Dalmatinisches Inselbuch: Von der Kunst, nichts zu tun
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Buchvorschau
Dalmatinisches Inselbuch - Friederun Pleterski
Paradies.
Altweibersommer
Ein eleganter, weißer Katamaran und ein bauchiges Piratenschiff aus Holz ankern in der Bucht. Bikinis flattern an den Wäscheleinen im Wind, das Meer ist blau und die Morgensonne taucht die Landschaft in ein mildes, goldenes Licht. Ein sanftes Lüftchen zeichnet dem Wasser ein Rippenmuster.
An der Mole liegen zwei alte Fischerboote, in jedem sitzt ein Mann. Der eine ist mein Nachbar Vinko, der andere sein Cousin Igor. Ich unterbreche meine morgendliche Jogging-Runde und gehe auf die beiden zu. „Schön, dass du kommst, sagt Vinko. „Obwohl du mich nicht liebst. Du liebst Stanley.
Und dann zeigt er auf Igor: „My partner." Weiß ich, mein Hirn ist kein Sieb. Ich merke mir die Namen noch gut.
Vinko ist dabei, Fische aus dem Netz zu lösen. Er wirft sie in eine Kiste, ich schätze, dass es mindestens zehn Kilo sind. Kleine Exemplare in allen Farben und Formen. Rote, stachelige Seeteufelchen, schimmernde Goldbrassen, grau gestreifte Wolfsbarsche, blaue Seenadeln. Ein leeres Netz ist zu einem Haufen zusammengerollt. Die beiden Fischer verbreiten Zufriedenheit. „Oooooch …, sagt Vinko, „lauter Kleinzeug.
Er müht sich mit dem Netz ab und löst jene Fische heraus, bei denen es leicht geht. Die anderen lässt er in den Maschen hängen. Er sagt: „Jetzt weißt du, wofür ich den ganzen Sommer gearbeitet habe. Oh, ja. Ich erinnere mich. Drei Wochen lang saß er Tag für Tag unter der Weinlaube vor seinem Haus im Schatten und flickte die Netze mit den dazu bestimmten Fäden und einer langen Nadel. Seine Frau Maria saß daneben und schaute ihm zu. Manchmal manikürte sie ihre Fingernägel, oder sie nahm ein Fußbad und stöhnte wohlig: „Aaaahhh.
Ich erinnere mich, was er damals sagte. Er sagte es auf Italienisch, manchmal reden wir neben englisch und kroatisch auch italienisch hier auf der Insel. Er sagte: „La vita e’ un passatempo." Das Leben ist dazu da, um sich die Zeit mit angenehmen Dingen zu vertreiben.
„Auf dem Boot dort, sagt Vinko und dreht sich langsam in die Richtung, in der die Jachten liegen, „sind lauter hübsche Mädchen.
Seine schwarzen Äuglein blitzen: „I like to look. Die Busenhalter und Höschen an der Wäscheleine winken uns zu. „Aber look nur
, denke ich, „es tut dir gut, und Maria hat schon lange nichts mehr dagegen."
Die Männer in ihren bunt karierten Hemden und dem gelben Ölzeug, in ihren weißblau gestrichenen Booten, das Netz voller Fische, die Morgensonne in den braun gebrannten, von Falten zerfurchten Gesichtern – ein Bild für Götter. Und Götter sind sie, die Herren auf Mali Otok und ich bin die Götterbotin. Gott Vinko trägt mir einen Dienst auf: „Sag Maria bitte, dass wir einen großen Fang nach Hause bringen, wenn du heimkommst." Ich übermittle gern.
„Na gut, antworte ich und laufe den Weg wieder zurück. Ach, wie ich ihn genieße, diesen Morgenlauf. Wenn ich laufe, entspanne ich mich. Wenn ich laufe, fliegen mir die Gedanken zu. Ich laufe vorbei an Myrten und Lorbeer, an Wacholder und Oliven. Ich schaue genau auf den Weg, beachte jeden Stein, ich will nicht mehr stolpern und auf einer Steinkante landen, zwischen Knie und Schienbein. Fast ein Jahr war ich außer Gefecht, das Bein geschwollen, das Knie war nur unter Schmerzen biegsam. Ein Jahr Therapie. Nein, keine Operation. „Blöd gefallen, gell? Vielleicht sollten Sie jetzt walken?
Am nettesten war noch der Arzt, der sagte: „Es braucht seine Zeit. Es wird schon." Er zeigte mir eine Unterwasser-Übung. Ich übte im Meer bis in den November hinein, dann waren die Beschwerden vorbei.
Den Weg zwischen den Natursteinmauern kenne ich beinahe auswendig. Die Senke, in der das Moos auf den Steinen wächst, die Baumkronen der Steineichen, die aussehen, als hätte sie jemand zu Kegeln und Kugeln getrimmt. Ein wenig wie am Friedhof sieht es hier aus. Der Weg schlängelt sich hoch, bis zum Gedenkkreuz, dann geht es wieder hinunter. Sie stellen hier gerne Kreuze auf, Kapellen, Kirchen, weil sie hier katholischer sind als der Papst. Zwischen den Ästen der Eichen lauern fette Spinnen in ihren riesigen Netzen. Ein Fasan fliegt auf. Ein schwarz-weiß geschecktes Schaf hat sich verlaufen und flüchtet, als es mich sieht. Endspurt. Ich dehne meine Gelenke. Ein paar Minuten später bringe ich Maria die Frohbotschaft: „Vinko hat ein paar Kilo Fische im Netz. Er kommt bald. Das gibt Arbeit für dich: Fische putzen! Das macht Maria nichts aus, im Gegenteil. Sie ist so stolz auf ihren Ehemann, sie freut sich und krächzt: „Very good!
Vor meinem Haus wuchern die Rosmarinstauden, die beiden Zypressen am Eingang sind uralt. Die Wiese ist saftig grün, wie England im Sommer. Hier war es im Sommer staubtrocken. Der Tau am Morgen und die Feuchte der Nacht hat die Landschaft wieder grün gemacht, ganz ohne Bewässerung. Lässt man die Dinge, so wie sie sind, werden sie sich von selbst ändern, wenn die Zeit dazu gekommen ist.
Ich ziehe den ausgeleierten Badeanzug an, ein neuer wäre längst fällig, doch wozu? Es ist Altweibersommer und niemand außer mir schwimmt im türkisblauen Meer. Zum Frühstück gibt es frisches, warmes Brot, Kaffee, Feigenmarmelade und Obst. Alleine zu frühstücken macht mir nichts aus. Es ist ein Ritual, das ich sogar mag. Was mir beim Laufen einfiel, Ideen, Geschichten, Pläne, leistet mir nun Gesellschaft.
„Ach, Stanley. Für Vinko und all die anderen ist es klar: Stanley und ich sind ein Paar. Wenn sie wüssten! Gar nichts ist klar. Stanley, der Mann mit den schlanken Händen, dem gewinnenden Blick und dem verschmitzten Lächeln hatte nie mehr als „I like you
gesagt, weil er das Meer mehr als jede Frau liebt. Es ist schon länger her, dass wir uns begegneten, auf so einer kleinen Insel läuft man sich über den Weg. Es war eine Sommerliebe, und nachdem wir drei Tage und Nächte sehr zusammen waren, flog er zurück nach Amerika. Die Frauen sagten: „Es ist schade, dass er weg ist. You are such a quuuuuuite couple. Die Frauen sagten: „Fahr ihm nach.
Sie wissen nur allzu gut, wie man mit Inselmännern umgeht. Nachdem er wieder drüben war, telefonierten wir miteinander und sagten: „I miss you."
In ein paar Tagen werde ich die Läden dicht machen und die Stecker aus der Dose ziehen, ich werde Reis und Nudeln in Schachteln packen, damit die Mäuse im Haus nichts Essbares finden. Angelo, der Mann, der auf mein Haus aufpasst, wenn ich nicht da bin, wird meine Koffer mit seinem neuen Quad abholen und im Gepäcksraum der Fähre verstauen. „Bis bald, Sijora, wird er sagen. „Sijora
sagen sie hier, nicht Signora. Ich werde wie immer auf das Oberdeck der „Maraskino" steigen und in die Hauptstadt an der Küste fahren. Es braucht über eine Stunde, um die Insel aus den Augen zu verlieren. Jedes Mal, wenn ich die Insel verlasse, gibt es meinem Herzen einen Stich. Jedes Mal ist es wie ein Abschied für immer. Es ist, als ließe ich ein Stück von mir auf der Insel zurück. Dabei fahre ich doch nur aufs Festland und von dort auf der Autobahn nach Wien. Was wohl die Menschen fühlten, die von hier aufbrachen, um in Übersee Arbeit zu finden?
Inselfrühstück
Mein Inselfrühstück besteht aus Tee von Zitronenverbenen, Brot aus der Inselbäckerei, Butter und Topfen, Marmelade oder Honig, wenn mir nach Süßem ist. Mag ich es salzig, dann tunke ich das Brot in Olivenöl, esse Hartkäse vom Schaf, dazu Tomaten und im Ofen gebackene Oliven. Obst gibt es immer nach Saison und aus der Gegend, eine Ausnahme sind nur die Bananen. Auf der Insel wachsen: Weintrauben, Passionsfrucht, Feigen oder Weingartenpfirsich, Magunje, Zwetschken und Kriecherln, Äpfel und Birnen.
Insel-Rezept
Feigenmarmelade ohne Konservierungsmittel, so, wie man sie früher gemacht hat. Man braucht dazu Feigen, Zitronen und Zucker.
Feigen mitsamt den Schalen und Zitronen mitsamt den Schalen werden klein geschnitten und durch den Wolf gedreht oder auf eine andere Art faschiert. Das Verhältnis ist ungefähr 70% zu 30% (z. B. 70 dag Feigen und 30 dag Zitronen). Das Mus kocht man mit Zucker 1:½ fünf Minuten lang und füllt die Marmelade in Gläser ab.
Am Postamt
Diese Insel ist flach wie ein Fladen, und hätte es je eine Sturmflut im Adriatischen Meer gegeben, so hätte sie uns mit einer einzigen Welle weggespült. Und wer hätte uns nachgeweint, uns, den letzten Überlebenden einer Kultur, die im Aussterben begriffen ist, der Kultur des Müßigganges, des „Dolcefarniente"? Vielleicht hätte sich einer unserer Nachfahren an uns erinnert, an unbeschwerte Sommertage, an Tage, die er sich mühsam freischaufeln musste aus seinem mit Arbeit vollgestopften Alltag? Arbeit, mit der er das Mobiltelefon kauft, das auch fotografieren kann, ein Drittauto oder auch nur eine vollautomatische Espressomaschine.
Was und wo er denn arbeite, fragte ich den jungen Niko, einen zwanzigjährigen, prächtig gewachsenen Knaben. Wir saßen schon seit einiger Zeit regungslos nebeneinander unter der Dorflinde, trugen Stiefel, wattierte Jacken und Mützen und starrten aufs Meer. Niko zuckte mit den Schultern. Ob er denn studiere? Er schaute mich groß an. „Nein! Er arbeite auch nicht und gehe in keine höhere Schule. Er sagte: „Ich lebe doch auf Mali Otok
, vom Volksmund auch liebevoll Mali genannt. Sie ist die kleinste der dreizehn bewohnten Kalamari-Inseln in der nördlichen Adria.
Mali hat nur einhundert ständige Bewohner, und auch von diesen war zu dieser Jahreszeit nur die Hälfte hier, die anderen waren in ihren Appartements am Festland. Angelo hatte zwei Tage vor meiner Ankunft die Radiatoren eingeschaltet und den Küchenherd in Betrieb genommen, im Haus war es gemütlich warm. Es war Ende Februar. Das Gebirge an der Küste war schneebedeckt, der Himmel strahlend blau. Es war eisig kalt.
Die Telefonleitung war tot. Klar, ich hatte die Rechnungen nicht bezahlt, ich war vier Monate lang weg gewesen. Ich hatte nach meiner Abreise vergessen, den Abbuchungsauftrag am Hauptpostamt in der Stadt auszufüllen. Ich hatte so viel anderes zu tun. Um ehrlich zu sein: gar nichts. Ich war schon ein halber Inselmensch, zog alles, was zu tun ist, hinaus, in der Hoffnung, dass es sich von selbst erledigt. Wer fährt schon wegen einer Unterschrift auf das Festland? Oder wegen einer fälligen Zahlung? Angelo sagte, er bezahle im Winter, wenn sie nicht da sind, die Telefon- und Stromrechnungen aller seiner Verwandten, und ein Zahlschein mehr oder weniger sei auch schon egal. „Machen Sie nur ja keinen Abbuchungsauftrag, sagte er. „Weil man nie weiß, was die Banken mit dem Geld tun.
Ich ging aufs Postamt. Es war neun Uhr fünf. Die Uhrzeit weiß ich deshalb, weil die große Uhr an der Wand auf die Sekunde genau geht, damit der Postbeamte auf die Sekunde genau die Amtstür schließen kann. Unser Postamt hat täglich außer Samstag und Sonntag von acht Uhr bis zwölf Uhr offen. Es besitzt einen Zentralraum mit einem Schalter und einen Schalterbeamten, Ivo. Er hat ein Moped mit einem Körbchen und einen Yorkshireterrier. Den setzt er, fährt er zur Fähre, um die Post abzuholen oder hinzubringen, auf die Briefe obenauf. Er arbeitet auf diesem Postamt zehn Monate im Jahr. Von September bis Ende Juni. Im Sommer, genau dann, wenn viel zu tun ist, macht er Urlaub. Die Aushilfe ist eine flinke Dame aus der Stadt. Wohin er im Urlaub fährt? Nirgendwohin! Er bleibt hier. Er spielt Boccia, er spielt Karten und er geht fischen, obwohl im Sommer im Wasser nichts los ist, er macht mal Pause von der Pause und sagt: „I take a break from the break."
Ivo ist diskret. Er liest sie alle, die Ansichtskarten und die Briefe, die er ins Licht hält, ihren Inhalt behält er für sich. Man sagt, dass er es schon vor dreißig Jahren so gemacht hat, was damals nicht ganz harmlos war. Ivo ist Vertrauensmann. Er spricht einigermaßen gut Englisch und überlegt lange, um das richtige Wort zu finden. „Hi, sagte er, als ich eintrat. „Where have you been? There is plenty of mail since you last came.
Nun, viel war es nicht, außer den Telefonrechnungen, die nicht bezahlt waren: Werbung, ein Zahlschein für den Blindenverband und Neujahrswünsche von der Bank.
Sie hatten mir das Telefon gesperrt. Ivo meinte, ich solle die Rechnungen gleich bezahlen, denn sonst würden sie mir den Vertrag kündigen. Er sagte: „I give you a number you must call post office in Zagreb. Ja aber, wie? Ich hab keine Verbindung mehr. „Can you do that for me?
, bat ich. Er wählte eine Nummer und erreichte eine Stimme, die ihm sagte, dass ich den ausstehenden Betrag bezahlen soll, und wenn ich die Zahlscheine nach Zagreb faxe, werde die Telefonleitung wieder aufgemacht. Ich unterschrieb die Zahlscheine, denn Ivo ist ja auch Bankbeamter. Er stempelte sie ab und schob den ersten der drei Zahlscheine in das Faxgerät. Dort ließ er ihn drin, denn in der Zwischenzeit war eine Frau mit einem Sack Geld durch die Tür hereingekommen. Ivo zählte es ab. Mit der Hand und zweimal. Ich setzte mich hin, es sah aus, als müsste ich länger warten. Der Yorkshire lag eingerollt in einem Körbchen hinter dem Ölofen. Der war nicht in Betrieb, obwohl es feucht und saukalt war. Ich blickte an die Decke. Zwischen den Ritzen der Bretter quoll flaumiges, weißes Isoliermaterial hervor, wie ein quellender Schimmelpilz. Ich blickte an die Wand. An ihr waren feuchte Flecken. Unter den Fensterbänken blätterte der Verputz ab und zwischen den Fenstern lagen hunderte, tote Fliegen. Ob Ivo keine von der Post bezahlte Putzfrau für das Postamt hat? Irgendetwas hatte mit dem Faxen des Zahlscheines noch nicht geklappt. Er versuchte es nochmals. Die junge Frau war wieder gegangen, da läutete das Telefon. Ivo wandte sich zu mir, um sich kurz zu entschuldigen, bevor er den Kopf neigte und tief in das Gespräch versank. Ich sah die kleine Glatze am Hinterkopf, den schnurgeraden Mittelscheitel am Vorderkopf, von dem aus er die schwarzen Haare nach links und nach rechts zu den Ohren kämmt.
Auf der abgeschabten gelblichen Holztüre der Telefonzelle Nummer eins hing der Postkalender von diesem Jahr, mit lustigen Zeichnungen im Stil der fünfziger Jahre. Auf der Tür von Zelle Nummer zwei klebte ein Reklamezeichen für Visa-Card, was dem Postamt einen globalen Touch verlieh. Niemand auf Mali Otok, auch nicht die Post, nimmt Plastikgeld. Das Plakat ist nichts als eine freundliche Täuschung für Touristen. So bekommen sie vom Inselleben gleich einen falschen Eindruck. „I am sorry, sagte der Postmann, nachdem zum dritten Mal das Telefon klingelte. Er hob ab. Es war dienstlich. Jemand wollte eine Auskunft über die Abfahrtszeiten der staatlichen Schifffahrtslinie, die er alle auswendig weiß. Dann schob er zum dritten Mal den Zahlschein ins Faxgerät aus den späten achtziger Jahren und sagte: „Sorry, it does not work.
Nun hatte auch ich schon einmal so einen Fall in meinem Büro, vor nicht allzu langer Zeit, als ich noch ein Büro hatte, und wusste, wie es geht. Ich sagte: „Der Zahlschein ist zu klein, du musst die drei Zahlscheine ganz einfach auf ein Blatt Papier im A4-Format kleben. Er sagte: „Aha!
, reckte den Zeigefinger in die Luft, zeigte auf ein Klebeband, klebte die Scheine mit dem Band zusammen und schob die Scheine ins Faxgerät. Er strahlte: „Es geht!"
Mittlerweile war es zehn Uhr dreiundvierzig. Als ich nach Hause kam, funktionierte mein Telefon wieder. Die Welt war wieder mit mir verbunden. Ja, das dachte ich damals tatsächlich noch. Ich dachte, die Welt braucht mich. Falsch gedacht. Denn kaum bist du auf der Insel, scheinst du irgendwie unerreichbar. Bleibst du länger, gehst du bald niemandem ab.
Am Küchentisch stand ein Sack voller frisch gepflückter Orangen aus Angelos Garten. Und ein kleinerer mit Zitronen. Die schenkt er mir jedes Jahr. Sie sind ein Schatz. Erstens sind sie ungespritzt und zweitens schmecken sie süß und drittens denkt wer an mich.
Daheim war es klamm, obwohl die Radiatoren schon seit zwei Tagen eingeschaltet waren und der Herd glühte. Die Fenster und Türen waren nicht dicht. In einer alten Daunenjacke, wattierten Hosen, Stiefeln und Schafwoll-Socken ging ich im Haus herum. Stanleys Foto stand am Regal neben dem Telefon. Ohne Bild wäre die Erinnerung an ihn vielleicht verblasst. Durch das Foto aber bekam ich Sehnsucht nach seiner Stimme, nach diesem leichten Überschlag, wenn er vom rauen Timbre in ein höheres, helleres wechselte. Ich wollte ihn hören. Jetzt. Ich wählte seine amerikanische Telefonnummer. Eine Frauenstimme antwortete ungehalten: „Stanley ist nicht da." Gegen die Eiseskälte, die sich nun in mir breitmachte, half keine zusätzliche Wollunterwäsche und auch keine heiße Lammsuppe. Ich reiste früher ab als geplant.
Schäferidylle
Erst im April kam ich wieder. In fünf Inseltagen hatte ich die Reste vom Vorjahr, garniert mit frischem Wildgemüse, mit Eiern von glücklichen Inselhühnern und Haltbarmilch aus dem Genossenschaftskaufhaus, aufgegessen. Das Tiefkühlfach war nun leer, frei für ein Lamm, das mir ein rüstiger Frühpensionist versprochen hatte. Wann er es bringen werde, wusste er aber nicht, er musste seine Lämmer erst suchen. Er sagte, sie würden im Norden der Insel weiden, wo er sie nicht unter Kontrolle habe. Er hatte mal welche, die fand er erst nach einem Jahr. Ach, keiner ist hier so wie Angelo, der seine Tiere auf der eigenen, mit einem Steinwall umgebenen Weide hält, der zu gegebener Zeit