Der Zwerg Nase
Von Wilhelm Hauff
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Wilhelm Hauff
Wilhelm Hauff (29. November 1802 - 18. November 1827) war ein deutscher Schriftsteller der Romantik. Er war ein Hauptvertreter der Schwäbischen Dichterschule.
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Buchvorschau
Der Zwerg Nase - Wilhelm Hauff
Wilhelm Hauff
Der Zwerg Nase
Geschichten aus dem Märchen-Almanach von 1827
Impressum
Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016
ISBN: 978-3-945667-29-3
Für Fragen und Anregungen: [email protected]
RUTHeBooks
Am Kirchplatz 7
D 82340 Feldafing
Tel. +49 (0) 8157 9266 280
FAX: +49 (0) 8157 9266 282
www.ruthebooks.de
Inhalt
Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven (als Rahmenerzählung)
Der Zwerg Nase
Abner, der Jude, der nichts gesehen hat
Der Affe als Mensch
Die Geschichte Almansors
Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven
Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn er morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, aus den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem reichen Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging langsamen, gravitätischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen und alle fünf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart streichend; wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine Würde forderte, den Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten: da blieben die Leute auf der Straße stehen, schauten ihm nach und sprachen zueinander: Es ist doch ein schöner, stattlicher Mann, und reich, ein reicher Herr
, setzte wohl ein anderer hinzu, sehr reich; hat er nicht ein Schloß am Hafen von Stambul? Hat er nicht Güter und Felder und viele tausend Stück Vieh und viele Sklaven?
Ja
, sprach ein dritter, und der Tatar, der letzthin von Stambul her, vom Großherrn selbst, den der Prophet segnen möge, an ihn geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheik sehr in Ansehen stehe beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan selbst.
Ja
, rief ein vierter, seine Schritte sind gesegnet; er ist ein reicher, vornehmer Herr, aber, aber, ihr wißt, was ich meine!
Ja, ja!
murmelten dann die anderen dazwischen, es ist wahr, er hat auch ein Teil zu tragen, möchten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, vornehmer Herr; aber, aber!
Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor ummauert, beschattet von Palmbäumen; dort saß er oft abends und rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße von gediegenem Golde, mit köstlichem Sorbet angefüllt, ein vierter trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte, und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen.
Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht Musik noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen, noch Betel kauen, ja, selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfeder hatte vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine Fliege summend umschwärmte. Da blieben oft die Vorübergehenden stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeit, womit alles versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst und düster unter den Palmen saß, seine Augen nirgends hinwandte als auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie die Köpfe und sprachen: Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. Er, der viel hat, ist ärmer als der, der nichts hat; denn der Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen.
So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter.
Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Türe seines Hauses saß, umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, betrachteten ihn und lachten.
Wahrlich
, sprach der eine, das ist ein törichter Mann, der Scheik Ali Banu; hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden. Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen.
Ja
, erwiderte ein anderer. Das wäre nicht so übel; aber viele Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans, den der Prophet segne; aber säße ich abends so unter den Palmen auf dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbet reichen und ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad.
Der Scheik
, sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein Schreiber war, der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit in allen Dichtern und Schriften der Weisheit; aber ist auch sein Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Manne geziemt? Dort steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gäbe mein Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen; denn es sind gewiß seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und läßt Bücher, Bücher sein. Wäre ich der Scheik Ali Banu, der Kerl müßte mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte oder bis die Nacht heraufkäme; und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich entschlummert wäre.
Ha! Ihr wißt mir recht, wie man sich ein köstliches Leben einrichtet
, lachte der vierte; essen und trinken, singen und tanzen, Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen Dichtern! Nein, ich würde es ganz anders machen. Er hat die herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da würde ich an seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg wäre mir zu weit, um die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So würde ich tun, wäre ich jener Mann dort.
Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist
, sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen stand und ihre Reden gehört hatte, aber erlaubet mir, daß ich es sage, die Jugend ist auch töricht und schwatzt hier und da in den Tag hinein, ohne zu wissen, was sie tut.
Was wollt Ihr damit sagen, Alter?
fragten verwundert die jungen Leute. Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, daß wir die Lebensart des Scheiks tadeln?
Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen Irrtum, so will es der Prophet
, erwiderte der alte Mann, der Scheik, es ist wahr, ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wonach das Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. Meinet ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor fünfzehn Jahren gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle und lebte fröhlich und genoß sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, die Freude seiner Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und sprechen hörte, mußte den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein anderer kaum im achtzehnten.
Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheik!
rief der junge Schreiber.
Es wäre tröstlich für ihn, zu wissen, daß er heimgegangen in die Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria; aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer. Es war damals die Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser Land und Krieg mit uns führten. Sie hatten Alessandria überwältigt und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die Mamelucken. Der Scheik war ein kluger Mann und wußte sich gut mit ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie lüstern waren nach seinen Schätzen, sei es, weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm, ich weiß es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und Lebensmitteln unterstützt zu haben. Er mochte seine Unschuld beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheißen, als Geisel in ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld für ihn; aber sie gaben ihn nicht los und wollten ihn zu noch höherem Gebot steigern. Da kam ihnen auf einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich einzuschiffen; niemand in Alessandria wußte ein Wort davon, und plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder etwas von ihm gehört.
O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!
riefen einmütig die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der, umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen saß.
"Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren Sohn; er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen endlich in das Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in Alessandria gewesen waren. Aber dort soll es gerade schrecklich zugegangen sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas und die Reichen und Armen schlugen einander die Köpfe ab, und es war keine Ordnung im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach dem kleinen Kairam, niemand wollte von ihm wissen, und der fränkische Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst wohl selbst um ihre Köpfe kommen könnten.
So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheik gelebt wie an diesem Tag, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat recht. Muß er nicht,