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eBook159 Seiten1 Stunde

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Über dieses E-Book

Andreas Wolff hat ein Faible für übersinnliche Phänomene, deshalb besucht er gerne Friedhöfe, um dort zu fotografieren. Eines seiner Lieblingsziele ist der Selbstmörderfriedhof in Berlin-Grunewald. Dort hat er außergewöhnliche Begegnungen, die seine Fantasie anregen. Doch bald schon hegt er den Verdacht, ein ungebetener Gast habe sich ihm angeschlossen. Auf dem Friedhof gleichen Namens in Wien lernt er eine junge Frau kennen, die ihm seltsam bekannt vorkommt. Was hat es mit der geheimnisvollen Fremden auf sich? Der Leser bekommt in diesem spannenden Roman Einblicke in die Schicksale der unglücklichen Seelen derer, für die diese Orte der Ruhe angelegt wurden. Fakten und Fiktion vermischen sich zu einem gruseligen Lesevergnügen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Sept. 2017
ISBN9783742776402
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    Buchvorschau

    Name unbekannt - J. B. Hagen

    Prolog

    Tief im Schatten alter Rüstern,

    Starren Kreuze hier am düstern

    Uferrand.

    Aber keine Epitaphe

    Sagen uns, wer unten schlafe,

    Kühl im Sand.

    Still ist's in den weiten Auen.

    Selbst die Donau ihre blauen

    Wogen hemmt.

    Denn sie schlafen hier gemeinsam,

    Die, die Fluten still und einsam,

    Angeschwemmt.

    Alle, die sich hier gesellen,

    Trieb Verzweiflung in der Wellen

    Kalten Schoß.

    Drum die Kreuze, die da ragen,

    Wie das Kreuz, das sie getragen,

    Namenlos. Albrecht Graf Wickenburg (1839 - 1911), österreichischer Lyriker, Quelle: Gedicht am Friedhof der Namenlosen in Wien

    Die Zeitschleife

    1926

    Als ihr Körper ans Ufer gespült wurde, erwachte die junge Frau. Oh nein, nicht schon wieder, dachte sie. Sollte das denn nie ein Ende haben? Mühsam richtete sie sich auf und wrang das Wasser aus Kleidung und Haaren. Vielleicht hat es diesmal doch geklappt, und es ist ein ganz anderer Flecken Erde oder womöglich eine andere Dimension? Doch die Gegend kam ihr mehr als vertraut vor, sodass ihre Hoffnung gen null sank.

    Der Mann in ihrem Alter kam lächelnd auf sie zu und nahm sie zärtlich in den Arm.

    »Komm, ich bringe dich nach Hause, damit du dir etwas Trockenes anziehen kannst«, sagte er freundlich und ohne jeden Vorwurf.

    Nach Hause? Das war nicht ihr Zuhause, wo er sie hinbringen wollte. Nur eine Arbeitsstelle mit Schlafgelegenheit. Ein kärglich eingerichtetes Dachstübchen mit einem Bett, auf das sie abends ihre müden Füße legen konnte, einem einfachen Schrank und Tisch und Stuhl aus demselben Holz. Einzig die kleine Lampe neben dem Bett und der eiserne Ofen verbreiteten so etwas wie Gemütlichkeit, wenn sie an waren.

    »Warst du wieder ein ungezogenes Mädchen?«, flüsterte er ihr ins Ohr, »du weißt doch, dass es sinnlos ist. So oft du es auch versuchen magst, es wird nicht gelingen. Wir werden auf ewig zusammenbleiben. Ist das gar kein Trost für dich?«

    Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, was wie ein stilles Eingeständnis war. Ja, er liebte sie aufrichtig. So sehr wie sie niemand zuvor geliebt hatte. Doch sie hatte mit ihrer unbedachten Tat alles verdorben. Sie war von ihrem Hass überwältigt worden und hatte schwere Schuld auf sich geladen. Dafür musste sie jetzt büßen. Doch wenn das die Hölle war, hatte sie sich etwas ganz anderes darunter vorgestellt. Grausige Dämonen, die sie mit Zangen und Spießen quälten, und eine schier unerträgliche Hitze, ein ewig loderndes Feuer.

    Stattdessen musste sie ganz normal weiterleben. Den Alltag bestreiten, als wäre nie etwas vorgefallen. Schwere Tabletts mit Speisen und Getränken in den Garten schleppen und höflich und freundlich zu den Leuten sein. Manchmal fragte sie sich, ob die auch alle nicht mehr am Leben waren, andernfalls hätte man sie doch eigentlich nicht wahrnehmen können. So sagte man von Geistern. Nur Kinder und besonders medial Begabte konnten die Toten sehen, hieß es.

    Aber wo kamen die alle her? Eine schier unendliche Zahl, die täglich das Ausflugslokal stürmte. Eine grausige Ansammlung von Untoten, die nicht wahrhaben wollten, dass sie nicht mehr lebten? Die bei Kaffee und Kuchen in der Sonne saßen und auch mal einen über den Durst tranken? Kaum vorstellbar. Und doch taten sie, als sei sie eine von ihnen. Jedenfalls die einfacheren Leute. Die Vornehmen und die, die sich für was Besseres hielten, hatten sie schon immer von oben herab behandelt. Das war so geblieben. Also, war sie nun tot, und die anderen auch, oder bestand die Strafe gerade darin, dass alle ihrer Wege gehen konnten, sie aber dazu verdammt war, an diesen Ort gebunden zu sein? Den Ort ihrer Schande. Wo sie den liebsten Mann dazu veranlasst hatte, sein junges Leben einfach fortzuwerfen, wie einen alten Lumpen.

    Beinahe noch qualvoller war, dass sie immer wieder aufs Neue ihrem Peiniger begegnen musste, und all das Schreckliche sich wiederholte. Mit aller grausamen Konsequenz.

    »Komm, Liebling, du musst dich fertig machen, deine Schicht beginnt gleich«, riss die Stimme ihres Liebsten sie aus den trüben Gedanken.

    Ja, sie musste weitermachen wie bisher. Solange, bis ein gnädiges Schicksal sie erlösen würde. Und wenn es noch Jahre oder gar Jahrzehnte dauern würde. Der einzige Trost war, ihren Liebsten an ihrer Seite zu wissen. Und er schien im Gegensatz zu ihr diese immerwährende Wiederholung mit Gleichmut zu ertragen. Oder ließ er sich nur nicht anmerken, wie sehr er litt, um sie nicht noch mehr verzweifeln zu lassen? Einen größeren Liebesbeweis konnte es wohl kaum geben.

    Kapitel 1

    Johanna, Josefine und Andreas

    Zwei Jahre zuvor

    Johanna Scholz wollte nur noch weg von zu Hause. Der Enge der Schöneberger Hinterhofwohnung entkommen. Dem Lärm der Geschwister, dem Gestank des Treppenhauses und dem Dreck und der Dunkelheit des Hofes. Ihr Zimmer, das sie sich mit drei jüngeren Geschwistern hatte teilen müssen, hatte nie einen Sonnenstrahl abbekommen. Der Blick aus dem Fenster mit einfachem Glas, durch das es wie Hechtsuppe zog, wie der Berliner treffend zu sagen pflegte, fiel auf eine Klopfstange, auf der von Zeit zu Zeit mehr als verschlissene Teppiche gereinigt wurden. Mit der Folge, dass dicke Staubwolken den ohnehin schon finsteren Hof noch mehr verdunkelten und einem die Luft zum Atmen nahmen. Statt eines Baumes mit üppigem Grün, wie man sie auf manchen Höfen finden konnte, sah man nur eine bröcklige Brandmauer, die einem das Gefühl vermittelte, gefangen zu sein.

    Ihre Eltern Ludwig und Hertha hatten sich alle Mühe gegeben, ihre Sprösslinge durchzufüttern. Das Kostgeld, das Ludwig als Kohlenträger abgab, war nicht gerade üppig, doch Hertha klagte nie und zauberte aus den einfachsten Zutaten die schmackhaftesten Gerichte. Mit siebzehn hatte Johanna dazuverdienen müssen. Unten im Milchladen, quer über die Straße, oft bis spät in die Nacht hinein. Doch ihre freundliche Art hatte ihr den Umgang mit den Kunden erleichtert. Und hin und wieder gab man ihr ein Kännchen Milch, etwas hart gewordenen Käse oder einige Zipfel angegraute Wurst mit.

    Johanna war froh, nicht als Dienstmädchen arbeiten zu müssen, denn sie hatte von mancher Freundin wahre Horrorgeschichten gehört. Das ging von winzigen Kammern ohne Fenster und Ofen über keifende Gnädige, denen man nichts recht machen konnte, bis hin zu lüsternen Hausherrn, die ihre Finger nicht bei sich behalten konnten. Nein, wenn schon Bedienen, dann nicht in einer Art Leibeigenschaft rund um die Uhr.

    Dann hatte sie bei einem Ausflug in den Grunewald die Gastronomie auf der Halbinsel Schildhorn entdeckt. Dort, wo anfangs Familien noch Kaffee kochen und bis in die 50er Jahre noch mitgebrachte Speisen verzehren konnten. Und plötzlich hatte sie gewusst, was sie machen wollte. An der frischen Luft im Grünen arbeiten. Heitere, ausgelassene Menschen sehen, die in der Sommerfrische die Seele baumeln ließen. Vater Ludwig hatte zur Bedingung gemacht, dass sie bis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag warten würde. Denn bevor er seine Tochter in fremde Obhut gab, sollte sie erst einmal volljährig werden.

    Zwei Wochen nach Beginn des neuen Lebensabschnitts war sie mit der S-Bahn zum Bahnhof Grunewald gefahren und hatte sich in ihrem schönsten Kleid in einem der Ausflugslokale vorgestellt. Und tatsächlich war sie eingestellt worden. Anfangs nur zur Probe, aber ihr Fleiß, ihre Umsicht und der Mangel jeglicher Widerworte hatten es ihr ermöglicht, zu bleiben.

    Die beiden anderen Mädchen, Rieke und Martha, verbargen ihre freche Berliner Klappe geschickt vor den Gästen. Nur untereinander gab es hin und wieder Zickereien, besonders wenn ein Gast das Revier wechselte, um sich zu Freunden oder Bekannten zu setzen. Rieke, ungelernt wie Johanna, konnte besonders schnell ihre angeblich gute Kinderstube vergessen. Martha war eher der stille Typ, der vieles mit sich abmachte.

    Die drei männlichen Kollegen trugen die Nase ziemlich hoch, denn sie hatten den Beruf erlernt und waren nicht nur „Hilfskräfte. Sie bedienten hauptsächlich in dem schönen, großen Saal, in den die Reichen und Schönen einkehrten, mit verglasten Arkaden und angeschlossenem Wintergarten sowie einer Terrasse zum Wasser. Adolf, der Älteste von ihnen, ein hochnäsiger Bursche mit ölig zurückgekämmten Haaren, war mitunter sehr gemein und schob den Mädchen seine Fehler zu. Zu den Gästen war er besonders liebenswürdig – schmierig, wie Rieke meinte –, während ihm in der Küche gerne mal die Nerven durchgingen. Er war ein Paradebeispiel für „nach oben buckeln und nach unten treten. Otto, der Mittlere von den dreien, verhielt sich kollegial und war aufgrund seines schönen Gesichts nicht nur beim Personal, sondern auch unter den Gästen sehr beliebt, besonders bei Frauen. Und Fritz, der Jüngste, ein blasser, dünner Junge, der seine einfache Herkunft nicht verbergen konnte, gab sich alle Mühe, bis zum Oberkellner aufzusteigen.

    Johanna hatte nur für einen Augen. Den Sohn des Hauses. Und sie rannte offene Türen ein, wie bald jeder bemerken konnte. Willi, mit unscheinbarem Gesicht, aber hellen „Sternchenaugen", fing sofort Feuer, als er Johanna sah. Seiner Mutter Else, einer strengen Matrone, die sich als Frau Wirtin bezeichnen ließ, ohne aktiv mitzuarbeiten, gefiel das gar nicht. Deshalb nahm sie sich alsbald Sohnemann zur Brust.

    »Du wirst dich doch nicht in dieses unbedeutende Ding verlieben? Du kannst ganz andere Frauen haben. Such dir eine aus der gehobenen Gastronomie, damit ihr später mal den Laden hier übernehmen könnt.«

    »Mutter, ich suche mir mein Mädchen nicht nach dem Beruf aus …«

    »Solltest du aber. Angle dir die Tochter eines Hoteliers. Bei der stimmt später das Erbe. Die kleine Hinterhofpflanze aus Schöneberg hat dir doch außer einer hübschen Larve nichts zu bieten.«

    »Dieser hübschen Larve verdankt sie, bei den Gästen sehr beliebt zu sein. Und ich finde ein bisschen Hinterhof ganz niedlich.«

    »Lass mal, Mutter, der Junge weeß schon, wat jut für ihn is«, sagte Heinrich, der dickbäuchige Wirt mit aufgezwirbeltem Kaiser-Wilhelm-Bart. »Und verjiss nich’, wir ha’m ooch janz kleen anjefangen. Und du stammst zwar nich’ vom Hinterhof, aber aus’m Souterrain.«

    »Musst du mir das immer wieder vorhalten?«, beschwerte sich Else. »Und lass doch das unsägliche Berlinern. Du machst dich ja bei den Gästen unmöglich.«

    »Ach wat! Die sind in der Mehrzahl ebenso mit Spreewasser jetauft wie icke. Die erwarten, dass man ihre Sprache spricht. Wenn se et vornehmer und jelackter woll’n, ha’m wa ja unsere Ober, die Lackaffen.«

    »Du bist einfach unmöglich. Schließlich wollen wir keine

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