Jeden 3. Tag: Thriller
Von Dieter Aurass
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Über dieses E-Book
Koblenz, die beschauliche Touristenstadt an Rhein und Mosel, wird in Angst und Schrecken versetzt. Jeden 3. Tag geschieht ein grauenvoller Mord, jede Tat trägt eine andere Handschrift und die Opfer haben keinerlei Gemeinsamkeiten.
Obwohl Kriminalhauptkommissar Auer, Leiter der Mordkommission, frühzeitig die Handschrift eines Serienkillers vermutet, nehmen seine Vorgesetzten ihn nicht ernst. Er ist wegen seines vorlauten Mundwerks in Ungnade gefallen und sein Team besteht aus Beamten mit Disziplinarstrafen, aber er widmet sich trotz der Widerstände mit aller Kraft der Aufklärung der Verbrechen. Dabei erhält er unerwartete Unterstützung durch eine junge Praktikantin, die kurz vor ihrer Prüfung zur Kommissarin steht.
Dieter Aurass
Dieter Aurass wurde im Jahr 1955 in Frankfurt am Main geboren und wuchs dort auf. Nach dem Abitur wurde er Kriminalbeamter beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden und arbeitete dort in 30 Dienstjahren in den Bereichen Personenschutz, Terrorismusbekämpfung und Spionagebekämpfung. Danach leistete er 11 Jahre Dienst bei der Bundespolizei, wo er IT-Projekte leitete. Seit Ende des Jahres 2015 ist er im Ruhestand und widmet sich ausschließlich seiner Passion – dem Schreiben. Er hat inzwischen viele erfolgreiche Lesungen abgehalten, u. a. in verschiedenen Buchhandlungen, Bibliotheken, im Krimihotel in Hillesheim, auf der Criminale in Graz, auf einer Kreuzfahrt der A-ROSA und beim Deutschen Krimitag. Dieter Aurass ist Mitglied in der Autorenvereinigung „Syndikat“. Er ist seit über 35 Jahren glücklich verheiratet und lebt mit seiner Frau und einer Boston-Terrier-Hündin in der Nähe von Koblenz.
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Buchvorschau
Jeden 3. Tag - Dieter Aurass
Prolog – Montag, 01.08.
Koblenz-Moselweiß – 09:00 Uhr
„Ja, bitte?"
Die Stimme der jungen Frau klingt unsicher, aber nicht ängstlich, was ich selbst durch die Sprechanlage leicht erkennen kann. Sie hat nicht mit Besuch gerechnet. Also setze ich mein strahlendstes Lächeln auf und blicke in die Kamera.
„Hallo, ich habe hier eine Warenlieferung für Frau Beate Furch."
Eine Uniform wirkt immer Wunder. In Verbindung mit einem wenigstens halbwegs adretten Äußeren und freundlichem Auftreten öffnet sie einem alle Türen ... und zwar ohne Probleme. Auch in einem Zweifamilienhaus in Koblenz-Moselweiß.
Nachdem die Gartentür mit vernehmlichem Summen aufgegangen ist, schlendere ich langsam in Richtung Haus, wo ich an der Haustür erneut warten muss, bis sie nach einem kurzen Summen aufgeht. Selbstverständlich weiß ich, dass Fräulein Furch zu dieser Uhrzeit alleine im Haus ist. Die Bewohner des Erdgeschosses sind beide auf der Arbeit, und Beate Furch ist alleinstehend. Ich weiß noch viel mehr von der hübschen jungen Dame. Sie ist 26 Jahre alt, hat einen sehr gut bezahlten Job ... und heute einen Tag frei, weil sie am späten Vormittag einen Termin beim Schönheitschirurgen hat. Da es gerade 09:00 Uhr ist, wird sie jetzt noch beim Frühstück sitzen.
Gemächlich gehe ich die Treppe zu der Wohnung im Obergeschoss hinauf, wobei mir der Gurt der schweren Umhängetasche ein wenig in die Schulter schneidet. Das schwere Paket vor mir hertragend, erklimme ich die Stufen und lasse es dann mit einem lauten Plumps vor der Wohnungstür auf den Boden knallen.
„Na, hören Sie mal, können Sie damit nicht ein wenig vorsichtiger umgehen? Es könnte doch zerbrechlich sein!", schnauzt sie mich durch den bereits geöffneten Türspalt an.
Nein, kann es nicht! Ich weiß, dass in der Kiste nichts kaputtgehen kann. Aber das kann sie nicht wissen. Ich hingegen weiß, dass sie so viel bei den verschiedensten Online-Händlern bestellt, dass sie vermutlich den Überblick verloren hat.
Ich setze einen um Verzeihung bittenden Blick auf.
„Bitte entschuldigen Sie, der Karton ist ganz schön schwer. Was haben Sie denn da bestellt? Backsteine?"
„Keine Ahnung. Tragen Sie mir den Karton gefälligst bis ins Wohnzimmer, ja?"
Nur zu gerne. Was meinst du, warum ich erwähnt habe, dass das Teil sauschwer ist, du arrogante Kuh?
Gehorsam trage ich den Karton an ihr vorbei.
„Da vorne links bitte."
Muss sie mir nicht sagen. Aber natürlich bin ich unschlüssig im Flur stehen geblieben, als würde ich mich nicht auskennen.
Ich war bereits zwei Mal in ihrer Abwesenheit in dieser Wohnung gewesen, weiß mehr über Fräulein Furch als ihre Arbeitskolleginnen und habe sie nicht ohne Grund ausgesucht, nachdem sie mir im Fittnessstudio aufgefallen ist.
Im Wohnzimmer angekommen, stelle ich den Karton mitten in den Raum und wische mir den Schweiß von der Stirn. Danach entnehme ich meiner Umhängetasche die Schreibkladde und halte sie ihr hin.
„Sie müssten mir noch den Empfang quittieren, bitte."
Sie wundert sich nicht, dass ich grobe Handwerkerhandschuhe trage, immerhin habe ich gerade ein sehr schweres Paket in ihre Wohnung getragen. Als sie sich nach vorne beugt und die Augen zusammenkneift, weil das Schriftstück auf der Kladde so extrem klein gedruckt ist, geht meine rechte Hand mit dem getränkten Lappen von hinten um ihren Kopf herum, und ich drücke ihr das Stück Stoff fest über Mund und Nase.
Es dauert nur wenige Sekunden, bis sie schlaff in meinen Armen hängt. Dieser neue Äther-Ersatz, der praktischerweise geruchsneutral ist, wirkt wirklich gut und schnell. Ich bin beeindruckt. Langsam und vorsichtig lasse ich sie zu Boden gleiten und verschaffe mir dann noch mal einen letzten Überblick über die restliche Wohnung, um sicherzustellen, dass nicht vielleicht ein Übernachtungsgast noch im Schlafzimmer liegt, den ich nicht eingeplant habe.
Da das Haus im Hang liegt, genieße ich durch das Panoramafenster des Wohnzimmers für einen Augenblick den unverbaubaren Ausblick auf die Mosel, die gemächlich und träge in der strahlenden Sonne vorbeizieht.
Widerwillig reiße ich mich von dem Anblick los. Ich habe noch viel zu tun und möchte auch nicht in Zeitnot kommen.
Also öffne ich das schwere Paket und fange an, die erforderlichen Utensilien auszupacken. Eigentlich freue ich mich nicht wirklich auf die Sauerei, die ich nun gleich veranstalten muss, aber das erwartete Endergebnis lässt mich doch in freudiger Erwartung ein kleines Liedchen pfeifen, während ich die Plastikplane und die kleine akkubetriebene Kettensäge auspacke.
Die groben Arbeitshandschuhe tausche ich gegen chirurgische Einweghandschuhe aus, denn mein Vorhaben erfordert doch einiges an Fingerspitzengefühl. Dann mache ich mich an die unangenehme Metzgersarbeit. Ich bin noch nicht einmal halb fertig, als die Katze meines Opfers, eine wunderschöne Türkisch Angora, miauend ins Zimmer tritt, kurz an dem Blut auf der Plane schnuppert und mir dann schnurrend um die Beine streicht.
Was für ein schönes Tier. Zärtlich streichle ich seinen Nacken und überlege, was ich mit ihm machen soll. Aber das hat Zeit bis später, erst mal muss ich mit meiner eigentlichen Arbeit fertig werden. Es ist noch viel zu tun, bis alles so aussieht, wie ich es mir vorgestellt habe.
Kapitel 1 – Dienstag, 02.08.
Koblenz-Moselweiß – 08:15 Uhr
Seufzend quälte er sich die Treppe in das Obergeschoss hinauf, die „Neue" im Schlepptau.
Ich muss wieder mehr Sport machen. Dieses Gefühl mangelnder Fitness ist scheiße ... vor allem, wenn du dann auch noch so ein junges Ding im Team hast.
Arnulf Auer musste unwillkürlich kurz auflachen, als ihm bewusst wurde, dass er wieder von dem im ganzen Polizeipräsidium als „Gurkentruppe bezeichneten Personenkreis als „das Team
gedacht hatte. Das war halt die Bestrafung für sein loses Mundwerk, das er einfach nicht halten konnte, auch nicht gegenüber Vorgesetzten. Das Leitungspersonal im Polizeipräsidium Koblenz schien ganz besonders sensibel und humorlos zu sein und mit seinen lockeren Sprüchen nicht wirklich umgehen zu können. Da man ihn wegen seiner unbestreitbaren Ermittlungserfolge aber nicht so einfach aufs Abstellgleis schieben konnte, hatte man sich eine andere Art der Bestrafung für ihn ausgedacht: Man teilte seiner Mordkommission den vermeintlichen Müll des Präsidiums zu, also die Kollegen, die entweder unangenehm aufgefallen waren, die krank waren oder mit persönlichen Problemen, wie zum Beispiel Disziplinarverfahren, zu kämpfen hatten.
Auer war das egal. Die Erfahrung von über 20 Jahren im Polizeidienst hatte ihn gelehrt, dass jeder Kollege auch seine positiven Seiten hatte und sehr oft Fähigkeiten in ihm schlummerten, die von anderen nicht erkannt wurden.
Als er vor der Wohnungstür ankam, wurde seine Aufmerksamkeit von dem uniformierten Kollegen in Anspruch genommen, der sich gerade geräuschvoll auf den Fliesenboden des Treppenhauses übergab.
„Hallo, Kollege, weißt du nicht, wofür deine Mütze gedacht ist? Das nächste Mal kotzt du bitte da rein, anstatt uns den Tatort zu versauen, klar?"
Aber der junge Kollege tat ihm andererseits auch ein wenig leid. Er klopfte ihm leicht auf den gebeugten Rücken.
„Das wird schon wieder. Du hast wohl noch nicht viele Leichen gesehen, was?"
Der Junge würgte noch einmal kurz, schluckte den Rest hinunter und quälte sich ab, Auer eine Antwort zu geben: „Doch, eigentlich schon, aber so was ..." Er schüttelte immer wieder den Kopf. Dann traten ihm die Tränen in die Augen, und er begann erneut zu würgen.
„Oh, oh, geh mal besser raus an die frische Luft. Wir sind ja jetzt da, und du kannst auch draußen vor dem Haus aufpassen, dass uns keine Presse auf den Hals rückt."
Auer zog die OP-Überschuhe über seine Halbschuhe und reichte ein weiteres Paar nach hinten zu der ihm dicht auf den Fersen befindlichen Kollegin.
„Anziehen, raunte er kurz nach hinten, „und halt dich dicht hinter mir, pass auf, wo du hintrittst, und fass ja nichts an.
Wie heißt sie noch gleich? Katrin? Nein, Corinna. Corinna Crott, die neue Kommissaranwärterin, die keiner haben wollte, weshalb man sie ihm für die nächsten drei Monate zugeteilt hatte. Was für ein Einstieg! Gleich am ersten Tag eine Leiche, bei der man – Auer hatte noch keine Ahnung warum – davon ausging, dass es sich um einen Mord handelte.
Vorsichtig betrat er die Wohnung und musste feststellen, dass die Jungs und Mädels von der Spurensicherung in ihren weißen Maleranzügen bereits voll im Einsatz waren.
Früher hatte er sich mal eingebildet, dass er mit 1,80 ein eher großer Mann sei, aber die jüngere Generation überragte ihn in den meisten Fällen doch um einige Zentimeter. Mit seinen 42 Jahren kam er sich gegenüber den wesentlich jüngeren Leuten von der Spurensicherung wie ein alter Mann vor. Die Begleitung durch die blutjunge und nicht unattraktive Kommissaranwärterin machte es sogar noch schlimmer.
Da könnte ich ja auch mit meiner Tochter unterwegs sein.
Nicht, dass er eine Tochter gehabt hätte, aber zumindest vom Alter her hätte sie es ohne Weiteres sein können.
„Hi Arnulf, grüßte ihn einer der Erkennungsdienstbeamten. „Sie liegt im Schlafzimmer. Und bevor du fragst, ein Medizinmann war bereits da, hat den Tod festgestellt und dass Fremdeinwirkung vorliegt. Dann ist er wieder abgedampft, und jetzt wartet der Gerichtsmediziner in Mainz, bis wir mit der Tatortaufnahme fertig sind und die Leiche dorthin abtransportiert wird.
Der junge Kollege grinste anzüglich. „Nicht, dass es einen Mediziner dafür gebraucht hätte. Den Tod hätte ich auch alleine mit absoluter Sicherheit feststellen können und die Fremdeinwirkung genauso. Aber das wirst du ja gleich selbst sehen."
Noch immer grinsend zog er sich zurück und widmete sich anderen Aufgaben. Vorsichtig und immer wieder auf den Boden vor sich schauend, näherte Auer sich der offen stehenden Schlafzimmertür und erhaschte bereits vor Betreten des Raumes einen ersten Blick auf die nackte Frau, die auf der roten Tagesdecke des Bettes lag. Schon von Weitem fielen ihm die roten Striemen um Hand- und Fußgelenke sowie um den Hals des Opfers auf. Erst als er vorsichtig näher an das Bett herantrat, erkannte er, wie sehr er sich geirrt hatte und was der Kollege von der Spurensicherung gemeint hatte.
Es handelte sich nicht um eine rote Tagesdecke, sondern um ein blutdurchtränktes Tuch unbekannter Farbe. Und es handelte sich auch nicht um rote Striemen an den Gelenken oder am Hals, sondern um ... um was eigentlich? Da die Spurensicherung den Raum für ihn freigegeben hatte, war er sich sicher, dass er die Leiche nun gefahrlos anfassen konnte, ohne Spuren zu verwischen. Also fasste er die rechte Hand der Leiche an ... und musste feststellen, dass sie keinerlei Verbindung mehr zum Arm hatte. Sie war sauber abgetrennt und anschließend wieder so an den Armstumpf gelegt worden, dass der Eindruck entstehen konnte, beide Teile wären noch verbunden.
Auer ließ die Hand einfach fallen und tippte der jungen und offensichtlich sehr toten Frau leicht gegen die Schläfe.
Der Erfolg war durchschlagend, denn der Kopf rollte zur Seite und offenbarte die grausige Wahrheit: Was für die Gelenke galt, traf auch auf den Kopf zu. Sauber abgetrennt.
Er spürte dicht hinter sich die Anwesenheit der jungen Kollegin. Was ihn allerdings verwunderte, war die Abwesenheit jeglicher Geräusche. Er hätte wenigstens ein Würgen, einen erschrockenen Aufschrei oder heftiges Atmen erwartet. Vorsichtig drehte er sich halb um und beäugte das Mädchen. Zu seiner Überraschung war alles, was er in ihrem Gesicht sehen konnte ... interessierte Neugierde.
Sie betrachtete aufmerksam die Leiche, und auch der weggerollte und nun neben dem Hals liegende Kopf schien sie nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen zu können.
Alle Achtung, dachte er anerkennend. Das hätte ich nun nicht vermutet. Offensichtlich musste er sich doch ein wenig schlauer über sie und ihre Vorgeschichte machen.
Noch während er sich über die Abgebrühtheit der jungen Kollegin wunderte, betrat ein Kollege der Spurensicherung den Raum.
„Was ich dir noch sagen wollte, Arnulf, wir haben in der Küche eine Katze gefunden. Der Kratzbaum, eine Katzentoilette und die Futterschüssel legen den Schluss nahe, dass es sich um die Katze unseres Opfers handelt."
„Und? Ist sie auch zerstückelt?"
„Wie ... zerstückelt? Der Kollege blickte ihn verständnislos an. „Ach so, jetzt versteh ich. Nein, nein, mein Fehler
, lachte er kurz auf. „Nein, die Katze ist nicht zerstückelt, sonst würde sie kaum noch leben. Wir haben allerdings Blut an ihr gefunden, und ich schätze mal, der Täter hat sie mit blutverschmierten Händen gestreichelt, bevor er sie in der Küche eingeschlossen hat."
„Aha, bemerkte Auer trocken, „dann haben wir ja schon den ersten Täterhinweis. Es handelt sich ganz offensichtlich um einen Katzenliebhaber. Gut zu wissen.
Er ignorierte die verblüfften Blicke des Kollegen und des Mädchens.
„Hat der Doc was zum mutmaßlichen Todeszeitpunkt gesagt? Das Blut wirkt ja schon ziemlich angetrocknet."
Statt eine Antwort zu geben, sah der Spurensicherer an Auer vorbei auf die Leiche und wollte sich mit einem Aufschrei der Entrüstung an ihm vorbeidrängen. „Ey, Mädchen, was machst du denn da? Du kannst doch nicht einfach am Tatort die Leiche anfassen. Hast du sie noch alle?"
„Langsam, langsam", bremste Auer ihn und hielt ihn gleichzeitig davon ab, sich auf die junge Kollegin zu stürzen, die gerade dabei war, einen Arm anzuheben und im Schultergelenk kreisen zu lassen.
Völlig unbeeindruckt fasste sie nun den Kopf an, hob ihn hoch und bewegte langsam den Unterkiefer hin und her.
„Da das bereits sehr angetrocknete Blut den Schluss nahelegt, dass sie nicht erst vor einer oder zwei Stunden getötet wurde, gehe ich von einem Todeszeitpunkt von mehr als 24 Stunden aus, da die Totenstarre gerade dabei ist, wieder abzuklingen."
Auer vermutete, dass er gerade selbst keinen wesentlich intelligenteren Gesichtsausdruck zu bieten hatte als der Kollege von der Spurensicherung. Beide starrten sie die junge Frau mit offenem Mund an.
„Was?, fragte sie überrascht. „Hat der Doktor etwas anderes gesagt?
„Äh ... nee ... ich meine ..., stotterte der Beamte, dessen Name Auer ums Verrecken nicht einfallen wollte, „also ... äh ... der hat genau das Gleiche gesagt.
An Auer gewandt, der inzwischen seinen Ärmel losgelassen hatte, fragte er: „Wer ist das denn?"
„Ach so, ja, ich habe euch noch nicht bekannt gemacht. Das ist Corinna Crott, die neue Kommissaranwärterin in meinem Team."
Er verkniff es sich, den Kollegen vorzustellen, da er seinen Namen ja momentan nicht wusste.
„Angenehm, Schmitt ... Mike." Er streckte ihr die behandschuhte Hand entgegen, zuckte aber zurück, als sie ihm ihre ebenfalls in Latexhandschuhen steckende, nun aber total mit Blut verschmierte Hand entgegenstreckte.
Auer schüttelte verwundert den Kopf.
Erstaunlich, womit man manche Menschen beeindrucken konnte. Er wollte sich gerade auf den Weg aus dem Schlafzimmer machen, als der Spurensicherer ihn aufhielt.
„Warte mal, ich habe da noch was Wichtiges."
Vor seinem Gesicht schwenkte er ein durchsichtiges Plastiktütchen, in dem sich eine kleine Visitenkarte befand.
„Die war deutlich sichtbar zur Hälfte in ihre Scheide gesteckt. Wird dich sicher interessieren."
Mit diesen Worten übergab er Auer das Tütchen, drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
Auer starrte auf die Visitenkarte, deren Text er deutlich lesen konnte.
„Ach du heilige Scheiße! Das hat uns noch gefehlt."
Daraufhin meldete sich auch das Mädchen, wie er sie in Gedanken immer noch nannte, zu Wort: „Was steht denn drauf? Kann ich mal sehen?"
Wortlos hielt er ihr die Tüte so hin, dass sie die Karte sehen konnte.
Laut las sie vor: „Doktor Tod – das war erst der Anfang!"
Kapitel 2
08:45 Uhr
Die Rückfahrtstrecke von Koblenz-Moselweiß zum Polizeipräsidium war zwar nur dreieinhalb Kilometer lang, aber dummerweise wählte die noch nicht sonderlich ortskundige neue Kollegin die viereinhalb Kilometer lange Strecke über die Hauptverkehrsadern von Koblenz. Da Koblenz gerade in den Sommermonaten aufgrund der vielen Touristen meist kurz vor einem Straßenverkehrsinfarkt stand, waren die „Adern" – wie leider viel zu oft – ziemlich verstopft und sie brauchten eine geschlagene Viertelstunde, bis sie endlich in die Tiefgarage des Präsidiums einbogen.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee, die Neue den zivilen Polizeiwagen steuern zu lassen, wie er es normalerweise bei Praktikanten, Durchläufern, Anwärtern und sonstigen, meistens mehr lästigen als nützlichen Personalzuordnungen handhabte.
Auer hatte die gesamte Fahrt gedankenversunken und schweigend auf dem Beifahrersitz gesessen und nur ab und zu auf die in der Tüte befindliche Visitenkarte in seiner Hand geschaut. Das hatte ihnen noch gefehlt: der sehr wahrscheinliche Auftakt zu einer Serie von Morden! Anders konnte er diese für die Polizei hinterlassene Nachricht nicht deuten.
Würde man ihm den Fall lassen? War sein Team zur Lösung eines so schwerwiegenden Falles überhaupt richtig aufgestellt? Welche Konsequenzen würde es haben, wenn sie versagten?
In Gedanken war er schon während der Fahrt die verschiedenen Optionen, die anstehenden Aufgaben und die jeweils beste personelle Besetzung für die einzelnen Ermittlungen durchgegangen. Allerdings gab es da noch einen Unsicherheitsfaktor oder besser gesagt ein Wissensdefizit, das er auf jeden Fall so schnell wie möglich ein wenig aufzuhellen gedachte.
Als die junge Kollegin den Dienstwagen in eine Parklücke gefahren hatte, ihn ausmachte, den Schlüssel abzog und Anstalten machte auszusteigen, blieb er einfach sitzen. Sie hatte die Tür schon geöffnet, als sie bemerkte, dass er anscheinend nicht vorhatte auszusteigen. Nach kurzem Zögern setzte sie sich wieder ins Fahrzeug, schloss die Tür und blickte ihn auffordernd und fragend zugleich an. Sie sagte nichts und stellte keine Frage. Nur dieser abwartende Blick und der leicht zur Seite geneigte Kopf.
Auer war beeindruckt. Das war jemand nach seinem Geschmack. Er sah ihr forschend direkt in die Augen, wie er es immer tat, wenn er feststellen wollte, ob jemand leicht zu verunsichern war.
Sie war es definitiv nicht. Sehr gut.
„Also, Mädchen", begann er langsam, ohne den Blick abzuwenden, „wir müssen mal ein paar Dinge klären. Erstens – ich bin grundsätzlich mit allen Kollegen per Du. Anders kann ich nicht mit jemandem zusammenarbeiten. Du darfst mich Ulf nennen. Du darfst mich nicht Arnulf nennen, sonst bist du schneller wieder weg, als du ,oh Verzeihung‘ sagen kannst. Wie möchtest du genannt werden?"
„Coco ... so nennen mich die meisten meiner Freunde."
Sie stellte nicht die offensichtliche Frage, warum er nicht Arnulf genannt werden wollte, einfach nur eine knappe Antwort ohne großartige Erklärung. Sie gefiel ihm von Sekunde zu Sekunde besser.
„Okay, Coco. Ich muss sagen, das vorhin bei der Leiche hat mich ganz schön beeindruckt. Die meisten Anfänger kotzen wie die Weltmeister, wenn sie das erste Mal so eine Schweinerei sehen. Wenn ich dich in den nächsten Tagen und Wochen richtig einsetzen soll, muss ich ein wenig mehr von dir wissen. Also erzähl mir, wie es kommt, dass du so cool bleiben kannst, was du bisher so gemacht hast und was deine Stärken und Schwächen sind."
Er lehnte sich bequem in seinem Sitz zurück und wartete ab, wie sie reagieren würde. Sie enttäuschte seine Erwartungen nicht.
Ohne lange Vorreden begann sie, chronologisch zu berichten: von ihrer Jugend auf dem elterlichen Bauernhof im Hunsrück, den Hausschlachtungen von Schweinen, den Prügeleien mit ihren älteren Brüdern, der Schule und dem Abitur auf einem Internat in der Schweiz. Danach über ihren Versuch, ein Psychologiestudium zu einem erfolgreichen Ende zu führen, und ihrem Praktikum in der „Rhein-Mosel-Fachklinik Nette-Gut für Forensische Psychiatrie" unweit von Koblenz. Diese Klinik diente auch dem Maßregelvollzug für Rheinland-Pfalz. Dort hatte sie erstmals Kontakt mit psychisch gestörten Kriminellen gehabt, deren Taten und Vorgeschichten erfahren und auch die Kriminalbeamten kennengelernt, die mit diesen Personen zu tun hatten. Das hatte sie so sehr beeindruckt, dass sie sich noch während des Praktikums entschlossen hatte, das Studium aufzugeben und sich stattdessen bei der Kriminalpolizei zu bewerben. Nun stand sie am Ende ihrer Ausbildung, und nach dem Praktikum würde sie die Prüfung zur Kriminalkommissarin ablegen.
Erfolgreich ... daran hegte Auer nicht den geringsten Zweifel. Die Kleine beeindruckte ihn. Da er sich nicht die Mühe gemacht hatte, im Vorfeld ihres Praktikums ihre Personalakte zu lesen, musste er sie nun fragen.
„Darf ich fragen, wie alt du bist?"
„23 ... in zwei Wochen", erwiderte sie, wobei sie mit den Schultern zuckte, als müsse sie sich für ihr jugendliches Alter entschuldigen.
Sie könnte wirklich meine Tochter sein. Du lieber Himmel, da merkt man mal wieder, wie alt man geworden ist.
Er schüttelte sich kurz, um diese unnützen Gedanken zu vertreiben.
„Okay ... ich bin mir sicher, wir können dich in diesem Fall gut gebrauchen. So ein Psychologiestudium hat in unserem Job sicherlich was für sich. Wir werden sehen. Er öffnete die Tür und begann auszusteigen. „Dann wollen wir mal zu den anderen Kollegen gehen. Es wird Zeit, dass du sie kennenlernst.
Der Kellerraum mit lediglich einigen schmalen Oberlichtern an einer Seite, durch die nur wenig Tageslicht in den Raum drang, gehörte ebenfalls zu dem Preis, den Auer für sein vorlautes Mundwerk zahlen musste. Nachdem er vor einigen Jahren seinen unmittelbaren Vorgesetzten, der gleichzeitig der Schwiegersohn des Polizeipräsidenten war, in einem Gespräch mit Kollegen als „Kompetenzsimulant bezeichnet hatte und einer eben dieser Kollegen das dem Chef gesteckt hatte, war er so in Ungnade gefallen, dass er bei einer der vielen immer wieder stattfindenden Umstrukturierungen „leider
umziehen und sein bisheriges Domizil hatte räumen müssen. Sehr zum „Bedauern" aller Vorgesetzten blieb leider kein anderer Raum übrig als dieses Kellerloch, das durch die Oberlichter auch nur notdürftig belüftet wurde und wo man überwiegend auf Kunstlicht angewiesen war. Aber Auer war ein Mensch, der allem stets etwas Positives abgewann.
Zumindest bot der Raum richtig viel Platz. Er war fast 60 Quadratmeter groß, in der Mitte gab es zwei tragende Stützsäulen, angrenzend befanden sich eine kleine Küche und eine Toilette, und die fünf Schreibtische mit den obligatorischen Computern wirkten fast verloren. Der Platz reichte sogar noch für einen kleinen Besuchertisch, an dem er auch die regelmäßigen Besprechungen abhielt. Der Mangel an Fenstern bescherte der Mordkommission im Gegenzug ausreichend Wandflächen, die mit Packpapierrollen bezogen waren, auf die man sowohl Notizen schreiben als auch Zettel oder Fotos mit Tesafilm ankleben konnte. Alles in allem also gar nicht so schlecht, dachte Auer.
Als er mit Coco den Raum betrat, saßen die restlichen drei Teammitglieder an ihren Schreibtischen und lasen Akten oder arbeiteten am Computer.
Wie meist war es Harry, der als Erster bemerkte, dass Auer nicht alleine den Raum betreten hatte. Er schien besonders dann, wenn das weibliche Geschlecht im Spiel war, einen sechsten Sinn zu haben. Entweder hat er ein superfeines Gehör oder er hat ihr Parfüm gerochen, dachte Auer verwundert.
Harald Kruse war aufgesprungen und kam über das ganze Gesicht strahlend auf die beiden zu. Er richtete sich auf seine vollen 1,62 auf, die sich dank der hohen Absätze seiner Stiefel insgesamt auf 1,72 addierten, und warf sich in die Brust. Das reinweiße Hemd zu der verschlissenen Jeans wirkte edel ... und stand nach Auers Geschmack mindestens zwei Knöpfe zu weit auf. Dadurch entblößte er die haarlose und gut gebräunte Brust. Zusammen mit seinem strahlenden Lächeln und den dunklen, fast schwarzen Haaren erweckte er den Eindruck des smarten Sonnyboys ... der er auch in jeder Beziehung war. Allerdings fand Auer seinen Aufzug so überhaupt nicht altersentsprechend, was er ihm auch schon mehrfach gesagt hatte.
„Na, Ulf, wen hast du uns denn da mitgebracht? Da die bezaubernde junge Dame hinter dir hergeht, vermute ich mal, dass sie keine Zeugin und erst recht keine Verdächtige ist, hab ich recht?"
Auer hatte keine Lust, alles dreimal zu erklären, weshalb er in den Raum rief: „Hey, Leute, alles mal aufgepasst, ich habe uns ein neues Teammitglied mitgebracht!"
Die beiden anderen drehten sich mitsamt ihren Sesseln an ihrem Arbeitsplatz um und blickten nun auch neugierig geworden in seine Richtung.
„Darf ich vorstellen, das ist unsere neue Kollegin Coco, eigentlich Corinna Crott. Sie ist Kommissaranwärterin und steht kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung. Ich hatte das Vergnügen – und das meine ich ausnahmsweise mal wörtlich und ernst –, sie heute Morgen bei unserem hohen Chef in Empfang zu nehmen und danach direkt mit ihr an einen Tatort zu fahren. Ich denke, sie ist eine echte Verstärkung für unser Team."
Er wurde wieder sehr ernst und ergänzte seine Vorstellung mit den Worten: „Der eigentliche Tatort war allerdings überhaupt kein Vergnügen, und ich befürchte, es war nur der erste in einer neuen schrecklichen Serie. Aber dazu gleich mehr. Ich schlage vor, ihr macht euch erst mal miteinander bekannt."
„Hallo, Schönheit, ich bin Harry. Freut mich, dich kennenzulernen. Wir werden uns sicher gut verstehen."
Er war freudestrahlend an sie herangetreten, hatte ihre rechte Hand in seine genommen und die linke Hand darübergelegt. Er schüttelte die Hand nicht, sondern hielt sie lediglich fest und starrte ihr unverwandt ins Gesicht.
„Sag ihr lieber gleich, wie alt du bist", erscholl die Stimme von einem der beiden noch an ihren Arbeitsplätzen sitzenden Kollegen. „Vielleicht steht sie ja nicht auf Opas, und du könntest doch