Regenwalzer
Von Sonja Silberhorn
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Buchvorschau
Regenwalzer - Sonja Silberhorn
Sonja Silberhorn, Jahrgang 1979, ist in Regensburg geboren und aufgewachsen. Sie arbeitete mehrere Jahre in der Hotellerie, unter anderem auf den Kanaren und in Berlin, doch dann überwog die Liebe zu ihrer Heimatstadt. Heute lebt sie dort mit ihrem Mann und ist im kaufmännischen Bereich tätig. Im Emons Verlag erschien »Herzstich«.
www.sonja-silberhorn.de
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
© 2012 Hermann-Josef Emons Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagfoto: photocase.de/Miss X
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch, Berlin
eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN 978-3-86358-088-9
Originalausgabe
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Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de
Für Eva
Auftakt
4. November
Nervöses Schlucken, als das Rufzeichen ertönt.
Dort, wo der Zeigefinger die Maustaste berührt hat, ist ein feuchter Film zurückgeblieben.
Das Mikrofon wird hastig noch ein Stück näher an den Lautsprecher gerückt.
Viel zu schnell hebt er ab. Grußlos, wie immer. »Was gibt’s?«
»Sie will nicht mehr zahlen.«
»Was?«
»Sie will nicht mehr zahlen, weigert sich einfach! Weil ihr das jetzt sowieso nichts mehr bringt …« Unüberhörbare Verzweiflung in der Stimme. Und eine Kehle wie ausgedörrt.
»Okay … Dann verhalte dich einfach ruhig. Mehr können wir jetzt nicht tun.«
»Das ist das Problem. Ich … ich hab die Kontrolle verloren! Hab ihr ziemlich Druck gemacht.«
»Sag mal, was ist eigentlich los mit dir? Reiß dich bitte endlich zusammen!«
»Mir wächst das alles über den Kopf. Ich … ich hab im Moment die Nerven nicht …« Viel zu viel Angst, die mitschwingt.
»Das solltest du aber! Willst du, dass alles rauskommt? Dann war’s das, vor allem für dich.«
»Sie will zu den Bullen gehen.« Und das wäre wirklich das Ende.
»Scheiße. Ich lass mir was einfallen.«
Der erste Hörer knallt auf die Gabel, der zweite folgt. Kraftlos.
***
»Verdammter Mist!« Entnervt zerrte ich das zusammengefaltete Stück Papier unter Wenzels Scheibenwischer hervor. Das war das vierte Knöllchen innerhalb der letzten beiden Monate! In Gedanken verfluchte ich wie so oft die Hausverwaltung, die mich seit drei Jahren auf der Warteliste für einen Tiefgaragenstellplatz darben ließ. Oder eher verschimmeln.
Mit einem lauten Seufzen schloss ich meinen mittlerweile etwas derangierten rostroten VW Golf auf und ließ mich auf den Sitz fallen. Leider erinnerte ich mich erst beim leisen Knacken unter mir an Hannes’ Sonnenbrille auf dem Fahrersitz – er hatte sie vor ein paar Tagen in meiner Wohnung vergessen. Eigentlich wollte ich sie ihm heute nach der Arbeit vorbeibringen. Frustriert hieb ich gegen das Lenkrad und stieg aus, um den Schaden zu begutachten.
Mein Hinterteil hatte ganze Arbeit geleistet: Die Designer-Sonnenbrille hatte nun ein Design, das man wohlwollend als futuristisch bezeichnen konnte. Mit weniger Wohlwollen besehen war sie, nun ja, einfach Matsch.
Warum schleppte Hannes auch im tristen Regensburger November eine Sonnenbrille mit sich herum? Völlig überflüssig, meines Erachtens. Seit Tagen war der Himmel grau und wolkenverhangen, der Nebel lichtete sich, wenn überhaupt, erst am Nachmittag und erweckte den Eindruck beständigen Nieselregens.
Hektisch klaubte ich die Designer-Einzelteile zusammen und warf sie auf den Beifahrersitz, bevor ich mich wieder hinter Wenzels Lenkrad klemmte, mein Handy aus der Handtasche kramte und mit fliegenden Fingern Hannes’ Nummer wählte. Besser gleich beichten, dann war das wenigstens vom Tisch. Das Tuten des Freizeichens strapazierte meine angegriffenen Nerven.
Aber es gibt mir die Gelegenheit, mich kurz bei Ihnen vorzustellen – oder mich zurückzumelden, sollten Sie bereits meine Bekanntschaft gemacht haben. Für alle Neuen in unserem trauten Kreis: Es freut mich sehr, dass Sie zu uns gefunden haben. Sie möchten wissen, wer sich da so plump-vertraulich an Sie heranmacht? Also: Mein Name ist Sarah Sonnenberg, ich bin neunundzwanzig Jahre alt und arbeite im Kommissariat 1 der Regensburger Kripo, wo ich mich hauptsächlich mit der Aufklärung von Tötungsdelikten jeglicher Art herumschlage. Das ist halb so spannend, wie Sie vielleicht glauben, aber wahrscheinlich aufregender als ein Job beim Kleintierzüchterverein oder bei der Müllabfuhr von Castrop-Rauxel, insofern können Sie hoffentlich halbwegs beruhigt weiterlesen. (Liebe Kleintierzüchterinnen und -züchter, liebe Castrop-Rauxeler Müllfrauen und -männer: Bitte sehen Sie mir die Mutmaßung nach, Ihre Tätigkeit wäre nicht aufregend! Ich bin sicher, Sie haben eine gute Wahl getroffen! Es ist nur … Tatsächlich bin ich zum Beispiel noch nie über einen Kleintierzüchterkrimi gestolpert. Oder gibt es Abfallentsorgungskrimis? Falls Sie einen kennen, freue ich mich sehr über Ihre Empfehlung!)
Ich bin zudem glückliche Mieterin einer kleinen, aber feinen Wohnung am östlichen Rand der Regensburger Altstadt, die ich trotz der ständigen Parkplatzprobleme niemals aufgeben würde, und stolze Besitzerin von Wenzel, den Sie ja bereits kennengelernt haben.
So weit die Rahmenbedingungen – alles Weitere werden Sie zu gegebener Zeit über mich erfahren.
Für diejenigen, die bereits wissen, mit welchem Ausbund an Diplomatie, Charme und Intelligenz sie es hier zu tun haben: Schön, dass Sie wieder hier sind! Sie haben mir gefehlt. Was Sie in den letzten Monaten so verpasst haben? Ach, nicht viel eigentlich. Kein spannender Fall, keine lebensbedrohliche Situation … Wie, privat meinen Sie?
So ein Zufall, gerade jetzt hebt Hannes ab …
»Hallo, Sarah«, hörte ich ihn verschlafen murmeln. »Ist was passiert?«
Normalerweise vermied ich es, Hannes vor neun Uhr morgens zu kontaktieren – sein Job als Werbetexter erlaubte ihm einen späten Arbeitsbeginn, um den ich ihn glühend beneidete. »Wie man’s nimmt. Wie sehr hängst du an deiner Sonnenbrille?«
»Meinst du die ›Tommy Hilfiger‹, die ich bei dir vergessen habe?«, fragte er, nun eindeutig wacher.
»Ja, genau die. Die ein bisschen so aussieht, als wäre sie aus der letzten Saison«, versuchte ich, den Wert der Sonnenbrille möglichst gering anzusetzen.
»Was? Das nennt man ›retro‹, Schätzchen. Diese Sonnenbrille ist exakt drei Monate alt. Und jetzt sag, was du mit meinem Baby gemacht hast.« Plötzlich klang er hellwach. Und ein klein wenig panisch.
»Draufgesetzt.«
»Oh. Und welchen Eindruck hat deine elfengleiche Kehrseite hinterlassen?«
»Definitiv einen bleibenden. Die Brille ist Schrott«, sagte ich. Nachdem Hannes stumm blieb, bot ich an: »Ich bestell dir eine neue.« Und einen Buddhismus-Ratgeber, fügte ich in Gedanken hinzu: Endlich frei! Verzicht auf materielle Güter leicht gemacht.
»Nein, lass gut sein, Schätzchen«, antwortete er schließlich zögerlich. »Gib mir am Wochenende einfach einen Cocktail aus, dann passt das schon.«
Damit ließ es sich leben, beschloss ich. Vielleicht wurde der Tag heute doch besser als erwartet.
»Na, bist du schon nervös?«, hörte ich Hannes neugierig fragen. Wenn ich mich nicht sehr in meinem besten Freund täuschte, setzte er bei dieser Frage ein Grinsen auf, das an Süffisanz, Schadenfreude und belustigter Sensationsgier nicht zu überbieten war. Meine Hoffnung, dass sich dieser trübe Mittwoch doch noch zum Guten wenden würde, verflüchtigte sich. Dabei war es erst Viertel nach acht.
»Nein, nur genervt«, antwortete ich ruppig. »Ich habe verschlafen, meine Haare sehen mehr denn je nach Wischmopp aus, ich hab schon wieder einen Strafzettel bekommen, und zu allem Überfluss ist es seit heute so weit: Ich passe nicht mehr in meine Lieblingsjeans.«
»Oh«, sagte Hannes tief betroffen. Ja, »oh« hatte ich mir heute Morgen auch gedacht. Es war beileibe nichts Neues, dass sich mein Appetit indirekt proportional zu den Außentemperaturen verhielt. Trotzdem war der erste Tag, an dem ich mich den Tatsachen in Form von etwas großzügiger geschnittenen Klamotten stellen musste, jedes Jahr wieder frustrierend.
Es ist tatsächlich ziemlich deprimierend, finden Sie nicht auch? Nicht dass ich unter Komplexen leide … Na ja, nur manchmal, an schlechten Tagen (so wie heute). Im Großen und Ganzen halte ich mich zwar nicht für sensationell, aber immerhin für passabel geraten, mit einer Figur, die zwischen weiblich-schlank (Sommer) und weiblich-griffig (Winter) schwankt. Was mich an dieser leidigen Lieblingsjeans-Angelegenheit hauptsächlich frustriert, ist die Tatsache, dass sie für mich die Funktion eines Mahnmals hat. Eines Sinnbildes dafür, dass jeder eigenen Handlung eine unabwendbare Konsequenz folgt.
Zu viel gefuttert – Lieblingsjeans ade.
Zu viele Schuhe gekauft – Konto überzogen.
Zu viel geraucht – frühzeitige Hautalterung.
Zu viel Alkohol getrunken – Leberzirrhose.
Diese Liste lässt sich beliebig lange fortsetzen, und das ärgert mich. Willkommen im Leben, werden Sie sich jetzt denken. Ja, ja, ich weiß …
Zurück zu Hannes (der übrigens ein Meister des »Zuviel« ist – komischerweise schert er sich um die Konsequenzen meistens einen feuchten Kehricht).
»Arme Sarah«, fuhr er mitfühlend fort. »Aber du musst positiv denken: Heute ist der fünfte November. Endlich ist unser Leckerbissen Raphael wieder aus dem Urlaub zurück!«
»Halleluja«, seufzte ich resigniert. »Der fehlt mir gerade noch. Und hör bitte auf, so anzüglich zu grinsen. Das hört man ja sogar durchs Telefon.«
Mein Kollege Raphael Jordan, seines Zeichens Kriminaloberkommissar im K1 und personifizierter Frauentraum, war vor einem halben Jahr von München nach Regensburg versetzt worden und ersetzte seitdem meinen vormals engsten Kollegen Herbert, der aus gesundheitlichen Gründen nur noch im Innendienst tätig war.
Nachdem Raphael die letzten beiden Wochen im Urlaub gewesen war, lagen erholsame Tage hinter mir, denn Herbert ließ den Dienst mittlerweile geruhsam angehen. Fast zu geruhsam für meinen Geschmack. Die größte Aufregung in seinem Arbeitsalltag bestand nämlich in dem vermeintlich heimlichen Führen einer Strichliste, mit der er die verbleibenden Wochen bis zur Pensionierung abzählte.
»Ich weiß immer noch nicht«, sagte Hannes missbilligend, »ob ich dich für deine Konsequenz bewundern oder verachten soll. Ich würde schon alles dafür tun, einem solchen Adonis nur im Büro gegenüberzusitzen.«
Hannes’ Vorliebe für attraktive Männer im Allgemeinen und Raphael im Besonderen war mir durchaus bekannt, sodass ich an dieser Stelle das Gespräch getrost beenden konnte, ohne neuartige Informationen zu verpassen.
Ich verstaute mein Mobiltelefon wieder in der Handtasche und drehte den Zündschlüssel um. Wenzel hustete. Dann verstummte er.
Ich drehte den Zündschlüssel ein weiteres Mal. Wenzel hustete wieder, irgendwie asthmatisch. »Wenzel, komm schon! Was hast du denn? Gestern warst du doch noch topfit …«
Mein rostiger Freund hatte wohl wie immer ein untrügliches Gespür dafür, wann ich sowieso schon ziemlich unter Strom stand und nicht mit weiteren Problemen behelligt werden durfte – er keuchte, japste, einmal, zweimal, und sprang schließlich an. »Danke, mein Bester!«
Als ich ihn aus dem Halteverbot rangierte, brummte er satt und zufrieden.
Hastig lenkte ich ihn durch die schmale, völlig zugeparkte Schattenhofergasse mit ihren farbenfrohen Altbauten und bog nach links in die Ostengasse ein.
Diese Ecke Regensburgs war mir in den letzten Jahren zu einem wirklichen Zuhause geworden. Die altmodischen Stadthäuser, die auf ihre Sanierung immer noch warteten, die bunte Mischung aus Alteingesessenen, Studenten und stadtbekannten Regensburger Originalen wie zum Beispiel der alten Dame, die Jahr und Tag auf dem Gehweg stand, um die neueste Ausgabe des »Wachturm« unters Volk zu bringen, das Sammelsurium skurriler Geschäfte, die in ständigem Wechsel öffneten und wieder schlossen, all das war nicht auf Hochglanz poliert wie andere Teile der Stadt – aber es wirkte sehr ehrlich, und das gefiel mir.
Ich fuhr unter dem gotischen Ostentor hindurch stadtauswärts und versuchte, die aufkeimende Nervosität niederzuringen. Ganz ruhig bleiben, Sarah. Kein Grund zur Panik. Du hast schlecht geschlafen und siehst beschissen aus, aber das ist egal, denn er ist nur ein Kollege. Konzentrier dich auf deine Arbeit, lass dich nicht verrückt machen, alles wird gut. Wie ein Mantra wiederholte ich diesen Satz immer wieder in Gedanken. Die erhoffte beruhigende Wirkung ließ allerdings auf sich warten.
Als ich schließlich in die Bajuwarenstraße einbog, in der die Dienststelle der Kripo in einer ehemaligen Kaserne untergebracht war, fühlten sich meine Hände immer noch schweißnass, klamm und zittrig an. Ich parkte neben Raphaels schwarzem Alfa, warf einen letzten Blick in den Rückspiegel, wuschelte mir durch meine kurzen dunkelbraunen Haare, kontrollierte mein Make-up, atmete tief durch und stieg aus. Was muss, das muss. Ich konnte schließlich nicht den ganzen Tag in Wenzel verbringen.
Für Sekretärin Erna hatte ich heute nur ein eiliges »Guten Morgen« übrig, das ich im Vorbeihasten in ihr Büro schmetterte. Fehlte noch, dass sie mich vor der ersten Tasse Kaffee mit Beschlag belegte, um mir sämtliche Fotos vom Kindergeburtstag ihrer Enkelin Jennifer, ihres Enkels Dustin oder irgendeines anderen minderjährigen Mitglieds des Hintergruber-Clans zu zeigen. Schnell weiter also, ich wollte die seit Tagen sehnsüchtig gefürchtete Begegnung endlich hinter mich bringen. Nach ein paar Minuten in Raphaels Nähe, das wusste ich, würde ich meine Nervosität unter Kontrolle haben und konnte zur Tagesordnung übergehen.
Schwungvoll betrat ich das Büro, bedachte zuerst Herbert, dann Raphael mit einem schnellen Blick, gefolgt von einem »Guten Morgen« für beide, fügte für Raphael ein lässiges »Na, Urlauber, gut erholt?« hinzu und setzte mich auf meinen Platz. Das hatte perfekt funktioniert, ich war stolz auf mich. Ich war nicht gestolpert, hatte nicht gestottert und war auch ansonsten nicht verhaltensauffällig geworden. Mit einem leisen Aufatmen erweckte ich meinen Rechner zum Leben und schlüpfte aus meiner Lederjacke.
»So gut erholt wie bei diesem Schmuddelwetter eben möglich«, hörte ich Raphael antworten. Widerwillig wandte ich mich ihm zu. Das war ein Fehler. Beim Betreten des Büros hatte ihn mein Blick nur kurz gestreift, aber jetzt erschlug mich seine Frontalansicht – bildlich gesprochen. Nach zweiwöchiger Abstinenz erschien er mir gleich noch attraktiver. Nur mühsam hielt ich mich davon ab, ihn anzuspringen.
Dieses sagenhafte Lausbubenlächeln beherrschte er aber auch zu gut. Seine Zähne blitzten, ebenso seine klaren grünen Augen. Die im Nacken zusammengebundenen dunkelblonden Haare und der Dreitagebart betonten seine markanten Gesichtszüge – und seine vollen, wohlgeformten Lippen … Nein, nicht die Lippen ansehen, Sarah! Das hilft dir nicht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Was dann? Die Schultern? Breit und kräftig. Plötzlich fühlte ich mich schrecklich schwach. Vielleicht die Brust? In Gedanken riss ich ihm den blauen Kapuzenpulli vom Leib und sank willenlos gegen ebendiese. Himmel, was nun? Ich konnte wohl kaum seinen linken Schuh anstarren, nur um meiner inneren Ekstase ein Ende zu bereiten. Außerdem: Wer weiß, ob das funktioniert hätte? Vielleicht sollte ich lieber mal wieder was sagen. Ja, das war eine gute Idee. Aber was? »Danke für die Postkarte«, brachte ich schließlich tonlos hervor.
»Postkarte?« Herberts Stimme drang wie durch Watte zu mir durch. »Ich dachte, du warst nicht weg?«
»Nur ein paar Tage bei meiner Schwester in Düsseldorf. War nicht gerade mein exotischster Urlaub«, antwortete Raphael.
»Ach so.« Herbert sah von Raphael zu mir und wieder zurück, kratzte sich am Bauch, über dem das obligatorische Karohemd gefährlich spannte, stand auf, brummte irgendetwas von »Kaffee holen« vor sich hin und schickte sich an, das Büro zu verlassen.
Nein! Bitte, lieber, guter, alter Herbert, bleib! Lass mich jetzt nicht mit ihm allein! Das kannst du nicht machen!
Er konnte wohl.
Raphael war ebenfalls aufgestanden und sah mich nachdenklich an. Dann kam er auf mich zu und lehnte sich an meinen Schreibtisch. Viel zu nah, schoss es mir durch den Kopf. Widerwillig sah ich zu ihm auf.
»Hast du die Postkarte auch gelesen?«, fragte er.
Ich nickte stumm.
»Und verstanden?«
Sein durchdringender Blick machte mich noch nervöser. Wieder nickte ich wortlos. Meine Hände zitterten, sodass ich sie ineinanderschlang. Völlig umsonst, auch ineinandergeschlungen zitterten sie noch. Was Raphael bemerkte, da war ich mir sicher.
Ratlos sah er mich an. »Okay, dann …« Er brach ab, schüttelte den Kopf, drehte sich achselzuckend um und setzte sich wieder an seinen Platz.
Oh mein Gott! Das war schlimmer als befürchtet. Wenn nur meine verdammten Hände endlich aufhören würden zu zittern … Falls Sie gerade etwas Valium griffbereit haben, ich könnte es gut gebrauchen. Schon gut, zur Not tun’s auch Globuli.
Verstehen Sie das? Warum hört er nicht endlich auf, die einzige Frau (also mich) weichzukochen, die nicht bereit ist, allein bei seinem Anblick willenlos und seufzend in sein Bett zu sinken? Nein, ich werfe meine Prinzipien nicht über Bord! Dafür habe ich mit Affären am Arbeitsplatz einfach zu schlechte Erfahrungen gemacht. Oder genauer gesagt: eine schlechte Erfahrung, mit der einzigen Affäre am Arbeitsplatz, auf die ich mich im Laufe meines Lebens eingelassen habe. Der Psychokrieg damals hat meinen Bedarf ein für alle Mal gedeckt.
Und von Männern der Marke »Ladykiller« halte ich mich ohnehin lieber fern – so handhabe ich das schließlich seit Jahren. Und bin dabei gesund, glücklich, zufrieden … Na ja, manchmal ist mir ein bisschen langweilig. Aber besser Langeweile als Gefühlschaos, will ich meinen!
Obwohl ich ja zugeben muss: Meine Gefühle für Kollege Knackarsch haben in den letzten Monaten auch ohne Affäre schon reichlich Kapriolen geschlagen. Gemeinhin gelingt es mir zwar, die Oberhand zu behalten – als zuverlässiges Mittel hat sich der Gedanke an eine Horde züchtig gekleideter, ungeschminkter Feministinnen mit Spruchbändern und Molotowcocktails erwiesen, die laut »Never fuck the company!« skandieren.
Nur … ein Scharmützel konnte der Gegner leider für sich entscheiden. (Von wegen konsequent.) Als Rechtfertigung kann ich nur hervorbringen, dass ich an diesem Abend reichlich geschwächt durch Alkoholeinfluss und eine gehörige Portion Dankbarkeit war. Und die Alice-Schwarzer-Klone hatten vermutlich schon Feierabend. Zum Glück habe ich die bedingungslose Kapitulation noch abgewendet, ich habe nämlich nicht vor, klein beizugeben!
Da kann er, so wie jetzt, mit sorgenvoll gerunzelter Stirn auf seinen Monitor starren, bis die Runzeln zu Schluchten werden! Und seine verstohlenen Seitenblicke, die mir durch meine verstohlenen Seitenblicke natürlich nicht verborgen bleiben, nehme ich ihm auch nicht ab. Alles Masche. Mit Männern kenn ich mich schließlich aus.
»Soderla.« Herbert schlurfte mit der Kaffeetasse in Händen zurück ins Büro und kratzte sich am Hinterkopf, bevor er sich ächzend in seinen Drehstuhl fallen ließ. Auch der Stuhl ächzte. »Ich hab mir gedacht, nachdem es so ruhig ist und die Kollegen vom K2 nichts abzugeben haben, könnten wir …«
»… Feierabend machen und ein Bierchen trinken gehen«, warf Raphael ein.
»Oder ein bisschen shoppen«, schlug ich vor.
»Sauna«, fiel Raphael ein.
»Betriebsausflug ins Wellness-Hotel«, ergänzte ich.
Herbert sah uns missmutig an. »Also, die Arbeitsmoral der jungen Leute ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Herrschaftszeiten, was soll das hier bloß werden, wenn ich mal in Rente bin? Glaubt ihr, der Steuerzahler blecht dafür, dass wir hier Kaffeekränzchen veranstalten?«
Ich warf einen Blick auf den Kalender. Alles klar – der erste Mittwoch im Monat. Der Tag, an dem Herberts Frau ihrem Gatten traditionell Grünkernbratlinge servierte, um den Diätvorschriften wenigstens einmal im Monat Genüge zu tun. Zu unserem Leidwesen war dieser Anlass ebenso traditionell ein Garant für die äußerst schlechte Laune des Diätopfers. Auch Raphael wies mit dem Kopf auf den Kalender und grinste.
Was Herbert nicht entging: »Ja, lach du nur. Du wirst ja auch nicht mit diesem Vogelfutter gequält. Und jetzt dalli, schnappt euch ein paar von den alten Aktenleichen – das ist längst überfällig.«
»Wow, das ist ja mal was ganz Spannendes«, erwiderte Raphael übertrieben enthusiastisch. »Was dagegen, wenn ich noch ein paar Tage Urlaub mache?«
Herbert setzte grummelnd zu einer Antwort an, aber das Klingeln seines Telefons verhinderte einen bissigen Kommentar. »Kripo Regensburg, Hoffmann«, bellte er in den Hörer.
»Mit Herbert in die Sauna …«, raunte ich Raphael zu und tippte mir an die Stirn. »Das fehlt mir gerade noch.«
»Ich habe dabei auch eher an dich gedacht.«
Zum Glück ersparte mir Herberts sichtlich angespannter werdende Miene eine Antwort.
»Ja, verstanden«, sagte er schließlich. »Wir sind gleich da. Danke.« Er legte auf und sah ernst in die Runde. »Das war die Einsatzzentrale. Sieht so aus, als würde weder aus euren noch aus meinen Plänen was. Ihr müsst los, in der Tanzschule Rossbacher wurde die Besitzerin tot aufgefunden. Offensichtlich erschossen, soweit das aus ihrer hysterischen Nichte rauszubekommen war.«
»Nett, dass sie damit bis nach meinem Urlaub gewartet haben«, antwortete Raphael.
Ich konnte mir ein sprödes Lächeln nicht verkneifen. »Herzlich willkommen zurück.«
Ausgetanzt
Die Tanzschule lag im Westen der Stadt, inmitten von Wohnblocks und Einfamilienhäusern, die ihre beste Zeit hinter sich gelassen hatten und nicht zum Charme der alten Jugendstilvilla passen wollten.
Wir stellten das Auto auf dem Kundenparkplatz ab und folgten dem Pfeil auf einem schnörkeligen Schild, der uns den Weg zu einem Seiteneingang wies. Die schmale Eingangstür der Tanzschule stand weit offen, sodass schon draußen das hysterische Schluchzen einer Frau zu hören war. Ich fing Raphaels widerwilligen Blick auf. Seine Begeisterung für weinende Frauen hielt sich in Grenzen.
Im Flur mit seinem knarzenden Dielenboden folgten wir dem Wimmern, das uns am Ende des Ganges in einen Empfangsraum führte.
Dort saßen zwei junge Frauen auf einem Bänkchen. Die eine, in sich zusammengesunken, wurde offensichtlich von einem Weinkrampf geschüttelt. Ihr langes blondes Haar verdeckte ihr Gesicht und fiel ihr bis in den Schoß. Die zweite, ein burschikoser Typ mit kurzen dunklen Haaren, wirkte gefasst und hatte ihre liebe Mühe damit, die in Tränen aufgelöste Frau zu beruhigen.
»Jordan und Sonnenberg, Kripo Regensburg«, stellte ich uns vor und ging einen Schritt auf die beiden zu.
Dankbar lächelte uns die Dunkelhaarige an. »Gut, dass Sie da sind. Ich bin Margit Kersten. Und das ist Verena«, fügte sie mit einem Blick auf das zusammengesunkene Häufchen Elend neben sich hinzu. »Verena Rossbacher. Sie hat ihre Großtante vorhin gefunden und …« Achselzuckend brach sie ab. Der Anblick von Verena Rossbacher war in der Tat selbsterklärend.
»Arbeiten Sie hier in der Tanzschule?«, fragte Raphael.
Margit Kersten schüttelte den Kopf. »Ich bin eine Freundin von Verena. Sie hat mich voller Panik angerufen, deshalb bin ich hergekommen.«
Verena Rossbacher schien sich langsam etwas zu beruhigen, das Schluchzen war mittlerweile verklungen. Sie schniefte noch einige Male, bevor sie aufsah. Ihre Augen waren verquollen, die Wimperntusche über das blasse Gesicht verteilt.
»Frau Rossbacher, wo haben Sie Ihre Tante gefunden?«
Sie zeigte auf die geschlossene Tür hinter dem antiken Sekretär. »Drüben, im Studio. Sie liegt neben der Bar.« Wieder schluchzte sie auf und barg ihren Kopf an der Schulter der Freundin.
»Gut, dann schau ich mir das mal an«, sagte Raphael. »Du kannst dich ja um die beiden hier kümmern«, fügte er leise hinzu.
Ich funkelte ihn an. »Hast du Plastiküberschuhe dabei?«
»Nein. Hast du die nicht mitgenommen?«
»Doch, natürlich, Partner. Und deshalb gehe ich da mit rein.« Dann wandte ich mich an Margit Kersten. »Ist das hier auch das Wohnhaus der Ermordeten?«
»Ja.« Sie deutete auf die gegenüberliegende Tür. »Da geht’s zu den Privaträumen.«
»Gut, dann bringen Sie Ihre Freundin doch bitte dorthin und warten mit ihr auf uns.«
Obwohl die Tanzschule Rossbacher in Regensburg einen ausgezeichneten Ruf genoss, war das eigentliche Studio weder besonders groß – auch wenn eine verspiegelte Wand neben der Tanzfläche gegen diesen Eindruck anzukämpfen versuchte – noch besonders modern ausgestattet. Die helle Holzbar, über der von an der Decke befestigten Streben künstlicher Efeu baumelte, hatte schon bessere Tage gesehen und hätte ebenso gut in eine renovierungsbedürftige Dorfdiskothek gepasst. In den oberen Regalen der Rückwand fanden sich angebrochene Likörflaschen, die weiter unten gelegenen dienten als Büroersatz: Hier stapelten sich Ordner und Schnellhefter. Um die Bar gruppierten sich wahllos zusammengewürfelte Bistrotische und Stühle, manche mit neonfarbenen Tischdecken und Sitzpolstern ausgestattet.
»Geschmackvoll«, kommentierte Raphael trocken. Obwohl ich mich innerlich gerade für den Anblick der Leiche wappnete, musste ich schmunzeln. Allerdings nur für einen kleinen Moment, denn dann sah ich um die Ecke der Bar und entdeckte den Grund für Verena Rossbachers Aufruhr.
Sie lag auf dem Rücken, die dunklen Augen mit einem Ausdruck ungläubigen Erstaunens weit aufgerissen. Ihr kurzes tiefschwarzes Haar kringelte sich in ordentlichen Löckchen, die Hände lagen entspannt neben ihrem fülligen Körper, der in einem schwarzen Rock und einer biederen Blumenbluse steckte. Der Kopf war leicht zur Seite geneigt, das Gesicht stark geschminkt – braunes Make-up und kräftiges Rouge ließen sie fast lebendig aussehen. Lediglich an Kinnbogen und Hals erkannte ich, dass ihre Haut zwischenzeitlich eine fahle Blässe angenommen hatte.
Wie das Bindi einer Inderin dellte sich mitten auf ihrer Stirn ein ovales Einschussloch, die Ränder waren von fransig gesäumter Haut überlappt. Unter dem rußigen Kranz, der die Einschussstelle umgab, zeichnete sich rötlich braun ein Hämatom ab, das durch die Druckbelastung im Gewebe entstanden sein musste.
Das Austrittsloch an ihrem Hinterkopf ließ sich in ihrer momentanen Position nur erahnen, und das dichte Haar erschwerte die Einschätzung zusätzlich. Dennoch schien es relativ weit unten am Hinterkopf zu liegen, dem ausgetretenen Blut inklusive Gewebefetzen nach zu schließen, welches sich in einer kleinen, bereits angetrockneten Pfütze am Boden gesammelt hatte. Das wiederum bedeutete, der Täter musste von schräg oben geschossen haben und somit größer als die Ermordete sein – wofür auch die ovale Form des Einschusses sprach. Mit einem schnellen Blick scannte ich Frau Rossbachers Körpermaße. Leider war es nicht besonders schwierig, sie an Größe zu übertreffen.
Zwischen ihrem Kopf und der ebenfalls rot besprenkelten Wand verunzierten feine Blutspritzer und Knochensplitter den Boden. Suchend sah ich mich um. »Siehst du irgendwo die Patronenhülse?«
»Nein. Der Geizkragen gönnt uns wohl seinen Fingerabdruck nicht.«
Ich trat einen Schritt näher, um das Gesicht der Toten besser betrachten zu können. Raphael streckte die Hand nach mir aus und hielt mich am Arm fest. Verwundert sah ich ihn an. »Was …?«
»Lass mich die Lady anschauen. Ist ja kein besonders schöner Anblick …«
Ich schüttelte den Kopf. Langsam gingen mir seine Versuche, mich aus der Verantwortung zu drängen, ein bisschen auf die Nerven. »Erstens ist genau das mein Job, zweitens sehe ich die Obduktionsfotos sowieso, und drittens bezweifle ich, dass sie mir in ihrem Zustand noch gefährlich werden kann. Wenn du mich jetzt also bitte loslassen würdest …«, sagte ich einen Tick schärfer als beabsichtigt – und bereute es schon im nächsten Augenblick, als ich sein zerknirschtes Gesicht sah.
»Sorry, war ein Reflex«, antwortete er und nahm zögerlich seine Hand von meinem Arm.
»Schon gut.«
In den zahlreichen Fältchen um Mund und Augen der Leiche hatte sich Make-up festgesetzt. Ich schätzte sie auf Mitte sechzig, mindestens.
»Sieht nicht so aus, als hätte sie sich gewehrt oder versucht abzuhauen«, stellte Raphael fest und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. »Alles an seinem Platz, oder?«
Ich nickte. Das gesamte Studio wirkte ordentlich und aufgeräumt. Entweder hatte sie ihrem Mörder vertraut, oder sie war derartig überrascht worden, dass ihr keine Zeit für Kampf oder Flucht geblieben war.
»Hallo, ihr zwei«, hörte ich eine bekannte Stimme hinter mir. Michael Bauer, der Leiter der Regensburger Spurensicherung, betrat das Studio, gefolgt von seinen Mitarbeitern und einem Rudel Kollegen von der Streife. »Dass ich irgendwann noch einmal in diesen Laden komme, habe ich auch nicht erwartet.«
»Ach, du hast hier schon mal die Hüften geschwungen?«, fragte Raphael grinsend, als er Michael die Hand reichte.
»Ja, Hochzeitskurs. Das hat fürs restliche Leben gereicht.«
»Du kennst sie also?«, mischte ich mich mit einer Kopfbewegung in Richtung der Toten ein.
Er sah sie kurz an und nickte. »Die hat uns damals ganz schön rumgescheucht. Vielleicht ist das hier die späte Rache eines verkannten Talents?«
Im Gegensatz zum Tanzstudio waren die Wohnräume der Jugendstilvilla sehr geschmackvoll eingerichtet. Die auf Hochglanz polierten Vitrinen und Sekretäre, allesamt antik, passten zu den verspielten Kronleuchtern, die in regelmäßigen Abständen die Decke des Flurs zierten. Üppige Teppiche verschluckten die Geräusche unserer Schritte.
Wir fanden die beiden Frauen im Wohnzimmer. Margit Kersten saß neben ihrer lethargisch daniederliegenden Freundin auf der Couch und streichelte deren Hand. Mein Blick fiel auf Verena Rossbachers Fingernägel: Wäre ihre Tante nicht erschossen, sondern erstochen worden, dann hätte ich soeben die Tatwaffe gefunden. Zu allem Überfluss waren die Spitzen ihrer Endloskrallen in grellem Pink lackiert und mit Glitzersteinchen besetzt. Sie hatte die Augen geschlossen, und ich konnte es ihr nicht verdenken – diese Fingernägel hätte ich mir auch nicht ansehen wollen.
Als wir eintraten, schlug sie die Augen auf und seufzte theatralisch. Dann setzte sie sich auf, so schwerfällig und mühevoll, als wäre sie im Endstadium einer Schwangerschaft. Affektiert wischte sie sich die nicht vorhandenen Tränen aus den Wimpern und die verschmierte Wimperntusche aus dem Gesicht, schlug grazil die Beine übereinander, wobei ihr sowieso schon recht kurz geratener Rock noch eine Etage höher rutschte, und warf sich mit einer gekünstelten Kopfbewegung die Haare hinter die Schultern.
»Schrecklich, nicht wahr?«, fragte sie an uns gerichtet. Ihr Stimmungsumschwung irritierte mich – eben hatte sie den Tod ihrer Tante noch hysterisch beweint, jetzt sprach sie darüber, als hätte sie sich lediglich einen ihrer swarovskiverzierten Minidolche abgebrochen. Auch Margit Kersten betrachtete sie verwundert.
»Hm … ja. Wohnen Sie hier bei Ihrer Tante?«
»Nein, Gott bewahre«, antwortete sie. »Also, ich meine … Tante Theresia ist … oder besser: war nur meine Großtante. Aber wir mochten uns sehr«, fügte sie eilig hinzu. Margit Kerstens erstaunter Seitenblick entging mir nicht.
»Weshalb haben Sie einen Schlüssel für das Haus?«
»Ich arbeite hier als Tanzlehrerin. Schon seit sechs Jahren. Meine Tante war ja nicht mehr die Jüngste, irgendwann wurde ihr das alles zu viel, so allein. Also hat sie mir angeboten, mich zur Tanzlehrerin auszubilden. Seitdem bin ich hier.«
»Hatte Ihre Tante noch weitere Verwandte? Einen Mann? Kinder?«
»Ihre Tochter Camilla lebt schon lange in den USA. Ich kann mich aber kaum mehr an sie erinnern, und sie war auch schon lange nicht mehr hier in Deutschland.« Gleichgültig winkte sie ab. »Ja, und ihr Exmann Emil, der Bruder meines Großvaters, der ist mit seiner Sekretärin durchgebrannt. Aber das ist auch schon lange her.«
»Wie lange genau?«
Sie zuckte die Achseln. »Keine Ahnung … Das müssten fast fünfundzwanzig Jahre sein. Ich habe ihn auf jeden Fall nie kennengelernt, obwohl meine Eltern und Tante Theresia viel Kontakt zueinander hatten.«
»Was bedeutet durchgebrannt? Wurde die Ehe nicht geschieden?«
»Doch, das schon. Aber mein Großonkel war dabei nicht mal persönlich anwesend, hat Tante Theresia mir erzählt. Hat alles über seinen Anwalt regeln lassen. Und er hat auch auf alles verzichtet, das Haus hier und so weiter. Wollte einfach ein neues Leben anfangen.«
»Und wo hält er sich jetzt auf?«, fragte ich.
Sie kringelte sich gelangweilt eine blonde Strähne um ihren Finger. »Das weiß ich nicht. Aber vielleicht hat ja Camilla