massigen Nußbaum und ein paar jungen Eschen eingefaßt, glich das Tal, wenn es im Abendgolde schwamm, in seiner maßvollen Einfachheit einem Bilde des Lothringers, der vierhundert Jahre später malte. Nach dieser Richtung hin schaute der alte Herr Konrad am liebsten, wenn er hier oben ausruhte; denn der Frieden dieses Anblickes ergötzte und beruhigte sein trotz der Jahre immer erregtes Gemüt.
Als er sich nun zum Weitergehen wendete und die Höhe vollends gewann, zeigte sich auf dem Rücken des Berges abermals ein neues Landschaftsbild. Jenseits waldiger Gründe und Hänge dehnte sich gegen Norden und Osten flacheres Land, am weiten Horizonte von tiefblauen schmalen Höhenzügen begrenzt. Im vordersten Plane aber standen Gruppen hoher Eichbäume, zwischen deren Kronendunkel die weißen Wolken glänzten. Diese Gegend konnte ebensogut im Spessart oder im Odenwalde liegen, wenn man das Auge nicht rückwärts wandte.
Da und dort zwischen den Bäumen war die Hofstätte eines der Berggenossen zu erblicken, die bis hier hinauf ihre Wohnungen zerstreut hatten, mehr als einer noch von den ursprünglichen freien Männern der Berggemeinde abstammend und den Hof in alter Freiheit fortführend. Unbezweifelt war ein solcher der Bauer Ruoff oder Rudolf am Hadelaub, dessen Haus am Rande eines diesen Namen tragenden Laubgehölzes stand. Der Name deutet auf einen Streit, der einst in dem Holz oder um das Holz geschehen sein mag; er kommt aber unter den jetzigen Flurnamen nicht mehr vor, weil das ganze Grundstück in einem größeren Besitz aufgegangen und auch der Hof längst verschwunden ist; indessen heißt heutigen Tages noch eine kaum fünfhundert Schritte weiter nördlich gelegene Waldparzelle das Streitholz. Damals aber lag das Haus, aus größeren und kleineren Bach- und Feldsteinen gebaut und mit einem niedrigen Schindeldache versehen, samt dem hölzernen Viehstalle dicht an einer der Schluchten, in welchen der Wolfbach herniederfließt.
Hierher lenkte aber jetzt Herr Konrad, das Mädchen