Die Blinden: Roman
Von Paul Heyse
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Über dieses E-Book
Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt.
1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur.
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Paul Heyse
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
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Buchvorschau
Die Blinden - Paul Heyse
Erstes Kapitel.
Am offenen Fenster, das auf den kleinen Blumengarten hinausging, stand die blinde Tochter des Dorfküsters und erquickte sich am Winde, der über ihr heißes Gesicht flog. Die zarte halbwüchsige Gestalt zitterte, die kalten Händchen lagen in einander auf dem Fenstersims. Die Sonne war schon hinab und die Nachtblumen fingen an zu duften.
Tiefer im Zimmer saß ein blinder Knabe auf einem Schemelchen an dem alten Spinett und spielte unruhige Melodien. Er mochte fünfzehn Jahr alt sein und nur etwa um ein Jahr älter als das Mädchen. Wer ihn gehört und gesehen hätte, wie er die großen offenen Augen bald emporwandte, bald das Haupt nach dem Fenster neigte, hätte sein Gebrechen wohl nicht geahnt. So viel Sicherheit, ja Ungestüm lag in seinen Bewegungen.
Plötzlich brach er ab, mitten in einem geistlichen Liede, das er nach eignem Sinne verwildert zu haben schien.
Du hast geseufzt, Marlene? fragte er mit umgewandtem Gesicht.
Ich nicht, Clemens. Warum sollt’ ich seufzen? Ich schrak nur zusammen, wie der Wind auf einmal so heftig hereinfuhr.
Du hast doch geseufzt. Meinst du, ich hörte es nicht, wenn ich spiele? Und ich fühl’ es auch bis hierher, wenn du zitterst.
Ja, es ist kalt geworden.
Du betrügst mich nicht. Wenn dir kalt wäre, stündest du nicht am Fenster. Ich weiß aber, warum du seufzest und zitterst. Weil der Arzt morgen kommt und uns mit Nadeln in die Augen stechen will, darum fürchtest du dich. Und er hat doch gesagt, wie bald Alles geschehen sei, und dass es nur tue wie ein Mückenstich. Warst du nicht sonst tapfer und geduldig, und wenn ich als Kind schrie, so oft mir was weh tat, hat dich meine Mutter mir nicht immer zum Muster aufgestellt, obwohl du nur ein Mädchen bist? Und nun weißt du dich nicht auf deinen Mut zu besinnen, und denkst gar nicht an das Glück, das wir hernach zu hoffen haben?
Sie schüttelte dass Köpfchen und erwiderte: Wie du nur denken kannst, ich fürchtete mich vor dem kurzen Schmerz. Aber beklommen bin ich von dummen, kindischen Gedanken, aus denen ich mich nicht herausfinde. – Zeit dem Tage schon, wo der fremde Arzt, den der Herr Baron hat kommen lassen, vom Schloss herunter zu deinem Vater kam, und die Mutter uns dann aus dem Garten rief, seit der Stunde schon liegt was auf mir und will nicht weichen. Du warst so in Freuden, dass du nichts gewahr wurdest. Aber wie dein Vater damals zu beten anfing und Gott Dank sagte für diese Gnade, schwieg es ganz still in mir und betete nicht mit. Ich sann in mir herum, wofür ich danken sollte und begriff’s nicht.
So sprach sie mit ruhiger, gefasster Stimme. Der Knabe schlug wieder einige leise Akkorde an. Zwischen den heiser schwirrenden Tönen, wie sie diesen alten Instrumenten eigen sind, klang ferner Gesang heimkehrender Feldarbeiter, ein Gegensatz wie der eines hellen, kräftig erfüllten Lebens zu dem Traumleben dieser blinden Kinder.
Der Knabe schien es zu empfinden. Er stand rasch auf, trat an das Fenster mit sicherem Schritt – denn er kannte dies Zimmer und jedes Gerät darin – und indem er die schönen blonden Locken zurückwarf, sagte er: Du bist wunderlich, Marlene! Die Eltern und Alle im Dorfe wünschen uns Glück. Sollt’ es nun kein Glück sein? Bis mir’s verheißen würde, hab’ ich auch nicht viel danach gefragt. Wir sind blind, sagen sie. Ich verstand nie, was uns fehlen soll. Wenn Besuch zu den Eltern kam, und wir hörten, wie sie mitleidig sagten: Arme Kinder! ward ich zornig und dachte: Was haben sie uns zu bedauern? Aber dass wir anders sind als die Andern, das wußt’ ich wohl. Sie sprachen oft Dinge, die ich nicht verstand, und die doch lieblich sein müssen. Nun wir’s auch wissen sollen, lässt mich die Neugier nicht los Tag und Nacht.
Mir war’s wohl, so wie es war, sagte Marlene traurig. Ich war so fröhlich und hätte all mein Lebtag so fröhlich sein mögen. Nun kommt es wohl anders. Hast du nicht die Leute klagen hören, die Welt sei voll Not und Sorgen? Und kannten wir die Sorge?
Weil wir die Welt nicht kannten; und ich will sie kennen, auf alle Gefahr. Ich ließ mir das